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Inklusion im Sport – ein
differenzierungstheoretischer Ansatz
Timo Schädler
Intention und Konzept
Dieser Artikel thematisiert den Zusammenhang zwischen Inklusion im Sport und dessen Position
in der modernen Gesellschaft. Hierbei werden wichtige Facetten des Sports mit Hilfe der
soziologischen Theoriebildung (insbesondere der soziologischen Systemtheorie) beleuchtet. Der
Blick richtet sich auf das Wesen des sozialen Sportsystems, an dem der Einzelne teilhaben oder
durch Exklusion nicht partizipieren kann.
Schlüsselwörter: Funktionale Differenzierung, Sport, Gesellschaft, Inklusion, Exklusion
Abstract
The article addresses the relationship between inclusion in sports and its significance in modern
society. By means of sociological theory construction (especially sociological system theory),
import aspects of sports are being examined. The focus is on the nature of the social sport system,
which the individual can, or – by exclusion – cannot participate in.
Keywords: functional differentiation, sports, society, inclusion, exclusion
Sport und Gesellschaft – beide Begriffe werden vielfältig und vieldeutig verwendet. Die Stellung
des Sports in der modernen Gesellschaft soll in diesem Beitrag anhand eines Hauptstrangs
soziologischer Beschreibungen, der Theorie gesellschaftlicher Differenzierungen, erläutert
werden. Welche Perspektiven nimmt der Sport in der Gesellschaft ein, und welche Differenzierung
ist hinsichtlich einer Definition von Sport sinnvoll?
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Zeitschrift für Gesundheit und Sport
1 Funktionale Differenzierung
Durch den Transfer differenzierungst­
heoretischer
Erkenntnisse
hat
auch
die Sportwissenschaft profitiert. In der
differenzierungstheoretischen Betrachtungs­
weise moderner Gesellschaften beschrieb zuerst
Spencer (1901) funktionale Differenzierung
als einen nicht enden wollenden evolutionären
Prozess. Nach Parsons (1969) verläuft dieser
von einem relativ homogenen primitiven
Stamm, hin zu immer heterogener werdenden
Gesellschaften, sowohl was deren Funktionen
als auch deren Struktur betrifft. Der evolutionäre
gesellschaftliche Prozess nach Parsons verläuft
über die Herausbildung von traditionalen
(segmentären),
später
stratifikatorischen
(stratifizierten) Gesellschaften bis hin zur am
weitesten entwickelten Gesellschaftsform
der funktionalen Differenzierung. In ihr
sind
komplexe
sowie
leistungsfähige
gesellschaftliche Teilsysteme, Zusammen­
hänge und Zugänge entstanden.
Eine vergleichbare Entwicklung hat auch
der Sport durchlaufen. Über die antiken
Wettkampfformen im griechischen Olympia
hat sich die körperliche Ertüchtigung zur
Wehrerziehung ganzer Männergenerationen,
über Metamorphose vom traditionellen
Volksspiel zum modernen ausdifferenzierten
Sportsystem entwickelt.1
Auf
theoretischer
Ebene
bezeichnet
Differenzierung den zentralen Mechanismus
gesellschaft­licher und sportlicher Entwicklung;
ihre jeweilige Ausprägung ist entscheidendes
Merkmal für den jeweiligen Entwicklungsgrad.
Betrachtet man zunächst das Grundprinzip
gesellschaftlicher
Entwick­
lung,
das
nach Spencer den „Wandel von unzu­
sammenhängender
Gleichartigkeit
zu
Stichweh (1990) versteht Athletik, Leibeserziehung und
Sport als divergente Traditionen vor der Ausdifferenzierung
des Sportsystems.
1
Heft 2/2012 zusammenhängender
Verschiedenartigkeit“
darstellt (Spencer, 1901 nach Cachay &
Thiel, 2000, S. 29ff.), wird deutlich, dass sich
die komplexe Verschiedenartigkeit heutiger
moderner Gesellschaften nicht aus einem
einzigen Blickwinkel erfassen lässt. Nach
Luhmann (1978) ist zunehmende Komplexität
das einzig erkennbare und zu akzeptierende
Richtungskriterium der Evolution. Dabei ist
mit Komplexität das mögliche Verhältnis
zwischen der Zahl der Elemente in einem
System und der Beschränkung ihrer Relation
durch die jeweilige Struktur bestimmt
(Luhmann, 1978).
