Karin Küblböck/Cornelia Staritz (Hrsg.) Asienkrise: Lektionen gelernt? Finanzmärkte und Entwicklung VS V Eine Veröffentlichung der (Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung) Karin Küblböck/Cornelia Staritz (Hrsg.) Asienkrise: Lektionen gelernt? Karin Küblböck/Cornelia Staritz (Hrsg.) Asienkrise: Lektionen gelernt? Finanzmärkte und Entwicklung Eine Veröffentlichung der ÖFSE (Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung) VSA: Verlag Hamburg www.vsa-verlag.de www.oefse.at Gedruck mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung in Wien Gefördert durch Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung © VSA-Verlag 2008, St. Georgs Kirchhof 6, 20099 Hamburg Alle Rechte vorbehalten Druck und Buchbindearbeiten: Idee, Satz & Druck, Hamburg ISBN 978-3-89965-295-6 Inhalt Karin Küblböck/Cornelia Staritz Einleitung: Finanzmärkte, Finanzkrisen und Entwicklung ............................ 7 Jörg Huffschmid Die neue Dynamik der Finanzmärkte ........................................................... 26 Einfluss auf Unternehmen, Politik und Gesellschaft Kunibert Raffer Kapitalflüsse und Entwicklung .................................................................... 46 Susanne Soederberg Die Politik der Globalen Standards ............................................................. 59 Neue Trends bei der Regulierung internationaler Finanzflüsse José Antonio Ocampo/Stephany Griffith-Jones Ein antizyklischer Handlungsrahmen für eine entwicklungsfreundliche internationale Finanzarchitektur .......... 74 José Gabriel Palma Drei Muster internationaler Finanzkrisen .................................................... 89 Chile, Mexiko und Argentinien – Brasilien – Korea, Malaysia und Thailand Lydia Krüger Profiteure von Finanzkrisen ...................................................................... 111 Von der Kapitalmarktliberalisierung zum Ausverkauf öffentlichen Eigentums Jomo K.S. Lektionen aus der Ostasienkrise ............................................................... 127 Johannes Dragsbaek Schmidt Finanzkrise, Sozialkrise und ungleiche Entwicklung in Südkorea und Thailand .......................................................................... 143 Joachim Becker Zyklen von Finanzialisierung, Krise und Exportorientierung ..................... 159 Argentinien, Brasilien und Uruguay Karen Imhof/Johannes Jäger Finanzialisierungsprozesse in Lateinamerika ........................................... 175 Mexiko und Chile im Dollar Wall Street Regime Charles Mutasa Entwicklungsfinanzierung, Verschuldung und Direktinvestitionen .......... 190 Die Rolle ausländischer Finanzströme in Subsahara-Afrika C.P. Chandrasekhar Finanzmärkte und Entwicklung in Indien und China ................................ 205 Özlem Onaran Finanzmärkte in Osteuropa und der Türkei: Kann »es« auch hier passieren? ................................................................ 221 Autorinnen und Autoren ............................................................................ 237 Karin Küblböck/Cornelia Staritz Einleitung: Finanzmärkte, Finanzkrisen und Entwicklung 1. Einleitung Gewinnwarnungen, Kurseinbrüche, weltweite Krisenszenarien: Die Stimmung auf den internationalen Finanzmärkten ist im Jahr 2008 – ausgelöst durch die US-Hypothekenkrise – auf einem Tiefpunkt. Auch vor der Realwirtschaft macht die Krise nicht halt, Wachstumsprognosen werden nach unten revidiert, die ganze Welt blickt mit Sorgenfalten auf die US-Wirtschaftsentwicklung, von der auch alle anderen Volkswirtschaften abhängig sind. Die »Effizienz« der internationalen Finanzmärkte wird in der öffentlichen Diskussion wieder zunehmend in Frage gestellt. Genau zehn Jahre zuvor hatte die Serie von Finanzkrisen in Südostasien, Russland, der Türkei und in Lateinamerika ähnliche Diskussionen ausgelöst. Anlässlich dieses »Jubiläums« und der aktuellen Finanzkrise ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme der internationalen Finanzmärkte und ihrer Rolle für ökonomische und soziale Entwicklung. Drei Fragestellungen stehen im Mittelpunkt dieser Publikation: Erstens: Wie haben sich die internationalen Finanzmärkte in den letzten zehn Jahren entwickelt? Zweitens: Welche langfristigen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen haben Finanzkrisen in den betroffenen Ländern und welche Politiken und gesellschaftlichen Änderungen konnten nach den Finanzkrisen durchgesetzt werden? Gibt es Unterschiede bezüglich der politischen Auswirkungen von Finanzkrisen und wenn ja, was sind Gründe dafür? Drittens: Welche Bedeutung haben Finanzmärkte im Entwicklungsprozess und wie können diese »entwicklungsfreundlich« gestaltet werden? Diese Fragen behandeln die AutorInnen der vorliegenden Publikation allgemein und anhand von Länderbeispielen. Die analysierten Regionen und Länder umfassen Südostasien (Südkorea, Malaysia, Thailand, Indonesien), Lateinamerika (Mexiko, Chile, Argentinien, Brasilien, Uruguay), Afrika, Mittel- und Osteuropa, die Türkei sowie China und Indien. Mit der US-amerikanischen Hypothekenkrise brach eine weitere Finanzkrise mit noch nicht abschätzbaren Auswirkungen für die Weltwirtschaft aus, wodurch die Aktualität des Themas noch einmal verdeutlicht wurde. Wir werden daher in diesem Einleitungsartikel neben einem Überblick über Aufgaben und Funktion von Finanzmärkten sowie Grundmustern von Finanzkrisen auf die Ursachen der 8 Karin Küblböck/Cornelia Staritz aktuellen Hypothekenkrise eingehen. Im Anschluss werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Finanzkrisen in Industrie- und Schwellenländern herausgearbeitet. Den Abschluss bildet ein Überblick über die Beiträge dieses Buches. 