Hindernisse bei der Überwindung von zwanghaftem Haareausreißen Von Dr. Carol Novak Viele von Ihnen haben über einen Plan nachgedacht oder sogar eine Therapie angefangen, um mit dem Haareausreißen aufzuhören. Oft ist man zu erstarrt, um überhaupt anzufangen, ist nach einigen Teilerfolgen blockiert, oder hat das Gefühl, man ist gleich zum Anfang zurück gerutscht. Es gibt viele Gründe für diese Hindernisse. Ich möchte einige dieser Gründe erläutern und Wege zum Durchbruch aufzeigen. DAS VERLEUGNEN DES EINFLUSSES VON TRICHOTILLOMANIE IM EIGENEN LEBEN. Viele Menschen, die Haare, Wimpern und Augenbrauen zu kahlen Stellen ausreißen, haben dies nie als Problem gesehen! Diejenigen, die (aus welchen Gründen auch immer) nicht gehemmt sind oder keine Schamgefühle haben, sehen es nicht als eine Störung und sie haben keinen starken Wunsch aufzuhören. Diese Einstellung sollte respektiert werden, und eine Therapie ist nicht nötig. Auf der anderen Seite, für andere ist das scheinbare Fehlen von Motivation zur Verbesserung der Symptome eigentlich nur eine Maske von komplexen Gefühlen. Oft ist die offensichtliche Akzeptanz des Zustandes in Wirklichkeit ein Ausdruck mit diesem Haarverlust fertig zu werden, oder der Hilflosigkeit, jemals aufhören zu können. Wo eine Verleugnung des eigenen emotionalen Schmerzes vorkommt, ist eine Methode zur Veränderung die Konfrontation oder Herausforderung der Person mit der Realität. Ein erfahrener Therapeut kann dies vorsichtig mit einer Person machen, die bereit ist das eigene Verleugnen loszulassen. Man kann es auch mit sich selbst machen, insofern ein teilweises Verständnis der eigenen Neigung, Trichotillomanie zu bagatellisieren, vorhanden ist. Eine Methode ist, eine Liste von allen Gründen zu machen, warum das Haareausreißen ein Problem für sich ist. DAS FEHLEN VON VERTRAUEN, DASS MAN SICH VERÄNDERN KANN. Wenn Sie nicht glauben, daß Sie mit dem Haareausrupfen aufhören können, kann die Überwindung nicht beginnen. Einen Grund dafür liegt an der Hoffnungslosigkeit nach wiederholten enttäuschenden Begegnungen mit unerfahrenen, "helfenden Profis". Wie viele von Ihnen haben eine Therapie gemacht, in der Ihr Haareausreißen mit einem psychoanalytischen Grund begründet wurde, sich selbst zu verstümmeln? Oder Ihnen wurde gesagt "Hören Sie einfach damit auf?" Oder wurde gesagt, daß Sie eine unheilbare, hoffnungslose Störung haben? Wie vielen von Ihnen wurde nahegelegt, sich selber nach dem Ausreißen zu bestrafen, indem man sich mit einem Gummiband am Handgelenk schnalzt? Wenn Sie diese Niederlagen schon mitgemacht haben, ist es schwer, die Hoffnung aufrechtzuerhalten. Eigene Mißerfolge, z.B. die Finger mit Pflaster umzubinden oder Neujahrsvorsätze zu machen, kann zum Gefühl der Hoffnungslosigkeit führen, daß irgendwelche verhaltenstherapeutischen Methoden helfen könnten. Das Resultat kann ein profundes Gefühl von Inkompetenz auslösen, sich selber helfen zu können. Ein neuer Start mit einem erfahrenen verständnisvollen Therapeuten und der Glaube, Fortschritte machen zu können, können viel Zivilcourage erfordern. Vielleicht ist es hilfreich zu wissen, daß viele vormals entmutigte Betroffene mit einer Therapie große Fortschritte in Richtung Überwindung gemacht haben. Noch wichtiger zu verstehen ist, daß man das Haareausreißen nicht mit Willenskraft bewältigen kann. Der Weg zur Überwindung ist nicht der, den Sie bis jetzt befolgt haben auch nicht unbedingt der Weg, der am unmittelbarsten und verfügbar ist. Wenn man mit einer Felsmauer konfrontiert ist, ist rohe Gewalt nicht allgemein effektiv, um auf die andere Seite zu gelangen. Man findet einen Halt