Wie prägt die Shoah bis heute die israelische Gesellschaft und die Identität der jüdischen Israelis? Israel heute – Menschen, Staat, Geschichte Schülerwettbewerb 2013/2014 der hessischen Landeszentrale für politische Bildung Von: Nora Ackermann Inhaltsverzeichnis Einführung ............................................................................................................................................... 2 Psychologisches Trauma der Überlebenden in Israel ............................................................................. 3 Aufarbeitung der Shoah innerhalb der israelischen Gesellschaft ........................................................... 5 Die Rolle der Shoah im israelischen Schulunterricht............................................................................... 9 Auswirkungen auf die Identität der jüdischen Israelis .......................................................................... 10 Deutsch – Israelische Beziehungen im Wandel..................................................................................... 12 Zusammenfassung / Fazit ...................................................................................................................... 14 Quellenangabe ...................................................................................................................................... 15 1 Einführung 70 Jahre sind es nun, die seit dem Ende des 2. Weltkrieges und der Shoah1 vergangen sind. Dennoch beeinflussen die Ereignisse aus jener Zeit bis heute das politische Geschehen Israels und das Leben seiner Gesellschaft. Dies mag vielleicht unwahrscheinlich klingen, doch die traumatischen Erlebnisse der Holocaustüberlebenden, die heute nur einen geringen prozentualen Anteil der israelischen Einwohner ausmachen, hatten massive Auswirkungen auf die Entwicklung des Landes und der dort lebenden Menschen. Daraus resultiert, dass man heutzutage beim Hören des Wortes „Israel“ dieses unwillkürlich mit dem Holocaust assoziiert, vielleicht sogar darauf reduziert. Doch ein Großteil der Weltbevölkerung weiß überhaupt nicht, dass es kaum ein Thema in Israel gab, das solche kontroversen Diskussionen in der Öffentlichkeit hervorgerufen hat und, dass sich der israelische Standpunkt gegenüber Deutschland und der Shoah im Laufe der Jahre grundlegend gewandelt hat. Auch die Erfahrungen innerhalb meiner eigenen Familie belegen dies. Als ich im Jahre 2008 mit meinen Eltern und unseren deutschen Freunden nach Israel reiste, haben wir meine Großtante Ruth aufgesucht, die damals 95 Jahre alt war und in der Stadt Netanya lebte. Tante Ruth, die im Jahre 1935 im Alter von 18 Jahren nach Palästina kam, sprach mit uns allen Deutsch, das sie in der Schule in Rumänien, ihrem Geburtsland, gelernt hatte. Am nächsten Tag erzählte mir mein Vater über seinen ersten Besuch bei ihr im Jahre 1988. Tante Ruth hatte damals meinem Vater bei einem Spaziergang gesagt, sollten sie in der Stadt Bekannte treffen, werde sie ihn als Neffen aus der Sowjetunion vorstellen und nicht aus Deutschland, obwohl mein Vater damals schon in Deutschland lebte. 20 Jahre später sprach sie mit uns und unseren Freunden öffentlich Deutsch, ohne dass ich irgendeinen Anflug von Unbehagen bemerkt habe. Seit diesem Besuch in Israel beschäftigte mich die Frage, wie dieser Wandel, der sich auch durch das ganze Land zog, zustande gekommen ist. Als ich in der Wettbewerbsbroschüre auf Seite 9 diese Fragestellung entdeckte, die sich genau mit diesem Thema auseinandersetzte, war meine Entscheidung sofort gefallen. Mein Ziel ist es, in dieser Ausarbeitung verständlich zu machen, wie die Gräueltaten, die die Überlebenden während des 2. Weltkrieges erlebt haben, die israelische Gesellschaft der Nachkriegszeit prägten, und wie sich diese Prägung im Laufe der Zeit verändert hat. Außerdem werde ich zeigen, wie sich die Haltung der Bevölkerung bezüglich der Shoah im Thema des Holocausts im israelischen Schulunterricht wiederspiegelt und, wie sie sich auf die Beziehung zu Deutschland und auf die Identität der jüdischen Israelis auswirkt. Abschließend werde ich versuchen alle diese Teilaspekte mit meiner Ausgangsfrage zu verbinden, um zu einer endgültigen Beantwortung dieser Frage zu kommen. 