Die Zusammenarbeit von Marine und Heer während des Ersten

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53. Historisch-Taktische Tagung der Flotte 2013
“Joint und Combined – Die Marine im TSK–gemeinsamen und
multinationalen Umfeld“
- Vortrag 1 -
Die Zusammenarbeit von Marine und
Heer während des Ersten Weltkrieges
Kai Sabrowsky
Oberleutnant zur See
IBEO MJ-Boot Homburg
3. Minensuchgeschwader
Gliederung
1.
2.
3.
4.
5.
Einleitung und Fragestellung
1.1 Vorgehen
1.2 Begriffsdefinition
Hauptteil
2.1 Die gegenseitige Disposition am Vorabend des Ersten
Weltkrieges
2.2 An der Seite des Heeres: Die Marine in Flandern 1914-1918
2.3 Anatomie eines Abwehrkampfes im Bündnis: Gallipoli 1915
2.4 Jointness par excellence: Operation „Albion“ 1917
Getrennt schlagen – gemeinsam verlieren
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
2
1.
Einleitung und Fragestellung
Herr Admiral, meine Damen, meine Herren,
Im Oktober 1917 eroberten Kaiserliche Marine und deutsches Heer im Verbund die
Baltischen Inseln. Dieses als Operation „Albion“ bezeichnete Unternehmen stellte den
qualitativen Höhepunkt teilstreitkraftgemeinsamer Zusammenarbeit während des 1.
Weltkrieges dar und erfreut sich in der Fachliteratur durchweg positiver Rezensionen.1
Die Durchführung und das Ergebnis des Unternehmens werfen die Frage auf, ob jedes
teilstreitkraftgemeinsames Agieren während des 1. Weltkrieges derart stringent
durchgeführt wurde und einer nachhaltig geplanten strategischen Linie folgte. Im Rahmen
des Vortrages werde ich darlegen:
a) wie sich das gemeinsame Handeln von Marine und Heer praktisch darstellte,
b) ob sich dieses unter dem heutigen Verständnis von „joint“ subsumieren lässt und
c) wie selbiges zu bewerten sein kann.
Dem geistigen Rahmen der Veranstaltung folgend soll ebenfalls das multinationale
Engagement kaiserlicher Streitkräfte beleuchtet werden.
1.1
Vorgehen
Um alle drei Fragestellungen repräsentativ und in der gebotenen Tiefe beantworten zu
können, habe ich folgende Schwerpunkte ausgewählt: Zuerst beschreibe ich das
Verhältnis zwischen Marine und Heer am Vorabend des Krieges, damit ersichtlich wird,
wie es um das Fundament jedweder Zusammenarbeit bestellt war. Es folgt die
Betrachtung des Einsatzes des Marinekorps Flandern, die Abwehr der alliierten Landung
bei Gallipoli sowie die als Operation „Albion“ bezeichnete Eroberung der Baltischen
Inseln. Das Ende meines Vortrages bildet die zusammengefasste Bewertung der
ausgewählten Beispiele nach den „Principles of Joint and Multinational Command“ aus
der Allied Joint Doctrine.
1.2
Begriffsdefinition
Um bei der analytischen Rekonstruktion der Ereignisse mit einem validen Instrument zu
arbeiten, müssen zunächst die zentralen Begrifflichkeiten „joint“ und „combined“
verbindlich formuliert werden. Den definitorischen Maßstab bildet hierbei die NatoVorschrift AJP-01 (D), die Allied Joint Doctrine, vom Dezember 2010. Diese Vorschrift
versteht „joint“ als „Adjective used to describe activities, operations, organisations in
which elements of at least two services participate“.2 Die Definition von „combined“
3
weicht sprachlich nur insofern ab, als dass sie lediglich „services“ durch „nations“
ersetzt.3 Schon jetzt lässt sich erkennen, dass beide Begriffe ein immenses Spektrum an
positiven Befunden abdecken, ohne jedoch eine Indikation auf deren erfolgreiche
Umsetzung oder Qualität zuzulassen.
Der Maßstab, einen Befund bewerten zu können, findet sich im Abschnitt über die
Prinzipien des teilstreitkraftgemeinsamen und multinationalen Kommandos dergleichen
Vorschrift.4 Als essentielles Prinzip wird die Einheitlichkeit des Kommandos, d.h. die
Unterstellung aller Kräfte im Operationsgebiet unter einen Befehlshaber, genannt.
Daneben soll die Kontinuität des Kommandos, sprich der Verbleib eines Befehlshabers
über den Verlauf einer Operation, sichergestellt sein. Eine unmissverständliche Hierarchie
soll ebenso gegeben sein, wie die Einbindung aller verfügbaren Fähigkeiten. Die
Gesamtverantwortung bleibt unteilbar, allerdings kann die Erfüllung von Teilaufgaben
und die damit verbundene Befehlsbefugnis delegiert werden. Gerade das letztgenannte
Prinzip nähert sich dem deutschen Verständnis der Auftragstaktik merklich an.
2. Hauptteil
2.1 Die gegenseitige Disposition am Vorabend des Ersten
Weltkrieges
Wie stellte sich nun im Juli 1914, am Vorabend des Ersten Weltkrieges, die gegenseitige
Wahrnehmung von Heer und Marine dar? Wie war es damit um das Fundament der
Zusammenarbeit im kommenden Krieg bestellt?
