hans Gebhardt, Eva Ingenfeld Die Arktis im Fokus geoökonomischer und geopolitischer Interessen D amit wächst das Interesse, allen voran der Arktis-Anrainerstaaten, an Raumund Ressourcenkontrolle (vgl. Abb. 1). Inzwischen liegen territoriale Ansprüche von den USA, Kanada, Norwegen, ­Dänemark und Russland vor. Die nördliche Polar­region wird damit zu einem prominenten Beispiel für eine zunehmende Nationalisierung der Ozeane über die 200 Seemeilengrenze hinaus. Der Beitrag analysiert diesen Prozess der Aufteilung der Arktis, die darin involvierten Institutionen und ihre Argumentationsstrategien zur Durchsetzung ihrer Interessen. Rechtsstatus der Arktis Fotos: dpa/picture-alliance Hinsichtlich des Rechtstatus der Arktis vollzieht sich gegenwärtig ein der Aufteilung der festländischen Antarktis Mitte des 20. Jhs. vergleichbarer Prozess. Während jedoch die Antarktis durch den Antarktisvertrag bis ins Jahr 2041 geschützt ist (friedliche Nutzung, Umweltschutz, freie Forschung und Zurückstellen von Gebietsansprüchen), existiert für die Arktis bis heute kein spezielles Rechtsregime. Im maritimen Territorium müssen dessen Hoheitsrechte (Governance) auf ­einer völlig anderen Rechtsgrundlage diskutiert werden – dem 1982 beschlossenen und 1994 in Kraft getretenen Seerechtsübereinkommen (SRÜ), das inzwischen von 148 Staaten anerkannt wird. Mit dem SRÜ wurden drei neue Institutionen installiert: der Internationale Seegerichtshof, die Internationale Meeresbodenbehörde und die Festlandssockel-Grenzkommission (FSGK). Mit der Erklärung von Ilulissat im Jahr 2008 einigten sich die Anrainer immerhin darauf, nach internationalem Seerecht vorzugehen (vgl. Arctic Council 2008). Das SRÜ erlaubt es einem Küstenstaat, sein marines Territorium über die 200 Seemeilen (SM) hinaus zu ­ erweitern, wenn sich der Festlandsockel darüber ­hinaus erstreckt. Die Erweiterung bezieht sich allerdings ­lediglich auf den Meeresboden. Die darüber liegende Wasserf läche und die darin sich befindenden Ressourcen bleiben Allgemeingut (vgl. Abb. 2). Für die Erweiterung der marinen Grenze muss in einem Foto 1: US-Forschungsschiff in arktischen Gewässern 26 Geographische Rundschau 12 | 2011 lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 Der Arktische Ozean rückt immer stärker in den Fokus internationaler wirtschaftlicher und geo­ politischer Interessen. Das rasche Zurückschmelzen des arktischen Eisschildes im Zuge des globalen Klimawandels wird der kommerziellen Schifffahrt neue Verbindungen eröffnen, mit der Entwicklung neuer Tiefsee-Fördertechnologien werden die Rohstoffvorkommen der Arktis, insbesondere die dort vermuteten Erdöl- und Erdgasvorkommen, ökonomisch interessant. Die Arktis im Fokus geoökonomischer und geopolitischer Interessen & $ $ !' ! !! Abb. 1: Umweltwandel und seine ­Folgen in der Arktis: Das besonders rasche Abschmelzen des Polareises ermöglicht weiter reichende Nutzungsmöglichkeiten im arktischen Raum als in der Vergangenheit. Damit entsteht ein neues territoriales Interesse an der Integration der arktischen Meere in das Staats­gebiet der angrenzenden Staaten. $ $#'$! # ! ! ' ! !# $ #!