Notfallmedikame und Infusionslösunqen

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6
Notfallmedikamente
und Infusionslösungen
6.1
Applikationswege – 122
6.2
Pharmakagruppen und Indikationsspektren – 123
6.3
Infusionstherapie – 125
6.3.1
6.3.2
Infusion und Injektion von Medikamenten
Volumenersatztherapie – 127
– 126
6.4
Katecholamine und Sympathomimetika – 133
6.4.1
6.4.2
Wirkungsweise und Indikationen – 133
Medikamente – 134
6.5
Vasodilatoren und Sympatholytika – 136
6.5.1
6.5.2
Wirkungsweise und Indikationen – 136
Präparate – 137
6.6
Analgesie – 140
6.6.1
6.6.2
6.6.3
6.6.4
Dosierung und Substanzgruppen – 140
Fiebersenkende Analgetika – 140
Opioide – 143
Ketamin – 145
6.7
Sedierung – 147
6.8
Präklinische Narkose – 148
122
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
> > Lerninhalte
Die Infusionstherapie und die intravenöse medikamentöse Therapie des Notfallpatienten stellen einen wesentlichen Teil der präklinischen Behandlung dar. Wichtigste Indikation der Infusionstherapie ist ein ausgeprägter Volumenmangelzustand (Volumenersatztherapie). Hier sind kristalloide (NaCl 0,9 %, Ringer-Lösung),
kolloidale (HAES, Gelatine) oder initial auch hyperonkotisch-hyperosmolare Lösungen indiziert. Die meisten und wichtigsten Notfallmedikamente entstammen den
Bereichen Sympathomimetika, Sympatholytika und Vasodillatanzien sowie Analgetika, Sedativa und Narkotika. Das präklinisch bedeutsamste Sympathomimetikum ist
das Katecholamin Adrenalin. Die wichtigsten vasodilatorisch wirkenden Pharmaka
sind Nitroglycerin und Urapidil. Gängige Analgetika sind das fiebersenkende Paracetamol, das entzündungs- und thrombozytenaggregationshemmende ASS, das
schwach wirksame Opioid Tramadol, das stark wirksame Opioid Morphin (oder
Piritramid) und Ketamin. Die meistverwendeten Sedativa sind Diazepam und
Midazolam. Die präklinische Narkose, die möglichst immer als Intubationsnarkose
durchgeführt werden sollte, kann mit einem Injektionshypnotikum wie Propofol
oder Etomidate oder Ketamin eingeleitet und einem Opioid oder Ketamin plus
Midazolam aufrechterhalten werden.
6
6.1
Applikationswege
Intravenös (i. v.). Pharmaka werden im Rettungsdienst überwiegend intravenös
verabreicht. Nur so kann sichergestellt werden, dass die gesamte Dosis auch rasch
in die Blutbahn und damit an den Wirkort gelangt. Es werden nur dann andere
Applikationswege gewählt, wenn kein intravenöser Zugang geschaffen werden
kann, wenn die Medikamente auf einem anderen Applikationsweg ähnlich gut
oder sogar besser wirksam sind oder wenn die Pharmaka nicht in Injektionsform
vorliegen bzw. nicht zur intravenösen Injektion zugelassen sind.
> Notfallmedikamente werden vorzugsweise intravenös verabreicht.
Intramuskulär (i. m.) und subkutan (s. c.). Diese Injektionsformen sind für die Not-
fallversorgung normalerweise nicht geeignet. Die Resorption der Pharmaka aus
Muskel- oder Subkutangewebe ist gerade im Schockzustand nicht sicher vorhersagbar. Ausnahmen sind Pharmaka wie Ketamin (Analgetikum, Narkosemittel),
die nachgewiesenermaßen auch i. m. rasch resorbiert werden, oder andere wie
Terbutalin (Antiobstruktivum), die nicht für die i. v.-Injektion zugelassen sind.
Weitere Ausnahme: Adrenalin bei Anaphylaxie (7 Kap. 9.4).
Intraossär (i. o.) verabreichte Medikamente und Infusionslösungen haben praktisch
den gleichen Effekt wie nach intravenöser Gabe. Dieser Applikationsweg wird in
123
6.2 · Pharmakagruppen und Indikationsspektren
6
bedrohlichen Situationen ohne venösen Zugang vor allem bei Kindern empfohlen
(7 Kap. 5.2.1).
Pulmonal. Zur Therapie einiger pulmonaler oder tracheobronchialer Erkrankungen ist die topische Applikation von Antiobstruktiva (β2-Mimetika) und Kortikosteroiden per inhalationem (p. i.) indiziert. Eine systemische Resorption der Pharmaka ist nicht erwünscht, findet jedoch in unterschiedlichem Ausmaß dennoch
statt. Im Falle der β2-Mimetika macht man sich die systemische Resorption für
die Indikation »Wehenhemmung« zunutze. Durch Instillation von Medikamenten
tief in das Tracheobronchialsystem können Adrenalin, Atropin und Lidocain verabreicht werden, wenn unter Reanimation noch kein i. v.-Zugang gelegt werden
konnte, der Patient aber schon intubiert ist. Dann ist die möglichst rasche systemische Resorption und Wirkung unbedingt erwünscht. Tatsächlich können damit
auch meist therapeutische Plasmakonzentrationen erreicht werden.
Sublingual (s. l.). Vor allem Nitropräparate werden sehr gut sublingual resorbiert
und können als Kapsel (die vorher zerbissen werden muss) oder Spray auf diese Art
verabreicht werden.
Oral (p. o.). Die orale Medikamentengabe ist bei Notfallpatienten normalerweise
nicht geeignet, da die Zeit bis zum Wirkungseintritt meist zu lang ist und Magendarmfunktion und somit Medikamentenresorption zudem in Schockzuständen gestört sind. Ausnahme: Nifedipin wird, wenn die Kapsel im Mund zerbissen und der
Inhalt hinuntergeschluckt wird, rasch zum großen Teil noch im Magen resorbiert.
Rektal. Vor allem bei Kindern können Medikamente als Suppositorien oder Rek-
tiolen verabreicht werden: Kortikoide, Diazepam und Paracetamol.
Intrakardial. Intrakardiale Injektionen (mit Adrenalin) werden nicht mehr durch-
geführt, da sie komplikationsreich (Verletzung der Herzkranzgefäße, des Herzmuskels oder der Lungen) und nicht effektiver als intravenöse Injektionen sind.
6.2
Pharmakagruppen und Indikationsspektren
Pharmakagruppen. Die Notfallmedikamente können in folgende Gruppen einge-
teilt werden (. Tabelle 6.1):
4 Pharmaka mit vorwiegender Wirkung auf das Herz-Kreislauf- System
4 Pharmaka mit vorwiegender Wirkung auf die Atmung
4 Pharmaka mit vorwiegender Wirkung auf das zentrale Nervensystem
4 sonstige Pharmaka inkl. Antidote.
124
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
. Tabelle 6.1. Einteilung der Notfallmedikamente (in Klammern gängige Beispiele)
Pharmaka mit vorwiegender
Wirkung auf das
Herz-Kreislaufsystem
5 Infusionslösungen/Volumenersatzmittel
(Ringer-Lösung, HAES, Dextrane, Gelatine)
5 Inotropika (Adrenalin, Dopamin, Dobutamin)
5 Vasokonstriktoren (Adrenalin, Noradrenalin,
Dopamin, Vasopressin)
5 Vasodilatoren und Antihypertensiva
(Nitroglycerin, Nifedipin, Urapidil)
5 Antianginosa (Nitroglycerin, β-Blocker)
5 Anticholinergika (Atropin)
5 Diuretika (Furosemid)
5 Antiarrhythmika (Amiodaron, Lidocain, β-Blocker,
Verapamil, Adenosin, Digoxin)
5 Antikoagulanzien (Heparin, ASS)
5 Fibrinolytika (Streptokinase, rt-PA)
Pharmaka mit vorwiegender
Wirkung auf die Atmung
5 Antiobstruktiva (Fenoterol, Reproterol,
Theophyllin)
Pharmaka mit vorwiegender
Wirkung auf das zentrale
Nervensystem
5 Analgetika (Morphin, Piritramid, Tramadol;
ASS, Diclofenac, Paracetamol, Metamizol)
5 Sedativa (Diazepam, Midazolam, Promethazin)
5 Neuroleptika (Haloperidol)
5 Narkosemittel (Etomidate, Thiopental, Propofol,
Fentanyl)
5 Antikonvulsiva (Diazepam, Thiopental)
Sonstige
5 Antiallergika (Methylprednisolon, Clemastin,
Fenestil)
5 Antihypoglykämika (Glukose)
5 Muskelrelaxanzien (Succinylcholin, Rocuronium)
5 Spasmolytika (Butylscopolamin, Nitroglycerin)
5 Tokolytika (Fenoterol)
5 alkalisierende Medikamente (Natriumbikarbonat)
5 Antidota (Atropin, 4-DMAP)
6
Ein Beispiel für eine mögliche medikamentöse Ausstattung eines Notarztwagens
mit kursorischen Erläuterungen gibt die Medikamententabelle im Anhang.
Medikamentenauswahl. Die konkrete Medikamentenauswahl wird je nach regio-
nalen Gepflogenheiten und Vorlieben der Einsatzleiter vorgenommen, so dass
die Ausstattung verschiedener Notarztwagen durchaus unterschiedlich sein kann.
Bei der Auswahl müssen die begrenzten räumlichen Gegebenheiten in NAW,
RTW, RTH und erst recht im Notarztkoffer bedacht werden. Es ist nicht sinnvoll,
125
6.3 · Infusionstherapie
6
mehrere Medikamente mit ähnlichem Wirkmechanismus mitzuführen, die sich
nur marginal unterscheiden. Viele Medikamente haben Eigenschaften, die zu verschiedenen Indikationsgruppen passen. Solche Medikamente sind aus bevorratungsökonomischen Gründen für die Rettungsmedizin besonders geeignet
(Beispiele: Diazepam oder Midazolam, Nitroglycerin).