Die gesellschaftliche Bedeutung des Sports2
ist hoch. Der Sport gilt als die größte soziale
Bewegung Europas (Tokarski, 1993). Wie
lässt sich erklären, dass allein in Deutschland
fast 30 Mio. Mitglieder in den über 90.000
Sportvereinen (DOSB, 2011) regelmäßig
Sport treiben und darüber hinaus tausende
Menschen ihre Gesundheit und Fitness
in selbstorganisierten Sportgruppen oder
kommerziellen Einrichtungen verbessern?
2 Der Sport-Code
Der Sport fungiert als eigenständiges
gesellschaftliches Teilsystem. Ein gesell­
schaftliches Teilsystem muss über eine,
gegenüber
anderen
gesellschaftlichen
Teilsystemen unverwechselbare, abgegrenzte
Handlungslogik verfügen. Diese manifestiert
sich in eigenen Programmen, Strukturen,
Werten und spezifischen Codes, als
generalisierende
Handlungsorientierung
gesellschaftlicher
Akteure.
Für
die
Entwicklung einer eigenen soziologischen
Identität des Sports ist die Ausprägung seines
spezifischen Codes von zentraler Bedeutung.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat am 25.09.2012 erneut
einen Gesetzesentwurf zur Aufnahme von Kultur und Sport
im Grundgesetz vorgelegt.
2
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Schädler
Nach Bette und Schimank (1995) operiert
der Spitzensport unter dem binären Code
von Sieg oder Niederlage. Anhand dieser
Unterscheidung stellt der Sport im Rahmen
wiederkehrender Anlässe Situationen bereit, in
denen Menschen untereinander systematisch
in ein Konkurrenzverhältnis treten (Bette,
2010). Der Siegescode überführt eine
graduelle, sachliche Leistungsdifferenz in
eine soziale Polarisierung und Hierarchie –
ein Athlet wirft zwei Zentimeter weiter als
ein anderer. Insbesondere im Leistungssport
geschieht die Hierarchisierung von Erfolg
wesentlich kompromissloser als in anderen
sozialen Handlungsfeldern. Wer verliert,
kann aus dem System fallen. Damit opponiert
der (Leistungs-)Sport gegen seine eigenen
zentralen Leitbilder von Gerechtigkeit und
Fairness.
Hingegen sieht Stichweh (1988, 1990) den Ethos
des modernen Sports weniger im ständigen
Siegen als vielmehr im Leistungsvergleich.
Stichwehs Hauptargument gegen den binären
Code von Sieg oder Niederlage liegt in
der Auffassung, dass eine Hauptzahl von
Handlungsvollzügen im modernen Sport mit
der Unterscheidung von Sieg und Niederlage
nicht zu erfassen sei. Stichweh folgert,
dass der Code von Sieg oder Niederlage als
ein Code des modernen Sports fungiert, er
jedoch im Prozess der Ausdifferenzierung
mittels des Leistungsvergleichs von Rekorden
zurückgedrängt wird und den Prozess der
Ausdifferenzierung nicht erklären kann. Der
Code Leisten und Nichtleisten bewirkt nach
Stichweh hingegen die Einheit des Systems und
sensibilisiert für die Genese des Sportsystems.
Diese vollzieht sich bspw. zu dem Zeitpunkt,
wenn eine Person aus rein gesundheitlichen
Motiven zu laufen beginnt. Die Motive
sportlicher Bewegung sind zahlreich.
Erfolgen aber Interventionen, die den
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Leistungs­
gedanken
stören,
wird
die
Autonomie und Selbstbezogenheit des
Sports gestört. Meisterschaften, die durch
Wettkartelle entschieden, Siege, die durch
Doping errungen werden, untergraben die
Integrität und Selbstreferentialität des Sports.
Zur Programmebene des Sports gehört auch,
dass der Gewinner vor Beginn nicht feststehen
darf. Charakterisiert werden sportliche
Konkurrenzen durch das Prinzip des offenen
Wettkampfausgangs. Da, wo Mannschaften
oder Athleten in ihrem Kompetenzniveau
zu weit auseinander liegen, sollen Alters-,
Geschlechts-, Gewichts- und Ligeneinteilungen
eine formale Ausgangsgleichheit herstellen.
