5.2. Neuraltherapie • 1926 und in weiterer Folge in den Vierziger

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5.2. Neuraltherapie
 1926 und in weiterer Folge in den Vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts von dem ÄrzteBrüderpaar Ferdinand und Walter Huneke beobachtete Phänomene in Zusammenhang mit
dem Einsatz von Lokalanästhetika (LA) ließen die Neuraltherapie (NT) als eigenständige
Methode wachsen. Synonyma wie Impletol-, Procain-, Segmenttherapie oder
Heilanästhesie bis hin zu heute auch verwendeten Begriffen wie Therapeutische
Lokalanästhesie oder trigger point infiltration zeigen, dass es verschiedene Sichtpunkte
dieser Methode gab und gibt.
Den Hauptunterschied zur Akupunktur – bzw. die „Domäne“ der Neuraltherapie im engeren
Sinn – stellt die Erkennung und Behandlung von Störfeldern (Herden, Foci, Irritationszentren
etc.) dar. Weiters besteht die Möglichkeit, durch direkten lokalanästhetischen Zugriff auf
tiefer gelegene vegetative Zentren effektiv zu handeln.
 Im Rahmen der NT werden LA vom Estertyp (Procain) oder vom Amidtyp (Lidocain,
Mepivacain) in 1%iger Lösung ohne Vasokonstriktor eingesetzt. LA sind in der Lage,
depolarisierte Zellmembranen dahingehend zu stabilisieren, dass diese durch Einbau der LA
in die Membranporen („gates“) undurchlässig werden für „algogene“ Transmittersubstanzen.
Auch wenn dieser Effekt nur für die Dauer der Wirksamkeit des Pharmakons anhalten
müsste, hält derselbe um einiges länger an, wenn die richtigen Stellen erreicht wurden.
Lokal- und Segmenttherapie
Die einfachsten Methoden stellen die lokale Behandlung (am locus dolendi) durch (streng
intrakutane) Quaddelung oder i.m. Infiltration, präperiostale Infiltrationen sowie gezielte
Leitungsanästhesien dar (z. B. auch die „diagnostischen Injektionen“ der
Lahmheitsdiagnostik beim Pferd). Hierbei sind es lokale Schmerzpunkte, die
segmentalreflektorisch über das Derma-, Myo-, Sklero-, Angio- oder Neurotom therapeutisch
wirksam werden. Als Ansatzpunkte dienen die palpatorisch veränderten (verquollenen)
Segmente bzw. die druckschmerzhaften Maximalpunkte (= AP-Punkte). Die Beeinflussung
der Segmente schließt dabei natürlich auch das Viszerotom ein.
Beispiel für eine typische Lokalbehandlung: Die peritendinäre sowie präperiostale Infiltration
von palpatorisch explorierten sowie vielleicht auch schon radiologisch nachweisbaren
Insertionstend(in)opathien sowie von Myotendinosen. Effekt ist eine Veränderung der
Durchblutungsverhältnisse, dadurch Abtransport von Entzündungs- und Schmerzmediatoren,
Relaxation des reaktiven Muskelhypertonus und Normalisierung des Bewegungsablaufes.
Beispiel für eine typische Segmentbehandlung im Bereich der Wirbelsäule:
In den, mittels Kibler´scher Hautfaltentechnik palpatorisch verändert vorgefundenen
Rückenhautbereichen Applikation medianer und paramedianer Quaddelungen. Ein bis zwei
vor- und nachzählige Segmente müssen mitbehandelt werden, da interneuronal auch diese
bereits mit involviert sein können. Die Effektivität der Behandlung wird erhöht, wenn man die
medianen Quaddeln über den Procc. spinosi platziert und jeweils durch diese an das Periost
der Dornfortsätze infiltriert. Paramedian kann durch die Quaddeln die (meist verspannte)
Muskulatur infiltriert werden.
Beispiel für eine typische Segmentbehandlung eines Gelenkes Umquaddelung an der
größten Gelenkszirkumferenz (Abstand der Quaddeln je nach Größe des Tieres 1-2½ cm)
sowie Umquaddelung der jeweils proximal bzw. distal benachbarten Gelenke. Zusätzlich
oder bei lediglich funktionellen Störungen (ohne pathomorphologisches Substrat) z.B. des
Knies Quaddelungen dorsal median und paramedian in den Segmenten L 2/3 - S1, wenn
anamnestisch Hinweise auf Auffälligkeiten seitens der Beckenorgane bestehen.
