Die Arktis im Fokus geoökonomischer und geopolitischer Interessen

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hans Gebhardt, Eva Ingenfeld
Die Arktis im Fokus geoökonomischer
und geopolitischer Interessen
D
amit wächst das Interesse, allen voran
der Arktis-Anrainerstaaten, an Raumund Ressourcenkontrolle (vgl. Abb. 1).
Inzwischen liegen territoriale Ansprüche von den USA, Kanada, Norwegen,
­Dänemark und Russland vor. Die nördliche Polar­region
wird damit zu einem prominenten Beispiel für eine zunehmende Nationalisierung der Ozeane über die 200
Seemeilengrenze hinaus. Der Beitrag analysiert diesen
Prozess der Aufteilung der Arktis, die darin involvierten Institutionen und ihre Argumentationsstrategien
zur Durchsetzung ihrer Interessen.
Rechtsstatus der Arktis
Fotos: dpa/picture-alliance
Hinsichtlich des Rechtstatus der Arktis vollzieht sich
gegenwärtig ein der Aufteilung der festländischen
Antarktis Mitte des 20. Jhs. vergleichbarer Prozess.
Während jedoch die Antarktis durch den Antarktisvertrag bis ins Jahr 2041 geschützt ist (friedliche Nutzung,
Umweltschutz, freie Forschung und Zurückstellen von
Gebietsansprüchen), existiert für die Arktis bis heute
kein spezielles Rechtsregime. Im maritimen Territorium müssen dessen Hoheitsrechte (Governance) auf
­einer völlig anderen Rechtsgrundlage diskutiert werden – dem 1982 beschlossenen und 1994 in Kraft getretenen Seerechtsübereinkommen (SRÜ), das inzwischen
von 148 Staaten anerkannt wird. Mit dem SRÜ wurden
drei neue Institutionen installiert: der Internationale
Seegerichtshof, die Internationale Meeresbodenbehörde und die Festlandssockel-Grenzkommission (FSGK).
Mit der Erklärung von Ilulissat im Jahr 2008 einigten
sich die Anrainer immerhin darauf, nach internationalem Seerecht vorzugehen (vgl. Arctic Council 2008).
Das SRÜ erlaubt es einem Küstenstaat, sein marines Territorium über die 200 Seemeilen (SM) hinaus
zu ­ erweitern, wenn sich der Festlandsockel darüber
­hinaus erstreckt. Die Erweiterung bezieht sich allerdings ­lediglich auf den Meeresboden. Die darüber liegende Wasserf läche und die darin sich befindenden
Ressourcen bleiben Allgemeingut (vgl. Abb. 2). Für
die Erweiterung der marinen Grenze muss in einem
Foto 1: US-Forschungsschiff in arktischen Gewässern
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Der Arktische Ozean rückt immer stärker in den Fokus internationaler wirtschaftlicher und geo­
politischer Interessen. Das rasche Zurückschmelzen des arktischen Eisschildes im Zuge des globalen
Klimawandels wird der kommerziellen Schifffahrt neue Verbindungen eröffnen, mit der Entwicklung
neuer Tiefsee-Fördertechnologien werden die Rohstoffvorkommen der Arktis, insbesondere die dort
vermuteten Erdöl- und Erdgasvorkommen, ökonomisch interessant.
Die Arktis im Fokus geoökonomischer und geopolitischer Interessen
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Abb. 1: Umweltwandel und seine ­Folgen
in der Arktis: Das besonders rasche Abschmelzen des Polareises ermöglicht
weiter reichende Nutzungsmöglichkeiten im arktischen Raum als in der Vergangenheit. Damit entsteht ein neues
territoriales Interesse an der Integration
der arktischen Meere in das Staats­gebiet
der angrenzenden Staaten.
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Antrag bei der FSGK der Vereinten Nationen nachgewiesen werden, dass es sich um einen erweiterten
Festlandsockel des Antrag stellenden Staates handelt.
Hierzu werden geologische Daten herangezogen. Ist
der Nachweis erbracht, hat der Küstenstaat die souveränen Rechte über den Meeresboden und die dort
vorhanden Ressourcen.
