1 Einführung

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1 Einführung
1.1 Grundaussagen der Allgemeinen
Relativitätstheorie
Die Allgemeine Relativitätstheorie, von Albert Einstein in den Jahren 1907-1915
ausgearbeitet, ist die physikalische Theorie von Raum, Zeit und Gravitation.
Einige zentrale Aussagen der Theorie sind:
(i) Die ART ist der erste und bisher einzig erfolgreiche Versuch der Geometrisierung eines physikalischen Feldes.
(ii) Die Relativitätstheorie macht Raum und Zeit zu physikalischen Objekten,
die mit anderen Objekten in Wechselwirkung treten.
(iii) Die Dynamik astronomischer Objekte ist durch die Gravitation und die
Dynamik der Raumzeit dominiert. Daher ist die ART Grundlage der Kosmologie.
(iv) Die Feldgleichungen der ART sind nichtlinear und implizieren die Bewegungsgleichungen für die Quellen des Gravitationsfeldes.
Diese Aussagen sollen noch kurz erläutert werden.
(i) Die ART hat die Gravitationskraft abgeschafft. Der Mond bewegt sich
kräftefrei, allerdings in einer von der Erde gekrümmten Raumzeit. Mit
den Worten von J. A. Wheeler: “Matter tells spacetime how to curve,
spacetime tells matter how to move.”
(ii) In der Newtonschen Physik waren Raum und Zeit absolute Objekte in dem
Sinne, daß sie unbeeinflußt und unabhängig von anderen Objekten existieren. Sie bilden die Bühne, den starren, unveränderlichen Hintergrund, vor
dem physikalische Prozesse ablaufen. In der ART gibt es keinen solchen
absoluten, a priori gegebenen Hintergrund mehr. Es gilt auch für Raum
und Zeit das Wechselwirkungsprinzip: Wenn A auf B Einfluß nimmt, dann
beeinflußt B auch A. Es gibt keinen Hintergrund, der wirkt, ohne daß auf
ihn eingewirkt werden kann (background independence).1
(iii) Seit der Entdeckung der Expansion unseres Universums durch Hubble 1929
ist klar, daß die Dynamik der Raumzeit eine entscheidende Rolle für die
Globalstruktur des Kosmos spielt.
Aber auch auf kleineren astronomischen Skalen (Sonnensystem) ist die
Gravitation die dominierende Wechselwirkung. Dies ist erstaunlich, denn
sie ist eine sehr schwache Kraft. Die gravitative Anziehungskraft
F = −G
m1 m2
r2
(1.1)
1 Dieses Prinzip wurde schon von Newton angewendet. Eine seiner zentralen Einsichten war: Wenn
die Erde den Apfel anzieht, dann zieht der Apfel auch die Erde an.
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Abb. 1.2: Albert Einstein
(1879-1955)
zwischen zwei Elektronen ist um den Faktor 4.28 · 1042 schwächer als die
elektrostatische Abstoßungskraft
F=
1 q1 q2
4π²0 r 2
(1.2)
zwischen diesen Teilchen. Dies gilt natürlich auch für jene Elektronen,
welche die Materie vom Mond und von der Erde bilden. Allerdings gibt
es elektrische Ladungen mit verschiedenen Vorzeichen. Astronomische
Objekte sind mit so großer Genauigkeit elektrisch neutral, daß trotz dieses
riesigen Faktors von 4 · 1042 die Dynamik astronomischer Objekte wie des
Mond-Erde-Systems vollkommen von der Gravitation dominiert wird.
(iv) Die Feldgleichungen der klassischen Elektrodynamik (Maxwell-Gleichungen)
sind linear. Man kann daher die Lösungen für das statische Feld einer
ruhenden Ladung am Ort A und einer ruhenden Ladung am Ort B addieren
und erhält wieder eine statische Lösung, die das Feld zweier ruhender
Ladungen beschreibt. In einem gewissen Sinne ist diese Lösung unphysikalisch: Im leeren Raum werden sich die beiden Ladungen unter dem
Einfluß ihrer Felder zu bewegen beginnen. Nur durch zusätzliche Kräfte,
die die Ladungen fixieren (aber nicht in der Theorie auftauchen) kann
man diese Lösung realisieren. Damit hängt auch zusammen, daß sich
die Bewegungsgleichung (die Formel für die Lorentzkraft) nicht aus den
Feldgleichungen ableiten läßt. Sie muß zusätzlich postuliert werden.
