Wissenschaftliche Philosophie Kurze Einführung Dr. Lothar Arendes Philosophie ist das vernunftgeleitete Streben nach Wissen und dessen Anwendung zur Anleitung einer guten Lebensführung: Sie erstrebt ein globales Wissen u.a. über die Art und Geltung unserer Erkenntnis (Erkenntnistheorie) und über die Natur von Mensch und Welt (Naturphilosophie) und macht darauf aufbauend Vorschläge bezüglich der höchsten Ziele unserer Handlungen und der Weise ihrer Erreichung (Ethik, Staats- und Gesellschaftsphilosophie). Demgegenüber arbeiten die Wissenschaften primär empirisch, konzentrieren sich auf Details und bemühen sich nicht darum, Werte und Normen zu begründen. In der wissenschaftlichen Philosophie werden auf der Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse aller relevanter Einzelwissenschaften philosophische Aufgabengebiete behandelt wie beispielsweise die naturphilosophische Ausarbeitung der wissenschaftlichen Weltauffassung, worauf aufbauend philosophische Leitideen formuliert werden, die umgekehrt wiederum den Wissenschaftlern Anregungen zu neuen Theorien geben können. Die hier entwickelte Weltauffassung lässt sich wie folgt kurz zusammenfassen: 1 Es gibt eine allgegenwärtige unbeobachtbare Grundsubstanz, welche verschiedene Phänomene wie z.B. Raum, Zeit, Materie und Bewusstsein hervorbringt bzw. hervorgebracht hat. In dieser Substanz sind die Naturgesetze als Informationen enthalten, welche das Verhalten der hervorgebrachten Materie bei komplexen hierarchischen Strukturen teleonom, bei einfachen Objekten hingegen mechanistisch steuern. "Philosophie" bedeutet wörtlich übersetzt "Liebe zur Weisheit". Was aber ist Weisheit? Weisheit drückt sich auf drei Ebenen aus: auf der Ebene des Wissens, des Handelns und auf der Ebene der inneren Lebenseinstellung. Das Wissen des Weisen (bzw. der Weisen) ist der Glaube, dass eine höhere Macht (z.B. als Weltgeist oder Weltsoftware bzw. als Naturgesetze) die Welt lenkt. Was die Handlungen betrifft, bemüht sich der Weise um die Einhaltung der gesellschaftlichen Werte, wobei ideelle Werte Vorrang haben vor den materiellen. Wissen, Schönheit und platonische Liebe gelten ihm mehr als die Anhäufung von Geld. Was die Lebenseinstellung betrifft, lässt er sich nicht davon erschüttern, wenn nicht alles nach seinem Willen läuft. Was einem zustößt, wird in einem großen Umfang von Naturgesetzen bestimmt – warum sich also aufregen? Diese stoische Gelassenheit ist auch ein äußerlich erkennbares Kennzeichen von Weisheit. Einen Überblick über die wissenschaftliche Philosophie geben meine folgenden Aufsätze. Wer nicht viel Zeit zum Lesen hat und nur einen kurzen Einblick in diese philosophische Richtung gewinnen möchte, dem bzw. der empfehle ich den Aufsatz über die Interpretation der Quantenmechanik. 2 Erkenntnistheorie und Naturphilosophie Die wichtigsten Fragestellungen in der theoretischen Philosophie sind heute die, inwieweit die Philosophie über die naturwissenschaftlichen Theorien hinausgehend etwas über die Natur aussagen kann, was die fundamentalste Theorie der Physik, die Quantenmechanik, über die Natur aussagt, und wie die Welt in ihrer Grundstruktur beschaffen ist. Methodologie der wissenschaftlichen Naturphilosophie: Die wissenschaftliche Forschung durchläuft in ihrer Entwicklung verschiedene Stadien, und besonders in einem fortgeschrittenerem Stadium können naturphilosophische Überlegungen eine wichtige Rolle spielen, wie die Wissenschaftsgeschichte in mehreren Fällen nachweisen konnte. Die Methodologien der hier vorgestellten wissenschaftlichen Naturphilosophie und der Naturwissenschaft haben eine analoge und miteinander verbundene Form. Dabei entsprechen die empirischen Daten der Naturwissenschaft in der Naturphilosophie den zentralen Aussagen der wissenschaftlichen Theorien, und von diesen vorgegebenen wissenschaftlichen Theorien geht der Naturphilosoph zu einem Weltbild über, aus dem sich Leitideen ableiten lassen, welche den Naturwissenschaftlern Anregungen zu neuen Theorienkonstruktionen geben können. Interpretation der Quantenmechanik: Das Computer-Weltbild: Obwohl die Quantenmechanik (QM) bereits vor über 80 Jahren entstanden ist, gilt sie bei vielen Physikern immer noch als unverstanden. In diesem Aufsatz wird der Vorgang des "Verstehens" aus der Sicht der kognitiven Psychologie beschrieben, um auf dieser Grundlage das Interpretationsproblem der QM zu behandeln. In der kognitiven Psychologie wird ein neuer Sachverhalt als verstanden betrachtet, wenn es gelingt, ihn in eine vorhandene Denkstruktur zu integrieren. Die semantische Deutung von mathematischen Formeln ergibt sich danach aus ihrer Einbettung in ein umfassenderes Begriffssystem, welches als das Weltbild des Wissenschaftlers bezeichnet werden kann. In diesem Sinne wird hier die QM mit einer Weltbild-Analogie gedeutet, bei der die Welt mit einem Computer verglichen wird. Relativitätstheorie: Während in der