Mammakarzinom bei der betagten Patientin

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HÄMATOLOGIE & ONKOLOGIE
REFERAT
Mammakarzinom
bei der betagten Patientin
Die Behandlung älterer Brustkrebspatientinnen rückt zunehmend in den
Fokus des Interesses. Die Gruppe der über Achtzigjährigen ist die am
schnellsten wachsende Subgruppe der Mammakarzinompatientinnen.
Die Behandlung dieser Hochbetagten setzt ein besonderes Verständnis
für die Lebenssituation dieser Frauen voraus und erfordert von den
behandelnden Ärzten ein hohes Mass an fachlicher und menschlicher
Kompetenz.
Die Sichtweisen onkologisch tätiger
Ärzte bei der Behandlung älterer Brustkrebspatientinnen entsprechen häufig
nicht den in der Geriatrie etablierten
Betreuungskonzepten. Das unterschiedliche Verständnis beider Disziplinen äussert sich nicht selten bereits
in einer kaum kompatiblen Nomenklatur. In Zukunft wird es nötig sein, eine
gemeinsame Sprache zu finden, um alterstypische Lebensund
Therapiekonstellationen in Forschung und Literatur
adäquater abzubilden
und Behandlungsphilosophien zu etablieren, die den speziellen
Bedürfnissen
hochbetagter Patientinnen entsprechen.
Wie alt muss man sein,
um alt zu sein?
Die Datenlage zur Brustkrebstherapie
bei Älteren ist schon dadurch häufig
schwer überschaubar, weil es keine einheitliche Definition dazu gibt, was eine
„ältere Patientin“ eigentlich ist1 („how
old is old?“2) bzw. wo die Grenze zwischen jüngeren und älteren Patientinnen zu setzen ist. Einige Autoren
legen diese bereits bei 55 Jahren fest;3
diese Altersangabe unterscheidet etwa
prämenopausale (jüngere) und postmeI Seite 28
nopausale (ältere) Patientinnen, was
in Bezug auf eine oft hormonabhängige/hormonsensible Erkrankung auch
Sinn macht. Häufiger verwendete Altersgrenzen liegen bei 65 oder 70 Jahren.4–10 Diese mögen demografisch begründbar sein (z.B. Eintritt ins Rentenalter). Auch mögen sie eine gewisse
Berechtigung aus der Sicht eines Onkologen haben, der die Therapiefähig-
entin. Selbst eine 65- oder 70-jährige
Patientin ist weit von der Spitze der
Alterspyramide einer Mammakarzinomkohorte entfernt; diese Frauen
sind keine „älteren Brustkrebspatientinnen“, sie sind „Standardpatientinnen“.
Wenn man sich im Weiteren fragt,
was eine „ältere Patientin“ tatsächlich ausmacht, so ist dies am ehesten
das Vorliegen kumulierter altersbedingter
bzw. alterstypischer
„Insgesamt darf man konstatieren, dass das evidenzbasierte Wissen vieler onkologisch tätiger Ärzte zum
funktioneller
EinThema ‚Brustkrebs bei älteren Patientinnen‘ von Stuschränkungen; eine
dien geprägt ist, welche tatsächlich alte Patientinnen
ausgeprägte Multigar nicht oder kaum berücksichtigt haben. Dies
morbidität wird als
muss in der Interpretation der Daten stets beachtet
„Altersgebrechlichwerden.“
keit“ oder „frailty“
U. Güth, Winterthur
Man
bezeichnet.11
muss nicht speziell
keit einer Patientin in Bezug auf eine darauf hinweisen, dass diese nicht
geplante Chemotherapie prüft. Wenn zwingend mit dem chronologischen
man sich dagegen die Altersverteilung Alter eines Menschen korreliert. Hier
einer Kohorte von Mammakarzinom- ist vielmehr das biologische Alter der
patientinnen vor Augen führt, wird Patientin von Bedeutung. Zur besseren
rasch deutlich, dass keine dieser Defi- Abschätzung dieses biologischen Alters
nitionen wirklich Sinn macht.
wurden geriatrische AssessmentverfahIn der Schweiz liegt das mittlere Alter ren entwickelt, die Ärzte darin unterder Brustkrebspatientinnen zum Zeit- stützen können, bei Krebserkrankunpunkt der Erstdiagnose bei Anfang 60 gen Sinnhaftigkeit und Zumutbarkeit
(in der Basler Mammakarzinom-Da- onkologischer Therapien besser eintenbank bei 61 Jahren). Eine 55-jäh- zuschätzen.12 In eine solche Begutachrige Brustkrebspatientin wäre somit tung fliessen vielfältige Einflussfaktoetwa sechs Jahre jünger als die (bezo- ren ein: somatische Komorbiditäten,
gen auf ihr Alter) Durchschnittspati- Ernährungsstatus, Mobilität, KontiHämatologie & Onkologie 5/13
HÄMATOLOGIE & ONKOLOGIE
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nenz, Seh- und Hörvermögen, die Aufrechterhaltung von Aktivitäten des täglichen Lebens, kognitive Fähigkeiten,
die psychische und emotionale Verfassung, familiäre Bindungen und soziale
Kontakte.
Wenn man sich einen imaginären älteren Menschen, der üblicherweise zunehmend mit Einschränkungen in Bezug auf viele der gerade genannten
Faktoren leben muss, vor Augen führt,
so wird rasch klar, dass 50- bis 65-jährige Patientinnen nur selten als „alt“
bezeichnet werden können; in westlichen Ländern führen heute sogar viele
Menschen im achten Lebensjahrzehnt
(70–80 Jahre) ein aktives Leben in gutem Gesundheitszustand. Wenn man
dagegen die Fachliteratur anschaut, die
sich explizit mit dem Thema der älteren Brustkrebspatientin befasst, wird
deutlich, dass viele einflussreiche und
viel zitierte Studien Patientinnengruppen untersucht haben, die im Wesentlichen in ihrer siebten und achten Lebensdekade standen (60–79 Jahre alt).