für die Zehen, eine versteckte Tür oder sogar die Wand Stein für Stein abzureißen, wird gelingen. Das Sprichwort, "es führen viele Wege nach Rom", kommt häufig in der Behandlung von Trichotillomanie vor. Es gibt wirklich einen anderen Weg ein Problem zu lösen, auch wenn die Methode am Anfang der Behandlung nicht sofort erkennbar ist. WUT Die Reaktion von Betroffenen, wenn sie erfahren, daß dieses Problem einen Namen hat und daß sie nicht die einzigen sind, ist oft Erleichterung. Aber dieses Gefühl kann sich auch schnell in Wut umwandeln. Wut, die sie oft Jahrzehnte lang leiden mußten und daß ihnen nie geholfen werden konnte. Oft erleben sie auch Wut als einen Teil von Trauer für die Verluste, die sie durch diese Störung erleiden mußten. Die Autorin Elizabeth Kübler-Ross beschreibt die Stadien von Trauer als zyklisch, die Wut, Traurigkeit und Akzeptanz beinhalten. "Warum gerade ich? Was habe ich getan um dies zu verdienen? Warum muß ich so leiden?" Und die logische Folge: "Es ist nicht fair." "Warum soll ich mir so viel Mühe zur Überwindung geben?" Um eine Überwindung zu erzielen, muß man die wahre Grundlage für die Wut erkennen und (wenn vorhanden) diese Gefühle identifizieren wie bei Trauerarbeit. Die Emotionen sollen richtig plaziert sein und nicht auf einen Therapeuten gerichtet oder gegen sich selbst. Die Akzeptanz von Trichotillomanie und all seinen ganzen Komponenten ist eine unerläßliche Basis für den Behandlungsbeginn. Es kann Zeiten von Wut oder Frust während des Prozesses geben. Falls erforderlich, sollte die genaue Identifizierung jedesmal wiederholt werden. TIMING Sowie bei jedem anderen Streben oder Phase im Leben, gibt es den wichtigen TimingAspekt. Man muß bereit und in einer Situation sein, die Zeit und Gelegenheit bieten, um anzufangen. Wenn man z.B. ein krankes Familienmitglied betreut, ein neugeborenes Baby pflegen muß oder vor dem Konkurs steht, ist nicht gerade die richtige Zeit mit einer Behandlung oder Therapie zu beginnen. Es ist kritisch, dies zu akzeptieren und auf eine bessere Zeit zu warten. Sogar nach dem Anfang kann es Zeiten geben, wo die Veränderungen zu überwältigend sind und Zeit brauchen verarbeitet zu werden. Wenn man anerkennt, daß Höhen und Rückschläge Hinweise sind, daß etwas Schwieriges gelöst werden muß - und nicht Zeichen von Minderwertigkeit und Versagen - dann hat man gute Chancen, Fortschritte zu machen. Auch die Schnecke schafft es... UNWÜRDIGKEITSGEFÜHLE Wenn man eine Autopanne hat, wird man selbstverständlich $2000 für die Reparatur ausgeben. Man wird betteln, borgen oder stehlen, wenn's sein muß, weil es notwendig ist. Ich habe gesehen, wie liebevolle Tierhalter mehrere Hundert oder Tausend Dollar für die medizinische Betreuung ihrer Katze oder ihres Hundes aufwenden, aber nicht bereit sind, die Ressourcen für eine Selbstbehandlung für Trichotillomanie aufzubringen. Unterhalb dieses Widerstandes, Zeit und Ressourcen für sich selbst zu nehmen, gibt es (im Gegensatz zu dem, was man bis jetzt gehört oder gelesen hat) oft immer noch den Gedanken, daß man selbst daran schuld ist, die Haare auszureißen. Folglich wird das Haustier wertvoller behandelt als man selbst. In Behandlungskliniken, wo teilweise 5 Tage sehr intensiv gearbeitet wird, hört man oft "mein Mann würde mich nie gehenlassen und allein mit den Kindern bleiben" oder "mein Chef wird mir nie die den nötigen Urlaub geben". Der Überwindungsprozeß erfordert keinen starken Charakter, Willenskraft oder Heiligkeit, sondern die Investition von Zeit, Geld und Beharrlichkeit. Jeder Betroffene verdient sämtliche Ressourcen und Unterstützung, die aufgebracht werden