Bildessay 195 Acute Disseminated Encephalomyelitis Akute disseminierte Enzephalomyelitis Die akute disseminierte Enzephalomyeli­ tis (ADEM) ist mit einer geschätzten jähr­ lichen Inzidenz von 0,4 bis 0,8 / 100 000 Einwohner eine seltene, akute demyelini­ sierende Erkrankung des zentralen Ner­ vensystems mit einem typischerweise monophasischen Verlauf, für die ätio­ logisch bislang eine T-Zell-vermittelte ­Autoimmunreaktion gegen das die Mark­ scheiden bildende Myelin der Oligodend­ rozyten angenommen wird. Bevorzugt betroffen sind Kinder mit einem Alters­ gipfel zwischen 3 und 8 Jahren, aber auch Erwachsene und ältere Patienten. Meis­ tens besteht eine enge Assoziation zu ­einem infektiösen Geschehen oder einer Impfung. Weniger häufig manifestiert sich die ADEM nach Drogenkonsum, para­ neoplastisch, im Zusammenhang mit rheumatischen Erkrankungen oder spon­ tan. Histologie ▼▼ Als pathognomisch für die ADEM gelten TZell- und Makrophageninfiltrate als Zei­ chen der perivenösen Demyelinisierungen gleichen Alters in der weißen Substanz, die oft von einer reaktiven Astrozytenpro­ liferation begleitet werden (Young et al. Brain 2010; 133; 333–348). Bei der letal verlaufenden Sonderform der ADEM, der akuten hämorrhagisch-nekrotisierenden Leukenzephalitis vom Typ Hurst (AHEM), sind Einblutungen und perivaskuläre Nek­ rosen nachweisbar (q Abb. 1). gen Stunden eine manifeste Enzephalopa­ thie, die bis zum Koma reichen kann. In Abhängigkeit von der Lokalisation der Demyelinisierungen manifestieren sich ­ multifokale neurologische Defizite, am häufigsten Pyramidenbahnzeichen und Paresen, die ihre maximale Ausprägung bereits nach 4 bis 5 Tagen erreichen (ebd.). Im Liquor zeigen sich vermehrt Proteine und eine Pleozytose. Auch der Nachweis oligoklonaler Banden als Ausdruck einer intrathekalen Antikörperproduktion ist möglich (bis zu 58 % bei Erwachsenen). Ein infektiöses Agens ist meistens nicht nach­ weisbar. Therapie ▼▼ Unter der Therapie mit hochdosierten Kortikosteroiden kommt es zu einer ra­ schen Rückbildung der Symptome. Thera­ pieoptionen sind außerdem Immunglo­ buline, Plasmapherese, Cyclophosphamid und Mitoxantron. Die meisten Patienten zeigen günstige Spontanverläufe mit voll­ ständig reversiblen neurologischen Defi­ ziten. In ca. 10 bis 30 % der Fälle sind die Defizite jedoch irreversibel. Schätzungs­ weise ein Drittel der initial als ADEM dia­ gnostizierten Fälle mündet in eine multi­ ple Sklerose (MS). Differenzialdiagnosen ▼▼ Zum breiten differenzialdiagnostischen Spektrum gehören neben viralen und sub­ akuten Enzephalitiden wie der progressi­ ven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) oder der posterioren reversiblen Leukenzephalopathie (PRES), Vaskuliti­ den, Neurosarkoidose, Aspergillose, Toxo­ plasmose, Leukodystrophien, Neoplasien und andere demyelinisierende Erkran­ kungen wie MS und Neuromyelitis nervi optici (NMO). Vor dem Hintergrund des zunehmend wirksamen Einsatzes von Immunmodula­ toren in der Prophylaxe und Therapie schubförmig verlaufender MS-Formen, besitzt die frühe differenzialdiagnosti­ sche Abgrenzung und Erkennung der ADEM mittels MRT eine wichtige, thera­ pierelevante Bedeutung. Klinik ▼▼ Charakteristisch für die ADEM ist der mo­ nophasische Verlauf. Mit einem Intervall von wenigen Tagen bis 4 Wochen gehen den ersten neurologischen Symptomen in ca. 75 % der Fälle Infek­tionen und Impfun­ gen voraus. Relativ häufig handelt es sich um Atemwegsinfekte. Ein klassischer bak­ terieller Erreger bei Kindern ist Mycoplas­ ma pneumoniae. Nach einer Prodromalphase mit Fieber, Unwohlsein, Kopfschmerzen und Erbre­ chen entwickelt sich innerhalb von weni­ Abb. 1 Entzündliche Infiltrate an den Rändern der akuten Demyelinisierung (asterisk), in der Umgebung der Blutgefäße und multiple petechiale Einblutungen bei einem Patienten mit