Die unzweifelhaft „alten“ Patientinnen
dagegen – wir möchten diese Gruppe
als die Patientinnen ansehen, die bei
Erstdiagnose der Erkrankung älter als
80 Jahre sind – wurden entweder
gar nicht berücksichtigt oder machten
nur vernachlässigbar kleine Subgruppen der jeweils untersuchten Kohorten aus.4–10, 13 Studien, die den Fokus
speziell auf die Patientinnen legen, die
mit einem Erkrankungsalter von ≥80
Jahren die ältesten 10% einer Brustkrebskohorte bilden, sind dagegen vergleichsweise selten.8, 14–17
Insgesamt darf man konstatieren, dass
das evidenzbasierte Wissen vieler onkologisch tätiger Ärzte zum Thema
„Brustkrebs bei älteren Patientinnen“
von Studien geprägt ist, welche die tatsächlich alten Patientinnen gar nicht
oder kaum berücksichtigt haben. Dies
muss in der Interpretation der Daten
stets beachtet werden.
Rezente Arbeiten der
Basler/Winterthurer Arbeitsgruppe zum Thema
In zwei jüngst publizierten Arbeiten
unserer Basler/Winterthurer Arbeitsgruppe wurde die Gruppe der hochbetagten Patientinnen in den Fokus des
5/13 Hämatologie & Onkologie
56–66 Jahre
n=372 (%)
≥80 Jahre
n=151 (%)
61,0
84,3
18 (0–220)
25 (2–220)
<0,001
211 (56,8)
125 (33,6)
20 (5,4)
11 (2,9)
5 (1,3)
58 (38,4)
61 (40,4)
10 (6,6)
20 (13,3)
2 (1,3)
<0,001
TNM-Stadium (AJCC/UICC)
I
II
III
IV
164 (44,1)
135 (36,3)
53 (14,2)
20 (5,4)
47
61
25
18
(31,1)
(40,4)
(16,6)
(11,9)
0,008
Histologischer Subtyp
Duktal invasiv
Lobulär invasiv
Seltene Subtypen
269 (72,3)
63 (16,9)
40 (10,8)
107 (70,9)
26 (17,2)
18 (11,9)
0,75
Grading
G1/2
G3
Keine Angaben
214 (59,8)
144 (40,2)
14
87 (62,1)
53 (37,9)
11
Hormonrezeptorstatus
ER- und PR-positiv
ER- und PR-negativ
Keine Angaben
225 (62,0)
51 (14,1)
9
94 (65,7)
27 (18,8)
8
HER2-Status (Zeitraum: 2002–2009)
Positiv
„Tripelnegativ”
Keine Angaben
n=169 (%)
25 (14,9)
17 (10,1)
2
n=81 (%)
15 (18,8)
10 (12,5)
1
Variable
Durchschnittsalter
Tumorgrösse1, 2
Median [mm] (range)
Tumorkategorie
T1
T2
T3
T4b
T4d (inflammatorisches Karzinom)
p-Wert
<0,001
0,015
0,68
0,47
0,17
0,46
0,66
ER: Östrogenrezeptor; PR: Progesteronrezeptor
Tab. 1: Vergleich klinisch-pathologischer Daten einer Mammakarzinomkohorte hochbetagter Patientinnen
(bei der Erstdiagnose der Erkrankung ≥80 Jahre) mit einer Standard-Vergleichsgruppe (56–66 Jahre)
Interesses gestellt.14, 17 Aus der prospektiven Basler MammakarzinomDatenbank, die alle an der Universitäts-Frauenklinik Basel über einen
Zeitraum von zwanzig Jahren (1990–
2009) erstdiagnostizierten Mammakarzinompatientinnen erfasst, wurden
die Patientinnen evaluiert, die bei ihrer Ersterkrankung 80 Jahre oder älter
waren (n=151; Durchschnittsalter 84,3
Jahre, Range 80–95 Jahre; 10,3% der
Gesamtkohorte aller in der Datenbank
erfassten Patientinnen). Diagnostik,
Tumorcharakteristika, Behandlungsmuster in der adjuvanten und palliativen Situation und Outcome dieser Patientinnen wurden mit einer Standardkohorte von Patientinnen verglichen.
Diese war über ihr Erkrankungsalter definiert: ±5 Jahre ausgehend vom
medianen Alter aller in der Datenbank
erfassten Patientinnen (n=372; Durchschnittsalter 61,0 Jahre, Range 56–66
Jahre; 24,9% der Gesamtkohorte aller in der Datenbank erfassten Patientinnen, 36.–60. Altersperzentile).
Im Vergleich der beiden Studiengruppen wies die Gruppe der Hochbetagten bei der Erstdiagnose der Erkrankung grössere Tumoren auf (mediane
Grösse: 25mm vs. 18mm; p<0,001;
T1: 38,4% vs. 56,8%; p<0,001;
Tab. 1). Die Patientinnen zeigten auch
häufiger grosse Tumoren mit nicht
inflammatorischer Hautbeteiligung
(T4b: 13,3% vs. 2,9%; p<0,001). Die
bei älteren Patientinnen beobachteten
ausgedehnten Tumorgrössen schlugen
sich auch in der TNM-Stadien-Verteilung nieder. Hochbetagte Brustkrebspatientinnen wiesen seltener ein Frühstadium (Stadium I: 31,1% vs. 44,1%;
p=0,008) und häufiger ein bereits bei
der Erstdiagnose inkurables Stadium
mit Fernmetastasierung auf (Stadium
IV: 11,9% vs. 5,4%; p=0,015).