1 Hebräisch: „Das Unheil“, bezeichnet den Völkermord an den Juden während des 2. Weltkrieges 2 Psychologisches Trauma der Überlebenden in Israel In diesem Abschnitt möchte ich schildern, wie sich der Holocaust auf die Überlebenden und ihre Familien auswirkte und mit welchen Nachwirkungen die betroffenen Personen selbst heute noch zu kämpfen haben. Abgesehen von dem psychologischen Aspekt, alles Bekannte und Vertraute hinter sich zu lassen und in ein neues, gänzlich fremdes Land einzureisen, trugen alle Überlebenden noch eine weitere Last auf ihren Schultern, nämlich die schrecklichen, größtenteils nicht verarbeiteten Erlebnisse, die ihnen während des Holocausts widerfahren waren. Es gab am Anfang nur ganz wenige Menschen, die in der Lage waren, über diese Geschehnisse offen zu sprechen. Die Meisten hüllten sich in Schweigen und versuchten ein normales Leben zu führen, indem sie sich beispielsweise für die Gründung Israels engagierten, im Unabhängigkeitskrieg von 1948 mitkämpften, oder einen Beruf erlernten, um zu arbeiten. Das hatte zur Folge, dass selbst engste Familienmitglieder der betroffenen Menschen, wie Ehepartner oder Kinder, nie erfuhren, was genau eigentlich der Vater/Mutter oder Ehemann/Ehefrau im Konzentrationslager erlebt hatte. Obwohl einige Überlebende psychische Stärke bewiesen und die traumatischen Ereignisse ausgesprochen gut wegstecken konnten, gab es viele denen dies erst sehr spät oder nie gelang. Noch heute leiden die Überlebenden an den Folgen des Traumas. Sie zeigen Symptome, wie Depressionen, Angstzustände, Schlafstörungen oder Paranoia. Ein beachtlicher Teil ist auch von einer gewissen Überlebensschuld geplagt, die der Überlebende gegenüber ermordeten Angehörigen empfindet. Die eben aufgeführten Symptome lassen sich im sogenannten Überlebenden-Syndrom1 wiederfinden. Die Haltung der israelischen Mediziner gegenüber den Holocaustüberlebenden ist durchaus als wichtig zu betrachten. In den 50er Jahren fanden die Überlebenden in psychiatrischer und psychologischer Fachliteratur kaum Erwähnung. In den wenigen Arbeiten, die sich doch mit dem Trauma der Überlebenden beschäftigten, wurde dieses heruntergespielt und behauptet, dass die Überlebenden allein durch ihre Einwanderung nach Israel geheilt worden seien. Denn die herrschende Meinung unter den Fachleuten dieser Zeit war, dass nur diejenigen die Möglichkeit hatten zu überleben, die psychisch „stark“ waren. Daraus wurde der Schluss gezogen, dass die „psychisch Starken“ überhaupt keine seelischen Schäden aufweisen könnten. Dazu kam die Tatsache, dass sich die Betroffenen des Holocausts im Beruf besser bewährten als ihre nicht betroffenen Kollegen, da sie sich durch ihre Anpassungsfähigkeit und ihre Fähigkeit, Widerstände zu bewältigen, auszeichneten. Selbst als deutsche und amerikanische Spezialisten Anfang der 60er Jahre begannen, erste Studien mit den Holocaustüberlebenden durchzuführen, die psychischen Schäden klassifizierten und zu der Auffassung kamen, dass die Überlebenden als lebende Opfer eines Seelenmordes2 anzusehen sind, änderte sich der Standpunkt der israelischen Ärzte nicht wesentlich. Erst die 1997 erschienene Studie zur demografischen Datenerhebung für Menschen ab 60 gab den Anstoß zu umfassenden israelischen Studien über die psychische Verfassung der Holocaustüberlebenden. Die Shoah hatte nicht nur Auswirkungen auf die Teile der israelischen Gesellschaft, die den Schrecken des Nationalsozialismus am eigenen Leibe erlebt hatten, sondern auch auf ihre Familien. 1 2 Vom Psychiater W. Niederland geprägter Begriff Jüdischer Almanach der Leo Baeck Institute, "Alter", Jüdischer Verlag im Suhrkamp-Verlag, Berlin 2013, S.98 3 Insbesondere die Kinder der Überlebenden sind von ähnlichen Symptomen, teilweise schwächerer Ausprägung, betroffen. Die ärztlichen Beobachtungen besagen: "Die Kinder von Überlebenden zeigen sehr oft Symptome, als ob sie tatsächlich den Holocaust durchlebt hätten."1 Sie sind oft misstrauisch gegenüber neuen Personen, haben Probleme neue Bindungen einzugehen, schaffen es nicht, sich von ihren Eltern loszulösen oder haben im schlimmsten Fall sogar Identitätsstörungen. Diese Übertragung der Holocausttraumata auf Angehörige beweist, was für tiefe Auswirkungen der Genozid an den Juden im 2. Weltkrieg selbst auf die nachfolgenden Generationen in Israel hat und zeigt, dass das Land Israel bis heute noch mit den psychischen Folgen des Holocausts für seine Gesellschaft zu kämpfen hat. 1 Barocas H. & Barocas C. Wounds of the fathers: The next generation of Holocaust victims. International Review of Psychoanalysis (1979) S. 151 4 Aufarbeitung der Shoah innerhalb der israelischen Gesellschaft Die Jahre 1945 – 1948 Unmittelbar nach dem Holocaust emigrierten viele Überlebende nach Eretz Israel, das den Neuankömmlingen ein Leben in Frieden und Sicherheit versprach. Wie viele es genau waren, lässt sich heute nur noch schwer feststellen, da die Datenerhebung in Palästina noch sehr ungenau war. Es wird angenommen, dass vor der Staatsgründung circa 70.000 Holocaustüberlebende nach Israel einwanderten. Die bereits in Israel lebende Bevölkerung empfing die Überlebenden mit sehr gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite wurden die Neuankömmlinge, die während des 2. Weltkrieges im Widerstand aktiv waren und beispielsweise Aufstände in Ghettos organisiert hatten, begeistert aufgenommen. So erlangten diese schnell im ganzen Land Popularität. Doch die große Mehrheit