Arteriovenöse Fehlbildungen

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Kapitel zur Publikation in: Strahlentherapie, Ed. H. Sack, Springer Verlag
Hadronentherapie
J. Debus, G. Kraft
Einleitung
Produktion und physikalische Eigenschaften der Hadronen
Neutronen
Bor-Neutronen-Einfangtherapie
Protonen und schwerere Ionen
Physikalische Charakterisierung von Teilchenstrahlen
Linearer Energietransfer LET
Energieverlust und Teilchenspur
Strahlenqualität und Relative Biologische Wirksamkeit RBW
Definition der RBW
Die Abhängigkeit der RBW von der Dosis und der Ordnungszahl
Relative Biologische Wirksamkeit und biologischer Effekt
Andere Hoch-LET-Wirkungen
Sauerstoffeffekt
Zellzyklussensitivität
Verzögerungen der Zellprogression
Fraktionierungseffekte
1
Klinische Anwendungen und Erfahrungen
Kopf-Hals-Tumoren
Chordome und niedriggradige Chondrosarkome der Schädelbasis
Hauptspeicheldrüsentumoren
Oesophagus
Lokalrezidive des Rektums
Hepatozelluläre Karzinome
Gallengangskarzinome
Nicht-kleinzellige Bronchialkarzinome
Osteosarkome
Weichteilsarkome
Adenokarzinome der Prostata
Aderhautmelanome
Tumoren des Gehirns und Nervensystems
Hypophysentumoren
Pädiatrische Tumoren
Arteriovenöse Fehlbildungen
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
2
Einleitung
Technische Fortschritte haben die Effektivität der Strahlentherapie in den letzten Jahrzehnten
erheblich verbessert: Zum einen wurde dies durch den Einsatz von Strahlungen mit höheren
Energien erreicht - von 200 KV-Röntgenstrahlung über 137Cs (660 KeV) und 60Co (1,1 MeV)
bis zur aktuellen Nutzung von Linearbeschleunigern (4-40 MeV). Zum anderen ermöglichen
heutzutage moderne Bestrahlungstechniken wie die Hoch-Präzisions-Strahlentherapie, die
stereotaktische Radiochirurgie, die intraoperative Bestrahlung, die Konformationstherapie, die
Bewegungsbestrahlung mit irregulären Feldern und Intensitätsmodulation sowie die
Brachytherapie (allein oder in Kombination mit externer Bestrahlung oder Operation) bei
einigen Tumorlokalisationen die Applikation der Strahlung mit hoher Dosis und sehr großer
Präzision. Adjuvante Verfahren wie die Hyperthermie können die Heilungschancen durch eine
Strahlentherapie insbesondere bei Tumoren mit hypoxischer Fraktion weiter verbessern.
Bei einigen Tumorlokalisationen kann sowohl die physikalische als auch die biologische
Selektivität erhöht werden durch den Einsatz von schweren Teilchen, den sog. Hadronen, zu
denen Protonen, Schwerionen und Neutronen und Pionen gehören. Hadronen haben starke
Wechselwirkungen, d.h. tauschen Kernkräfte untereinander aus. Die Strahlenbiologischen
Eigenschaften, wie sie in der Therapie zum tragen kommen sind jedoch bei den geladenen
Teilchen im Wesentlichen durch ihre elektromagnetische Wechselwirkung mit Elektronen
bestimmend. Die Strahlentherapie mit Hadronen etablierte sich in den letzten Jahrzehnten
mehr und mehr in der Radioonkologie. Konzeptionelle Überlegungen und Hinweise aus
klinischen Studien lassen ein Überlegenheit gegenüber konventioneller Photonenbestrahlung
bei ausgewählten Tumorlokalisationen erwarten. Weitere klinische Forschung mit statistisch
belastbarer Aussagekraft ist notwendig.
Produktion und physikalische Eigenschaften der Hadronen
Neutronen
Freie Neutronen sind nicht stabil und zerfallen mit einer Lebensdauer von 15 Minuten über
Beta-Zerfall. Für die klinische Anwendung müssen deshalb Neutronen über Kernreaktionen
erzeugt werden. Gebräuchlich ist die Neutronenproduktion mit Reaktoren, DT-Generatoren
und Zyklotronstrahlen. Neutronen aus diesen drei verschiedenen Produktionsarten unterscheiden sich in ihrem Energiespektrum und damit auch in ihrer Tiefendosisverteilung.
3
Reaktorneutronen werden durch Spaltung von Uran erzeugt. Dabei entstehen neben den
Tochterkernen im Mittel 2,5 Neutronen mit einem breiten Energiespektrum um 1 MeV.
Bor-Neutronen-Einfangtherapie
Die Tiefendosisverteilung der Reaktorneutronen ist schlechter als die von CobaltGammaquanten. Sie werden deshalb nur für oberflächennahe Tumoren eingesetzt. Die
Dosisverteilung lässt sich jedoch durch eine selektive Anreicherung von Bor im Zielvolumen
und durch eine Thermalisierung, d.h. weitere Abbremsung der Neutronen, verbessern.
Boratome haben eine hohe Einfangwahrscheinlichkeit für thermische Neutronen und zerfallen
in der anschließenden Kernreaktion in ein Alpha-Teilchen und ein Lithium-Atom. Beide
Reaktionsprodukte haben nur eine Reichweite von einigen Mikrometern. Durch diese kurze
Reichweite werden nur die Zellen, in denen das Bor angereichert ist, mit einer biologisch sehr
effektiven Dosis belegt. Das Problem der Bor-Neutronen-Einfang-Therapie (Boron-NeutronCapture-Therapy BNCT) liegt in der selektiven und über das Zielvolumen gleichmäßig verteilten
Anreicherung
von
Borverbindungen,
z.B.
durch
tumorspezifische
Immun-
Verbindungen. Diese Anreicherung scheint für einige Gehirntumoren realisierbar zu sein.
Deshalb ist BNCT weiterhin ein Schwerpunkt klinischer Forschung [Sauerwein und Zurlo
2002].
Schnelle Neutronen
Für die klinische Anwendung werden Neutronen entweder in einem Neutronengenerator
durch Kernfusion von Tritium und Deuterium zu Helium und Neutronen oder am
Beschleuniger meist durch Deuteronen Beschuss eines Be-Targets erzeugt.
Am Neutronengenerator erhält man schnelle monoenergetische Neutronen von 14,4 MeV,
während am Zyklotron ein breites Energiespektrum mit einem Maximum unterhalb der halben
Energie des Primärstrahls erzeugt wird.
Neutronen entfalten ihre biologische Wirkung über das Spektrum der geladenen Rückstoßund Reaktionskerne, vor allem von Protonen, die bei niederenergetischen Neutronen fast im
Maximum ihrer biologischen Wirksamkeit erzeugt werden. Die hohe relative biologische
Wirksamkeit der Neutronen ist deshalb weniger abhängig von der Eindringtiefe. Sie hängt
jedoch entscheidend von der Primärenergie der Neutronen ab.
Eine optimale Ausnutzung der hohen biologischen Wirkung der Neutronen für tiefer liegende
Tumoren kann jedoch nur mit erheblich verbesserten Dosisverteilungen erfolgen. Neutronen
4
höherer Energie, z.B. aus einem supraleitenden Zyklotron, in dem ein 48-MeVDeuteriumstrahl auf Beryllium geschossen wird, haben eine Tiefendosisverteilung wie etwa 4MeV-Photonen und können mit einer Gantry von allen Seiten auf den Patienten appliziert
werden [Forman et al. 1997]. Allerdings sinkt bei höherer Neutronenenergie die relative
biologische Wirksamkeit stark ab, so dass eine biologisch effektivere Bestrahlung für
tiefliegende Tumoren mit Neutronen nicht mehr erreicht wird.
Nach der Behandlung von etwa 15.000 Neutronen-Patienten, konnten die ursprünglich sehr
hohen Erwartungen an die Neutronentherapie nicht erfüllt werden. Mit Entwicklung neuer
borhaltiger Substanzen und tumorkonformer Bestrahlung ist die BNCT weiterhin Gegenstand
der aktueller klinischen Forschung.