6.3
Infusionstherapie
Infusionslösungen. Im Rettungsdienst werden folgende Lösungen verwendet:
4
4
4
4
kristalloide elektrolythaltige
kristalloide glukosehaltige
kolloidale
alkalisierende.
Aus jeder Gruppe sollte eine Infusionslösung im Rettungswagen vorhanden sein
(. Tabelle 6.2).
Indikationen. Die Infusionstherapie ist vor allem zum Volumenersatz und zur Medika-
mentenapplikation indiziert. Vielfach wird aber eine Infusion auch nur angelegt, um
ein Verschließen eines venösen Zugangs durch Koagulation zu verhindern (Offen. Tabelle 6.2. Infusionslösungen (in Klammern Beispiele für Handelsnamen)
Kristalloide
Lösungen
Kolloidale
Lösungen
Alkalisierende
Lösungen
Glukosehaltige
Lösungen
5 Glukose 5 %
5 Glukose 40 %
Vollelektrolytlösungen
5 NaCl 0,9 % (physiologische Kochsalzlösung)
Ringer- Lösung, Ringer-Laktat, Ringer-Acetat
Hydroxyaethylstärke
5
5
5
5
Dextrane
5 Dextrane 60 000 6 % (Makrodex)
5 Dextrane 40 000 10 % (Onkovertin N)
Gelatine
5 succinylierte Gelatine 4 % (Gelafundin)
5 Oxypolygelatine 5,5 % (Gelifundol)
5 harnstoffvernetzte Gelatine 3,5 % (Haemaccel)
HAES 450 000 6 % (Plasmasteril)
HAES 200 00 10 % (HAES-steril)
HAES130 00 6 % (Voluven)
HAES 70 000 6 % (Expafusin)
5 Natriumbikarbonat 8,4 %
5 Tris-Puffer (THAM; Trishydroxymethylaminomethan) 36 %
126
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
halten eines Zugangs durch eine Elektrolytlösung). Wird ein Medikament zugespritzt,
beschleunigt die Infusion außerdem das Einschwemmen ins Gefäßsystem.
! Eine (versehentliche) schnelle Volumenapplikation und Überinfusion kann insbesondere bei Patienten mit Herzinsuffizienz zum Lungenödem führen. Bedroht von einer
akzidenziellen Volumenüberladung sind zudem kleine Kinder. Hier sollten zur Sicherheit von vornherein kleinere Gebinde (250-ml- oder 100-ml-Beutel) verwendet werden.
6.3.1 Infusion und Injektion von Medikamenten
6
Infusionslösungen werden auf folgende Weise zur Medikamentenapplikation verwendet:
4 Die Infusionslösung ist selbst das Medikament, z. B. Glukose 40 % und alkalisierende Lösungen.
4 Eine kleine Menge Infusionslösung wird verwendet, um ein Medikament vor
der intravenösen Injektion zu verdünnen. Notfallmedizinisch relevante Beispiele: Adrenalin liegt üblicherweise in 1-ml-Portionen zu 1 mg vor und wird
üblicherweise zur i. v.-Injektion mit NaCl 0,9 % auf 10 ml verdünnt. Das Antiarrhythmikum Amiodaron (300 mg) soll vor der Injektion auf 20 ml G5 %
verdünnt werden. Die meisten Medikamente sind mit einer Elektrolytlösung
kompatibel, einige jedoch nur mit G5 % (z. B. Amiodaron).
4 Die Infusionslösung fungiert als Trägerlösung für Medikamente, die erst noch
zugespritzt werden müssen, bis die gewünschte Konzentration erreicht ist.
Diese können dann kontinuierlich verabreicht werden, wie es besonders für
Vasodilatoren (z. B. Nitroglycerin) und Katecholamine (z. B. Dopamin) sinnvoll ist. Die Infusion wird sodann über einen Tropfenzähler, eine Infusionspumpe oder (meist in 50-ml-Portionen) über eine Motorspritzenpumpe verabreicht (. Abb. 6.1). Ist dergleichen nicht vorhanden, so kann die Infusionsgeschwindigkeit nach einer Faustregel abgeschätzt werden.
> 20 Tropfen entsprechen etwa 1 ml.
. Abb. 6.1. Motorspritzenpumpe
127
6.3 · Infusionstherapie
6
6.3.2 Volumenersatztherapie
Indikationen. Eine Volumenersatztherapie ist immer dann indiziert, wenn ein ab-
soluter oder relativer Volumenmangel vorliegt:
4 Bei einem absoluten Volumenmangel ist Blutvolumen aus dem Gefäßsystem
verloren gegangen.
4 Beim relativen Volumenmangel ist aufgrund einer Vasodilatation nicht mehr
ausreichend intravasales Volumen vorhanden.
Auswirkungen. Ein Volumenmangel liegt insbesondere bei allen Schockformen
(außer dem kardiogenen/obstruktiven Schock) vor; die präklinisch bedeutsamste
Indikation ist der hämorrhagische Schock. Blutkonserven oder andere sauerstoffträgerhaltige Lösungen stehen zurzeit präklinisch nicht zur Verfügung. Somit hat
jede Infusionstherapie zwangsläufig einen Verdünnungseffekt und geht mit einer
Abnahme des arteriellen Hämoglobin- und Sauerstoffgehalts einher (anämische
Hypoxämie, 7 Kap. 8.1.2). Eine anämische Normovolämie wird jedoch erheblich
besser toleriert und führt zu weniger Organkomplikationen als eine normämische
Hypovolämie. In der Klinik wird die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten
meist erwogen, wenn die Hämoglobinkonzentration unter 7–8 g % liegt.
> Zur Infusionstherapie können grundsätzlich kristalloide und kolloidale Lösungen
oder eine Kombination beider verwendet werden.
Kristalloide elektrolythaltige Lösungen
Zur Volumenersatztherapie sind lediglich Elektrolytlösungen geeignet, die das
wichtigste extrazelluläre Kation (nämlich Natrium) in einer Konzentration enthalten, die in etwa der des Plasmas entspricht (normale Natriumkonzentration im
Plasma: ca. 135–145 mmol/l). Diese Voraussetzung erfüllen nur die sog. Vollelektrolytlösungen, die per definitionem eine Natriumkonzentration über 120 mmol/l
haben. Die Lösungen verteilen sich rasch gleichmäßig im gesamten Extrazellulärraum (. Abb. 6.2), der insgesamt etwa 4-mal so groß ist wie der Intravasalraum.
Zur Volumentherapie weit verbreitete Vollelektrolytlösungen sind:
4 Physiologische Kochsalzlösung (NaCl 0,9 %): enthält 155 mmol/l Natrium
und 155 mmol/l Chlorid
4 Ringer-Lösung (RL): enthält etwa 145 mmol/l Natrium (plus weitere Kationen
wie Kalium und Kalzium) und etwa 150 mmol/l Chlorid.
Die erwähnten Lösungen enthalten als Anion ausschließlich Chlorid, das zur
Bewahrung der Elektroneutralität deutlich höher konzentriert sein muss als im
Plasma (normale Chloridkonzentration im Plasma: ca. 100 mmol/l). Andere Vollelektrolytlösungen enthalten auch metabolisierbare organische Anionen wie Laktat
128
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
6
. Abb. 6.2. Verteilungsvolumina der Infusionslösungen (vereinfachtes Schema beim
Erwachsenen)
(z. B. Ringer-Laktat-Lösung) oder Acetat (Ringer-Acetat-Lösung) mit einer zum
Ausgleich niedrigeren Chloridkonzentration. Dieser Unterschied kann bei Infusion großer Mengen bedeutsam werden: Die Zufuhr einer großen Infusionsmenge
mit hohem Chloridgehalt in kurzer Zeit kann eine Azidose auslösen: genauer eine
mineralische bzw. hyperchlorämische Azidose, auch Dilutionsazidose genannt
(7 Kap. 13.2.2). Allerdings ist bislang nicht geklärt, ob dieser Aspekt für die Volumenersatztherapie eine entscheidende Bedeutung hat.
> Vollelektrolytlösungen sind die Infusionslösungen der Wahl bei geringeren Blutverlusten (500–1000 ml), können aber auch zur ausschließlichen Volumenersatztherapie im schweren hypovolämischen Schock verwendet werden.
Kristalloide glukosehaltige Lösungen
Zu den kristalloiden Lösungen gehören auch Zuckerlösungen wie Glukose 5 %. Sie
enthalten kein Natrium. Die Lösung ist zwar ungefähr isoton, verhält sich aber nach
129
6.3 · Infusionstherapie
6
Verstoffwechselung der Glukose wie freies Wasser und verteilt sich im gesamten
intra- und extrazellulären Raum (. Abb. 6.2). Der Volumeneffekt ist also sehr
gering. Zudem können intrazelluläre Ödeme verstärkt werden und es kommt zur
Hyperglykämie. Glukoselösungen sind zur Volumentherapie nicht indiziert, beim
Schädel-Hirn-Trauma sogar kontraindiziert. Auch glukosehaltige Elektrolytlösungen sind zur präklinischen Infusionstherapie ungeeignet. Glukoselösungen (vorzugsweise als Konzentrate; 40–50 %) werden präklinisch vor allem zur Therapie
der akuten Hypoglykämie benötigt.
> Reine Glukoselösungen, aber auch glukosehaltige Elektrolytlösungen sind zur
präklinischen Volumentherapie nicht indiziert.
Kolloidale Lösungen
Kolloidale Lösungen verbleiben überwiegend im Intravasalraum (vorausgesetzt, es
liegt kein ausgeprägtes Kapillarlecksyndrom vor; . Abb. 6.2). Sie haben daher einen
deutlich besseren Volumeneffekt als reine Vollelektrolytlösungen. Ist die Volumenwirkung sogar größer als die infundierte Menge – was bei hyperonkotischen Lösungen
der Fall ist – so werden diese Lösungen auch als Plasmaexpander bezeichnet.