Um ein Ausufern der Gebietserweiterung einzudämmen, kann das marine Territorium maximal bis
zu einer Reichweite von 350 SM von der Basislinie, d. h.
der Niedrigwasserlinie, oder nicht mehr als 100 SM
­seewärts der 2 500 m-Tiefenlinie erweitert werden (vgl.
Wolfrum 2010). Inzwischen haben Russland und Norwegen bereits ­einen Antrag auf Erweiterung des Festlandsockels bei der FSGK gestellt. Die Frist für Kanada
und Dänemark läuft bis 2013 bzw. 2014, da ab dem
Zeitpunkt der ­ Ratifizierung des SRÜs eine 10-JahresFrist zur Stellung von Anträgen besteht. Eine Ausnahme bilden die USA, die bis zum heutigen Zeitpunkt das
SRÜ nicht ratifiziert haben.
Vor allem um Umweltbelange in der Arktis, nicht
aber um die Lösung territorialer Fragen, kümmert sich
der 1996 gegründete Arktische Rat. Mitgliedsstaaten
sind die USA, Kanada, Russland, Dänemark, Norwegen, Finnland, Schweden, Island sowie sechs indigene
Gruppierungen (vgl. Arctic Council 2007).
Folgen des globalen Klimawandels
Wesentlicher Antrieb für die aktuellen Diskurse um
die Territorialisierung der Arktis ist der globale Klima­
wandel, der sich hier fast doppelt so schnell wie in
der übrigen Welt vollzieht und damit erhebliche Folgen haben wird. Nach Angaben des Intergovernmental ­ Panel on Climate Change (IPCC, 2007) stiegen die
Temperaturen in der Arktis seit den 1980er Jahren
um ca. 3 % (vgl. ACIA 2004). Inzwischen werden in der
Sommerzeit immer größere Areale komplett eisfrei.
Im Sommer 2007 erreichte die Eisschmelze ihren bisherigen Höhepunkt. Der arktische Eisschild verlor im
Im Rechtsstatus der Arktis sind vor allem die Übergangsbereiche zwischen Schelf und Tiefsee von Interesse. Bis zu 200 Seemeilen von der Küstenlinie aus reicht die ausschließliche
Wirtschaftszone mit hoheitlichen Rechten der Nationalstaaten. Diese Zone war im 20. Jh.
von ursprünglich 3 Seemeilen sukzessive auf 200 Seemeilen ausgedehnt worden, insbesondere im Zusammenhang mit den Konflikten um die Fischereirechte Islands.
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Quelle: eigener Entwurf
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Abb. 3: Gebietsansprüche und
Schiffspassagen in der Arktis
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Die umfangreichsten Gebietsansprüche
am arktischen Ozean stellen aufgrund
ihrer langen Küstenlinien die Staaten
Kanada und Russland. Aber auch Däne­
mark und die USA fordern dank ihrer
Präsenz auf Grönland bzw. Alaska einen
Anteil am Kuchen. Sollten sich alle
­Aufteilungswünsche durchsetzen, würde
der Meeresboden bis auf kleine Bereiche
vollkommen aufgeteilt.
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Vergleich zu den 1980er Jahren ca. 42 % an Volumen
(vgl. Masalink et al. 2007 sowie den Beitrag Schneider
et al. in diesem Heft).
Aus verkehrsgeographischer Perspektive stehen die
Nordost- und die Nordwestpassage im Zentrum des
Interesses (vgl. Foto 1), welche die traditionellen Seerouten drastisch verkürzen und das zunehmende Problem der Piraterie in tropischen Gewässern (Straße von
Malakka, Küsten von Somalia und Nigeria) vermindern
würden. Damit könnten früher versperrte Schifffahrtsrouten genutzt und die Seewege zwischen ­Europa bzw.
Amerika und Asien deutlich verkürzt werden (vgl.
Abb. 3 sowie Toomey 2007 und der Beitrag Pawlik und
Wilmsmeier in diesem Band). Vor allem aber rückt ein
Abbau der begehrten Ressourcen des arktischen Ozeans in greifbare Nähe. Nach Schätzungen des United
States Geological Survey (USGS) liegen im Raum der
Arktis etwa 30 % der weltweit unentdeckten Erdgasund 13 % der unentdeckten Erdölvorkommen (vgl.
Tab. 1 sowie Bird et al. 2008, Gautier et al. 2009 und
der Beitrag Piepjohn et al. in diesem Heft).