Protonen und schwerere Ionen
Um für die Tumortherapie eine Reichweite von 20 - 25 cm im Gewebe zu erzeugen, müssen
Protonen auf 200 MeV und schwerere Ionen wie Kohlenstoff auf Energien von 430 MeV/u
beschleunigt werden. Der wesentliche klinische Vorteil geladener schwerer Teilchen ist das
invertierte Dosisprofil, d.h. der Anstieg der Dosis mit zunehmender Eindringtiefe bis zum
Bragg-Maximum. Durch geeignete Wahl der Primärenergie kann dieses Maximum in
verschiedene Gewebetiefen gelegt werden (Abb. 1 ).
In der bisherigen klinischen Praxis wurde bei allen Teilchentherapien die Tiefenvariation
ebenso wie die seitliche Aufstreuung durch passive Filter erzeugt. Diese Verfahren wurden
analog zu den Strahlformungsverfahren der konventionellen Photonentherapie entwickelt und
benutzen Aufstreuer, Blenden und Absorber, die für jeden Patienten individuell gefertigt
werden müssen.
Aufgrund des invertierten Dosisprofils lassen sich mit diesen Methoden sehr gute
Dosisverteilungen erreichen. Inzwischen wurden jedoch für hochenergetische Photonen mit
inverser Bestrahlungsplanung und intensitätsmodulierter Bestrahlung Dosisverteilungen
erreicht, die mit passiv erzeugten Protonenfeldern vergleichbar sind. In beiden Fällen werden
aber immer noch große Bereiche gesunden Gewebes außerhalb des Tumors bei der
Bestrahlung mit einbezogen [Kraft 2000].
Durch
aktive
Strahlformung,
d.h.
magnetische
Ablenksysteme
und
sequentielle
Tiefenveränderung kann mit Ionenstrahlen wie z.B. Protonen und Kohlenstoff, eine extrem
tumorkonforme
Bestrahlung
erreicht
werden,
5
die
die
Präzision
auch
von
intensitätsmodulierten Photonenfeldern weit übersteigt. Dazu wird das Tumorvolumen in
Schichten gleicher Teilchenreichweite zerlegt und jede Schicht mit einem feinen „Bleistiftstrahl“ von einigen Millimetern Durchmesser zeilenförmig abgetastet. Jeder Punkt wird dann
so bestrahlt, daß insgesamt eine homogene Dosisverteilung (für Protonen) oder - unter
Berücksichtigung der relativen biologischen Wirksamkeit - eine homogene Verteilung des
biologischen Effekts für Kohlenstoffionen erreicht wird.
Systeme tumorkonformer Bestrahlung mit schnellen magnetischen Ablenkern (Rasterscan
oder Spotscan) wurden am PSI in Villigen für Protonen und an der GSI in Darmstadt für Kohlenstoffionen aufgebaut und werden seit 1998 klinisch erprobt (Pedroni 1994, Th. Haberer, W.
Becher, D. Schardt, G. Kraft 1993). Die Präzision der Dosisapplikation wird bei diesem
aktiven Verfahren nur noch durch physikalische Parameter wie laterale und longitudinale
Streuung der Ionenstrahlen begrenzt.
Kohlenstoffionen zeigen ein Optimum der lateralen Streuung, die bei Eindringtiefen von 15
cm mit 1 mm erheblich unter der von Protonen und hochenergetischer Bremsstrahlung liegt.
Der Unterschied von Kohlenstoff Ionen gegenüber Protonen ist Kern Fragmentierung, die eine
kleine Dosisbelastung hinter dem Bragg-Peak produziert, aber auch die Lokalisation des
Strahles durch PET erlaubt.
Abb. 2 zeigt den Vergleich einer optimalen 4-Felder-Photonenbestrahlungsplanung eines
Zielvolumens im Schädelbasisbereich mit einer 2-Felder-Kohlenstoffbestrahlung. Die erhöhte
Konformität der Kohlenstoffplanung ist evident.
Ionen höherer Ordnungszahl wie Kohlenstoffionen bieten gegenüber Protonen und konventioneller Bestrahlung die Möglichkeit einer direkten nicht invasiven Kontrolle des
Bestrahlungsfeldes ohne zusätzliche Dosisapplikation: Durch Kernreaktion wird ein Bruchteil
des primären stabilen Kohlenstoffisotops 12C in leichtere Kohlenstoffisotope wie 11C und 10C
umgewandelt, die mit einer PET Kamera nachgewiesen werden können. (Abb. 3).
Physikalische Charakterisierung von Teilchenstrahlen
Linearer Energietransfer LET
6
Die Veränderung der biologischen Wirksamkeit ist vor allem durch den Anstieg des
Energieverlustes bedingt. Die Strahlenbiologie und die Tumortherapie hat für den
Energieübertrag eines Teilchens den Begriff des lineareren Energietransfers (LET) eingeführt.
Der LET∞ ist numerisch identisch mit dem Energieverlust. Er wird meist für Wasser als
Gewebeäquivalent berechnet und in der Einheit keV/µm angegeben [ICRU 16, 1970].
Spricht man in der Strahlenbiologie von „Strahlenqualität“, so betrifft dies den LET. Dünn
ionisierende Strahlung entspricht LET-Werten deutlich unterhalb 10 keV/µm, dicht ionisierende Strahlen liegen deutlich über dieser Grenze. Zwar stellt dieser LET-Wert keine
scharfe Grenze dar, aber im allgemeinen trifft es zu, dass ein hoher LET eine höhere
biologische Effektivität erwarten lässt als Nieder-LET-Strahlen. Für sehr hohe LET-Werte
treten Sättigungseffekte auf (Overkill), die die therapeutische Qualität verschlechtern. Der
größte Teil des LET wird auf die Elektronen als kinetische Energie übertragen und führt zur
Ausbildung einer Spur um die Teilchentrajektorie. Da der biologische Effekt von der lokalen
Ionisationsdichte abhängt, d.h. von der Verteilung der Ionisationsereignisse auf den gesamten
Spurquerschnitt, können gleiche LET-Werte einen unterschiedlichen biologischen Effekt
hervorrufen, wenn sie bei verschiedenen Geschwindigkeiten und damit Spurquerschnitten
realisiert werden.
Energieverlust und Teilchenspur
Ionen wechselwirken vor allem mit den Elektronen des durchdrungenen Materials. In diesen
Stößen werden im Mittel Energien übertragen, die im Vergleich zu der gesamten kinetischen
Energie des Projektils (einige Millionen Elektronenvolt) klein, im Vergleich zur
Bindungsenergie der Elektronen (einige Elektronenvolt) groß sind. Deshalb werden in den
zahlreichen Stößen längs der Trajektorie des Primärions viele Elektronen aus ihren
Atomverbänden herausgelöst (Ionisationsprozess) und mit erheblicher kinetischer Energie
überwiegend in Vorwärtsrichtung emittiert (δ-Elektronenemission). Diese δ-Elektronen
werden dann durch Stöße mit Targetatomen aufgestreut und bilden die radiale Spur um die
Ionenbahn, in der weitere Ionisationen und atomare Anregung erzeugt werden. Die
sekundären Ionisationsprozesse der δ-Elektronen zusammen mit der Primärionisation im
Zentrum der Spur sind die Ursache für das Aufbrechen molekularer Bindungen und führen in
letzter Konsequenz zur biochemischen und damit zur biologischen Reaktion [Kraft und
Krämer 1993] Dies bedeutet aber auch, dass die Wechselwirkung sehr ähnlich zu
hochenergetischen Photonen ist.
7
Der Durchmesser einer Teilchenspur hängt allein von der Energie der Primärionen ab. Er
beträgt für hohe Teilchenergien einige Millimeter und verringert sich dann mit abnehmender
Energie auf zelluläre Dimensionen im Bragg-Maximum.