2. Grundaufgaben von Finanzmärkten Finanzmärkte erfüllen wichtige realwirtschaftliche Funktionen und haben daher eine zentrale Rolle im Entwicklungsprozess. Die Struktur und die Funktionsweise der internationalen Finanzmärkte haben sich in den letzten 30 Jahren vor allem durch weitgehende Liberalisierungen und Deregulierungen stark verändert und verkompliziert. Die ökonomischen Grundfunktionen der Finanzmärkte sind aber überschaubar geblieben. Zum einen sollen Finanzmärkte liquide Mittel für Investitionen und Konsum bereitstellen. Auf den Finanzmärkten können SparerInnen ihr Geld anlegen und dieses Geld steht Unternehmen, Regierungen und Privatpersonen für Investitionen oder Konsum zur Verfügung. Zum anderen sollen Finanzmärkte grenzüberschreitende wirtschaftliche Transaktionen ermöglichen. Auf Finanzmärkten können Währungen getauscht werden, damit ausländische Produkte gekauft oder im Ausland Investitionen getätigt werden können. Diese wesentlichen, die Realwirtschaft unterstützenden Funktionen haben in den letzten drei Jahrzehnten stark an Bedeutung verloren und machen nur mehr einen kleinen Teil der Transaktionen auf den Finanzmärkten aus. Auf den Finanzmärkten steht nicht mehr die Finanzierung von realen Investitionen im Vordergrund, sondern der Handelsaspekt, also das Kaufen und Verkaufen von Finanztiteln mit dem Ziel – meist kurzfristige – Kursgewinne zu erzielen. Finanzmärkte unterstützen dabei die Realwirtschaft immer weniger, sondern dominieren und destabilisieren sie. Das zeigt schon allein ein Blick auf die Summen, die an den internationalen Finanzmärkten täglich gehandelt werden. Auf dem Devisenmarkt, auf dem unterschiedliche Währungen miteinander getauscht werden, haben weniger als 3% der Transaktionen eine Beziehung zur Realwirtschaft, also zu internationalem Handel und ausländischen Direktinvestitionen. Diese Entwicklungen haben massive negative Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft: Sie sind ein wesentlicher Faktor für die sinkende politische Autonomie von Staaten im so genannten Standortwettbewerb (siehe den Beitrag von Jörg Huffschmid in diesem Band). Sie produzieren Instabilitäten bis hin zu Finanzkrisen, mit katastrophalen Auswirkungen auf die unmittelbare Lebenssituation von Millionen von Menschen und mit Folgen, die auch noch lange nach ihrem Ausbruch spürbar sind. Die Dominanz von Finanzmarktinteressen Finanzmärkte, Finanzkrisen und Entwicklung 9 in der nationalen und internationalen Politikgestaltung stellt ein wesentliches Hindernis für nachhaltige Entwicklungsstrategien dar. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise in Südostasien im Jahr 1997 mit ihren verheerenden Folgen für die betroffenen Länder schien es einen internationalen Konsens darüber zu geben, dass die aktuelle Ausgestaltung der internationalen Finanzmärkte dringenden Reformbedarf aufweist. Eine öffentliche Diskussion über die Risiken liberalisierter und instabiler Finanzmärkte und über eine notwendige neue internationale Finanzarchitektur entbrannte. Nachdem sich aber zeigte, dass es zu keiner Ansteckung der Finanzzentren kommen würde, verstummte die Diskussion und der Reformelan verschwand (Huffschmid 2002: 57). Auch zehn Jahre später gibt es keine neue internationale Finanzarchitektur, nicht einmal Ansätze dazu. Joseph Stiglitz schreibt sogar: »Nach der Krise von 1997 gab es in der Welt nicht eine Finanzreform von Bedeutung.« (Stiglitz 2007) Was aber folgte, waren weitere Krisen (Russland, zweimal Brasilien, Türkei, Argentinien, dot.com-Krise und die Hypothekenkrise). Aufgrund Letzterer wird aktuell die »Effizienz« der internationalen Finanzmärkte in der öffentlichen Diskussion wieder zunehmend in Frage gestellt. Aber auch heute sind – bis jetzt – keine weit reichenden Reformen zu erwarten; diese wären jedoch unbedingt notwendig, damit Finanzmärkte ihre wesentlichen realwirtschaftlichen Aufgaben erfüllen und zu nachhaltiger Entwicklung beitragen können. Die wiederkehrenden Finanzkrisen zeigen am deutlichsten die negativen Auswirkungen von instabilen Finanzmärkten. Ihre Ursachen werden im Folgenden besprochen. 3. Ursachen von Finanzkrisen Krisen auf den internationalen Finanzmärkten sind kein neues Phänomen. Vielmehr sind sie ein Strukturmerkmal dieser Märkte. Nur während der Bretton Woods-Ära von Mitte der 1940er bis Anfang der 1970er Jahre, in der internationale Kapitelflüsse reguliert waren, schien es, als gehörten Finanzkrisen der Vergangenheit an. Seit Mitte der 1970er Jahre hat sich das jedoch wieder geändert. Finanzkrisen von erheblicher nationaler und internationaler Bedeutung folgten: ■ 1982 Schuldenkrise zahlreicher Entwicklungsländer, ■ 1987 Börsenkrise in New York, ■ 1992/93 Krise des Europäischen Währungssystems, ■ 1994/95 Mexiko-Krise und der »Tequila-Effekt«, ■ 1997/98 Südostasienkrise, ■ 1998 Russlandkrise, 10 ■ Karin Küblböck/Cornelia Staritz 1998/99 Brasilienkrise, 2000/01 Türkeikrise, 2001/02 Argentinienkrise, ■ 2001 dot.com Krise in den USA, ■ 2002 wieder Krise in Brasilien und ■ 2007/2008 sind die Immobilienmärkte der USA an der Reihe – mit noch nicht abschätzbaren Folgen. Die herkömmliche Analyse macht für Finanzkrisen vor allem interne Faktoren in den von den Krisen betroffenen Ländern verantwortlich – schlechte wirtschaftliche Fundamentaldaten, makroökonomische Ungleichgewichte, Schwäche des Finanzsektors, schlechte Wirtschaftspolitik, Korruption. Aus dieser Krisenerklärung folgt, dass Reformen nur in den betroffenen Krisenländern notwendig sind und nicht am internationalen Finanzsystem gerührt zu werden braucht. Diese internen Faktoren können jedoch nicht erklären, warum Länder von Finanzkrisen getroffen werden, deren wirtschaftliche Fundamentaldaten und Bedingungen sehr unterschiedlich sind und die zum Teil sehr gute Wirtschaftsdaten ausweisen. Ebenso wenig passt ins Bild, dass die schwersten Finanzkrisen in den aufstrebenden Schwellenländern in Südostasien stattfanden, die vom IWF noch kurz zuvor ein Unbedenklichkeitszeugnis ausgestellt bekommen haben. Der Verweis auf Probleme in den betroffenen Ländern reicht also nicht aus. Vielmehr muss nach systemischen Faktoren gefragt werden, die vom internationalen Finanzsystem ausgehen. (WEED 2002: 15f.) Erklärungsansätze für Finanzkrisen können in zwei Hauptvarianten gegliedert werden (Huffschmid 2002: 168). Die eine Variante stammt aus der keynesianischen Theorie und beschäftigt sich mit der Tendenz zum Aufbau zunehmend spekulativer Finanzierungsformen im Verlauf einer Boomphase. Sie betont die Endogenität von finanzieller Instabilität, die sich im normalen Verlauf der Wirtschaft aufbaut. Die andere stammt aus der marxistischen Tradition und sieht die Ursache in der »Erschöpfung der produktiven Akkumulationsdynamik bei gleichzeitig hohen Profiten und dem Ausweichen in die Finanzakkumulation« (ebd.: 169). Die Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte fördert den Aufbau beider Krisentypen (siehe den Beitrag von Gabriel Palma). Facetten beider Krisenursachen sind in den Finanzkrisen der 1990er und 2000er zu beobachten. Wenn sich Investitionen (reale oder Finanzinvestitionen) gut entwickeln, werden Investoren optimistischer und sind bereit, risikoreichere Investitionen zu tätigen und höhere Schulden aufzunehmen. Es werden zunehmend spekulative Geschäfte eingegangen, die auf kurzfristiger Finanzierung von langfristigen Investitionsprojekten beruhen. Aber nicht nur Investoren, auch andere