Tissue engineering Der Bereich der medizinischen Biotechnologie kann in 4 Untergruppen eingeteilt werden: 1. Produktion rekombinanter Proteine und Impfstoffe für die Diagnostik und Prophylaxe 2. Einsatz von Antikörpern und Proteinen zur Therapie von Erkrankungen 3. Tissue engineering 4. Gentherapie Tissue engineering ist ein vergleichsweise “junges”, stark inter- und transdisziplinäres Wissenschaftsgebiet. Große Entwicklungsschritte sind innerhalb der letzten 20 Jahre auf diesem Gebiet vollbracht worden. Das Tissue engineering – Gewebekultivierung – ist nur möglich durch die enge Zusammenarbeit von Wissenschaftlern aus Biologie (vor allem Molekularbiologie), Medizin, Chemie, Biotechnologie und Materialwissenschaftlern und ist als eine Weiterentwicklung der Transplantationschirurgie zu sehen. Zell-, M olekular-, Entw icklungsbiologie m olekulare G enetik, B iochem ie Im m unologie Tissue Engineering M edizinische und klinische D isziplinen sow ie G rundlagenfächer und experim entelle Chirurgie B iotechnologie/Zellkulturtechnik M aterialw issenschaften B ioverfahrenstechnik Bild 1: Schematische Darstellung der in Tissue engineering involvierten Disziplinen Tissue engineering wurde auf einer Konferenz der National Science Foundation 1988 wie folgt definiert: „...the application of principles and methods of engineering and life sciences toward fundamental understanding of structure-function relationship in normal and pathological mammalian tissues and the development of biological substitutes to restore, remain or improve tissue function“. Deutlich wird der stark inter/transdisziplinäre Ansatz dieses Forschungsgebietes durch die folgende fiktive Unterhaltung einer/eines Doktorandin/Doktoranden mit der/dem Betreuerin/Betreuer: Graduate student: „Give me a great tissue engineering thesis project that will win you the Nobel Prize and insure that I get a great job when I leave your laboratory.“ Mentor 1 (biologist): „Go study published papers in the library on exactely how embryos fabricate tissues, write down all key events, and use these as rules of the road to tissue engineer the regeneration of organs or complex tissues in adult organism.“ Mentor 2 (material scientist): „Go study published papers in the library on the material properties of adult tissues, write down all key parameters and characterize specifications, and use them as rules of the road for designing tissue substitutes whose material properties exactely match those of the adult tissue.“ Mentor 3 (engineer): „Go study published papers in the library on the mechanical properties of tissues, and use these properties as rules of the road to design a mathematical (finite element) model to predict how the tissue will change with age and change in various modalities.“ Mentor 4 (surgeon): „Go study published papers in the library on the new molecules and/or cell types that we can surgically implant into tissue defects to regenerate tissues (that won´t heal naturally) or that will accelerate the healing process.“ Mentor 5 (molecular biologist): „Go study published papers in the library on all of the sequencing information that you can obtain from the Human Genome Project and elsewhere on the promotor control elements that are involved in forming and/or reparing different tissues, and use these to design vectors to transform promitive cells into cells which will fabricate the tissues we´re interested in.“ A voice from above: „Combine all of the above and call it tissue engineering.“ (Arnold I. Caplan; Tissue engineering designs for the future: new logics, old molecules, Tissue engineering Vol 6 No 1(2000), 1-8.). Das Prinzip des Tissue engineering beruht darauf, Körperzellen extracorporal zu kultivieren und nach erfolgter Vermehrung diese dem Patienten zu reimplantieren. Im Idealfall sollten die Zellen vom Patienten selbst stammen (autologe Zellen), denn so wird eine Abstoßungsreaktion des Körpers nach Reimplantation vermieden. Z ellen * M atrix** “In-vitro” *** K u ltivierun g P atien t Neuronen Hornhaut Endothelgew ebe/ Blutgefäße Haut Herzklappen Niere Leber Milz Knochenmark Bauchspeicheldrüse Muskeln Knochen Knorpel * ** *** G ew ebezellen , Stam m zellen od er em bry onale S tam m zellen (au tolog oder allo gen) N atürlich, syn th etisch od er xenogenisch (Fasern, H yd ro gel, K ap seln ) statisch, u nter R ü hren od er d ynam isch e F liessb edin gun gen Bild 2: Prinzip des Tissue engineering Die Methologie, die beim Tissue engineering verfolgt wird, kann in drei Ansätze untergliedert werden: 1. in-vitro Kultivierung autologer Zellen auf organischen, synthetischen oder natürlichen Matrices 2. in-vitro Kultivierung autologer Zellen auf xenogenen