Das preußisch-deutsche Heer startete als unbestrittener erster Waffenträger und
Instrument der Einigung in das zweite Reich.5 Die Mittelzuweisungen im Haushalt sowie
der Stand des Offizierskorps innerhalb der Gesellschaft waren unangefochten. Mit der
Thronbesteigung Wilhelms II. bahnte sich ein Wandel an. Des Kaisers liebstes Kind - die
Marine - entwickelte sich zu einem unangenehmen Konkurrenten bei der Mittelvergabe
und das Heer ab 1899/1900 zum Opfer dieser Entwicklung.6 Das Heer konnte seine
Vorrangstellung in der Budgetvergabe erst 1907/08 wiedererringen.7 Gesellschaftlich
strebte das Seeoffizierskorps ein Aufrücken in die Spitzenposition an, welche Offiziere
des Heeres bereits inne hatten. In diesem Zug wurden Umgangsformen und Lebensart
kopiert.8 Der Austausch zwischen den Offizierskorps war in keiner Form forciert worden,
von sporadischen Kontakten am kaiserlichen Hof und später im Großen Hauptquartier
abgesehen. Der gegenseitige Umgang blieb bei Einhaltung gültiger Höflichkeitsformen
distanziert. Das Heer schickte vor Kriegsbeginn einige Offiziere für kurze
Ausbildungsfahrten auf Einheiten der Flotte. Deren Folgen blieben für das gegenseitige
Verständnis jedoch von untergeordneter Bedeutung.9 Auch aus der Niederschlagung des
„Boxeraufstandes“10 1900/01 waren keine Lehren für teilstreitkraftgemeinsames Handeln
abgeleitet worden. Wirkte die Marine bei der Verteidigung des internationalen
Gesandtschaftsviertels und der Eroberung der Dagu-Forts allein, wurde sie im Fortgang
4
der Ereignisse zu einem reinen Dienstleister für Transport und das Etablieren einer
maritimen Drohkulisse degradiert. Auf multinationaler Ebene stellten die Kolonialmächte
die Zusammenarbeit nach dem Erreichen des kleinsten gemeinsamen Nenners wieder ein.
Was die Planung für den 1914 begonnenen Waffengang mit der Entente angeht, vollzogen
beide Teilstreitkräfte diese getrennt voneinander in einer Art und Weise, die die
Feststellung erlaubt, dass es keinerlei Abstimmung gab. Auch der Historiker Hubatsch
kommt zu folgendem Schluss: „Zwar ist in der Zusammenziehung der Hochseeflotte in
der Nordsee eine Entsprechung zu dem Aufmarsch des Heeres zu sehen […]. Jedoch
wurden die Unternehmungen von Heer und Flotte nicht aufeinander abgestimmt.“11 Die
Oberste Heeresleitung hatte sich zur Auflösung des Zwei-Fronten-Dilemmas geistig
hinter dem Schlieffenplan verbarrikadiert. Diese ultimative strategische Wette sah
keinerlei Teilhabe der Marine vor. Das Gegenteil war der Fall: Einem möglichen Einsatz
der Marine, um die Anlandung des britischen Expeditionskorps in Frankreich zu stören,
trat General Moltke d.J. entgegen.12 Andererseits hoffte der Architekt der kaiserlichen
Marine, Großadmiral Tirpitz, die Royal Navy würde eine Nahblockade in der deutschen
Bucht durchführen. So könnte der Feind durch den Ansatz von U-Booten, Minenträgern
und Ausfälle schwerer Einheiten geschwächt werden. Nach dem Herstellen eines
akzeptablen Kräfteverhältnisses könnte die Entscheidungsschlacht gesucht werden. Eine
Verbindung zur Landkriegsführung wurde nicht hergestellt. Die defensive Haltung lag in
der numerischen Überlegenheit der Royal Navy begründet, ebenso „erwartete [man]
zuversichtlich einen entscheidenden Sieg der Armee und glaubte ganz allgemein, der
Krieg werde nicht so lange dauern, daß man sich einer Blockade wegen den Kopf zu
zerbrechen brauchte.“13
Die Betrachtung des gegenseitigen Verhältnisses von Heer und Marine legt zu diesem
Zeitpunkt den Schluss nahe, dass ein Fundament für gemeinsame Kriegsanstrengungen
auf strategischer Ebene nicht existierte. Jede Teilstreitkraft begann den Krieg mit einer
eigenen Konzeption. Deren Scheitern war beiderseits mit dem Etablieren der britischen
Fernblockade und der Schlacht an der Marne besiegelt. Ab September 1914 wurden Heer
und Marine zu Werkzeugen einer 50-monatigen Improvisation. Gleichwohl eröffnete die
Anpassung die Gelegenheiten zur Kooperation, die die fehlende planerische Basis vor
Kriegsbeginn nicht hätte annehmen lassen.
2.2
An der Seite des Heeres: Die Marine in Flandern 1914-1918
Vor dem Hintergrund der Offensive im Westen fiel der Großteil Belgiens 1914 unter
deutsche Kontrolle. Damit wurde ein Stück Küstenlinie genommen, welches für die
Marine als Operationsbasis gegen die britischen Inseln genutzt werden konnte.
Gleichzeitig entstand die Notwendigkeit, die seeseitige Flanke des Westheeres zu
schützen.
5
Auf Initiative Großadmiral Tirpitz' wurde ein improvisierter Marineverband („mobile
Marineinfanteriebrigade“) zusammengestellt und zunächst in den Raum nördlich von
Brüssel verlegt. In den Verband wurden Infanterie-, Küsten- und Feldartillerie-,
Luftschiff-, Land- und Seefliegereinheiten integriert. Da Personal von Matrosen- und
Werftdivisionen gestellt wurde, war weder ein einheitlicher Ausbildungsstand, noch ein
uniformes Auftreten gegeben.14 Am 29. August wurde per kaiserlicher Kabinettsorder
Admiral Ludwig von Schröder, der zukünftige „Löwe von Flandern“, zum Kommandeur
der Marineverbände in Flandern ernannt. Diese bezogen ab Oktober die Küstenstellungen
an der Nordsee und drängten die zurückweichende belgische Armee nach Westen ab. Im
November wurden offiziell die I. und II. Marinedivision aufgestellt, welche 1917 durch
eine III. ergänzt wurden. Jede Division verfügte über 20.000 Mann. Kontingente dieser
Verbände kämpften bei Ypern und an der Somme. Während der Frühjahrsoffensive 1918
war schwerpunktmäßig die III. Marinedivision eingesetzt worden, die aufgrund der
erlittenen Verluste für weitere Fronteinsätze ausfiel.