Im Zentrum einer Teilchenspur werden Dosen von einigen Tausend bis einigen Millionen
Gray deponiert. Von diesem extremen Hochdosisbereich fällt die radiale Dosis nach außen
mit dem Quadrat des Abstandes vom Zentrum ab und erreicht dann für sehr große Abstände
einen Wert, der unter einem Gray liegt. Entscheidend für die erhöhte biologische Wirksamkeit
sind vor allem die Bereiche, in denen die lokale Dosis in der Spur über einigen Gray liegt. Bei
diesen Dosen ist die Reparatur von DNS-Schäden im Zellkern schon sehr stark eingeschränkt.
Diese Zonen mittlerer Dosis haben bei niederenergetischen Ionen in der Teilchenspur eine
genügend große Ausdehnung, um einen hinreichenden Beitrag zum Gesamteffekt zu liefern,
während das Zentrum der Spur mit extrem hoher Energiedichte oft nur wenig zum
Gesamteffekt beiträgt.
Strahlenqualität und Relative Biologische Wirksamkeit RBW
Definition der RBW
Um die unterschiedliche biologische Wirkung von Hoch-LET-Strahlen zu quantifizieren,
wurde die Relative Biologische Wirksamkeit (RBW) eingeführt [ICRU 40, 1986]. Sie ist
definiert als der Quotient aus der Röntgen- und Teilchendosis, die denselben biologischen
Effekt produzieren: RBW=
meisten
biologischen
Dosis ( Röntgen)
. Diese Definition der RBW läßt sich auf die
Dosis (Teilchen)
Strahlenreaktionen
anwenden,
wie
z.B.
die
Induktion
von
Chromosomenaberrationen, Mutationen und DNA-Strangbrüchen.
Für die Zellinaktivierung ergibt sich folgende LET-Abhängigkeit der RBW [Kraft 1987]. Mit
zunehmendem LET steigt die Relative Biologische Wirksamkeit RBW von RBW=1 fast
quadratisch mit dem LET an bis sie einen Maximalwert bei einer optimalen Ionisationsdichte
erreicht, bei der die Wahrscheinlichkeit eines letalen Schadens bei einem Teilchentreffer im
Zellkern ungefähr eins ist.
Ein weiterer LET-Anstieg führt dann zu einem steilen Abfall der biologischen Wirksamkeit
auf Werte, die weit unter eins, also unter der Röntgenstrahlung, liegen. Für diese höheren
LET-Werte steigt die lokale Schadensdichte jedoch weiter an. Da aber bereits ein LetalSchaden zum Zelltod führt, können die zusätzlichen Schäden nicht mehr exprimiert werden.
8
Die unnötig deponierte Dosis führt zu einer Überproduktion von Schäden (overkill effect) und
damit zum Absinken der relativen biologischen Wirksamkeit RBE.
Die Abhängigkeit der RBW von der Dosis und der Ordnungszahl
Aus der Definition der RBW und der allgemeinen Form der Dosiseffektkurve - Schulterkurve
für dünn ionisierende Strahlung und exponentielle Kurve für dicht ionisierende Teilchen ergibt sich eine generelle Abhängigkeit der RBW vom Überlebensniveau. Für ein hohes
Überlebensniveau ist wegen der initialen Schulterform der Röntgenkurve der Unterschied zur
Erzielung des gleichen Effektes zwischen Röntgendosis und Teilchendosis besonders groß.
Deshalb ist für kleine Dosen auch die RBW groß. Teilchenstrahlen sind dann sehr viel
wirksamer als dünn ionisierende Strahlung. Bei höheren Dosen, entsprechend einem
geringeren Überlebensniveau, verringert sich der relative Abstand zwischen Röntgen- und
Teilchendosis, und die RBW wird kleiner. Es ist deshalb üblich, das Effekt-Niveau als Index
zur RBW anzugeben. Eine RBW10 entspricht einem Überleben von 10%.
Die Lage des RBE Maximums in Bezug auf den LET wird jedoch nicht von der Wahl des
Überlebensniveaus beeinflusst. Sie hängt von der Ordnungszahl der Projektile ab.
Für Protonen liegt das RBW-Maximum bei einem LET-Wert von 25 keV/µm [Belli 1995], für
He-Ionen um 100 keV/µm [Barendsen 1963], für die schwereren Ionen schiebt sich das RBWMaximum mit zunehmender Ordnungszahl zu höheren Werten, z.B. für Kohlenstoff zu LET =
200 keV/µm [Kraft 2000]. Außerdem nimmt bei gleichem biologischen Effekt die Höhe des
Maximums mit zunehmender Ordnungszahl des Projektils ab.
Beide Abhängigkeiten lassen sich qualitativ dadurch verstehen, dass der gleiche LET-Wert für
verschiedene Ionen bei verschiedenen Geschwindigkeiten realisiert wird. Dadurch besitzen
die zugehörigen Spuren verschiedene Durchmesser und bei etwa gleicher Zahl von
Primärionisationen eine unterschiedliche Ionisationsdichte: Für das schnellere Ion werden die
sekundären Ionisationsereignisse durch die Elektronen über einen größeren Spurdurchmesser
verteilt. Dadurch ist die lokale Ionisationsdichte kleiner und nimmt erst bei höheren LETWerten den optimalen Wert an. Dies hat die Verschiebung der RBW-Maxima mit
zunehmender Ordnungszahl zur Folge. Bei höheren Energien und ausgedehnter Spur werden
die dünn ionisierenden Randbereiche größer. Die Bereiche erhöhter Ionisationsdichte sind
dann relativ betrachtet kleiner und das RBW-Maximum nimmt in der Höhe ab.
Relative Biologische Wirksamkeit und biologischer Effekt
9
Der Anstieg der RBW bei gleicher Dosis ist die Folge einer höheren Energiedichte im
molekularen Bereich. Das molekulare Ziel der Strahlen ist die DNS als Träger der genetischen
Information. Bei höherer lokaler Ionisationsdichte steigt die Wahrscheinlichkeit stark an, daß
DNS-Schäden korreliert erzeugt werden und Einzelstrangbrüche innerhalb weniger
Basenpaare entstehen, die dann einen Doppelstrangbruch bilden. Bei weiterer Zunahme der
Ionisationsdichte wird eine lokale Häufung von mehrfachen Bruchereignissen („Cluster“)
immer wahrscheinlicher. Für die Cluster-Schäden nimmt die Reparaturwahrscheinlichkeit ab
und die Effizienz der Zellabtötung wächst. Dies gilt zunächst für dünn ionisierende Strahlung
bei steigender Dosis. Für Teilchenstrahlen gibt es auch bei niedriger Dosis in der Spur eines
jeden individuellen Teilchens Bereiche erhöhter Ionisationsdichte, in denen korrelierte
Schadensereignisse auftreten können, deren Reparatur erheblich erschwert ist und die deshalb
zum Zelltod führen.
Strahlenresistente Zellen zeigen in Überlebenstests mit Röntgenstrahlen eine besonders
ausgeprägte, reparaturbedingte Schulter. Der Verlust der Reparatur bei Teilchenexposition
führt zum Verlust der Schulter und damit zu hohen RBW-Werten. Umgekehrt kann man für
die strahlensensiblen Gewebe kein ausgeprägtes RBW-Maximum messen: Wenn bereits bei
dünn ionisierender Strahlung die Schäden zum großen Teil nicht mehr repariert werden
können, also letal sind, dann kann die Steigerung der Ionisationsdichte die Effektivität nicht
mehr erhöhen [Weyrather et al. 1999]. Im Experiment mit strahlensensiblen Systemen, wie z.
B. Ataxia Zellen, unterscheiden sich Röntgen- und Teilchendosiseffektkurven kaum und man
findet kein RBW-Maximum für Hoch-LET-Strahlen.