können, und ist berechtigt danach zu fragen. DIE VERBINDUNG VON TRICHOTILLOMANIE MIT ANDEREN PROBLEMEN Individuelle Verhaltenstherapie kann anfänglich sehr hilfreich sein, aber andere Themen können plötzlich auftreten und den Erfolg unterbrechen. Sexualität und sexueller Mißbrauch können auftauchen, z.B. eine meiner Patientinnen, die vom älteren Bruder mißbraucht wurde, wurde damit bedroht den Eltern von dem Haareausreißen zu erzählen. Ihre Scham vor Haareausreißen übertraf sogar den Inzest. Sie erkannte, daß sie sich mit dem Mißbrauch zuerst auseinandersetzen mußte, bevor sie die Verhaltenstherapie für Trichotillomanie fortsetzen konnte. Wie viele andere Betroffene machte sie eine Pause in der Behandlung, um sich mit diesem Thema in Einzeltherapie zu befassen. Ältere Jugendliche und junge Erwachsene - auch manche älteren Erwachsene - entdecken, daß sie sich von der Kontrolle oder dem Einfluß der Eltern befreien müssen. Mit der Vereinbarung, mit einem Therapeuten bestimmte Techniken auszuführen, um das Haareausreißen zu unterbinden, kann zu einem internen Aufstand gegen die Eltern führen. Dieser Aufstand kann viele Formen annehmen. Therapeuten, Ärzte sowie die erwachsene Seite können von sich selbst unbewußt als ein kritisches oder strafendes Elternteil behandelt werden, mit dem Resultat z.B.: Hausaufgaben werden nicht gemacht oder Medikamente werden nicht eingenommen. Viele Betroffene müssen andere psychologische Probleme von dem Haareausreißen trennen und sich damit auseinandersetzen - entweder gleichzeitig oder hintereinander. Dies ist erforderlich, um Fortschritte zu erzielen. ANGST, DIE IDENTITÄT ZU VERLIEREN Auch wenn der Betroffener sich selbst als eine unvollkommene Person sieht und es schmerzlich ist, ist es schwer diese Identität loszulassen - schwerer für einige als das eigentliche Haareausreißen. Die Vertrautheit mit dieser schmerzhaften Selbstidentität kann leichter beizubehalten sein als die Flutwelle, die verursacht wird als Folge eines geänderten Gefühls von Wellness und Vollkommenheit. Selbstverständlich hat der eigene Identitätssinn nicht nur tiefe Wurzeln sondern auch tiefgreifende Wirkungen. Die Wahl von Freunden, Schulen, Beruf und Lebenspartner sind eng mit dem Sinn von Identität verbunden. Umkehrt helfen diese Wahlen unsere Identität zu gestalten. Manche Beziehungen und Aspekte der Persönlichkeit könnten sich um das Haareausreißverhalten gebildet haben. Sich von diesem Halt zu lösen, könnte zu einem Verlust des Selbstvertrauen führen. Die Veränderungen, die man bei der Überwindung erlebt, können einem so fremd wie ein Umzug in ein anderes Land vorkommen. Niemals "nach Hause" zum Haareausreißen in vertrauter Umgebung zurückzukehren. Gerade die Einschränkungen, die Trichotillomanie verursacht, können ein Gefühl von Behaglichkeit verursachen, besonders in der Adoleszenz oder im jungen Erwachsenenalter. Wenn z.B. ein jugendlicher Betroffene die Entwicklung von sexueller Attraktivität versäumt hat, kann der bloße Gedanke an eine Verabredung mit der möglichen Entblößung von Verwundbarkeiten und komplizierten, delikaten Ritualen überwältigend sein. Das Hinausschieben der nächsten Entwicklungsphase durch einen Rückfall zum Haarerupfen kann vergleichsweise einfacher erscheinen. Eine Quelle des Widerstandes, die Identität als Betroffene/r zu verändern, habe ich überraschenderweise bei der Beteiligung an Selbsthilfegruppen für Trichotillomanie gesehen. Diese Gruppen sind, hinsichtlich der Verminderung der Isolation und der Freude verstanden zu werden, durchaus hilfreich. Das kollektive Gruppenselbstbild wird positiver, und Schamgefühle werden