Beispiel für eine typische Segmentbehandlung eines inneren Organe: Bei funktionellen
Störungen des Magens Quaddelungen entlang des linksseitigen Arcus costalis (beginnend
dorsal im linken lumbokostalen Winkel, endend über dem Xiphoid. Der dorsal gelegene
Anfangspunkt wurde außer von Head beim Menschen auch von dem berühmten Internisten
Ismar Boas als diagnostischer Punkt für den Magen (z. B. bei Ulcus ventriculi) beschrieben
(Boas´scher Druckpunkt) und entspricht dem AP-Punkt BL 21 des Blasenmeridianes
(„Zustimmungspunkt“ des Magens). Der ventrale Endpunkt über dem Xiphoid entspricht KG
(Konzeptionsgefäß) 15, einem ebenfalls als magenspezifisch bekannten AP-Punkt.
Grenzstrang, Ganglien, Plexus
Als „Neural“therapie im eigentlichen Wortsinn werden die sogenannten großen, invasiven
Techniken bezeichnet. Aufgrund der teilweise heroisch anmutenden Injektions- oder aber
Infiltrationsmethoden nur wenig praktiziert. Dies zu Unrecht: Einerseits, da bei
entsprechenden Anatomiekenntnissen sowie entsprechender Sorgfalt (regelrechte
Desinfektion, mehrfache Aspirationsversuche in verschiedenen Ebenen etc.) und durch den
Einsatz weitaus geringerer LA-Mengen als z. B. bei der antiarrhythmischen Behandlung die
Gefahr iatrogener Schädigung praktisch ausgeschlossen ist. Andererseits, da diese
Methoden durch ihren direkten Ansatz am Vegetativum höchste Wirksamkeit zeigen.
Eine der einfachsten und effektivsten Methoden stellen die Parasakralanästhesie nach Poser
sowie die Parazervikalblockade dar. Man unterscheidet bei letzterer zwei Techniken, die
Blockade des Pl. vesicalis (Arbeiter) und die gemeinsame Blockade der Pll. uterovaginalis
und vesicalis (Zohmann). Während erstere ausschließlich der Behandlung der Harnblase (z.
B. bei Incontinentia urinae) dient, schließt zweitere auch den Genitaltrakt mit ein, was von
Vorteil ist, da Störungen des Vegetativum im Beckenbereich nahezu immer alle
Beckenorgane umfassen und nicht nur die Harnblase. Des weiteren ist diese Methode so
bedeutsam, da (nicht nur beim Menschen) sehr viele Störungen oder Erkrankungen (u. a.
„idiopathische“ Lumbalgien oder Paresen der Hinterextremität!) von den doch sehr
störanfälligen Beckenorganen (Zyklus, Geburten, Infektionen) entweder ihren Ausgang
nehmen oder von hier aus unterhalten werden
Techniken
Behandlung der Beckenorgane über das vegetative Nervensystem – die
Parasakralanästhesie nach Poser
Als Indikationen gelten Probleme der kaudalen Darmabschnitte per se (Diarrhöen,
Obstipationen, Afterjucken etc.), Kotinkontinenz infolge z.B. einer Cauda equina –
Kompression, der Sinus paranales sowie Blasenentllerungsstörungen.
Blockade des Plexus uterovaginalis bzw. des Plexus prostaticus (Abb. XXX) :
Es war Kothbauer, der diese Methode im Veterinärbereich etablierte.
Als Pendant beim Hund entwickelt A. Zohmann die
Parazervikalanästhesie an den Blasenhals
Zur Behandlung der kaudalen Körperquadranten über das vegetative Nervensystem bietet
sich die
Blockade des lumbalen Grenzstranges an. Diese Methode eignet sich nicht nur bei
Indikationen, die mit einer Minderdurchblutung in diesem Bereich vergesellschaftet sind;
auch bei unklar erscheinenden Problemen dieser Körperregion sowie funktionellen
Störungen oder Erkrankungen im Quadranten ist die Hauptwirkung über die
Durchblutungssteigerung (Block der sympathischen, vasokonstringierend wirkenden, Plexus
perivasculares) förderlich.
Techniken
1. Nach Dietz (1955)
2. Nach Braemer (1969, modif. nach Magda, 1960)
3. Zohmann, Kasper, Ganzberger (Zohmann und Kasper 1994) (Abb. XXX)
4. Indirekte Technik (Abb. XXX)
Die kranialen Quadrantenbereiche können ebenfalls über das sympathische Nervensystem
erreicht werden. Hier wird die Blockade des Ganglion cervicothoracicum s. stellatum
eingesetzt. Als Pendant zum lumbalen Grenzstrang sei indikationsmäßig auch hierauf
verwiesen, wobei die Einsatzbereiche aber natürlich auch die Hals- und Kopforgane
einschließen.