Das Marinekorps Flandern baute in seinem Verantwortungsbereich eine einmalige
militärische Infrastruktur auf. Der Küstenstreifen wurde mit Bunkern, Artillerie,
Stacheldraht und Laufgräben ausgestattet. Bei Brügge entstand ein Binnenhafen,
innerhalb dessen Trockendocks, Kaimauern und U-Bootbunker eingerichtet wurden.
Hinzu kamen Hebekräne, Werkstätten und betonierte Unterstände zum Schutz vor
Luftangriffen.15 Die Schaffung dieser Infrastruktur diente allein dazu, die Basis zur
Seekriegsführung gegen Großbritannien zu verbreitern, was gerade in Bezug auf die
Stationierung von U-Booten als gelungen betrachtet werden kann.16 Die Luftstreitkräfte
des Marinekorps deckten ein breites Spektrum ab. Sie flogen Jagdeinsätze,
Artillerieaufklärung sowie Bombenangriffe auf Dover, Harwich, Boulogne und
Dünkirchen.17 Das Marinekorps Flandern war der 4. Armee und damit der Heeresgruppe
Rupprechts von Bayern unterstellt. Unternehmen an der Küste oder auf See unterlagen
jedoch nicht der Zustimmung durch das Heer. Während des Krieges nahm die Oberste
Heeresleitung nur einmal persönlich Notiz von der Marine im Feld. Generalfeldmarschall
von Hindenburg suchte 1917 Brügge auf, wo das Kommando des Marinekorps ansässig
war.18
Die zu Beginn eingeführte Definition von „joint“ trifft im Fall Flanderns voll und ganz
zu. Da die Divisionen des Korps in die Organisation des Westheeres eingebettet waren,
gab es weder Unklarheiten über die Befehlshierarchie, Verantwortlichkeiten oder
Befugnisse am Frontabschnitt. Admiral von Schröder verkörperte über den gesamten
Kriegsverlauf das Element der Kontinuität im Kommando. Das improvisierte
Zusammenwirken brachte für beide Teilstreitkräfte Synergieeffekte hervor. Die Marine
hatte durch den Vorstoß des Heeres eine vielversprechende Operationsbasis gegen die
Britischen Inseln sowie den englischen Kanal gewonnen. Das Heer konnte sich von den
Sicherungsaufgaben an der belgischen Küste zurückziehen und profitierte von frei
gewordenen personellen wie materiellen Mitteln. Die Expertise der Marine für
Küstenartillerie- und Befestigungen kam aufgrund der Erfordernisse vor Ort besonders
6
zum Tragen.
Obwohl das Ringen an der Westfront den Fokus deutscher Kriegsanstrengungen
ausmachte, forderten auch vermeintliche Nebenkriegsschauplätze
Kooperationsbemühungen unter den Mittelmächten, die sowohl multinational, als auch
teilstreitkraftgemeinsam sein sollten.
2.3
Anatomie eines Abwehrkampfes im Bündnis: Gallipoli 1915
Die Geschichte der alliierten Landung bei Gallipoli 1915 ist untrennbar verbunden mit
der deutschen Militärhilfe für den „kranken Mann am Bosporus“, dem Osmanischen
Reich. Die Anfänge lassen sich bis zur Entsendung preußischer Offiziere im 18.
Jahrhundert zurückverfolgen. Das deutsche Heer genoss im ausgehenden 19. Jahrhundert
auch hier aufgrund der erfolgreich geschlagenen Reichseinigungskriege eine
hervorragende Reputation. Neben dem Deutschen Reich war ebenso Großbritannien
vertreten, das eine Marinemission unterhielt, die für die Verteidigungsanlagen der
Meerenge verantwortlich war.19
Im Dezember 1913 machte sich erneut eine Militärmission aus Berlin auf den Weg nach
Istanbul. Ihre Führung oblag Generalleutnant Liman von Sanders, über den ein
Zeitgenosse urteilte, er sei „in der deutschen Armee bekannt genug, um die besten
abzuschrecken, unter ihm zu dienen.“20 Obwohl dieser im eigenen und osmanischen
Lager stets umstritten blieb, stieg er nach wenigen Wochen vom Führer eines Armeekorps
zum Generalinspekteur der osmanischen Armee auf. Der nach deutschem Verständnis
alarmierende Stand der Küstenbefestigungen der Dardanellen wurde kurz nach Eintreffen
der Militärmission erkannt und angegangen noch bevor die britische Militärmission das
Land verlassen hatte. Neben der Militärmission unter von Sanders wirkten im
Osmanischen Reich zwei weitere Elemente deutscher Militärhilfe, die Mittelmeerdivision
sowie das Sonderkommando Türkei.
Die Mittelmeerdivision unter Vizeadmiral Souchon, bestehend aus dem Schlachtkreuzer
„Goeben“ und dem leichten Kreuzer „Breslau“, hatte nach Eröffnung der
Feindseligkeiten die algerischen Häfen Bône und Philippeville beschossen, um den
Transport französischer Truppen an die Westfront zu verzögern.21 Anschließend war sie in
politischem Auftrag in Richtung Istanbul gelaufen, um durch ihre Präsenz das
Osmanische Reich zum Kriegseintritt auf Seiten der Mittelmächte zu bewegen. Dort
angekommen, wurden die Einheiten Souchons offiziell verkauft und griffen mit
deutschen Besatzungen unter osmanischer Flagge russische Schwarzmeerhäfen an. Sie
taten dies, bevor die Feindseligkeit zwischen Russland und dem Osmanischen Reich
eröffnet worden waren. Der Kriegseintritt des Osmanischen Reiches auf Seiten
Deutschlands und Österreich-Ungarns erfolgte schließlich im November 1914.