Der ungewisse Ausgang wird durch
die Sportregeln gesichert. Selbst ein
Marathonläufer, der über 42 km in Führung
liegt, kann auf dem letzten Meter noch
überholt, ein Spiel durch das entscheidende
Tor in letzter Sekunde entschieden werden. Der
Bestimmungscode des Sports ist also auf der
Programmebene zumindest theoretisch durch
normativ gesicherte Unsicherheit geprägt.
Aufgrund der Ausdifferenzierung des Sport­
systems in seine verschiedenen Teilbereiche
und der unterschiedlichen Sportmotive
innerhalb der Gesellschaft greift ein binärer
Sport-Code zu kurz. Eine Unterscheidung in
Spitzen- und Breitensport sollte hier voran
stehen. Insbesondere die Unterscheidung
von Sieg und Niederlage lässt einen sozial­
motivierten pädagogischen Sinn von Sport
unberücksichtigt. Der Code vom Leisten und
Nichtleisten erscheint unter dieser Perspektive
geeigneter. In ihm könnten sich bspw. soziale
Sportinitiativen wiederfinden, sofern der
in vielen sozialmotivierten Sportangeboten
fehlende Leistungsgedanke in den Hintergrund
rückt, z. B. bei der Resozialisation von
Strafgefangenen durch Sport oder bei
Sportprogrammen mit Aussiedlern.
Zeitschrift für Gesundheit und Sport
Inklusion im Sport – ein differenzierungstheoretischer Ansatz
Der organisierte Sport ist ein operativ
geschlossenes System, welches nach eigenen
Prinzipien Autonomie entwickelt. Nur
sportinterne Regeln entscheiden über Struktur
und Prozess. Die Autonomie des Sports wird
von Funktionären und Verbänden rigoros
verteidigt. Autonomie eines Systems heißt
nicht Isolierung von der Umwelt, sondern
bezeichnet den Freiheitsgrad, den das System
erwirbt, um seine Beziehung mit der Umwelt
nach Maßgabe systeminterner Regeln
selbst zu bestimmen. Das bedeutet, dass
Umweltinterventionen erwünscht manchmal
sogar notwendig sind, wie z. B. durch Politik,
Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Der
Leistungssport kann ohne eine staatliche
Förderung nicht auskommen. Eine starke
finanzielle Abhängigkeit des Leistungssports
vom Staat verschafft letzterem so lange
keine Eingriffsmöglichkeit, wie umgekehrt
der Staat seinerseits interessiert ist, dass
der Leistungssport ihm eine internationale
Anerkennung verschafft. Sozialsysteme wie
der Sport sind durch Organisationsprinzipien
gekennzeichnet, die gleichzeitig offen und
geschlossen sind (vgl. Bette, 2010). Dieses
Organisationsprinzip spiegelt sich im sozialen
System des Sportvereins wider.
3 Der Sportverein als soziales
System
Der These von Schimank folgend, ist die
funktional differenzierte Gesellschaft zugleich
eine Organisationsgesellschaft: „Das bedeutet:
fast alle gesellschaftlichen Teilsysteme sind
im hohen Maße von formalen Organisationen
durchdrungen“ (2005, S. 221).1 Nach Schimank
– hier weicht das systemtheoretische von dem
akteurtheoretischen Verständnis ab – führen
formale Organisationen ein „Zwitterdasein“,
Bereits zu Beginn des Artikels wird auf die über 90.000
Sportvereine verwiesen.
1
Heft 2/2012 sowohl als Struktur wie auch als Akteur.
Das gilt auch für den Sport. Organisationen
besitzen korporative Handlungsfähigkeit
nach innen wie nach außen, gegenüber
den Mitgliedern wie gegenüber anderen
Organisationen, sozialen Bewegungen oder
Individuen der Umwelt. Auf der anderen Seite
stellen Organisationen Sozialsysteme dar, die
auf ihre Mitglieder handlungsprägend wirken
(ebd.).2
Die Inklusion der Gesellschaftsmitglieder in
die verschiedenen Teilsysteme beruht also im
geraumen Maße auf formalen Organisationen
wie dem Sportverein. Gerade der Sport
wird seit Jahrzehnten von Politikern und
Sportfunktionären als besonders starkes
Inklusionsmedium beschrieben.