Hurst’s Disease (histologisches Präparat; a: Hematoxylin-Eosin-Färbung, b: Luxol-fast-blue-Färbung). Fortschr Röntgenstr 2013; 185 Heruntergeladen von: Werner Wuensche. Urheberrechtlich geschützt. Einleitung ▼▼ Bildessay MR-Bildgebung ▼▼ Abb. 2 Hypodense, nicht schrankengestörte ADEM-Läsion im linksfrontalen Marklager (a Nativ-CT, b CTKM). Mit der wenig sensitiven Computerto­ mografie (CT) können in der Akutsituati­ on schnell eine lebensbedrohliche Blu­ tung oder raumfordernde Marklager­ prozesse ausgeschlossen werden (q Abb. 2, 3). Radiologisch sind ADEM-Lä­ sionen, die überall im ZNS auftreten kön­ nen, nur mit der Magnetresonanztomo­ grafie (MRT) sicher nachweisbar. Mit einer hohen Signalintensität zeigen sich solitäre oder multiple Läsionen in der Fluid-attenuated-inversion-recove­ ry-Sequenz (FLAIR-Sequenz) (q Abb. 4) und auf T2-gewichteten Aufnahmen. Native T1-gewichtete Aufnahmen die­ nen zum Ausschluss von hypointensen bzw. Liquor-isointensen Läsionen, den sogenannten „black holes“, die für chro­ nische Veränderungen im Rahmen einer seit längerem bestehenden MS typisch sind. Auf Gadolinium-verstärkten T1gewichteten Aufnahmen zeigen sich in den meisten Fällen ringförmige Kont­ rastmittelanreicherungen, die als Krite­ rium für den aktiven Entzündungspro­ zess angesehen werden (q Abb. 5). Wenn Kontrastmittelaufnahmen fehlen, kön­ nen Diffusionsstörungen Hinweise für das Ausmaß der Floridität geben. Ein re­ lativ häufiges Muster besteht aus zentral normalen oder erhöhten und peripher erniedrigten ADC-Werten (q Abb. 6). Be­ züglich der Annahme, dass die Bereiche mit erniedrigten ADC-Werten Areale mit aktiver Demyelinisierung repräsentie­ ren, werden einerseits eine vergleichs­ weise hohe Dichte von inflammatori­ schen Zellen und andererseits die In­ duktion eines zytotoxischen Ödems durch die Freisetzung von inflammatori­ schen Zytokinen diskutiert (Malhotra HS et al. Multiple Sclerosis 2009; 15: 193–203). Abb. 3 ADEM mit diffusen hypodensen Marklagerveränderungen, Zeichen der Parenchymschwellung und des Hirndrucks (a, b Nativ-CT). Abb. 4 Die ADEM präsentiert sich von Fall zu Fall mit sehr variablen Ausprägungsgraden: singuläre Läsion(a). Multiple bilateral-asymmetrisch im Centrum semiovale angeordnete Läsionen (b, „fried egg sign“ [gewendetes Spiegelei-Zeichen]) (a, b FLAIR). Abb. 5 Multiple ADEMLäsionen, die randständig und relativ einheitlich Kontrastmittel anreichern (a Nativ-T1w, b T1w-KM). Befallsmuster ▼▼ Das häufigste Befallsmuster der ADEM besteht aus multiplen, relativ unscharf begrenzten, asymmetrisch-bilateral im subkortikalen Marklager verteilten Läsi­ onen, die randständig und einheitlich Kontrastmittel anreichern. Durch die örtliche und zeitliche Dissemination von Demyelinisierungen unterschiedli­ chen Alters zeigen die in der Regel klei­ neren, häufiger periventrikulär und im Balken lokalisierten MS-Plaques in Ab­ hängigkeit von ihrer Floridität charakte­ Fortschr Röntgenstr 2013; 185 ristischerweise ein heterogenes Muster der Kontrastmittelaufnahmen. Im Gegensatz zur MS gehört zur ADEM häufig der Befall der grauen Substanz. So zeigen sich Affektionen der Mark-Rin­ den-Grenze und am Cortex sowie (bi-) thalamische Manifestationen, die als ein differenzialdiagnostisches Kriterium für die ADEM gelten (q Abb. 7). In der ­Literatur wird der Befall der Thalami mit einer Häufigkeit von bis zu 60 % angege­ Heruntergeladen von: Werner Wuensche. Urheberrechtlich geschützt. 