der Überlebenden wurde sehr abschätzig betrachtet. Man hatte von den osteuropäischen Juden das Bild eines ängstlichen und schwachen Menschen. Nach Meinung der bereits vor der Staatsgründung in Palästina lebenden Juden hatten sie ja nicht versucht gegen ihr von den Nationalsozialisten auferlegtes Schicksal zu kämpfen. Der Holocaust wurde als Scheitern der Juden angesehen und von diesem Scheitern wollte sich die israelische Gesellschaft distanzieren, denn der jüdische Staat wollte sich als starker Staat präsentieren, der aus kräftigen und willensstarken Juden besteht. Sehr radikale Stimmen vertraten sogar die Position, dass der Holocaust an den „schwachen“ europäischen Juden zu Recht geschehen sei, da diese nicht dem Ruf des Zionismus folgten, um in Israel zu leben. Ein weiterer Punkt ist, dass in der israelischen Gesellschaft Schuldgefühle wuchsen, da den europäischen Juden während des Holocausts nicht geholfen wurde. Darüber ist natürlich nicht öffentlich gesprochen worden, doch unterschwellig machten sich die bereits in Israel lebenden Juden Vorwürfe, ob man nicht doch hätte mehr tun können. All diese Aspekte führten dazu, dass die Überlebenden einem großen Desinteresse am Holocaust begegneten. Die Jahre 1948 – 1960 Nach der offiziellen Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 begannen die arabischen Nachbarländer den sogenannten Unabhängigkeitskrieg gegen Israel nur einen Tag nachdem die britischen Besatzungstruppen das Land verlassen hatten, mit dem Ziel, die Proklamation aufzuheben. Die Holocaustüberlebenden waren wieder einem neuen Krieg ausgesetzt, der ebenfalls einen existenziellen Kampf darstellte. Nichtsdestotrotz beteiligten sich viele aktiv am Krieg, denn sie sahen ihn als „natürliche Fortsetzung ihres persönlichen Überlebenskampfes“1 an und überraschenderweise hatte dieser Krieg größtenteils eine positive Auswirkung auf die Überlebenden. Auf der einen Seite half dieser Krieg den Überlebenden sich von den Erinnerungen an den Nationalsozialismus zu lösen, auf der anderen Seite stellte der Sieg Israels im Jahre 1949 etwas sehr Wichtiges für jeden einzelnen Holocaustüberlebenden dar, da die Bezwingung des zahlenmäßig überlegenen Feindes bewies, dass weder die Nazis noch die Armeen der umliegenden Nachbarstaaten während des Unabhängigkeitskrieges in der Lage waren, den Staat Israel und das Judentum zu vernichten. Bis zum Jahre 1951 wanderten weitere 350.000 Juden, die während des 1 Aus http://www.hagalil.com/archiv/2009/10/15/shoah/ 5 Holocausts in Europa gelebt haben, nach Israel ein und machten somit einen Anteil von 25% der Gesamtbevölkerung aus. Die Haltung der Gesellschaft veränderte sich jedoch nicht. Dies lag zum Teil an den bereits im ersten Abschnitt genannten Gründen, zum anderen zeichnete sich nun auch immer deutlicher ab, wie stark traumatisiert die Überlebenden waren. Es kam hinzu, dass der jüdischen Öffentlichkeit die Zeit fehlte, einen geeigneten Weg für die Auseinandersetzung zu finden. Das noch sehr junge Israel hatte in diesem Zeitraum noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, wie beispielsweise mit dem Aufbau des Landes und der Errichtung einer stabilen Wirtschaft. Die ersten Auseinandersetzungen mit der Shoah begannen in den fünfziger Jahren, hauptsächlich im Zuge der deutschen Wiedergutmachungspolitik. Der damalige Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, unterzeichnete im September 1952 das Luxemburger Abkommen (siehe S. 10), welches festhielt, dass sowohl Warenlieferungen als auch Geldzahlungen an Israel gerichtet werden sollten. Da das Geld für die soziale Eingliederung und für die Bewältigung des Traumas der Überlebenden genutzt werden sollte, musste genau festgelegt werden, welche Personen als Holocaustüberlebende gelten sollten. So kam der Auseinandersetzungsprozess auf der politischen Ebene ins Rollen. Des Weiteren wurde bereits ein Jahr zuvor in der Knesset ein Tag zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus festgesetzt, der Jom haSchoah genannt wird. Da keine offiziellen Regelungen getroffen wurden, wie man diesen Tag begehen sollte, schenkte auch die Bevölkerung diesem Gedenktag anfangs keine große Beachtung. So kam es, dass im Jahre 1959 zusätzlich ein Gesetz zum Gedenktag an die Shoah und Heldentum verabschiedet wurde, das unter anderem dazu beitrug, dass Jom haShoah einen echten Feiertagscharakter bekam. Ein weiteres Gesetz von 1953 sah vor, dass eine zentrale Gedenkstätte eingerichtet werden sollte, das YadVashem in Jerusalem. Dessen Aufgabe sollte es sein, alle Materialien zu den Opfern des Nationalsozialismus und zu den Helden des Widerstands zu sammeln und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hierbei wird wieder deutlich, dass die israelische Bevölkerung noch nicht angefangen hatte sich mit der Shoah und ihren Folgen zu identifizieren, obwohl