Ein weiteres, von Beck (1983) in die
Diskussion eingebrachtes, Merkmal der
Moderne ist die (umstrittene) These von der
Individualisierung. Durch den in westlichen
Kulturen beobachtbaren Bedeutungsverlust
von Klassen, Schichten und anderen
Zwängen in Verbindung mit Wohlstand
erhält der Einzelne heute vielfältige
Entscheidungsmöglichkeiten, z. B. bei der
Berufs- oder Studienwahl. Das Individuum
besitzt
viele
Entscheidungsfreiheiten.
Diese
Freiheiten
können
auch
in
Orientierungslosigkeit
münden.
Manche
Personen sind sich bei der Wahlentscheidung
nicht mehr sicher bzw. überfordert. Denkbar
wären
weitere
gegenteilige
Effekte,
als Bestandteil des sozialstrukturellen
Individualisierungsprozesses, worin Individuen
„scheinbar ihrem eigenen ‚Egoismus‘ hilflos
ausgeliefert sind“ (Beck & Sopp, 1997, S. 10).
Zurückgeführt wird das in der Argumentation
auf die Abschwächung kollektiver Werte,
Normen und Orientierungsmuster, welche in
ihrer äußersten Form bis zum individuellen
Bei Parsons sind es Handlungen, bei Luhmann sind es
Kommunikationen, die Organisationen konstituieren.
2
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Schädler
Verfall führen können. Der Gesellschaft
drohe der Zerfall, da dauerhafte Solidarität,
der soziale Kitt, zwischen Individuen
nicht mehr vorhanden sei. Prominentes
Beispiel sind die für die jüngste Finanzkrise
verantwortlich gemachten „Bänker“. Als
weitere Anzeichen für diesen Prozess gelten
hohe Scheidungsraten, Patchwork-Familien,
hohe Jugendkriminalität, Alkoholmissbrauch,
Rechtsradikalismus und vieles mehr. Als
probates Gegenmittel werden hierfür die
korporativ
handelnden
Organisationen
genannt. An erster Stelle steht dabei häufig der
Sportverein, in dem Sozialisation (wieder-)
erlernt werden soll.1
Bei der Betrachtung systemtheoretischer
Analysen ist erkennbar, dass unterschiedliche
soziale Gebilde, die auf den ersten Blick keine
Gemeinsamkeit zu haben scheinen, wie z. B.
Religion, Wirtschaft, Familie oder der Sport,
als soziale Systeme bezeichnet werden. Der
Begriff kann sowohl für gesellschaftliche
Teilsysteme als auch für Organisationen
und Interaktionszusammenhänge verwendet
werden, quasi für völlig verschiedenartige
soziale Gebilde. Das Wesen des Systembegriffs
ist vielseitig.
Nach Luhmann bestehen soziale Systeme aus
Kommunikationen (1984). Soziale Systeme
sind sinnhaft identifizierte Systeme: „Ihre
Grenzen sind nicht physischer Natur (obgleich
natürlich physische Grenzen, etwa solche
territorialer Art, Sinngrenzen symbolisieren
können), sondern sind Grenzen dessen, was
in Sinnzusammenhängen relevant sein kann“
(Luhmann, 1971, S. 11f.).
Grenzen sozialer Systeme sind nach Luhmann
als Sinngrenzen zu verstehen, wobei diese
als unterschiedlich stabil anzusehen sind.
Sie können quasi von der Form eines
weitmaschigen Drahtnetzes bis hin zu einer
1
soliden Wand variieren (vgl. auch Goffman,
1973). Erstes trifft in der Regel für einfache
Sozialsysteme und informelle Gruppen
zu, in denen kaum formale Kriterien der
Mitgliedschaft vorkommen, wie z. B. beim
Kicken auf dem Bolzplatz unter Freunden.
Zweites gilt eher für formale Organisationen,
in denen der Systemzweck von konkreten
Personen abgelöst und die Kontinuität des
Systems durch die Formalisierung allgemeiner
Mitgliedschaftsbedingungen über den Wechsel
seiner Mitglieder hinweg begründet ist, wie
z. B. in einem Sportverein.