In jedem Fall wird eine Förderung im arktischen
Raum aufgrund der extremen Bedingungen (Kälte,
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starke Strömungen, Eisberge) sehr kostspielig werden.
Der sich verschärfende globale Ressourcenmangel und
damit stetig steigende Rohstoffpreise für Öl und Gas in
Verbindung mit neuen Förderungstechnologien könnten die Erschließung jedoch in den kommenden Jahrzehnten rentabel werden lassen. Überdies ließe sich
damit ein geopolitisches Gegengewicht zu den OPECStaaten schaffen.
Eines der größten Ressourcenvorkommen wird in
der Beaufortsee vermutet. Die Firma Devon Canada
beschreibt hier ein Erdölvorkommen im Umfang von
250 Mio. Barrel (vgl. Beauchamp und Huebert 2008,
Beyers 2009). Große Erdölkonzerne (neben Devon
Canada auch Exxon Mobile Canada) bieten bereits
­große Summen für Nutzungsrechte an so genannten
Offshore-Blöcken. Neben den vermuteten Erdöl- und
-gasvorkommen ist die Arktis zudem auch ein potenzieller Raum für die Fischerei (besonders in Bezug
auf Lachs und Kabeljau). Inwieweit der Klimawandel
Auswirkungen auf die Fischbestände haben wird, ist
noch umstritten. Gefahren durch illegale Fischerei
und Überfischung können hier wie auch in anderen
Ozeanen zum Problem werden.
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Die Arktis im Fokus geoökonomischer und geopolitischer Interessen
Tab. 1: Die wichtigsten vermuteten Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Arktis
Provinzname (USGS)
Öl
(109 Barrels)
West Siberian Basin
Arctic Alaska
East Barents Basin
East Greenland Rift Basins
Yenisey-Khatanga Basin
Amerasia Basin
West Greenland-East Canada
Erdgas
(1012 Kubikfuß)
3,66
29,96
7,41
8,90
5,58
9,72
7,27
Gesamtmittel
Öläquivalent
(109 Barrels)
132,57
72,77
61,76
31,39
24,92
19,75
17,06
Flüssiggas
(109 Barrels)
651,5
221,4
317,56
86,18
99,96
56,89
51,82
20,33
5,9
1,42
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Quelle: Bird et al. 2008
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Im beginnenden Wettlauf um die arktischen Rohstoffe zeichnen sich bereits eine Reihe von Konf likten ab,
welche mit den sehr unterschiedlichen Interessen
der Akteure und dem komplexen Ineinandergreifen von globaler, regionaler und lokaler Ebene beim
Akteurshandeln zusammenhängen. Russische Langstreckenbomber und U-Boote dringen in von Kanada
beanspruchte Territorien ein, Nationalf laggen werden symbolisch
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auf dem Meeresgrund gehisst (Russ­
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Status der Nordwestpassage, welche durch den kanadischen Archipel verläuft. Kanada vertritt die Auffassung, dass es sich dabei um interne Gewässer handelt,
während die USA und die Europäische Union die Gewässer als international ansehen. In internationalen
Gewässern gilt das Recht der freien Navigation, d.h.
in dieser Sicht könnte jedes Schiff (ob arktistauglich
oder nicht) die Seeroute nutzten und die Gefahr von
Unfällen würde sich erhöhen.
Bestehende und sich abzeichnende Konflikte
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Quelle: UNEP/GRID-Arendal 2006, verändert
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hans Gebhardt, Eva Ingenfeld
Territoriale Forderungen der Anrainer-Staaten
Norwegen stellte bereits im Jahr 2006 einen Antrag zur
Erweiterung des Festlandsockels und beanspruchte
einige kleinere Gebiete (vgl. Abb. 3). Aufgrund einer
positiven Empfehlung der FSGK im März 2009 konnte das Land einen Gebietsgewinn von ca. 235 000 km²
erreichten (vgl. Marx 2010). Obwohl die USA das SRÜ
bisher noch nicht ratifiziert haben und daher keine
Anträge bei der FSGK einreichen können, erklärte
Ex-Präsident George W. Bush die Vereinigten Staaten
Anfang 2009 zur Arktis-Nation und unterstrich die
US-amerikanischen Interessen an der Region im Bereich der nationalen Sicherheit, die Auswirkungen des
Klima­wandels, des Umweltschutz und der Förderung
von Rohstoffen (vgl. The White House 2009).