Matrices 3. Gewinnung der Zellen aus embryonalen Stammzellen Abhängig vom benötigten Zielgewebe, werden heute drei Strategien des Tissue engineering verfolgt: • Offenes System • abgeschlossenes System und • direkte Zellinjektion. Für jeden dieser Ansätze soll nun ein Beispiel gegeben werden. Unter einem offenen System versteht man die Züchtung von Zellen auf einer Matrix oder einem bio-degradablem Gerüst. Als eine Anwendung hierfür wäre der Hautersatz für z.B. Schwerstverbannte Opfer zu nennen. Haut als Gewebe ist vergleichsweise „einfach“ und gehört somit auch zu den ersten Gewebetypen, die künstlich hergestellt und klinisch eingesetzt wurden. Allerdings besteht bis heute das Problem, dass die durch Tissue engineering gewonnene Haut die ursprünglichen Funktionen wie Schweißabsonderung oder auch das der natürliche Haarwuchs noch nicht erreicht werden können. Ein weiteres interessantes und wichtiges Beispiel ist die Züchtung von Herzklappenzellen auf einer Klappenmatrix aus dem Rind oder Schaf (xenogene Matrix). Zunächst werden sämtliche Zellen von dem Trägergerüst entfernt und dann mit patienteneigenen Zellen besiedelt. Künstliche Herzklappen werden vielfach bei Kindern mit angeborenen Herzklappenfehlern benötigt. Bisher eingesetzte künstliche Klappen aus Metall oder anderen starren Materialien haben zwar die nötige Stabilität, wachsen aber nicht mit dem Patienten, was gerade bei Kindern eine wesentliche Anforderung ist. Durch den Einsatz von mitwachsenden Klappen könnten Kindern Operationen erspart werden, die dadurch erforderlich sind, dass die Klappengröße jeweils an die Herzkammerngröße angepasst werden müssen, bis die Kinder ausgewachsen sind. Ein Beispiel für ein sogenanntes abgeschlossenes System ist z.B. der Einsatz der sogenannten “künstlichen Leber”. Hierbei werden Leberzellen (z.B. aus einer Schweineleber) in einem Kultursystem gezüchtet und anschliessend kann entweder das ganze System in den Patienten transplantiert werden oder das Patientenblut wie bei der Dialyse (“künstliche Niere”) durch dieses System geleitet werden bevor es zurück in den Patienten gegeben wird. So wird das Blut beim Durchfliessen des Systems von Schadstoffen befreit. Heute wird diese Art Lebersystem schon klinisch eingesetzt um Patienten am Leben zu erhalten bis eine Spenderleber vorhanden ist oder so lange bis die geschädigte Leber (Leberzirrhose) sich generiert hat. Dies ist nur möglich, da die Leber ein großes Potenzial zur Selbstregeneration hat. Die dritte Strategie wird z.B. beim Ersatz von Blutstammzellen eingesetzt. Hierbei handelt es sich um die direkte Injektion von Zellen in den Patienten nach erfolgter Vermehrung der Zielzellen. Als ein Einsatzgebiet ist bei Leukämie-Patienten zu nennen. Aus dem Knochenmark werden vor der Chemotherapie und/oder Bestrahlung Stammzellen gewonnen und vermehrt, nach Abschluss der Therapie können die Zellen dem Patienten verabreicht werden. Die Hauptprobleme beim der Züchtung künstlicher Gewebe ist die Sicherstellung, dass die Differenzierung der Zellen erhalten bleibt. Nur dann kann das neue Gewebe/Organ seine Funktionen korrekt erfüllen und wird nicht zu einer zusätzlichen Gefahr für den ohnehin belasteten Patienten. Es werden heute enorme Fortschritte in der Entwicklung geeigneter Kultivierungssysteme und Optimierung der Kultivierungsbedingungen gemacht und dennoch sind viele Fragen bisher unbeantwortet und viele Probleme ungelöst. Das Tissue engineering ist eine Zukunftswissenschaft mit enormen Potenzial und kann auch dazu beitragen, dass die weltweit herrschende Organknappheit für Transplantationen gemindert werden kann und mehr Patienten überleben. Darüber hinaus können Gewebeverbände und Organsysteme geschaffen werden, die dazu beitragen können z.B. Tierversuche zu vermeiden, denn viele Tests können direkt an den entsprechenden Zellverbänden durchgeführt werden und bieten den Vorteil, dass hier für die Testung von Arzneimitteln für den Menschen auch menschliche Zellen eingesetzt werden können (somit sind erhaltene Testergebnisse direkt übertragbar). Die Arbeitsgruppe Tissue engineering beschäftigt sich mit der Entwicklung geeigneter Reaktorsysteme und Kultivierungsbedingungen und deren Optimierung. Neben den Techniken der Zell- und Gewebekultiverung werden folgenden Techniken eingesetzt: Durchflußzytometrie, Hochleistungs-Flüssigchromatographie (High Performance liquid chromatography HPLC), Kapillar- (Capillary electrophoresis CE) und Gel-Elektrophorese, 2D-Fluoreszenz-Spektroskopie, in-situ-Mikroskopie, enzym-gekoppelter Immunoassay (enzyme linked immunosorbent assay ELISA), Massenspektrometrie (MALDI-MS), Polymerasekettenreaktion (polymerase chain reaction PCR).