seit dem Nationalsozialismus schon ein Jahrzehnt vergangen war. Ein zusätzlicher Beleg hierfür ist der Verlauf der Prozesse gegen die jüdischen Funktionshäftlinge. Das waren diejenigen, die in den Konzentrationslagern anderen Mitgefangenen übergestellt waren und diese teilweise sogar bestrafen mussten. Sie taten dies, um ihr eigenes Leben zu retten. Nachdem vermehrt ehemalige Häftlinge diese Personen in Israel zufälligerweise wiedererkannten, beschloss der Staat mithilfe des Gesetzes zur Bestrafung von Nationalsozialisten und deren Kollaborateuren (1950), ihnen den Prozess zu machen. Allerdings wurden die Gerichtsverhandlungen schon bald darauf abgebrochen. Als Begründung wurde vorgegeben, dass das Hauptaugenmerk zunächst auf die Hauptverbrecher und ihre Opfer gelegt werden sollte und die sogenannten Kollaborateure nur ein unwichtiger Bestandteil dessen seien. Die Holocaustüberlebenden gründeten diverse Organisationen, die verschiedene Projekte und Vorlesungen zum Thema Shoah ins Leben riefen. Ferner wurden private Gedenktage an ausgelöschte Gemeinden und einzelne Personen festgelegt, Gedenksteine aufgestellt und Yiskor-Bücher (Gedenkbücher an die Toten) geschrieben, die nach Gemeinden geordnet alle Namen der Verstorbenen enthielten. Dieses Engagement beweist, dass die Holocaust-Überlebenden nicht abgeschnitten von der übrigen Gesellschaft lebten, sondern versuchten, den Holocaust der nicht betroffenen Bevölkerung näherzubringen. Jedoch wurden diese Aktivitäten damals von der Öffentlichkeit kaum gewürdigt. 6 Gegen Ende der fünfziger Jahre fingen die Holocaustüberlebenden an, eine größere Bedeutung in der Bevölkerung zu spielen, da sie durch ihre literarischen, künstlerischen oder musikalischen Talente, Popularität erlangten. Zu nennen sind an dieser Stelle beispielsweise die Schriftsteller Ruth Brody oder Yehiel Dinur. Allerdings blieb der Holocaust nach wie vor ein Tabu-Thema, das mit Schweigen belegt wurde. Die Jahre 1961 – 1976 Den zentralen Wendepunkt im israelischen Umgang mit dem Holocaust markierte der sogenannte Eichmann-Prozess im Jahre 1961 (Adolf Eichmann war einer der Hauptverantwortlichen bei der Deportation der Juden in die Konzentrationslager, der in Israel vor Gericht gestellt wurde). Den größten Teil trugen die israelischen Medien dazu bei, die den Fall entsprechend aufbereiteten. Durch Radio, Presse und Fernsehen gelangte der Prozess in nahezu alle Haushalte und brachte den Bürgern die Thematik näher. Gespannt hörten die Israelis den Live-Übertragungen des Prozesses im Radio zu und schon bald avancierte der Eichmann-Prozess zum Gesprächsthema Nr. 1 der damaligen Zeit. Die Tatsache, dass man einen Schuldigen gefunden hatte, der ohne jegliche Reue zu zeigen seine Verbrechen zugab und die Zeugenberichte von Überlebenden, die nun für jedermann frei zugänglich waren, ohne auf eine Mauer des Schweigens zu stoßen, verstärkten das Mitgefühl der Bevölkerung gegenüber den Opfern. Durch tägliche Schlagzeilen in den Zeitungen und neue, schreckliche Erkenntnisse, was den Juden im Konzentrationslager widerfahren war, kam der Aufarbeitungsprozess ins Rollen. Der Öffentlichkeit wurde bewusst, dass bis zum damaligen Zeitpunkt viel zu wenig geschehen war, damit sich jeder über den Holocaust informieren konnte. Schon im selben Jahr des Gerichtsprozesses wurde der Studiengang „Holocaust Studies“ in der Bar-Ilan-Universität eingerichtet. Weitere Universitäten folgten diesem Beispiel. Letztlich führte der Eichmann-Prozess dazu, dass die Bevölkerung anfing echtes Mitleid und Interesse für die Betroffenen zu zeigen. Noch änderte sich allerdings die allgemeine Auffassung nicht, dass die europäischen Juden sich ihrem Schicksal widerstandslos ergeben hätten. Die israelische Einstellung zum Holocaust änderte sich erneut während des Sechs-Tage-Krieges (1968) und des Jom Kippur-Krieges (1976). Nach diesen beiden Kriegen fing die Bevölkerung an zu verstehen, dass es Situationen gab, wo es nicht möglich war durch Widerstand eine Bedrohung zu bekämpfen, obwohl die zwei Kriege erfolgreich für Israel ausgegangen waren. Nun wurden die Opfer nicht einfach nur gesellschaftlich akzeptiert, sondern auch tatsächlich verstanden. Ein Beweis hierfür liefern die steigenden Besucherzahlen des Yad-Vashems und weiterer Gedenkstätten. Das Jahr 1977: Mit der Wahl im Jahre 1977 kündigte sich ein Regierungswechsel an. Neuer Präsident wurde Menachem Begin, der der Partei Likud angehörte. Er schuf für die Thematik des Holocausts in den israelischen Medien so viel Raum, wie es noch kein einziger Politiker vor ihm getan hatte. Man begegnete diesem Thema buchstäblich in allen Bereichen des Lebens und der Shoah wurde mehr und mehr gedacht. Allerdings hat diese positive Entwicklung eine Schattenseite, denn auch auf aktueller, politischer Ebene wurde der Holocaust zunehmend präsent. Beispielsweise