Seite 29 I
HÄMATOLOGIE & ONKOLOGIE
Der Hausarzt: die zentrale
Person in Diagnostik, Therapie
und Nachsorge betagter Brustkrebspatientinnen
Variable
Detektionsmethode
Selbstuntersuchung
Körperliche Untersuchung durch Arzt
Radiologische Standardverfahren
(Mammografie oder Ultraschall)
Andere Methode
Keine Angaben
Follow-up-Status
Lebt, kein Anhalt für Mammakarzinom
Lebt mit metastatischer Erkrankung
Gestorben am Mammakarzinom
Gestorben, andere Ursachen
„Lost to follow-up“
56–66 Jahre
n=372 (%)
≥80 Jahre
n=151 (%)
p-Wert
190 (52,0)
62 (17,0)
109 (29,9)
69 (47,9)
56 (38,9)
15 (10,4)
0,43
<0,001
<0,001
4 (1,1)
7
4 (2,8)
7
244 (65,6)
7 (1,9)
80 (21,5)
37 (9,9)
4 (1,1)
50
5
32
63
1
(33,1)
(3,3)
(21,2)
(41,7)
(0,7)
<0,001
0,19
1,00
<0,001
Tab. 2: Tumordiagnostik und Outcome
wert, dass Allgemeinpraktiker, welche
betagte und häufig multimorbide Patientinnen (mit entsprechend häufigen
ärztlichen Konsultationen) betreuen,
einmal jährlich eine Palpationsuntersuchung der Brust vornehmen. Diese
ist einfach und schnell durchführbar.
Diese Untersuchung kann zwar kleine
Tumoren (<2cm) nicht zuverlässig aufdecken, die Entwicklung grösserer Tumoren (in unserer Kohorte wiesen ca.
20% der älteren Patientinnen Tumoren mit einer Ausdehnung >5cm auf)
sollte so aber meistens vermieden werden können.
Der Hausarzt ist aber nicht nur eine
wichtige Instanz in der Erkennung eines Mammakarzinoms. Er stellt mit
der Überweisung in ein Brustzentrum
auch die entscheidenden Weichen für
eine weitere adäquate onkologische
Therapie.
Darüber hinaus lassen viele ältere Patientinnen die Nachsorge nicht in spezialisierten Zentren/Praxen vornehmen, sondern legen diese lieber in die
Hände des ihnen vertrauten Hausarztes. Eine adjuvante endokrine Therapie mit Tamoxifen oder einem Aromatasehemmer wird in den meisten Fällen vom Hausarzt begleitet. Im Basler
Kollektiv der bei der Erstdiagnose der
Erkrankung über Achtzigjährigen war
dies bei etwa 54% der Patientinnen
der Fall (bei 60- bis 79-jährigen Patientinnen lag die „Hausarztrate“ dagegen nur bei etwa 24%).14 Eine gute
und vertrauensvolle Zusammenarbeit
zwischen Hausärzten und Brustzentren ist daher eine unverzichtbare Voraussetzung für die adäquate Betreuung älterer Mammakarzinompatientinnen.20, 21 Nach Erfahrung des Autors (Vertreter des Brustzentrums) ist
© U. Güth
Ausgedehnte Tumorgrössen und -stadien haben unter anderem auch mit
der Art und Weise zu tun, mit der bei
älteren Frauen Brusttumoren diagnostiziert werden. Diese unterziehen sich
nur noch selten radiologischen Früherkennungsuntersuchungen (in unserer Kohorte wurden nur etwa 10% der
Karzinome durch radiologische Standarduntersuchungen wie Mammografie oder Mammasonografie gefunden;
Tab. 2), dafür werden die Tumoren
viel häufiger im Rahmen einer körperlichen Untersuchung durch den Arzt
gefunden. Da ältere Frauen viel seltener regelmässige fachgynäkologische
Konsultationen in Anspruch nehmen
und zudem eher dazu neigen, auch bei
grösser werdenden Brusttumoren diese
nicht entsprechend abklären zu lassen, wird deutlich, dass in der Erkennung eines Mammakarzinoms bei älteren Frauen den Hausärzten eine wichtige Rolle zukommt. Die Praxis zeigt,
dass viele Patientinnen, bei denen ein
Mammakarzinom erst mit grossen,
zum Teil exulzerierenden Tumoren diagnostiziert wird (Abb. 1–3), die Veränderungen der Brust bereits über Jahre
bemerkt hatten, ohne jedoch davon so
beunruhigt zu sein, dass ein Arzt deswegen konsultiert wurde.18, 19 Dennoch waren sie regelmässig in ärztlicher Betreuung. Es wäre wünschens-
REFERAT
Abb. 1–3: Ältere Patientinnen mit lokal ausgedehnten Mammakarzinomen
I Seite 30
Hämatologie & Onkologie 5/13
HÄMATOLOGIE & ONKOLOGIE
REFERAT
es nicht selten notwendig, hier Berührungsängste abzubauen. Besonders
Hausärzte, die multimorbide Patientinnen in Alten- und Pflegeheimen betreuen, sind häufig sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, diese ins
Zentrum zu überweisen. Sie befürchten, dass der Mechanismus der „geballten Krankenhauskapazität“ mit
umständlichen Konsultationen bei
wechselnden Ärzten und einer Vielzahl belastender apparativer Untersuchungen von zweifelhaftem Wert
über ihre Patientinnen hereinbricht.