> Indiziert sind kolloidale Lösungen in der Notfallmedizin vor allem bei größeren
Blutverlusten (über 500–1000 ml). In der Regel werden sie mit Vollelektrolytlösungen kombiniert.
Körpereigene und künstliche Kolloide
Die wichtigsten körpereigenen kolloidalen Lösungen sind Humanalbuminlösungen. Allerdings haben sie in der Volumenersatztherapie keine wesentlichen Vorteile gegenüber den künstlichen kolloidalen Lösungen und sind aufgrund ihres hohen
Preises in der präklinischen Volumentherapie daher nicht indiziert (. Tabelle 6.3).
Stattdessen werden die folgenden künstlichen Kolloide eingesetzt:
4 Hydroxyaethylstärke: HAES-Lösungen werden auf der Basis von Stärke
hergestellt. HAES-Präparate sind u. a. in verschiedenen Konzentrationen
(3 %, 6 %, 10 %) und mit unterschiedlichem mittlerem Molekulargewicht
(450 000, 200 000, 130 000, 70 000) erhältlich. 3 %ige Lösungen sind hypoonkotisch, 6 %ige etwa isoonkotisch und 10 %ige hyperonkotisch. Hochmolekulare Lösungen (450 000) werden kaum mehr verwendet. Am gängigsten für die präklinische Volumentherapie sind 6 % HAES 200 000 oder
130 000.
4 Gelatine-Lösungen: Sie werden auf Protein- bzw. Kollagenbasis unter Verwendung verschiedener Vernetzungsmittel hergestellt.
4 Dextrane-Lösungen: Sind auf Zuckerbasis synthetisiert, werden jedoch in
Deutschland eher selten verwendet.
130
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
. Tabelle 6.3. Eigenschaften der kolloidalen Volumenersatzmittel
6
Präparat
initialer
Volumeneffekt ( %)
Dauer des
Volumeneffektes (h)
Blutgerinnungshemmende
Wirkung
Verbesserung der
Fließeigenschaften
des Blutes (haemorrheo-logische Effekte)
Dextran 60 6 %
+++ (150)
+++ (8)
+++
+++
HAES 450 6 %
++ (100)
+++ (8)
+
+
HAES 200 10 %
+++ (130)
++ (5)
+
++
HAES 130 6 %
+++ (100)
+ (4)
+
++
HAES 70 6 %
++ (100)
+ (4)
+
++
Gelatine
3,5 %–5 %
+ (90)
+ (3)
(+)
+
Humanalbumin 5 %
++ (100)
+++ (8)
(+)
+
Durch jede körpereigene oder künstliche kolloidale Lösung können anaphylaktische oder anaphylaktoide Reaktionen ausgelöst werden. Schwere Reaktionen sind
sehr selten. Zwischen den verschiedenartigen kolloidalen Lösungen besteht keine
Kreuzallergenität. Die anaphylaktischen Reaktionen auf Dextran waren besonders
gefürchtet, konnten aber durch Einführung des Haptens »Promit« (Dextran 1)
deutlich (etwa um den Faktor 10) reduziert werden. Dennoch wird Dextran aufgrund der Bedenken wegen der Auslösung lebensbedrohlicher anaphylaktischer
Reaktionen hierzulande kaum mehr verwendet.
> Wird Dextran infundiert, so gilt die Regel: Vor der ersten Dextraninfusion sind
20 ml (0,3 ml/kg) Promit zu verabreichen. Diese Regel gilt nur für Dextran, nicht
für andere Kolloide!
Vergleich der Volumenersatzlösungen
Eine suffiziente präklinische Volumenersatztherapie kann sowohl mit kolloidalen
Infusionslösungen als auch mit Vollelektrolytlösungen erfolgen. Es ist bislang unklar, ob die Verwendung einer bestimmten kolloidalen oder Vollelektrolytlösung
klinische Vorteile bringt.
Kolloidale Lösungen. Bei Verwendung aller kolloidaler Lösungen (insbesondere
Dextrane- und hochmolekulare HAES-Präparate) ist mit einer Beeinträchtigung
der Gerinnung zu rechnen. Das kann gerade bei traumatologischen Notfällen zu
erhöhtem Blutverlust führen. Andererseits lässt sich mit Kolloiden eine blutungs-
131
6.3 · Infusionstherapie
6
bedingte Hypotension rascher beheben als mit Kristalloiden, und die Mikrozirkulation in den Geweben wird schneller wiederhergestellt.
Kristalloide Lösungen. Diese diffundieren zwangsläufig überwiegend ins Inter-
stitium und können daher ein interstitielles Ödem verstärken. Die klinische Bedeutung dieses Aspektes ist jedoch nach wie vor unklar.
Die regionalen und nationalen Vorlieben sind sehr unterschiedlich. So sind
z. B. zurzeit die am meisten verwendeten kolloidalen Volumenersatzlösungen in
Deutschland HAES-Präparate und in England Gelatine-Präparate. In den USA
werden oft auch bei großen Volumenverlusten ausschließlich Vollelektrolytlösungen verabreicht.
> Die in Deutschland bei weitem am häufigsten verwendete Kolloide zur präklinischen Therapie ausgeprägter Volumenmangelzustände und des hämorrhagischen
Schocks sind HAES-Präparate.
Hypertone-hyperonkotische Lösungen (Small Volume Resuscitation)
Eine stark hypertone Kochsalzlösung (NaCl 7,2–7,5 %ig) kombiniert mit einer
hyperonkotischen kolloidalen Lösung (6 % Dextrane oder 10 % HAES) führt
schon in sehr kleinen Mengen zu einer sehr schnellen, jedoch vorübergehenden
Wiederherstellung der Zirkulation. Dies geschieht durch rasche Volumenmobilisation aus dem interstitiellen und intrazellulären Raum (Erythrozyten, Endothelzellen) in den Intravasalraum (. Abb. 6.2). Als Dosierung werden im hämorrhagischen Schock 4 ml/kg KG empfohlen. Beim Erwachsenen entspricht das
einer Menge von nur etwa 250 ml. Eine wiederholte Gabe ist wegen der Möglichkeit schwerer Elektrolytimbalancen (Hypernatriämie) nicht indiziert, d. h. nach
einer Small Volume Resuscitation muss die Volumenersatztherapie mit konventionellen kristalloiden oder kolloidalen Lösungen fortgesetzt werden. Sowohl Dextrane- als auch HAES-haltige hypertone-hyperonkotische Lösungen
sind mittlerweile in 250-ml-Portionen kommerziell erhältlich (HyperHAES“
bzw. RescueFlow“). Die Small Volume Resuscitation erscheint besonders zur
Therapie ausgeprägter Volumenmangelzustände mit begleitendem schwerem
Schädel-Hirn-Trauma geeignet. Insgesamt ist bislang jedoch nach wie vor
unklar, ob sie im Vergleich mit einer konventionellen Volumenersatztherapie
mit Kristalloiden und/oder Kolloiden einen entscheidenden klinischen Vorteil
bringt.
Dosierung der Infusionsmenge
Volumenersatzlösungen werden vor allem nach ihrer hämodynamischen Wirkung
dosiert. Das Ziel besteht meist ein einer Erhöhung des Blutdrucks und ein dem
Rückgang der Herzfrequenz.
132
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
Die erforderliche Menge hängt von der Größe des Volumenverlustes und dem
verwendeten Präparat ab. Präklinisch können mehrere Liter kristalloider und/oder
kolloidaler Infusionslösungen erforderlich sein.
> Prinzipiell gilt für die zur Auffüllung des Gefäßsystems notwendige Infusionsmenge nach Blutverlust: Bei Infusion von
5 Vollelektrolytlösungen ist die benötigte Menge etwa 4-mal so groß wie
der intravasale Volumenverlust
5 kolloidalen Lösungen ist die benötigte Menge etwa gleich groß
5 hyperton-hyperonkotischen Lösungen ist sie erheblich geringer
(1/4–1/8 des Blutverlustes).
6
Obergrenzen. Ein prinzipielles oberes Limit ist grundsätzlich durch die zunehmen-
de Blutverdünnung ohne gleichzeitige Gabe von Sauerstoffträgern (Blutkonserven,
Erythrozytenkonzentraten) gegeben. Ansonsten gibt es keine Mengenbegrenzung
für Vollelektrolyt- und Gelatinelösungen. Für HAES- und Dextrane-Lösungen wird
hingegen eine Höchstdosis von (je nach Konzentration der Lösung) etwa 1500–
2500 ml/die angegeben.
Gefahren der präklinischen Volumentherapie
Grundsätzlich ist die Wiederauffüllung des zirkulatorischen Systems bei schweren
Volumenmangezuständen gleich welcher Ursache ein wichtiges (oft das wichtigste)
Ziel der Therapie. Bei bestimmten Verletzungen kann die rasche Beseitigung von
Hypovolämie und Hypotension jedoch die Prognose des Patienten verschlechtern.
Das trifft besonders auf unstillbare manifeste Blutungen zu, vor allem bei einem
Thorax- und abdominellem Trauma bzw. einer Aortenruptur oder Ruptur einer
anderen großen Arterie. In dieser Situation kann eine aggressive Volumentherapie
– bevor die Blutung chirurgisch gestillt ist – das Ausbluten fördern. In solchen
Situationen kann also präklinisch eine zurückhaltende Infusionstherapie unter
bewusster Inkaufnahme eines niedrigen arteriellen Blutdrucks erforderlich sein.
Die weitere Volumentherapie muss in der Klinik begleitend zu den chirurgischen
Blutstillungsmaßnahmen erfolgen. Eine weitere prinzipielle Gefahr der präklinischen Volumentherapie besteht in der Überinfusion, die besonders bei vorbestehender Herzinsuffizienz zum Lungenödem führen kann. Durch besonnenes
Vorgehen kann das jedoch vermieden und ggf. durch Diuretikagabe therapiert
werden.