& Antrag bei der FSGK der Vereinten Nationen nachgewiesen werden, dass es sich um einen erweiterten Festlandsockel des Antrag stellenden Staates handelt. Hierzu werden geologische Daten herangezogen. Ist der Nachweis erbracht, hat der Küstenstaat die souveränen Rechte über den Meeresboden und die dort vorhanden Ressourcen. Um ein Ausufern der Gebietserweiterung einzudämmen, kann das marine Territorium maximal bis zu einer Reichweite von 350 SM von der Basislinie, d. h. der Niedrigwasserlinie, oder nicht mehr als 100 SM ­seewärts der 2 500 m-Tiefenlinie erweitert werden (vgl. Wolfrum 2010). Inzwischen haben Russland und Norwegen bereits ­einen Antrag auf Erweiterung des Festlandsockels bei der FSGK gestellt. Die Frist für Kanada und Dänemark läuft bis 2013 bzw. 2014, da ab dem Zeitpunkt der ­ Ratifizierung des SRÜs eine 10-JahresFrist zur Stellung von Anträgen besteht. Eine Ausnahme bilden die USA, die bis zum heutigen Zeitpunkt das SRÜ nicht ratifiziert haben. Vor allem um Umweltbelange in der Arktis, nicht aber um die Lösung territorialer Fragen, kümmert sich der 1996 gegründete Arktische Rat. Mitgliedsstaaten sind die USA, Kanada, Russland, Dänemark, Norwegen, Finnland, Schweden, Island sowie sechs indigene Gruppierungen (vgl. Arctic Council 2007). Folgen des globalen Klimawandels Wesentlicher Antrieb für die aktuellen Diskurse um die Territorialisierung der Arktis ist der globale Klima­ wandel, der sich hier fast doppelt so schnell wie in der übrigen Welt vollzieht und damit erhebliche Folgen haben wird. Nach Angaben des Intergovernmental ­ Panel on Climate Change (IPCC, 2007) stiegen die Temperaturen in der Arktis seit den 1980er Jahren um ca. 3 % (vgl. ACIA 2004). Inzwischen werden in der Sommerzeit immer größere Areale komplett eisfrei. Im Sommer 2007 erreichte die Eisschmelze ihren bisherigen Höhepunkt. Der arktische Eisschild verlor im Im Rechtsstatus der Arktis sind vor allem die Übergangsbereiche zwischen Schelf und Tiefsee von Interesse. Bis zu 200 Seemeilen von der Küstenlinie aus reicht die ausschließliche Wirtschaftszone mit hoheitlichen Rechten der Nationalstaaten. Diese Zone war im 20. Jh. von ursprünglich 3 Seemeilen sukzessive auf 200 Seemeilen ausgedehnt worden, insbesondere im Zusammenhang mit den Konflikten um die Fischereirechte Islands. !% #+*# . $#.*$!! 1# 1*+.61#+1#++ '6)) $!! $#.*$!!#( $ " $ ! % Quelle: Symonds et al. 2009, verändert $13*#.. *+.* . + $13*# . 2* *$*+1# 1.61# *!.1# 1# 2* 1.*1" ++*+1! 4*.+.1# * !## 1# #.!## ++$1*# *+$# #.**1#, * ++*+1! 1# + 61*1# !## +.!#+$ !+ * . * *# 1**. *4.** + 61* 1# #. + +.!#+$ !+ $* + 61 #* 4. 3$# "5"! /7 +" 3$# * ++!# $* #. "* !+ &77 +" +4*.+ * 0)77 " #!# !# ! + 077 "!# $13*#..+*. 2* *$*+1# 1# 1+1.1# #. !#* ++$1*# + *+$#+ 1# +#+ #.**1#+ +$4 !#* ++$1*# #+.+ 3$# 077 "!# #.* # *$**! 1" . 61 +..# " *+$# 1# #.**1# #! #. !# ++$1*# 4*# 3$# * #.*#.$#!# *+$# %* 3*4!.. !# ! ! !# Abb. 2: Seerechtszonen in der Arktis Geographische Rundschau 12 | 2011 lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 27 lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 Quelle: eigener Entwurf # ! % hans Gebhardt, Eva Ingenfeld '8 8 ' Abb. 3: Gebietsansprüche und Schiffspassagen in der Arktis 8 ! ' - '/8 '/8 " '2 8 8 '2 '88 '88 Quelle: Spiegel online 2010 nach International Boundary Research Unit, Durham University; verändert $- 8 " .8 $ - 8 8 Die umfangreichsten Gebietsansprüche am arktischen Ozean stellen aufgrund ihrer langen Küstenlinien die Staaten Kanada und Russland. Aber auch Däne­ mark und die USA fordern dank ihrer Präsenz auf Grönland bzw. Alaska einen Anteil am Kuchen. Sollten sich alle ­Aufteilungswünsche durchsetzen, würde der Meeresboden bis auf kleine Bereiche vollkommen aufgeteilt. $ , ( 17 , 8 / " $ /8 28 $ $#,! -"$ %,5$ 3--"$ , $ 1 11$ 8 28 $ 6$ ,! , - 8 , % " 8 , & " ! ,$7$ , 288# "$%$$ 1-$-(,4 $ $1,$1 %$"$ 5--,$ 11-,$7$ )-1"$* Vergleich zu den 1980er Jahren ca. 42 % an Volumen (vgl. Masalink et al. 2007 sowie den Beitrag Schneider et al. in diesem Heft). Aus verkehrsgeographischer Perspektive stehen die Nordost- und die Nordwestpassage im Zentrum des Interesses (vgl. Foto 1), welche die traditionellen