wurde der arabische PLO-Chef Jassir Arafat mit der Persönlichkeit Hitlers verglichen und die Shoah als 7 Rechtfertigung für das Vorgehen im Libanon- oder im Golfkrieg genutzt. Israel übertrug in den folgenden Jahren die Krise mit den umliegenden arabischen Ländern, auf die Situation der Juden im Holocaust. So kam es, dass Israel diesen Begriff für sich instrumentalisierte. Heute: Heutzutage ist die Shoah in der israelischen Gesellschaft fest verwurzelt. Der Jom ha’Shoah, der jährlich am 27. Nissan (April/Mai) des jüdischen Kalenders stattfindet, hat sich zu einem sehr wichtigen Feiertag etabliert. Bereits am Vorabend werden 6 Fackeln entzündet, die symbolisch für die 6 Millionen jüdischen Opfer des 2. Weltkrieges stehen. Um zehn Uhr morgens hört man in ganz Israel für 2 Minuten den Sirenenton. In dieser Zeit steht das gesamte Leben, einschließlich des Verkehrs still, und jeder gedenkt persönlich der Shoah. Fast alle Geschäfte und Restaurants bleiben an diesem Tag geschlossen und die Medien strahlen nur Dokumentationen, Zeitzeugenberichte und Spielfilme aus, die sich auf den Holocaust beziehen. Doch der Shoah wird nicht nur an diesem einen Feiertag gedacht. Es gibt 10 große Shoahgedenkstätten, zu den bekanntesten zählt wohl das Yad-Vashem in Jerusalem. Ferner gibt es viele Denkmäler und Gedenksteine, die sich ebenfalls an hohen Besucherzahlen erfreuen. Des Weiteren wurden in den letzten Jahrzehnten viele Einrichtungen gegründet, die sich um die Betreuung und das Wohlbefinden der Holocaustüberlebenden kümmern. Eine davon ist die im Jahre 1987 gegründete Hilfsorganisation „Amcha“, die heute Niederlassungen in 14 israelischen Städten hat. Diese Institution hat es sich zur Aufgabe gemacht den Betroffenen des Holocausts und ihren Angehörigen psychologische Betreuung zu gewährleisten. Über 5000 Personen nehmen diese Hilfe wöchentlich in Anspruch, und im sogenannten „Café Europa“ können sich die Überlebenden über ihre Erfahrungen austauschen. Aktuellen Schätzungen zufolge leben in Israel heute um die 190.000 Holocaustüberlebende. 8 Die Rolle der Shoah im israelischen Schulunterricht Heutzutage spielt die Shoah im israelischen Schulunterricht eine zentrale Rolle, doch dies war bei weitem nicht immer so. Genauso, wie die Gesellschaft einen Prozess durchlief, was den Umgang mit dem Holocaust betrifft, durchlebte auch die Thematik der Shoah im Schulunterricht analog dazu einen langen Entwicklungsprozess. Die israelischen Schulbücher im Fach Geschichte dienen als gutes Beispiel hierfür, da sie das Kollektivgedächnis der Bevölkerung und die Haltung zur Shoah repräsentieren. In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg war die Thematik des Holocausts im Lehrplan nicht verankert. Es war jedem Lehrer selbst überlassen, ob und in welchem Maße er über den Holocaust unterrichtete. Ab 1953 wurden die Lehrer dazu verpflichtet, den Holocaust im Unterricht zu thematisieren. Allerdings berichteten die wenigen Kapitel in den israelischen Schulbüchern, entweder über die großen Helden des Holocausts oder lediglich über die Erniedrigungen und Opfer des jüdischen Volkes, wobei der „verächtliche Unterton“ 1 nicht zu übersehen war. Beispielsweise nahmen bis zum Jahre 1967 die Berichte über den jüdischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus doppelt so viel Platz in den Schulbüchern ein, wie die Berichte über die Verbrechen, die den Juden während des Holocausts angetan wurden. Nach dem Sechs-Tage-Krieg, dem Jom-Kippur-Krieg und dem Regierungswechsel in den 70er Jahren, wurde die Rolle des Holocausts im Lehrplan überarbeitet, da der bisherige Unterricht, abgesehen von den strukturellen Mängeln, mehr die emotionale Ebene ansprach und die Einbeziehung der geschichtlichen Hintergründe fehlte. Ab der Oberstufe wurde der Holocaust in einem eigenen Unterrichtsfach thematisiert. Nach weiteren Reformen gewann der Holocaust im Unterricht, insbesondere in den letzten 20 Jahren, eine überaus wichtige Bedeutung. Nun konzentrierte sich der didaktische Schwerpunkt nicht nur auf die deutsche Geschichte in den Jahren 1933 – 1945, sondern auch auf die Vorgeschichte, die Gründe, weshalb das Scheitern der Weimarer Republik zur Machtergreifung Hitlers geführt hatte und auf die Zusammenhänge des Holocausts mit der Staatsgründung Israels. Zeitzeugengespräche mit den heute in Israel lebenden Holocaustüberlebenden gehören mittlerweile zum Alltag des Geschichtsunterrichts. Seit Mitte der 90er Jahre hat sich auch die inhaltliche Vermittlung des Schulstoffes geändert. Das Ziel den Holocaust, je nach Altersgruppe, aus einem bestimmten Blickwinkel darzustellen, wurde folgendermaßen umgesetzt: Erst- und Zweitklässler wird der Holocaust anhand des Schicksals eines Individuums dargestellt. Von der dritten bis zur fünften Klasse anhand einer Familie. Ab der sechsten Klasse wird der Holocaust mit Fokus auf einzelne jüdische Gemeinden in Europa vermittelt. Erst in der neunten Klasse beginnt man mit dem Unterrichten der Auswirkungen auf die jüdische Nation und informiert die Schüler über die detaillierten historischen Hintergründe. Außerdem ist es für die israelischen Schüler der 11. Klasse Pflicht, im Rahmen einer Klassenfahrt nach Polen das Konzentrationslager Ausschwitz zu besuchen. Ab 1980 wurde der Holocaust zum Pflichtthema in den israelischen Abschlussprüfungen. 