Marktakteure werden optimistischer: Banken vergeben leichtsinnig Kredite ■ ■ Finanzmärkte, Finanzkrisen und Entwicklung 11 und Rating-Agenturen bessere Risikoeinstufungen. Diese Entwicklungen waren vor der Südostasienkrise zu beobachten und nun auch wieder vor der Hypothekenkrise. Finanzblasen sind abhängig vom Zufluss an Liquidität, um die Hausse am Laufen zu halten und die Preise weiter steigen zu lassen. Solange die Erwartungen optimistisch bleiben und hohe Investitionen getätigt werden, steigen die Preise, was wiederum die Erwartungen verstärkt. Erwartungen sind also zentral und können sich vollkommen losgelöst von Fundamentaldaten entwickeln, da es darum geht, die Meinung der Mehrheit der Investoren zu erraten (Keynes 1936). Früher oder später ändern sich die Erwartungen aber aufgrund eines negativen Schocks, wobei in dieser fragilen Situation z.B. eine geringe Zinserhöhung genügen kann, und es kommt zur Krise. Nach der Krise verhalten sich Investoren eine Zeitlang zurückhaltend, aber nach einer gewissen Zeit führen Wettbewerbsdruck und die Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten zu einer neuen Boom-Phase (siehe den Beitrag von Özlem Onaran). Das starke Ansteigen sowohl der Volumina der privaten Kapitalflüsse als auch deren Umschlagshäufigkeit trug zur Instabilität der Finanzmärkte bei. Gründe für die gestiegenen Volumina liegen in den stagnierenden Wachstumsraten der Industrieländer in den 1990er Jahren, bei einer gleichzeitigen Umverteilung von Lohn- zu Gewinneinkommen. Dies führte zu einem Ansteigen von Gewinnen und Finanzvermögen, die wegen unzureichender gesamtwirtschaftlicher Nachfrage – wiederum aufgrund des niedrigen Wirtschaftswachstums und der Umverteilung zu Lasten der Masseneinkommen sowie aufgrund der Sparpolitik von Regierungen – nicht gewinnbringend als Realinvestitionen in Industrieländern verwendet werden konnten. Also suchen Profite andere Anlageformen, z.B. auf den Finanzmärkten. Ein weiterer Faktor für den Anstieg von Anlage suchendem Finanzvermögen ist der Übergang von umlagebasierten zu kapitalgedeckten Pensionssystemen, wodurch die Vorsorgegelder ganzer Generationen auf die Kapitalmärkte geleitet werden. Der Wachstumsrückgang in den Industrieländern führte auch dazu, dass private Kapitalflüsse auf der Suche nach gewinnbringenden Anlagen seit den 1990er Jahren wieder vermehrt in Entwicklungsländer flossen – die seit jeher als »Finanzmärkte letzter Instanz« fungiert haben (siehe den Beitrag von Gabriel Palma) – insbesondere in die so genannten Schwellenländer, die hohe Wachstumsraten aufwiesen sowie auch durch den Privatisierungsboom günstige Investitionsgelegenheiten boten. Voraussetzung für diese Entwicklung war, dass Entwicklungsländer insbesondere in den 1990er Jahren – auf Druck von IWF und Weltbank, aber auch aufgrund von nationalen Interessen (siehe den Beitrag von Karen Imhof und Johannes Jäger) – ihre Finanzsysteme dereguliert und ihren internationalen Kapitalverkehr liberalisiert haben. Zusätzlich wurden die Risiken für die Investoren durch die Bindung der Währung von Kapitalempfängerländern 12 Karin Küblböck/Cornelia Staritz an die Währungen der Hauptinvestoren minimiert (siehe dazu den Beitrag von Kunibert Raffer). In der Folge wurde auch durch die Einführung von globalen Standards für »Good Governance«, ausgearbeitet vom Financial Stability Forum, der Druck in Richtung liberalisierter Kapitalmärkte aufrechterhalten, da diese Standards eine Grundlage für Investitionsentscheidungen darstellen (siehe den Beitrag von Susanne Soederberg). Hohe Profitaussichten, stabile Wechselkurse und freier Kapitalverkehr machten diese Länder zum idealen Ort für Kapital aus den Industrieländern. Zwischen 1990 und 1997 stiegen die privaten Kapitalflüsse in Entwicklungsländer von 42 Mrd. $ auf 256 Mrd. $ (Radke 1999). Diese Flüsse waren hoch konzentriert, 80% entfielen auf nur zehn Länder, darunter China, Mexiko und Brasilien sowie die südostasiatischen Schwellenländer. Nach der Südostasienkrise kam es zu einem starken Rückgang dieser Flüsse in Entwicklungsländer, seit 2002 steigen diese jedoch wieder an und erreichten 2006 eine Rekordhöhe von 647 Mrd. $ (Weltbank 2007). Die Betrachtung der gesamten Finanztransfers1 ergibt jedoch, dass Entwicklungsländer heute insgesamt Nettokapitalexporteure sind, d.h. dass mehr Kapital von den Entwicklungs- zu den Industrieländern fließt als umgekehrt. Im Jahr 2007 betrug der Nettofinanztransfer aus Entwicklungsländern insgesamt 760 Mrd. $ (UN 2008) (siehe dazu die Beiträge von Kunibert Raffer sowie Karen Imhof und Johannes Jäger). Neben neuen geographischen Orten für private Kapitalanlagen wurden seit den 1990er Jahren auch neue Akteure sowie Instrumente geschaffen. Institutionelle Anleger, die »Tankschiffe der Kapitalmärkte« (siehe dazu den Beitrag von Jörg Huffschmid), sammeln große Kapitalmengen ein und erzeugen zusätzlich über Kreditschöpfung und damit durch Unterstützung der Banken immense Hebelwirkungen. Zu den neuen Produkten zählen insbesondere Derivate, also abgeleitete Finanzprodukte, deren Anzahl, Volumina und Komplexität sich in den letzten Jahren stark gesteigert hat. 4. Die Hypothekenkrise in den USA 2007/2008 Auch bei der US-Hypothekenkrise können die beschriebenen Grundmerkmale von Finanzkrisen beobachtet werden. Bevor wir auf diese Krise näher eingehen, soll diese kurz in einen gesamtwirtschaftlichen Kontext eingebettet werden. 1 Die Nettotransfers ergeben sich aus den öffentlichen und privaten Kapitalzuflüssen abzüglich der Abflüsse für Zinsen und Gewinne, der Erhöhung der Währungsreserven sowie der Kapitalanlagen von Privaten im Ausland (Gurtner 2008; UN 2008). Finanzmärkte, Finanzkrisen und Entwicklung 13 Die USA ziehen seit Anfang der 2000er Jahre durch ihr Leistungsbilanzdefizit hohe Mengen an Kapital aus der gesamten Welt an. Das Leistungsbilanzdefizit der USA beträgt 6% des Bruttoinlandsproduktes (BIP), d.h. die Importe der USA sind viel höher als ihre Exporte. Dieses Leistungsbilanzdefizit muss durch ausländische Kapitalzuflüsse finanziert werden. Die USA absorbieren zwei Drittel der weltweiten Kapitalimporte (Leistungsbilanzüberschüsse) (Mc Kinley 2006: 2). Aufgrund dieses hohen Leistungsbilanzdefizits sind die USA aber auch ein weltwirtschaftlicher Wachstumsmotor, da die hohen Importe einen wesentlichen Nachfragefaktor darstellen. Der private Konsum war der Wachstumsmotor der US-Konjunktur der 1990er Jahre. Er war allerdings stark über Kredit finanziert, etwa zur Hälfte durch ausländische Kredite (Mc Kinley 2006). Die vorherrschende