Seerouten drastisch verkürzen und das zunehmende Problem der Piraterie in tropischen Gewässern (Straße von Malakka, Küsten von Somalia und Nigeria) vermindern würden. Damit könnten früher versperrte Schifffahrtsrouten genutzt und die Seewege zwischen ­Europa bzw. Amerika und Asien deutlich verkürzt werden (vgl. Abb. 3 sowie Toomey 2007 und der Beitrag Pawlik und Wilmsmeier in diesem Band). Vor allem aber rückt ein Abbau der begehrten Ressourcen des arktischen Ozeans in greifbare Nähe. Nach Schätzungen des United States Geological Survey (USGS) liegen im Raum der Arktis etwa 30 % der weltweit unentdeckten Erdgasund 13 % der unentdeckten Erdölvorkommen (vgl. Tab. 1 sowie Bird et al. 2008, Gautier et al. 2009 und der Beitrag Piepjohn et al. in diesem Heft). In jedem Fall wird eine Förderung im arktischen Raum aufgrund der extremen Bedingungen (Kälte, 28 8 88 '888 !# ,1%,( + $ (( starke Strömungen, Eisberge) sehr kostspielig werden. Der sich verschärfende globale Ressourcenmangel und damit stetig steigende Rohstoffpreise für Öl und Gas in Verbindung mit neuen Förderungstechnologien könnten die Erschließung jedoch in den kommenden Jahrzehnten rentabel werden lassen. Überdies ließe sich damit ein geopolitisches Gegengewicht zu den OPECStaaten schaffen. Eines der größten Ressourcenvorkommen wird in der Beaufortsee vermutet. Die Firma Devon Canada beschreibt hier ein Erdölvorkommen im Umfang von 250 Mio. Barrel (vgl. Beauchamp und Huebert 2008, Beyers 2009). Große Erdölkonzerne (neben Devon Canada auch Exxon Mobile Canada) bieten bereits ­große Summen für Nutzungsrechte an so genannten Offshore-Blöcken. Neben den vermuteten Erdöl- und -gasvorkommen ist die Arktis zudem auch ein potenzieller Raum für die Fischerei (besonders in Bezug auf Lachs und Kabeljau). Inwieweit der Klimawandel Auswirkungen auf die Fischbestände haben wird, ist noch umstritten. Gefahren durch illegale Fischerei und Überfischung können hier wie auch in anderen Ozeanen zum Problem werden. Geographische Rundschau 12 | 2011 lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 &$ Die Arktis im Fokus geoökonomischer und geopolitischer Interessen Tab. 1: Die wichtigsten vermuteten Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Arktis Provinzname (USGS) Öl (109 Barrels) West Siberian Basin Arctic Alaska East Barents Basin East Greenland Rift Basins Yenisey-Khatanga Basin Amerasia Basin West Greenland-East Canada Erdgas (1012 Kubikfuß) 3,66 29,96 7,41 8,90 5,58 9,72 7,27 Gesamtmittel Öläquivalent (109 Barrels) 132,57 72,77 61,76 31,39 24,92 19,75 17,06 Flüssiggas (109 Barrels) 651,5 221,4 317,56 86,18 99,96 56,89 51,82 20,33 5,9 1,42 8,12 2,68 0,54 1,15 Quelle: Bird et al. 2008 ,4> ,4> !"#! Im beginnenden Wettlauf um die arktischen Rohstoffe zeichnen sich bereits eine Reihe von Konf likten ab, welche mit den sehr unterschiedlichen Interessen der Akteure und dem komplexen Ineinandergreifen von globaler, regionaler und lokaler Ebene beim Akteurshandeln zusammenhängen. Russische Langstreckenbomber und U-Boote dringen in von Kanada beanspruchte Territorien ein, Nationalf laggen werden symbolisch " ! ,> auf dem Meeresgrund gehisst (Russ­ land, 2007), einem deutschen For& schungsschiff („Polarstern“) wird 2 ' / . der Zugang zu kanadischen Gewäs1 ) ! ' $ )2 ' sern verwehrt. "#" !" Auf der staatlichen Ebene gibt " ! " # es in der Beaufortsee Grenzstrei! 