Ergänzung zum Versuch „Luftwiderstand und Auftrieb“

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Ergänzung zum Versuch „Luftwiderstand und Auftrieb“
Wie entsteht der dynamische Auftrieb an einer Tragfläche, der ein Flugzeug in der Luft hält?
1) Die Form des Tragflächenprofils
Eine allgemein akzeptierte Erklärung des Auftriebs an einer Tragfläche mit asymmetrischem
Querschnitt beschreibt diesen als eine Folge des Bernoulli’schen Prinzips. Es besagt, dass bei
zunehmender Strömungsgeschwindigkeit der Luft der Druck sinkt. Bekannt ist das folgende
Argument: Die anströmende Luft teilt sich an der Vorderkante des Flügels in einen Strom
oberhalb und einen unterhalb der Tragfläche. Der Weg oberhalb des Flügels ist länger als unterhalb, so dass die Strömung auf dem oberen Weg schneller sein muß als unterhalb, damit die
Luft zur gleichen Zeit an der Hinterkante der Tragfläche ankommt. Beachten Sie, daß man
hier ganz klar davon ausgeht, dass die Luft für den oberen und den unteren Weg exakt gleiche
Zeiten benötigen soll! Diese Annahme ist jedoch durch nichts gerechtfertigt.
Mit Hilfe von Computersimulationen (Abb. 1) und auch mit experimentellen Messungen in
einem Windkanal können die tatsächlichen Verhältnisse untersucht werden, und man gelangt
zu folgenden Ergebnissen:
1. Die Luft über der Tragfläche strömt tatsächlich schneller als die Luft unterhalb.
2. Die über der Tragfläche strömende Luft erreicht vor der unter der Tragfläche strömenden
Luft die Hinterkante der Tragfläche.
3. Die Luft oberhalb der Tragfläche wird nach hinten und unten beschleunigt, die Luft unterhalb wird etwas abgebremst.
Das zweite Ergebnis bedeutet, dass die übliche Erklärung des Auftriebs, die wie oben beschrieben vom „Prinzip gleicher Zeiten“ ausgeht, falsch ist! Dies ist seit langem bekannt, und
trotzdem wird diese Begründung immer noch an vielen Schulen und Hochschulen gelehrt.
Abb. 1: Simulation der Luftbewegung um ein asymmetrisches
Tragflächenprofil
Für die Entstehung des dynamischen Auftriebs an der Tragfläche ist die Bildung von Wirbeln
entscheidend: Bei kleinsten Strömungsgeschwindigkeiten folgt die Strömung unter der Tragfläche noch der Heckkante (Abb. 2a). Im Bereich dieser Kante sind die Stromlinien des Mediums unterhalb der Tragfläche dichter gedrängt als für die Strömung oberhalb, dies entspricht einer höheren Geschwindigkeit der strömenden Luft. Wird der Luftstrom schneller, so
kann die unter dem Flügel strömende Luft nicht mehr um die Heckkante nach oben strömen,
sondern hat das Bestreben, einer gedachten Verlängerung der Tragflächenunterseite zu folgen
(Coandă-Effekt). Hierdurch bildet sich an der Heckkante ein Luftwirbel, der als Anfahrwirbel
bezeichnet wird (Abb. 2b). Er löst sich von der
Tragfläche ab (Abb. 2c) und bleibt für einige Zeit auf
der Startbahn bestehen, bevor er sich durch Luftreibung
auflöst. Durch den bei Ablösung des Anfahrwirbels
entstehenden Unterdruck im Bereich der Oberseite der
Heckkante wird der Stromfaden der oben strömenden
Luft nach unten gezogen. Somit entsteht eine Situation
mit zeitlich stabilen Strömungsverhältnissen (Abb. 2d).
Der Vergleich von Abb. 2a und 2d zeigt, dass erst nach
Ablösung des Anfahrwirbels die Luft nach hinten und
unten beschleunigt wird.
Die Bildung des Anfahrwirbels hat eine physikalische
Konsequenz: Mit diesem Wirbel ist nämlich ein Drehimpuls entstanden. Nun kann ein Drehimpuls, der ja eine Erhaltungsgröße ist, aber nicht einfach entstehen.
Damit der Drehimpuls des Gesamtsystems Null bleibt,
muß sich ein zweiter Wirbel mit einem gleich großen
entgegengesetztem Drehimpuls bilden. Er bildet sich
um die Tragfläche herum und wird in der Fachliteratur
meist als Zirkulation bezeichnet (Abb. 3a).
So, wie dieser Wirbel hier abgebildet ist, wäre er in der
Abb. 2: Bildung des Anfahrwirbels
Natur nur zu beobachten, wenn das Flugzeug nach dem
beim Start
Abheben plötzlich in der Luft stehenbliebe. In der
Realität kommt zu der Zirkulation noch die Strömung
von vorn dazu, sozusagen der Fahrtwind. Beides überlagert sich ungestört (Abb. 3b) und führt
dazu, daß die Luft oberhalb der Tragfläche schneller strömt als unterhalb. Nach dem Gesetz
von Bernoulli liefert das über der Tragfläche einen Unterdruck und unter der Tragfläche einen
Überdruck – die Folge ist dynamischer Auftrieb.
a)
b)
Abb. 3: a) Zirkulationsströmung um das Tragflächenprofil, b) Gesamtströmung
Wichtig!