Meinung war lange Zeit, dass dies kein Problem darstellte, da die Kreditsummen durch steigende Vermögen gedeckt waren, insbesondere durch steigende Aktien- und Immobilienkurse. Durch den Aktienkurseinbruch im Rahmen der dot.com-Krise 2001 brach eine der beiden Säulen für Kredit- und Konsumsicherung ein. Der Privatkonsum ging merklich zurück und eine Rezession stand im Raum. Anfang 2001 änderte die US-amerikanische Regierung ihre Fiskalpolitik und entschloss sich zur Ankurbelung der Wirtschaft. Zwischen 2000 und 2003 wurden zusätzliche 700 Mrd. $ in die Wirtschaft gepumpt,2 über 2% des BIP pro Jahr. Darüber hinaus senkte die Notenbank die Leitzinsen, von 6,5% (2001) auf weniger als 1% (2003) (EuroMemorandum Group 2007). Aufgrund dieses Konjunkturprogramms waren die 2000er Jahre in den USA von einem hohen Budgetdefizit gekennzeichnet. Auch die privaten Haushalte setzten ihren kreditfinanzierten Konsum fort, was durch niedrige Zinsen gefördert wurde. Ein wesentlicher Teil der Kredite an Privathaushalte wurde für den Immobilienerwerb verwendet. Als Folge der anhaltenden Nachfrage stiegen die Immobilienpreise weiterhin an. Da die Haushalte die erworbenen Immobilien wiederum als Sicherheit für Konsumkredite verwendeten, konnte der private Konsum weiter hoch bleiben. Stimmen, die vor einer Blase auf dem Immobilienmarkt warnten, wurden ignoriert. Um das Wachstum des Immobilienmarktes zu sichern, mussten aber immer mehr Menschen zum Hauskauf verleitet werden: Die Banken gingen immer mehr dazu über, Kredite an KundInnen mit schlechter bzw. gar keiner Bonität (»Sub-prime Kredite«) zu vergeben, zu kurzfristig betrachtet günstigen Konditionen. Solange neue KäuferInnen auf den Markt strömen und der Preis 2 Insbesondere in Militär- und Sicherheitsausgaben sowie Steuererleichterungen für Reiche. Auch wenn diese Maßnahmen nicht unbedingt die effizientesten in Bezug auf die Wirtschaftsstimulation sind, zeigten sie alleine aufgrund der hohen Volumina beträchtliche Wirkung. 14 Karin Küblböck/Cornelia Staritz der Immobilien, die als Sicherung der Kredite fungierten, steigt, sind geringe Bonitäten kein Problem. Das hohe Ausfallrisiko, das mit diesen Krediten verbunden war, wurde durch die Schaffung neuer Instrumente für die Banken reduziert. Kredite wurden »verbrieft«, d.h. die Kredite wurden in kleinere Teile geteilt und in Finanztitel umgewandelt, die wiederum je nach Risiko neu gebündelt wurden.3 Diese wurden dann von den Banken an andere Institutionen, wie z.B. Hedge-Fonds, aber auch ausländische Banken weiterverkauft. In diesem System haben die Banken keinen Anreiz, die Kreditwürdigkeit ihrer KundInnen zu überprüfen, sondern nur den von ihnen geschaffenen Finanztitel zu verkaufen. Damit ist der Kredit aus ihren Büchern verschwunden und das Risiko abgewälzt. Diese Risiken waren aber nicht verschwunden, sondern wurden von anderen Finanzinstitutionen gehalten, oft sogar von den eigenen Investmentfonds, die die gerade »durch die Tür verkauften Papiere durch das Fenster wieder einkauften« (Lordon 2007). Die neu geschaffenen Finanzprodukte, die Absicherung zum Ziel hatten, gingen nach hinten los. Sie haben das Risiko zwar tatsächlich verteilt, aber dadurch nicht gesenkt, sondern erhöht, weil sie zur Risikobereitschaft einluden und dadurch das Systemrisiko erhöhten (ebd.). Als eine immer größere Zahl von KreditnehmerInnen ihre Darlehen u.a. aufgrund gestiegener Zinssätze nicht mehr bedienen konnten und ihre Immobilien verkaufen mussten, begannen die Preise am Immobilienmarkt zu stagnieren und das Platzen der Blase war nicht mehr weit. Im Juni 2007 zogen die ersten Großbanken Kapital vom US-Hypothekenmarkt ab. Offensichtlich wurde die fragile Situation, als weltweit immer mehr Banken4 hohe Verlustabschreibungen aus den Geschäften mit dem US-Hypothekenmarkt bekannt geben mussten. Ab Juli 2007 drohte die Gefahr eines weltweiten »Credit Crunch«, also eines Kreditengpasses: Banken müssen ihre Bewertungen korrigieren und Rückstellungen bilden, was zu einem Rückgang an Krediten führt. Das allgemeine Misstrauen führte außerdem dazu, dass sich Banken untereinander kaum mehr Geld liehen. Ein Kreditengpass hat direkte Auswirkungen auf die Realwirtschaft – auf Konsum, Investitionen, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Allein im dritten Quartal 2007 wurde gegen eine halbe Million HauskäuferInnen die Zwangsvollstreckung eingeleitet, weiteren zwei Millionen droht das gleiche Schicksal. Die US-amerikanische Regierung leitete eine Rettungsaktion ein, bei der mittels Umschuldungen die Darlehenszinsen gesenkt wurden. Dennoch ist 3 Diese Geschäfte waren nur aufgrund wesentlicher Lockerungen der Bankenregulierung in den 1980er und 1990er Jahren möglich geworden. 4 Unter anderem die größte Bank Europas HSBC, die Sachsen Landesbank, die französische PNB Paribas, die Schweizer Großbank UBS. Finanzmärkte, Finanzkrisen und Entwicklung 15 die Rate der Zwangsvollstreckungen so hoch wie nie zuvor, Millionen Menschen werden ihre Häuser verlieren. Die amerikanische FED, die europäische Zentralbank sowie andere Notenbanken pumpten seit August 2007 Milliardensummen in den Geldmarkt und konnten den Kreditengpass damit abwehren. Zusätzlich kam es zu wiederholten Zinssenkungen durch die amerikanische Notenbank – zwischen September 2007 bis Januar 2008 um insgesamt 2,25%. Der weltweite Börsenkursverfall konnte damit etwas abgemildert werden, dennoch ist die weitere Situation zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags unklar. Der Grund, warum der Wertverlust der US-amerikanischen Hypothekenpapiere nicht nur die Aktienkurse der involvierten Unternehmen betrifft, sondern einen globalen Kurseinbruch ausgelöst hat, liegt neben der Tatsache, dass Banken und institutionelle Anleger weltweit die Finanztitel gekauft haben, auch im globalen Aktienboom seit 2003, der noch drastischer war als jener der 1990er Jahre.5 Die (professionellen) Anleger sind sich bewusst, dass dieser Aufschwung begrenzt ist und von einem Abschwung abgelöst wird, beim ersten Krisenzeichen steigen sie aus und setzen auf fallende Kurse, was den Kursverfall noch beschleunigt. Die Krise kommt also nicht überraschend, da den meisten klar war, dass es eine Blase gab, es ist aber dennoch sinnvoll, weiter mitzumachen, solange die Preise steigen und Gewinne generiert werden können. Durch die Struktur der jetzigen Finanzmärkte ermutigt, führt also das Handeln der Finanzmarkt-Akteure unweigerlich zur Krise. 