Die Abhängigkeit der RBW von der Strahlensensibilität des Gewebes hat zwei wesentliche
klinische Konsequenzen. Erstens ergibt sich eine klare Präferenz, langsam wachsende und
deshalb strahlenresistente Tumoren mit Hoch-LET-Strahlen zu behandeln. Zweitens können je
nach Reaktion, wie z.B. Zellinaktivierung oder Späteffekten, im gleichen Gewebe
unterschiedliche RBW-Werte für die gleiche Strahlung auftreten, da Früh- bzw. Späteffekte
verschiedene Reparaturwahrscheinlichkeiten haben. Die klinische Erfahrung mit Hoch-LETStrahlen hat gezeigt, daß die RBW-Werte für Späteffekte erheblich über den Werten von
Akut-Effekten liegen. Im klinischen Einsatz muß deshalb der Hoch-LET-Anteil strikt auf das
Zielvolumen konzentriert bleiben und das gesunde Gewebe von der Hoch-LET-Wirkung
möglichst ausgespart bleiben. Dies ist im strengen Sinne nur mit Ionen im Bereich von
Kohlenstoff möglich, bei dem die RBW erst am Ende der Reichweite ansteigt.
10
Andere Hoch-LET-Wirkungen
Sauerstoffeffekt
Der ursprüngliche Grund, Neutronen als Hoch-LET-Strahlen in die Therapie einzuführen, war
die Verringerung des Sauerstoffeffektes bei erhöhter RBW.
In Zellexperimenten konnte gezeigt werden, daß im Maximum der RBW der
Sauerstoffverstärkungsfaktor (Oxygen Enhancement Ratio; OER) von 3 auf 1 abnimmt. Für
LET-Werte oberhalb des RBW-Maximums bleibt der OER = 1, auch wenn die RBW unter
den Wert für Röntgenstrahlung fällt. Da diese Abnahme der RBW durch Sättigungseffekte
bedingt ist, bedeutet sie kein Wiederauftreten des Sauerstoffverstärkungsfaktors.
In der klinischen Anwendung ist der Einfluß des Sauerstoffeffektes unterschiedlich: Für
Neutronen ändert sich der Sauerstoffeffekt nicht mit der Tiefe, und der OER ist ungefähr
gleich eins für alle Gewebetiefen. Für Protonen ist die klinische RBW kaum von eins
verschieden, weshalb auch der Sauerstoffeffekt wenig beeinflußt wird.
Für schwerere Ionen, wie z.B. Kohlenstoff, ergibt sich ein komplexeres Verhalten. Bei hohen
Energien ist die RBW kleiner und der Sauerstoffverstärkungsfaktor entspricht dem Wert dünn
ionisierender Strahlung. Erst am Ende der Bahnspur nimmt der Sauerstoffeffekt auf kleinere
Wert ab [Blakely 1980] [Furusawa Y. et al. 2000].
Bei der Bestrahlung eines ausgedehnten Tumorvolumens müssen viele Braggkurven
verschiedener Energien überlagert werden. Diese Überlagerung von Plateau und Braggpeak ist
ein nicht linearer Prozess, d.h., der Sauerstoffverstärkungsfaktor setzt sich nicht additiv aus
den Werten der einzelnen Dosisanteile zusammen. Dadurch erhält man für Kohlenstoff bei
einem ausgedehnten Zielvolumen einen sehr viel größeren Bereich eines abgesenkten
Sauerstoffeffektes, während sich für schwerere Ionen Sättigungseffekte zeigen: Für Neon oder
Argon erhält man ein breites OER-Minimum um den Braggpeak und bereits im
Eingangskanal eine deutliche Absenkung der OER [Blakely 1980].
Der Einfluß der Verringerung des Sauerstoffeffektes auf die klinischen Resultate ist für die
Schwerionentherapie noch nicht abschließend bewiesen. Es gibt Hinweise aus der
Schwerionentherapie in Chiba, dass der Sauerstoffpartialdruck im Tumor bei der
Strahlentherapie mit Kohlenstoffionen kein prognostischer Faktor ist, während dies für
Photonenstrahlung nachgewiesen werden konnte.
11
Zellzyklussensitivität
Dicht ionisierende Strahlen erzeugen eine andere Abhängigkeit der Strahlenempfindlichkeit
vom Zellzyklus als dünn ionisierende Strahlung.
Da bei dicht ionisierender Strahlung im extremen Hoch-LET-Bereich die intrazelluläre Reparatur nur eine untergeordnete Rolle spielt, wird die Inaktivierung im wesentlichen von der
Trefferwahrscheinlichkeit und damit von der Zellkerngröße bestimmt [Scholz et al. 1994]. In
der G1- oder G0-Phase ist der Zellkern am kleinsten und damit die Trefferwahrscheinlichkeit
und die Strahlenempfindlichkeit gegenüber Hoch-LET-Teilchen niedrig. Mit zunehmender
Zellkerngröße nimmt die Trefferwahrscheinlichkeit einer Zelle bis zum Ende der
Synthesephase zu und bleibt dann bis zur Teilung in der Mitose konstant.
Entsprechend diesem Anwachsen des DNA-Gehaltes steigt die Strahlenempfindlichkeit
gegenüber Hoch-LET-Teilchen von einem niedrigen Wert in der G1-Phase in der S-Phase an
und bleibt dann in der G2-Phase bis zur Mitose maximal. Dieses Verhalten ist gegenläufig zur
Empfindlichkeit gegenüber Röntgenstrahlung und gilt nur am Ende der Teilchenreichweite,
wenn der Spurdurchmesser im Verhältnis zu den zellulären Dimensionen klein ist und die
lokale Energiedeposition dadurch extrem hoch wird. Bei größeren Teilchenenergien und
damit größerem Spurdurchmesser wird der Einfluss der Kerngröße durch den Anteil von
Zellen „aufgeweicht“, deren Kern nicht direkt getroffen wurde, die aber einen Dosisanteil aus
dem äußeren dünn ionisierenden Teil einer oder mehrerer Spuren erhalten. Dann ergibt sich
eine Mischung aus Röntgen- und Hoch-LET-Effekt, je nach Teilchenenergie und Dosis.
Verzögerungen der Zellzyklusprogression
Die Bestrahlung mit dünn ionisierender Strahlung verzögert die Zellprogression an der Grenze
zwischen S- und G2/M-Phase um einige Stunden. Hoch-LET-Strahlen bewirken in allen
Zyklusphasen eine Verzögerung, die mit wachsender Dosis und LET länger anhält. Es wurden
Zellzyklusverzögerungen gemessen, die mehr als eine Zykluszeit betragen [Scholz et al.
1994].
Ein weiterer Unterschied in der Verzögerung der Zellprogression zwischen dünn und dicht
ionisierender Strahlung ergibt sich aus der Stochastik der Dosisverteilung. Für dünn
ionisierende Strahlung ist die Dosis gleichmäßig über alle Zellen einer Population verteilt.
Alle Zellen zeigen deshalb eine ähnliche Verzögerung. Bei Teilchenbestrahlung im HochLET-Teil ist die Teilchenbelegung pro Zellkern klein, und als applizierte Dosis kann nur ein
12
Vielfaches der Dosis eines Teilchendurchgangs deponiert werden. Das heißt, daß Zellen,
deren Kern nicht getroffen wurden, ungestört weiter proliferieren. Zellen mit einem
Kerntreffer werden deutlich weniger verzögert als Zellen mit zwei Treffern, und diese werden
wiederum weniger verzögert als Zellen mit mehreren Treffern.
Erst bei höheren Teilchendosen und Energien spielt die Stochastik der Teilchenbelegung eine
untergeordnete Rolle. Insgesamt ergibt sich für Hoch-LET-Strahlen eine verstärkte
Zellzyklusverzögerung, die zu einer totalen Proliferationshemmung führen kann.
Fraktionierungseffekte
Bei dünn ionisierender Strahlung ergibt sich ein Fraktionierungseffekt durch die Reparatur
von subletalen Schäden in den Intervallen zwischen den Bestrahlungen. Für Neutronen mit
hohem LET verschiebt sich der Schwerpunkt von subletalen Schäden zu letalen Schäden.
Damit nimmt der Einfluß des Fraktionierungseffektes ab und verschwindet im extremen
Hoch-LET-Bereich: Das Zellüberleben ist dann nach wenigen Fraktionen weitgehend
unabhängig vom Fraktionierungsschema. Dies wurde für Neutronen in der klinischen Praxis
bewiesen.