92 $ ,8 ) 2% % 1 % " tigkeiten zwischen den USA und > ' 2 ) # " Kanada. Kanada vertritt die Auffas sung, dass die Seegrenze entlang ' der Landesgrenze, welche 1825 zwi )2 %1 $ * 6 schen Russland und dem Vereinig% ) ,>> ) ten Königreich beschlossen wurde, & : $ verläuft. Die USA hingegen fordern * *2 eine Festlegung der Grenze anhand *) ( ''2(1 $) * der Basislinien (Niedrigwasser­ 2' $ linien; vgl. Abb. 3). Zwischen Nor1)=$ > wegen und Russland entbrannten *2$ ) Grenzstreitigkeiten in der Barents $# see, die jedoch 2010 beigelegt wer) den konnten. Uneinigkeit besteht 1! " - %6 = +) #" allerdings weiterhin hinsichtlich . ' ! ! / ) 4> der Ausschließlichen Wirtschafts" zone von Spitzbergen. Kanada und ' % # Dänemark streiten sich über die 1 ) < * ' ) 1& 1 Zugehörigkeit der Insel Hans (vgl. %2 " $!" Abb. 3), einer unbewohnten, nur !"#! !! ca. 1,3 km² große Insel im Kennedy >>> ( > Kanal zwischen Grönland und Ka>> ( nada. Die Insel spielt eine wichtige strategische Rolle bei der Kontrolle >( der Nordwestpassage und den Ansprüchen auf die Erdöl- und Erdgas$ 7>>> ( Ressourcen. Neben den Grenzkonf likten $ >>> ( entfalten sich auch erste politische Abb. 4: Topographie und Bathymetrie der Arktis Auseinandersetzungen über den > , & : & ' $ : & ) " 3> $ " ) %) )2 $ )2 ' > ! 1 ;%2 261 " > ( & " ;$ ,>> & , ' -# > ,8 &2$ ) ' )2 #'" % > lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 Status der Nordwestpassage, welche durch den kanadischen Archipel verläuft. Kanada vertritt die Auffassung, dass es sich dabei um interne Gewässer handelt, während die USA und die Europäische Union die Gewässer als international ansehen. In internationalen Gewässern gilt das Recht der freien Navigation, d.h. in dieser Sicht könnte jedes Schiff (ob arktistauglich oder nicht) die Seeroute nutzten und die Gefahr von Unfällen würde sich erhöhen. Bestehende und sich abzeichnende Konflikte 4> + >> ,>>> &( 16*!1-#% 0 #)%-- 29 Quelle: UNEP/GRID-Arendal 2006, verändert 8> 8> lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 > > 1 Geographische Rundschau 12 | 2011 > hans Gebhardt, Eva Ingenfeld Territoriale Forderungen der Anrainer-Staaten Norwegen stellte bereits im Jahr 2006 einen Antrag zur Erweiterung des Festlandsockels und beanspruchte einige kleinere Gebiete (vgl. Abb. 3). Aufgrund einer positiven Empfehlung der FSGK im März 2009 konnte das Land einen Gebietsgewinn von ca. 235 000 km² erreichten (vgl. Marx 2010). Obwohl die USA das SRÜ bisher noch nicht ratifiziert haben und daher keine Anträge bei der FSGK einreichen können, erklärte Ex-Präsident George W. Bush die Vereinigten Staaten Anfang 2009 zur Arktis-Nation und unterstrich die US-amerikanischen Interessen an der Region im Bereich der nationalen Sicherheit, die Auswirkungen des Klima­wandels, des Umweltschutz und der Förderung von Rohstoffen (vgl. The White House 2009). Die umfangreichsten Gebietsansprüche in der Arktis erheben Kanada und Russland (vgl. Abb. 3). Kanada präsentierte 2009 seine „Northern Strategy“, in der insbesondere die starke Identifizierung der autochthonen Bevölkerungsgruppen (Inuit) mit dem Norden als Argument für Besitzansprüche vorgetragen wird (vgl. Lackenbauer 2008, Government of Canada 2009). Um seine Ansprüche auch durch wissenschaftliche Forschung zu untermauern wurde das Continental Shelf Program ins Leben gerufen, das über genaue Vermessungen des Meeresbodens im arktischen und atlantischen Ozean durchführen soll. Im Rahmen des Programms wurden mehrere Expeditionen durchgeführt um insbesondere den ­ Lomonosovrücken, aber auch weitere Rücken (Mendeleev- und Alpharücken) zu erforschen (vgl. Abb. 4). Der Lomonosovrücken erstreckt sich von Russland quer durch das Polarmeer bis nach Kanada und er spielt für Kanada, Russland und Dänemark nicht nur hinsichtlich potenzieller Gebietserweiterungen eine tragende geostrategische Rolle, sondern auch wegen der dort vermuteten Ressourcen. Russland stellte bereits im Jahr 2001 einen Antrag an die FSGK, der jedoch auf Grund fehlender geologischer Beweise abgelehnt wurde. 