Kulturelle oder kommunikative Wende der Netzwerktheorie? Zwei Anschlüsse an Whites Style-Konzept Marco Schmitt TU Hamburg-Harburg Harrison Whites zweimaliger Versuch (1992 und 2008) die häufig wenig theoretisierten, zahlreichen und in unterschiedlichen Bindestrich-Soziologien verborgenen Erkenntniserträge der soziologischen Netzwerkforschung in einer großen Netzwerktheorie zusammenzufassen hat dieser auch von Seiten der soziologischen Theorie eine erneuerte Aufmerksamkeit beschert. Der Theorieentwurf von White ist daher eine enorme Bereicherung für den soziologischen Theoriediskurs wie für die Netzwerkforschung. Der Ideenreichtum und das Innovationspotenzial von Identity and Control sind außerordentlich. Dennoch fehlt dem Entwurf die Kohärenz und Stringenz in der Gesamtanlage der Theorie, die man in der deutschen Theoriedebatte erwarten würde. Darin liegt aber nicht nur eine Schwäche von Whites Entwurf, sondern auch eine Stärke. Da hier Anregungspotenzial über innere Kohärenz gestellt wird, unterbleibt eine argumentative Schließung der Theorie, die Theoriedebatten so häufig erschwert. Whites Theorienansatz mit seinen Unvollständigkeiten und Inkohärenzen ist auf Resonanz mit anderen Theoriekonzepten und vor allem mit empirischen Fragestellungen angelegt. Daraus ergibt sich auch die Möglichkeit offener Anschlussversuche aus unterschiedlichen Bereichen der soziologischen Theorie. Der Beitrag will am Beispiel des von White insbesondere in der zweiten Auflage von Identity and Control sehr stark gemachten Konzepts des Styles zeigen, dass hier ganz unterschiedliche theoretische Anschlussversuche möglich sind, die für unterschiedliche Theorierichtungen großes Anregungspotenzial bieten. Insbesondere wird deutlich gemacht werden dass sich Whites Theorie sinnvoll und konstruktiv sowohl als eine kulturelle Wendung der Netzwerktheorie lesen lässt aber ebenso auch als eine kommunikative Wende. Beides ist jedoch mit unterschiedlichen theoretischen Implikationen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten verbunden, die im Folgenden näher auszuführen sind. In einem ersten Schritt geht es darum zu zeigen wie das Style-Konzept aus einer Netzwerktheorie hervorgeht und in diese eingepasst wird. Es schließt an zwei Grundzüge der Theorie Whites an, die aus der Netzwerkforschung abgeleitet sind. Zum einen spielen im Style-Konzept Verteilungen die Hauptrolle, also nicht kausale Zusammenhänge. Es geht nicht darum das aus der Ursache A die Wirkung B folgt, sondern darum das Ereignis A häufiger auftritt als Ereignis B. Zum anderen geht es um die Idee der Selbstähnlichkeit von sozialen Phänomenen, also dem wiederholten Auftreten bestimmter Verteilungen in den ablaufenden Prozessen. Es geht um Musterbildungen, also sozialen Strukturen in der Form von Regelmäßigkeiten (Reckwitz 1997). Allerdings geht es beim Stylebegriff ebenso um die Wiedererkennbarkeit die sich aus der Selbstähnlichkeit ergibt. Nicht jedes Muster in sozialen Prozessen ist ein Style, sondern nur solche Muster für die sich eine gewisse Sensibilität entwickelt hat, die also zumindest in Expertengemeinschaften als selbstähnliche Verteilung erkannt wird und so in die sozialen Prozesse zurückgespiegelt wird. Im Begriff des Style gewinnt der Begriff des sozialen Musters bzw. der selbstähnlichen Verteilung eine reflexive Dimension, die bei White wesentlicher Kern komplexer sozialer Identitätsbildungen wie zum Beispiel von Personen ist. In einem zweiten Schritt wird dann zu klären sein wie sich das Style-Konzept als Träger einer kulturellen Wende der Netzwerktheorie interpretieren lässt. Die Rede von der kulturellen Wende der