Angststörungen psychosomatische und psychotherapeutische Aspekte Prof. Dr. Eric Leibing Wintersemester 2015/16 Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Angststörungen Normale Angst (Realangst) • Angst gehört zur "Grundausstattung" an Gefühlen und ist an sich nicht pathologisch. • Angst vor realer Bedrohung (Sicherheit, Integrität, Angehörige) ist lebenswichtig. • Zweck von Angst ist es, uns zu aktivieren bzw. in einen Alarmzustand zu versetzen (Fight/Flight). • Angst zeigt uns, wo wir uns weiterentwickeln können (Signalangst). • Veranlagung, Angst zu empfinden (Ängstlichkeit) ist von Mensch zu Mensch sehr verschieden. • Angst kann auch Spaß machen (Angstlust, Thrill) •1 Angststörungen „Fight and Flight“ Aktivierung HPA-Achse mit Erhöhung von: • Frequenz und Stärke des Herzschlags • Blutvolumen, Sauerstoffversorgung • Umverteilung der Blutversorgung von den Verdauungsorganen zu Muskulatur, Haut, Gehirn • vertiefte Atmung, erweiterte Bronchien • Energiefreisetzung aus der Leber (Cannon 1871-1945) Angststörungen Psychophysiologische Modelle Beendigung der Angst durch: • Flucht (Vermeidung) – nur kurzfristig positiv • Hilfesuchen – nur kurzfristig positiv • Habituation – langfristig positiv Klassische Modelle zur Aufrechterhaltung von Angst und Grundlagen der verhaltenstherapeutischen Konfrontation. Verlernen (Löschen) der Angstreaktion durch Habituation. •2 Angststörungen Ätiologie (Was unterscheidet Mensch und Tier?) • Vererbung • Neurobiologische/physiologische Modelle • Psychodynamische Modelle • Kognitive / lernpsychologische Modelle Angststörungen Die drei Anteile der Angst •3 Angststörungen Psychodynamische Modelle – Konfliktmodell (Freud 1926) Der Angstaffekt hat Signalfunktion. Bei psychischen Störungen steht die äußere Bedrohung symbolisch für eine innerpsychische, unbewußte Bedrohung Durch einen äußeren Auslöser (etwa eine „Versuchungs-/ Versagungssituation) wird ein intrapsychischer Konflikt angestossen. Häufig wird dabei ein „alter“ infantiler Konflikt reaktualisiert. Die damit verbundene Angst kann nicht abgewehrt werden. Angst ist dann neurotische Symptombildung. Angststörungen Kognitives Modell (Beck 1985) •4 Angststörungen Typische Fehlinterpretationen von Panikpatienten Symptome Gedanken / Interpretationen Palpitationen, Brustschmerzen, Schwitzen, Atembeschwerden Herzrasen/-rhythmusstörungen Ich bekomme einen Herzinfarkt. Schwindel, Schwächegefühl, Benommenheit, visuelle Symptome, Zittern/Blässe Ich werde in Ohnmacht fallen. Ich habe einen Hirntumor. Ich bekomme einen Schlaganfall Atemnot, Würgegefühl, Kloß im Hals Ich ersticke. Depersonalisations- und Derealisations- Ich verliere die Kontrolle über mich. Gefühle, Konzentrationsstörungen Ich werde verrückt. Intensive Angst Diese Angst bringt mich um. Margraf & Schneider (1990) Angststörungen Kognitives Modell (Beck 1985) Kognitive Schemata: „die Welt ist gefährlich“ „bestimmte Situationen (Auslandsreisen, enge Räume) sind besonders gefährlich“ „andere Menschen beobachten mich besonders kritisch“ „Herzrasen und schnelle Atmung sind immer ein Zeichen für schwere körperliche Erkrankungen“ „ich bin hilflos und kann wenig tun“ Konsequenzen für die Therapie: Änderung der maladaptiven Kognitionen •5 Angststörungen Teufelskreis der Angst •6 Effektstärken Effektstärke (ES = d): d = m1 – m2 / SD Bewertung der Effektstärke klein mittel groß 0.2 0.5 0.8 Angststörungen Wirksamkeit der Verhaltenstherapie (Margraf & Ruhmland 2001) Zielsymptomatik Angst als Effektstärke (d) Prä/Post Katamnese bis 6 Mon. Katamnese bis 2 J. Katamnese über 2 J. Spezifische Phobien Konfrontation 