Hier liegt es dann am Brustzentrum,
zu demonstrieren, dass eine kontinuierliche Betreuung durch erfahrene
Ärzte erfolgt, welche mit vernünftigem, die geriatrische Gesamtsituation
berücksichtigendem Augenmass eine
adäquate und für die individuelle Patientin zumutbare onkologische Diagnostik und Therapie einleiten.
„Ältere Menschen haben weniger
aggressive Krebserkrankungen,
die langsamer wachsen“: wenn
Ammenmärchen notwendige und
tolerable Therapien verhindern
Eine wichtige Aufgabe in der Kommunikation zwischen hochbetagten Patientinnen, ihren Angehörigen und Betreuenden auf der einen und onkologisch tätigen Ärzten auf der anderen
Seite besteht darin, Missverständnisse
und Vorurteile bezüglich der biologischen Entität einer Brustkrebserkrankung und der zur Verfügung stehenden Therapien abzubauen. Insbesondere sollte sichergestellt werden, dass
den Patientinnen für sie wirksame und
dennoch gut tolerable Therapieformen
nicht aufgrund von falschen Annahmen vorenthalten werden.
Eine „klassische“ Fehlannahme, zumindest beim Mammakarzinom, ist
die allgemein verbreitete These, dass
Krebserkrankungen bei älteren Patientinnen langsamer verlaufen, da die
Tumorzellen weniger aggressiv seien.
Man kann nur schwer einschätzen,
inwieweit dieses Ammenmärchen (gemeint ist damit eine nicht bewiesene
oder gar nachweislich falsche Binsenweisheit, die dennoch als allgemein anerkannt von Generation zu Generation
weitergegeben wird) zur Unterlassung
5/13 Hämatologie & Onkologie
Variable
56–66 Jahre
≥80 Jahre
p-Wert
Bestrahlung nach BET
Nicht empfohlen, Grund: schwere
Komorbidität
Compliance
Bestrahlung empfohlen
Bestrahlung nicht erfolgt, Patientin vor
geplanter Therapie verstorben
Bestrahlung durchgeführt
Non-Compliance: Pat. verweigert die
empfohlene Bestrahlung
BET, n=211
(%)
3 (1,4)
BET, n=53
(%)
4 (7,5)
0,031
n=208 (%)
1
193 (93,2)
n=49 (%)
25 (51,0)
14 (6,8)
24 (49,0)
Systemische Therapie
Keine
Nur Chemotherapie
Nur endokrine Therapie
Chemotherapie + endokrine Therapie
Keine Angaben
n=352 (%)
61 (17,3)
24 (6,8)
195 (55,4)
58 (16,5)
1
n=124 (%)
52 (41,9)
1 (0,8)
68 (54,8)
1 (0,8)
-
<0,001
<0,001
CT: <0,001
ET: 0,75
BET: brusterhaltende Therapie
Tab. 3: Adjuvante Therapie
einer adäquaten Brustkrebsbehandlung
führt. Die Praxis lehrt, dass viele ältere
Patientinnen Therapievorschläge genau mit dieser Begründung abwehren
(„Herr Doktor, muss man denn in meinem Alter noch operieren? Der Krebs
wächst bei uns Älteren doch langsamer“). Hier kommt auch zum Ausdruck, dass viele alte Patienten dazu
tendieren, eine Krebserkrankung zu
verdrängen oder zu bagatellisieren. Es
ist unklar, inwieweit fehlerhafte Annahmen über die Natur einer Brustkrebserkrankung dazu führen, dass
auch Hausärzte mit gegenüber onkologischen Behandlungen eher skeptischen Patientinnen eine Übereinkunft
dahingehend treffen, diese weniger
konsequent abzuklären/zu behandeln
und erst einmal den natürlichen Verlauf abzuwarten.
Unsere Schweizer Daten zeigen, ähnlich wie die von Schonberg et al vorgelegte Analyse der US-amerikanischen
SEER-Datenbank,8 dass im Vergleich
zu einer Standardkohorte jüngerer
Brustkrebspatientinnen (bei der Erstdiagnose 56- bis 66-jährige Frauen)
die Tumoren bei älteren Mammakarzinompatientinnen (≥80 Jahre) ähnlich aggressiv sind, d.h. keine signifikanten Unterschiede in therapie- und
prognoserelevanten Tumorcharakteristika bestehen (histologischer Subtyp, Grading, Hormonrezeptorstatus,
HER2-Status; Tab. 1).17 Ihre Erkrankung wird aber vielfach weniger konsequent behandelt. Ein Blick auf das
Outcome beider Gruppen bestätigt,
dass eine Brustkrebserkrankung bei
Älteren keineswegs seltener tödlich
verläuft. Die prozentualen Anteile der
Patientinnen, die am Mammakarzinom gestorben sind, sind nahezu identisch (≥80 Jahre: 21,2%; 56–66 Jahre:
21,5%; Tab. 2). Hier muss dann aber
noch berücksichtigt werden, dass in
der Gruppe der Hochbetagten eine
Vielzahl von Patientinnen (41,7%) an
anderen Erkrankungen gestorben ist,
d.h., dass vermutlich nur die insgesamt ohnehin geringe Lebenserwartung eine höhere Brustkrebssterblichkeit verhindert hat.
