Die Faraday-Maxwell – Debatte Bildhafte oder abstrakte Physik? Zum Thema: Im neunzehnten Jahrhundert besch€ftigten vor allem zwei Themen die Physiker: Die Thermodynamik1 und der Elektromagnetismus. Zu jeder physikalischen Epoche gibt es eine Vorgeschichte, einen H•hepunkt und eine Phase der Auswertung und Verfestigung der Theorie. Dies zeigt die nachfolgende Abbildung zur Geschichte des Elektromagnetismus. Der entscheidende Impuls kam – nachdem das Coulomb’sche Gesetz schon l€nger bekannt war – durch die von Hans Christian Oersted 1820 gemachte Entdeckung, dass ein stromdurchflossener Leiter eine Magnetnadel ablenkt, und zwar so, dass sie sich senkrecht zum Draht stellt. AmpÄre und die Physiker auf dem Kontinent versuchten mathematische Ans€tze, wobei sie die Elektrizit€t €hnlich wie eine Fl„ssigkeit behandeln wollten. In England aber entwickelte Michael Faraday einen anderen, bildhaften Zugang zu den magnetoelektischen Vorg€ngen. Seine Modellvorstellungen waren wegweisend f„r die Elektrotechnik. Mit James Clerk Maxwell wurde dann der H•hepunkt in der Entwicklung erreicht, und bis heute haben die Maxwell-Gleichungen f„r die Elektrodynamik den gleichen Stellenwert wie die Newton-Gleichungen f„r die Mechanik. Jan Lacki: Zur Entwicklung der Elektrodynamik Die Kontrahenten Michael Faraday wurde am 22. September 1791 in Newington geboren. Seine Familie zog nach London, wo sein Vater auf Arbeit hoffte. Michael besuchte eine einfache Tagesschule und absolvierte dann eine Lehre als Buchbinder. Faraday war ein ‚Selfmade Man‘, der sich sein Wissen selbst aneignen musste. Auf Vermittlung von Humphry Davy bekam 1813 Faraday eine Anstellung als Laborgehilfe an der Royal Society. Davy war ein Chemiker und Faraday f„hrte vor allem chemische Experimente durch, wobei viele neue Stoffe oder Elemente entdeckt wurden. Er wiederholte auch die Experimente von Oersted. 1831 war es soweit, dass er seine fundamentale Entdeckung der elektromagnetischen Induktion der Royal Society vortragen konnte. Er zeigte, dass durch die Drehung eines Magneten ein elektrischer Strom in einem nahe liegenden Leiter erzeugt wird. Es ist hier nicht der Platz, um alle Entdeckungen und Experimente 1 Vergleiche dazu die Boltzmann-Mach – Debatte. 1 von Faraday aufzuz€hlen. Erw€hnt sei hier nur noch der Faraday’sche K€fig, wonach alle elektrischen Einfl„sse abgeschirmt werden k•nnen, wenn der Beh€lter rundum durch ein Drahtgeflecht eingepackt wird. Insgesamt publizierte Faraday 450 wissenschaftliche Artikel. Faraday war ein Genie, wohl einer der bedeutendsten Physiker, Chemiker und Experimentatoren, obwohl er keine akademische Ausbildung hatte und seine Entdeckungen nicht in mathematischer Sprache formulieren konnte. Ein Charakterzug ist noch erw€hnenswert. Faraday blieb immer bescheiden und lehnte bis zu seinem Tod alle offiziellen Ehrungen ab. Er starb am 25. August 1867 in Hampton Court Green (Middlesex). James Clerk Maxwell wurde am 13. Juni 1831 in Edinburgh geboren. Zuerst studierte er Naturphiloso- phie in seiner Heimatstadt, 1850 ging er nach Cambridge. Nach verschiedenen k„rzeren Stationen wurde er 1860 Professor am King’s College in London. 1861 wurde er zum Mitglied in die Royal Society gew€hlt. Dort traf er sicher auch den vierzig Jahre €lteren Michael Faraday. E.P. Fischer berichtet, dass Maxwell dort einen Vortrag „ber die Dreifarbentheorie gehalten habe und dass die beiden nachher gemeinsam zum Essen gegangen seien. Im Jahre 1871 wurde er zum ersten Cavendish Professor of Physics nach Cambridge berufen. Maxwell war wohl der erste moderne theoretische Physiker. Als Anh€nger der damals noch nicht nachgewiesenen Atomtheorie entwickelte er Ans€tze zur kinetischen Gastheorie, die nachher von Ludwig Boltzmann vervollst€ndigt wurde. Seine grosse Bedeutung liegt jedoch in der mathematischen Formulierung der Elektrodynamik. Maxwell starb im Alter von 48 Jahren am 5. November 1879 in Cambridge an Magenkrebs. Das unterschiedliche Verst•ndnis der Physik Faradays Entdeckung der elektromagnetischen Induktion verlangte nach einer Erkl€rung. Faraday mit seinem intuitiv tiefen Verst€ndnis von Physik und Chemie entwickelte eine bildhafte Vorstellung der Vorg€nge zwischen Magnet und Leiter. Dazu f„hrte er den Begriff der Kraftlinien