1,9 1,6 2,0 Entspannung 1,5 1,5 1,6 Kognitive Therapie / KVT 1,6 3,2 Panikstörung mit Agoraphobie Konfrontation 1,6 1,8 0,9-1,2 1,0-1,3 Konfrontation 1,8 1,1 2,8 Kognitive Therapie / KVT 1,1 1,4 1,1 1,3 1,1 0,1-0,3 0,1 Kognitive Therapie / KVT Soziale Phobie 1,1 Generalisierte Angststörung Kognitive Therapie / KVT Wartegruppe •7 Angststörungen Psychotherapie vs. Pharmakotherapie - Empirie • Wirksamkeit von Psychotherapie (insbesondere VT) und von Pharmakotherapie (Antidepressiva) gut belegt. • Es gibt nur wenige direkte Vergleichsstudien – (keine Förderung durch Pharmaindustrie) • Psychotherapie ist auch nach Therapieende wirksam, der Effekt nimmt sogar zu • Psychopharmako-Therapie wirkt vor allem kurzfristig (während der Einnahme) und es werden hohe drop-out Raten angegeben (rebound) Therapiestudie GAD Verhaltenstherapie vs. Psychodynamische Therapie •8 Therapiestudie Generalisierte AS Verhaltenstherapie vs. Psychodynamische Therapie Sehr große Effekte, CBT > STPP Angststörungen •9 Therapiestudie Generalisierte AS Verhaltenstherapie vs. Psychodynamische Therapie Große Effekte sind stabil (1 Jahr), CBT > STPP SOPHO-NET Forschungsverbund zur Psychotherapie der Sozialen Phobie Gefördert vom BMBF von 2006 – 2014 Fördersumme: ca. 6 Mio. € gefördert vom •10 Therapiestudie A Psychodynamische Kurztherapie (STPP) vs CBT bei sozialer Phobie randomisiert (Zufallszuordnung zur Bedingung) kontrolliert (STPP vs. CBT vs. Wartegruppe) manualisiert (Behandlungsmanuale mit je 25h) multizentrisch (5 Orte: Bochum/Dortmund, Dresden, Göttingen, Jena, Mainz) KKS Heidelberg N = 512 Angststörungen •11 SOPHO-NET Ergebnisse outcome CBT - ES N=209 PDT – ES N=207 WL – ES N=79 LSAS* 1,29 1,02 0,23 SPAI* 1,24 0,69 0,22 BDI 0,46 0,17 -0,02 IIP-C* 0,71 0,27 0,20 Response LSAS Abnahme > 31% 60% 52% 15% Remission* LSAS < 30 36% 26% 8% *signifikante Unterschiede zugunsten der CBT; Unterschiede aber eher klein Daten: multiple imputation, ES: SDprä (alle Gruppen) Angststörungen •12 Angststörungen Longterm course (LSAS) LSAS > 60 cutoff generalized SP LSAS=30 cut off no Social Phobia data: multiple imputation gefördert vom •13 Longterm course (BDI) Leichte Depression Minimale Depression Keine Depression Grenzwerte BDI • 0-8: Keine Depression • 9-13: Minimale Depression • 14-19: Leichte Depression gefördert vom Angststörungen Diagnosemitteilung in der Praxis • Bestätigen, dass die Symptome real, nachweisbar und nicht eingebildet sind. • Mitteilen, dass es sich um eindeutige Symptome einer bekannten, gut behandelbaren Krankheit handelt (Name!) • Erarbeiten eines psychophysiologischen Modells der Angst („normale und daher nicht gefährliche Reaktion des Körpers zur falschen Zeit“), Teufelskreismodell •14 Angststörungen Therapieprinzipien für den Hausarzt • Vertrauensvorschuss als Hausarzt nützen • Bewusst medizinische Autorität als sicherheitsgebenden Faktor einsetzen • Kontrollierte Suggestion unter Berücksichtigung des subjektiven Krankheitsmodells • Rückhalt geben durch somatische Abklärung und klare Information über Ergebnisse • Eingehen auf die Zweifel des Patienten Angststörungen Wie kann ich eine Chronifizierung verhindern? • keine lange Krankschreibung, außer im therapeutischen Kontext (Exposition) • keine Behandlung mit „Pseudoplacebos“, solange nicht die wirksamen Therapien ausgeschöpft sind • Diagnostik nicht zu lange hinziehen, Abschlussbesprechung durchführen. • Den Patienten ermutigen und unterstützen, schnell mit der Therapie zu beginnen. •15 Angststörungen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! www.psychosomatik.uni-goettingen.de •16