Auf der Flucht der Mittelmeerdivision Richtung Osten entstand ungewollt, durch ein
Telegramm Admiral Souchons nach Berlin, das Sonderkommando Türkei, welches neben
7
der Militärmission und der Mittelmeerdivision zum dritten Spieler vor Ort wurde. Geführt
von Admiral von Usedom war sein Zuständigkeitsbereich die Befestigungsanlagen der
Meerenge Die kaiserliche Marine entsandte zu ihrer Verstärkung weitere Seeoffiziere,
Geschützführer, Entfernungsmesser, Minenschlosser, Torpedotechniker, Rohrmeister,
Signalgasten, Ingenieure, Depotbeamte, einen Schiffbaumeister sowie einen Vorrat von
200 Minen.22 Das Verhältnis zwischen den Admirälen Souchon und von Usedom
gestaltete sich keineswegs spannungsfrei. Souchon merkte an: ,,Ich bin dort [dem
Stationsschiff „General“] immer mit v. Usedom zusammen, der viel schwatzt und mit
dem Kabinettschef korrespondiert, redlich indiskret ist und sich, da er nur sehr wenig zu
tun hat, um Sachen kümmert, die ihn nichts angehen.“23 In der Verteidigung der
Dardanellen gegen die Entente wirkten folglich drei Spieler mit, die nicht ausschließlich
zusammen, sondern vielmehr nebeneinander wirkten. Sowohl Souchon, als auch von
Usedom konnten das Immediatrecht in Anspruch nehmen und sich zur Berichterstattung oder das, was sie dafür hielten- direkt an den Kaiser wenden.
Der erste Angriff der Alliierten erfolgte im März 1915 und stützte sich auf 10
Großkampfschiffe, deren Aufgabe es war, die Küstenbatterien entlang der Meerenge
niederzukämpfen. Das Einfahren des Verbandes wurde frühzeitig aus der Luft aufgeklärt
und vernichtend abgewiesen.24 Als besonders verheerend wirkte sich dabei eine
Minensperre aus, die als Koproduktion zwischen osmanischer Flotte und dem
Sonderkommando entstanden war. Die Entente erlitt nicht nur schwere Verluste, sondern
räumte ebenso jeden Zweifel aus, dass an den Dardanellen ein Angriff bevorstand.25
Mit Wirkung vom 25. März wurde von Sanders zum Oberbefehlshaber der neu formierten
5. Armee berufen, die auf beiden Seiten der Meerenge Stellung bezog. Obwohl von
Sanders keine deutschen Offiziere in seinem Stab zuließ, erhielt ein Drittel der Verbände
der osmanischen 5. Armee deutsche Heeresoffiziere als Kommandeure. Er entschied sich
gegen eine lineare Verteidigung durch den Ansatz aller Kräfte direkt an der Küste.
Stattdessen beließ er nur einen Bruchteil seiner Kräfte zu Aufklärungs- und
Verzögerungszwecken zurück und bildete eine Reserve, mit dessen Ansatz er die
Initiative zurückzugewinnen hoffte. Bei der Durchsetzung dieser Konzeption war
erheblicher Widerstand der osmanischen Kommandeure vor Ort zu überwinden, unter
ihnen Oberstleutnant Mustafa Kemal, später Atatürk. Diese hatten bis Dato das Massieren
der eigenen Kräfte an der Küste geplant. Obwohl der Verlauf der Ereignisse von Sanders
Recht gab, waren die Vorbedingung für eine mobile Verteidigung kaum gegeben. Wege
und Straßen für eine flexible Verteidigung waren bestenfalls rudimentär ausgebaut, ein
Netz aus improvisierten Feldbefestigungen und Versorgungsdepots musste erst noch
angelegt werden.26
Nach Beginn der Landungen am 25. April gelang den alliierten Truppen an keinem der
zwei Landungsköpfe der Durchbruch in Richtung Bosporus. Innerhalb der ersten sechs
Tage erlitten die alliierten Truppen einen Ausfall von über 6000 Mann, denen allerdings
14000 Mann Verluste der Verteidiger gegenüberstanden. Zur Unterstützung der 5. Armee
griff nun die Mittelmeerdivision in das Geschehen ein. Da es besonders an
8
Maschinengewehren und ausgebildeten Schützen mangelte, gab Souchon von „Goeben“
und „Breslau“ einen Landungstrupp ab. Dessen Personal hatte vor Kriegsbeginn eine
infanteristische Ausbildung genossen und wurde zunächst auf der asiatischen Seite der
Meerenge eingesetzt. Nach etwas mehr als einer Woche war der Landungstrupp nahezu
vollständig gefallen und wurde durch einen zweiten, dieses Mal deutsch-osmanischen
Trupp, ersetzt. Auf ein direktes Eingreifen seiner Schiffe verzichtete Souchon aufgrund
des eingeschränkten Manövrierraumes innerhalb der Meerenge. Dementsprechend kam es
zu einem erhöhten und ausgesprochen erfolgreichen Ansatz kleinerer Einheiten. Über den
Erfolg der Minensperren ist bereits berichtet worden. In der Nacht zum 13. Mai kam es in
Abstimmung zwischen Sonderkommando, Mittelmeerdivision und des osmanischen
Befehlshabers zum Vorstoß des Zerstörers „Muavenet“. Durch deutsches Personal
verstärkt und geführt, versenkte der Zerstörer mit Torpedos das britische Linienschiff
„Goliath“, um anschließend Richtung Konstantinopel zu entkommen.27 Es war ebenfalls
Souchon, der den Einsatz von U-Booten anregte. Da das osmanische Reich selbst nicht
über diese revolutionäre Waffe verfügte, erfolgte eine entsprechende Anfrage beim Chef
der Hochseeflotte, die mit der Entsendung von U 21 beantwortet wurde. Von
Wilhelmshaven über Cattaro erreichte U 21 die Dardanellen und konnte innerhalb
weniger Tage zwei britische Linienschiffe versenken. Die Folgen waren gravierend. Die
vor Ort befindlichen Dreadnoughts wurden abgezogen und die Artillerieunterstützung für
die Landungstruppen damit zeitweise minimiert. Die Erhöhung der Abwehrmaßnahmen
und der vermehrte Einsatz von Artillerieträgern mit geringem Tiefgang schloss die
Wiederholung eines derartigen Erfolges aus.28
Auf dem Gebiet der Fliegerei war bereits 1914 mit dem Aufbau einer osmanischen
Flugschule begonnen worden. Es existierte weder ausgebildetes Personal, militärische
Einrichtungen oder eine industrielle Basis, auf die sich eine Fliegertruppe hätte stützen
können. Im März 1915 standen vier, aus Deutschland eingeführte Aufklärungsflugzeuge
zur Verfügung. Bereits der erste alliierte Flottenvorstoß auf die Dardanellen konnte
ebenso wie das Sammeln der Landungskontingente erfolgreich aufgeklärt werden.