5. Unterschiede zwischen Finanzkrisen in Industrie- und Schwellenländern Beim Vergleich der Finanzkrise in Südostasien (siehe die Beiträge von Jomo K.S., Lydia Krüger und Johannes Dragsbaek Schmidt) und der Hypothekenkrise der USA können sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede beobachtet werden. Die systemischen Grundprobleme hinter der Finanzkrise in Südostasien, der Hypothekenkrise und anderen Finanzkrisen sind dieselben: Einerseits liberalisierte und stark deregulierte Finanzmärkte, auf denen immer neue Akteure und neue Produkte auftreten und andererseits die hohen liquiden Mittel durch die ungerechte Verteilung von Vermögen und Einkommen und die zunehmende Privatisierung der Pensionsvorsorge, die nicht realwirtschaftlich verwertet wer5 Die Kurse in den USA sind seit 2003 um 70%, in Deutschland um 180% gestiegen, in Österreich seit Ende 2000 um mehr als 350%, nicht zuletzt durch die Forcierung der privaten Pensionsvorsorge (Schulmeister 2007). 16 Karin Küblböck/Cornelia Staritz den können (zumindest nicht zu den gewünschten hohen Renditen) und auf den Finanzmärkten nach Anlagemöglichkeiten suchen. Ein erster wesentlicher Unterschied ist die Dimension der realwirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzkrisen in den betroffenen Ländern. Obwohl auch die Hypothekenkrise bedeutende realwirtschaftliche Auswirkungen hat, waren die südostasiatischen Länder ungleich stärker betroffen. So ist z.B. das BIP nach konservativen Schätzungen in den vier am schwersten betroffenen südostasiatischen Ländern (Thailand, Indonesien, Südkorea und Malaysia) im Jahr nach der Krise um 8,5% geschrumpft, in Indonesien, dem am stärksten betroffenen Land, fiel das BIP sogar um 15%, die Arbeitslosigkeit verdreifachte sich und die Armut stieg stark an (Schätzungen reichen von 22 bis über 55 Millionen Menschen, die unter die Armutsgrenze gerutscht sind) (Krüger 2000). Ein zweiter wesentlicher Unterschied von Finanzkrisen in Schwellen- und Industrieländern ist die unterschiedlich bedeutende und mächtige Rolle von internationalen Kapitalflüssen und ausländischen Akteuren und Interessen. Auch wenn bei beiden Krisen ausländische Kapitalflüsse eine wesentliche Rolle spielten, so war in Südostasien das Verhältnis der Kapitalzuflüsse zur Gesamtwirtschaft wesentlich unausgeglichener. Das massive Einströmen von ausländischem Kapital, die daraus resultierenden Absorptionsprobleme und dann der abrupte Abfluss spielen eine wesentliche Rolle in Finanzkrisen in Schwellenländern (siehe den Beitrag von Gabriel Palma). Dazu kommt, dass Finanzkrisen in Schwellenländern – im Gegensatz zu Industrieländern – praktisch immer in Währungskrisen münden. Der massive Kapitalabzug der internationalen Investoren führt zu einer Währungsabwertung. Dadurch verteuern sich die ausländischen (öffentlichen und privaten) Schuldendienstzahlungen, was wiederum zu Budgetkürzungen bzw. Konkursen etc. führt. Die USA sind im Gegensatz durch die Rolle des US-Dollar als Leitwährung in der privilegierten Situation, sich in ihrer eigenen Währung im Ausland verschulden zu können. Da viele Anleger und Regierungen große Mengen an US-Dollar halten, ist die Gefahr einer starken Abwertung nicht sehr groß, und auch wenn sie stattfinden sollte, können die USA ihre Schulden weiterhin in US-Dollar bezahlen. Aufgrund der globalen Machtasymmetrien ist zudem der Einfluss ausländischer Akteure, insbesondere Regierungen der Industrieländer, ausländischer Finanzinvestoren und internationaler Finanzinstitutionen, in Schwellenländern unvergleichlich höher. Diese können dadurch nicht nur in der Verursachung der Krise eine wesentliche Rolle spielen, sondern auch danach, indem sie den politischen Umgang mit der Krise beeinflussen. Aus diesen ungleichen Proportionen und Kräfteverhältnissen folgt als dritter wesentlicher Unterschied das unterschiedliche Interventionspotenzial der Finanzmärkte, Finanzkrisen und Entwicklung 17 öffentlichen Institutionen in Schwellen- und Industrieländern. Erstens haben Regierungen und Nationalbanken in den meisten Schwellenländern weniger Ressourcen zur Verfügung, um zu intervenieren, und zweitens werden antizyklischer und interventionistischer Politik oft Grenzen gesetzt, und zwar durch die IWF-»Rettungsprogramme«, die viele Schwellenländer bei Ausbruch einer Finanzkrise umsetzen müssen, wenn sie auf Unterstützung vom IWF angewiesen sind. Im Fall der Asienkrise waren davon Thailand, Südkorea und Indonesien betroffen. Die Bedingungen des IWF umfassten eine Erhöhung der Zinssätze und eine Reduktion der Staatsausgaben. Die verordnete Zinserhöhung konnte Kapitalflucht nicht verhindern, hatte aber massive negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft und verstärkte die Finanzkrise. Obwohl die Staatshaushalte in den südostasiatischen Ländern ausgeglichen waren, wurde die Reduktion von Staatsausgaben verlangt, was die Möglichkeiten, durch antizyklische Fiskalpolitik die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise zu lindern, stark reduzierte. Eine weitere vom IWF verlangte Maßnahme war die Schließung von nationalen Banken. Nationale Finanzinstitutionen wurden also nicht mit öffentlichen Geldern gerettet, ausländische Banken und Investoren sehr wohl. »Die IWF-Programme machten den Eindruck, sich an den Interessen ausländischer Banken zu orientieren, statt an jenen ostasiatischer Volkswirtschaften und Menschen.« (Jomo K.S. 2001) Die Reaktionen bei der Hypothekenkrise in den USA könnten nicht unterschiedlicher sein: Zentralbanken griffen stark ein und erhöhten die Liquidität, um die negativen Folgen der Finanzkrise zu reduzieren, Zinssätze wurden gesenkt, die Staatsausgaben erhöht und Sozialprogramme für Haushalte, die ihre Häuser verloren haben, wurden gestartet.6 Durch dieses Konjunkturpaket wird das Budgetdefizit laut Budgetentwurf vom Februar 2008 von 162 Mrd. $ im Jahr 2007 auf 410 Mrd. $ im Jahr 2008 ansteigen (Der Standard 2008). Darüber hinaus werden nationale Finanzinstitutionen gerettet. In den Industrieländern springt der Staat als letzter Gläubiger ein, um die Finanzmarkt-Akteure zu retten (Lordon 2007). In Stiglitz’ Worten: »Der Widerspruch zwischen den Ratschlägen des IWF und dem US-Finanzministerium Ostasien gegenüber und dem, was in dem aktuellen Desaster der Hypotheken mit hohem Risiko geschieht, ist nicht zu verneinen.« (Stiglitz 2007) 6 Diese Programme sind immer noch zu wenig, um die sozialen Folgen auszugleichen aber es wird zumindest nicht über Ausgabensenkungen und restriktive Fiskalpolitik gesprochen. 