Auch ein Blick auf die palliative Situation unterstützt nicht die landläufige
These, dass eine Krebserkrankung bei
Älteren weniger aggressiv verläuft; das
Überleben nach Diagnose von Fernmetastasen (metastatic-disease survival)
betrug in der Gruppe der Hochbetagten 11,5 Monate; in der Kontrollgruppe lag es bei 19 Monaten.17
Die These, dass Mammakarzinome bei
älteren Patientinnen weniger aggressive Charakteristika aufweisen, findet
sich durchaus in der Literatur. Eine
vielfach zitierte Studie, von Diab et al
vorgelegt, macht aber die Problematik
der Dateninterpretation deutlich. Diese
Studie verglich die Daten „älterer“ Patientinnen (>55 Jahre!) mit denen jüngerer Patientinnen.3 Es ist unzweifelhaft, dass 80-jährige Patientinnen im
Allgemeinen weniger aggressive Tumoren aufweisen als 35-jährige PatienSeite 31 I
HÄMATOLOGIE & ONKOLOGIE
tinnen. Im Vergleich der 80-jährigen
Patientin mit einer Gruppe von Standardpatientinnen (ca. 55–65 Jahre) lassen sich diese Unterschiede aber nicht
mehr zeigen.
Onkologie und Geriatrie: zwei
Disziplinen mit unterschiedlichem
Ansatz und unterschiedlicher
Sprache? Was heisst eigentlich
„Untertherapie“?
Die onkologische Literatur zum
Thema weist immer wieder darauf
hin, dass viele ältere Mammakarzinompatientinnen nicht die Therapien erhalten, die für jüngere Frauen
als Standard etabliert wurden.8, 16,
22, 23 Der Begriff „Undertreatment“
hat sich landläufig als stereotype Zustandsbeschreibung für die Therapie
älterer Patientinnen im Bewusstsein
vieler Onkologen verankert. Dieser
Begriff, vor allem das Verständnis,
das sich dahinter verbirgt, ist aber
insbesondere für die Therapie hochbetagter Patientinnen nicht unproblematisch, ignoriert er doch zum Teil
Grundprinzipien, welche die Spezialisten auf dem Gebiet der Altersmedizin als essenziell erachten.
Die meisten Autoren, die eine „Untertherapie“ älterer Patientinnen diskutieren, führen diese im Wesentlichen auf die behandelnden Ärzte zurück. Es wäre vermutlich noch relativ
einfach, bei diesen durch konzertierte
Aktionen Überzeugungsarbeit zu leisten, dass Operation, Bestrahlung und
endokrine Behandlung Therapiepfeiler
sind, welche die Prognose der Patientinnen zweifellos verbessern und bei
den meisten hochbetagten Patientinnen
auch sicher anwendbar sind.8, 16, 22
Man muss aber darauf hinweisen, dass
das Nichtdurchführen einer Therapie
nicht immer darauf zurückgeführt werden kann, dass ein Arzt der Patientin
eine Therapie vorenthält. Insbesondere bei Hochbetagten ist eben nicht
die Zurückhaltung des Arztes der entscheidende Faktor, sondern die ablehnende Haltung der Patientin gegenüber
den ihr durchaus empfohlenen Therapien. Unsere Schweizer Daten zeigen,
dass in Bezug auf Strahlentherapie
nach brusterhaltender Therapie und
adjuvanter endokriner Therapie (ET)
I Seite 32
bei hormonrezeptorpositivem Karzinom eine gewisse Zurückhaltung der
Ärzte bestand, diese Optionen hochbetagten Patientinnen zu empfehlen
(Bestrahlung: 7,5%; ET: 12,7%). Auf
der anderen Seite wurde ähnlich häufig (ET: 13,0%) bzw. deutlich häufiger
nicht behandelt (Bestrahlung: 49,0%),
weil Patientinnen die ihnen empfohlenen Therapien nicht durchführen wollten (Tab. 3).17
Die Folgen einer Mammakarzinomtherapie, die nicht alle möglichen und
bei Jüngeren als Standard definierten
Optionen ausnutzt, wurden gut untersucht; es ist nicht verwunderlich,
dass diese zu einer vermehrten Brustkrebsmortalität führt.16, 22 Nochmals
muss man aber darauf hinweisen, dass
die das Image von der „Untertherapie
als Prinzip in der Behandlung älterer
Mammakarzinompatientinnen“ prägende Literatur im Wesentlichen die
„jüngeren Älteren“ untersucht, hochbetagte Patientinnen aber kaum berücksichtigt hat. Es ist unzweifelhaft,
dass der Hinweis auf eine vermeidbare Untertherapie sehr wichtig ist und
dass durch eine entsprechende Korrektur der Praxis Menschenleben gerettet werden. Ein Beispiel in der Therapie einer „jüngeren älteren“ Patientin
macht dies deutlich. Einer ansonsten
altersentsprechend gesunden 72-jährigen Patientin mit einem nodal-positiven, hormonrezeptornegativen Karzinom eine Chemotherapie mit dem alleinigen Hinweis auf ihr Alter vorzuenthalten, erfüllt alle Kriterien einer
Untertherapie:
• Die Therapie ist vermutlich für diese
Patientin trotz ihres Alters gut tolerabel.
• Die Therapie würde die Prognose
deutlich verbessern.
• Man muss davon ausgehen, dass es
der Auftrag dieser Patientin an ihre
behandelnden Ärzte ist, die Therapie mit der höchsten Wahrscheinlichkeit einer Heilung für sie auszuwählen; dafür wird auch die Belastung durch ein gewisses therapieassoziiertes Nebenwirkungsprofil
akzeptiert.