Obwohl auch während der Landungen Aufklärung betrieben wurde, konnten die
wertvollen Ergebnissen kaum rechtzeitig an die Führung der 5. Armee weitergeben
werden. Es fehlten schlicht verzugslos nutzbare Kommunikationswege für die
Übermittlung, wie Funk. Die neu gelieferten Wasserflugzeuge wurden dem
Sonderkommando und damit Admiral von Usedom unterstellt, während die
Fliegerabteilung Teil der 5. Armee blieb. Neben den gelieferten Aufklärungsergebnissen
konnten die Flieger der 5. Armee auch moralischen Rückhalt leisten, denn deren Soldaten
hatten bisher nur alliierte Maschinen am Himmel sehen können.29
Die Betrachtung Gallipolis offenbart klar einen teilstreitkraftgemeinsamen sowie
multinationalen Einsatz im Sinne der AJP-Definition. Einen gesamtverantwortlichen
Oberkommandierenden für alle Einheiten im Einsatzgebiet, der auch vorbehaltlos auf
selbige zugreifen konnte, sucht man allerdings vergebens. Die Kontinuität im Kommando
und stringente Hierarchien lassen sich nur innerhalb der einzelnen deutschen oder deutsch
9
geführten Befehlsstellen verfolgen. Die existierenden Befehlshierarchien wurden hier
durch die notwendige, manchmal zeitintensive Verständigung mit dem osmanischen
Partner gebremst. Trotz der persönlichen Reibungen zwischen von Sanders, von Usedom
und Souchon konnten Heeres- und Marineeinheiten erfolgreich nebeneinander eingesetzt
und mit den osmanischen Streitkräften in ein Fähigkeitsportfolio integriert werden. Der
Rückzug der Alliierten im Januar 1916 setzte dem zähen Ringen um die Meerenge
endgültig ein Ende. Gerade vor dem Hintergrund des Zustandes, in dem sich die
osmanischen Streitkräfte vor Kriegsbeginn befanden, ist die erfolgreiche Verteidigung
bemerkenswert. Die Leistungen im Gefecht stehen der Gesamtheit an Ausbildungs-,
Aufbau- und Führungsbeiträgen der deutschen Offiziere vor Ort keineswegs nach.
2.4
Jointness par excellence: Operation „Albion“ 1917
Obwohl die Ostsee dem deutschen Reich erkennbar näher lag als der Bosporus, war sie
für die Kaiserliche Marine seit Beginn des Krieges ein Nebenkriegsschauplatz gewesen.
Im Zuge des deutschen Vormarsches nach Osten waren sporadische Vorstöße der Marine
notwendig, um die nördliche Flanke des Ostheeres zu decken. Die Besetzung der
baltischen Inseln entwickelte sich mit dem Vorrücken des Ostheeres ab 1915 zur
Vorbedingung für weitere Operationen gegen Reval, Kronstadt oder St. Petersburg.
Derartige Pläne kamen aufgrund des deutschen Angriffs auf Verdun nicht zur
Umsetzung.30 Die Situation wurde durch alliierte Gegenoffensiven an der Somme und
Galizien verschärft, sodass an eine Bereitstellung zusätzlicher Kräfte nicht zu denken war.
Auch die Aufmerksamkeit der Marine blieb in Folge der Skaggerakschlacht auf die
Nordsee gerichtet.31 Somit kam es vor 1917 zu keiner gemeinsamen Operation zur
Eroberung der Baltischen Inseln.
Aufgrund der innenpolitischen Umwälzungen in Russland ab Februar 1917 sowie des
Patts an der Westfront entschloss sich die 3. Oberste Heeresleitung noch im gleichen Jahr
im Osten in die Offensive zu gehen. Zunächst regte General Ludendorff die Eroberung
der Alandinseln an. Einem solchen Unternehmen stand der Admiralstab reserviert bis
ablehnend gegenüber: Das Verlegen von Flottenverbänden aus der Nordsee könnte die
Unterstützung des uneingeschränkten U-Bootkrieges erschweren. Das Heer eröffnete
ohne weitere Abstimmungsversuche den Angriff an der Düna und nahm Riga. Erneut
erhob Ludendorff die Forderung der Teilhabe der Marine an einer Operation gegen die
Alandinseln. Die wiederholte Verweigerung des Admiralstabes resultierte in der
Beschuldigung Ludendorffs von der Feigheit der Marine. Zum damaligen Ansehen der
Marine aus Sicht des Heeres kommt der Historiker Barrett zu folgendem Urteil:
„As a rule, by 1917 army officers looked down their noses at the navy, regarding it either
as a pampered force that sat at anchor in safe and comfortable surroundings or a drain
down which countless resources had gone, all to no avail.“32
10
Der Admiralstab lenkte schließlich ein, machte aber die Eroberung Ösels zur
Vorbedingung für jedwede Unternehmung gegen die Alandinseln. Folglich verständigten
sich die Teilstreitkräfte zunächst auf die Einnahme Ösels. Die Einwilligung des
Admiralstabes gründete vor allem darauf, sich dem Vorwurf der Inaktivität zu entziehen
und durch den Einsatz schwerer Einheiten einen sichtbaren Beitrag für die
Kriegsanstrengungen leisten zu können. Marineintern hoffte der Admiralstab auf seine
Aufwertung gegenüber sowohl dem Chef der Hochseeflotte als auch dem
Oberbefehlshaber Ostsee. Die Bildung eines Sonderverbandes und die formelle
Unterstellung dieses Verbandes unter die Gesamtleitung des Armeeoberkommandos 8
waren das Ergebnis dieser Absicht. Rivalisierenden Kommandostellen innerhalb der
Marine waren damit die Kontroll- und Vetomöglichkeiten entzogen. Das Unternehmen
erhielt den Decknamen „Albion“.