2007 starteten zwei Expeditionen um den Lomonosovrücken zu erforschen, eine weitere Expedition folgte im Juli 2010. Ziel ist, geologische Belege dafür zu finden, dass der Lomonosov- und der Mendeleevrücken Fortsetzungen des Kontinentalschelfs bilden und damit dem russischen Staatsgebiet zugeordnet werden können. Von großer ökonomischer Bedeutung ist für Russland auch die Nutzbarkeit der Nord-Ost-Passage. Dänemark beansprucht Gebiete rund um die Färöer Inseln und Grönland und hat dabei, wie auch Russland und Kanada, den Nordpol selbst im Blick. Geologische Erkundungen ergaben, dass der arktische Meeres­ boden sowohl mit Grönland als auch mit Kanada verbunden ist und Dänemark somit die Möglichkeit hätte, sein Territorium um rund 200 000 km² zu erweitern. (vgl. Kefferpütz und Bochkarev 2009). 30 Auf der substaatlichen Ebene haben sich in den letzten Jahren kleinere Konf likte, vor allem zwischen ­großen Konzernen und Umweltaktivisten, gehäuft. Vor der Küste Grönlands in der Baffin Bay protestierten im August 2010 Greenpeace-Aktivisten gegen Bohrungen des schottischen Ölkonzerns Cairn Energy. Greenpeace wollte mit dieser Aktion auf das umweltgefährdende Tiefseegeschäft der Ölindustrie aufmerksam machen (vgl. Seidler 2010). Das deutsche Forschungsschiff ­„Polarstern“ musste seine Arbeiten in kanadischen Gewässern (seismische Tests im Lancaster Sound) im Jahr 2010 auf Grund einer einstweiligen Verfügung ab­brechen. Die Qikiqtani Inuit Association, eine Ver­ einigung der Inuit, war vor Gericht gezogen, da sie befürchtete, dass die Schallwellen der seismischen Tests Auswirkungen auf die Narwale, Belugas und Grönlandwale haben könnten (vgl. Seidler 2011). Prozess der „Territorialisierung“ der Arktis und die beteiligten Akteure Aufgrund dieser sich abzeichnenden Konf likte ist inzwischen von einem „neuen Kalten Krieg um den Nordpol“ in den Medien die Rede, von einem „Wettlauf um die Rohstoffe des Nordpols“. Das neue „Great Game“ um die Arktis ist eröffnet, Forschungsfahrten verschiedener Nationen durch arktische Gewässer zeigen „Flagge“ und unterstreichen politische Ansprüche. Die Arktis ist in den letzten Jahren zu einem „umkämpften“ Raum geworden. Dieser Kampf wird derzeit vor allem verbal ausgefochten, mit Symbolen und Zeichen, mit Argumenten und Medienberichten, und die einzelnen Akteure versuchen ihre Interessen und Machtressourcen auszuspielen. Die Arktis­Anrainer haben ein primäres Interesse am Zugang zu ­potentiellen Ressourcen sowie der Kontrolle künftiger Schifffahrtswege (vgl. Textbox). Auch wenn noch weitgehend Unsicherheit über ökonomisch ausbeutbare Ressourcen besteht, wird vorausschauend eine „just in case-Politik“ betrieben. Um ihre Gebietsansprüche und Souveränität zu untermauern, stocken die Anrainer ihre Flotte auf und zeigen verstärkt militärische Präsenz in der Arktis. Relativ neu ist das internationale Interesse an der Aufteilung der Arktis im Kontext von Global Change. Auch arktisferne Staaten wie China, Deutschland, Italien und die Europäische Union als Ganzes artikulieren ihre Interessen am freien Zugang zu Schifffahrtswegen, an Konzessionen zur Förderung von Ressourcen und sie äußern Umweltbedenken (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2008, Kefferpütz und Bochkarev 2009). Insbesondere China bekundet großes Interesse und hat bereits mit Norwegen ein Abkommen zur Erschließung der arktischen Ressourcen abgeschlossen. Neben Frankreich, Großbritannien, Spanien, Polen und den Niederlanden ist auch Deutschland im Arktischen Rat als Beobachter vertreten; sein Mitspracherecht ist gleichwohl sehr begrenzt. China, Japan, und Italien haben inzwischen den Beobachterstatus beantragt. Der Antrag der Europäischen Union auf Aufnahme wurde allerdings 2009 abgelehnt. Geographische Rundschau 12 | 2011 lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 textbox 1 Die Arktis im Fokus geoökonomischer und geopolitischer Interessen # $!!! ! # ! '$ # $ # # $!! # ! $ $ $!! ## #!