6
133
6.4 · Katecholamine und Sympathomimetika
6.4
Katecholamine und Sympathomimetika
6.4.1 Wirkungsweise und Indikationen
Wirkung. Je nach verwendetem Präparat und gewählter Dosierung wirken die
Katecholamine folgendermaßen (in Klammer die für die Wirkung vorwiegend verantwortlichen Rezeptoren; . Tabelle 6.4):
4 positiv inotrop (β1): Erhöhung der myokardialen Kontraktilität
4 positiv chronotrop (β1): Herzfrequenzsteigerung
4 vasokonstringierend (α): Anstieg des peripheren Widerstands
4 vasodilatierend (β2): Abfall des peripheren Widerstands
4 bronchodilatierend (β2): Senkung des Atemwegswiderstands
4 tokolytisch (β2): Wehenhemmung.
Indikationen. Daraus ergeben sich folgende notfallmedizinischen Indikationen für
den Einsatz von Katecholaminen (in Klammern die erwünschten Katecholaminwirkungen):
4 Reanimation (Vasokonstriktion, evtl. Inotropiesteigerung, evtl. Chronotropiesteigerung)
4 Schock jeglicher Genese (Inotropiesteigerung, Vasokonstriktion, evtl. Vasodilation)
4 schwere Bradykardie (Chronotropiesteigerung)
4 akute Herzinsuffizienz (Inotropiesteigerung, Vasodilation)
4 Status asthmaticus und akute dekompensierte COPD (Bronchodilation)
4 vorzeitige Wehen (Tokolyse).
Je nach der gewünschten Wirkung und dem Indikationsbereich stehen eine
Reihe von Katecholaminen mit unterschiedlicher Rezeptoraffinität zur Verfügung
(. Tabelle 6.4 und 6.5).
. Tabelle 6.4. Rezeptoraktivität der Katecholamine bzw. Sympathomimetika
Katecholamin
DA
β1
β2
Alpha
Dopamin
+++
++
+
+++
Dobutamin
0
+++
++
+
Noradrenalin
0
+++
0
+++
Adrenalin
0
+++
++
+++
Fenoterol und Salbutamol
0
+
+++
0
Orciprenalinund Isoprenalin
0
+++
+++
0
DA = Dopaminrezeptor
134
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
. Tabelle 6.5. Dosierungen wichtiger Katecholamine und Sympathomimetika
6
Medikament
Verabreichungsform
Dosierung
Adrenalin
Bolusgabe
kontinuierliche Gabe
Reanimation: 1 mg i. v. sonst:
0,05–0,2 mg i. v.
0,1–1 μg/kg/min i. v.
Akrinor
Bolusgabe
0,5–2 ml i. v.
Dobutamin
kontinuierliche Gabe
2–10 μg/kg/min i. v.
Dopamin
kontinuierliche Gabe
2–30 μg/kg/min i. v.
Noradrenalin
Bolusgabe
kontinuierliche Gabe
0,05–0,2 mg i. v.
0,05–1 μg/kg/min i. v.
Orciprenalin
Bolusgabe
kontinuierliche Gabe
0,05–0,2 mg i. v.
0,05–1 μg/kg/min i. v.
Fenoterol
Spray
kontinuierliche Gabe
2 Hübe à 0,1 mg PI
1–2(-5) mg/min i. v.
Terbutalin
Bolusgabe
0,25–0,5 mg SC
Reproterol
langsam i. v.
0,09 mg i. v.
6.4.2 Medikamente
Adrenalin
Adrenalin (internationale Bezeichnung: Epinephrin, der Handelsname: Suprarenin) ist das wichtigste Katecholamin in der Notfallmedizin. Es wirkt immer positiv inotrop und chronotrop. Die Wirkung auf das Gefäßsystem in der Peripherie
ist jedoch dosisabhängig:
4 in niedriger Dosis (bis 5 μg/min) vasodilatierend
4 in höherer Dosis (über 5 μg/min) vasokonstringierend (vasopressorisch).
Adrenalin ist das klassische Medikament zur medikamentösen Unterstützung der
Zirkulation während der kardiopulmonalen Reanimation. Hier ist die vasokonstringierende Wirkung entscheidend. Es kann jedoch auch bei Bradykardie, Schock
und schwerem Bronchospasmus intermittierend oder als kontinuierliche Infusion
eingesetzt werden. Adrenalin liegt in 1-ml-Ampullen zu 1 mg/ml (1:1000) und
10-ml-Fertigspritzen zu 1mg/10ml (1:10 000) vor. Zur Bolusapplikation wird meist
eine Lösung 1:10 000 verwendet. Die 1-ml-Ampullen müssen dazu auf 10 ml NaCl
0,9 % verdünnt werden; dann entsprechen (wie in den Fertigspritzen) 1 ml 0,1 mg
bzw. 10 ml 1 mg.
135
6.4 · Katecholamine und Sympathomimetika
6
Dopamin
Dopamin kann im Notarztdienst per infusionem zur Blutdruckstabilisierung nach
Reanimation, im Schock und bei akuter Myokardinsuffizienz eingesetzt werden. Es
wirkt dosisabhängig auf alle Katecholaminrezeptoren:
4 in niedriger Dosierung (bis 3 μg/kg/min) vorwiegend vasodilatierend im
Nierenstromgebiet über eine Stimulation der Dopaminrezeptoren
4 in mittlerer Dosierung (3–10 μg/kg/min) vorwiegend postitiv inotrop über eine
Stimulation der β-Rezeptoren
4 in hoher Dosierung (über 10 μg/kg/min) vorwiegend vasokonstringierend
über eine Stimulation der Alpharezeptoren.
Dobutamin
Dobutamin wirkt vorwiegend positiv inotrop und ist vor allem bei Herzinsuffizienz
ohne ausgeprägte Hypotension indiziert, um das Herzzeitvolumen zu steigern,
ohne den peripheren Widerstand zu erhöhen. Es kann bei niedrigem Blutdruck im
Verhältnis 1:1 oder 2:1 mit Dopamin kombiniert und gemischt (in einer Spritze
aufgezogen) werden.
Noradrenalin
Noradrenalin (international: Norepinephrin, Handelsname: Arterenol) wirkt vasokonstringierend und positiv inotrop. Es kann alternativ zu Adrenalin oder Dopamin eingesetzt werden, wenn in erster Linie eine Vasokonstriktion erwünscht ist,
also beim schweren anaphylaktischen, neurogenen oder septischen Schock. Es ist
auch bei Reanimation effektiv, jedoch nicht Mittel der Wahl.
Orciprenalin
Orciprenalin (Handelsname: Alupent) wirkt β1- und β2-Rezeptor-stimulierend und
somit positiv inotrop, broncho- und vasodilatierend. Aufgrund seiner β1-mimetischen Wirkung wurde es früher in Deutschland zur Reanimation eingesetzt. Es
zeigte sich jedoch, dass Orciprenalin aufgrund seiner vasodilatierenden Wirkung für
diese Indikation wesentlich schlechter als Adrenalin, ja sogar schlechter als Placebo
geeignet ist (sog. »Alupent-Irrtum«). Orciprenalin kann aufgrund seiner β2-mimetischen Wirkung auch zur bronchodilatierenden Therapie verwendet werden, hat
aber keine wesentlichen Vorteile gegenüber spezifischeren β2-Mimetika oder (in
schweren Fällen) Adrenalin. Heute wird es (wenn überhaupt) nur noch zur Therapie
atropinresistenter Bradykardien eingesetzt. Auch hier ist jedoch die vasodilatierende
Wirkung problematisch. Nach den aktuellen ERC-Empfehlungen ist es bei dieser
Indikation lediglich eine mögliche Alternative zu Adrenalin. Die American Heart
Association urteilte bereits 1990 über das qualitativ ähnlich wirkende, in USA erhältliche Isoproterenol folgendermaßen: »Patienten, die krank genug sind, um Isoproterenol zu brauchen, sind wahrscheinlich zu krank, um es zu vertragen«.
136
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
! Orciprenalin und Isoproterenol sind kontraindiziert bei Reanimation, Schock und
Hypotension! Auch bei atropinresistenter Bradykardie wird heute stattdessen
eher Adrenalin empfohlen. Daher ist Orciprenalin in der Notfallmedizin heute verzichtbar.
6
Akrinor
Akrinor ist ein Mischpräparat aus einem Adrenalin- und einem Theophyllinderivat
(Theodrenalin und Cafedrin). Es wirkt tonuserhöhend auf die venösen Kapazitätsgefäße und positiv intotrop und wird bei Hypotension (z. B. begleitend zur
Volumenersatztherapie) verwendet. Vorteilhaft ist bei Schwangeren die offenbar
fehlende Beeinträchtigung der Uterusdurchblutung. Die Wirkdauer ist länger als
die der anderen Katecholamine. Akrinor kann daher gut intermittierend verabreicht werden.
Beta-2-Mimetika
Fenoterol, Reproterol, Salbutamol und Terbutalin wirken im Wesentlichen auf
β2-Rezeptoren stimulierend und werden zur Bronchodilatation (z. B. beim Asthmaanfall) oder Wehenhemmung verwendet. Als unerwünschte Wirkung tritt trotz der
relativen β2-Selektivität oft eine Tachykardie auf. In seltenen Fällen wurde bei
Schwangeren die Entwicklung eines akuten nichtkardiogenen Lungenödems beobachtet (Fenoterol-assoziiertes Lungenödem). Fenoterol kann per inhalationem
und i. v. appliziert werden, Salbutamol nur p. i. und Terbutalin nur s. c. Reproterol
ist zur Bolusapplikation i. v. beim schweren Asthmaanfall zugelassen.
6.5
Vasodilatoren und Sympatholytika
6.5.1 Wirkungsweise und Indikationen
Wirkung. Im Notarztdienst werden vor allem eingesetzt:
4
4
4
4
4
stickstoffhaltige Vasodilatoren wie Nitroglycerin und Dihydralazin
Kalziumantagonisten wie Verapamil und Nifedipin
α1-Antagonisten wie Urapidil
α2-Agonisten wie Clonidin
β-Blocker wie Esmolol und Metoprolol.