Auf den Inseln Ösel, Dagö und Moon standen neben 24000 Mann russischer Infanterie,
Küstenbatterien verschiedener Kaliber und ausgebaute Befestigungen zur Verfügung. Im
Küstenvorfeld waren umfangreiche Minensperren ausgebracht worden, die die
Bewegungsfreiheit feindlicher Marineverbände massiv einschränkten. Als mobiles,
maritimes Dispositiv konnte sich Vizeadmiral Bakhirev lediglich auf wenige ältere
Linienschiffe und Panzerkreuzer stützen, vermochte jedoch auf eine große Anzahl von
Zerstörern zurückgreifen, die dicht unter der Küste operieren und hier ihre Torpedos zum
Einsatz bringen konnten. Obwohl die revolutionären Impulse nicht spurlos an der Flotte
vorbeigegangen waren, blieb sie in der Gesamtbetrachtung einsatzbereit.33 Dem Chef des
deutschen Sonderverbandes, Vizeadmiral Schmidt, standen neben zwei
Schlachtgeschwadern, zwei Aufklärungsgruppen, mehrere Torpedoboot- und
Räumflottillen sowie sechs U-Boote der Kurlandflottille zur Verfügung. Die scheinbare
Überlegenheit der deutschen Überwasserstreitkräfte wurde durch die eingeschränkte
Bewegungsfreiheit der schweren Einheiten und ihrem Sicherungsauftrag für die
Truppentransporter stark verringert. Ebenso musste Schmidt klar sein, dass die
Abwesenheit schwerer Einheiten aus der Nordsee tunlichst kurz gehalten werden musste
und Ausfälle die Hochseeflotte empfindlich treffen müssten.34
Um die Landung der Infanterie sicherzustellen, musste zunächst ein minenfreier Kanal
bis zur Tagga-Bucht geschaffen werden. Vor Ort mussten die Küstenbatterien zum
Schweigen gebracht und Vorstöße russischer Seestreitkräfte abgewiesen werden. Die
Ausschiffung begann in den Morgenstunden des 12. Oktobers. Das schnelle Anlanden an
diesem Tag wurde hauptsächlich durch die Landungspioniere des Heeres sichergestellt.
Obwohl sie in den historischen Darstellungen kaum Erwähnung finden, ist es auf ihr
Wirken zurückzuführen, dass in weniger als 24 Stunden eine Entladungsbrücke in der
Tagga-Bucht in Betrieb genommen werden konnte und 100 Stunden nach Beginn der
Landung 70% des Divisionsmaterials angelandet waren.35 Zum Entladen der
Transportflotte wurden umgebaute Hafenschuten, Rettungs- und Brandungsboote sowie
Dampfpinassen und Motorboote genutzt, mit denen die Transportflotte kurzfristig
11
ausgestattet worden war.36 Die angelandeten Infanteriekräfte setzten sich umgehend in
Richtung der Küstenbatterien in Bewegung, die die Tagga-Bucht flankierten. Sie fanden
als Ergebnis des Bombardements der Schlachtschiffe nur noch Trümmer vor. Die
Infanterie erzielte bereits am ersten Tag erhebliche Raumgewinne. Mit einer zweiten
Landung sollte den russischen Truppen der Rückzug nach Moon verlegt werden. Um den
Verbindungsdamm zur Nebeninsel entbrannte ein verzweifelter Kampf, der mit dem
Durchbruch der russischen Infanterie nach Moon endete. Von den Flugstationen in Libau,
Windau und Angernsee sowie dem Flugzeugmutterschiff „Santa Elena“ operierten über
70 Luftfahrzeuge beider Teilstreitkräfte. Da die Heeresflieger aufgrund mangelnder
Flugfelder nur über dem südwestlichen Teil Ösels operieren konnten, mussten zunächst
die Marineflieger das komplette Aufgabenspektrum der Luftstreitkräfte übernehmen.
Neben Fernaufklärung gegen Überwasserstreitkräfte, U-Bootsicherung, Bomben- und
Torpedoangriffen kamen auch Jagdkampf und Artillerieaufklärung dazu.37 Als
problematisch erwies sich die Kommunikation zwischen Fliegern und deren
Kommandeur auf dem Schlachtkreuzer „Moltke“. Der Meldeverkehr wurde über die
„Santa Elena“ nach Windau weitergeleitet und erst im Anschluss wieder an die „Moltke“.
Die Auswertung eingegangener Meldungen und die Umsetzung von Einsatzbefehlen
wurden so verzögert.38
Am 16. Oktober, vier Tage nach der Landung, war Ösel komplett unter deutscher
Kontrolle. Deutsche Schlachtschiffe operierten zur Unterstützung der Infanterie und zum
Schutz der Räumflottillen im Golf von Riga, wobei das russische Linienschiff „Slava“
schwer beschädigt und anschließend von der eigenen Besatzung aufgegeben wurde.39 Am
Morgen des 18. Oktobers erhielt Vizeadmiral Bakhirev den Befehl, alle verbleibenden
Seestreitkräfte aus dem Moonsund abzuziehen, womit die russischen Bodentruppen auf
sich allein gestellt waren. Mit mehr Bewegungsfreiheit ausgestattet, schalteten die
deutschen Schlachtschiffe die Küstenbatterien auf Moon und der Südspitze Dagös aus.
Das Übersetzen der Infanterie auf beide Inseln konnte ungehindert ablaufen. Auf Moon
kapitulierten die russischen Bodentruppen am Abend des 18. Oktobers. Auf Dagö
marschierten die deutschen Truppen auf der Ostseite Richtung Norden, um am 20.
Oktober mit der Einnahme Hohenholms die Insel vollständig unter ihre Kontrolle zu
bringen.40 In beiden Fällen konnte der Widerstand der russischen Truppen schnell
überwunden werden. Noch vor der Konsolidierung der Eroberungen schlug der
Admiralstab die Auflösung des Sonderverbandes vor, welche am 3. November erfolgte.
