„Zu früh, um das Ende des Kartells auszurufen“ Nicht alle Entwicklungsländer sind von niedrigen Ölpreisen negativ betroffen. Welche Regionen konnten sogar profitieren? Goodwin: Netto-Importeure von Rohöl so wie China sollten theoretisch von niedrigeren Preisen profitieren. Allerdings sollte man auch bedenken, warum Öl überhaupt günstiger geworden ist. Die geringere Nachfrage aus den Entwicklungsländern deutet auf eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Dynamik hin. Der Nachfragerückgang an sich ist also ein negatives Zeichen für Importeure. Leil-Cooper: Im Mittleren Osten gibt es Länder wie Saudi-Arabien, die Netto-Exporteure sind, aber es gibt genauso Länder, die auf Ölimporte angewiesen sind. Die Türkei hängt beispielsweise stark von Ölund Gasimporten ab und würde von einem Preisrückgang profitieren. Könnten Sie kurz beschreiben, welche Auswirkung niedrige Ölpreise auf den Mittleren Osten haben? Goodwin: Länder, die einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens durch Rohölexporte generieren, werden einen signifikanten Rückgang ihrer Einkommen erleben. Wie stark sie davon tatsächlich beeinträchtigt werden, hängt davon ab, wie viel zusätzliches Einkommen sie durch andere Quellen erwirtschaften. Leil-Cooper: Exporteure erlebten eine einschneidende Wertminderung ihrer Budgets. In Saudi-Arabien reagierte die Regierung, wie so viele andere im Mittleren Osten, damit, Ausgaben zu kürzen. Das Kürzungsprogramm beinhaltete Subventionskürzungen, die Reduzierung des Anteils des gebundenen Kapitals und die Rückführung von Spareinlagen. In der langen Frist wird dies jedoch nicht ausreichen. Um die Abhängigkeit von Öleinnahmen zu reduzieren, sind strukturelle Reformen notwendig, die das Potenzial anderer Sektoren steigern könnten und es dem privaten Sektor ermöglichen, einen Teil der Restrukturierungslast zu tragen. Wie sieht die Langzeitperspektive für den Mittleren Osten aus? Leil-Cooper: Das Potenzial langfristigen Wachstums von Unternehmen im Mittleren Osten ist durch Mainstream-Assetklassen nur schwer zugänglich. Faktoren wie der Wohlstand einer relativ jungen und wachsenden Bevölkerung und einer weiterhin positiven demografischen Entwicklung werden das Wachstum von verschiedenen Sektoren weiterhin treiben. Dazu gehören Sektoren wie der Gesundheitssektor, Konsum und Banken. Bei unserer Anlage konzentrieren wir uns auf Unternehmen, die realistisch bewertet sind und das attraktivste Langzeitwachstum über einen vertretbaren Investitionshorizont von drei bis fünf Jahren aufweisen. Das bedeutet nicht, dass wir makroökonomische oder politische Ereignisse ignorieren. Für MENA sind diese wichtig und können einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung aller Unternehmen haben. Wir schauen uns diese Ereignisse aus der Perspektive der Unternehmen an, in die wir investieren oder möglicherweise investieren werden und analysieren den Effekt, den sie auf diese Unternehmen wahrscheinlich haben werden. Könnten Sie uns einen Ausblick für die kurze Frist geben? Leil-Cooper: Wir erwarten, dass die Märkte der Region eher von lokalen als von globalen Faktoren beeinflusst werden, trotz des Ölpreises, auch wenn sie nicht vollkommen immun gegen bedeutende Entwicklungen der Weltwirtschaft sind. Wir investieren also nicht nur in Wachstumsmärkte, sondern auch in die wachsenden Unternehmen, die nach Einschätzung unserer Recherche über mehrere Jahre hinweg Investitionsrückflüsse liefern können. Trotz des niedrigen Ölpreises gehen wir davon aus, dass der Gesundheitssektor am wenigsten von einer potenziellen Anpassung der Regierungsausgaben betroffen sein wird und weiterhin starke Wachstumschancen hat. Welche Auswirkungen haben die niedrigen Ölpreise auf Indien? Goodwin: Indien ist Netto-Importeur und sollte daher auf den ersten Blick von niedrigen Ölpreisen profitieren. Argal: Das Leistungsbilanzdefizit hat sich dank der gesunkenen Rohölpreise deutlich verringert. So konnte die Währung kurzfristig stabilisiert werden. Wie sehen die Langzeitperspektiven für Indien aus? Argal: Langfristig könnten die Überweisungen von Devisen von Indern, die im Mittleren Osten arbeiten abnehmen. Dies hätte auch eine Auswirkung auf die Währungsreserven des Landes. Gleichzeitig könnten die Geschäftsbeziehungen im Mittleren Osten einiger indischer Unternehmen betroffen sein. Welche Industrien der ölexportierenden Regionen könnten von niedrigen Ölpreisen profitieren? Goodwin: Unternehmen, die Öl lagern, es transportieren und damit handeln, werden in der langen Frist profitieren. Das ist auch im Einklang mit einer erhöhten Preis-Volatilität, die wir für die Zukunft erwarten. Könnten auch ölexportierende Länder Vorteile aus der Situation ziehen? Zum Beispiel durch steigenden Reformdruck? Goodwin: Es gibt Spielraum für Länder, die einen fixen Preismechanismus haben, diesen flexibler zu gestalten und mehr an globale Preisentwicklungen anzupassen. Dies ist aber vorwiegend eine politische Entscheidung. Erwarten Sie, dass sich einige Industriezweige verkleinern oder gar verschwinden aufgrund der gesunkenen Einnahmen? Goodwin: Ich bin mir nicht sicher, ob gesamte Industrien verschwinden werden. Aber ich denke, dass viele Produzenten und einige kleinere Service-Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten werden und letztendlich schließen müssen, sollten sich die Preise noch über einen längeren Zeitraum auf dem aktuellen Niveau bewegen. Was bedeutet das für Branchen und Unternehmen, die ihre Konkurrenten überleben? Goodwin: Geringerer Wettbewerb, weil wenn Unternehmen eines Industriezweiges vom Markt verschwinden, ist es immer positiv für die Überlebenden. Erwarten Sie eine wirtschaftliche Restrukturierung in ölimportierenden Ländern wie Indien? Wenn ja, wie wird diese aussehen? Argal: Meiner Meinung nach ist das mit der Reduktion des Leistungsbilanzdefizites schon geschehen. Sollten sich niedrigere Ölpreise auf die Entscheidungen von Investoren auswirken? Argal: Die Schwäche der Ölpreise war ein Grund dafür, dass indische Aktien und der Indische Rupee 2015 relativ stark waren. Erwarten Sie, dass sich das Öl-Kartell erholen wird? Goodwin: Es besteht kein Zweifel daran, dass der Markteintritt von Rohöl aus Nordamerika, das zu niedrigen Kosten produziert werden kann, erheblichen Druck auf das Kartell ausgeübt hat. Besonders da die Nachfrage in den letzten Jahren geringer als üblich war. Ich denke dennoch, dass es zu früh ist, um das Ende des Kartells auszurufen. Der wichtigste Gegenspieler ist der Iran und sein Vorhaben, mehr zu produzieren. Das ist ein weiterer Test für die OPEC und alle Länder, die Mitglieder des Kartells sind. // Interview: Katharina Lamster