Im Unterschied dazu sind die Feldgleichungen der ART nichtlinear und so
gibt es keine statische Lösung des 2-Körper-Problems. Die Feldgleichungen
implizieren die Bewegungsgleichungen als Konsistenzbedingungen. In der
einfachsten Form lauten diese Bewegungsgleichungen: Testteilchen müssen
sich auf Geodäten bewegen.
Die Nichtlinearität stellt natürlich eine großes mathematisches Problem
dar. So ist selbst für das 2-Körper-Problem die Lösung nicht in geschlossener
Form bekannt.
1.2 Experimentelle Tests
1.2.1 Schwache Gravitationsfelder
Die drei sogenannten klassischen Tests der ART wurden von Einstein 1915/16
vorgeschlagen:
1. Periheldrehung des Merkur
Abb. 1.3: Periheldrehung
Durch die Bahnstörungen andere Planeten und das Quadrupolmoment (Abweichung von der Kugelsymmetrie) der Sonne sind die Planetenbahnen keine
geschlossenen Ellipsen; die Halbachsen der Bahnen wandern langsam. Am stärksten ist dieser Effekt für den sonnennächsten Planeten. Berechnungen nach der
Newtonschen Theorie ergeben eine Periheldrehung des Merkur von 5 557 Bogensekunden/Jahrhundert. Der beobachtete Wert beträgt 5 600”/Jhd. Einstein
zeigte, daß in der ART bereits die Lösungen des 2-Körperproblems für kugelsymmetrische Massen keine geschlossenen Ellipsen mehr sind, sondern eine
Periheldrehung aufweisen - dies liefert gerade die fehlenden 43”/Jhd.
2. Lichtablenkung im Gravitationsfeld
Laut ART ist die Lichtablenkung im Schwerefeld doppelt so groß, wie in der Newtonschen Theorie. Eine totale Sonnenfinsternis im Jahr 1919 bot die Möglichkeit,
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die Ablenkung von Sternenlicht durch die Sonne zu messen. Diese Bestätigung
der Einsteinschen Theorie machte damals Schlagzeilen.
3. Rotverschiebung im Gravitationsfeld
Licht, das gegen ein Gravitationsfeld nach oben strahlt, erleidet eine Rotveschiebung. Diese konnte im Schwerefeld der Erde erstmals 1959 zwischen Spitze und
Boden des Jefferson-Turms der Harvard University nachgewiesen werden.
Weitere Tests
Stellvertretend für zahlreiche andere Experimente sollen noch zwei weitere
erwähnt werden.
Gravity Probe-A
Am 18. Juni 1976 wurde ein Wasserstoff-Maser mit einer Scout-Rakete in eine
Höhe von 10 000 km transportiert. Gemäß ART verläuft dort die Zeit um den
Faktor 1.000 000 000 45 schneller als auf der Erde, da die Gravitation den Fluß
der Zeit bremst. Dies wurde mit hoher Präzision bestätigt.
Heute ist die Einbeziehung solcher relativistischer Korrekturen Standard bei
Satellitennavigationssystemen wie GPS.
Abb. 1.6: Start einer ScoutRakete
Gravity Probe-B
Dies ist für einen Theoretiker “das einfachste Experiment”: Ein Kreisel wird
auf einen Stern ausgerichtet und fliegt um die Erde. In dem durch die Erdmasse gekrümmten Raum hat sich die Kreiselachse nach einem Umlauf etwas
verschoben. Diese Verschiebung ist zu messen. In der Praxis dauerte es Jahrzehnte von den ersten Planungen bis zum Start des Satelliten im Jahre 2004.
In dieser Zeit wurden als Kreiseln die perfektesten existierenden Kugeln hergestellt: vier tennisballgroße Kugeln aus Quarzglas, deren Abweichungen von
der Kugelform an allen Punkten der Oberfläche kleiner als 40 Atomdurchmesser sind. Von ähnlicher Größenordnung ist die Massenunwucht (Abweichung
Schwerpunkt–geometrischer Mittelpunkt). Sie drehen sich mit 10 000 U/min in
einer Hochvakuumkammer (dieses Vakuum ist wesentlich reiner als das All in
der Flughöhe des Satelliten) und die spindown time auf halbe Drehzahl durch
Reibung wird auf 20 000 Jahre geschätzt.
Das besondere Interesse an diesem Experiment liegt darin, daß nicht nur der
durch die Erdmasse hervorgerufene Krümmungseffekt (geodetic effect), sondern
auch der Lense-Thirring-Effekt (frame dragging) nachgewiesen werden konnte.
