Less is more Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte, 28.09.2013 Angelica Ramseier, Eveline Hofmann, Eleonora Brunner, Richard Kühl, Grischa Marti Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital Bern Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Fall-Vignette 1 60-jähriger Patient, bekannte COPD. Aktuell progrediente Dyspnoe mit zunehmendem Auswurf. Afebril, wach, kreislaufstabil, tachydyspnoeisch 20/min, obstruktive Atmung, im Thoraxröntgen kein Infiltrat. Was tun Sie? a) Bronchodilatatoren +Steroide für 14 Tage +/- Antibiotika b) Bronchodilatatoren +Steroide für 5 Tage +/-Antibiotika Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 2 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Was wissen wir Internationale Guidelines und systematische Reviews empfehlen eine systemische Steroidtherapie von 10-14 Tagen.1 Eine systemische Steroidtherapie begünstigt den klinischen Verlauf, verkürzt die Hospitalisation und beschleunigt die Verbesserung der FEV1.2 Niedrig dosierte orale Steroide zeigen kein schlechteres klinisches Outcome als hochdosierte intravenöse Steroide.3 Cochrane Review (7 Studien, 281 Patienten) zeigte keine signifikanten Unterschiede im klinischen Outcome bei Steroidtherapie >7d und <7d.4 1 2 3 4 GOLD-COPD-Guidelines 2013 Niewoehner, N Engl J Med. 1999 / Shawn, N Engl J Med 2003 Lindauer, JAMA. 2010 Juliam Cochrane Database Syst. Rev. 2011 Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 3 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin REDUCE-Studie JAMA 06/13 Short-term vs Conventional Glucocorticoid Therapy in Acute Exacerbations of COPD Fragestellung: Design: Population: Intervention: Outcome: Systemische Steroidtherapie bei COPD während 5 oder 14 Tagen? Placebokontrollierte, randomisierte, Nichtunterlegenheits- Studie 03/2006-02/2011. 314 Patienten ,5 Schweizer UniversitätsspitälerNotfälle mit COPD-Exazerbationen Alter >40j, Raucher oder ex-Raucher Prednison 40 mg per os 5 vs. 14 Tage Zeit bis zur nächsten Exazerbation innert 6 Monaten Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 4 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 5 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Ergebnisse 14 Tage Behandlung 5 Tage Behandlung Reexazerbationen 36.8% 35.9% Kumulative Steroiddosis 790mg 380mg Subgruppenanalysen - COPD-GOLD Stadien - Steroidvorbehandlung Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 6 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 7 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Schlussfolgerung der Autoren Eine 5-tägige systemische Steroidgabe ist einer zweiwöchigen Therapiedauer nicht unterlegen. Während der 6-monatigen Nachbeobachtungszeit traten nicht häufiger erneute Exazerbationen auf. Die Steroidexposition war hingegen signifikant niedriger. Implikation für die Praxis Steroidtherapie bei COPD-Exazerbationen nur während 5 Tagen ist gleichwertig. Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 8 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Fall-Vignette 2 Eine 60-jährige, gesunde Patientin mit regelmässigem Nikotinkonsum kommt zu Ihnen zur Beratung in die Praxis. Sie leidet an gelegentlichem saurem Aufstossen und hatte vorausgehend von einer Protonen-Pumpen-Inhibitor (PPI)Therapie profitiert. Sie möchte nun von Ihnen ein Dauerrezept für PPI. Was tun Sie? a) Ich verschreibe ihr PPI b) Ich rate ihr von der regelmässigen Einnahme von PPI ab Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 9 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Was wissen wir Protonen-Pumpen-Inhibitoren (PPI) gehören zu den weltweit am meisten eingenommenen Medikamenten.1 Kurzfristige Einnahme scheint bedenkenlos, während bei langfristiger Einnahme Hinweise für vermehrtes Auftreten von Frakturen bestehen.2 Studien, welche den Zusammenhang zwischen PPI-Einnahme und Hüftfrakturen analysierten, ergaben bisher unterschiedliche Resultate. In vielen Studien wurden für das Frakturrisiko wichtige Lebensstilund Diätfaktoren nicht berücksichtigt. 1 Targownik, Am J Gastroenterol 2007 2 Yang YX, JAMA 2006 Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 10 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Use of proton pump inhibitors and risk of hip fracture in relation to dietary and lifestyle factors BMJ 01/2012 Fragestellung: Suche nach Zusammenhang LangzeitPPI-Einnahme und Hüftfraktur-Risiko bei postmenopausalen Frauen Design: Prospektive Kohortenstudie Population: Daten aus der „Nurses Health Study“ (2000-08, 79‘899 Frauen) Outcome: Auftreten von Hüft-Frakturen Systematic Review: Meta-Analyse aus Resultaten aktueller Studie sowie früheren Studien Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 11 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Resultate Absolutes Risiko für Hüftfraktur 2.0 unter PPI vs. 1.5 pro 1000 Patientenjahre ohne PPI