196 Bildessay Abb. 7 Unilaterale ADEM-Manifestation im Thalamus rechts (Pfeil in a). Unter CortisonTherapie schnelle Rückbildung der Läsion innerhalb von wenigen Tagen (b) (a, b FLAIR). Abb. 8 Symmetrische ADEM-Manifestationen in den rostrolateralen Stammganglien (Pfeile) (a, b T2w). Abb. 9 Schrankengestörte ADEM-Läsion im Cerebellum rechts (a FLAIR, b T1w-KM). ben. Auch in den Basalganglien (q Abb. 8), im Kleinhirn (q Abb. 9), im Hirnstamm, Rückenmark und an Hirnnerven werden Veränderungen im Rahmen einer ADEM beobachtet. Bei erwachsenen Patienten kann es zur simultanen Beteiligung des peripheren Nervensystems in Form eines Guillian Barre Syndroms (GBS) kommen. Wie bei MS existiert auch bei der ADEM ein Befallsmuster mit großen tumorarti­ gen Läsionen, sogenannten „tumefacti­ ve lesions“, die ein perifokales Ödem und raumfordernde Wirkung besitzen (q Abb. 10). Sind diese Läsionen solitär und liegt eine ringförmige Kontrastmit­ telanreicherung oder Balkeninfiltration vor, dann ist die Differenzierung von ei­ nem Glioblastom besonders schwierig. In diesen Fällen ist oft eine bioptische Sicherung notwendig. Einblutungen innerhalb großer Demye­ linisierungsherde, für deren Detektion sich in Abhängigkeit vom Alter beson­ ders FLAIR-, native T1- und T2*-gewich­ tete Sequenzen eignen, münden in der AHEM. MR-Spektroskopie ▼▼ Bevor bei „tumefactive Lesions“ Biopsi­ en durchgeführt werden, kann die MRSpektroskopie wichtige zusätzliche In­ formationen zur differenzialdiagnosti­ schen Abgrenzung von malignen Tumo­ ren liefern. Außerdem wird sie zum Mo­ nitoring des demyelinisierenden Prozes­ ses herangezogen. Die Spektren von akuten Demyelinisierungen zeigen re­ duzierte Level von N-Acetyl-Aspartat (NAA) und Creatin (Cr), einen erhöhten Cholin-Peak (Cho) und variable Erhö­ hungen von Myoinositol (mi), Laktat (Lac) und Makromolekülen (MM) bzw. Lipiden (Lip) (q Abb. 11) (Mader et al. EJR 2008; 67: 250–257). Entscheidend ist, dass das Spektrum der akuten Demyeli­ nisierung im Vergleich zu malignen Tumoren nur leichte Erniedrigungen ­ von NAA und Erhöhungen der Ratios von Cho / NAA und NAA / Cr aufweist. Für die Analyse singulärer Läsionen ist die Sin­ gle-Voxel-Protonen-MR-Spektroskopie (MRS) prinzipiell gut geeignet. Die Pro­ tonenspektroskopie mittels chemical shift imaging (CSI) gewährleistet darü­ ber hinaus die Bestimmung der regiona­ len Verteilung unterschiedlicher Meta­ bolite in einem größeren Gebiet, sodass ggf. mehrere Läsionen gleichzeitig ana­ lysiert werden können (Küker W et al. Neuroradiology 2004; 46: 421–426). Zusammenfassung ▼▼ Das wichtigste klinische Charakteristi­ kum der ADEM ist ihr monophasischer Verlauf. Vor allem im akuten Initialsta­ dium ist aufgrund des Fehlens eines spe­ zifischen Biomarkers die klinische Un­ terscheidung vom akuten Beginn einer MS aber sehr schwierig. Zu einem Groß­ Fortschr Röntgenstr 2013; 185 Heruntergeladen von: Werner Wuensche. Urheberrechtlich geschützt. Abb. 6 Periphere Signalabsenkung in der ADC-Map an der dorsalen Zirkumferenz einer großen rechts-parietalen ADEM-Läsion (Pfeil in b) (a DWI, b ADC). 197 Bildessay Abb. 10 Große KM-anreichernde „tumor like lesions“ mit Infiltration des rechten Spleniums (dorsaler Pfeil in a) (a FLAIR, b T1w-KM). Abb. 11 Eine leichte Erniedrigung von NAA und Erhöhungen von Cho und Lac gelten als relativ typisches metabolisches Muster der ADEM (SingleVoxel-Spektroskopie). teil basiert die Diagnosefindung auf radiologischen Merkma­ len. Mit dem multiplen Marklagerbefall, den „tumefactive le­ sions“, der Beteiligung der grauen Substanz mit (bi-) thalami­ schen Manifestationen und der letal verlaufenden AHEM sind in der MRT 4 relativ t­ ypische Muster der ADEM beschrieben worden (Tenembaum S et al. Neurology 2002; 59: 1224–1231). Kontrastmittel­a nreicherungen, Diffusionsstörungen und spektroskopische Befunde dienen zur Identifikation der akti­ ven Entzündung. MRS und CSI liefern im Falle tumorähnlicher Läsionen wichtige Informationen für die differenzialdiagnos­ tische Abgrenzung von malignen Tumoren. Korn A, Hauser T-K, Nägele T, ­Beschorner R, Horger M, Tübingen Fortschr Röntgenstr 2013; 185 Heruntergeladen von: Werner Wuensche. Urheberrechtlich geschützt. 198