abgebaut. Der Teilnehmer kann jedoch Angst vor der Überwindung und möglichem Verlust des Gruppenzugehörigkeitsgefühls erleben. Manchmal wird befürchtet, nicht als "Haareausreißer" im Überwindungsprozeß sondern als "ExHaareausreißer" betrachtet zu werden und somit nicht mehr zur Gruppe zu gehören. Ein Betroffener, der keine Haare mehr ausreißt (selbst wenn jeder Tag ein Kampf ist), dessen Haare wachsen, und allmählich über Rückfälle zu sprechen aufhört, könnte als "anders" betrachtet werden. Es scheint weniger wahrscheinlich vorzukommen, wenn sich die Selbsthilfegruppe auf Überwindung und deren Unterstützung konzentriert und nicht allgemein auf das Leiden. ANGST, SICH ZU ÖFFNEN Sich anderen näher anzuvertrauen und um Hilfe zu bitten, ist oft eine neue Erfahrung für den Betroffenen. Keiner weiß besser Bescheid über die detaillierten, persönlichen Empfindungen und das Verhalten in dieser privaten Welt. Es ist oft schwer, sich vorzustellen, daß jemand etwas anzubieten hat, an das man nicht vorher gedacht oder versucht hat. Obwohl Überwindung synonym mit "Symptome unter Kontrolle zu bringen" erscheint, bedeutet dies eigentlich eine gewisse Lockerung der Kontrolle. Jemandem, z.B. einem Therapeuten, in diese sehr private Sphäre des Haareausreißens hineinzulassen, und seinen Vorschlägen zu folgen - anstatt innerlich zu kämpfen - bedeutet das Aufgeben einer sehr tief verwurzelten Verhaltens- und Denkweise. Andere fernzuhalten kann sich für viele als eine notwendige Methode zum Fertigwerden herausstellen, die die Einwirkung der Eltern oder anderer abwenden mußten. Unabhängigkeit ist oft auch die Konsequenz von Isolation Trichotillomanie-Betroffener. Trichotillomanie ist kein verbales Verhalten - drückt sich weder in Wörtern noch in Kommunikation aus. Die Zeit in einer Therapie, die Störung in Worten zu beschreiben, ist unermeßlich hilfreich alles in Perspektive zu setzen und einige Begleitaspekte, z.B. Scham und Hoffnungslosigkeit, wegzunehmen. Worte ermöglichen, daß das Problem identifiziert und definiert wird als ein begrenztes Problem mit bezwingbaren Teilen. Einer der größten Vorteile eines gut ausgebildeten Therapeuten mit Wahrnehmungsvermögen ist die Fähigkeit, die wunden Punkte des Betroffenen zu erkennen. Jeder hat sich selbst gegenüber solche Verständnislücken, die entweder von einer langjährigen, starren Weltanschauung oder von der unbewußten Vermeidung von persönlich furchterregenden Dingen stammen. Der Therapeut kann dem Betroffenen helfen, nicht nur diesen psychologischen Schutz oder die Abwehrmechanismen erkennen zu können, sondern auch einen sicheren Platz anbieten, sich diesen Mechanismen zu stellen und sie zu verändern. Sich zu öffnen, ist nicht nur bei einem Therapeuten wichtig, um den Heilungsweg beschreiten zu können. Wahre Vertrautheit mit anderen Personen ist bei Trichotillomanie fast immer beeinträchtigt. Sobald Selbstanerkennung eingetreten ist, kann man damit anfangen, die ganzen Gefühle und Emotionen zu offenbaren und sich einem anderen ohne hemmende Angst zu öffnen. Die Gespräche, die in einer Therapie stattfinden, können helfen die Brücke zu anderen zu begehen. PERFEKTIONISMUS Obwohl eine Verknüpfung zwischen Trichotillomanie und irgendwelchen anderen Persönlichkeitsmerkmalen wissenschaftlich nicht belegt ist, scheint Perfektionismus außerordentlich häufig vorzukommen und ist in vielen Aspekten oft eine großes Hindernis zur Überwindung. Ein übliches Problem ist die falsche Überzeugung, daß um das Haareausreißen unterbinden zu können, müssen alle Dränge zum Rupfen gänzlich aufhören. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß der Drang vollkommen verschwinden wird. Obwohl man versuchen kann, den Drang in Grenzen zu halten (z.B. durch Medikamente oder ganz allmählich nach einiger Zeit mit einer relativen Abstinenz vom Ausreißen) ist das Hauptziel, den Drang auf eine andere Weise zu beherrschen. Es ist manchmal ein großer Sprung im Überwindungsprozeß, wenn der Betroffene begreift, daß er die Haare nicht jedesmal, wenn er den Drang danach spürt, ausreißen muß. Noch eine Bedrohung der Überwindung kann auftauchen, wenn man eine Zeitlang Erfolg beim Nichtausreißen hat und dann einen Rückschlag erlebt. Der Perfektionist denkt "entweder ganz oder gar nicht" und möchte somit alles aufgeben. Praktisch alle, die Erfolge im Überwindungsprozeß erzielt haben, erleben Rückfälle - vielleicht während Zeiten mit großem Streß oder Krankheit. Es ist schwer für viele, nicht zu verzweifeln und sich wieder am Anfang zu sein zu fühlen. Eine Stunde Ausreißen kann den totalen Verlust von hart verdienten Wimpern oder Brauen bedeuten - eine schlechte Woche kann mit einer großen kahlen Stelle am Kopf ausgehen. Die Menge Haare, die man zu einer beliebigen Zeit auf dem Kopf hat, ist nicht synonym mit dem Stand der Überwindung. Es ist sehr wichtig, sich klarzumachen, daß die ganzen erlernten Strategien gegen das Haareausreißen nicht in dieser Stunde oder Woche verloren gehen. Jeder Rückfall ist einfach eine neue Herausforderung, der man sich stellen muß. Das Erkennen auf Versuchsbasis, daß z.B. die Zeiten vor der Menstruation (PMS) oder vor Examen außergewöhnlich schwierig sind und können zu einem Verlust der Kontrolle führen, gibt einem die Chance, die geübten Techniken oder Medikamente zu erweitern. Wenn die Haare wieder anfangen zu wachsen, kann noch ein Hindernis vorkommen. Die Haare werden zwangsläufig ungerade, unsymmetrisch, stoppelig, grau oder in irgendeiner Weise störend sein. Diese Haare sind eigentlich für viele schlechthin der Auslöser für das Ausreißen. Der Drang wird dann stärker als sonst und die Neigung, diese "falschen" Haare anzusehen oder anzufühlen muß zugunsten einer anderen Wahrnehmung vermieden werden. Einige Techniken, die auf den Betroffenen abgestimmt sind, können dann angewendet werden. Zum Beispiel eine Person, die Symmetrie verlangt, sollte sich an Asymmetrie an verschiedenen Stellen gewöhnen, um die Asymmetrie - sehr oft bei Wimpern und Brauen - tolerieren zu können. Anstatt alle Unvollkommenheiten am Kopf zu verstecken, - was oft mit viel Zeitaufwand gemacht wird, ist das Üben, absichtlich imperfekt auszusehen und das Erlebnis, wie unwichtig diese Unvollkommenheiten im Leben wirklich sind, eine sehr große Hilfe. Dies soll in hierarchischen Schritten gemacht werden: zuerst die unwichtigsten Unvollkommenheiten für den Patienten, und zuletzt die schwersten Offenbarungen. Die Überwindung von Trichotillomanie ist in der Tat ein komplizierter Prozeß, beladen mit Barrieren - versteckten oder offenen, echten oder eingebildeten. Erforderlich sind im allgemeinen, sich selbst Zeit zu lassen, Mühe, Unterstützung und Geduld. Wie sieht jemand aus, der mit dem Haareausreißen aufgehört hat? Wie ein Mann oder eine Frau mit unvollkommenen Haaren, mit dem Drang auszureißen, vielleicht mit Anfällen vom Ausreißen, mit gesunden Beziehungen und einem positiven Selbstverständnis und Identität als ein vollkommener, wertvoller Mensch. PHASEN DER ÜBERWINDUNG SICH SELBST ALS VOLLKOMMENER MENSCH ZU SEHEN TROTZ HAAREAUSREISSENS Volles Identitätsbewußtsein außerhalb des Haareausreißens und Verlustes kann fehlen. Betroffene könnten ein sehr verzerrtes Selbstverständnis haben, bei dem Entstellung, Schwäche und Versagen einen