18 Karin Küblböck/Cornelia Staritz 6. Die Beiträge in diesem Buch Die zu Beginn aufgeworfene erste und zweite Hauptfrage – betreffend Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten sowie langfristige Auswirkungen von Finanzkrisen – strukturieren grob die beiden Teile des Buches. Die dritte Hauptfrage nach der Bedeutung von Finanzmärkten im Entwicklungsprozess und Möglichkeiten einer »entwicklungsfreundlichen« Gestaltung wird in mehreren Beiträgen behandelt (u.a. bei Jörg Huffschmid, Kunibert Raffer, José Antonio Ocampo und Stephany Griffith-Jones, Lydia Krüger, Jomo K.S., Karen Imhof und Johannes Jäger, C.P. Chandrasekhar sowie Özlem Onaran). Im ersten Teil des Buches werden Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten, vor allem in den letzten zehn Jahren, analysiert. Den Anfang macht Jörg Huffschmids Beitrag, der die neue Dynamik der Finanzmärkte und ihren Einfluss auf Unternehmen, Politik und Gesellschaft behandelt. Huffschmid präsentiert zentrale Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten und ihre Hintergründe. Die Gründe für das starke Anwachsen der auf Kapitalmärkten veranlagten Finanzvermögen und der Finanztransaktionen, und der stark gestiegenen Instabilität sieht er in der Umverteilung von Vermögen und Einkommen von unten nach oben, der Pensionsprivatisierung sowie der Liberalisierung des Kapitalverkehrs. In den letzten zehn Jahren haben institutionelle Investoren massiv an Bedeutung gewonnen und erhöhen den Druck auf Unternehmen, Beschäftigte und ganze Länder, nach Finanzmarktinteressen zu agieren bzw. sich ihnen zu beugen. Zum Schluss werden einige Ansätze zur Gegensteuerung vorgestellt, die auf drei Ebenen ansetzen: Einschränkung der Finanzspekulation, Schutz von Beschäftigten vor Ausbeutung und Unternehmen vor finanzieller Ausplünderung durch Finanzinvestoren sowie Umverteilung und öffentliche umlagefinanzierte Alterssicherungssysteme. Kunibert Raffers Beitrag behandelt die Rolle von internationalen Kapitalflüssen im Entwicklungsprozess. Die Kapitalbewegungen des letzten Jahrzehnts werden in eine größere, historische Perspektive gestellt und eingebettet in Veränderungen der Natur der Kapitalströme seit 1945. Gegenwärtige Entwicklungen umfassen vor allem die Wiederkehr der Anleihen, das Öffnen des Südens für private Kapitalflüsse sowie die hohen Devisenreserven einiger Schwellenländer und die Umkehr der Nettofinanzflüsse. Letzteres führt zu der paradoxen Situation, dass mehr Geld von Süd nach Nord als umgekehrt fließt und Entwicklungsländer wesentlich zur Finanzierung des US-Leistungsbilanzdefizits beitragen. Raffer hebt auch den unterschiedlichen Umgang mit Defizitländern hervor: Im Fall der USA werden Überschussländer aufgefordert, US-Produkte zu importieren, er bezweifelt jedoch, dass bei der nächsten Schuldenkrise OECD-Länder zu höheren Importen aus Entwicklungsländern aufgefordert werden würden. Finanzmärkte, Finanzkrisen und Entwicklung 19 Susanne Soederbergs Beitrag beschäftigt sich mit neuen Trends bei der Regulierung internationaler Finanzflüsse – der Politik der globalen Standards. Dabei wählt sie als Beispiele die »Reports on Observance on Standards and Codes«, den »Millennium Challenge Account« sowie den »Permissible Country Index«. Soederberg untersucht die soziale Konstruktion und die Bedeutung dieser Standards, widerlegt ihre scheinbare Objektivität als natürliche Instrumente der »Good Governance« und zeigt die Interessen hinter diesen Standards auf. Durch sie sollen nicht Kapitalströme reguliert, sondern sichergestellt werden, dass die Staaten und Märkte des globalen Südens »angemessene« Investitionsstandorte für die Wahrung und den Schutz ausländischer Geschäftsinteressen darstellen. Der Beitrag von Stephany Griffith-Jones und José Antonio Ocampo widmet sich einem zentralen und oft unterbelichteten Problem liberalisierter Finanzmärkte – dem Fehlen von antizyklischem Handlungsspielraum. Insbesondere in den letzten zehn Jahren waren Entwicklungsländer stark den Schwankungen hochgradig prozyklischer internationaler Finanzflüsse unterworfen, was unmittelbare Auswirkungen auf ihre Zahlungsbilanzen und nationale Finanzmärkte, die Binnenkonjunktur und andere makroökonomische Variablen hat. Die AutorInnen betonen, dass in einer entwicklungsfreundlichen Finanzarchitektur die Eindämmung prozyklischer Auswirkungen von Finanzmärkten sowie das Einräumen von »politischem Handlungsspielraum« für antizyklische Wirtschaftspolitik zentral ist. Es wird ein Maßnahmenpaket vorgestellt, das antizyklische regulative Standards, Marktinstrumente zur besseren Verteilung konjunkturbedingter Risiken (BIP-indexierte Staatsanleihen und Anleihen in Lokalwährungen), antizyklische Kreditgarantien, die Bereitstellung antizyklischer staatlicher Liquidität sowie die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Entwicklungsländern enthält. Im zweiten Teil des Buches geht es um internationale Finanzflüsse und vor allem Finanzkrisen, ihre Ursachen, ihre nationalen und regionalen Spezifika und um ihre langfristigen wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Wesentlich ist hier auch die Frage nach den Reformen und gesellschaftlichen Änderungen, die nach den Krisen durchgesetzt werden konnten, und ob es Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern gibt. Am Beginn des zweiten Teils stehen die Beiträge von Gabriel Palma zu unterschiedlichen Mustern von Finanzkrisen und von Lydia Krüger, die anhand der Fallbeispiele Argentinien und Südkorea der Frage nach Profiteuren von Finanzkrisen nachgeht. Danach folgen regionen- und länderspezifische Analysen von Ursachen und Auswirkungen von Finanzflüssen und -krisen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Gabriel Palmas Beitrag behandelt drei Muster internationaler Finanzkrisen, die sich am besten anhand der Beispiele Mexiko, Brasilien und Südkorea veranschaulichen lassen. Diese drei Muster beinhalten aber auch die Erfahrungen aus 20 Karin Küblböck/Cornelia Staritz anderen Ländern, z.B. Chile, Malaysia, Thailand und Argentinien. Die Finanzkrisen in den 1990er und 2000er Jahren hatten wesentliche Gemeinsamkeiten: Die betroffenen Länder hatten erst kurz zuvor ihren Kapitalverkehr liberalisiert, und das zu einer Zeit, als die Liquidität auf den internationalen Finanzmärkten sehr hoch und das Wachstum der meisten OECD-Länder rückläufig war. Dies führte dazu, dass es nach der Liberalisierung zu massiven Kapitalzuflüssen kam. Palma zeigt, dass unabhängig davon, auf welche Weise diese Länder versuchten, den Kapitalansturm zu absorbieren, eine Finanzkrise nicht verhindert werden konnte. In Lydia Krügers Beitrag steht die Verteilungswirkung von Finanzkrisen und die