Es stellt sich aber die Frage, ob diese
Kriterien auch im Fall einer 85-jährigen Patientin so Bestand haben:
REFERAT
• Bei einer Kombinationschemotherapie sind bei Hochbetagten in jedem Fall Komplikationen zu erwarten. In ausgesuchten Fällen könnten aber Substanzen zum Einsatz
kommen, die bei vergleichsweise
guter Verträglichkeit einen therapeutischen Benefit erbringen (z.B.
wöchentliche Taxanapplikationen,
weniger kardiotoxische Anthrazykline, Capecitabin, Gemcitabin, Vinorelbin, Herceptin).5
• Ob eine onkologische Therapie tatsächlich die Lebenszeit verlängert,
ist auch abhängig von anderen alterstypischen, nicht onkologischen
Komorbiditäten.
• In vielen Fällen wünschen hochbetagte Patientinnen keine onkologische Therapie bzw. lehnen diese sogar explizit ab.
Der letzte Punkt muss in der Diskussion onkologischer Therapien bei
Hochbetagten besonders berücksichtigt werden. Wenn man den Begriff
„Untertherapie“ einer näheren Prüfung unterzieht, so wird rasch deutlich, dass sich dieser an einer wie
auch immer definierten Referenz, der
„Standardtherapie“, orientiert (tatsächlich existieren für die Gruppe der
hochbetagten Mammakarzinompatientinnen keine eigens auf diese zugeschnittenen evidenzbasierten Guidelines; die ausgesprochenen Therapieempfehlungen extrapolieren Daten
aus Studien, in denen jüngere Patientinnen untersucht wurden). Ein Therapiestandard ist in der Onkologie
üblicherweise evidenzbasiert und impliziert die Therapie, die im Vergleich
zu anderen Therapieoptionen prognostisch günstigere Ergebnisse gezeigt hat; diese wiederum orientieren
sich an „klassischen“ onkologischen
Erfolgsparametern wie dem Gesamtüberleben oder dem krankheitsspezifischen Überleben. Genau an diesen
klassischen quantitativen Prognosefaktoren sind viele ältere Patientinnen
aber primär gar nicht interessiert.
Für diese Patientinnen, die nicht selten mit einer Vielzahl alterstypischer
und, ähnlich wie die neu diagnostizierte Krebserkrankung, potenziell
zum Tode führender Erkrankungen
konfrontiert sind, stehen andere AsHämatologie & Onkologie 5/13
HÄMATOLOGIE & ONKOLOGIE
REFERAT
pekte im Vordergrund: Hier sind vor
allem die Bewahrung der aktuellen
Lebenssituation und die subjektiv von
der Patientin empfundene Lebensqualität zu nennen.24 Viele Patientinnen
fürchten bei anstrengenden Therapien eine Einschränkung ihrer allgemeinen Körperkräfte und damit verbunden auch eine Verminderung ihrer
Autonomie; gefürchtet dabei sind vor
allem der Verlust der eigenen Wohnung und ein Umzug in ein Altersund Pflegeheim. Sie stehen daher vorgeschlagenen Therapieoptionen nicht
selten reserviert bis ablehnend gegenüber („Solange es mir noch gut geht,
möchte ich keine Behandlung“).25
Ärzte, manchmal auch die Angehörigen der Patientinnen sind dann häufig mit der Tatsache konfrontiert,
dass gut gemeinte und von ihnen als
zumutbar und vernünftig betrachtete
Therapien von nicht selten ausgeprägt eigenwilligen Patientinnen nicht
wahrgenommen werden. In diesen Situationen ist es wichtig, die Autonomie der Patientinnen zu akzeptieren
und zu respektieren, dass diese ihre
letzten Lebensjahre oder -monate so
gestalten, wie sie es für richtig halten
(„... some patients and families view
their situation with broader psychosocial and spiritual meaning, shaped by
a lifetime of experiences“26).
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Begriff „Untertherapie“ für hochbetagte Patientinnen
nicht nur unpassend ist, sondern sogar grundsätzliche Prinzipien geriatrischer Betreuung missachtet. Der Begriff „Untertherapie“ orientiert sich
an der quantitativ ausgerichteten onkologischen Sichtweise, er blendet
aber die subjektiven Einstellungen
und Wünsche der Patientinnen aus.
Die Nichtdurchführung einer Behandlung, zu der die Patientin gar nicht
den Auftrag gibt, da sie deren potenziellen Therapieerfolg gar nicht als
wichtig erachtet, sollte daher nicht als
„Untertherapie“ bezeichnet werden.
Wie gegensätzlich onkologische und
geriatrische Sichtweisen sind, machen
geriatrische Assessments deutlich. Altersmediziner stellen dabei die zur
Verfügung stehenden Ressourcen in
den Vordergrund („Was ist noch möglich?“), die onkologische Seite betont
5/13 Hämatologie & Onkologie
eher die Einschränkungen hinsichtlich Therapie und Prognose („Was ist
nicht mehr möglich?“).