1 Der Schmerz des Wissens – Yair Auron 9 Auswirkungen auf die Identität der jüdischen Israelis Im Rahmen der Recherche für diesen Wettbewerbsbeitrag, bin ich zu der Auffassung gekommen, dass sich die jüdische Identität in Israel auf 4 Grundelemente stützt. Diese lauten Religion, Zionismus, Holocaust und Existenzangst. Wie ich jetzt genauer erläutern werde, beeinflusst die Shoah diese Elemente beträchtlich. Säule Religion: Für die Identität der jüdischen Israelis spielt die Religion eine sehr wichtige Rolle, da Israel schließlich als Ursprungs- und Heimatland aller Juden anzusehen ist, in welchem religiöse Aspekte heute noch eine wichtige Rolle spielen. Nach dem Holocaust wurde das Verhältnis zur Religion von zwei Extremen beeinflusst, welche insbesondere bei den Holocaustüberlebenden sichtbar werden. Eine Erscheinungsform ist, dass sich die Menschen mehr oder weniger von der Religion abgewendet haben, indem sie beispielsweise nie wieder in ihrem Leben eine Synagoge betraten. Sie vertraten die Meinung, dass wenn Gott tatsächlich existieren würde, er den Genozid an den Juden nie zugelassen hätte. Die zweite Beobachtung ist, dass die Menschen versuchten mithilfe der Religion den Holocaust zu verarbeiten und Antworten auf das Warum zu finden. Die Biografien einiger Holocaustüberlebender schildern, dass sie sich erst nach dem Holocaust angefangen haben mit religiösen Fragen zu beschäftigen. Säule Zionismus: Den Zionismus ist eine Bewegung, die sich für die Gründung des jüdischen Nationalstaates eingesetzt hat und die sich heute für seine Bewahrung einsetzt. Der Holocaust beeinflusste die Ideologie der Zionisten maßgeblich. So festigte sich unmittelbar nach dem Holocaust das Bild des „Neuen Juden“, der im neugegründeten Israel leben sollte. Dieser sollte den „verweichlichten und ängstlichen Diasporajuden“ ablösen, um das Land Israel aus eigenen Händen aufzubauen und um die Wiederholung einer solchen Katastrophe zu verhindern. 10 Säule Holocaust: Wie eine im Jahr 2007 durchgeführte Studie der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad-Vashem beweist, wird der Holocaust von 89% der jüdischen Israelis als Hauptbestandteil ihrer Identität angesehen. Erwähnenswert ist dabei auch, dass sowohl sephardische Juden, die aufgrund ihres Lebensraumes in Nordafrika und der iberischen Halbinsel nicht vom Holocaust betroffen waren, als auch aschkenasische Juden, die ursprünglich aus Mittel- und Osteuropa stammen, dieselbe Bedeutsamkeit für die Shoah empfinden. Diese Studie zeigt sehr deutlich, dass sich nahezu alle Israelis mit dem Holocaust identifizieren. Dabei spielt es heute keine Rolle, in welcher Beziehung man zu den Auswirkungen des Holocausts steht. Im Jahre 1980 wurde dem staatlichen Erziehungsgesetz, in dem die kulturellen Werte der israelischen Nation festgeschrieben sind, die Shoah hinzugefügt. Dies ist ein weiterer Beleg für den hohen Stellenwert des Holocausts bezüglich der Identität der Israelis. Was die Staatsgründung Israels betrifft, bleibt es nach wie vor umstritten, ob Israel ohne die vorausgegangene Shoah gegründet worden wäre. Denn es ist nicht sicher, ob das jüdische Volk dazu den nötigen Durchsetzungswillen aufgebracht hätte, und ob der UN-Teilungsplan (1947), der die Teilung von Palästina vorsah, zustande gekommen wäre. Es gab drei wesentliche Standpunkte, die die israelische Gesellschaft im Laufe der Zeit zu diesem Thema vertrat. In den Jahren nach der Gründung Israels wurde dieser Zusammenhang überhaupt noch nicht wahrgenommen, man kann sogar sagen verdrängt. Diese Ansicht wurde abgelöst, von einer Position, die die Shoah mit der Staatsgründung direkt in Verbindung setzte und als ihre Ursache sah. In der dritten und letzten, bis heute andauernde Phase werden beide Ereignisse nach wie vor in Beziehung zueinander gebracht, obwohl die Shoah nicht mehr als einzige Ursache für die Ausrufung des Staates Israel angesehen wird. Säule Existenzangst: Ein weiterer Bestandteil der jüdischen Identität ist die kollektive Existenzangst des Volkes, verursacht durch die Shoah und die heutige politische Situation des Landes. Israel ist umgeben von arabischen Ländern und bereits seit dem Unabhängigkeitskrieg 1948 führt dies zu Krisensituationen. Im heutigen Nah-Ost-Konflikt wird öfters kritisiert, dass Israel die Siedlungspolitik, die als Hindernis für Friedensverhandlungen gilt, fortführe