DIMENSIONS 5 2011 | Fachartikel Die resektive Parodontalchirurgie und Furkationstherapie Eine Parodontitis als bakterielle Infektionserkrankung äussert sich unter anderem im Abbau der zahntragenden Strukturen (Desmodont und Knochen). Eine Parodontaltherapie hat das Ziel, die parodontalpathogenen Bakterien zu beseitigen und die Entzündungsreaktion einzudämmen. Nach der Hygienephase sollte sich, falls notwendig, eine chirurgische Therapie der Knochendefekte anschliessen. Autoren: Oliver Laugisch und Anton Sculean, Klinik für Parodontologie der ZMK Bern Schlüsselwörter: Parodontologie, Parodontalchirurgie, resektive Parodontalchirurgie, Furkationsinvolvierung, Furkationstherapie Kontakt: Dr. Oliver Laugisch Der vorliegende Artikel soll auf der einen Seite die Möglichkeiten resektiver parodontalchirurgischer Eingriffe im Sinne eines apikal verschobenen Mukoperiostlappens in Kombination mit einer Knochenchirurgie erläutern und diese den heute möglichen unterschiedlichen regenerativen Ansätzen (in einem Folgeartikel zusammengestellt) gegenüberstellen. Auf der anderen Seite soll die resektive Therapie furkationsinvolvierter Molaren vorgestellt und diskutiert werden, da gerade bei Furkationsinvolvierung ein resektives Vorgehen eine sehr vorhersagbare Möglichkeit des Zahnerhaltes bietet. Klinik für Parodontologie, Universität Bern Freiburgstrasse 7 CH-3010 Bern Schweiz Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Anton Sculean, M.S. Klinik für Parodontologie, Universität Bern Freiburgstrasse 7 CH-3010 Bern Schweiz Einleitung Die Zerstörung der zahntragenden Gewebe bei einer Parodontalerkrankung manifestiert sich in der Regel in einem Abbau des zahntragenden Alveolarknochens. Anhand der Defektmorphologie unterscheidet man zwar zwischen horizontalen und vertikalen Defekttypen, die Defekte sind jedoch meist durch eine Kombination horizontaler und vertikaler Komponenten ausgezeichnet. Da es nach einer ersten Hygienephase mit Scaling, Wurzelglätten und einer Optimierung sowie Kontrolle der Mundhygiene in der Regel zu einer Verbesserung der parodontalen Situation kommt, ist vor der Planung der chirurgischen Phase eine Reevaluation angezeigt. Durch eine Schrumpfung der entzündungsfreien Gewebe überwiegen hiernach meist die vertikalen Knochendefekte und die offenen Furkationen. Pontoriero und Mitarbeiter [1] haben zwar gezeigt, dass es durch ein regelmässiges Nachinstumentieren der vertikalen Defekte zu einer natürlichen Regeneration und damit zu einem «Auffüllen» des Defektes kommen kann, ferner kann jedoch von einem vertikalen Knochendefekt und Taschenbildung ein weiterer Attach- mentverlust ausgehen. So wird es notwendig, diese Defekte, welche Nischen für eine erneute Besiedlung mit Parodontalpathogenen darstellen, in der chirurgischen Phase der Therapie zu beseitigen. Dies ist jedoch im Bereich von Furkationen, wo Knochendefekte mit furkationsinvolvierten Wurzeln zusammentreffen, meist eine besondere Herausforderung in Planung und Durchführung. Knochenchirurgie Bei der Knochenchirurgie werden die Verfahren zur Elimination von Knochendeformitäten bei parodontalen aber auch anderen Faktoren, wie beispielsweise Exostosen, zusammengefasst. Man unterscheidet hierbei zwischen additiven und subtraktiven Verfahren. Bei der subtraktiven Knochenchiurgie wird der bestehende Alveolarknochen durch eine Beseitigung von Knochenkanten auf ein weiter apikal gelegenes Niveau reduziert – der additive Ansatz unter Verwendung regenerativer Massnahmen wird im Folgeartikel «Die regenerative Parodontalchirurgie» näher erläutert. Auswahl der chirurgischen Technik Die Morphologie und Lokalisation der Knochendefekte samt deren Anzahl sowie Tiefe und Lokalisation der Furkationsinvolvierungen bestimmt die Auswahl der