Als Resultat des Unternehmens „Albion“ konnte die deutsche Seite einen respektablen
Erfolg verbuchen. Mit der ersten gemeinsamen Großunternehmung von Heer und Marine
im Ostseeraum war es gelungen, eine geographische Schlüsselposition zu besetzen. Sie
bot eine ausreichende Operationsbasis gegen die Alandinseln, Reval, Kronsstadt und
sogar St. Petersburg selbst. Dieser Erfolg war mit weniger als 200 gefallenen Soldaten
und vor dem Hintergrund einer exzellenten Zusammenarbeit von Heer und Marine
errungen worden41. Das gesamte Unternehmen war teilstreitkraftübergreifend erdacht und
12
ausgeführt worden. Verantwortlichkeiten waren zweifelsfrei zugeordnet, Hierarchien
festgelegt worden und der Zugriff auf die verfügbaren militärischen Ressourcen im
Einsatzgebiet unproblematisch. General von Tschischwitz, seinerzeit Stabschef des
Landungskorps, äußerte sich über das Verhältnis beider Teilstreitkräfte im Rahmen der
Unternehmung:
„Gegenseitiges Verständnis und Verstehenwollen sowie der innere Drang zu
waffenbrüderlicher und kameradschaftlicher Hilfe und Unterstützung bis zum äußersten
schufen die unentbehrlichen Voraussetzungen für das Gelingen einer großen Aufgabe, vor
die Armee und Marine zum erstenmal gemeinsam gestellt waren.“42
Gleichwohl sind Bilanzen physischer Raumnahmen oder von Verlustzahlen irreführend.
Der Verlauf der Operation wurde zu einem Sinnbild der schwindenden
Verteidigungsfähigkeit Russlands, das als aktiver Bündnispartner an der Seite der
Alliierten seinen Wert eingebüßt hatte. Der Erfolg des Unternehmens geriet bald durch
den Friedensschluss von Brest-Litowsk und letztlich die Niederlage des Deutschen
Reiches in Vergessenheit.
3.
Getrennt schlagen - gemeinsam verlieren
Was kann nun nach Betrachtung der Beispiele vor und während des Krieges über die Art
und Qualität des Zusammenwirkens von Heer und Marine, bzw. deren multinationalen
Wirkens festgestellt werden?
Für die Vorkriegszeit lassen sich keine nachhaltigen Bestrebungen für eine gemeinsame
Kriegsanstrengung nachweisen. Die Planungen erfolgten getrennt voneinander am grünen
Tisch und scheiterten getrennt voneinander an der Realität. Von der Existenz einer
strategischen Konzeption im Geiste des Joint-Begriffs der Allied Joint Doctrine kann
daher in der Vorkriegszeit nicht die Rede sein.
Dagegen lässt sich der Einsatz des Marinekorps Flandern als Teil des Westheeres
unproblematisch als „joint“ einordnen. Es bestand ein Unterstellungsverhältnis des Korps
zur 4. Armee und damit zur Obersten Heeresleitung. Trotz der Eigenständigkeit des
Verbandes in Fragen der See- und Küstenkriegsführung konnte sich Admiral von
Schröder nicht den Anweisungen der Obersten Heeresleitung entziehen, wenn es um die
Front an Land ging. Eine unmissverständliche Hierarchie war genauso gegeben wie
Kontinuität im Kommando. Für sich betrachtet, blieb das Flandernkorps ein Verband der
Marine, die Zusammenarbeit setzte auf der übergeordneten Ebene ein. Der Erfolg dieser
Zusammenarbeit äußert sich darin, dass sie über den gesamten Krieg bestand hatte.
Bei Gallipoli mussten sich nicht nur Heer und Marine miteinander arrangieren, sondern
auch mit dem osmanischen Bündnispartner. Der formelle Befund zur Frage des „joint“
und „combined“ fällt positiv aus. Die Verwirklichung der Prinzipien der
13
teilstreitkraftgemeinsamen und multinationalen Zusammenwirkens war dagegen
durchwachsen. Die Einheitlichkeit des Kommandos über alle Einheiten im
Operationsgebiet war ebensowenig gegeben wie eine unmissverständliche Hierarchie
oder eine klar verortbare Gesamtverantwortung. Von Sanders war zwar Oberbefehlshaber
der 5. Armee, mit der Mittelmeerdivision und dem Sonderkommando waren jedoch zwei
weitere, deutsch kontrollierte, konkurrierende Elemente in die Verteidigung eingebunden.
Kontinuität des Kommandos war partiell in den einzelnen deutschen Befehlsstellen, vor
allem jedoch durch die Personalie von Sanders gegeben. Beeindruckende
Einzelleistungen können nicht über die Reibungsverluste hinwegtäuschen, die durch die
„Trias“ deutscher Befehlsstellen und dem Koordinierungsbedarf mit dem osmanischen
Bündnispartner entstanden. Was das Einbringen aller vorhandenen Fähigkeiten betrifft,
muss zugestanden werden, dass dies soweit erfolgte, dass die Landung erfolgreich
abgewehrt werden konnte. Der Durchhaltewillen und die Tapferkeit osmanischer Truppen
als eigentlicher Arbeitsmuskel darf dabei nicht unerwähnt bleiben.