Typische Therapiekonstellation
im Alter: der Verzicht auf
Behandlung
Ein sehr typisches Beispiel für die Ablehnung einer effektiven und zumutbaren Therapie stellt der Verzicht auf die
operative Entfernung des Primärtumors
im nicht metastasierten Krankheitsstadium dar. Mit den heute etablierten
operativen und anästhesiologischen
Standards können nahezu alle Patientinnen schonend operiert werden27 und
nur sehr wenige müssen tatsächlich als
„inoperabel“ angesehen werden. Dennoch ist eine Vielzahl älterer Patientinnen sehr zurückhaltend, was eine
Operation betrifft. Im Gespräch sollten
die Ängste und Vorbehalte der Patientin
gegenüber onkologischen Therapien geduldig eruiert werden. In vielen Fällen
lassen sie sich dann aus der Welt schaffen. Insbesondere sollte ärztlicherseits
betont werden, dass die Therapie mittelfristig den Allgemeinzustand der Patientin wenig bis gar nicht beeinträchtigt, ein Verzicht auf eine Therapie, und
damit ein ungehindertes Wachstum des
Mammakarzinoms, dagegen die körperliche Leistungsfähigkeit und Autonomie wahrscheinlich binnen Kurzem
deutlich verschlechtern würde. Faktoren wie eine vermutete geringe Lebenserwartung, Komorbiditäten, aber auch
die familiäre und soziale Situation (häufig fürchten ältere Frauen, dass der Ehemann während ihres stationären Spitalaufenthalts zu Hause nicht gut genug
versorgt ist) müssen gegen den Benefit einer empfohlenen Therapie abgewogen werden.28 In manchen Fällen
scheint dann ein nicht operativer Ansatz durchaus berechtigt. Unsere Basler Daten bezüglich eines nicht operativen, primär medikamentösen Ansatzes
bei hormonrezeptorpositiven Karzinomen in der nicht metastasierten Situation (Stadium I–III, n=31 Patientinnen)
zeigten folgende Ergebnisse:29
• In fast allen Fällen (87%) konnte initial ein gutes Ansprechen des Tumors
beobachtet werden.
• Das Langzeitziel (keine OP, Vermeidung schwerer lokaler Morbi-
dität) wurde nur in etwa in einem
Drittel der Fälle (35,5%) erreicht.
Bei Patientinnen, deren Tumoren bei
der Erstdiagnose ≤3cm gross waren,
führte das Konzept in 47% der Fälle
zum Erfolg; bei grösseren Tumoren
wurde das Ziel deutlich seltener erreicht (21%).
• Die durchschnittliche Dauer der primären endokrinen Therapie betrug
23,5 Monate (Range: 3–118 Monate).
• Im weiteren Verlauf starben etwa
39% der Patientinnen, die bei der
Erstdiagnose der Erkrankung keine
Fernmetastasen aufwiesen, an einem
metastasierten Mammakarzinom.
Die Daten zeigen, dass ein nicht operatives Management ausgewählten Patientinnen, vor allem älteren oder polymorbiden Frauen mit einer vermuteten
geringen Lebenserwartung, angeboten
werden darf. Diese Patientinnen müssen
aber darüber informiert werden, dass
das angestrebte Ziel, vor allem die Vermeidung einer späteren OP, wenn überhaupt, in erster Linie bei kleineren Tumoren gelingt und dass die Wahrscheinlichkeit, an den Folgen des Mammakarzinoms zu sterben, erheblich ist.29–33
Therapiestopp nicht immer ein
Zeichen mangelnder Compliance
Ein weiteres Beispiel zum Therapieverzicht bei endokriner Therapie macht
deutlich, dass die onkologische Literatur oft altersspezifische Situationen
nicht ausreichend berücksichtigt. Arbeiten zu Non-Compliance (eine Therapieempfehlung wird von der Patientin nicht angenommen, die Therapie nicht begonnen) und Therapietreue (Persistence/Adherence: Eine
begonnene Therapie wird wie vereinbart fortgeführt) hinsichtlich oraler
endokriner Therapien liegen in grosser Zahl vor.34 Vielfach wurde aber
jeweils nur der Therapiestopp als solcher als einziger „Event“ analysiert,
die zugrunde liegende Situation bzw.
der Auslöser wurde aber nicht detailliert erfasst.35–45 Auf diese Weise wurden sehr unterschiedliche Situationen
in einer Kategorie klassifiziert.
Unsere Basler/Winterthurer Gruppe
hat in mehreren Arbeiten einen Ansatz
Seite 33 I
HÄMATOLOGIE & ONKOLOGIE
verfolgt, der die Gründe für Nichtdurchführung bzw. für vorzeitiges Sistieren einer Therapie detaillierter erfasst.14, 34, 46 Als „echte“ Non-Persistence wurden dabei nur die Situationen
definiert, bei denen der Therapiestopp
auf die Initiative der Patientin selbst
zurückging. Hier hätte möglicherweise
durch eine intensivere ärztliche Betreuung eine Verbesserung der Therapietreue erreicht werden können. Typische zur Non-Persistence führende
Situationen sind beispielsweise starke
therapieassoziierte Nebenwirkungen,
die fehlende Überzeugung der Patientin hinsichtlich der Effizienz der Therapie, die Unlust, täglich Tabletten
einzunehmen, oder Fehlinformationen
durch den Arzt. Dem stehen Situationen, in denen der Therapiestopp durch
kaum zu beeinflussende Faktoren bestimmt wird, gegenüber: Hier ist vor
allem der Therapiestopp bei Rezidiv/
Metastasierung zu nennen. In diese
Kategorie fallen auch Situationen, in
denen ein Arzt die Therapie beendet,
weil er ihre Weiterführung aus medizinischen Gründen für nicht mehr indiziert hält. Beispiele aus der Basler
Datensammlung machen diese Konstellationen deutlich: inkurable Krebserkrankungen (abgesehen vom Mammakarzinom), schwere Schluckstörungen nach Schädel-Hirn-Trauma mit
bleibenden neurologischen Störungen,
Entwicklung einer schweren Pflegebedürftigkeit mit zunehmender Demenz