Schatten über die eigene Persönlichkeit werfen. Wie jemand mit einer Eßstörung nur die Fettheit sieht, neigt ein Haareausreißer dazu, nur die kahlen Stellen zu sehen. Obwohl diese Verzerrung keineswegs mit Body Dysmorphic Disorder (BDD - zu Deutsch: körperdysmorphophobe Störung) zu vergleichen ist, richtet sich das Augenmerk eher auf die Unvollkommenheiten und das, was fehlt, anstatt dessen, was da ist. Feedback von einem Therapeuten, Freunden und Mitbetroffenen könnten einigermaßen zu einer Normalisierung des Selbstverständnisses beitragen. Übungen in Selbstidentifizierung (wer bin ich, vom Haareausreißen abgesehen?) können dazu verhelfen, die Störung zu relativieren. AUFHÖREN MIT LÜGEN UND VERSTECKEN Dies ist nicht synonym mit einem Verbot, Perücken zu tragen, sich zu schminken und sich sonst zu verkleiden. Emotionale Öffnung und aufrichtige Vertrautheit gegenüber anderen ist das langfristige Ziel kennzeichnend für manche eigenartigen Merkmale von Trichotillomanie. EINSTELLUNG VON HAARBEZOGENEN TÄTIGKEITEN Viel Zeit und Mühe werden für die Feststellung von Haarverlust und -wuchs verschwendet. Während des Überwindungsprozesses gehört häufige Kontrolle - wie das tägliche Wiegen bei Eßstörungen - lediglich zu der ungesunden Besessenheit mit etwas, das man nicht direkt beeinflussen kann. Übung: Bilden Sie sich folgendes ein: Was, wenn bei jedem Haarausriß das Haar sofort nachwachsen würde? Was, wenn Sie für den Rest Ihres Lebens mit dem Haarausreißen ganz aufhörten und keine Haare wüchsen nach? Die Betonung und das Augenmerk auf die Überwindungsmethoden ist wichtig, nicht auf Haarwuchs. SCHAMVERMINDERUNG Es kann hilfreich sein, Aufmerksamkeit auf traumatisch verursachte Verluste der Selbstachtung zu steigern. Z.B. für das Ausreißen getadelt zu werden, von Therapeuten, Mitschülern und Familie gedemütigt worden zu sein, und der Scham verbunden mit Kontrollverlust. Ein Aspekt der Scham ist das Gefühl von Ekel, das manche zu ihren Haaren haben (sobald das Haar ausgerupft ist) und die Vermutung, daß andere sie auch ekelig finden werden. Ein Therapeut, der jedes Verhalten kennt, z.B. das kauen von Schamhaaren, der ohne Ekel reagiert und den Betroffenen als eine liebevolle und wertvolle Person sieht, kann den Prozeß der Umwandlung der Selbstachtung fördern. Die Gelegenheit, andere Personen kennenzulernen - zusehen, daß sie nicht ekelig und vielleicht genau so wichtig sind, lachen zu können über die bis dahin geheimen Aspekte der eigenen Trichotillomanie ist eine befreiende Erfahrung. ISOLATIONSVERMINDERUNG Das Haareausreißen ist ein einsames, stilles, isolierendes Verhalten. Diese Intimsphäre zu durchbrechen, kann eine echte Herausforderung sein. Eine Therapie selbst ist ein Schritt; ein Unterstützungskreis ist ein weiterer. Wenn der Therapeut und der Haareausreißer sich beide der Tendenz bewußt sind, bei Rückfällen sich isolieren zu wollen, können präventive Strategien vorher gemeinsam ausgearbeitet werden, die unterstützende Personen miteinbeziehen. Die Tendenz andere Menschen während eines Haareausreißanfalles abzustoßen - wobei eine akute Notwendigkeit während dieser Zeit besteht gerade diese Menschen um Unterstützung zu bitten - muß vorher berücksichtigt sein. VERMINDERUNG DER ANSÄTZE ZUM HAAREAUSREISSEN UND DES HAAREAUSREISSENS Habit Reversal Training (HRT - zu Deutsch: Systematische Abgewöhnung) bietet Überwindungsmöglichkeiten den Trichotillomanie-Zyklus zu unterbrechen. Weil Betroffene sehr oft Mißerfolge bei den eigenen Versuchen erlebt haben, könnte eine Menge Überzeugungskraft gefragt sein, daß diese Methode anders sein wird. Wenn man Erfolge erlebt, tendiert