und, dass das Land zu übertriebenen Vorsichtsmaßnahmen greife. Doch warum ist Israel von dieser Existenzangst geplagt? Die Antwort darauf lässt sich vermutlich im Holocaust finden. Die Israelis fürchten, dass sich so etwas Grausames wiederholen könnte und das Verhalten im Nah-Ost-Konflikt resultiert aus dem Wunsch sich im Fall aller Fälle entsprechend verteidigen zu können. Dies macht sich zum Beispiel dadurch bemerkbar, dass nahezu jedes Haus einen eigenen Luftschutzkeller hat. 11 Deutsch – Israelische Beziehungen im Wandel In den vorangegangen Abschnitten habe ich geschildert, wie sich der Holocaust explizit auf Israel auswirkte. Jetzt möchte ich am Beispiel von Deutschland zeigen, wie der Holocaust die israelische Außenpolitik beeinflusst. „Für mich ist jeder Deutscher ein Nazi“, sagte die ehemalige israelische Premierministerin Golda Meir Anfang der fünfziger Jahre. „Jeder Deutsche ist ein Mörder – Adenauer ist ein Mörder“, lautet eine Aussage von Menachem Begin, ebenfalls ehemaliger Ministerpräsident von Israel. Diese Zitate geben sehr treffend wieder, wie die israelische Haltung auf zu Deutschland in Folge der vorbelasteten Vergangenheit war. In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg gab es keinerlei Kommunikation zwischen den beiden Ländern, stattdessen traf man auf Vorurteile, Skepsis und Misstrauen. Doch diese Einstellung änderte sich schon recht bald wieder, da beide Länder vor großen Problemen standen. Deutschland wollte sich aus der außenpolitischen Isolation herausbewegen, die unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg entstanden war und Israel hatte mit den hohen Rüstungsausgaben, verursacht durch den Unabhängigkeitskrieg, zu kämpfen. Auf politischer Ebene näherten sich beide Länder erstmals einander an, als Konrad Adenauer mit dem israelischen Außenminister Mosche Scharett im Jahre 1952 in Luxemburg das erste Wiedergutmachungsabkommen abschloss, welches festhielt, dass Deutschland Zahlungen in Höhe von 3,45 Milliarden D-Mark an Israel richten sollte. Auf beiden Seiten rief dieses Abkommen große Empörung hervor. Das Hauptargument der israelischen Seite war, dass kein Geldbetrag, so hoch er auch sein mag, eine wirkliche Entschädigung für all die Verbrechen der Nationalsozialisten darstellen könne. Trotzdem rief Ben Gurion am 27. Juni 1957 die Bundesregierung dazu auf, gemeinsame diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Dies geschah jedoch erst im Jahre 1965. Seit diesem Zeitpunkt finden regelmäßig gegenseitige Staatsbesuche statt. Der erste deutsche Bundeskanzler, der Israel besuchte, war Willy Brandt im Jahre 1973. Ihm folgten viele weitere berühmte Politiker, wie der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog (1994), Bundeskanzler Gerhard Schröder (2000), sowie der Bundespräsident Horst Köhler (2005). Den Höhepunkt bildete die dreitägige Israelreise der amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel, anlässlich des 60. Jahrestages der Staatsgründung Israels, im Jahre 2008. Sie hielt als erste eine Rede auf Deutsch in der Knesset1. Allerdings löste diese Rede Verstimmungen bei israelischen Abgeordneten aus, da diese die Rede in deutscher Sprache als unangebracht empfanden. Auch viele israelische Politiker besuchten Deutschland, wie der Ministerpräsident Ehud Barak (1999) und der Präsident Moshe Katsav (2005). Neben der politischen Ebene entstanden auch in Wirtschaft und Technologie Beziehungen zwischen den beiden Ländern. So exportiert Israel Agrar- und Hightechprodukte nach Deutschland und beide Länder kooperieren in der Rüstungsindustrie. Nicht nur auf politischer Ebene näherten sich beide Länder an, sondern auch auf kultureller Seite findet Austausch statt. Dieser begann mit der Gründung der deutsch-israelischen Gesellschaft im Jahre 1966. Sie stellt eine Freundschaftsorganisation beider Länder dar, die den interkulturellen Dialog fördert. Weitere Organisationen, die sich um einen musischen und künstlerischen Austausch, sowie einen Austausch zwischen Jugendlichen kümmern, folgten diesem Beispiel. 1 Parlament des Staates Israel 12 Heute gibt es zahlreiche Städtepartnerschaften, wie zum Beispiel zwischen Frankfurt und Tel Aviv und es finden viele Schüleraustausche statt. Der israelische Botschafter in Deutschland Shimon Stein bemerkte sehr richtig in einem Interview (2002), dass „der Jugendaustausch Anknüpfungspunkt für die Verbesserung und Intensivierung der deutsch-israelischen Beziehungen, insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich sei“1. Denn es kommt nicht von ungefähr, dass Deutschland als Reiseziel bei den Israelis immer beliebter wird und Jugendliche in Israel von der deutschen Hauptstadt Berlin schwärmen. Noch vor 50 Jahren wäre dies undenkbar gewesen. 