Regelmässige PPI-Einnahme führt zu 35% erhöhtem Risiko für Hüftfrakturen gegenüber keiner PPI-Einnahme alterskorrigierte HR 1.4 (1.1-1.6) Assoziation unbeeinflusst von Risikofaktoren Gleichzeitiger Nikotinabusus verstärkt PPI-Effekt Fraktur-Risiko steigt mit Einnahme-Dauer PPI Systematic Review zeigt gleiches Resultat (OR 1.3, 1.2-1.4) Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 12 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Schlussfolgerungen der Autoren Regelmässige Einnahme von PPI ist mit einem erhöhten Risiko für Hüftfrakturen bei postmenopausalen Frauen assoziiert. Das Risiko steigt mit der Dauer der Einnahme von PPI und ist zusätzlich vergrössert bei gleichzeitigem Rauchen. Implikationen für die Praxis Es ist sehr wichtig, stets die Indikation für Langzeit-PPI zur prüfen, insbesondere bei Raucherinnen. Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 13 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Fall-Vignette 3 70-jähriger Patient mit Einnahme von Benzodiazepinen bei Schlaflosigkeit. Neu ist eine zunehmende Vergesslichkeit und Desorientiertheit im Alltag festzustellen. Die Diagnose Demenz wird gestellt. Könnte die Benzodiazepineinnahme die Entwicklung einer Demenz möglicherweise begünstigt haben? a) ja b) nein Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 14 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Was wir wissen Indikation: Angst, Schlaflosigkeit, kurze Therapie-Dauer bei erhöhtem Suchtpotential Häufig: chronischer Konsum über Jahre1 Datenlage zur Assoziation von langjährigem Benzodiazepingebrauch mit Demenz bzw kognitive Verschlechterung ist uneinheitlich Erhöhtes Demenzrisiko2 Möglicherweise protektiv bezüglich Demenz3 1 Sonnenberg, Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 2012 2 Gallacher, Epidemiology Community Health 2012 3 Dealberto, Int. J Geriatr Psychatry 1997 Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 15 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Benzodiazepine use and risk of dementia: prospective population based study BMJ 09/12 Fragestellung: Assoziation zwischen Benzodiazepineinnahme und Inzidenz von Demenz? Design: Prospektive Kohortenstudie Population: Teilnehmer > 65-jährig, ohne Benzodiazepineinnahme oder Demenz bei Beginn der Beobachtungsperiode Outcome: Inzidenz der Demenz bei BenzodiazepinUsern vs Non-Usern Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 16 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Resultate • 1’063 Teilnehmer, 9% neue Benzodiazepin-User • 32% Demenzfälle bei Benzo-Usern vs 23% bei Non-Usern • 15 Jahre-Demenz-Inzidenz: 4.8 Fälle / 100 Patientenjahre bei Benzo-Usern vs 3.2 Fälle/100 Patientenjahre bei Non-Usern • Korrigierte HR: 1.6 (1.1 – 2.4) Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 17 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Schlussfolgerung der Autoren Neue Benzodiazepin-Einnahme ist assoziiert mit einer 60% Risikoerhöhung für die Entwicklung einer Demenz. Implikationen für die Praxis Vorsicht bei der Verschreibung von Benzodiazepinen im Alter Bei klarer Indikation und für eine begrenzte Zeit Chronische Benzodiazepin-Einnahme sollte vermieden werden Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 18 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Fall-Vignette 4 63-jähriger Patient, Raucher, mit arterieller Hypertonie und positiver Familienanamnese für eine KHK hat trotz Lifestyle-Intervention ein persistierend erhöhtes LDL-Cholesterin von 4.2 mmol/l. (AGLA-Score: 33 % Risiko für koronares Ereignis innerhalb 10 Jahren) Sie wollen mit einem Statin beginnen. Für welches würden Sie sich entscheiden? a) Das kommt nicht darauf an - Hauptsache man therapiert. b) Am besten mit hochpotenten Statin, um das kardiovaskuläre Risiko maximal zu reduzieren - die Nebenwirkungen sind etwa gleich. c) Mit einem niedrigpotenten Statin, um die Nebenwirkungen möglichst tief zu halten. Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 19 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Was wir wissen Statine senken das Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses als Sekundärprophylaxe1, aber Evidenz weniger klar für Primärprophylaxe2 Statine scheinen mit einem erhöhten Risiko für Diabetes einherzugehen3 1 MIRACL, JAMA 2001; PROVE IT, NEJM 2004 2 JUPITER, NEJM 2008; ASCOT-LLA, Lancet 2003 3 JUPITER, NEJM 2008; Culver, Arch Intern Med 2012 Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 20 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin “Risk of incident diabetes among patients treated with statins: population based study“ BMJ, Mai 2013 Fragestellung: Unterscheiden sich die Statine im Diabetes-Risiko? Design: Retrospektive Kohortenstudie aus Registerdaten Population: 471‘250 Patienten mit neu begonnener StatinTherapie (erfasster Zeitraum 1997-2010) Outcome: Inzidenz von Diabetes mellitus