Die umfangreichsten Gebietsansprüche in der Arktis
erheben Kanada und Russland (vgl. Abb. 3). Kanada
präsentierte 2009 seine „Northern Strategy“, in der
insbesondere die starke Identifizierung der autochthonen Bevölkerungsgruppen (Inuit) mit dem Norden
als Argument für Besitzansprüche vorgetragen wird
(vgl. Lackenbauer 2008, Government of Canada 2009).
Um seine Ansprüche auch durch wissenschaftliche
Forschung zu untermauern wurde das Continental
Shelf Program ins Leben gerufen, das über genaue
Vermessungen des Meeresbodens im arktischen und
atlantischen Ozean durchführen soll. Im Rahmen des
Programms wurden mehrere Expeditionen durchgeführt um insbesondere den ­ Lomonosovrücken, aber
auch weitere Rücken (Mendeleev- und Alpharücken)
zu erforschen (vgl. Abb. 4). Der Lomonosovrücken erstreckt sich von Russland quer durch das Polarmeer
bis nach Kanada und er spielt für Kanada, Russland
und Dänemark nicht nur hinsichtlich potenzieller Gebietserweiterungen eine tragende geostrategische
Rolle, sondern auch wegen der dort vermuteten Ressourcen. Russland stellte bereits im Jahr 2001 einen
Antrag an die FSGK, der jedoch auf Grund fehlender
geologischer Beweise abgelehnt wurde. 2007 starteten zwei Expeditionen um den Lomonosovrücken
zu erforschen, eine weitere Expedition folgte im Juli
2010. Ziel ist, geologische Belege dafür zu finden, dass
der Lomonosov- und der Mendeleevrücken Fortsetzungen des Kontinentalschelfs bilden und damit dem
russischen Staatsgebiet zugeordnet werden können.
Von großer ökonomischer Bedeutung ist für Russland
auch die Nutzbarkeit der Nord-Ost-Passage.
Dänemark beansprucht Gebiete rund um die Färöer
Inseln und Grönland und hat dabei, wie auch Russland
und Kanada, den Nordpol selbst im Blick. Geologische
Erkundungen ergaben, dass der arktische Meeres­
boden sowohl mit Grönland als auch mit Kanada verbunden ist und Dänemark somit die Möglichkeit hätte,
sein Territorium um rund 200 000 km² zu erweitern.
(vgl. Kefferpütz und Bochkarev 2009).
30
Auf der substaatlichen Ebene haben sich in den
letzten Jahren kleinere Konf likte, vor allem zwischen
­großen Konzernen und Umweltaktivisten, gehäuft. Vor
der Küste Grönlands in der Baffin Bay protestierten im
August 2010 Greenpeace-Aktivisten gegen Bohrungen
des schottischen Ölkonzerns Cairn Energy. Greenpeace
wollte mit dieser Aktion auf das umweltgefährdende
Tiefseegeschäft der Ölindustrie aufmerksam machen
(vgl. Seidler 2010). Das deutsche Forschungsschiff
­„Polarstern“ musste seine Arbeiten in kanadischen
Gewässern (seismische Tests im Lancaster Sound) im
Jahr 2010 auf Grund einer einstweiligen Verfügung
ab­brechen. Die Qikiqtani Inuit Association, eine Ver­
einigung der Inuit, war vor Gericht gezogen, da sie befürchtete, dass die Schallwellen der seismischen Tests
Auswirkungen auf die Narwale, Belugas und Grönlandwale haben könnten (vgl. Seidler 2011).