1. nach Dietz (1955), Zohmann (1989), Zohmann und Kasper (1994) (Abb. XXX)
2. Nach Frank (Zohmann und Kasper 1994) (Abb. XXX)
3. Indirekte Methode
Charakteristisch ist jedoch:
Intravasale Applikation
Die (unabsichtlich) intravenös systemische Applikation eines Procain-haltigen Arzneimittels
führte zur „Entdeckung“ der therapeutischen Wirkung von LA. Der Wirkmechanismus hierbei
könnte – wie bei der sog. Endoanästhesie (nach Zipf) – als Ansprechen der, in der Intima
befindlichen sympathischen Nervgeflechte (Plexus perivasculares) interpretiert werden.
Störfeld und Störfeldtherapie
Definition: Grundlage für das Herd-Störfeldgeschehen stellen chronische bis subchronische,
oligo- bis asymptomatisch verlaufende Entzündungen oder aber auch chronisch belastende
exogene Störeinflüsse dar, die im Sinne des AAS (Allgemeines Adaptations-Syndrom nach
Selye, „Stress“) den Organismus soweit labilisieren, dass dieser anfällig für (teilweise sogar
sehr geringe) Zusatzbelastungen („Zweitschlag“ nach Speransky) wird. Man spricht hierbei
auch vom „chronischen Belastungssyndrom“
(Als Störfelder imponieren (die Reihenfolge entspricht in etwa der Häufigkeit): Narben
(Nahtmaterial!) – Beckenorgane (Geburtswege, Uterusstumpf, Prostata) – Analbeutel –
Magen/Darmtrakt – Ohren – Zähne ...). Obwohl jede Stelle des Körpers zum Störfeld werden
kann, wird in der Störfelddiagnostik folgendes Vorgehen entsprechend der Häufigkeit des
Auftretens empfohlen:
1. Segmentregel
2. Quadrantenregel .
3. Seitenregel
4. Generalisation
Aus diesem Grunde sei nochmals auf die Bedeutung einer sorgfältigen und so umfassend
wie möglich erhobenen Anamnese sowie einer höchst subtil durchgeführten Palpation
verwiesen. Um ein vermutetes Störfeld veri- oder falsifizieren zu können, wird die ProbeInfiltration oder -Umflutung desselben mittels LA durchgeführt. Aussagekräftig ist nach einer
solchen der Wegfall der Fernsymptomatik und dies über die normale LA-Wirkdauer hinaus –
die erfolgreiche Identifizierung des aktiven Störfeldes ist gleichzeitig die erste
Störfeldtherapie.
Beispiel: Therapieresistenter Juckreiz im Bereich der Vorderextremitäten sowie an unterer
Brust- und Bauchwand. Anamnese: Erst nach intensivster Befragung erinnert sich der
Besitzer bei seinem „sonst gesunden“ Terrier an die Extirpation der Analbeutel vor geraumer
Zeit, aufgrund chronisch rezidivierender Entzündungen. Nach Infiltration der
Extirpationsnarben zwei Tage dauernder intensiver Juckreiz mit stark riechender
Körperausdünstung (bekannt als „Erstverschlechterung“ im Sinne einer überschießenden
Reaktion). Anschließend Abklingen sämtlicher pathologischer Symptome.
Es ist wichtig, die Tierbesitzer auf die Möglichkeit einer Erstverschlechterung hinzuweisen!
Kontraindikationen der Neuraltherapie
Etwaige LA-Unverträglichkeit. Vorsicht bei kardialer Insuffizienz bzw. bei anamnestisch
erhobener Herz/Kreislauf-Auffälligkeit. Obwohl die, in der Neuraltherapie verwendeten LAMengen weit unter den rein lokalanästhetisch oder internistisch eingesetzten liegen, ist
dennoch auf möglichste Geringhaltung der Dosis zu achten (so wenig wie möglich, soviel wie
nötig). Speziell zur Methode der Blockade des Ganglion cervicothoracicum s. stellatum sei
betont, dass bei etwaig beidseitiger Anwendung (die entsprechend begründet sein muss!)
zwischen den beiden Anwendungen eine Wartezeit von etwa 20-30 min. strikt einzuhalten
ist.
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