Kapitel 5 Die Klein-Gordon Gleichung 5.1 Einleitung Die Gleichung für die Rutherford-Streuung ist ein sehr nützlicher “Ansatz”, um die Streuung von geladenen Teilchen zu studieren. Viele Aspekte sind aber nicht berücksichtigt, wie z.B. 1. 2. relativistische Effekte die Spins des Projektils und des Targets Ein Problem ist, dass die Störungstheorie aus der Schrödinger-Gleichung hergeleitet wurde. Die Schrödinger-Gleichung ist nicht kovariant unter Lorentz-Transformationen E= ∂ψ p2 1 r2 =− ∇ψ ⇒ i ∂t 2m 2m Wir bemerken, dass Zeit und Raum in dieser Gleichung nicht gleichberechtig behandelt werden, d.h., die Gleichung enthält die erste zeit- Teilchenphysik 75 Die Klein-Gordon Gleichung liche Ableitung der Wellenfunktion und die zweite Ableitung bezüglich den räumlichen Koordinaten. Diese Schrödinger-Gleichung wird deshalb als nicht angemessen betrachtet, um relativistische Prozesse zu beschreiben. 5.2 Die Klein-Gordon-Gleichung Wir können im Prinzip die Schrödinger-Gleichung einfach erweitern. Um eine “relativistische” Schrödinger-Gleichung herzuleiten, beginnen wir mit der relativistischen Beziehung zwischen Energie und Impuls: E 2 = p2 + m 2 Wir vernachlässigen zuerst das Potential V und betrachten ein freies Teilchen. Wir benutzen den kanonischen Ansatz für die Energie- und ImpulsOperatoren: (Siehe Kap. 4.1.2) r r ∂ p → −i∇ und E → +i ∂t Diese Operatoren wirken auf eine Wellenfunktion φ(x,t): ∂ 2φ 2 r 2 2 E = p +m ⇒ i 2 = i ∇ φ + m φ ∂t 2 76 2 2 2 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Die Klein-Gordon-Gleichung oder ∂ 2φ r 2 − 2 + ∇ φ = m 2φ ∂t relativistische Schrödinger - Gleichung "Klein - Gordon" Gleichung Wir bemerken, dass Zeit und Raum in der Klein-Gordon-Gleichung gleichberechtig betrachtet werden, d.h. die Gleichung enthält die zweite zeitliche und räumliche Ableitung der Wellenfunktion! Diese Gleichung ist kovariant unter Lorentz-Transformationen. Wir können diese Kovarianz expliziter machen. Wir definieren den 4-Gradient ∂ ∂ ∂ ∂ ∂ , , , µ ≡ ∂x 0 ∂x1 ∂x 2 ∂x 3 ∂x Wir sind an den Transformationseigenschaften des 4-Gradients interessiert: ν′ ∂x ∂ ∂ ν α ∂ ∂ µ = Λ x µ = ∂x ν ′ ∂x µ α ν ′ ∂x ∂x ∂x ∂ ∂xα ∂ ν = = Λν α µ Λ µ ∂x ∂xν ′ ∂xν ′ Wir vergleichen diese Transformation mit der inversen LorentzTransofmation eines kovarianten 4-Vektors (Siehe Kap. 2.3.6): aµ = Λν µ ( aν )′ Teilchenphysik Kovariant 77 Die Klein-Gordon Gleichung Es folgt daraus, dass der Operator ∂ ∂x µ sich wie ein kovarianter 4-Vektor verhält. Wir schreiben: ∂ ∂ r ∂ µ ≡ ∂x µ = ∂t , ∇ kovariant r ∂ µ ≡ ∂ = ∂ , −∇ kontravariant ∂x µ ∂t Vergleiche mit r x µ = ( t, x ) und r x µ = ( t, − x ) Mit dem kanonischen Ansatz für die Energie- und Impuls-Operatoren r r ∂ E → +i und p → −i∇ ∂t können wir den Energie-Impuls 4-Vektor-Operator als p µ → i∂ µ schreiben. Wir bemerken, dass (p ) µ 2 78 = m 2 = (i∂ µ ) = −∂ µ ∂ µ 2 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Die Klein-Gordon-Gleichung wobei ∂2 r 2 ∂ ∂ µ = 2 − ∇ = D′ Alembert - Operator ∂t µ Die Klein-Gordon-Gleichung ist gleich − ∂ 2φ r 2 + ∇ φ = m 2φ ∂t 2 wobei φ=φ(x,t). Wir können sie in der explizit kovarianten Form ausdrücken: (∂ ∂ µ µ ) + m2 φ( x µ ) = 0 "Klein - Gordon" Gleichung (Kovariante Form) Wir sprechen von expliziter Kovarianz, weil 1. die Ruhemasse m 2 = p µ pµ 2. ein Skalar ist (sie wird als Skalarprodukt des Energie-Impuls 4Vektors definiert, und ist deshalb eine Invariante.) der Operator ∂µ∂µ auch ein Skalar ist. Teilchenphysik 79 Die Klein-Gordon Gleichung 5.2.1 Skalares Feld Die Klein-Gordon-Gleichung ist eine kovariante Gleichung: µ 2 (2x3µ ) = 0 ∂ ∂ µ + m { φ1 { invariant invariant Wellenfunktion oder Feld Die Wellenfunktion entspricht einer komplexen Zahl (C-Zahl) in jedem Punkt der Raumzeit, der durch den 4-Vektor xµ bestimmt wird. D.h. die Wellenfunktion beschreibt den Zustand des Systems in jedem Punkt der Raumzeit. Wir werden eine solche Funktion