Prozess der „Territorialisierung“ der Arktis
und die beteiligten Akteure
Aufgrund dieser sich abzeichnenden Konf likte ist
inzwischen von einem „neuen Kalten Krieg um den
Nordpol“ in den Medien die Rede, von einem „Wettlauf um die Rohstoffe des Nordpols“. Das neue „Great
Game“ um die Arktis ist eröffnet, Forschungsfahrten
verschiedener Nationen durch arktische Gewässer
zeigen „Flagge“ und unterstreichen politische Ansprüche. Die Arktis ist in den letzten Jahren zu einem
„umkämpften“ Raum geworden. Dieser Kampf wird
derzeit vor allem verbal ausgefochten, mit Symbolen
und Zeichen, mit Argumenten und Medienberichten,
und die einzelnen Akteure versuchen ihre Interessen und Machtressourcen auszuspielen. Die Arktis­Anrainer haben ein primäres Interesse am Zugang zu
­potentiellen Ressourcen sowie der Kontrolle künftiger
Schifffahrtswege (vgl. Textbox). Auch wenn noch weitgehend Unsicherheit über ökonomisch ausbeutbare
Ressourcen besteht, wird vorausschauend eine „just
in case-Politik“ betrieben. Um ihre Gebietsansprüche
und Souveränität zu untermauern, stocken die Anrainer ihre Flotte auf und zeigen verstärkt militärische
Präsenz in der Arktis.
Relativ neu ist das internationale Interesse an der
Aufteilung der Arktis im Kontext von Global Change.
Auch arktisferne Staaten wie China, Deutschland, Italien und die Europäische Union als Ganzes artikulieren
ihre Interessen am freien Zugang zu Schifffahrtswegen, an Konzessionen zur Förderung von Ressourcen
und sie äußern Umweltbedenken (vgl. Kommission der
Europäischen Gemeinschaften 2008, Kefferpütz und
Bochkarev 2009). Insbesondere China bekundet großes
Interesse und hat bereits mit Norwegen ein Abkommen zur Erschließung der arktischen Ressourcen abgeschlossen. Neben Frankreich, Großbritannien, Spanien, Polen und den Niederlanden ist auch Deutschland im Arktischen Rat als Beobachter vertreten; sein
Mitspracherecht ist gleichwohl sehr begrenzt. China,
Japan, und Italien haben inzwischen den Beobachterstatus beantragt. Der Antrag der Europäischen Union
auf Aufnahme wurde allerdings 2009 abgelehnt.
Geographische Rundschau 12 | 2011
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Neben den Anrainerstaaten und ihren staatlichen
Organisationen sowie den Beobachtern im Arktischen
Rat erheben auch internationale Gremien (UN) und
die verschiedensten Nichtregierungsorganisationen
und Interessenvertretungen (Inuit Circumpolar Council, ­Barents Euro Arctic Council, Greenpeace, WWF) ihre
Stimmen. Auch regionale Akteurs-/Widerstandsgruppen (Nunavut Tunngavik, Inuit Tapiriit Kanatami, MGM
Energy Group) finden zumindest in der kanadischen
Regierung Gehör (vgl. Agnew 1994, Soyez 2006). Ins­
besondere die indigene Bevölkerung Kanadas hat sich
zu Zweckgemeinschaften zusammengeschlossen, um
den Schutz ihrer Heimat vor unkontrollierter Ausbeutung auch auf höheren staatlichen Ebenen durchsetzen
zu können. Es geht auch um den Erhalt traditioneller
Lebensformen sowie um Entscheidungskompetenzen
und Beteiligung am zu erwartenden Gewinn aus der
Abb. 5: Argumentationen zur Territorialisierung der Arktis
Die bei der UN von den Arktis-Anrainerstaaten vorgebrachten Argumente
für eine jeweilige staatliche Zugehörigkeit der Arktis werden von Thilo
Felgenhauer (2009) einer kurzen Argumentationsanalyse unterzogen.
Die Abbildung illustriert die Argumentation Russlands, dass der Nord­
pol auf einer gemeinsamen geologischen Platte mit Russland liege und
aus dieser natürlichen Verbindung auch ein Rechtsanspruch abzulei­
ten sei. ­Darauf erwiderten die anderen Parteien Kanada und Dänemark
(­Grönland), dass ihre Küstenlinie näher an den Nordpol heranreiche als
diejenige Russlands bzw. dass die Ausweisung einer Zone von 200 See­
meilen vor der jeweiligen Küste als Grundregel für die Stützung der An­
sprüche anzuwenden sei. Im Falle Russlands wird mit einer „externen
Autorität“, der Geologie, argumentiert, während Grönland und Kanada
die gängige „Distanzlogik“ bemühen, d.h. aus räumlicher Nähe auch
eine größere Intensität der Beziehung ableiten. Die Beispiele zeigen,
wie hier versucht wird, mit „Geographie“ Politik zu machen.