Veränderungen der Eigentumsverhältnisse, die mit dem Krisenmanagement verbunden waren, im Mittelpunkt. Insbesondere werden Profiteure von Finanzkrisen analysiert. Anhand der Fallbeispiele Argentinien und Südkorea, die stellvertretend für die Entwicklung in anderen Schwellenländern stehen, wird gezeigt, dass der Liberalisierung des Kapitalverkehrs als Krisenursache eine besondere Bedeutung zukommt und dass beim Krisenmanagement die vom IWF verordneten neoliberalen Reformen zu einer Verschärfung der Krisen geführt haben. Im Hinblick auf die Abfolge der neoliberalen Reformen ist ein gewisses Muster zu beobachten: So erfolgt die Deregulierung der Finanzmärkte und des Kapitalverkehrs oft in Zeiten, in denen Investoren aus den Industrieländern verzweifelt neue Anlagemöglichkeiten suchen. Dagegen ist die Deregulierung des Investitionsregimes und die Privatisierung und Veräußerung von Unternehmen in der Regel ein Zugeständnis, das auf dem Höhepunkt einer Krise von einer in Bedrängnis geratenen Regierung gewährt wird. Große internationale Konzerne und Banken profitierten von den Finanzkrisen in Schwellenländern und dem Krisenmanagement danach, was sich in zahlreichen Übernahmen und einem wachsenden Marktanteil niederschlägt. Dass die politischen Reaktionen auf die Finanzkrisen in Lateinamerika in den 1990er und 2000er Jahren und Südostasien sehr unterschiedlich waren, ist eine Beobachtung, der auch in folgenden Beiträgen nachgegangen wird. Während die betroffenen Länder in Südostasien sich – auf Druck des IWF – zu einer Abkehr vom staatszentrierten Entwicklungsmodell entschlossen und umfangreiche neoliberale Reformen durchführten, war in den betroffenen lateinamerikanischen Ländern zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Situation erreicht, in der zumindest eine teilweise Abkehr vom neoliberalen Entwicklungsmodell unausweichlich war, da dieses stark an Legitimität in der Bevölkerung verloren hatte und zudem genau die nach der Krise der 1980er Jahre implementierte neoliberale Politik als Krisenursache empfunden wurde. Im Gegensatz dazu konnten in Südostasien nach der Finanzkrise sehr wohl neoliberale Politiken implementiert werden, insbesondere, weil die Finanzkrise als Krise des staatsinterventionistischen Finanzmärkte, Finanzkrisen und Entwicklung 21 Systems dargestellt wurde (»crony capitalism«) ähnlich wie in den 1980er Jahren in Lateinamerika als Krisenursache die starke Rolle des Staates im Rahmen des Importsubstitutionssystems gesehen wurde. Jomo K.S. und Johannes Dragsbaek Schmidt analysieren diese unterschiedlichen politischen Reaktionen im Detail für südostasiatische Länder und Joachim Becker sowie Karen Imhof und Johannes Jäger für lateinamerikanische Länder. Jomo K.S. erläutert in seinem Beitrag, dass traditionelle Erklärungsansätze für die Südostasienkrise ihre Kernursache ignorieren, nämlich die Liberalisierung der Finanzmärkte sowie deren politische Folgen, insbesondere die Unterminierung von geld- und fiskalpolitischen Steuerungsmechanismen. Er hält fest, dass durch diese Fehlinterpretation die wesentlichen Lektionen aus der Krise immer noch nicht gelernt wurden. Auch wenn es makroökonomische Ungleichgewichte gab, wie z.B. in Bezug auf die Leistungsbilanzdefizite oder die Privatsektorverschuldung, waren die Hauptauslöser der Krise die Panik und das Herdenverhalten der Investoren, deren schneller Kapitalabzug wiederum durch die liberalisierten Finanzmärkte überhaupt ermöglicht wurde. Die vorgeblichen Vorteile aus der Finanzmarktliberalisierung, wie die Umleitung finanzieller Ressourcen von Nord nach Süd, Wirtschaftswachstum sowie Risikostreuung sind nicht eingetroffen – ganz im Gegenteil, es fließt mehr Kapital von Süd nach Nord und die Risken haben sich sogar erhöht. Jomo schließt mit der Feststellung, dass die existierenden Mechanismen zur Finanzmarktregulierung vollkommen unzureichend sind und dass es weitreichender Reformen bedarf, um nationale wirtschaftspolitische Autonomie zurückzugewinnen. Da aufgrund von entgegengesetzten Interessen internationale Reformen derzeit nicht in Sicht sind, plädiert Jomo für regionale Kooperationsformen. Johannes Dragsbaek Schmidt zeigt in seinem Beitrag auf, dass obwohl die meisten Länder in Südostasien inzwischen positive Wachstumsraten aufweisen und weithin angenommen wird, dass die Finanzkrise überstanden ist, die langfristigen Auswirkungen der Krise auch heute noch stark zu spüren sind und sich die ökonomischen, sozialen sowie politischen Machtstrukturen in Südkorea und Thailand nachhaltig verschoben haben. Die Konditionalitäten der internationalen Finanzinstitutionen haben maßgeblich zu diesen Veränderungen beigetragen und die Krise noch verschärft. Dragsbaek Schmidt analysiert Veränderungen in den Bereichen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Armut und Verteilung, bei den Eigentumsverhältnissen sowie die politischen Auswirkungen der Krise. Die politischen Reaktionen nach der Krise wiesen im Vergleich zu jenen der lateinamerikanischen Länder nach den Finanzkrisen der 1990er und 2000er Jahre große Unterschiede auf. Zwar gab es in Südkorea und Thailand Proteste gegen neoliberale Politik, vor allem gegen die Konditionalitäten des IWF, und auch die Regierungen widersetzten sich der verordneten restriktiven Fiskalpolitik 22 Karin Küblböck/Cornelia Staritz und begannen bald die heimische Nachfrage zu stimulieren, dennoch konnten sich in beiden Ländern neoliberale Politiken durchsetzen und die Interessen der heimischen Eliten gestärkt werden. Joachim Becker geht in seinem Beitrag der Frage nach, ob die Finanzkrisen in Argentinien, Brasilien und Uruguay nicht nur zur Wahl von »progressiven« Regierungen führten, sondern auch tatsächlich Änderungen in der Ausrichtung der Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie bei den politischen Kräfteverhältnissen brachten. Seit den 1980er Jahren implementierten alle drei Länder eine Wirtschaftspolitik, die Finanzinteressen favorisierte. Diese mündete zwischen 1998 und 2002 in Finanz- und Währungskrisen sowie in den dollarisierten Ökonomien Argentinien und Uruguay zusätzlich auch in Bankenkrisen. Laut Becker waren diese Krisen nicht primär auf den Ansteckungseffekt aus der Südostasienkrise zurückzuführen, sondern auf die Widersprüche des Akkumulationsmodells selbst. Die politischen Auswirkungen der Finanzkrisen waren zum Teil unterschiedlich, wiesen aber auch Gemeinsamkeiten auf: Es kam in allen Ländern zu einer Währungsabwertung und verstärkten Exportorientierung. Die hohen Rohstoffpreise wirken dabei stabilisierend