Folglich lassen sich soziale Systeme
hinsichtlich der Art ihrer Grenzziehung bzw.
ihres erreichten Grades der Ausdifferenzierung
unterscheiden. Unabhängig davon gilt
jedoch bei Luhmann, dass er mit dem
Begriff des sozialen Systems nicht die
Ausdifferenzierung von Menschen, sondern
die von Kommunikationszusammenhängen
bezeichnet: „Ausdifferenziert werden können
nur Kommunikationszusammenhänge, nicht
Menschen“ (Luhmann, 1981, S. 35).
4 Der soziologische Blick
Überträgt man die bisherigen Ausführungen auf
eine mögliche Definition von Sport, so bedeutet
die Auffassung von Sport als sozialem System,
dass er aus Kommunikationen besteht. Der
Sport kann in systemtheoretischer Betrachtung
als ein spezifischer Sinnzusammenhang von
Kommunikationen aufgefasst werden. Gerade
für den Sport ist eine handlungsprägende
Wirkung zentral, die Interaktion zwischen
Menschen sein konstruierendes Merkmal. Im
Anschluss an diese Sichtweise definiert Weiß
(1999) den Sport als eine soziale Institution, in
der „Kommunikation körperlicher Leistungen“
(S. 10) stattfindet. Stichweh beschreibt den
Zur Sozialisation in und durch Organisationen vgl. Elbe 1997.
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Zeitschrift für Gesundheit und Sport
Inklusion im Sport – ein differenzierungstheoretischer Ansatz
Sport als „jenes Funktionssystem, das aus
allen Handlungen besteht, deren Sinn die
Kommunikation körperlicher Leistung ist“
(1990, S. 380). Mit dem Begriff der sozialen
Institution wird zum Ausdruck gebracht,
dass das sportliche Handeln und Verhalten
von Menschen unter den Bedingungen
ihrer Vergesellschaftung stattfindet (vgl.
Heinemann, 2007; Weiß, 1999). Diese
Definition unterstreicht insbesondere den
kommunikativen Aspekt des Sports, wobei in
systemtheoretischer Sicht das soziale System
Sport selbst und in sich kommuniziert. In
diesem Systembegriff Luhmanns erscheint
(trotz möglicher struktureller Koppelung)
der Sport akteurlos. Die „Kommunikation
körperlicher Leistung“ bedarf dagegen
handlungs- und leistungsfähiger Menschen.1
Sport ist aber nicht nur Kommunikation
als
Prozess,
er
wird
auch
als
Kommunikationsmedium und Kulturprodukt
bezeichnet. Er existiert nicht neben
gesellschaftlichen Teilsystemen, sondern
entwickelt sich im Kontext sozialer Systeme.
Weiß stellt den Bezug zur Gesellschaft
deutlich heraus: „Alles das, was es in der
Gesellschaft gibt, gibt es auch im Sport. Sport
ist ein Mikrokosmos der Gesellschaft“ (1999,
S. 12ff.).
Die Besonderheit des Sports im Kontext der
modernen Gesellschaft besteht u. a. darin,
dass er Menschen die Chance bietet, ihren
Körper und Geist selbst wahrzunehmen
und zu formen. Der Sport bietet eine
Kommunikationsmöglichkeit
mit
dem
eigenen Körper und Geist. Der technische
Modernisierungsprozess hat das Bedürfnis
geschaffen, den Körper (wieder) zu nutzen
und
Körpererfahrungen
zu
sammeln.
Menschen profitieren von der aktiven
Teilhabe an konditionellen und koordinativen
1
Bewegungsformen. Der Waldboden, auf
dem der Jogger läuft, das Wasser, durch
das der Schwimmer gleitet und taucht,
der Schnee, auf dem der Skifahrer rutscht,
die Felswand, an der der Kletterer greift,
all diese Formen der Bewegung und
Bewältigung
von
Herausforderungen
mit der Umwelt sind selbstrealisierte
Praxiserfahrungen, die theoretisch nicht
erlebbar sind. Die Sportausübung wirkt
dem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust
der Fortbewegungsgliedmaßen entgegen.
In Zeiten hochentwickelter Technisierung
und Automatisierung führt das Bestreben
nach körperlicher Aktivität zu einer
ausdifferenzierten
Bewegungsund
Körperkultur.