Bei den Kohlenstoffionen, wie sie für die Therapie eingesetzt werden, sind die
Abhängigkeiten komplexer. Im Nieder-LET-Bereich – also im Eingangskanal - ist der
Fraktionierungseffekt noch röntgenähnlich. Im Hoch-LET Bereich, am Ende der Reichweite,
wird
das
Zellüberleben
wie
bei
den
Neutronen
weitgehend
unabhängig
vom
Fraktionierungsschema.
Für schwere Ionen wird deshalb die Fraktionierung zur Reduktion unerwünschter
Nebeneffekte im gesunden Gewebe eingesetzt, während im Zielvolumen die Zellabtötung
weitgehend von der Fraktionierung unabhängig bleibt.
13
Klinische Anwendungen und Erfahrungen
Protonentherapie
Protonen werden zu den Niedrig-LET-Strahlen gezählt. Die Eindringtiefe der Strahlen hängt
von der Primärenergie ab. Für die Bestrahlung von Augentumoren sind Protonenenergien von
60- 90 MeV ausreichend, während für die Bestrahlung tieferliegender Tumoren Energien von
mindesten 160 MeV, idealerweise von 220 MeV verwendet werden. Diese hohen
Anforderungen an die Energie der Teilchen resultieren in einem hohen technischen Aufwand
für die Erzeugung dieser Strahlung. Die biologische Wirkung von Protonen ist bis auf einen
Bewertungsfaktor (RBE) von 1,1 im wesentlichen dieselbe wie die der Photonen oder
Gammastrahlung. Das heißt, dass die Erfahrung der Photonenstrahlung voll auf die
Protonenstrahlung bezüglich Toleranzdosen und notwendigen Tumorkontrolldosen übertragen
werden kann. Der Vorteil der Protonenstrahlung gegenüber Photonen liegt darin, dass für eine
bestimmte Dosis in der Tiefe eine deutlich geringere Integraldosis verabreicht werden muss.
Das heißt, dass das Volumen des Normalgewebes, das inzidentell bestrahlt werden muss, in
jeder Behandlungssituation hochsignifikant geringer ist. Vergleichende Dosisberechnungen
zeigen, dass aufgrund dieser wesentlich geringeren Dosisbelastung eine wesentlich geringere
Inzidenz von Nebenwirkungen erwartet werden kann. Darüber hinaus wird das Risiko von
Spätmalignomen deutlich reduziert. Während immer wieder darüber diskutiert wird, ob dies
für die onkologischen Fragestellungen bei Erwachsenen eine Rolle spielt, gibt es klare
Hinweise dafür, dass in der pädiatrischen Onkologie damit die Inzidenz von
strahleninduzierten Sekundärmalignomen gesenkt werden kann. Wobei allerdings auch in der
Erwachsenenonkologie die Problematik der Sekundärmalignome mit einem höheren
Prozentsatz an langzeitüberlebenden Patienten zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dieser
grundsätzliche Vorteil der Protonenbestrahlung gegenüber Photonenstrahlung besteht auch
gegenüber
sehr
modernen
Bestrahlungstechniken
wie
der
intensitätsmodulierten
Strahlentherapie.
Die Anzahl randomisierte Phase III Studien, die eine reine Photonentherapie mit einer reinen
Protonentherapie vergleichen, ist sehr limitiert, da die Vorteile der Dosisverteilung der
Protonen so evident sind, dass eine zufallsmässige Einteilung in den konventionellen
Therapiearm nicht mit den ethischen Prinzipien vereinbar wäre.
Im Folgenden soll auf der Basis der bislang vorhandenen klinischen Ergebnisse die Rolle der
einzelnen Teilchenarten für die unterschiedlichen Indikationen besprochen werden.
14
Schwerionentherapie
Schwere Ionen wurden im Vergleich zu Protonen erst bei relativ wenigen Patienten
angewandt. In der ersten Studie in Berkeley wurden zuerst einige Patienten mit Argon und
Silizium behandelt. Wegen der erheblichen Nebenwirkungen wurden dann Neon-Ionen für
mehr als 400 Patienten benutzt, bis der BevaLac Beschleuniger aus technischen Gründen
abgeschaltet werden mußte. Die Neon-Patienten zeigten eine gute Tumorkontrollrate und
gleichzeitig weniger Nebenwirkungen als die mit Argon behandelten Patienten.
Seit 1994 wurden am HIMAC in Chiba, Japan mehr als tausend Patienten mit KohlenstoffIonen bestrahlt. Bei guten Tumorkontrollraten konnten die Nebenwirkungen weiter gesenkt
werden.
Auf
Grund
der
passiven
Strahlpräparationstechniken
konnten
aber
die
hervorragenden Eigenschaften der Kohlenstoffionen nicht voll in die Bestrahlungsplanung
und Ausführung umgesetzt werden. Deshalb sind die akuten Nebenwirkungen am HIMAC
höher als bei den Bestrahlungen mit aktiver Strahlformung an der GSI.
Seit 1997 wurden an der GSI mehr als hundert Patienten mit dem intensitäts- kontrolliertem
Scanverfahren
bestrahlt.
Dabei
wurde
zum
erstenmal
die
Bestrahlungsplanung
strahlenbiologisch optimiert. Mit diesen Techniken konnte eine weitere Dosisreduktion im
gesunden Gewebe erreicht werden, bei gleich guter und z. T. besserer Tumorkontrolle. Auf
Grund der guten klinischen Ergebnisse wurde mit dem Bau eines klinischen
Schwerionenzentrums in Heidelberg begonnen.
15
Chordome und niedriggradige Chondrosarkome der Schädelbasis
Aufgrund der großen Nähe dieser Tumoren zu strahlensensiblen Strukturen bietet sich die
Strahlentherapie mit Protonen an, mit der insbesondere am Massachusetts General Hospital,
Boston, und am Loma Linda University Medical Center beachtliche Erfolge erzielt wurden. In
Boston wurden zwischen 1975 und 1998 519 Patienten mit Protonen bestrahlt (66-83 CGE),
die an Chordomen und Chondrosarkomen litten. Munzenrider et al. berichten von einer
lokalen Kontrollrate nach 5 bzw. 10 Jahren von 98% bzw. 94% für Chondrosarkome und von
73% bzw. 54% für Cordome (Munzenrider und Liebsch 1999). Diese Zahlen definieren den
Standard für die Behandlung von Patienten mit Chordomen und Chondrosarkomen. Eine
Behandlung mit Photonen außerhalb klinischer Studien kann daher allenfalls als individueller
Heilversuch definiert werden.
Chordome und Chondrosarkome können heute als eindeutige Indikation für die
Protonentherapie gewertet werden. Die mit Protonen erreichten hohen Tumordosen und die
gleichzeitig geringe Belastung des umgebenden Normalgewebes sind mit Photonen nicht
erreichbar, so dass der Einsatz von Photonen nicht in Frage kommt, wenn eine
Protonentherapie-Anlage verfügbar ist.
Die
zusätzliche
Differenzierungsgrad)
hohe
lassen
Strahlenresistenz
diese
Tumoren
(geringe
zudem
Proliferationsrate,
als
prädestiniert
hoher
für
die
Schwerionentherapie erscheinen. Erste positive Trends ergaben sich bereits in Studien von
Castro et al. (1994). In einer klinischen Phase I/II-Studie bei der Gesellschaft für
Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt (in Kooperation mit der Radiologischen UniKlinik und dem Deutschen Krebsforschungzentrum, beide Heidelberg, und dem
Forschungszentrum Rossendorf) wurden zwischen 1998 und 2001 37 Patienten mit
Chordomen und niedriggradigen Chondrosarkomen der Schädelbasis mit Kohlenstoffionen
und einer Dosis von 60 GyE bestrahlt. Es ergaben sich vielversprechende lokale Kontrollraten
von 83% für Chordome und 100% für Chondrosarkome (Schulz-Ertner et al., 2002). Die
Toxizität war sehr gering.
