Die Tür zur Nanowelt - Swiss Nanoscience Institute

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FORSCHUNG UND TECHNIK
Mittwoch, 9.August 2006 Nr. 182
7
Silizium 7x7 (111)
Aufgenommene Kurven
Kartonmodell
Computer-bearbeitetes Bild
NZZ
Eine der ersten Rastertunnelmikroskop-Aufnahmen zeigt einzelne Atome einer Siliziumoberfläche (links). Das Rasterkraftmikroskop ermöglicht auch die Abbildung von biologischen Proben. Im Bild (Mitte) in
Reihen angeordnete Rhodopsin-Moleküle aus der Netzhaut einer Maus. Mit dem Rastertunnelmikroskop kann man Xenonatome gezielt auf einer Nickeloberfläche placieren (rechts). BILDER IBM / UNIVERSITÄT BASEL / IBM
Die Tür zur Nanowelt
Erfindung des Rastertunnelmikroskops vor 25 und des Rasterkraftmikroskops vor 20 Jahren
Mit dem Rastertunnelmikroskop stiessen
Heinrich Rohrer und Gerd Binnig vor 25
Jahren die Tür zur Nanowelt auf. Dieses
Jubiläum wurde vergangene Woche in
Basel mit einer Konferenz gewürdigt.
Eigentlich suchten Gerd Binnig und Heinrich
Rohrer vom IBM-Forschungslabor in Rüschlikon
bloss nach einem geeigneten Instrument, um Unregelmässigkeiten in dünnen Oxidschichten auf
Metalloberflächen zu studieren. Und weil sie keines fanden, beschlossen sie, kurzerhand selbst
eines zu bauen. Dies gipfelte 1981 in einem Gerät,
mit dem man sogar einzelne Atome sichtbar
machen kann – dem Rastertunnelmikroskop. Damit war der Grundstein für die Erforschung von
Strukturen im Nanometerbereich gelegt. Schon
1986 wurden die beiden Wissenschafter mit dem
Nobelpreis für Physik belohnt; im selben Jahr
entstand auch das konzeptionell ähnliche Rasterkraftmikroskop. Zur Feier dieser Jubiläen fand
vergangene Woche in Basel eine grosse internationale Konferenz zu Nanowissenschaften und
-technologie statt, begleitet von einer Fachmesse
und einer Ausstellung für die Öffentlichkeit.
Eine experimentelle Meisterleistung
Das Grundkonzept des Rastertunnelmikroskops
ist einfach: Eine sehr scharfe Spitze rastert die
Oberfläche eines Materials Zeile für Zeile ab,
ähnlich wie die Nadel eines Plattenspielers. Der
Abstand zwischen Spitze und Probe ist dabei so
gering, dass die Elektronenwolken der Atome
sich berühren. Liegt zwischen der Probe und der
Spitze eine geringe elektrische Spannung an, so
können Elektronen aus den Atomen an der
Oberfläche der Probe aufgrund quantenmechanischer Gesetzmässigkeiten in die Spitze «tunneln».
Es fliesst ein schwacher, aber messbarer Strom,
der umso grösser ist, je näher die Spitze der Oberfläche kommt.
Meist wird das Mikroskop so betrieben, dass
die Distanz zwischen Oberfläche und Spitze konstant gehalten wird. Diese zeichnet auf ihrem
Weg die Topographie der Probenoberfläche
nach. Aus den einzelnen Linien kann man dann
ein dreidimensionales Bild von der Oberfläche
zusammensetzen. Was im Prinzip simpel klingt,
ist experimentell äusserst anspruchsvoll. Schon
kleinste Vibrationen können die Messung empfindlich stören. Eine der Hauptaufgaben von Binnig, Rohrer und ihrem Mitarbeiter Christoph
Gerber war es deshalb, das Instrument vor Erschütterungen zu schützen. Zudem entwickelten
und erprobten sie für die genaue Positionierung
der Spitze eine Steuerung aus Piezokeramik und
verbesserten die Form und Schärfe der Spitze
mehrfach. Schon 1981 gelang es ihnen, erste topographische Bilder aufzuzeichnen.