Andere Pharmakagruppen wie ACE-Hemmer oder Phosphodiesterase-III-Hemmer sind im Notarztdienst zurzeit unüblich.
137
6.5 · Vasodilatoren und Sympatholytika
6
. Tabelle 6.6. Dosierungen wichtiger Vasodilatoren und Sympatholytika
Medikament
Verabreichungsform
Dosierung
Clonidin
0,075–0,15 mg i. v.
Dihydralazin
6,25–12,5 mg i. v.
Esmolol
35 mg (0,5 mg/kg) über 1 min i. v.; dann evtl.
50–100 μg/kg/min kontinuierlich i. v.
Metoprolol
2,5–5 mg i. v.
Nifedipin
5–10 mg p. o.
Nitroglycerin
Spray
Bolusinjektionen
kontinuierliche Gabe
2–3 Hübe à 0,4 mg sublingual, eventuell
repetitiv im Abstand von einigen Minuten
1 mg i. v., evtl. repetitiv
0,3–3 μg/kg/min i. v.
Urapidil
25–50 mg i. v.
Verapamil
5 mg i. v.
Indikationen. Vasodilatoren und Sympatholytika sind bei folgenden Erkrankungen
indiziert (. Tabelle 6.6):
4 hypertensive Krise: Nitroglycerin, Nifedipin, Urapidil, Clonidin, Verapamil,
Dihydralazin
4 Linksherzinsuffizienz und Lungenödem: Nitroglycerin
4 Angina pectoris (reversible Myokardischämie): Nitroglycerin, Verapamil,
β-Blocker
4 Myokardinfarkt: Nitroglycerin, β-Blocker
4 supraventrikuläre Tachykardien: Verapamil, β-Blocker
4 kolikartige Schmerzen: Nitroglycerin.
6.5.2 Präparate
Nitrate
Glyceroltrinitrat = Nitroglycerin oder Isosorbiddinitrat = ISDN wirken vasodilatierend, indem die Freisetzung des körpereigenen »Endothelium-derived relaxing
Factor« (EDRF = Stickstoffmonoxid = NO) aus dem Gefäßendothel stimuliert wird.
Nitrate haben folgende Wirkungen:
4 Sie wirken vorwiegend im venösen Schenkel und sind daher überwiegend
Vorlastsenker.
4 In höheren Dosen werden auch die arteriellen Widerstandsgefäße dilatiert.
138
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
4 Nitrate bewirken einen Abfall des arteriellen und pulmonalarteriellen Blutdrucks sowie eine Verminderung des venösen Rückstroms und damit eine
myokardiale Entlastung.
4 Nitrate wirken außerdem auf andere glatte Muskeln (Gallenblase, Darm, ableitende Harnwege, Uterus) dilatierend.
6
Das Nitroglycerin ist eines der am häufigsten verwendeten Notfallmedikamente
und wird eingesetzt bei:
4 Angina pectoris
4 akutem Koronarsyndrom
4 Linksherzinsuffizienz
4 Lungenödem
4 hypertensiver Krise
4 Koliken.
Vorsicht ist jedoch geboten, wenn eine Hypotension mit Blutdruckwerten unter
100 mmHg vorliegt. Unerwünschte Wirkungen sind Reflextachykardie sowie
Kopfschmerzen und Hirndrucksteigerung durch Dilatation zerebraler Gefäße.
Dihydralazin
Dihydralazin wirkt vorwiegend im arteriellen Schenkel vasodilatierend und ist daher
ein überwiegender Nachlastsenker. Die Wirkung tritt mit bis zu 20 min Verzögerung
ein. Relativ oft kommt es zu unerwünschten Nebenwirkungen (ausgeprägte Reflextachykardie, Kopfschmerzen). Dihydralazin ist daher nur ein Reservetherapeutikum
bei hypertensiver Krise, galt jedoch lange als Mittel der Wahl bei Schwangeren mit
Präeklampsie, da die Uterusdurchblutung unter Dihydralazin nicht abnimmt. Mittlerweile werden jedoch auch hier eher Urapidil oder Nifedipin empfohlen. Bei Tachykardie ist eine Kombination mit Clonidin oder β-Blockern möglich; dabei müssen
aber die sich potenzierenden Wirkungen auf den Blutdruck beachtet werden!
Kardioselektive Kalziumkanal-Blocker
Kardioselektive Kalziumkanal-Blocker wie Verapamil und Diltiazem wirken vasodilatierend, blutdrucksenkend, negativ inotrop und negativ dromotrop. Sie sind
zudem sog. Klasse IV-Antiarrhythmika (. Tabelle 8.11). Die Hauptindikation im
Notarztdienst ist die supraventrikuläre Tachykardie (außer bei Wolff-ParkinsonWhite-Syndrom, 7 Kap. 10.2).
! Bei Kombination von Verapamil mit β-Blockern kann es zu schweren Bradykardien
und Blutdruckabfällen kommen! Bei ventrikulärer Tachykardie kann Verapamil
deletäre Folgen haben. Daher im Zweifelsfall kein Einsatz bei Tachykardien mit
breiten Kammerkomplexen!
139
6.5 · Vasodilatoren und Sympatholytika
6
Vasoselektive Kalziumkanal-Blocker vom Dihydropyridin-Typ
Vasoselektive Kalziumkanal-Blocker vom Dihydropyridin-Typ, z. B. Nifedipin,
Nitrendipin und Nimodipin wirken vorwiegend arteriolär vasodilatierend (Nachlastsenkung), nur gering negativ inotrop und kaum negativ dromotrop. Nifedipin
ist vor allem bei hypertensiver Krise indiziert, auch im Rahmen einer Präeklampsie.
Es wirkt nicht frequenzsenkend oder antiarrhythmisch, sondern erzeugt eher eine
unerwünschte Reflextachykardie. Die negativ inotrope Wirkung ist schwach ausgeprägt. Es wird schnell zum großen Teil im Magen resorbiert und kann daher gut
p. o. verabreicht werden. Man lässt die Kapsel zerbeißen und hinunterschlucken.
Die i. v.-Gabe ist möglich, aber im Notarztdienst unüblich.
Urapidil
Urapidil bewirkt eine Blockade der α1-Rezeptoren und eine Stimulation bestimmter zentraler Serotonin-Rezeptoren (5-HT1A-Rezeptoren). Es wirkt zuverlässig blutdrucksenkend über eine Vasodilatation im arteriellen und venösen Strombett, ohne
den Hirndruck wesentlich zu erhöhen und ohne eine nennenswerte Reflextachykardie auszulösen.
> Zur Therapie der hypertensiven Krise ist Urapidil ein Antihypertensivum der ersten
Wahl und wird besonders bei hypertensiven neurologischen Notfällen bevorzugt,
sofern dabei eine Blutdrucksenkung notwendig ist.
Clonidin
Clonidin senkt vorwiegend über eine zentrale Stimulation der α2-Rezeptoren den
Sympathotonus und wirkt dadurch ebenfalls ohne Auslösung einer Reflextachykardie antihypertensiv. Es ist für die Indikation »hypertensive Krise« ein Alternativpräparat zu Urapidil, wirkt jedoch weniger rasch und weniger zuverlässig.
Clonidin muss langsam injiziert oder infundiert werden, da bei schneller Injektion
der Blutdruck initial noch erhöht werden kann. Da es keine Tachykardie induziert,
sondern im Gegenteil eher zu Bradykardie führt, ist es auch bei Patienten mit
koronarer Herzerkrankung und Angina pectoris günstig. Darüber hinaus hat Clonidin sedierende und antidelirante Effekte und verstärkt die analgetische Wirkung
von Opioiden.
β-Blocker
Sie wirken negativ inotrop, negativ chronotrop und negativ dromotrop. Der myokardiale Sauerstoffverbrauch wird vermindert. Eine vasodilatierende Komponente
fehlt. In der Notfallmedizin werden fast ausschließlich β1-Antagonisten ohne
intrinsische Wirkung verwendet, um einerseits die Gefahr der unerwünschten
Bronchokonstriktion (β2-vermittelt) zu minimieren und andererseits keine eigene
Erhöhung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs zu bewirken. Hauptindikationen
140
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
sind die supraventrikuläre Tachykardie und das akute Koronarsyndrom (Myokardinfarkt und instabile Angina pectoris). Beim Infarkt führen β-Blocker über eine
Reduktion des myokardialen Sauerstoffverbrauchs zu einer günstigen Beeinflussung der Nekrosezone. Voraussetzung für die Anwendung ist, dass weder eine
Hypotension noch eine ausgeprägte Bradykardie vorliegt. Esmolol hat eine sehr
kurze Halbwertzeit (unter 10 min) und ist daher in der Anwendung besser steuerbar als Metoprolol, aber etwas komplizierter in der Anwendung.
! Eine Kombination von β-Blockern mit Verapamil ist kontraindiziert. Hingegen ist
eine Kombination mit Kalziumantagonisten vom Dihydropyridin-Typ möglich.
6
6.6
Analgesie
6.6.1 Dosierung und Substanzgruppen
Dosierung. Notfallpatienten reagieren sehr unterschiedlich auf Analgetika. Einerseits kann der Bedarf aufgrund starker Schmerzen sehr hoch sein, andererseits ist
gerade im Schock, bei vermindertem Blutvolumen oder evtl. bestehender Alkoholisierung der Bedarf deutlich vermindert. Gelegentlich können schon durch geringe
Dosen erhebliche respiratorische und kardiozirkulatorische Komplikationen ausgelöst werden. Daher sind die Patienten auch nach Gabe vermeintlich geringer
Dosen dieser Pharmaka kontinuierlich zu überwachen (. Tabelle 6.7). Dies gilt
auch für die Anwendung von Sedativa und Narkotika, und insbesondere für die
kombinierte Gabe von Analgetika und Sedativa.
> Die Dosierung von Analgetika, Sedativa und Narkotika muss stets vorsichtig erfolgen und nach Wirkung titriert werden.