Körperliche
Ermüdung
und physische Grenzzustände werden
durch Modernisierungsprozesse eigentlich
überflüssig und werden erst wieder durch
die aktive sportliche Verausgabung richtig
erfahren – beispielsweise erkennbar an neuen
Trends wie CrossFit, Jedermanntriathlons
oder tausenden Marathonläufern an den
Wochenenden.
Für
einen
systemtheoretischen
Erklärungsansatz bildet die theoretische
Grundannahme
einer
funktionalen
Differenzierung
in
unterschiedliche
Teilsysteme also die Basis. Individuen werden
in gesellschaftliche Teilsysteme einbezogen,
indem sie an funktions- und systemspezifischen
Kommunikationszusammenhängen, wie dem
Sport, teilhaben. Das Individuum nimmt an
solchen Kommunikationszusammenhängen
teil und ist inkludiert oder eben nicht (siehe
auch Cachay & Thiel, 2000).
Zur Problematik funktionaler systemtheoretischer Erklärung in organisationalen Kontexten vgl. Elbe 2002.
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Schädler
5 Inklusion und Exklusion
In der Systemtheorie wird die Frage
gesellschaftlicher Teilhabe von Individuen,
aber auch von Bevölkerungsgruppen mit
Hilfe der Unterscheidung von Inklusion und
Exklusion behandelt. Für den Versuch, gerade
Teilhabe1 am Sport zum Gegenstand der
Inklusion zu machen, spricht, dass das Wort
bereits aktive, handelnde Personen unterstellt,
also eine Perspektive des Individuums auf die
Gesellschaft nahe legt.
Grundsätzlich steht die Teilhabe am Sport jedem
offen. Die Teilhabe an diesem Funktionssystem
kann jedoch aufgrund verschiedener Faktoren
erschwert oder sogar verhindert werden.
Beispielsweise regelt mancher elitärer Segeloder Golfclub seine Mitgliedschaft über hohe
Mitgliedsbeiträge, so dass der Eintritt für den
Normalverdiener nicht möglich und auch
nicht erwünscht ist. Ein tieferer Blick in die
Partizipationsforschung verrät schnell, dass
eine Teilhabe am Sport abhängig ist von soziodemographischen Parametern. Unter anderem
treffen Migranten auf hohe Zugangsbarrieren
im deutschen Sportverein. Außerdem ist es
nicht denkbar, für die Nationalmannschaft
eines Landes anzutreten, wenn man dessen
Staatsbürgerschaft nicht besitzt. Exkludierende
Faktoren finden sich aber nicht nur im Sport,
sondern auch im Beruf oder im Alltag,
eigentlich in allen sozialen Zusammenhängen.
Exklusion ist zu definieren als der Sachverhalt,
dass ein Individuum oder eine Population in
dem Kommunikationsprozessen eines sozialen
Systems nicht berücksichtigt, bezeichnet oder
adressiert wird (Stichweh & Andreß, 1999).
Dabei ist vor allem darauf hinzuweisen,
Teilhabe gilt als ein dynamisches Konzept (u. a.
Bartelheimer 2007). Ob Teilhabe gelingt, kann nicht
allein nach einem Zustand zu einem gegebenen Zeitpunkt,
sondern sollte auch nach der Dauer von Zuständen,
nach der zeitlichen Dynamik von Lebensverläufen und
biografischen Mustern beurteilt werden.
1
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dass in Anbetracht der hier gewählten
Definition von Sport, Exklusion nicht primär
das Ausgeschlossensein von materiellen
Ressourcen, sondern das Herausfallen aus
Prozessen gesellschaftlicher Kommunikation
meint, über welche auch der Zugang zu
materiellen Ressourcen läuft (ebd.). Exklusion
meint in diesem Sinne die „kommunikative
Nichtberücksichtigung in einem oder mehreren
dieser Systeme und die kumulativen Folgen
dieses Nichteinbezogenseins“ (Stichweh &
Andreß, 1999, S. 492).