In der ART ist nicht nur die Masse, sondern der gesamte Energie-Impuls-Tensor
(und damit auch der Drehimpuls) die Quelle der Krümmung. Die Raumzeit um
eine rotierende kugelsymmetrische Masse sieht anders aus, als die Raumzeit um
dieselbe Masse ohne Eigenrotation: sie wird von der Drehung der Masse ”leicht
mitgezogen, verdrillt”. Dieser Effekt wurde von Gravity Probe-B bestätigt, wie
Abb. 1.7 illustriert.
1.2.2 Starke Gravitationsfelder
Wesentlich stärkere Gravitationsfelder als in unserem Sonnensystem lassen
sich an Doppelpulsaren studieren. Ein Pulsar ist ein schnell rotierender Neutronenstern von 1-2 Sonnenmassen bei einem Durchmesser von gerade mal
10 km. Doppelsternsysteme aus 2 solchen Objekten haben Umlaufzeiten in der
Größenordnung von einigen Stunden und Bahnradien von der Größenordnung
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Lense-Thirring-Effekt
Abb. 1.7: Gravity Probe-B, Ergebnisse aus2
des Sonnenradius. An solchen Systemen lassen sich verschiedene allgemeinrelativistische Effekte wie Rotverschiebung, Zeitverzögerung von Signalen, Periheldrehung u.a. mit hoher Genauigkeit messen.3
Gravitationswellen
Während an den in den letzten Jahren gebauten Gravitationswellendetektoren
(z.B. GEO600 in Hannover) noch kein direkter Nachweis von Gravitationswellen
gelungen ist, haben auch hier Doppelpulsare zu einem indirekten Nachweis
geführt. Durch die Abstrahlung von Gravitationswellen verliert das System
Energie, der Abstand und die Umlaufzeit sinkt. Dieser Effekt wurde zuerst am
Doppelpulsar PSR1913+16 gemessen. Die Unlaufzeit von etwa 8 Stunden hat in
den letzten 30 Jahren um etwa 40 Sekunden abgenommen und diese Abnahme
entspricht genau den Vorhersagen der ART über den Energieverlust durch die
Abstrahlung von Gravitationswellen, s. Abb. 1.8.
Abb. 1.8: Veränderung der
Umlaufzeit von
PSR1913+16, aus4
Schwarze Löcher
Im Zentrum unserer Galaxie befindet sich eine Sagittarius A ∗ genannte Radioquelle. In letzten Jahrzehnt wurden, z.B. von der Europäischen Südsternwarte
ESO, die Bahnen von Sternen vermessen, die dieses supermassive, nicht selbst
leuchtende Objekt umkreisen. Die Abbildung 1.11 zeigt bekannte Orbits im Umkreis von etwa 10 Lichttagen. Die Sterne, die hier auf engstem Raum kreisen,
arXiv:1106.1198 Die Einheit mas steht für
milliarcseconds. Genauer wäre Millibogensekunden/Jahr.
3 M. Kramer et al., Tests of general relativity from timing the double pulsar,
2 C.M. Will, Finally, results from Gravity Probe-B,
arXiv:astro-ph/0609417
4 J.M. Weisberg und J.H. Taylor, Relativistic Binary Pulsar B1913+16: Thirty Years of Observations
and Analysis, arXiv:astro-ph/0407149
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haben bis zu 20 Sonnenmassen und erreichen Bahngeschwindigkeiten von bis zu
0.02c.
Die Bahnanalysen zeigen, daß sich im Zentrum dieser Bahnen ein Objekt mit
einer Masse von etwa 4,3 Millionen Sonnenmassen befindet, dessen Ausdehnung
kleiner als 6 Lichtstunden ist. Da jede bekannte Materieform mit diesen Daten
innerhalb kurzer Zeit in ein Schwarzes Loch kollabiert, wird heute allgemein
akzeptiert, daß es sich bei Sgr A∗ , dem Zentrum unserer Galaxie, um ein Schwarzes Loch handelt. Schwarze Löcher als Galaxienkerne sind vermutlich eine weit
verbreitete Erscheinung.
1.3 Grenzen der Allgemeinen Relativitätstheorie
Abb. 1.11: Orbits im Umkreis
Die Feldgleichungen der ART liefern Raumzeiten mit Singularitäten: sie sind
geodätisch unvollständig, d.h., die Weltlinien von Teilchen sind an bestimmten
Stellen nicht fortsetzbar, sie enden einfach. In den kosmologischen Modellen
beginnen die Weltlinien von Teilchen an einem singulären Punkt mit unendlicher
Krümmung (Urknall), in schwarzen Löchern enden sie auf ähnliche Weise.