Substanzgruppen. Eine adäquate Analgesie ist bei allen Erkrankungen oder Verletzungen indiziert, die mit starken Schmerzen einhergehen. Wirkliche Kontraindikationen gibt es nicht. Grundsätzlich kommen für den präklinischen Einsatz
folgende Substanzen infrage:
4 antipyretisch wirksame Analgetika
4 Opioide
4 Ketamin.
6.6.2 Fiebersenkende Analgetika
Wirkungsweise. Die fiebersenkend wirkenden Analgetika entfalten ihre Wirkun-
gen über eine periphere und/oder zentrale Hemmung der Zyklooxygenase (COX),
141
6.6 · Analgesie
6
. Tabelle 6.7. Dosierungen wichtiger Analgetika, Sedativa und Narkosemittel
Medikament
Dosierung
Zyklooxygenaseinhibitoren
5
5
5
5
5
ASS
Parecoxib
Metamizol
Paracetamol (bei Erwachsenen)
Paracetamol (bei Kindern)
500–1000 mg i. v.
40 mg i. v. (zur postoperativen Schmerztherapie)
1–2,5 g langsam i. v.
1000 mg als Kurzinfusion
125–250–500 mg als Suppositorium (Anhalt:
initial 30–40 mg/kg; Folgedosen 10–20 mg/kg)
Opioide
5
5
5
5
Morphin
Piritramid
Tramadol
Fentanyl (zur Narkose)
5–10 mg (0,1 mg/kg)
5–10 mg (0,1 mg/kg)
100–200 mg (3 mg/kg)
0,1–0,3 (-0,5) mg i. v. (1–4 μg/kg)
Ketamin
5 analgetische Dosierung
5 narkotische Dosierung
20–40 mg (0,2–0,5 mg/kg) i. v. 100–200 mg
(1–2 mg/kg) i. m.
50–200 mg (1–2 mg/kg) i. v. 300–1000 mg
(5–12 mg/kg) i. m. (Beachte: bei Verwendung
von S-Ketamin jeweils etwa die Hälfte)
Benzodiazepine
5 Diazepam, Injektionslösung
Rectiolen (beim Kind)
Tabletten
5 Midazolam
5–10 mg (0,1 mg/kg) i. v.
5 mg (bis 15 kg) oder 10 mg (über 15 mg) rektal
5–10 mg p. o.
2–8 mg (0,05–0,1 mg/kg) i. v.
Neuroleptika
5 Promethazin
5 Haloperidol
25–50 mg (0,5 mg/kg) i. v.
5–10 mg (0,1 mg/kg) i. v.
Injektionshypnotika
5 Etomidate
5 Propofol
5 Thiopental
15–30 mg (0,2–0,4 mg/kg) i. v.
70–200 mg (1–2,5 mg/kg) i. v.
200–500 mg (2–5 mg/kg) i. v.
Muskelrelaxanzien
5
5
5
5
Succinylcholin
Vecuronium
Rocuronium
Atracurium
1–1,5 mg/kg i. v.
0,05–0,1 mg/kg i. v.
0,5–1 mg/kg i. v.
0,4–0,6 mg/kg i. v.
142
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
die eine zentrale Rolle in der Prostaglandinsynthese spielt. Sie werden daher global
auch Zyklooxygenaseinhibitoren (COX-Inhibitoren) genannt. Nach heutigem
Kenntnisstand werden im Wesentlichen 3 Isoenzyme der COX unterschieden:
4 COX-1 ist ubiquitär vorhanden und immer exprimiert. Über COX-1 wird auch
die thrombozytenaggregationshemmende Wirkung der COX-Inhibitoren vermittelt.
4 COX-2 wird vor allem im Rahmen von Entzündungsreaktionen exprimiert.
4 COX-3 wird im zentralen Nervensystem und Myokard nachgewiesen.
Klassen. Je nach den bevorzugt gehemmten Isoenzymen werden mehrere Klassen
6
von COX-Inhibitoren unterschieden:
4 Unselektive COX-Inhibitoren wie Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen und
Diclofenac wirken analgetisch, fiebersenkend, entzündungshemmend und
thrombozytenaggregationshemmend. ASS führt zu einer irreversiblen, entsprechend dem Thrombozytenumsatz mehrere Tage anhaltenden Hemmung
der Thrombozytenfunktion, und alle anderen zu einer reversiblen, nur einige
Stunden anhaltenden Hemmung.
4 Selektive COX-2-Inhibitoren wie Rofecoxib und Parecoxib (die sog. »Coxibe«) wirken ebenfalls analgetisch, fiebersenkend und entzündungshemmend,
haben jedoch keine thrombozytenaggregationshemmende Wirkung. Zurzeit
kann nur Parecoxib i. v. verabreicht werden; es ist bislang nur zur postoperativen Schmerztherapie zugelassen. Rofecoxib ist 2004 weltweit vom Markt
genommen worden, weil es offenbar die Wahrscheinlichkeit für ein ACS erhöht. Coxibe sind bei KHK kontraindiziert. Zur Zeit gibt es keine Indikation
für eine präklinische Anwendung.
4 Zentrale COX-Inhibitoren wie Paracetamol (amerik.: Acetaminophen) und
Metamizol (amerik.: Dipyrone) wirken über eine COX-3-Hemmung zentral
analgetisch und fiebersenkend (aber nicht entzündungshemmend oder
thrombozytenaggregationshemmend). Metamizol hat wahrscheinlich die
stärkste analgetische Wirkung aller fiebersenkenden Analgetika, insbesondere
bei abdominalen und kolikartigen Schmerzen.
NSAID. Alle COX-Inhibitoren wirken fiebersenkend und sind daher auch Antipyretika. Nur Substanzen der ersten beiden Klassen hingegen (die unselektiven wie
die COX-2-Inhibitoren) sind auch entzündungshemmend und bilden die Gruppe
der nichtsteroidalen antiinflammatorischen Pharmaka (NSAID).
Indikationen. Der große Vorteil aller COX-Inhibitoren gegenüber den Opioiden ist
die fehlende Gefahr der Atemdepression. Die analgetische Potenz ist jedoch für die
meisten notfallmedizinisch relevanten, schweren Schmerzzustände (bei alleiniger
Gabe) zu gering. Bei unzureichender Wirkung kann die Analgesie aber durch zu-
143
6.6 · Analgesie
6
sätzliche Opioidgaben ergänzt werden. Metamizol hat zudem eine spasmolytische
Wirkung und ist daher bei kolikartigen Schmerzen besonders effektiv. Die fiebersenkende Wirkung von Paracetamol wird notfallmedizinisch auch beim Fieberkrampf im Kindesalter ausgenutzt. Außerdem sind Antipyretika zur Therapie einer
erhöhten Körpertemperatur nach Reanimation und Schlaganfall indiziert (allerdings ist dies eher eine Therapiemaßnahme in der Klinik). Eine notfallmedizinisch
wichtige Spezialindikation ergibt sich aus der langanhaltenden thrombozytenaggregationshemmenden Wirkung der ASS: das akute Koronarsyndrom (Herzinfarkt, instabile Angina pectoris, 7 Kap. 11.1.2).
Unerwünschte Wirkungen. Hierzu gehören:
4 Auslösung eines ACS insbesondere durch die Coxibe, aber möglicherweise
auch durch andere NSAID (außer ASS)
4 Verlängerung der Blutungszeit bei den unselektiven COX-Inhibitoren
4 Hemmung des protektiven Effekts der Prostaglandine auf die Magenschleimhaut bei den unselektiven COX-Inhibitoren und in etwas geringerem Maße
auch bei den COX-2-Inhibitoren
4 Verminderung der Nierendurchblutung besonders im Volumenmangelschock
(bei allen NSAID)
4 Lebertoxizität bei Überdosierung von Paracetamol
4 anaphylaktoide Reaktion bei zu schneller Injektion von Metamizol. Daher
sollte Metamizol sicherheitshalber nur als Kurzinfusion in z. B. 100 ml NaCl
0,9 % verabreicht werden
4 sehr selten: Agranulozytose bei Metamizol.
Kontraindikationen. Für die einzelnen Gruppen der COX-Inhibitoren gelten auf-
grund der unerwünschten Wirkungen folgende Kontraindikationen:
4 unselektive COX-Inhibitoren: manifeste Blutungen, floride Magen-DarmUlzera, Volumenmangel und präexistente Nierenfunktionsstörungen
4 selektive COX-2-Inhibitoren: koronare Herzerkrankung, floride MagenDarm-Ulzera, Volumenmangel und präexistente Nierenfunktionsstörungen
4 Paracetamol: schwerste Leberfunktionsstörungen.
6.6.3 Opioide
Opioide sind die wichtigsten und wirksamsten Präparate zur präklinischen Analgesie. Dabei ist der Einsatz schwach wirksamer und stark wirksamer Opioide
möglich. Alle Opioide entfalten ihre Wirkung über die Stimulation spezifischer
Opiatrezeptoren, vor allem dem sog. μ-Rezeptor. Einige Opioide haben darüber
hinaus auch nichtopiatrezeptorvermittelte analgetische Eigenschaften (wie vor
144
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
allem Tramadol) oder auch nichtanalgetische Eigenschaften (wie eine spasmolytische Komponente bei Pethidin).
Schwach wirksame Opioide. Sie sind präklinisch indiziert für die Therapie leichter
bis mittlerer Schmerzen. Hierzu gehören z. B. Codein und Tilidin. Für den Rettungsdienst besonders bedeutsam und weit verbreitet ist Tramadol. Vorteilhaft
ist, dass Tramadol nicht dem Betäubungsmittelgesetz (BTM) unterliegt und daher
einfacher bevorratet und verwendet werden kann als starke Opioide. Außerdem
fehlt weitgehend die bei anderen Opioiden ansonsten vorhandene atemdepressive
Wirkung.