Erst mit der Darstellung der Oberfläche von
Silizium entlang einer bestimmten KristallgitterRichtung (von den Fachleuten 7×7 Si[111] genannt) im Jahr 1982 liessen sich aber auch die
skeptischen Kollegen von der Kraft des neuen
Mikroskops überzeugen (siehe Bild). Die Messung stimmte nämlich sehr gut mit der theoretischen Vorhersage überein. Um das Resultat auch
dreidimensional erfassbar zumachen, bastelten
die IBM-Forscher mit Schere, Nägeln und Karton
ein Reliefmodell. Dieses erhielt an einem Fachkongress den Preis für die beste Gestaltung – eine
humoristische Geste der Veranstalter. Die Resul-
INHALT
Forschung und Technik
9
Weiterer Versuch zur Entsorgung von CO2
9
Junge Weibchen wichtig für Orca-«Netzwerke» 9
Hinweise auf Weisswein im alten Ägypten
Verantwortlich für «Forschung und Technik»:
Redaktion Wissenschaft
redaktion.wissenschaftnzz.ch
tate aus Rüschlikon aber wurden ernst genommen. Und der Nobelpreis folgte auf dem Fuss.
Biologische Proben sichtbar machen
Was den Durchbruch des Rastertunnelmikroskops unterstützte, war laut Gerber die parallele
Entwicklung des Computers, mit dem sich die
Messungen zu gut interpretierbaren Bildern verarbeiteten liessen. Rasch sprangen nun viele
andere Forscher auf den «RastermikroskopieZug» auf. Binnig, Gerber und ihrem Kollegen
Calvin Quate von der Stanford University in Kalifornien gelang es schon 1986, ein weiteres, ähnliches Mikroskop zu entwickeln, das Rasterkraftmikroskop. Dieses misst nicht den Tunnelstrom,
sondern die Kraft zwischen Spitze und Probe.
Weil kein Strom fliessen muss, eignet sich das
Mikroskop auch für die Abbildung von elektrisch
isolierenden Materialien. Auch Kunststoffe und
biologische Proben – wie etwa Ensembles von
Lichtrezeptor-Molekülen aus der Netzhaut von
Mäusen (siehe Bild) – können so sichtbar gemacht werden.
Seither werden die Rastermikroskope stetig
verfeinert, das zeigte auch die grosse Auswahl an
Modellen an der Fachmesse in Basel. So kann
man heute zum Beispiel einzelnen Molekülen bei
ihrer Bewegung zuzuschauen, was Flemming
Besenbacher von der Universität Aarhus an der
Konferenz durch «Filme» von Wassermolekülen
auf einer Titandioxid-Oberfläche demonstrierte.
Und auch die Auflösung konnte für Rastertunnelmikroskope in vertikaler Richtung auf bis zu 0,01
Nanometer gesteigert werden. Leider aber, so
sagte Quate in Basel, sei ein Mikroskop, das hohe
Auflösung und Schnelligkeit vereine, noch nicht
erfunden. Daran gelte es zu arbeiten. Hans-Joachim Güntherodt von der Universität Basel
schwebt zudem ein Mikroskop vor, das die Probe
mit mehreren Spitzen simultan von allen Seiten
abtastet und so eine Rundum-Ansicht gewährt.
Hanna Wick
Schaltende Moleküle für
die Elektronik der Zukunft
Die Erfindung des Rastertunnelmikroskops war
für die Nanowissenschaften nicht nur deshalb von
Bedeutung, weil damit kleinste Strukturen sichtbar gemacht werden können, sondern auch, weil
man diese damit gezielt manipulieren kann. Erstmals gelang dies dem Amerikaner Don Eigler im
Jahr 1990: Er placierte einzelne Xenonatome auf
einer Nickeloberfläche und formte daraus die
Zeichen «IBM», eine Hommage an seinen Arbeitgeber, das IBM-Forschungslabor Almaden in
San José, Kalifornien (siehe Bild). Damit rückte
die Konstruktion von Nanostrukturen in den Bereich des Möglichen. Bald war die Rede von elektrischen Schaltkreisen aus einzelnen Atomen,
tausendmal kleiner als die Siliziumbauteile in
heutigen Computern. Doch diese hohen Erwartungen haben sich bisher nicht erfüllt. Eine kommerziell nutzbare Technologie dieser Art, so
sagte Eigler in Basel, sei noch lange nicht in Sicht.
Zu langsam sei die präzise Positionierung der
Atome, zu sauber müssten die verwendeten
Oberflächen sein.
Fortschritte in der Grundlagenforschung
«Machbarkeit ist nicht mehr die zentrale Frage»
Im Gespräch mit dem Schweizer Nobelpreisträger Heinrich Rohrer
Heinrich Rohrer wurde 1986 gemeinsam
mit Gerd Binnig für die Erfindung des
Rastertunnelmikroskops mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Die NZZ hat den
73-jährigen «Vater der Nanotechnologie»
am Rande einer internationalen Konferenz in Basel zum Gespräch getroffen.