In sozialen Zusammenhängen findet sich also
quer zur funktionalen Differenzierung eine
sogenannte Ungleichheitsstruktur.2 Dadurch
wird die Möglichkeit einer gleichberechtigten
Teilhabe aller Mitglieder der Gesellschaft an
sozialen Zusammenhängen einschränkt. Die
Ebene der Ungleichheitsstruktur beschreibt,
die Ungleichheit, die der Fremdexklusion
aus bestimmten sozialen Zusammenhängen
aufgrund festgelegter Zugangsbedingungen
und die der quantitativen und qualitativen
Verteilungsprobleme bei der Partizipation an
bestimmten Gütern. Auf die Unterscheidung
zwischen Selbst- und Fremdexklusion
soll hier kurz Bezug genommen werden.
So stellt sich die Frage, inwieweit die
Gesellschaftsmitglieder qua vorgegebener
Ordnungskriterien
aus
bestimmten
Kommunikationszusammenhängen
ausge­
schlossen werden oder inwieweit sie sich
selber, im Sinne von Präferenzen, aus solchen
Zusammenhängen ausschließen. In einem
Fall verweigert die Person absichtsvoll die
Inklusion, weil sie mit dem betreffenden
Referenzkontext nichts zu tun haben will, in
einem anderen wird ihr diese nicht gewährt.
Es erscheint wichtig darauf hinzuweisen, dass die
durch Strukturen erfolgenden Ein- und Ausschließungen
„kontingent“, d. h. prinzipiell auch immer anders möglich
sind.
2
Zeitschrift für Gesundheit und Sport
Inklusion im Sport – ein differenzierungstheoretischer Ansatz
Eine Basis für eine Inklusion wäre also
nicht vorhanden, was zu Konflikten führen
kann. Die Selbstexklusion aus sozialen
Zusammenhängen ist weiterhin gekennzeichnet
durch Präferenzen bei unterschiedlichen
Wahlmöglichkeiten, hier wäre ebenfalls der
Bezug zur Individualisierungsthese herstellbar.
Der Sportinteressierte kann sich beispielsweise
für den Fußball-, Tennis- oder den Boxverein,
den kommerziellen Sportanbieter und das
nicht organisierte Sporttreiben entscheiden.
Sobald der Einzelne eine Wahl getroffen
hat, kann er sich in den entsprechenden
Referenzkontext inkludieren und exkludiert
sich tendenziell zugleich aus einem anderen.
Einer Inklusion folgt also vielfach auch eine
Exklusion und umgekehrt. Es ist daher in der
Regel problematisch, als Profisportler für zwei
verschiedene Vereine zu starten, oder Fan
zweier unterschiedlicher Vereine derselben
Sportart zu sein.
Auch der passive Sportkonsum, der
Zuschauersport, (der im Stadion erlebte, am
TV-Schirm verfolgte, im Radio gehörte, am
PC gespielte oder in der Zeitung gelesene
Sport) ist für viele Personen Inklusionsmedium
geworden. Bedürfnisse nach einem intensiven
Erleben, großen Emotionen, rauschhaften
Siegen deuten auf einen durch die moderne
Gesellschaft modellierten Alltag hin, aus dem
insbesondere der Sport durch seine aktive
Partizipationsmöglichkeit einen Ausweg
bietet. Für nicht wenige Personen entstehen
erste Entzugserscheinungen, wenn sich die
Fußballbundesliga in die Sommerpause
verabschiedet, oder die Olympischen Spiele
nach ihrer Abschlussfeier erst in vier Jahren
wieder zelebriert werden.
Damit ist der generelle Zuschnitt einer
systemtheoretischen
Beschreibung
der
modernen Gesellschaft und ihrer soziologischen
Zusammenhänge mit dem Sport schemenhaft
Heft 2/2012 umrissen. Der Sport zeigt sich heute als
komplexes und facettenreiches Teilsystem
unserer Gesellschaft. Aktives Sporttreiben und
passives Sporterleben bieten Inklusions- und
Exklusionsmöglichkeiten. Auf Grundlage des
funktionalen
differenzierungstheoretischen
Ansatzes wurden Interpretationsmöglichkeiten
des soziologischen Verständnisses von
Sport aufgezeigt. Hierbei wird Sport aus
systemtheoretischer Sicht als ein soziales
System aus spezifischen Sinnzusammenhängen
von Kommunikationen begriffen.
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Inklusion im Sport – ein differenzierungstheoretischer Ansatz
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Fakultät Sport
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