φ des Raumzeit 4-Vektors xµ als Feld bezeichnen. Wir können das Feld φ(xµ) bezüglich verschiedenen Beobachtern betrachten. Wir sind in diesem Fall an der Lorentz-Transformation des Feldes interessiert. Das Feld kann bestimmte Transformationseigenschaften besitzen. Ein Feld, das bezüglich jedem Beobachter denselben Wert hat in jedem Punkt der Raumzeit, wird als skalares Feld bezeichnet: φ ′ x µ′ = φ ( x µ ) Beispiel: das folgende Feld ist ein Skalarfeld (es ist invariant!) r r φ ( x µ ) = N e123µ = Ne ip ⋅x − iEt − ip µ x Invariante 80 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia Die Klein-Gordon-Gleichung wobei E 2 = p2 + m 2 Die Phase des Feldes ist gleich dem Skalarprodukt zwischen zwei 4Vektoren. Sie ist deshalb eine Invariante. Das Feld definiert eine CZahl in jedem Punkt der Raumzeit. Diese Zahl ist dieselbe bezüglich jedem Inertialsystem. 5.2.2 Intepretation der Klein-Gordon-Gleichung Die Klein-Gordon-Gleichung entspricht der Wellengleichung eines Feldes. Sie ist übereinstimmend mit der Relativitätstheorie und ist explizit kovariant. Wir müssen jetzt verstehen, ob man diese Gleichung als Ersatz für die Schrödinger benutzen kann. φ ist ein komplexes Skalarfeld. Aus der Klein-Gordon-Gleichung folgt ∂ + m )φ = 0 (1∂ 44 2443 µ 2 µ ( × − iφ * ) ⇒ ∂ + m )φ = 0 (1∂ 44 42444 3 µ 2 * µ ×( iφ ) Wir multiplizieren diese Gleichung mit –iφ* und iφ, und summieren: (−iφ ∂ ∂ φ − iφ m φ ) + (iφ∂ ∂ φ * µ * 2 µ µ * µ ) + iφm 2φ * = 0 oder (−iφ ∂ ∂ φ ) + (iφ∂ ∂ φ ) = 0 * µ Teilchenphysik µ µ * µ 81 Die Klein-Gordon Gleichung Wir separieren die zeitliche und die räumliche Abhängigkeit: −iφ * r r2 * ∂ 2φ * ∂ 2φ * 2 i + i ∇ − i ∇ + φ φ φ φ φ =0 ∂t 2 ∂t 2 oder * r r r * ∂φ ∂ * ∂φ * iφ −φ + ∇ −i φ ∇φ − φ∇φ = 0 ∂t ∂t ∂t 1442443 1442443 ( ) Wir vergleichen diese Gleichung mit der Kontinuitätsgleichung (Siehe Kap. 4.1.4) ∂ρ r r + ∇⋅ j = 0 ∂t und definieren r r * r * ∂φ ∂φ * * −φ ρ = i φ und j = −i φ ∇φ − φ∇φ ∂t ∂t ( Wir führen den Dichte-Strom 4-Vektor ein r ∂µ j µ = 0 j µ ≡ ρ, j und 1 424 3 ( ) kovariante Kontinuitätsgleichung Es gilt, (Siehe Anfang Kap. 5.2) j µ = i(φ *∂ µφ − φ∂ µφ * ) 82 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia ) Die Klein-Gordon-Gleichung Ebene Welle: (Skalarfeld) φ ( x µ ) = Ne − ip µ x µ Wir berechnen den Dichte-Strom 4-Vektor j µ = i(φ *∂ µφ − φ∂ µφ * ) = i N (e ipx ∂ µ e − ipx − e − ipx ∂ µ e ipx ) 2 ( = i N e ipx (−ip µ )e − ipx − e − ipx (ip µ )e ipx 2 = 2i N (−ip µ ) ) 2 = 2 N pµ 2 d.h. Dichte ρ = 2 N 2 E r 2 r Strom j = 2 N p Die Dichte verhält sich wie die zeitliche Komponente eines 4-Vektors, sie ist zur Energie proportional. Wir betrachten die folgende Grösse: r r d3x Lorentz Boost 3r 3r ρd x → ρ′ d x ′ = γρ = ρd 3 x γ d.h. das Produkt ρd3x ist, wie erwartet, invariant: wenn wir diese Grösse als die Wahrscheinlichkeit interpretieren, das Teilchen in einem Volumenelement d3x zu finden, dann muss diese Invarianz gelten. Teilchenphysik 83 Die Klein-Gordon Gleichung Energie-Problem: Was sind die Energie-Eigenwerte der KleinGordon-Gleichung? E = ± p2 + m 2 Es gibt zwei Arten von Lösungen: E>0 oder E<0 Die Lösungen mit negativer Energie sind problematisch: 1. 2. wenn Lösungen mit negativer Energie existieren, werden Übergänge des Systems zu niedriger und niedriger Energie möglich. Wie wird der Grundzustand definiert? Wenn die Energie des Systems negativ ist, dann besitzt die Dichte auch einen negativen Wert! E < 0 ⇒ ρ < 0 !!! Wir können deshalb die Grösse ρd3x nicht mehr als die Wahrscheinlichkeit definieren, das Teilchen in einem Volumenelement d3x zu finden, weil sie nicht immer positive Werte besitzt. Das Feld φ in der Klein-Gordon-Gleichung kann nicht als die Wellenfunktion eines einzigen Teilchens interpretiert werden! Die Klein-Gordon-Gleichung entspricht nicht der relativistischen Erweiterung der Schrödinger-Gleichung. 84 Teilchenphysik II&III, WS 01/02-SS02, Prof. A. Rubbia