chirurgischen Technik. Die resektive Knochenchirurgie in Kombination mit apikal verschobenen Lappen Die resektive Knochenchirurgie ist die vorhersagbarste und sicherste Technik, parodontale Taschen, welche durch knöcherne Unebenheiten bedingt sind, zu reduzieren. Das Hauptziel dieser klassisch resektiven Parodontalchirurgie ist es, den marginalen Knochen nachzuformen (Osteo- 5 DIMENSIONS 5 2011 | Fachartikel tomie und Osteoplastik), damit er nach dem Eingriff dem Alveolarfortsatz eines nicht durch Parodontitis zerstörten Fortsatzes entspricht. Dieser Ansatz der chirurgischen Parodontaltherapie wird in Kombination mit nach apikal verschobenen Mucoperiostlappen angewendet, sodass zudem auch eine Taschenelimination vorgenommen und ein besser zu reinigendes Umfeld geschaffen wird [2]. Zwar konnte gezeigt werden, dass eine Knochenchirurgie in Kombination mit einem apikal verschobenen Lappen, die am besten vorhersagbare Tascheneliminationstechnik zu sein scheint [3–5], dennoch konnte in einer Vergleichsstudie gezeigt werden, dass die Taschentiefen nach 6 Monaten gleichsam reduziert werden konnten, unabhängig, ob mittels resektiver Knochenchirurgie therapiert wurde oder nicht. Zudem konnte gezeigt werden, dass das Bluten auf Sondieren bei modifiziertem Widman-Lappen und resektiver Knochenchirurgie höher lag als ohne Knochenchirurgie [6]. Aus diesem Grund und durch neue Erkenntnisse der regenerativen Parodontalchirurgie und der verwendeten Biomaterialien ist nachvollziehbar, dass der Therapieansatz einer resektiven Parodontalchirurgie mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt worden ist und sich im klassischen Sinn auch nur auf wenige klinische Situationen anwenden lässt. Die resektive Furkationstherapie Da über 50 % der Oberkiefermolaren bei Patienten mit einer Parodontalerkrankung mindestens eine tiefe Furkationsinvolvierung zeigen [7] und Patienten mit einer generalisiert fortgeschrittenen Parodontitis zu 90 % furkationsinvolvierte Oberkiefermolaren haben [8], wird der resektiven parodontalchirurgischen Furkationstherapie eine besondere Bedeutung zugesprochen. Einer der Hauptgründe dieses Therapieansatzes ist ein Aufwerten der Langzeitprognose betroffener Zähne, da nachgewiesen werden konnte, dass Oberkiefermolaren mit Verlust interradiku- Abb. 1: Sulkuläre Schnittführung bukkale Ansicht Abb. 2: Paramarginale Schnittführung palatinale Ansicht Abb. 3: Degranulation bukkale Ansicht Abb. 4: Degranulation palatinale Ansicht Abb. 5: Ostektomie und Osteoplastik bukkale Ansicht Abb. 6: Ostektomie und Osteoplastik palatinale Ansicht Abb. 7: Nahtverschluss bukkal Abb. 8: Nahtverschluss palatinal Abb. 9: Nahtentfernung 7 Tage post OP bukkal Abb. 10: Nahtentfernung 7 Tage post OP palatinal Abb. 11: Nahtentfernung 7 Tage post OP bukkal Abb. 12: Nahtentfernung 7 Tage post OP palatinal Klinischer Fall: Resektive Parodontalchirurgie mit Osteotomie und Osteoplastik (Dr. Christina Papendorf, Steinfurt) Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 6 DIMENSIONS 5 2011 | Fachartikel Klinischer Fall: Resektive Furkationstherapie – Wurzelamputation (Dr. Marco Aglietta, Bern) Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb.17 lären Parodontalgewebes ein erhöhtes Risiko für weiteren Attachmentverlust haben und diesen Zähnen aus diesem Grund auch eine schlechtere Langzeitprognose zugesprochen wird. Bei einer Gegenüberstellung aller von einer Parodontitis betroffenen Zähne sind die Oberkiefermolaren gefolgt von anderen furkationsinvolvierten Zähnen diejenigen, welche am ehesten verlorengehen [9, 10]. Zahlreiche Faktoren beeinflussen hierbei die Prognose von Zähnen mit einer Furkationsinvolvierung. Die Zähne, sowie die Dentition betreffend sind dies der Schweregrad der Furkationsinvolvierung und