Rudolf Taschner Sprache – das „Haus des Seins“ Der oft

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(In: Die Presse 23.4.2009)
Rudolf Taschner
Sprache – das „Haus des Seins“
Der oft übersehene Grund für den Lateinunterricht
Jutta Sommerbauer hat in ihrem „Presse“-Artikel des letzten Montags Latein gepriesen: Es sei
eine „Trendsprache“ geworden. Vor einiger Zeit noch schien Latein ein Schulfach zu sein,
dessen Zukunft in der Vergangenheit liegt: Selbst Gymnasien beschlossen, wenn überhaupt,
dieses Fach erst später in den Unterricht einfließen zu lassen, und auch dann nur in einer
verkürzten Version. Vorbei die Zeiten, als Latein die Schlüsseldisziplin kat exochen
darstellte.
Gute Gründe der Zurücknahme lagen vor. Denn es gab Lateinlehrer, ich kann es bezeugen,
die – obwohl hochgebildet und intellektuell herausfordernd – das Fach zur Kompensation
ihrer menschlichen Mängel missbrauchten. Rundheraus gesagt: Nicht nur Mathematik, auch
Latein war für Lehrer à la Gott Kupfer ein Eldorado. Wie versichert wird, sind Lehrer dieser
Art bereits ausgestorben. Mag sein, wir wollen es hoffen.
Gute Gründe, Latein weiterhin und wieder intensiver zu unterrichten, wurden von Frau
Sommerbauer aufgezählt: die Schulung des logischen Denkens, das Heranführen an eine der
Säulen unserer Kultur, die Erleichterung beim Erlernen anderer Sprachen durch den Verweis
auf lateinische Wurzeln. Doch all dies, obwohl korrekt, überzeugt nicht: Logisches Denken
kann man auch in einem anderen Kontext einüben, breite Allgemeinbildung sollte im
Geschichts- oder im Philosophieunterricht vermittelt werden, und dass zum Erlernen einer
modernen Fremdsprache Latein so besonders dienlich ist, wird auch nicht glaubhafter, wenn
es gebetsmühlenartig wiederholt wird.
Das eigentlich schlagende Argument für den Lateinunterricht lautet: Mithilfe dieser „toten“
Sprache wird auf hervorragende Weise den Kindern die Struktur und die Bedeutung von
Sprache an und für sich erklärt. Es ist wie beim Atmen: Erst wenn wir in dünne Luft geraten,
spüren wir, was es bedeutet und wie wichtig es ist. Genauso ist es bei der Sprache. Eben weil
man Latein nicht wie eine lebende Fremdsprache lernt, weil niemand an der Ecke auf einen
lauert und mit „Salve!“ grüßt, erfährt man Sprache verfremdet und neu. Und plötzlich lernt
man die Muttersprache von einem völlig neuen Gesichtspunkt aus kennen und verstehen. Dies
ist zugleich Argument dafür, den Lateinunterricht im Gymnasium relativ früh anzusetzen.
Kurz: Man lernt Latein, um die Muttersprache zu beherrschen.
Wobei das Wort vom „Beherrschen“ einer Sprache hoch gegriffen ist. Sprache ist nach einem
Wort Heideggers „das Haus des Seins“. Dieses Haus besitzt man nicht, und man kann darüber
nicht willkürlich verfügen. Es ist bereits eine große Leistung, wenn man es als „Mieter“ hegt
und pflegt. Mit der Verwahrlosung des „Hauses des Seins“, dem Verkümmern der eigenen
Sprache, geht ein Verdorren des Denkens einher. Vor dieser Gefahr schützt das schon lange
vertrocknete Latein.
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