und erleichterten den Weg aus der Krise. In Argentinien war die Finanzkrise mit einer offenen politischen Krise verbunden, und es kam zur stärksten Verschiebung von Kräfteverhältnissen hin zu produktiven Interessen, in Brasilien und Uruguay haben Finanzinteressen auch nach der Krise noch eine starke Bedeutung. Der Beitrag vom Karen Imhof und Johannes Jäger behandelt Finanzialisierungsprozesse in Lateinamerika anhand der teils sehr konträren Länderbeispiele Mexiko und Chile. Entwicklungen im Finanzsektor in Lateinamerika sind zwar durch internationale Abhängigkeit charakterisiert und durchlaufen ähnliche Transformationen, die häufig mit dem Schlagwort Finanzialisierung umschrieben werden. Imhof und Jäger betonen aber, dass einzelne Länder Lateinamerikas dennoch zum Teil sehr unterschiedliche Entwicklungspfade beschritten haben und nationale Konstellationen, Interessen und Politiken eine wesentliche Rolle spielen. Die zentrale Frage dieses Beitrags ist, welche Spielräume zur Definition des Geld- und Finanzsystems in einzelnen Ländern verbleiben und wie sich diese verändern. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, welche Prozesse Finanzialisierung in Lateinamerika vorantreiben sowie welche Gegentendenzen und Ansatzpunkte für Alternativen sich auf nationaler wie internationaler Ebene abzeichnen. Die AutorInnen beschließen ihren Beitrag mit der Feststellung, dass Grenzen neoliberaler Hegemonie erkennbar sind: Etliche Länder tilgten ihre IWFSchulden, und ausgehend von Venezuela entwickeln sogar einige Länder aktiv Ansätze für Alternativen im Finanzbereich, wie z.B. die Bank des Südens. Charles Mutasa befasst sich in seinem Beitrag mit ausländischen Finanzflüssen nach Subsahara-Afrika. Er konzentriert sich auf öffentliche Kapitalströme, da Finanzmärkte, Finanzkrisen und Entwicklung 23 diese weiterhin den Hauptanteil der externen Finanzierung in den meisten dieser Länder ausmachen, geht aber auch auf ausländische Direktinvestitionen sowie auf die neue Rolle Chinas in Afrika ein. Mutasa betont, dass die Entwicklungsperspektiven in Subsahara-Afrika immer noch wesentlich von Entwicklungshilfebeziehungen und den Dynamiken der Auslandsverschuldung abhängen, da die zentralen Wachstums-, Vermögensbildungs- und Budgetprozesse weiterhin von ausländischen Ressourcen dominiert sind. Ein Grund dafür ist die extrem niedrige heimische Ressourcenmobilisierung. Für nachhhaltige Entwicklung und um die Abhängigkeit von Fremdkapital zu verringern, sei ein Zuwachs an heimischen Ressourcen erforderlich. Die Entwicklung eines inländischen Finanzsystems, das produktive Investitionen und Entwicklungsaktivitäten unterstützt, ist dafür zentral. C.P. Chandrasekhars Beitrag analysiert die Rolle von Finanzmärkten im Entwicklungsprozess in Indien und China. Im Unterschied zu andern Entwicklungsländern haben Indien und China schon lange keine Währungs- und Finanzkrisen erlebt. Als Grund wird normalerweise genannt, dass diese beiden Länder ihren Kapitalverkehr nicht weitgehend liberalisiert haben. Chandrasekhar betont aber, dass beide Länder in den letzten Jahren den Kapitalverkehr signifikant liberalisiert und weit reichende Reformen im heimischen Finanzsektor durchgeführt haben. Daraufhin verzeichneten beide Länder einen massiven Zufluss von ausländischem Kapital, China vor allem in Form von ausländischen Direktinvestitionen, Indien insbesondere in Form von Portfolioinvestitionen. Beide Länder haben daraufhin ihre ausländischen Devisenreserven beträchtlich erhöht. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass China seine Reserven vor allem durch Handelsbilanzüberschüsse aufgebaut hat, Indien insbesondere aufgrund von (zum Großteil kurzfristigen) Kapitalzuflüssen, was zu einem starken Aktienmarktboom geführt hat. Indien ging in seiner Liberalisierungsund Deregulierungspolitik bisher weiter als China, aber auch in China wurde der Bankensektor stark dereguliert und auch China erlebt einen Aktienboom. Chandrasekhar schließt mit der Feststellung, dass Finanzmarktliberalisierung drei wesentliche Folgen hat: Schwierigkeiten und Grenzen in der Wechselkurs-, Geld- und Fiskalpolitik, die Gefahr von erhöhter finanzieller Fragilität und eine Transformation des Finanzsystems hin zu einer »Profitmaschine« und weg von einem Entwicklungsinstrument. Özlem Onaran stellt in ihrem Beitrag die Frage, ob es in Osteuropa und der Türkei in der näheren Zukunft wieder zu Finanzkrisen kommen könnte. Sie vergleicht dabei unterschiedliche Krisenindikatoren in Osteuropa und der Türkei mit zehn asiatischen und lateinamerikanischen Ländern vor Ausbruch der Krise. Diese Indikatoren, wie z.B. das Verhältnis des Leistungsbilanzdefizits zum BIP, liegen in etlichen Ländern weit über konventionell als kritisch betrach- 24 Karin Küblböck/Cornelia Staritz teten Werten. Onaran konstatiert, dass sich offenbar die Risikoeinschätzung der Marktteilnehmer geändert hat, unter anderem aufgrund der hohen einfließenden Direktinvestitionen sowie der EU-Mitgliedschaft, die dauerhaft liberalisierte Kapitalmärkte garantiert. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der derzeitige Marktoptimismus – z.B. durch geänderte internationale, aber auch nationale Rahmenbedingungen – in Pessimismus umschlägt und es zu massiven Kapitalabflüssen mit verheerenden Folgen für die Realwirtschaft kommen kann. Sie vergleicht das Ignorieren dieser Tatsache mit der Teilnahme an einem Glückspiel und schließt, dass vernünftige und demokratische Politik in einer Finanzmarktregulierung einschließlich Kapitalverkehrskontrollen kombiniert mit Industriepolitik bestehen müsste. Die Beiträge in diesem Buch machen anhand zahlreicher Beispiele deutlich, dass es hoch an der Zeit ist, die politische Entscheidung, Finanzmärkte völlig zu deregulieren und zu liberalisieren, als politischen, aber auch ökonomischen Irrtum zu erkennen. Finanzmärkte sind mehr als ein Glückspiel für wenige – aber einflussreiche – Akteure, sie erfüllen wesentliche realwirtschaftliche Funktionen und haben eine zentrale Rolle im Entwicklungsprozess. Nur durch sinnvolle Regulierung auf nationaler und internationaler Ebene kann Entwicklungsländern wieder politischer Gestaltungsspielraum für nachhaltige Strategien zurückgegeben werden. Literatur Aslanbeigui, Nahid/Summerfield, Gale (2000): The Asian Crisis, Gender and the International Financial Architecture, in: Feminist Economics, Vol. 6/3 EuroMemorandum Group (2007): EuroMemorandum: Beyond Free Market Dogmatism, Draft 25.10.2007, unveröff. 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