die Menge verlorengegangenen Knochens, sowie die Anzahl verbleibender Molaren im Gebiss [10]. Von der Seite des Patienten ausgehend sind dies schlechte Mundhygiene und Rauchen [10, 11]. Abb. 13: Elongierter und furkationsinvolvierter 26. Abb. 14: Zustand nach Wurzelamputation. Abb. 15: Kronenversorgung 26, Implantat und Krone 36. Abb. 16: Furkationsinvolvierter 16 intraoperativ. Abb.17: Amputation der disto-bukkalen Wurzel. Abb. 18: Zustand nach Amputation intraoperativ. Abb. 18 LITERATUR 1.Pontoriero R, Nyman S and Lindhe J, The angular bony defect in the maintenance of the periodontal patient. J Clin Periodontol, 1988. 15(3): p. 200–4. 2.Sims T and Ammona W, Carranza: Chapter 66: Resective Osseous Surgery. 3.Kaldahl, W.B., et al., Evaluation of four modalities of periodontal therapy. Mean probing depth, probing attachment level and recession changes. J Periodontol, 1988. 59(12): p. 783–93. 4.Kaldahl WB et al., Long-term evaluation of periodontal therapy: I. Response to 4 therapeutic modalities. J Periodontol, 1996. 67(2): p. 93–102. 5.Knowles J, Burgett F and Nissle R, Results of periodontal treatment related to pocket depth and attachment level after 8 years. J Periodontol, 1979. 50: p. 225. 6.Westfelt E et al., Improved periodontal conditions following therapy. J Clin Periodontol, 1985. 12(4): p. 283–93. 7.Svardstrom G and JL Wennstrom, Prevalence of furcation involvements in patients referred for periodontal treatment. J Clin Periodontol, 1996. 23(12): p. 1093–9. 8.Ross IF and Thompson RH Jr., Furcation involvement in maxillary and mandibular molars. J Periodontol, 1980. 51(8): p. 450–4. 9.Hirschfeld L and Wasserman B, A long-term survey of tooth loss in 600 treated periodontal patients. J Periodontol, 1978. 49(5): p. 225–37. 10.McFall WT Jr., Tooth loss in 100 treated patients with periodontal disease. A long-term study. J Periodontol, 1982. 53(9): p. 539–49. 11.Lang NP, Cumming BR and Loe H, Toothbrushing frequency as it relates to plaque development and gingival health. J Periodontol, 1973. 44(7): p. 396–405. 12.Feres M et al., Clinical evaluation of tunneled molars: a retrospective study. J Int Acad Periodontol, 2006. 8(3): p. 96–103. 13.Al-Shammari KF, Kazor CE and Wang HL, Molar root anatomy and management of furcation defects. J Clin Periodontol, 2001. 28(8): p. 730–40. 14.Carnevale G, Pontoriero R and di Febo G, Long-term effects of rootresective therapy in furcation-involved molars. A 10-year longitudinal study. J Clin Periodontol, 1998. 25(3): p. 209–14. 7 DIMENSIONS 5 2011 | Fachartikel Furkationsdiagnostik Eine genaue Diagnostik furkationsinvolvierter Zähne ist grundlegend für die Einschätzung der Langzeitprognose, aber auch für die Planung einer (resektiven) Furkationstherapie. Um intraoperative Überraschungen zu vermeiden, beinhaltet die Furkationsdignostik die Einschätzung des Grades horizontaler, wie auch vertikaler Furkationsinvolvierung, die Beurteilung des inter- und periradikulären Knochens, aber auch Faktoren wie Wurzelmorphologie, Wurzellänge oder der Grad an Wurzelseparation. Hierbei kommen neben der klinischen Untersuchung auch bildgebende Massnahmen zur Anwendung. Resektive Therapieoptionen furkationsinvolvierter Zähne Da sich geringe Furkationsinvolvierungen erfolgreich nichtchirurgisch oder im Sinne eines Open-Flap-Debridments therapieren lassen, haben resektive Therapieoptionen eher ihren Fokus auf fortgeschrittene schwere Formen. Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang jedoch das Beispiel eines Furkationseinganges dar, welcher zwar gering beteiligt, jedoch der Mundhygiene nicht zugänglich ist. In dieser Situation kommen resektive Massnahmen wie Gingivektomie oder Odontoplastiken zum Einsatz, um die Reinigung und Pflegbarkeit dieser Furkationsregion zu verbessern. Bei fortgeschrittenen Furkationsinvolvierungen stellt eine Tunnelierung der Furkation in Kombination mit apikal verschobenem Lappen eine Möglichkeit dar, die Furkationsregion für Interdentalbürsten zugänglich und damit pflegbar zu gestalten und eine Taschenelimination vorzunehmen. Es ist jedoch zu bedenken, dass tunnelierte Zähne aufgrund exponierter Wurzeldentinoberfläche ein erhöhtes Risiko für Wurzelkaries aufweisen [12]. Anstelle einer Tunnelierung stellt auch eine Separation der Wurzeln einen vertretbaren Ansatz dar, die zuvor schwer zu pflegenden Furkationen Mundhygienemassnahmen zugänglich zu machen. Je nach Art der Furkationsinvolvierung ist ferner angezeigt, die separierten Wurzeln zu belassen, wie es beispielsweise bei einer Pämolarisierung eines Unterkiefermolaren der Fall sein kann oder aber – wie bei schwer furkationsinvolvierten Oberkiefermolaren – die betroffene Wurzel im Sinne einer Amputation oder Trisektion zu entfernen. Betrachtet man hierbei die durchschnittlichen Wurzeloberflächen der oberen Molaren (mb 118 m2, p 115 m2 und db 91 m2) [13] wird deutlich, dass die distobukkale Wurzel, Prof. Dr. med. dent. Dr. h.c. mult. Anton Sculean M.S. 1985–1990 Studium der Zahnheilkunde an der Semmelweis Universität Budapest 1990–1991 Assistent in freier Praxis 1991–1992 Assistent in der Poliklinik für Parodontologie der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster (Direktor: Prof. Dr. Dieter E. Lange) 1993–1995 Postgraduierte Ausbildung am Royal Dental College Aarhus (Dänemark), Abteilung für Parodontologie (Direktor: Prof. Dr. Thorkild Karring) 1997 Facharztprüfung für Parodontologie (Master of Science in Periodontology) am Royal Dental College, Aarhus 1998–2002 Oberarzt an der Universitätsklinik Homburg/Saar, Abteilung für Parodontologie und Zahnerhaltung 18. September 1999 Auszeichnung als Spezialist der DGP für Parodontologie im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie 5. Juli 2001 Habilitation im Fach Parodontologie an der Universität des Saarlandes, Homburg/Saar 2002–2004 Oberarzt und Leiter der Sektion Parodontologie an der Poliklinik für Zahnerhaltung, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Gewinner des «Anthony Rizzo Awards» der International Association for Dental Research 2004–2008 Leiter der Abteilung für Parodontologie an der Universität Nijmegen 2004–2008 Direktor des EFP akkreditierten Weiterbildungsprogramms für Parodontologie an der Universität Nijmegen 23. Oktober 2007 Ehrendoktorwürde der Victor Babes Universität Timisoara 7. November 2007Ehrendoktorwürde der Semmelweis Universität Budapest seit 1. Dezember 2008 Direktor der Klinik für Parodontologie, Universität Bern Dr. med. dent. Oliver Laugisch 2001–2006 Studium der Zahnmedizin an der Westfälischen Wilhelms Universität in Münster, Deutschland 2007–2008 Assistent in Privatpraxis in Deutschland 2008–2009 Weiterbildungsassistent Parodontologie in der Praxis von Prof. Dr. Heinz Topoll in Münster, Deutschland seit 2009 Weiterbildungsassistent Parodontologie an der Klinik für Parodontologie der ZMK Bern (Direktor: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Anton Sculean, M.S.) wenn dies indiziert ist, am ehesten entfernt wird. Zwar ist Wurzelkaries eine der Hauptkomplikationen der resektiven Furkationstherapie – nach 3,6 Jahren hatten 13,4 % der tunnelierten Molaren eine Karies[12] – dennoch hatten furkationsinvolvierte und resektiv therapierte Molaren bei Parodontitispatienten mit 93 % eine sehr gute Überlebensrate nach 10 Jahren Beobachtungszeitraum [14]. Verglichen mit 99 % Überlebensrate bei nicht furkationsinvolvierten Molaren nach 10 Jahren [14] ist dies als sehr gut vertretbar und die resektive Furkationstherapie befürwortend zu sehen .