ein, wobei dann ein Strom im Leiter entsteht, wenn dieser die Kraftlinien – oft auch Feldlinien genannt – schneidet. Faraday gelang es die Kraftlinien eines Magneten anschaulich zu machen. Noch heute f„hrt man dies im Physikunterricht in der Schule vor und zeigt, wie sich Eisensp€ne um die Pole eines Stabmagneten l€ngs der Feldlinien anordnen. Seiner Ansicht nach hatten die Feldlinien eine reale Existenz. Sp€ter untersuchte er die Wirkung des Magnetismus auf Licht und er vermutete, dass Licht durch transversale Schwingungen der Kraftlinien fortbewegen k•nnte. F„r diese Vorstellung brauchte er kein Transportmedium wie den ‡ther. Maxwell kannte als theoretischer Physiker die Werke von AndrÅ-Marie AmpÄre und von William Thompson zum Elektromagnetismus. Thompson hielt zuerst nicht viel von Faradays Kraftlinien. Da aber das Induktionsgesetz von „berragender Bedeutung war, versuchte er selbst, den Feldlinien ein mathematisches Gewand zu geben. Erst Maxwell aber war in der Lage, eine geschlossene Theorie f„r den Elektromagnetismus – heute spricht man von der Elektrodynamik – vorzulegen. Anstelle der Kraftlinien sind es nun elektrische und magnetische Felder, die sich gegenseitig beeinflussen. Maxwell sagte auch, dass diese Felder sich als Wellen fortpflanzen k•nnten. Er berechnete die Ausbreitungsgeschwindigkeit, und die war nahe bei der Lichtgeschwindigkeit. Das veranlasste ihn zu der Annahme, dass Licht selbst eine elektromagnetische Welle sei. Seine Theorie ist f„r Nichtphysiker nicht leicht verst€ndlich. Er selbst glaubte, dass dem Elektromagnetismus eine mechanische Realit€t zugrunde liegen m„sse und seine Wellen m„ssten sich deshalb im ‡ther fortbewegen. Dies ist die abstrakte, mathematische Modellvorstellung zur bildhaften Vorstellung eines Faraday, wobei beide Modelle ihren Wert besitzen2. Bildhafte und mathematische Modelle gibt es auch auf anderen Gebieten der Physik. Dies gilt insbesondere f„r die Quantenmechanik. 2 2 Nachwirkungen in der Technik und den Naturwissenschaften Unser modernes Leben w€re ohne die Leistungen von Faraday und Maxwell kaum mehr vorstellbar. Faradays Induktionsgesetz und seine bildhaften Vorstellungen der Kraftlinien waren die Basis f„r die Entwicklung von elektrischen Motoren und Generatoren. Dabei m„ssen Thomas Alva Edison und Nikolai Tesla als die grossen Pioniere und Erfinder der Elektrifizierung von St€dten und Wohnungen genannt werden. Auch heute noch wird in den Lehrb„chern zur Starkstromtechnik der Begriff der Feldlinien verwendet. Aufbauend auf der Theorie von Maxwell gelang 1888 Heinrich Hertz der Nachweis elektromagnetischer Wellen. Damit war der Weg frei f„r Radio und Fernsehen. Auch die moderne Kommunikation mit Handys ist eine Weiterentwicklung dieser Technik. Durch die Experimente von Hertz setzte sich in den Naturwissenschaften die Erkenntnis des elektromagnetischen Spektrums durch, welches sich von L€ngstwellen „ber Radiowellen, Infrarot, Licht, UVStrahlung bis zu R•ntgen- du Gammastrahlung erstreckt und mit den gleichen Maxwell’schen Gleichungen erkl€rt werden kann. Wesentliches Verdienst f„r die Weiterentwicklung der Elektrodynamik kommt Hendrik Antoon Lorentz zu. Zwar ging Lorentz von einem ruhenden ‡ther aus, indem sich das Licht und Lichtquellen bewegten. Mathematisch f„hrte das zur Lorentz-Transformation, welche zur Basis f„r Einsteins Spezielle Relativit€tstheorie wurde. Mit dieser Theorie und den Experimenten von Michelson und Morley wurde der ‡ther endg„ltig aus den Physikb„chern verbannt. Einstein stand aber nicht nur in der Tradition von Maxwell. Er dachte in Vielem €hnlich wie Faraday. Seine grosse St€rke war das Gedankenexperiment, bei dem er sich eine bildhafte Vorstellung machte, was physikalisch ablaufen k•nnte. In seinen sp€teren Lebensjahren versuchte er die Theorie der Gravitation mit der Maxwell-Theorie zu vereinigen. Schon Faraday hatte die feste ˆberzeugung, dass es zwischen Elektromagnetismus und Gravitation einen Zusammenhang geben m„sste. Bis heute hat aber kein Physiker diesen Zusammenhang gefunden. Literaturhinweise: Fischer E.P., Aristoteles, Einstein & Co. M„nchen 1995: Piper. Lacki J., Celebrating hundred-fifty years of Maxwell’s equations: a historical perspective. Swiss Physical Society: March 2015 3