Die Ionentherapie ist demnach als der Standard für die Behandlung von Patienten mit
Chordomen und Chondrosarkomen anzusehen.
16
Aderhautmelanome
Aufgrund der beachtlichen therapeutischen Erfolge bei sehr großen Patientenzahlen (weltweit
über 5.400 behandelte Patienten) kann man die Aderhautmelanome als klare Indikation für die
Protonentherapie werten (Krengli et al. 1998). Es hat sich klar gezeigt, daß die radikale
chirurgische Resektion (Enukleation) im Vergleich zur Strahlentherapie mit Protonen keine
Verbesserung der Überlebenszeit bringt. Ebenfalls positive Trends zeigen sich bei
Aderhauthämangiomen, retinale Angiomen, Retinoblastomen und der altersbedingten
makularen Degenrationen.
Malignome der großen Speicheldrüsentumoren
Hauptspeicheldrüsentumoren sind mit einem RBE-Wert von 8 relativ empfindlich gegenüber
Hoch-LET-Bestrahlung. Es kommen überwiegend die strahlenresistenten Adenokarzinome
vor (insbesondere das adenoidzystische Karzinom). Sie gelten als Indikation für die HochLET-Strahlung. Mehrere europäische Studien untersuchten die Wirksamkeit einer
Strahlentherapie mit schnellen Neutronen und fanden hier eine durchschnittliche lokale
Kontrollrate nach 5 Jahren von 67%. Eine randomisierte klinische Phase-III-Studie (RTOGMRC) wurde durchgeführt, um die Strahlentherapie mit schnellen Neutronen und Photonen in
inoperablen
Hauptspeicheldrüsentumoren
vergleichend
zu
untersuchen.
Die
lokale
Kontrollrate nach 10 Jahren war signifikant besser nach Neutronenbestrahlung (Laramore et
al. 1993). Nachteil war jedoch eine hohe Toxizitätsrate von durchschnittlich 10.6%. Die
Bestrahlung mit schnellen Neutronen wird von den meisten Autoren als Therapie der Wahl
bei adenoidzystischen Karzinomen (makroskopische Tumorreste) angesehen. Bei Patienten
ohne makroskopische Tumorreste werden mit einer Hoch-Dosis-Radiotherapie mit lokalen
Kontrollraten nach 10 Jahren von 86% gute Ergebnisse erzielt. Nach Neon-Ionen-Bestahlung
beobachteten Linstadt et al. am Lawrence Berkeley Laboratory zwischen 1979 und 1988
lokale Kontrollraten von 69% nach 5 Jahren bei 12 Patienten mit Nasenhöhlentumoren
(Linstadt et al. 1991)
Kopf-Hals-Tumoren
Aufgrund der hohen Strahlenresistenz erhoffte man sich therapeutische Erfolge durch den
Einsatz von Hoch-LET-Strahlung. Doch neun randomisierte Studien mit Patienten, die an
Plattenepithelkarzinomen litten (dem häufigsten histologischen Typ von Kopf-HalsTumoren), konnten diese Vermutung zumindest für die Neutronentherapie nicht bestätigen:
17
Die Studie von Catterall et al. (1977) ergab zwar eine signifikante Erhöhung der
Tumorremission und lokoregionären Kontrolle, 28% der Patienten starben indes an schweren
Spätschäden. Bei der mit Photonen bestrahlten Gruppe wurden keine auf die Bestrahlung
zurückzuführenden Todesfälle beobachtet (Medical Research Council Neutron Therapy
Working Group 1986). Die Ergebnisse sich anschließender Studien, darunter auch die
aktuellste randomisierte Untersuchung, die Studie 85-22 der Neutron Therapy Collaborating
Working Group (NTCWG-Studie 85-22) (Maor et al. 1995), konnten überwiegend keine
signifikanten Therapieerfolge erzielen, berichten dagegen aber von signifikant erhöhten
Komplikationsraten. Anzumerken ist, daß nur drei dieser neun Studien an modernen Anlagen
durchgeführt wurden. Nur die Anlagen in Seattle (Studien von Griffin et al. 1984 und 1989)
und zwei der fünf Anlagen (Seattle und Clatterbridge), die an der NTCWG-Studie 85-22
(Maor et al. 1995) mitwirkten, verfügen über die notwendige Tiefendosisverteilung.
Für Protonen und Schwerionen liegen dagegen keine bzw. nur Pilot-Studien vor. Dies kann
jedoch eine potentielle Indikation nicht ausschließen, zumal theoretische Überlegungen darauf
hindeuten, dass die Bestrahlung mit Protonen, aufgrund ihrer sehr guten physikalischen
Selektivität eine hohe Dosierung zulässt und bei dieser Tumorlokalisation Vorteile bietet.
Lokalrezidive des Rektums
Um die signifikant höhere Rate an schweren Komplikationen nach Neutronenbestrahlungen
von Rektumkarzinomen zu reduzieren, wurden in mehreren Studien Neutronen-BoostBestrahlungen und Mixed-Beam-Bestrahlungen (Photonen und Neutronen) eingesetzt. Es
zeigte sich, daß dies bei lokalen Rezidiven des Rektums zu einem größeren Therapieerfolg im
Sinne der Palliation führt als eine konventionelle Photonenbestrahlung. Die Rate an
Schmerzlinderung lag zwischen 98% (Engenhart-Cabillic et al. (1998) und 89% (Eising et al.
1990). Die Komplikationsrate war nicht signifikant erhöht.
Die Rate an beobachteter Schmerzlinderung war damit höher als in Studien mit alleiniger
Photonenbestrahlung. Hier lag sie zwischen 62% und 80% (Flentje et al. 1988, Pacini et al.
1986, Schmidt et al. 1984). Ein therapeutischer Gewinn nach Neutronenbestrahlung scheint in
der Palliativsituation sehr wahrscheinlich, weil Rezidive als strahlenunempfindlicher gelten
als Primärtumoren. Es gibt allerdings keine Vergleiche der Neutronentherapie mit modernen
Standards der Radio-Chemotherapie oder der intraoperativen Bestrahlung.
Hepatozelluläre Karzinome
18
Erste positive Trends zeichnen sich in Pilot-Studien an der Universität von Tsukuba, Japan,
ab, wobei allerdings diese Erfahrungen außerhalb Asiens noch nicht nachvollzogen wurden
(Matsuzaki et al. 1995). Die bislang erhaltenen klinischen Daten bestätigen jedoch die
theoretischen Überlegungen, denen zufolge bei einer Protonentherapie durch Ausnutzung des
Bragg-Peaks das den Tumor umgebene extrem strahlensensible Gewebe maximal geschont
werden könnte.
Gallengangskarzinome
Aufgrund
der
hohen
Strahlenresistenz
und
der
kritischen
Lokalisation
von
Gallengangskarzinomen erscheinen diese Tumoren als geeignet für die Bestrahlung mit
Schwerionen. Ein positiver Trend zeigte sich im Rahmen einer nicht-randomisierten Studie
am Lawrence Berkeley Laboratory, Kalifornien. Im Grunde läßt sich aus diesen
Studienergebnissen jedoch nicht eine höhere Kontrollrate ableiten, es zeigt sich ausschließlich
die Durchführbarkeit der Therapie.
Nicht-kleinzellige Bronchialkarzinome
Die Neutrontherapie von Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom konnte keine
wesentliche Verbesserungen erreichen, da ein wesentlicher Anstieg der Toxizität zu
verzeichnen war. Auch die Photonentherapie ist stark toxizitätslimitiert. Daher erscheinen die
Ansätze die Ionentherapie bei der Behandlung von Patienten mit Bronchialkarzinom
einzusetzen besonders interessant. Eine Pilot-Studie mit Protonenbestrahlung am Proton
Medical Research Center (PMRC) der Universität von Tsukuba, Japan, zeigte einen ersten
positiven Trend. Die Studie schloss inoperable Patienten mit frühen Tumorstadien ein. Zu
ähnlich positiven Ergebnissen kommen die Untersuchungen aus Loma-Linda (Bush et al,
1999), die eine lokale Kontrollrate von 87 % im Stadium I nach 2 Jahren beschreibt.