1 http://www.hagalil.com/israel/deutschland/jugendaustausch.htm 13 Zusammenfassung / Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Holocaust alle Bevölkerungsgruppen Israels auf seine Art und Weise prägte. Dabei hatte der Holocaust nicht nur Auswirkungen auf die Überlebenden, sondern ebenfalls auf ihre Kinder und Enkelkinder, die in schwächerer Form sogar dieselben psychischen Symptome aufwiesen, wie die direkt betroffenen Personen. Die restliche israelische Bevölkerung wusste nicht, wie man mit so einem traumatischen Ereignis am besten umgeht. Anfängliche Verdrängung und Abgrenzung von dem Thema, entwickelten sich zum Aufarbeitungsprozess bis hin zur Instrumentalisierung des Begriffes. Daran wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der Shoah sehr viele Phasen durchlebte, bis sie zum heutigen identitätsstiftenden Merkmal wurde. Doch abgesehen von den Auswirkungen auf die Gesellschaft beeinflusste der Holocaust auch den Kurs der Außenpolitik im Nah-Ostkonflikt und mit Deutschland. Eine Aufnahme diplomatischer Beziehungen schien für Israel und Deutschland nach dem Krieg schier unmöglich, doch heute verbindet beide Länder reger politischer, wirtschaftlicher, technologischer und kultureller Austausch. Wie lässt sich nun meine Ausgangsfrage „Wie prägt die Shoah bis heute die israelische Gesellschaft und die Identität der jüdischen Israelis?“ abschließend beantworten? Die Shoah zieht sich, wie ein roter Faden durch die ganze Gesellschaft in Israel und verbindet sie auf ihre Weise, denn die Shoah stellt ein einschneidendes Erlebnis für die Geschichte des jüdischen Volkes dar. In erster Linie lernte man daraus, dass sich solch eine Katastrophe nie wieder auf der Welt wiederholen darf und diese Einstellung prägt bis heute die Identität und Haltung der israelischen Öffentlichkeit maßgeblich. Abschließend möchte ich anmerken, dass ich es bemerkenswert finde, welche Entwicklung die israelische Gesellschaft bezüglich des Holocausts durchlebt hat, wie sie heute gegen das Vergessen kämpft und was für eine enge Beziehung Deutschland und Israel, trotz der vorbelasteten Vergangenheit, führen. Nachwort Ungefähr vor einem Jahr klingelte bei mir zu Hause das Telefon – der älteste Sohn von Tante Ruth war in Deutschland geschäftlich unterwegs. Als er meine Familie besuchte, sprachen wir unter anderem über das Leben seiner, zu dem Zeitpunkt bereits verstorbenen, Mutter. Mir wurde sehr deutlich bewusst, dass ich großes Glück gehabt habe, eine Person kennenzulernen, die die Entwicklung des Staates Israel von Beginn an miterlebt und mitgestaltet hat. Wenn ich rückblickend, unter dem Blickwinkel dieser Arbeit, an das vor einem Jahr stattgefundene Treffen denke, fällt mir auf, wie ruhig und besonnen dieses Gespräch über Krieg und Holocaust und über Israel und Deutschland, verlief, und wie ein Israeli über alle diese Themen ohne jegliche Blockaden oder Anschuldigungen sprach. 14 Quellenangabe Literatur: Moshe Zuckermann: „Zweierlei Holocaust – Der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands“, Wallstein Verlag (Göttingen, 2004) Carlo Strenger: „Israel. Einführung in ein schwieriges Land“, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag (Berlin, 2011) José Brunner: „Bedürftig und populär. Wie Holocaust-Überlebende in Israel altern“, Jüdischer Almanach der Leo Baeck Institute, "Alter", Jüdischer Verlag im Suhrkamp-Verlag (Berlin, 2013) Donna Rosenthal: „Die Israelis – Leben in einem schwierigen Land“, Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 599 (Bonn, 2007) Anja Kurths: „Shoahgedenken im israelischen Alltag“, Frank & Timme Verlag (2008) Barocas H. & Barocas C. „Wounds of the fathers: The next generation of Holocaust victims. International Review of Psychoanalysis“ (1979) Webseiten: - http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/dossiernationalsozialismus/39632/holocaust-in-israel-und-deutschland?p=2 http://www.bpb.de/internationales/asien/israel/45115/bedeutung-der-shoah http://www.bpb.de/izpb/25044/40-jahre-deutsch-israelische-beziehungen?p=all http://www.hagalil.com/archiv/2009/10/15/shoah/ http://www.hagalil.com/archiv/2009/05/25/schoah-2/ http://www.hagalil.com/israel/deutschland/jugendaustausch.htm http://www.hagalil.com/archiv/2001/03/grenzen.htm http://www.hamburg-review.com/fileadmin/pdf/hrss0601_thiel.pdf http://amcha.org/Upload/GermanFolgen.htm http://www.koenigin-luisestiftung.de/index.php?option=com_content&task=view&id=1287&Itemid=633 http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-172.pdf http://www.planet-wissen.de/laender_leute/israel/deutsch_israelische_beziehungen/index.jsp http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-israelische_Beziehungen http://de.wikipedia.org/wiki/Jom_haScho%E2%80%99a http://www.tagesspiegel.de/berlin/stadtleben/israelis-in-berlin-berlin-laesst-dich-vielepersonen-in-einer-sein/8893170.html http://www.t-i-z.de/trauma-info/traumata-%C3%BCberblick/zweiter-weltkrieg/ 15