Quantenmechanik die semantische Deutung des mathematischen Formalismus in Bezug auf die physikalische Realität und/oder auf die Sinnesdaten immer noch sehr umstritten ist, hat sich bei den Formeln der Lorentz-Transformationen und bei den Einsteinschen Feldgleichungen die relativistische Deutung durchgesetzt. In dieser Arbeit werden die Probleme der relativistischen Deutung untersucht, und es wird vorgeschlagen, die alternative Deutung von Lorentz und Poincaré wieder in Betracht zu ziehen. Es wird gezeigt, dass die Spezielle Relativitätstheorie im Rahmen des klassischen physikalischen Realismus nicht verstanden werden kann, dass sie aber vereinbar ist mit denjenigen Interpretationen der Quantenmechanik, nach denen die Physik primär nur über Beobachtungen spricht. Es wird außerdem dafür 3 argumentiert, dass es Einstein nicht gelungen ist, das allgemeine Relativitätsprinzip befriedigend zu verwirklichen. Grundzüge der wissenschaftlichen Weltauffassung: Im 20. Jahrhundert kam es durch die Quantenmechanik zum Zusammenbruch des klassischen wissenschaftlichen Weltbildes, und in diesem Aufsatz erläutere ich die grundlegenden Begriffe unserer heutigen wissenschaftlichen Theorien: Äther bzw. Vakuum, Elementarteilchen, Naturgesetze, Raumzeit, Emergenz, Selbstorganisation, Evolution, Einheit, Ganzheit, System, Schachtelung der Objekte, Schichtung der Gesetze, Kausalität, Teleonomie, Teleologie und Zufall. Aufbauend auf diesen Grundbegriffen gebe ich eine allgemeine Beschreibung unserer heutigen wissenschaftlichen Weltauffassung. Leitideen für die wissenschaftliche Forschung Die Naturphilosophie hat in der Wissenschaft drei Funktionen. Neben der Analyse der grundlegenden Aussagen der wissenschaftlichen Theorien und ihrer Synthese zu einer allgemeinen Weltauffassung hat sie die Aufgabe, die wissenschaftliche Theorienkonstruktion zu fördern durch die Bereitstellung von naturphilosophischen Leitideen. Leib-Seele Problem: Beim Leib-Seele Problem werden ein Kognitions- und ein Bewusstseinsproblem unterschieden, und es wird der Ansatz gemacht, dass das visuelle Bewusstsein ein Feld ist in Analogie zum metrischen Feld der Allgemeinen Relativitätstheorie. Die informationsverarbeitenden unbewussten Kognitionen sollten einerseits durch Modelle der neuronalen Netzwerke erfasst werden, andererseits könnten einige Prozesse zusätzlich im Quantenvakuum ablaufen. Naturphilosophische Leitideen für die biophysikalische Forschung: Es wird die These vertreten, dass eine der Aufgaben der Naturphilosophie die Bereitstellung von Leitideen für die naturwissenschaftliche Forschung ist, und auf dieser Grundlage werden Ansätze zur Formulierung biophysikalischer Theorien ausgearbeitet. Im Unterschied zu Physik und Chemie spielt in der Biologie der Funktionsbegriff eine überragende Rolle. Deshalb wird die Hypothese aufgestellt, dass es in Organismen biophysikalische Felder mit einer funktionalis4 tischen Dynamik gibt. Die heutige Physik wird als Grenzfall einer umfassenderen biophysikalischen Theorie aufgefasst, und es wird vorgeschlagen, den Funktionalismus auf der Ebene der Naturkonstanten oder anderer physikalischer Parameter im Rahmen der Mathematik nichtlinearer Differentialgleichungen zu formulieren. Gibt es ein Überleben des körperlichen Todes? Seit über hundert Jahren werden von der Parapsychologie Phänomene beschrieben und kritisch untersucht, die von manchen Autoren als empirische Belege für das geistige Überleben des körperlichen Todes angeführt werden. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Phänomenarten (Erscheinungen, Sterbebett-Visionen, Nahtoderlebnisse, Medienkundgebungen, scheinbare Erinnerungen an frühere Leben und außerkörperliche Erfahrungen) und die darauf aufbauenden Argumente und Gegenargumente der Befürworter und Kritiker der Überlebenshypothese werden in dieser Arbeit überblickartig vorgestellt. Leitideen für die geisteswissenschaftliche Forschung: Auf der Grundlage der heutigen wissenschaftlichen Weltauffassung werden heuristische Leitideen für die Forschungen auf den Gebieten der Psychologie, Soziologie und Philosophie ausgearbeitet. Dabei geht es u.a. um Bewusstsein und Handlungstheorie, um die ontologische Natur von Werten und Normen, die Faktoren des gesellschaftlichen Wandels und um die Ausarbeitung gesellschaftlicher und internationaler Werte. Grundlegung der introaktiven Psychologie: In den letzten Jahren ist es in den Bevölkerungen des Westens zu einem starken Anstieg der esoterischen Praktiken gekommen. Da es außerdem im 20. Jahrhundert in der Physik zu theoretischen und weltanschaulichungen Veränderungen gekommen ist, die die Mechanismen derartiger Techniken theoretisch denkbar machen, wird in dieser Arbeit dafür plädiert, diese Praktiken wissenschaftlich zu untersuchen. Dazu werden hier die weltanschaulichen und methodologischen Grundlagen dieser neu zu etablierenden introaktiven Psychologie besprochen. 5