Weichteilsarkome
Die meisten Weichteilsarkome sind langsam wachsende, gut differenzierte und sehr
strahlenresistente Tumoren, weshalb sie für eine Hoch-LET-Bestrahlung in Betracht kommen.
Nach Schwarz et al. (1996) zeigte die Neutronentherapie Vorteile insbesondere bei Patienten
mit inoperablen und teilresezierten Tumoren. Die lokalen Kontrollraten von 87% bei R0Status in Essen und Hamburg sind mit den besten Resultaten nach postoperativer
Photonentherapie vergleichbar, obwohl überwiegend technisch veraltete Geräte der ersten
19
Generation zum Einsatz kamen. Die Rate schwerer Spätkomplikationen lag mit Werten
zwischen 6,6% und 50% hoch.
Man kann aufgrund der großen Patientenzahl (über 1.200) sagen, dass der positive Effekt der
Hoch-LET-Strahlung auf Weichteilsarkome bezüglich der Tumorkontrolle klar belegt ist,
wobei allerdings dieser Vorteil durch eine erhöhte Rate von Strahlenspätwirkungen zumindest
teilweise wieder aufgehoben wird. Entscheidend ist nunmehr, ob die Komplikationsrate durch
Einsatz moderner Bestrahlungstechniken vermindert werden kann.
Eine weitere Therapieoption ist die Schwerionenbestrahlung. Bisher gibt es nur Pilot-Studien
am Lawrence-Berkeley Laboratory, Kalifornien, ohne signifikante Aussagekraft. Die hohe
physikalische Selektivität der Schwerionen könnte dazu beitragen, die nach Neutronentherapie
beobachtete Komplikationsrate zu senken bei gleichzeitiger Ausnutzung des Hoch-LETEffektes.
Adenokarzinome der Prostata
Da Adenokarzinome der Prostata in der Regel sehr langsam wachsen, kommt eine Hoch-LETBestrahlung in Frage (Forman u. Porter 1997). Die positiven Ergebnisse nach Mixed-BeamBestrahlung (Photonen und Neutronen) von Patienten mit Adenokarzinomen der Prostata in
der randomisierten Studie 77-04 der Radiation Therapy Oncology Group (Laramore et al.
1993) wurden kritisch kommentiert, weil die Patientengruppe klein war und die mit Photonen
erzielten Ergebnisse schlechter waren als aufgrund früherer Studien zu erwarten gewesen
wäre. Eine weitere Untersuchung, die Studie 85-23 der Neutron Therapy Collaborating
Working Group (NTCWG) (Russel et al. 1993) konnte diese guten Ergebnisse in der Tat nicht
bestätigen. Zwar zeigte sich hier eine statistisch signifikant erhöhte lokale Kontrollrate, sie
schlug sich jedoch im Gegensatz zur RTOG-Gruppe nicht in einer erhöhten Überlebensrate
nach fünf Jahren nieder. Zudem war die Komplikationsrate statistisch signifikant erhöht. Dies
führte zunächst zu einer deutlichen Abnahme der Anwendung von Neutronenstrahlen bei der
Behandlung von Prostatakrebs-Patienten (Forman u. Porter 1997). Bei näherer Analyse konnte
gezeigt werden, daß sich in Instituten, in denen moderne Bestrahlungsgeräte eingesetzt
wurden, keine Unterschiede in den Komplikationsraten ergeben hatten. Dies zeigt, wie
entscheidend die technische Ausstattung der Therapie-Anlagen für den therapeutischen Erfolg
ist.
20
Weiteres Untersuchungsparameter war der Serumspiegel an Prostata-spezifischem-Antigen
(PSA). Liegt er bei Patienten ≥ 15 ng/ml, so ist ihr Rezidivrisiko deutlich erhöht und sollte das
Krankheitsstadium als lokal fortgeschritten bewertet werden (Forman u. Porter 1997). In der
NTCWG-Studie waren die PSA-Serumspiegel nach fünf Jahren bei 45% der mit Photonen
bestrahlten Patienten erhöht gegenüber nur 17% der mit Neutronen bestrahlten. Ob sich dies
in der Neutronengruppe in eine statistisch signifikant erhöhte Überlebensrate nach zehn
Jahren übersetzt, ist abzuwarten.
Die positiven klinischen Ergebnisse bezüglich des PSA-Levels nach Neutronenbestrahlung
konnten am modernen supraleitenden Zyklotron der Wayne State University in Detroit,
Michigan (USA) bestätigt werden (Forman u. Porter 1997). Die Komplikationsrate blieb
gering.
Shipley et al. (1995) bestrahlten in einer randomisierten Studie 103 Patienten nach einer
konventionellen Photonenbestrahlung mit einem zusätzlichen Photonen-Boost, 99 Patienten
mit einem zusätzlichen Protonen-Boost. Nach der Protonen-Boost-Bestrahlung zeigte sich
eine erhöhte lokale Kontrollrate, diese war signifikant bei Patienten mit undifferenzierten
Karzinomen. Allerdings kam es zu einer höheren Rate an Komplikationen des Grades 1 und 2.
Yonemoto et al. (1997) bestrahlten 104 Patienten (Stadien T2 und T3) mit Photonen und
anschließendem Protonen-Boost. Die krankheitsfreie Überlebensrate nach 30 Monaten lag bei
90%. Das Prostata-spezifische Antigen (PSA) normalisierte sich in bis zu 97% der Patienten.
Am Loma Linda University Medical Cyclotron wurden mittlerweile über 2000 Patienten mit
Prostatakarzinom bestrahlt. In einer retrospektiven Analyse erhielten zwischen 1991 und 1995
645 Patienten mit Prostatakarzinomen (T1-T4, N0, M0, PSA ≤ 50 ng/ml) eine definitive
Protonenbestrahlung, davon 319 kombiniert mit Photonen. Die Dosis lag bei 74-75 CGE. Das
krankheitsfreie Überleben nach einer mittleren Beobachtungszeit von 31 Monaten war 90%.
Die biochemische Kontrolle lag für Patienten mit T1 und T2-Tumoren bei PSAKonzentrationen vor Therapie von a) ≤ 4 ng/ml, b) 4,1-10 ng/ml, c) 10,1-20 ng/ml und d) > 20
ng/ml bei a) 100%, b) 83%, c) 67% und d) 65%. Es gab keine ernsten Komplikationen. Für
Patienten mit Tumoren der Stadien T1 und T2 ist das Ergebnis mit Studien vergleichbar, bei
denen eine radikale Prostatektomie oder eine Konformationstherapie mit Photonen
durchgeführt wurde. Im retrospektiven Vergleich sind diese Daten allen bislang
veröffentlichten Photonendaten überlegen, wenn man stratifiziert entsprechend den Stadien
und den Tumorprognosefaktoren vergleicht.
21
In einer Phase-III-Studie (randomisiert) soll mit einer kombinierten Bestrahlung mit Protonen
und Photonen soll bei Dosen von 79.2 Gy und 70.2 Gy vergleichend untersucht werden (Rossi
et al. 1998).
Tumoren des Gehirns und Nervensystem
Bei atypischen und malignen Meningiomen sind die Ergebnisse nach Photonentherapie
schlecht. Da diese Tumoren meist innerhalb der Hochdosis-Region rezidivieren, ist es
wahrscheinlich, dass eine Dosiseskaltation die Ergebnisse verbessert.
Hug et al. berichten von 31 Patienten mit atypischen
und malignen Meningiomen, die
zwischen 1973 und 1995 mit alleiniger Photonentherapie (n=15) und mit kombinierter
Photon/Proton-Radiotherapie (n=16) bestrahlt wurden. Die lokalen Kontrollraten nach 5 und 8
Jahren waren 19% und 38% für atypische Menigiome und 17% und 52% für maligne
Meningiome. Lokale Kontrolle und Überleben war signifikant erhöht bei Patienten, die mit
Protonen und einer Dosis über 60 CGE bestrahlt wurden (Hug et al. 2000).