Das Unternehmen „Albion“ wurde gemeinsam von Heer und Marine geplant und
durchgeführt. Den Oberbefehl führte die 8. Armee unter General von Hutier. Für den
Zeitraum von Ein- bis Ausschiffung waren die Landungstruppen der Marine, und damit
Admiral Schmidt, unterstellt. Sämtliche Einheiten beider Teilstreitkräfte waren einem
Kommando unterstellt, dessen Kontinuität bis zum Abschluss der Operation gewahrt
blieb. Die Befehlshierarchie war unmissverständlich organisiert und die
Gesamtverantwortung zweifelsfrei dem Oberbefehlshaber zugeordnet. Trotzdem wurde,
der Natur der Unternehmung entsprechend, ein gehöriges Maß an Teilaufträgen an die
Marine delegiert. Befindlichkeiten zwischen dem Führungspersonal störten den Ablauf
des Unternehmens nicht. Im Gegenteil: Als Zeitzeuge lobt von Tschischwitz ausdrücklich
den offenen Umgang miteinander. Die Prinzipien aus der AJP sind bei der Eroberung der
Baltischen Inseln sämtlich verwirklicht worden, so dass wahrhaftig von einer „joint
operation“ gesprochen werden kann.43
Die Bilanz der innerhalb des Krieges betrachteten Schwerpunkte Flandern, Gallipoli und
das Baltikum könnten den Schluss nahelegen, Heer und Marine seien in vielerlei Hinsicht
eine Symbiose eingegangen. Gilt dies für die dargestellten Schwerpunkte, kann diese
Schlussfolgerung nicht auf die gesamte Kriegsdauer im Sinne eines Charakterzuges
deutscher Militärstrategie übertragen werden. Ein Fundament für Kooperation - in Form
einer Strategie oder Institution - bestand zu Kriegsbeginn nicht, wurde nie etabliert und
ein gegenseitiger Austausch von strategischen Optionen nicht gepflegt. Eine
teilstreitkraftgemeinsame Denkschule wurde bei der militärischen Führung nie
entwickelt. Mit dem Scheitern der Vorkriegsplanung ging keine Intensivierung der
Zusammenarbeit mit der Marine einher. Stattdessen kämpfte jede Teilstreitkraft ihren
eigenen Krieg, bei dem sich Heer und Marine kritisch beäugten, um die Herausstellung
eigener Verdienste bemüht waren und um zunehmend knapper werdende Ressourcen
konkurrierten. Mit einer derartigen Hypothek belastet, blieb die Zusammenarbeit beider
Teilstreitkräfte einzelfallabhängig, improvisiert, ohne strategische Linie und letztlich ein
14
„Fahren auf Sicht“.
4. Anmerkungen
1 Operation „Albion“ erfährt ob seiner Planung, Durchführung und den daraus
erwachsenen Implikationen an der Ostfront durchweg positive Bewertungen, so z.B.
bei Staff oder Vego.
2 Siehe: AJP-01 (D), Lexicon-9.
3 Ebd., Lexicon-6.
4 Vgl. AJP-01 (D), 6-2 ff.
5 Vgl. Lewis, S. 6.
6 Vgl. Berghahn, S. 250.
7 Vgl. Herwig, S. 22.
8 Vgl. ebd., S. 60, 83.
9 Vgl. Lewis, S. 57.
10 Vgl. O'Connor, S. 10 ff.
11 Hubatsch, S. 63.
12 Vgl. Herwig, S. 141.
Ein solcher Versuch wurde von der britischen Admiralität durchaus erwartet.
Geographisch war die Grand Fleet in Scapa Flow weiter von der Hochseeflotte
entfernt, als letztere von den Kanalhäfen. Siehe Tuchmann, S. 388 ff.
13 Tuchmann, S. 395.
14 Vgl. Klodt, S. 64.
15 Vgl. Ryheul, S. 31 ff.
16 Einheiten aus dem Verantwortungsbereich F.d.U. Flandern versenkten innerhalb des
Krieges 2554 Schiffe. Siehe Ryheul, S. 55.
17 Vgl. ebd., S. 109.
18 Vgl. Scherer, S. 18.
19 Vgl. Wolf, S. 6 ff.
20 Vgl. Wallach, Anatomie einer Militärmission, S. 137, zitiert bei Wolf, S. 22.
21 Vgl. Rudenno, S. 6.
22 Vgl. Wolf, 42.
23 Admiral Souchon, zitiert bei: Langensiepen/ Nottelmann/ Krüsmann, S. 102.
24 Vgl. Elleman/ Paine, S. 46.
25 Vgl. Langensiepen/ Nottelmann/ Krüsmann, S. 105 ff.
26 Vgl. Wolf, S. 100 ff.
27 Vgl. Langensiepen/ Nottelmann/ Krüsmann, S. 109 ff.
28 Vgl. Rudenno, S. 131 ff.
29 Vgl. Wolf, S. 167 ff.
30 Die Reserven des deutschen Heeres waren durch Operation „Gericht“, dem
15
„Weißbluten“ der französischen Armee bei Verdun, gebunden.Vgl. Horne, S. 40.
31 Gerade die deutschen Schlachtkreuzer hatten schwerste Treffer hinnehmen müssen,
deren Ausbesserung mehrere Wochen in Anspruch nahm. Admiral Jellicoe dagegen
konnte nach dem Einlaufen in Scapa Flow melden, dass die Grand Fleet inneralb von
vier Stunden gefechtsklar auslaufen könnte. Vgl. Howarth, S. 153 ff.
32 Barrett, S. 33.
33 Vgl. Staff, S. 5 ff.
34 Vgl. ebd., S. 151 ff.
35 Vgl. Kugler, S. 41.
36 Obwohl sich der Bedarf an spezialisierten Truppen für Landungsunternehmen bereits
vor dem Beginn des Krieges abgezeichnet hatte, kam es erst nach Ausbruch der
Feindseligkeiten zur Aufstellung einer Pionierlandungskompanie. Sie blieben Teil des
Heeres und wurden nicht in die Seetransportabteilung der Marine integriert. Vgl.
Kugler, S. 15 ff. sowie S. 59.
37 Vgl. von Tschischwitz, S. 165.
38 Vgl. ebd., S. 170.
39 Vgl. Staff, S. 113 ff.
40 Vgl. ebd., S. 144.
41 Vgl. Ruge, S. 45.
42 Von Tschischwitz, S. 175.
43 Gleichwohl gilt es festzuhalten, was Marineführung zum Mitwirken bei der Operation
„Albion“ bewog. Es war weniger eine Einsicht in die von deutscher Warte aus
positiven Implikationen für die Gesamtkriegslage. Die Entscheidung zum Mitwirken
wurde maßgeblich aus Angst vor der dem Verlust der eigenen Existenzberechtigung,
marineinternen Machtkämpfen und beschleunigt durch die Vorwürfe Ludendorffs
getroffen.
5.
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18
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