etc. Die Konstellation des Therapieabbruchs aus ärztlicher Indikation bei
schwerer Begleiterkrankung, von unserer Arbeitsgruppe erstmals in der Literatur als eigene Kategorie zur NonPersistence bei endokriner Mammakarzinomtherapie eingeführt, kommt
bei jüngeren Patientinnen relativ selten
vor; in der Gruppe der Hochbetagten
wird aber nahezu ein Fünftel der begonnenen Therapien so beendet.14, 17
Wie werden hochbetagte Mammakarzinompatientinnen betreut und
behandelt? Hinweise zur Datenerfassung, die altersspezifische Situationen und Therapiekonstellationen berücksichtigen muss
Der Goldstandard der onkologischen
Literatur, die prospektive, randomiI Seite 34
sierte Studie, ist im Fall hochbetagter Patientinnen nur selten in der
Lage, repräsentative Daten für diese
unzweifelhaft äusserst heterogene
Gruppe zu liefern. Klinische Studien
untersuchen und vergleichen im Wesentlichen festgelegte Therapieoptionen bei selektionierten Patientengruppen in definierten Krankheitssituationen, die in spezialisierten onkologischen Behandlungszentren betreut
werden. Studien, die auch alte Patientinnen einbeziehen, weisen aber stets
ein gewisses Bias auf, da üblicherweise nur bestimmte Patientinnen eingeschlossen werden, nämlich diejenigen, die von ihren Ärzten als für eine
Studienteilnahme gesundheitlich geeignet genug („fit for therapy“) angesehen werden. Patientinnen mit fortgeschrittenen somatischen Begleiterkrankungen oder auch Demenzkranke
sind hier aber deutlich unter- bzw. gar
nicht repräsentiert. Diese multimorbiden Patientinnen, welche häufig die
zur Verfügung stehenden Therapieoptionen nicht erhalten, sind jedoch
nicht nur in Studien unterrepräsentiert, sie werden auch in Krebsregistern meistens nur unzureichend erfasst. Schonberg, der die Daten der
US-amerikanischen SEER-Datenbank
bezüglich älterer Mammakarzinompatientinnen mit frühem Krankheitsstadium (≥80 Jahre alt, TNM-Stadien I und II) auswertete, fand, dass
in einer Kohorte von fast 50.000 Patientinnen lediglich 1,7% der Frauen
primär nicht operiert wurden.8 Diese
Zahl ist so klein, dass man annehmen darf, dass die SEER-Daten die
Therapiewirklichkeit älterer Patientinnen nur unzureichend widerspiegeln. In unserer Basler Datenbank, in
der grosser Wert auf eine möglichst
vollständige Erfassung auch derjenigen Frauen gelegt wurde, die mit einem nicht operativen, primär medikamentösen Therapieansatz behandelt
wurden, lag die Rate bei den Hochbetagten bei immerhin 16%.17
Es gibt nur wenige verlässliche Angaben darüber, wie in westlichen Ländern hochbetagte Patientinnen überhaupt behandelt werden. Die Schweizer Arbeitsgemeinschaft für Klinische
Krebsförderung (SAKK) plant eine
entsprechende Datenerhebung für die
REFERAT
Schweiz im Sinne einer Kohortenstudie („Pattern of care“-Studie). In diesem Projekt soll nicht nur evaluiert
werden, wie die Patientinnen diagnostisch abgeklärt und behandelt wurden. Im Zentrum des Interesses steht
vor allem der Entscheidungsprozess
bei der Therapiefindung:
• Wer entscheidet, welche Therapieoptionen der Patientin überhaupt
angeboten werden?
• Welche Faktoren spielen eine Rolle
dabei, ob Therapien zur Anwendung kommen, bzw. was führt
dazu, dass Therapieoptionen nicht
genutzt werden?
Dieser Entscheidungsprozess wird von
mehreren Hauptprotagonisten beeinflusst: a) dem Hausarzt, b) dem Spezialisten im Brustzentrum, c) dem Umfeld der Patientin (Angehörige, Pflegepersonen) und d) der Patientin selbst.
Datensammlungen, welche die oft
komplexen Mechanismen zu Entscheidungen für bzw. gegen onkologische
Therapien erfassen wollen, müssen die
jeweils typischen Situationen entsprechend detailliert abbilden (bei hochbetagten Patientinnen z.B. den Verzicht auf Therapien). In diesen Entscheidungen spiegeln sich nicht selten
persönliche Motivationen und individuelle Lebensentwürfe.
Die Studie wird sich auf die Evaluation der Primärbehandlung des Mammakarzinoms beschränken und die
Therapieoptionen „Operation“, „Radiotherapie“ und „endokrine Therapie“ analysieren. Dabei ist es besonders anspruchsvoll, die oben genannten Patientinnen mit einzubeziehen, die in anderen Datenbanken eher
(bzw. völlig) unterrepräsentiert sind;
dies sind vor allem multimorbide und
pflegebedürftige Patientinnen und diejenigen, die Therapien ablehnen und
daher meistens nicht in spezialisierten Brustzentren betreut werden. Das
setzt eine enge Kooperation mit den
Hausärzten voraus. Das Projekt erfordert darüber hinaus auch die konsequente Einbindung spezialisierter
Vertreter der Altersmedizin, um die
oben genannte Kluft zwischen onkologischem und geriatrischem Denken
zu überbrücken.
■
Hämatologie & Onkologie 5/13
HÄMATOLOGIE & ONKOLOGIE
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Autor:
Prof. Dr. med. Uwe Güth1, 2
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Department Gynäkologie & Geburtshilfe,
Leiter „Brustzentrum SenoSuisse“
Brauerstrasse 15, 8401 Winterthur
2 Universitätsspital
Basel, Frauenklinik,
Projekt „Tumordatenbanken“
Spitalstrasse 21, 4031 Basel
Korrespondenzadresse:
Kantonsspital Winterthur
Klinik für Gynäkologie
Brauerstrasse 15, 8401 Winterthur
Tel.: +41/52/266 27 13, Fax: +41/52/265 45 12
E-Mail: [email protected]
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