6
Stark wirksame Opioide. Hierzu gehören u. a. Morphin, Piritramid und Pethidin
(Meperidin). Sie sind präklinisch indiziert für die Therapie mittlerer bis starker
Schmerzen. Fentanyl ist ein sehr stark und kürzer wirkendes Analgetikum, das
üblicherweise vor allem im Rahmen einer Narkose verwendet wird. Die noch
kürzer wirkenden Opioide Sufentanil, Alfentanil und Remifentanil sind in der klinischen Anästhesie gängig, aber im Rettungsdienst unüblich. Alle stark wirksamen
Opioide unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz und müssen gesondert aufbewahrt werden (z. B. in einer abschließbaren BTM-Box oder beim Notarzt).
Jedes Opioid kann mit einem fiebersenkenden Analgetikum kombiniert werden; dies steigert oft die Effektivität der analgetischen Therapie. Bei sehr starken
Schmerzen kann auch die Kombination mit Ketamin sinnvoll sein (multimodale
Analgesie).
Opioidantagonisten. Sowohl bei versehentlicher therapeutischer Überdosierung
als auch bei einer Opioidintoxikation infolge Drogenmissbrauchs kann die atemdepressive, aber auch die analgetische Wirkung am μ-Rezeptor durch den Opioidantagonisten Naloxon aufgehoben werden (7 Kap. 20.1.2 und . Tabelle 20.2).
Partiell antagonistisch wirkende Opioide. Einige Opioide verfügen über nennenswerte partiell antagonistische Wirkungen am μ-Rerzeptor. Die Gefahr der Atemdepression soll etwas geringer sein als bei reinen Opioidagonisten. Allerdings ist
für die notfallmedizinische Therapie insgesamt kein bedeutsamer Vorteil gegenüber den reinen Agonisten zu erkennen. Vertreter sind vor allem Buprenorphin
und Nalbuphin. Letzteres war stellenweise sehr beliebt in der Rettungsmedizin,
da es nicht dem BTM-Gesetz unterlag; es ist jedoch zur Zeit in Deutschland nicht
erhältlich.
Unerwünschte Wirkungen. Notfallmedizinisch relevante Nebenwirkungen sind
Atemdepression, Blutdruckabfall, die Verstärkung einer Spastik der glatten Muskulatur sowie Übelkeit und Erbrechen.
145
6.6 · Analgesie
6
4 Die atemdepressive Wirkung soll bei verschiedenen Präparaten in äquianalgetischen Dosen in folgender Reihenfolge zunehmen: Tramadol < Piritramid
< Morphin < Fentanyl. Allerdings ist die Gefahr einer relevanten Atemdepression bei vorsichtiger, titrierender Gabe des Opiods sehr gering. Bei eingetretener Atemdepression (z. B. durch versehentliche Überdosierung) kann diese
durch den Opioid-Antagonisten Naloxon wieder aufgehoben werden (Antidote,
7 Kap. 20.1.2), allerdings können dann auch die Schmerzen wiederkehren.
4 Die blutdrucksenkende Eigenschaft der Opioid ist bei Volumenmangel besonders ausgeprägt. Sie ist bei Morphin und Pethidin stärker als bei Piritramid,
Fentanyl oder Tramadol.
4 Die Tonuserhöhung an der glatten Muskulatur im Gallengangs- und ableitenden Harnwegssystem ist gerade bei Koliken in diesem Bereich unerwünscht.
Opioide sollen deshalb bei einer Kolik (wenn überhaupt) nur in Kombination
mit einem Spasmolytikum wie Butylscopolamin oder Nitroglycerin verwendet
werden. Das in diesem Fall am besten geeignete Opioid ist das Pethidin, das die
geringste spasmogene (oder sogar eine spasmolytische) Wirkung aufweisen
soll.
4 Die emetische Wirkung kann bei allen Opioiden auftreten und durch langsame Injektion oder Verabreichung als Kurzinfusion oft vermieden oder vermindert werden. In schlimmen Fällen wird die zusätzliche Gabe eines potenten
Antiemetikums wie Haloperidol (2,5 mg i. v.) empfohlen.
> Opioide sind die wichtigsten Medikamente zur Analgesie des Notfallpatienten. Ein
häufig verwendetes schwach wirksames Opioid ist Tramadol. Das Referenzpräparat
für die Gruppe der stark wirksamen Opioide ist das Morphin.
! Bei Überdosierung von Opioiden drohen eine lebensgefährliche Atemdepressionen!
Jeder Notfallpatient muss nach Opioidgabe kontinuierlich überwacht werden!
6.6.4 Ketamin
Wirkungsweise. Ketamin wirkt in hohen Dosen narkotisch und in niedrigen
Dosen analgetisch. Es erzeugt in narkotischen Dosen über seine NMDA-Rezeptorantagonistische Wirkung eine sog. dissoziative Anästhesie: Der Patient ist nicht
bei Bewusstsein, kann jedoch die Augen geöffnet haben.
Wirkungen von Ketamin auf verschiedene Bereiche
Atmung. Ketamin erzeugt keine nennenswerte Atemdepression. Der Schluckreflex
bleibt weitgehend erhalten. Seine ausgeprägte bronchodilatierende Wirkung lässt
Ketamin als geeignetes Mittel zur Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung beim
146
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
Asthmapatienten erscheinen und führt manchmal gar zur Durchbrechung eines
ansonsten therapierefraktären Status athmaticus.
Kreislauf. Ketamin wirkt eher blutdrucksteigernd. Dieser Effekt ist im Schock er-
wünscht, bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) jedoch problematisch,
da der myokardiale Sauerstoffverbrauch erhöht wird. Hypertonie sowie manifeste
KHK und Myokardinfarkt gelten daher als Kontraindikationen für Ketamin (sofern
kein Schock vorliegt). Allerdings lassen sich die stimulierenden Auswirkungen von
Ketamin durch Kombination mit einem Benzodiazepin oder Opioid vermindern.
6
Psyche. Ketamin ist ein Halluzinogen. Die halluzinatorischen Effekte können sich
bei alleiniger Gabe von Ketamin bis zum Horrortrip entwickeln. Die halluzinatorischen und kardiozirkulatorischen Nebenwirkungen des Ketamin können durch
Kombination mit einem Benzodiazepin oder Propofol deutlich reduziert werden.
Hirndruck. Die alleinige Gabe von Ketamin kann den Hirndruck steigern. Zu einem
nennenswerten Anstieg kommt es bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma allerdings
nur, wenn der Patient nicht beatmet wird. Im Gegensatz zu früheren Empfehlungen
ist Ketamin beim Schädel-Hirn-Trauma nach heutiger Ansicht daher nicht kontraindiziert, wenn gleichzeitig für eine adäquate Beatmung gesorgt wird. Im Gegenteil.
> Ketamin gilt bei schweren Verletzungen mit begleitendem Schädel-Hirn-Trauma
heute wegen seiner kardiozirkulatorisch stabilisierenden Wirkung und möglichen
zerebroprotektiven Begleiteffekten als besonders geeignet.
Notfallmedizinische Indikationen für Ketamin
Ketamin wird aufgrund seines Wirkprofils besonders in unübersichtlichen Situationen (eingeklemmter Patient, mehrere Verletzte), beim polytraumatisierten Patienten (auch und gerade mit begleitendem Schädel-Hirn-Trauma), im Schock und
zur Narkose beim schweren Asthmaanfall eingesetzt. Die Wirkung hält etwa eine
Viertelstunde an. Zur Not kann Ketamin ausnahmsweise auch in etwa fünffach
höherer Dosis intramuskulär gegeben werden.
Ketamin und S-Ketamin. Bei Ketamin handelt es sich um ein Razemat, dessen
R-(–)-Enantiomer nicht wesentlich zum erwünschten Wirkprofil beiträgt. Neuerdings ist neben dem razematischen Ketamin auch das Enantiomer S-(+)-Ketamin
(als gewissermaßen »gereinigtes« Ketamin) verfügbar. Es wirkt etwa doppelt so
stark und soll etwas weniger unangenehme Nebenwirkungen haben. Allerdings ist
bislang unklar, ob die Verwendung des (teureren) S-Ketamin für den notfallmedizinischen Indikationsbereich gegenüber dem traditionellen (und preiswerteren)
Ketamin nennenswerte Vorteile bringt.
147
6.7 · Sedierung
6
s Praktisches Vorgehen
Analgesie des Notfallpatienten (Kontraindikationen und Gefahren siehe Text!):
5 leichtere Schmerzen: Paracetamol (i. v. oder bei Kindern rektal) oder Metamizol
(als Kurzinfusion) oder ASS
5 mittelstarke Schmerzen: Tramadol oder niedrige Dosen Morphin bzw. Piritramid (Kombination mit Zyklooxygenasehemmstoffen möglich)
5 starke Schmerzen: Morphin oder Piritramid (Kombination mit Zyklooxygenasehemmstoffen möglich)
5 starke Schmerzen beim Patienten im Schock: Ketamin, evtl. kombiniert mit
Opioiden
5 kolikartige Schmerzen: Metamizol*, evtl. kombiniert mit einem Opioid wie
Pethidin (akutes Abdomen, 7 Kap. 12.2).
* oder ein anderes fiebersenkendes Analgetikum, kombiniert mit einem Spasmolytikum wie Buscopan, und/oder Nitroglycerin-Spray
6.7
Sedierung
Benzodiazepine. Sie wirken sedierend, anxiolytisch, antikonvulsiv und in hohen
Dosen auch hypnotisch. Benzodiazepine sind indiziert bei aufgeregten, ängstlichen
oder agitierten Patienten, gelegentlich auch bei Angehörigen oder Umstehenden.
Weitere Indikationen sind Krampfanfälle und in höherer Dosierung die Aufrechterhaltung einer Narkose. Benzodiazepine vermindern zudem die unangenehmen
halluzinatorischen Nebenwirkungen von Ketamin. Für die Notfallmedizin geeignet
sind vor allem Diazepam und das kürzer wirkende Midazolam. Letzteres wird
heute auch präklinisch zumeist bevorzugt.