Netzwerktheorie stützt sich auf die Einführung mehrerer Begrifflichkeiten im Werk von White. Dies beginnt schon mit der Idee zwischen Ambiguität und Ambage, also zwischen kultureller und sozialer Unsicherheit zu unterscheiden, setzt sich fort über die Kopplung des Beziehungs- an den Erzählungsbegriff und endet bei der zentralen Rolle für Wertordnungen in seiner Theorie. Für den Style-Begriff bedeutet dies eine starke Anreicherung seiner möglichen Ausdrucksformen. Es geht nicht mehr nur um die selbstähnliche Verteilung von Beziehungen in einem Netzwerk, woraus man dann über Blockmodelle auf soziale Rollen schließen kann oder Cliquen identifiziert, sondern auch die Verteilung kann sich nun auch auf Werturteile, Wertordnungen und Erzählungsmuster beziehen. Gleichzeitig wird die Idee der Reflexivität gestärkt, da nun komplexe kulturelle Identitäten über solche Verteilungen über einen Style identifizierbar werden. Diese kulturelle Vertiefung der Netzwerktheorie öffnet sie nun stärker für qualitative soziologische Theorien und Zugänge, ohne ihr die mathematische Schärfe und Modellierbarkeit komplett zu rauben. Die kulturelle Wende dehnt den Anwendungsbereich der Netzwerkforschung enorm und stellt ihre Grundkonzepte gleichermaßen auf ein theoretisch überzeugenderes Fundament. Sie ermöglicht Anschlüsse aus einer Reihe soziologischer Theorien, die die kulturelle Dimension des Sozialen ernst nehmen, ohne ihnen eine spezifische Ereignisgrundlage für die Verteilungen vorzuschreiben. In einem dritten und abschließenden Schritt soll schließlich die etwas weniger offensichtliche Interpretation des Style-Konzepts als Teil einer kommunikativen Wende der Netzwerktheorie vorgestellt werden. Vor allem die Umstellungen aus der zweiten Auflage von Identity and Control (2008) deuten jedoch eine weitere Interpretationsmöglichkeit an, die noch durch die eher zufällige Konfrontation Whites mit den Ideen Luhmanns befördert wird. Der zentrale Begriff der auf eine kommunikative Wende der Theorie hindeutet ist der des switchings. Dieses Umschalten zwischen sozialen Kontexten, die bei White als Netzwerkdomänen charakterisiert werden, findet vornehmlich in der sprachlichen Kommunikation statt. Hinzu kommt eine bedeutsame Ergänzung für das Style-Konzept, dessen selbstähnliche Verteilungen sich nun vornehmlich auf solche Switching-Profile stützen sollen. Es liegt also nahe anzunehmen, dass es sich bei Styles um Kommunikationsprofile handelt, die Identitäten in sozialen Prozessen erkennbar machen. Auf dieser Basis kann man auch andere Konzepte Whites rekonstruieren und so das Anregungspotenzial der Netzwerkforschung für den Entwurf eines kommunikationsorientierten Relationalismus (Vgl. Hildebrandt/Schmitt 2011) nutzen, der Netzwerke in ihrer sozialen und kulturellen Dimension in Kommunikationsprozessen erdet, aber gleichzeitig auch die Schließung und Öffnung von Netzwerken und ihre soziale wie kulturelle Einbettung als offene Forschungsfragen behandeln kann. Die Interpretation einer kommunikativen Wende der Netzwerktheorie verengt somit den Fokus des Anregungspotenzials aus Whites Entwurf, bietet aber gleichzeitig die Möglichkeit über bloße Anregung hinauszukommen und fruchtbare Theorieverknüpfungen auf der Ebene der vorgestellten Konzepte zu konstruieren. Der Beitrag zeigt zwei Möglichkeiten auf an Whites Theorieentwurf anzuschließen, wobei die Interpretation einer kulturellen Wende eine weitere Öffnung für zahlreiche soziologische Theorien impliziert, während die Interpretation einer kommunikativen Wende, den Fokus hier wieder verengt aber dafür Potenzial für die Weiterentwicklung der Theorie bietet.