Die Entwicklung des Rastertunnelmikroskops und
die Sichtbarmachung von einzelnen Atomen wurden von vielen Ihrer Kollegen als unmöglich betrachtet. Waren Sie selbst schon zu Beginn überzeugt, dass es klappen würde?
Heinrich Rohrer: Wenn wir nur eine 50-prozentige Erfolgschance gesehen hätten, hätten wir
gar nicht mit der Entwicklung des Rastertunnelmikroskops angefangen. Wir sahen keine Probleme, die grundsätzlich nicht lösbar gewesen
wären. Die grösste Hürde mentaler Art war, dass
sich noch nie jemand daran gewagt hatte.
Mit welchem Resultat gelang es Ihnen schliesslich,
Ihre skeptischen Kollegen zu überzeugen?
Auf einer breiteren Basis war das die Darstellung der 7×7-Struktur von Silizium (siehe Bild).
Sie ist bis heute eines meiner Lieblingsbilder. Gedruckt auf Aluminiumpapier, ergab sie ein zauberhaftes Muster. Wir dachten damals sogar daran, ob man das nicht als Stoffmuster brauchen
könnte. Die Mitarbeiterinnen in unserem Labor
sind dann aber nicht darauf eingestiegen. Und so
haben wir es leider bleiben lassen.
Ahnten Sie damals, dass Ihnen dieses Bild einen
Nobelpreis einbringen würde?
Nein, so weit dachte ich gar nicht, obwohl das
Wort Nobelpreis schon sehr früh fiel. Als ich
Gerd 1981 auf eine Tieftemperatur-Konferenz in
Kalifornien schickte, kam am Schluss von seinem
Vortrag der Chairman zu ihm und sagte: «Herr
Binnig, ich gratuliere Ihnen, das gibt sicher einen
Nobelpreis.» Ich denke, ein Nobelpreis ergibt sich
einfach. Ihn sich als Ziel zu setzen, ist verkehrt.
Hätten Sie gedacht, dass die Nanowissenschaften
mit Ihrer Erfindung so ins Rollen kommen?
Nein, nicht in dem Mass. Dass man mit dem
Rastertunnelmikroskop kleinste Strukturen nicht
nur abbilden, sondern auch manipulieren kann,
war uns aber schon früh bewusst.
In Ihrem Vortrag zu Beginn der Konferenz hier in
Basel haben Sie gesagt, dass in der Forschung
einige Paradigmenwechsel nötig sind, damit die
Nanotechnologie so revolutionär sein kann, wie
man es sich erhofft. Was meinen Sie damit?
Eine Revolution ist nicht einfach nur eine ausgefeiltere Fortführung von dem, was es schon
gibt. Es braucht einen Bruch mit der Vergangen-
Zur Person
H. W. Heinrich Rohrer wurde 1933 in Buchs, St. Gallen,
geboren. Nach der Ausbildung bei so berühmten
Wissenschaftern wie Wolfgang Pauli und Paul Scherrer an der ETH Zürich begann er 1955 eine Doktorarbeit im Gebiet der Supraleitung. Ans neugegründete
EPA
IBM-Forschungslabor
in
Rüschlikon wurde Rohrer 1963 berufen. Im Jahr
1978 kam auch der damals 31-jährige Gerd Binnig nach Rüschlikon; gemeinsam entwickelten
sie darauf das Rastertunnelmikroskop.
heit. Das ist eigentlich das A und O der Wissenschaft. Was also wären die Paradigmenwechsel in
der Nanowissenschaft und -technik? Einige ergeben sich aus den Möglichkeiten, die die Nanoskala offeriert, denn viele Materialeigenschaften,
Prozesse und Gesetze ändern sich grundlegend,
wenn man in sehr kleine Dimensionen vordringt.
Andere betreffen neue Betrachtungsweisen. Das
Atom beispielsweise wird dann zum Individuum,
das man gezielt adressieren kann. Oder Nanosysteme, Schaltkreise eingeschlossen, können aus
komplexen Molekülen ganz anders aufgebaut
werden, als es mit den heutigen Miniaturisierungsverfahren geschieht.
War Ihr Vortrag ein Aufruf an Ihre Kollegen?