man dazu, die Rückfälle als völliges Versagen dieser Technik zu empfinden. Es kommt vielen Menschen vor, daß man bei den immer wiederkehrenden Neujahrsvorsätzen wegen der eigenen "Schwäche" versagt hat. Diesen Gefühlen kann eine richtige Flutwelle von Scham, Vermeidung, Verbergung (auch vorm Therapeuten!) und Hoffnungslosigkeit folgen. Eines der Erfolgsrezepte für HRT ist die Erkenntnis, daß Rückfälle vorprogrammiert sind, die aber keineswegs bedeuten, daß man wieder am Anfang steht - auch wenn die nachgewachsenen Haare wieder verloren sind. In den meisten Fällen wird eine Standardvorgehensweise beim HRT nicht funktionieren. Kreative Individualisierung eines Verhaltensprogramms unter Anwendung detaillierter Kenntnisse des Verhaltens ist meistens notwendig am Anfang. Später sind Modifizierungen nötig, um künftige Rückschläge zu verhindern. Dies könnte die Anwendung neuartiger Medikamente sowie modifizierter Verhaltenstechniken erfordern. (Z.B. zyklische Einnahme von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern Haareausreißen beim Schlafengehen, (SSRI) bei PMS, Schlafmittel Cortison zur äußeren gegen Anwendung bei Verschorfungen und Jucken oder Benzodiazepine für streßbedingte Unruhe.) VERMINDERUNG DES ZWANGS ZUM RUPFEN HRT und das Nichtrupfen allein könnten dem Rupfzwang erheblich entgegenwirken. Aber nicht immer und nicht für alle. Wenn ein Betroffener aufhört, allerdings mit extremer Verkrampfung, wird die Energie hier höchstwahrscheinlich nicht aufrechterhalten werden können. Das ganze Konzept "Drang" muß näher untersucht werden, und dies kann vielerorts und auf vielerlei Weise wahrgenommen werden. Z.B. Kribbeln, Jucken oder "Sehnsucht" nach einer Stelle zum Ausreißen; ein zuckartiger Impuls des Armes oder ein Zwangsgedanke. Jede Art von Drang - und jeder Patient kann mehrere haben - erfordert eine eigene Behandlung. EINSTELLUNG VON VERMEIDUNGSVERHALTEN Selbst wenn Haare nachwachsen, verschwinden die gewohnten Einschränkungen der Aktivitäten nicht immer spontan. Beispiele: Körperliche und gesellschaftliche Aktivitäten und körperliche und emotionale Nähe. VERMINDERUNG VON ZERSTÖRERISCHEM PERFEKTIONISMUS Perfektionismus kann zum Ausreißdrang führen, z.B. das Verlangen nach Symmetrie oder Glätte. Die Duldung des groben, asymmetrischen und multi-direktionalen Haarwuchses könnte geübt werden müssen, um zu desensibilisiern, in ähnlicher Weise, wie zwanghafte Ordentlichkeit behandelt wird. Der Alles-oder-Nichts-Perfektionismus könnte Erfolgsfortschritte stören. So wie ein Alles-oder-Nichts-Vorgehen bei einer Diät kann ein HaarausreißVorfall zu einem richtigen Anfall führen. MEDIKAMENTE FÜR TRICHOTILLOMANIE Arzneien sind als Behandlung für Trichotillomanie überverkauft worden: Es gibt keine einzige Gruppe von Medikamenten, die sich in gewissem Maße oder für eine gewisse Gruppe von Betroffenen als eindeutig erfolgreich bei der Behandlung von Trichotillomanie herausgestellt hat - oder für eine gewisse Zeit. Zahlreiche Medikamente haben einer kleinen Prozentzahl von Leuten geholfen, aber in den meisten Einzelfällen weiß man nicht, ob sie von vornherein wirksamer sind als andere. Dies unterscheidet Trichotillomanie von anderen von Psychiatern behandelten neurobiologischen Störungen wie Depression und Zwangserkrankungen. Medikamente sind kein spezifisches Rezept für Trichotillomanie. Obwohl eine spezifische Abnormalität im biochemischen Zustand des Nervensystems von Haareausreißern möglich ist, ist es unwahrscheinlich - jedenfalls wir haben es noch nicht gefunden. Vermutungen über Trichotillomanie führen zu schlechter Handhabung mit Medikamenten: Die