Bei der Behandlung gutartiger Meningiome kann mit Photonen ein progressionsfreies
Überleben von 94% nach 10 Jahren und geringer Toxizitätsrate (2.1%) hervorragende
Ergebnisse erzielt werden (Debus et al. 2000). Es ist unwahrscheinlich, dass die
Protonentherapie bezüglich dieser Endpunkte eine signifikante Verbesserung erreicht,
allerdings kann die Dosis im Normalgewebe weiter deutlich gesenkt werden, so dass gerade
bei den Patienten, die lange Zeit überleben sich ein Vorteil ergibt. Deshalb berücksichtigen
die meisten sozioökonomischen Analysen Patienten mit Meningeomen.
Hypophysentumoren
Die hormonproduzierenden Hypopysentumoren gelten als sehr strahlenresistent und benötigen
höhere Strahlendosen, weshalb sie für die Protonentherapie in Frage kommen. Die
dazugehörigen Krankheitsbilder sind Akromegalie, Cushing-Syndrom, Nelson-Syndrom (Raju
1995). Es gibt weltweit zwar über 2.000 mit Protonen behandelte Patienten. Die überwiegende
Zahl von Patienten wurde allerdings mit radiochirurgischen Techniken behandelt, so dass die
Vergleichbarkeit mit der konventionellen Bestrahlung nur sehr eingeschränkt ist.
Pädiatrische Tumoren
Die im kindlichen Körper wesentlich kleineren räumlichen Abmessungen stellen besonders
hohe Anforderungen an die Dosisverteilung (Gademann und Wannenmacher 1991).. Dies
22
betrifft vor allem den Retroperitonealraum, in dem radiosensitive Organe (Niere, Leber,
Rückenmark, Blase, Darm, Keimdrüsen) eng benachbart sind. Die für eine Protonentherapie
zu diskutierenden Tumorlokalisationen sind das Nephroblastom (Wilms-Tumor), Tumoren
des Gehirns und Nervensystems (Miralbell et al. 1997), das Neuroblastom, Weichteilsarkome
(insbesondere das am häufigsten vorkommende Rhabdomyosarkom) sowie Hodgkin- und
Non-Hodgkin-Lymphome. Die Ergebnisse der Protonenbestrahlung bei Kindern liegen derzeit
nur als Fallberichte vor. Das Ziel einer Protonentherapie liegt hauptsächlich in der Reduktion
der therapiebedingten Morbidität. Durch die vergleichsweise geringere Integraldosis der
Protonen kann die Wahrscheinlichkeit des Auftretens strahleninduzierter Zweittumoren im
Verlauf des weiteren Lebens verringert werden, die bei Kindern aufgrund der höheren
Lebenserwartung größer ist als bei Erwachsenen.
Arteriovenöse Fehlbildungen
Die neurochirurgische Resektion ist die Therapie der Wahl für AVMs. Bei inoperablen Fällen
werden mit der Radiochirurgie sehr gute Ergebnisse erzielt. Aufgrund der exzellenten
Dosisverteilung der werden Protonenstrahlen für die Radiochirurgie eingesetzt. Steinberg et
al. behandelten 86 Patienten mit AVMs mit Radiochirurgie. Die Verödungsraten nach 3
Jahren waren 100%, 95% und 70% bei Patienten mit AVMs der Größen < 4cm3, 4-25 cm3 and
greater than 25 cm3. Die Rate ernster neurologischer Komplikationen lag bei (Steinberg et al.
1990). Ähnliche Resultate bei 50 AVM-Patienten wurden zwischen 1993 und 1998 am Loma
Linda University Medical Center erzielt (Levy et al. 1999).
Zusammenfassung
Protonen und schwerere Ionen wie Kohlenstoff besitzen die sehr günstige physikalische
Eigenschaften für eine Teilchentherapie: Eine hohe Produktionsrate und ein Optimum an
physikalischer Präzision der Dosisverteilung. Kohlenstoffionen haben zudem eine erhöhte
biologische Wirksamkeit im Zielvolumen und versprechen optimale Therapieergebnisse.
Von den bis jetzt insgesamt ca. 20.000 Teilchen-Patienten (davon mehr als 1.000 mit
schweren Ionen) wurden die meisten Patienten an ausgedienten Physikbeschleunigern
bestrahlt, die den Patientenerfordernissen nur notdürftig angepasst waren und an denen die
eigentlichen physikalischen und strahlenbiologischen Vorteile der Teilchenstrahlen nur sehr
begrenzt ausgenutzt werden konnten. Erst in den letzten Jahren sind mit dem Bau der
Protonen-Therapie in Loma Linda, Kalifornien, und der Schwerionentherapie in Chiba, Japan,
23
zwei vergleichbare Anlagen entstanden, die zum einen das nötige klinische Umfeld bieten und
zum anderen aufgrund ihrer großen Patientenzahl eine kontinuierliche Weiterentwicklung der
Bestrahlungstechnik erwarten lassen. Hinzu kommen in Europa die Experimentaltherapie an
den bestehenden Beschleunigern der GSI in Darmstadt und dem PSI in Villingen, die 1997 in
Betrieb gingen und bei denen neuartige Techniken mit ″gescannten“ Strahlen zu einer extrem
tumorkonformen Bestrahlung erstmalig am Patienten ab 1997 routinemäßig eingesetzt
werden.
Nach derzeitigem Stand der klinischen Forschung liegen Studien vor, die einen Vorteil für
Kohlenstoff als der Hoch-LET-Strahlung für die malignen Tumoren der Hauptspeicheldrüsen,
die Adenokarzinome der Prostata und die Weichteilsarkome nahe legen. Auch für
Lokalrezidive des Rektums und adenoidzystische Tumoren der Nasenhöhlen zeigt sich ein
positiver Trend.
Als Indikation für die Strahlentherapie mit Protonen gelten Aderhautmelanome, Chordome
und
Chondrosarkome.
hepatozellulären
Positive
Tumoren,
Trends
zeigen
Adenokarzinomen
sich
der
bei
Oesophaguskarzinomen,
Prostata,
Meningiomen
und
Hypophysentumoren.
Aufgrund theoretischer Überlegungen ergeben sich allerdings konzeptionelle Vorteile bei
nahezu allen strahlentherapierten Tumoren, da grundsätzlich die Integraldosis von
Ionenstrahlen geringer als bei Photonen ist. Dies betrifft insbesondere Tumoren der
Hauptspeicheldrüsen, der Nasenhöhlen, bei nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen, ZNSTumoren und pädiatrische Tumoren.
Ob Protonen oder schwerere Ionen wie Kohlenstoff die klinisch optimalen Teilchenstrahlen
sind, lässt sich nicht abschließend beurteilen.
24
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Bildunterschriften:
Abb. 1: Vergleich des Tiefendosisprofils von Röntgenstrahlen und Kohlstoffionen. Für
größere Tiefen fällt für Röntgenstrahlung die Dosis exponentiell ab. Für Kohlstoffionen steigt
die Dosis bis zu einem Maximum am Ende der Reichweite, dem Bragg Peak. Dieser kann
durch Energievariation in der Tiefe verlagert werden.
Abb. 2: Vergleich von Bestrahlungsplänen eines Chordoms im Schädelbasisbereich für
Photonen und mit 4 Feldern (links) mit einem 2-Felder-Kohlenstoffplan (rechts). Durch das
Rasterscanverfahren kann für die Kohlenstoffbestrahlung bereits mit 2 Feldern eine exakte
Konformität des Zielvolumens mit dem Planungsvolumen erreicht werden.
Abbildung 3: Vergleich der physikalischen Dosisverteilung (links) und der gemessenen
Verteilung der Positronenemitter (rechts) in einem Patienten mit einem Schädelbasistumor
während der Behandlung. Man erkennt, dass es gelingt die lokale Deposition von
Positronenemittern nachzuweisen, die gut mit der Dosisverteilung korreliert.
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Abb. 1:
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Abb.2:
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Abb.3:
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