Um aufgrund der Profilform eines Körpers einen Auftrieb zu erzeugen,
muss immer eine Zirkulationsströmung um den Körper erzeugt werden.
2) Der abwärtsgerichtete Luftstrom
Abb. 4: Numerische Simulation der Strömung an der
Tragfläche und der Strukturbelastung für den Airbus A380
Abb. 5: Eine Cessna Citation dicht über
einer Wolkendecke
Wie Sie in den Abb. 2d und 3b sehen, kommt es zu einer Abwärtsbewegung der strömenden
Luft (in der Fachsprache Downwash genannt). Zu diesem nach unten gerichteten Impuls der
Luft gehört aus Gründen der Impulserhaltung ein gleich großer, nach oben gerichteter Impuls,
der auf das Flugzeug wirkt und auf dieses eine nach oben weisende Kraft ausübt – einen Auftrieb! Um es ganz deutlich zu sagen: Es handelt sich hier um einen weiteren Mechanismus,
der neben dem im ersten Abschnitt dargestellten bewirkt, dass sich ein Flugzeug in der Luft
hält. Welche großen Luftmassen von einer realen Tragfläche bewegt werden, kann man aus
den Abb. 4 und 5 erahnen.
Dieser einfache Mechanismus, der zum Auftrieb führt, bedeutet, dass nicht zwangsläufig ein
asymmetrisches Tragflächenprofil vorhanden sein muß, um einen Körper in der Luft zu halten. Auch ein einfaches, etwas schräg gehaltenes Brett könnte fliegen. Insbesondere gibt es
Flugzeuge für Flugakrobatik, die vollkommen symmetrische Tragflächenprofile haben. Die
schlechtere Effektivität der Tragfläche muss dann durch
eine höhere Motorleistung und durch den Anstellwinkel
der Tragfläche kompensiert werden.
Bei normalen Flugzeugen geht man davon aus, dass etwa
zwei Drittel des Auftriebs durch die asymmetrische Flügelform und ein Drittel durch den schräg abwärts gerichteten Luftstrom erzeugt wird. Dies ist aber nur ein sehr grober Daumenwert, denn das genaue Verhältnis hängt von
vielen Parametern wie Flügelfläche, Anstellwinkel, Pfeilwinkel (falls die Tragflächen von oben her gesehen ein
„V“ bilden), dem genauen Querschnittsprofil, usw. ab.
Durch das gezielte Verändern der Flügelgeometrie durch
Vorflügel und Klappen (Abb. 6) kann der dynamische
Auftrieb der jeweiligen Fluggeschwindigkeit angepasst
werden. Dabei wird sowohl der Auftrieb aufrund der
asymmetrischen Querschnittsfläche als auch der Winkel, Abb. 6: Vorflügel und Klappen bei
in der der Luftstrom nach unten abgelenkt wird, geändert.
einem Airbus A300
3) Weitere Luftströmungen an der Tragfläche
Auf der Oberseite der Tragfläche besteht ein Unterdruck, auf der Unterseite ein Überdruck.
An der Spitze der Tragfläche kann ein Druckausgleich stattfinden, indem Luft senkrecht zur
Flugrichtung von der Unter- zur Oberseite der Tragfläche strömt. Diese Luftbewegung macht
sich als Randwirbel bemerkbar (engl. wingtip vortex). Beide Randwirbel haben entgegengesetzten Drehimpuls, so dass der Drehimpulserhaltungssatz erfüllt ist. Bei ihrer Entstehung
führen die Luftdruckverhältnisse oft zu einer Kondensation des in der Luft vorhandenen Wassers, so dass der innerste Bereich dieser Wirbel für den Beobachter am Boden gut zu erkennen
ist (Abb. 7).
Abb. 7: Durch Kondensation sichtbare Kerne der
Tragflächen-Randwirbel
Abb. 8: Wirbelbildung durch den Downwash
Auch durch den Downwash werden Querwirbel erzeugt, die die gleiche Bewegungsrichtung
wie die Randwirbel haben. Beide vereinigen sich in einiger Entfernung hinter dem Flugzeug
zu den sogenannten Wirbelschleppen (Abb. 5 und 8), die aufgrund ihres Drehimpulses langlebig sind und für nachfolgende Flugzeuge eine Gefahr darstellen.
Die Querwirbel verringern die Effektivität der Tragfläche, was zu einem erhöhten Treibstoffverbrauch führt. In neueren Flugzeugmodellen wird die Wirtschaftlichkeit dadurch gesteigert,
dass die Randwirbel durch sogenannte Winglets deutlich verringert werden (Abb. 9). Sie unterdrücken den Luftstrom um die Spitze der Tragfläche herum.
Abb. 9: Winglets in verschiedenen Ausführungen.
Oben Hersteller Boeing, unten Hersteller Airbus
05.09.2011
Ralf Dinter
Universität Hamburg
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