Anfangs dachte man noch, die Singularitäten seien Artefakte der hohen Symmetrien der exakten Lösungen. Ende der 60er Jahren bewiesen Penrose und
Hawking die ersten Singularitätentheoreme. Sie zeigen, daß aus recht allgemeinen Annahmen über den Energie-Impuls-Tensor der Materie und die globale
Struktur der Raumzeit folgt, daß die Lösungen der Einstein-Gleichungen eine
Singularität haben müssen.
Die Singularitäten zeigen eine Grenze des Geltungsbereichs der Theorie auf.
Es wird allgemein angenommen, daß wir eine Quantentheorie der Gravitation
benötigen, um das Problem der Singularitäten angemessen behandeln zu können.
Der Weg zu einer solchen Theorie erweist sich als äußerst schwierig.
Gemäß ART ist die Welt deterministisch, die Grundgleichungen sind nichtlinear und differentialgeometrischer Natur. Gemäß der Quantentheorie gibt es
nichtreduzierbare Zufälle, die Grundgleichungen sind linear und und formuliert
in der Sprache der Operatoralgebren.
Bisher ist noch keine überzeugende Synthese dieser beiden so verschiedenen
Grundpfeiler der heutigen Physik gelungen.
1.4 Literatur
Es gibt zahlreiche Bücher über die Relativitätstheorie. Ich liste hier nur ein paar
Klassiker auf. Sehr originell und mit 1279 Seiten und 2,6 kg Masse (Paperback)
schon vom Umfang beeindruckend ist der „Misner-Thorne-Wheeler“ [1]. Ein
Standardtext ist das Buch von R. Wald [2]. Ich habe Relativitätstheorie aus dem
Landau-Lifschitz [3] und aus dem Buch von Hans Stephani [4] gelernt. Von letzterem gibt es eine erweiterte englische Ausgabe [5]. Als Einführung gefällt mir das
Buch von d’Inverno [6]. Damit bin ich wohl nicht allein, denn es gibt inzwischen
eine deutsche Übersetzung [7]. Der Klassiker zur Differentialgeometrie Lorentzscher Mannigfaltigkeiten ist [8], der Klassiker zu Singularitätentheoremen
ist [9].
[1] Ch.W. Misner, K.S. Thorne, J.A. Wheeler, Gravitation, San Francisco 1973
[2] R.M. Wald, General Relativity, University of Chicago Press 1984
5 S. Gillessen et al., Monitoring stellar orbits around the Massive Black Hole in the Galactic Center,
arXiv:0810.4674
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von 10 Lichttagen
um Sgr A∗ , aus5
[3] L.D. Landau, J.M. Lifschitz, Lehrbuch der Theoretischen Physik Bd.2:
Klassische Feldtheorie, Akademie-Verlag Berlin 1973
[4] H. Stephani, Allgemeine Relativitätstheorie, VEB Deutscher Verlag der
Wissenschaften 1977
[5] H. Stephani, Relativity, 3. Auflage, Cambridge University Press 2004
[6] Ray d’Inverno, Introducing Einstein’s Relativity, Oxford University Press
1992
[7] Ray d’Inverno, Einführung in die Relativitätstheorie, Wiley-VCH 2009
[8] B. O’Neill, Semi-Riemannian Geometry with Applications to Relativity,
Academic Press 1983
[9] S.W. Hawking, G.F.R. Ellis, The Large-Scale Structure of Space-Time,
Cambridge University Press 1973
Man findet natürlich auch im Internet viel Material. Allein
http://www.physik-skripte.de/ listet unter „Relativität und Kosmologie“
mehr als 25 Skripte auf. Vor allem sei hingewiesen auf:
• die Vorlesungsskripte von Christian Bär zu Differentialgeometrie (2006),
Lorentzgeometrie (2004) und Relativitätstheorie (2006):
http://geometrie.math.uni-potsdam.de/index.php/de/lehre/lehrmaterialien
• das Skript „Advanced General Relativity“ von Sergei Winitzki:
http://sites.google.com/site/winitzki/index/topics-in-general-relativity
• beim MAGIC (Mathematics Access Grid: Instruction and Collaboration)
Project mehrerer britischer Universitäten gibt es Skripte zu vielen Teilgebieten der Mathematik, darunter auch zur Differentialgeometrie:
http://maths.dept.shef.ac.uk/magic/courses.php
• Material zum aktuellen Stand der Forschung auf dem Gebiet der Allgemeinen Relativitätstheorie findet man hier:
http://relativity.livingreviews.org/Articles/subject.html
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