Quelle: Felgenhauer 2009
Extraktion von marinen Ressourcen. Vertreter der indigenen Völker wie der Inuit Circumpolar Council sind
ebenfalls im Arktischen Rat vertreten und stellen so
eine Verbindung zwischen internationaler und lokaler Ebene her. Umweltschutzgruppen streben für die
Arktis einen dauerhaften Schutzvertrag an (ähnlich
dem der Antarktis), um das empfindliche Ökosystem
zu schützen (vgl. Heininen 2004).
Für eine konstruktivistisch orientierte Humangeographie ist an den Diskursen und Argumentationen
um die Territorialisierung der Arktis vor allem inte­
ressant, wie hier mit geographischen Mitteln Politik
gemacht wird. Während Russland mit geologischen
Argumenten in die Schlacht zieht (direkte Fortsetzung der sibirischen Küste im Lomonossow Rücken),
argumentieren Kanada und die USA (Alaska) mit geographischen Aspekten (Entfernung der Küstenlinien
zum Nordpol) sowie Argumenten
der räumlichen Identität der autochthonen Bevölkerung (Inuit). Arktisferne Staaten hingegen bringen
verkehrsgeographische Argumente
wie die „Freiheit der Meere“, den
freien Welthandel etc. ins Spiel.
Die verschiedenen Akteure verfolgen ihre Nutzungsinteressen mit
unterschiedlichen „Raumlogiken“
und „Raumbildern“ zur Begründung ihrer Ansprüche (vgl. Abb. 5).
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Fazit
Foto 2: Russisches Fernsehfoto vom 3.8.2007: Ein Roboter pflanzt die Flagge
Russlands auf dem Meeresboden am Nordpol
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Die Auseinandersetzungen um
die „Territorialisierung“ des arktischen Ozeans vor dem Hintergrund
des globalen Umweltwandels, d. h.
der Ausweitung der nationalstaatlichen Territorien der Anrainerstaaten auf den Meeresraum, und
die sich dabei anbahnenden Kon-
31
hans Gebhardt, Eva Ingenfeld
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Summary
The Arctic Region in the Center of Geo-economic
and Geopolitical Interests
by Hans Gebhardt, Eva Ingenfeld
The Arctic Ocean is taking on more and more of
a geopolitical focus because of the expected resource wealth in the Arctic (more than 30 % of the
world’s undiscovered natural gas reserves and
13% of its undiscovered oil reserves), new conveyor and transport technologies, and the progressive climatic amelioration. These factors have
aroused a worldwide interest in the Arctic, especially among the A5, as the Arctic States – Canada,
Russia, the United States of America, Norway, and
Denmark – call themselves. Each of these nations
claims part of the Arctic Ocean. Unlike its southern counterpart, the Antarctic, the Arctic is not
protected by a contract, and therefore territorial
claims are not illegal.
AUTORen
Professor Dr. Hans Gebhardt, geb. 1950
[email protected]
Arbeitsgebiete/Forschungsschwerpunkte:
Politische Geographie, Neue Kulturgeographie,
Gesellschaft-Umweltforschung
Dipl-Geogr. Eva Ingenfeld, geb. 1983
[email protected]
Arbeitsgebiete/Forschungsschwerpunkte:
Geographische Konfliktforschung, Politische Geographie,
Ocean-Governance, marine Ressourcen
Geographisches Institut, Universität Heidelberg
Berliner Str. 48, 69 120 Heidelberg
Geographische Rundschau 12 | 2011
lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013
lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013
f likte um Grenzziehungen, Ressourcennutzung und
politische Kontrolle sind in vollem Gange. Der globale
Klimawandel eröffnet ein neues „window of opportunity“ in einem der letzten noch nicht nationalstaatlich
aufgeteilten Räume der Erde. Die Arktis wird somit zu
einem „Ernstfall“ der Möglichkeiten und Grenzen von
Global Governance auf supranationaler Ebene, aber
auch zum „Testfall“, inwieweit die Betroffenen auf
regionaler Ebene (bspw. indigene Bevölkerung) gehört
werden und sich gegenüber den übergeordneten Inte­
ressen der jeweiligen Nationalstaaten durchsetzen
können.
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