Ja, ich wollte einige grundlegende Aspekte
aufbringen. Denn wenn man schon von Nanorevolution redet, dann muss man sich auch überlegen, was es dazu braucht. Man hört heute zum
Beispiel viel von elektronischen Schaltkreisen aus
Kohlenstoff-Nanoröhren. Deren Leitfähigkeit ist
zwar sehr gut, doch das ist irrelevant, wenn man
keinen guten Kontakt zu anderen elektronischen
Komponenten herstellen kann und diese elektrischen Schaltkreise nicht praktisch und schnell fertigen kann. Ich will die Forscher stimulieren, das,
was sie tun, im Kontext zu sehen.
Besteht Ihrer Meinung nach die Gefahr, dass die
Nanotechnologie die in sie gesetzten hohen Erwartungen enttäuscht?
Von allem, was man von der Nanotechnologie
erwartet, kann ich guten Gewissens sagen, dass es
das einmal geben könnte. Ich sehe da keine generellen Hürden. Heute ist die Machbarkeit nicht
mehr die zentrale Frage. Die zentralen Fragen
sind: Wollen wir diese Entwicklungen machen,
müssen wir sie machen, und können wir es uns
leisten – nicht nur aus finanziellen Gründen?
Interview: H. W.
Um rasch elektrische Schaltkreise von hoher
Komplexität aufzubauen, versucht man deshalb
auch, Moleküle zu nutzen, die sich selbst organisieren können. An der Konferenz in Basel, zu der
sich vergangene Woche das Who's who der Nanowissenschaften versammelte, wurden in diesem
Gebiet unzählige interessante Fortschritte vorgestellt, etwa zu schaltbaren Molekülen. So präsentierte James Heath vom California Institute of
Technology in Pasadena einen Datenspeicher,
der auf einem schaltbaren Molekül namens Rotaxan basiert. Dieses Molekül, das Heath schon seit
einigen Jahren erforscht, nimmt je nach angelegter Spannung zwei unterschiedliche Zustände –
«an» und «aus» – ein. Sie entsprechen den für die
Datenspeicherung nötigen Zuständen «0» und
«1» und repräsentieren ein Bit.
Bei der Herstellung des Datenspeichers wird
ein Film aus Rotaxan zwischen einer Lage aus
hauchdünnen metallischen Drähten einerseits
und Drähten aus dem Halbleitermaterial Silizium
andererseits angeordnet. Die für den Schaltkreis
nötigen Strukturen werden schliesslich in das
Drahtgitter hineingeätzt. So sei es gelungen,
einen Speicher von 160 000 Bits mit einer BitDichte von 1011 Bits pro Quadratzentimeter zu
bauen, sagte Heath in Basel – seines Wissens sei
dies der bisher dichteste Datenspeicher überhaupt. Unter Forschern besteht allerdings Uneinigkeit darüber, ob tatsächlich das Rotaxan für
die Schaltung verantwortlich ist. Die Interaktion
der Moleküle mit den Elektroden, das heisst den
Drähten, ist nämlich grösstenteils noch unverstanden. Bekannt ist aber, dass die Schaltung,
wenn man anstelle von Siliziumdrähten ebenfalls
metallische Drähte einsetzt, dadurch zustande
kommen kann, dass die Metallatome auf unkontrollierbare Weise dünne Filamente bilden und so
die Lücke zwischen den Elektroden schliessen.
Ein einzelnes Molekül auf dem Prüfstand
Bei der Untersuchung eines anderen schaltbaren
organischen Moleküls wollten Heike Riel und
Emanuel Lörtscher vom IBM-Forschungslabor in
Rüschlikon sichergehen, dass tatsächlich das Molekül für das Schalten verantwortlich ist. Dank
einer ausgeklügelten Versuchsanordnung gelang
es ihnen, jeweils nur ein einziges Molekül zwischen zwei etwa einen Nanometer voneinander
entfernte Goldspitzen zu bringen. Dann legten sie
an die Spitzen eine Spannung an und massen den
Strom, der durch das Molekül floss. Bei einer
Spannung von 1,6 Volt leitete das Molekül plötzlich viel mehr Strom: Es hatte vom «Aus»- in den
«An»-Zustand gewechselt. Legten die Forscher
eine Spannung von –1,6 Volt an, so sprang das
Molekül wieder in den «Aus»-Zustand zurück.
Dies konnte bis zu 500 Mal wiederholt werden.
Befand sich ein strukturell sehr ähnliches, aber
nicht schaltbares Referenzmolekül zwischen den
Spitzen, war keine Zustandsänderung zu beobachten. Für das gemessene Schalten, so sagte Riel
in Basel, sei also tatsächlich das schaltbare Molekül verantwortlich.
Hanna Wick
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