häufigste ist, daß Trichotillomanie biologisch mit Zwangserkrankung verwandt sei. Es gibt wenig Beweis hierfür und mehr, daß sie [Trich] nicht mit Zwangserkrankung verwandt ist. Die Folge: wenn man einen Hammer hat, dann sieht alles wie Nägel aus: Wenn Sie einen Schraubenzieher für einen Nagel halten, werden Sie ihn immer kräftiger hämmern, bis er verbogen ist, und dann geben Sie auf. Einige der häufigsten von Behandelnden begangenen Fehler: − Kein Versuch, die Störung zuerst mit Verhaltenstherapie zu behandeln, selbst wenn der Betroffene sonst psychiatrisch gesund ist. − Zu hohe Erwartung in Medikamente stecken, insbesondere in SSRI für die Behandlung von Trichotillomanie. Dies führt zu einigen Problemen: z.B. − Die Dosierungen werden immer wieder erhöht, ein 2. Medikament wird hinzugefügt und unnötige Nebenwirkungen sind oft die Folge. − Vier oder fünf ähnliche Arzneien in der gleichen Kategorie werden versucht, bevor man sich für etwas anderes entscheidet, was Zeit, Energie und Hoffnung verschwendet. − Da Betroffene normalerweise die Hoffnung aufgegeben haben, das Leiden je zu überwinden, neigen sie dazu, noch tiefer denn je entmutigt zu werden, wenn eine sicher fundierte Behandlung versagt. − Der Therapeut wird frustriert und gibt dem Patienten zu verstehen, daß seine Trichotillomanie zu schwer zu behandeln sei, was zu mehr Hoffnungslosigkeit und Scham führt. − Keine Kriterien werden aufgestellt, ob die medikamentöse Behandlung hilfreich ist, also werden die richtigen Fragen nicht gestellt, wie z.B. hilft es gegen eine Begleiterkrankung wie Angst oder Depressionen? Hilft es beim Abbau von heftigem Drang oder bei der Steigerung des Bewußtseins? Irgendwelche von diesen Wirkungen allein können die Einnahme von Medikamenten lohnend machen, wenn Verhaltenstherapie mit mehr Erfolg angewandt werden kann. Man kann nicht von einem Betroffenen erwarten, daß er diese Rückäußerung spontan von sich gibt, wenn er sich so auf die ausgerissene Haarmenge konzentriert. Da es keine spezifische medikamentöse Behandlung für Trichotillomanie gibt, besteht ein rationales Vorgehen darin, jede Begleiterkrankung zu behandeln und zu beobachten, ob eine Verbesserung des Haareausreißens eintritt. Beispiele von für andere Krankheiten gedachten Medikamenten, die auch einigen Trich-Betroffenen bei der Verminderung vom Haareausreißen geholfen haben, sind folgende: Zwangserkrankungen - SSRI, z.B. Fluoxetin, Clomipramin, Paroxetin, Fluvoxamin oder Sertralin. Einige sprechen auf MAO-Hemmer an. Depressionen - SSRI, Buproprion, Nefazedon oder trizyklische Antidepressiva und MAOHemmer. Generelle Angstzustände - Benzodiazepine oder Serotoninantagonisten, z.B.Buspiron. Hyperaktivität - Amphetamine, z.B. Clonidin, Antihypertonikum. Tourette Syndrom - Neuroleptika. Bipolare Störung - Lithium or Valproinsäure. Verschiedene Aspekte in der medikamentösen Behandlung von Trichotillomanie: Bei bestimmten Personen können bestimmte Medikamente das Haareausreißen verschlechtern, genauso wie bei Koffein. Alles, was körperliche Spannung erhöhen könnte, könnte die Nebenwirkungen verschlimmern. Dazu gehören SSRIs, Amphetamine und Schilddrüsenmedikamente - besonders wenn zu schnell eingesetzt. Die Nichtwarnung davor könnte die Arzt-Patient-Beziehung beeinträchtigen! Cortison zur äußeren Anwendung bei Hautjucken, kribbelnder Rauhheit der Kopfhaut, Schuppen oder Schorf könnte helfen. Rezeptfreie Präparate wie z.B. Pfefferminze oder Teershampoo oder wohltuende Augensalben (für Wimpern) sind in manchen Fällen nützlich. Entscheidungsschema für die medikamentöse Behandlung von Trichotillomanie: Übersetzt von Ann Tomica