abhängig von Dosis und Potenz der Statine Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 21 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Resultate Statin-Potenz Hazard ratio Pravastatin Referenz Tiefe Potenz (Fluvastatin, Lovastatin) 0.97 (0.87 – 1.09) Mittlere Potenz (Simvastatin) 1.11 (1.04 – 1.18) Hohe Potenz (Atorvastatin, Rosuvastatin) 1.22 (1.15 – 1.29) Statin-Dosis Hazard ratio Tiefe Dosis1 Referenz Mittlere Dosis2 1.22 (1.19 – 1.26) Tabelle 5 dosisabhängigkeit Hohe Dosis3 1.30 (1.20 – 1.40) 1 Atorva < 20 mg, Rosuva < 10 mg, Simva < 80 mg 20-80 mg, Rosuva 10-40 mg, Simva > 80 mg 3 Atorva >80 mg, Rosuva > 40 mg 2 Atorva Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 22 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Schlussfolgerung der Autoren Bei Patienten mit der Indikation für ein Statin soll das DiabetesRisiko beachtet und wenn möglich ein niedrigpotentes Statin benutzt werden. Implikation für die Praxis Bei Indikation eines Statins: Niedrigpotentes und niedrigdosiertes Statin bevorzugen Regelmässiges (z.B. jährlich) Diabetes-Screening Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 23 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Fall-Vignette 5 72jähriger ansonsten gesunder Mann mit bekannter BPH und nun erhöhtem PSA-Wert (9ng/ml) ist verunsichert und wünscht eine erweiterte Diagnostik Sonographie und anschliessende Nadelbiopsie führen zu der Diagnose eines ProstataKarzinoms im frühen Stadium (T1c) Wie weiter? a) b) c) d) «Watchful waiting» Wiederholung Biopsie zwecks Bestätigung des Frühstadiums Zuweisung zur radikalen Prostatektomie Beginn Hormontherapie und Zuweisung zwecks Radiatio Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 24 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Was wissen wir Die Behandlung von frühen Stadium Prostatakrebs bleibt umstritten, vor allem für Tumoren welche mittels PSA Testung nachgewiesen wurden 1 Systematische Übersichtsarbeiten liefern nur unzureichende Informationen bezüglich Wirksamkeit/Nebenwirkungen der verschiedenen Behandlungsoptionen 2 Obwohl das life-time-Risiko eines Prostatakarzinoms bei ca 17% liegt, ist das Risiko an dieser Krankheit zu sterben etwa 3% 3 Eine randomisierte Studie welche Radiotherapie mit Beobachtung verglich zeigte keine signifikanten Mortalitäts-Unterschiede während mindestens 16 Jahre 4 1 Cooperberg, J Clin Oncol 2010 Ann Intern Med 2008 3 Bethesda, National Cancer Institute 2007 4 Widmark, ASTRO Meeting 2011 2 Wilt, Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 25 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Radical Prostatectomy versus Observation for Localized Prostate Cancer NEJM Vol 367, Jul 2012 Design: Randomisierte offene Studie Patienten: 731 Männer, ≤ 75jährig, mit lokalisiertem ProstataCa (T1-2 Nx M0), mit Lebenserwartung >10 Jahre Intervention: Radikale Prostatektomie vs konservativ Outcome: Primär: Gesamtmortalität über 10 Jahre Sekundär: Prostatakarzinom spezifische Mortalität Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 26 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Resultate Gesamtmortalität 47% in der radikalen Prostatektomie-Gruppe vs 49.9% in der Beobachtungsgruppe ARR 2.9%, NICHT signifikant (P= 0.22) Prostata-Ca spezifische Mortalität 5.8% der radikalen Prostatektomie-Gruppe vs 8.4% in der Beobachtungsgruppe ARR 2.6%, NICHT signifikant (P= 0.09) Gleiches Resultat für Subgruppenanalysen Alter, Rasse, Komorbiditäten, Gleason Score Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 27 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Resultate Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 28 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Resultate Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 29 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Resultate jeder 5. Patient mit perioperativer Komplikation Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 30 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Resultate Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 31 Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin Schlussfolgerung der Autoren Aggressive radikale Prostatektomie bei lokalisiertem Prostata-CA führt zu keiner Reduktion der Mortalität während mindestens 12 Jahren Implikation für die Praxis «Watchful waiting» ist bei Patienten mit einem lokalisierten Prostatakarzinom einer radikalen Prostatektomie gleichwertig Information der Patienten über fehlenden Benefit und Risiko von NW (z.B. Inkontinenz, erektile Dysfunktion) kann unnötige Biopsien oder Interventionen verhindern Less is more – Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte 32 Less is more Erster Schweizer Seekongress für Hausärzte, 28.09.2013 Angelica Ramseier, Eveline Hofmann, Eleonora Brunner, Richard Kühl, Grischa Marti Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital Bern