# % $ # $!! $ # !# & ! $ Neben den Anrainerstaaten und ihren staatlichen Organisationen sowie den Beobachtern im Arktischen Rat erheben auch internationale Gremien (UN) und die verschiedensten Nichtregierungsorganisationen und Interessenvertretungen (Inuit Circumpolar Council, ­Barents Euro Arctic Council, Greenpeace, WWF) ihre Stimmen. Auch regionale Akteurs-/Widerstandsgruppen (Nunavut Tunngavik, Inuit Tapiriit Kanatami, MGM Energy Group) finden zumindest in der kanadischen Regierung Gehör (vgl. Agnew 1994, Soyez 2006). Ins­ besondere die indigene Bevölkerung Kanadas hat sich zu Zweckgemeinschaften zusammengeschlossen, um den Schutz ihrer Heimat vor unkontrollierter Ausbeutung auch auf höheren staatlichen Ebenen durchsetzen zu können. Es geht auch um den Erhalt traditioneller Lebensformen sowie um Entscheidungskompetenzen und Beteiligung am zu erwartenden Gewinn aus der Abb. 5: Argumentationen zur Territorialisierung der Arktis Die bei der UN von den Arktis-Anrainerstaaten vorgebrachten Argumente für eine jeweilige staatliche Zugehörigkeit der Arktis werden von Thilo Felgenhauer (2009) einer kurzen Argumentationsanalyse unterzogen. Die Abbildung illustriert die Argumentation Russlands, dass der Nord­ pol auf einer gemeinsamen geologischen Platte mit Russland liege und aus dieser natürlichen Verbindung auch ein Rechtsanspruch abzulei­ ten sei. ­Darauf erwiderten die anderen Parteien Kanada und Dänemark (­Grönland), dass ihre Küstenlinie näher an den Nordpol heranreiche als diejenige Russlands bzw. dass die Ausweisung einer Zone von 200 See­ meilen vor der jeweiligen Küste als Grundregel für die Stützung der An­ sprüche anzuwenden sei. Im Falle Russlands wird mit einer „externen Autorität“, der Geologie, argumentiert, während Grönland und Kanada die gängige „Distanzlogik“ bemühen, d.h. aus räumlicher Nähe auch eine größere Intensität der Beziehung ableiten. Die Beispiele zeigen, wie hier versucht wird, mit „Geographie“ Politik zu machen. Quelle: Felgenhauer 2009 Extraktion von marinen Ressourcen. Vertreter der indigenen Völker wie der Inuit Circumpolar Council sind ebenfalls im Arktischen Rat vertreten und stellen so eine Verbindung zwischen internationaler und lokaler Ebene her. Umweltschutzgruppen streben für die Arktis einen dauerhaften Schutzvertrag an (ähnlich dem der Antarktis), um das empfindliche Ökosystem zu schützen (vgl. Heininen 2004). Für eine konstruktivistisch orientierte Humangeographie ist an den Diskursen und Argumentationen um die Territorialisierung der Arktis vor allem inte­ ressant, wie hier mit geographischen Mitteln Politik gemacht wird. Während Russland mit geologischen Argumenten in die Schlacht zieht (direkte Fortsetzung der sibirischen Küste im Lomonossow Rücken), argumentieren Kanada und die USA (Alaska) mit geographischen Aspekten (Entfernung der Küstenlinien zum Nordpol) sowie Argumenten der räumlichen Identität der autochthonen Bevölkerung (Inuit). Arktisferne Staaten hingegen bringen verkehrsgeographische Argumente wie die „Freiheit der Meere“, den freien Welthandel etc. ins Spiel. Die verschiedenen Akteure verfolgen ihre Nutzungsinteressen mit unterschiedlichen „Raumlogiken“ und „Raumbildern“ zur Begründung ihrer Ansprüche (vgl. Abb. 5). lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 $!! # ! $ $ Fazit Foto 2: Russisches Fernsehfoto vom 3.8.2007: Ein Roboter pflanzt die Flagge Russlands auf dem Meeresboden am Nordpol Geographische Rundschau 12 | 2011 lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 Die Auseinandersetzungen um die „Territorialisierung“ des arktischen Ozeans vor dem Hintergrund des globalen Umweltwandels, d. h. der Ausweitung der nationalstaatlichen Territorien der Anrainerstaaten auf den Meeresraum, und die sich dabei anbahnenden Kon- 31 hans Gebhardt, Eva Ingenfeld Literatur ACIA (2004) Impacts of a Warming Arctic: Arctic Climate Impact ­Assessment. Cambridge Agnew, J. (1994): The Territorial Trap: the Geographical Assumptions of International Relations Theory. Review of International Political Economy 1 (1), S. 53–80 Arctic Council (2007): About Arctic Council. http://arctic-council.org/ article/about (22.03.2011) Arctic Council (2008): “The Ilulissat Declaration”. 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(27.05.2011) Times Colomnist (2007): Harper on Arctic: ‚Use it or lose it‘. Times Colomnist 10. Juli 2007. www.canada.com/topics/news/story. html?id=7ca93d97-3b26-4dd1-8d92-8568f9b7cc2a. (17.04.2011) Toomey, P.R.M. (2007): Global Warming: Arctic Shipping. In: Meridian ­Canadian Polar Commission Fall/Winter, S. 6–11 UNEP/GRID-Arendal (2006): Arctic, topography and bathymetry. UNEP/ GRID-Arendal Maps and Graphics Library, 2006. http://maps.grida. no/go/graphic/arctic-topography-and-bathymetry2. Kartograph Hugo Ahlenius, UNEP/GRID-Arendal(23.04.2011) Summary The Arctic Region in the Center of Geo-economic and Geopolitical Interests by Hans Gebhardt, Eva Ingenfeld The Arctic Ocean is taking on more and more of a geopolitical focus because of the expected resource wealth in the Arctic (more than 30 % of the world’s undiscovered natural gas reserves and 13% of its undiscovered oil reserves), new conveyor and transport technologies, and the progressive climatic amelioration. These factors have aroused a worldwide interest in the Arctic, especially among the A5, as the Arctic States – Canada, Russia, the United States of America, Norway, and Denmark – call themselves. Each of these nations claims part of the Arctic Ocean. Unlike its southern counterpart, the Antarctic, the Arctic is not protected by a contract, and therefore territorial claims are not illegal. AUTORen Professor Dr. Hans Gebhardt, geb. 1950 [email protected] Arbeitsgebiete/Forschungsschwerpunkte: Politische Geographie, Neue Kulturgeographie, Gesellschaft-Umweltforschung Dipl-Geogr. Eva Ingenfeld, geb. 1983 [email protected] Arbeitsgebiete/Forschungsschwerpunkte: Geographische Konfliktforschung, Politische Geographie, Ocean-Governance, marine Ressourcen Geographisches Institut, Universität Heidelberg Berliner Str. 48, 69 120 Heidelberg Geographische Rundschau 12 | 2011 lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 lizenziert für Jonas Geltinger am 22.01.2013 f likte um Grenzziehungen, Ressourcennutzung und politische Kontrolle sind in vollem Gange. Der globale Klimawandel eröffnet ein neues „window of opportunity“ in einem der letzten noch nicht nationalstaatlich aufgeteilten Räume der Erde. Die Arktis wird somit zu einem „Ernstfall“ der Möglichkeiten und Grenzen von Global Governance auf supranationaler Ebene, aber auch zum „Testfall“, inwieweit die Betroffenen auf regionaler Ebene (bspw. indigene Bevölkerung) gehört werden und sich gegenüber den übergeordneten Inte­ ressen der jeweiligen Nationalstaaten durchsetzen können. |||