> Benzodiazepine sind die wichtigsten Substanzen zur präklinischen Sedierung und
antikonvulsiven Therapie.
! Benzodiazepine können die Atemdepression der Opioide deutlich verstärken!
Neuroleptika. Sie gehören zu den Sedativa im weiteren Sinn (Major Tranquillizers).
4 Promethazin ist ein Phenothiazin mit überwiegend sedativem und praktisch
fehlendem neuroleptischen Charakter. Vorteilhaft ist die fehlende Atemdepression.
4 Haloperidol dagegen ist ein hochpotentes Neuroleptikum aus der Gruppe der
Butyrophenone mit nur geringer sedierender Komponente und besonders
beim agitierten, deliranten Patienten indiziert. Butyrophenone sind darüber
hinaus außerordentlich stark wirksame Antiemetika. Haloperidol, Promethazin und auch Benzodiazepine können in schweren Fällen bei stark agitierten
und deliranten Patienten kombiniert werden.
148
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
! Neuroleptika können besonders bei Hypovolämie zu Blutdruckabfall durch Vasodilation führen!
6.8
Präklinische Narkose
Indikationen. Eine präklinische Narkose ist unter folgenden Umständen indiziert:
6
4
4
4
4
4
schwere, sonst nicht beherrschbare Schmerzzustände
schwere Traumen und Polytraumen
psychisch stark belastende Verletzungen (z. B. Amputationen, Zerquetschungen)
chirurgische oder schmerzhafte Eingriffe am Unfallort
instabile Patienten, die mit dem Hubschrauber transportiert werden müssen.
Durchführung. Notfallpatienten sind nie sicher nüchtern. Somit besteht in Narkose
immer die Gefahr der Aspiration. Daher soll die Narkose beim Notfallpatienten nur
als Intubationsnarkose mit künstlicher Beatmung durchgeführt werden. Nur wenn
eine Narkose unbedingt erforderlich, aber eine konventionelle endotracheale Intubation nicht möglich ist, kann auch eine Narkose unter Beatmung über eine
Larynxmaske oder eine andere Tubusalternative erwogen werden. Eine weitere
Ausnahme stellt die Ketaminnarkose unter schwierigen Bedingungen dar (eingeklemmter, unzugänglicher Patient). Auch hier sollte aber so bald wie möglich eine
Intubation erfolgen (7 Aus der Notfallpraxis).
ä Aus der Notfallpraxis
Der Fahrer eines schweren Lastwagens fährt auf einen anderen Lastzug auf und wird im
Führerhaus eingeklemmt. Er ist bei Eintreffen des Notarztes bewusstseinsklar, kreislaufstabil und hat sehr starke Schmerzen in beiden Beinen. Die Befreiung durch die Feuerwehr ist schwierig und dauert lange, da die beiden schweren Lastzüge ineinander verkeilt sind. Der Notarzt steigt durch die Frontscheibe zum Fahrer in die enge, zusammengedrückte Kabine, legt ihm eine Infusion an, infundiert insgesamt 1500 ml Ringer-Lösung
und verabreicht 7,5 mg Piritramid. Die Schmerzen lassen nach. Nach ausgiebiger Aufdehnung der Fahrerseite mit hydraulischen Spreitzern und Herausschneiden großer
Teile der Fahrertür wird klar, dass das rechte Bein des Fahrers unterhalb des Knies subtotal amputiert ist. Mit zunehmender Dekompression des Beins nimmt außerdem die
Blutung zu. Es ist nicht sicher, ob das Bein in toto befreit werden kann, oder ob es bei der
Befreiung zur vollständigen Abtrennung des Unterschenkels kommt. Eine Intubationsnarkose ist räumlich unmöglich. Der Notarzt verabreicht dem Fahrer unmittelbar vor der
detailliert geplanten und mit dem Patienten besprochenen Befreiung 70 mg Ketamin
i. v. In Narkose wird der gut spontan atmende Patient zügig mitsamt Unterschenkel
durch das auf der Fahrerseite geschaffene Loch gezogen und auf die bereitgestellte
6
149
6.8 · Präklinische Narkose
6
Trage gelegt. Er wird dann in Ruhe mit 20 mg Etomidate intubiert, die Narkose wird mit
10 mg Midazolam supplementiert, die Blutungsquelle wird komprimiert und der Patient stabil in der Klinik eingeliefert. Dort wird der nur noch durch eine Hautbrücke mit
dem Körper verbundene Unterschenkel replantiert.
Komponenten der Narkose. Eine Narkose besteht grundsätzlich aus folgenden
4 Komponenten:
4 Hypnose (Tiefschlaf): Zur Hypnose werden präklinisch Benzodiazepine und
Injektionsanästhetika verwendet (Barbiturate, Etomidate oder Propofol).
4 Analgesie: Zur Analgesie dienen Opioide und/oder Ketamin (wirken beide in
hohen Dosen auch hypnotisch).
4 Muskelrelaxierung: Eine Muskelrelaxierung ist (insbesondere im Rettungsdienst) nicht obligat. Wenn notwendig werden depolarisierende (Succinylcholin)
oder nichtdepolarisierende (z. B. Rocuronium) Muskelrelaxanzien verwendet.
4 Vegetative Dämpfung: Eine ausreichende vegetative Dämpfung soll vor allem
hypertensive und tachykarde Kreislaufentgleisungen verhindern und wird
meist durch eine adäquate Dosierung der Analgetika und Hypnotika, evtl. auch
durch Zusatz von Neuroleptika oder Clonidin erreicht.
Phasen der Narkose. Bei der Durchführung einer Narkose werden folgende drei
Phasen unterschieden:
4 Narkoseeinleitung
4 Narkoseaufrechterhaltung
4 Narkoseausleitung.
Einleitung der Narkose. Zur Narkoseeinleitung werden wie in der Klinik schnell
und kurz wirksame Injektionshypnotika wie Thiopental, Etomidate, Propofol oder
auch Ketamin verwendet. Dabei ist die kreislaufdepressive, hypotensive Wirkung
der Pharmaka zu beachten. Sie nimmt in folgender Reihenfolge zu: Ketamin <
Etomidate < Thiopental < Propofol. Ketamin führt oft eher zu einem Blutdruckanstieg und Etomidate beeinflusst den Blutdruck in der Regel auch im Schock und
bei schlechter Myokardfunktion nur wenig; dafür bietet Propofol die besten Intubationsbedingungen ohne Verwendung eines Muskelrelaxans. Die Kombination
Ketamin plus Poropofol in jeweils etwas reduzierter Dosis ist möglich und sinnvoll,
ebenso wie die Kombination Etomidate plus Midazolam (evtl. plus Ketamin). Zur
Erleichterung der Intubation kann die zusätzliche Verwendung eines schnell und
kurz wirkenden Muskelrelaxans erwogen werden; allerdings ist die Indikation
hierzu gerade im Rettungsdienst strittig (7 Kap. 4.2.3). Succinylcholin ist dabei nach
wie vor das einzige Relaxans, das die Kriterien »schnelle Anschlagzeit« und »kurze
Wirkdauer« in sich vereint. Wird zur weiteren Aufrechterhaltung der Narkose und
Erleichterung der Beatmung eine weitere Muskelrelaxierung für notwendig er-
150
Kapitel 6 · Notfallmedikamente und Infusionslösungen
achtet, so kann diese durch repetitive Gaben nichtdepolarisierender Relaxanzien
wie z. B. Rocuronium erfolgen.
6
s Praktisches Vorgehen
Narkoseeinleitung
5 Der Patient wird so weit als möglich über das Vorhaben aufgeklärt.
5 Er wird auf den Rücken gelagert; der Notarzt steht oder kniet hinter ihm.
5 Intubationszubehör (möglichst auch Absaugvorrichtung) muss bereit sein und
ein sicherer venöser Zugang liegen.
5 Wenn immer möglich, wird dem Patienten Sauerstoff verabreicht (Präoxygenierung).
5 Das Injektionshypnotikum wird injiziert, z. B. Propofol 1–2,5 mg/kg i. v.; ggf.
sofort darauf Injektion von Succinylcholin 1 mg/kg i. v.
5 Ein Helfer drückt den Schildknorpel gegen die Wirbelsäule (Sellick-Handgriff ),
um eine Regurgitation des Mageninhalts zu verhindern.
5 Auf eine Maskenbeatmung wird möglichst verzichtet (sofern die psaO2 > 90 %
bleibt). Der Patient wird nach etwa 40–60 s intubiert (weiteres Vorgehen 7 Intubation).
Aufrechterhaltung der Narkose. Meist wird präklinisch eine Kombinationsnar-
kose mit Opioiden und Benzodiazepinen oder mit Ketamin und Benzodiazepinen durch repetitive Injektionen der Einzelsubstanzen durchgeführt. Als Opioid
kommt besonders das stark und relativ kurz wirksame Fentanyl infrage. Aber auch
andere Opioide wie Morphin können verwendet werden.
s Praktisches Vorgehen
Narkoseaufrechterhaltung (Beispiele):
5 Morphin 0,1 mg/kg alle 10–30 min plus Diazepam 0,1 mg/kg alle 10–30 min i. v.
oder
5 Fentanyl 1–4 μg/kg alle 10–30 min i. v. plus Midazolam 0,05–0,1 mg/kg alle
10–30 min i. v. oder
5 Ketamin 0,5–1 mg/kg alle 10–15 min plus Midazolam 0,05–0,1 mg/kg alle 10–
15 min i. v.,
5 wenn notwendig, jeweils plus Rocuronium 0,1–0,2 mg/kg alle 30–60 min repetitiv i. v.
Ausleitung der Narkose. Die Ausleitung einer präklinisch begonnenen Narkose
bleibt grundsätzlich der Klinik vorbehalten. Nur in Ausnahmefällen wird der
Patient präklinisch wieder extubiert. Der Tubus kann entfernt werden, wenn der
Patient sicher kreislaufstabil, atemsuffizient und bei Bewusstsein ist sowie intakte
Schluck- und Hustenreflexe vorhanden sind.
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