PEEK Polyetheretherketon (PEEK) – ein vielversprechender Werkstoff für die Zukunft Andreas Schwitalla, Tobias Spintig, Ilona Kallage, Ralf Wagner und Wolf-Dieter Müller Der subjektive Wunsch vieler Patienten nach metallfreien Restaurationen ist häufig wissenschaftlich begründbar. Neben Allergien oder Überempfindlichkeiten gegenüber Metallen bzw. Legierungen tragen auch andere Materialeigenschaften, wie beispielsweise das Gewicht und Elastizitätsverhalten, maßgeblich zum Tragekomfort des entsprechenden Zahnersatzes bei. Deshalb stellt der Hochleistungswerkstoff Polyetheretherketon (PEEK) eine wertvolle Alternative zu konventionellen zahnärztlichen Werkstoffen dar. Nachdem es in den 1990er-Jahren von der Food and Drug Aministration (FDA) in den USA als Implantatmaterial zugelassen wurde und seitdem vor allem in der Ortho­pädie und Traumatologie implantiert wird, hält es nun auch aufgrund seiner herausragenden Eigenschaften zunehmend in der Zahnmedizin Einzug. Ziel des vorliegenden Artikels ist es, einen Überblick über die werkstoffkundlichen Eigenschaften von PEEK und dessen Anwendungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Zahnmedizin zu vermitteln. Schlüsselwörter: Polyetheretherketon (PEEK), Biomaterial, CAD/CAM, Finite Elemente Analyse (FEA), Zahnersatz. Einführung Der Wunsch der Patienten nach biologisch verträglichem, metallfreiem Zahnersatz in Verbindung mit den unermesslichen Potenzialen der CAD/CAM-Fertigung treibt das zahntechnische Handwerk und die Dentalindustrie voran, nach neuen prozesssicheren Verfahren und widerstandsfähigen Werkstoffen zu suchen. Wie die meisten ausgereiften Innovationen basiert die Entwicklung des teilkristallinen Hochleistungswerkstoffs Polyetheretherketon (PEEK) auf langjährigen wissenschaftlichen und klinischen Erfahrungen, auch über das Einsatzgebiet der Zahnmedizin hinaus (Abb. 1). Einsatzgebiete von PEEK Ursprünglich für die Raumfahrt entwickelt, findet PEEK derzeit aufgrund seiner herausragenden chemischen und physikaumwelt·medizin·gesellschaft | 27 | 4/2014 Abb. 1a (oben): Chemische Strukturformel von PEEK. In Anwesenheit von Diphenylsulfon und Kaliumcarbonat wird Peek durch Polykondensation von 4,4'-Difluorobenzophenon und Hydrochinon bei 320 °C hergestellt. Abb. 1b (unten): PEEK-Fräsronde mit Fräsarbeit (Foto: Juvora Ltd.). 255 PEEK • Biokompatibel, lösungsmittelfrei bzw. unlöslich • Keine Plaqueadherenz • Isoelastisch zu natürlichen Hartgeweben, korrosionsfrei, da metallfrei, somit keine Metallallergien • Kein Thermoloading bei Bestrahlung, beständig gegen energiereiche Strahlung Eigenschaft Füllungskomposite Prothesen- PEEK Mikrofüller- / kunststoff (Optima LT1, Mikrohybridkomposit (PMMA) Invibio, (O´Brien 2002) (Welker 1996) Lancashire, UK) 1,29 Dichte g/cm3 ~1,3 1,18 Härte kg/mm² HK 22–36 / 50-60 HV 5 13-19 1,2–2,2 / 0,5-0,6 0,3-0,7 0,5 • Elektrisch und thermisch isolierend Wasseraufnahme mg/cm³ • Hochbeständig gegenüber Verschleiß Druckfestigkeit MPa 225–300 / 300-350 120 118 Zugfestigkeit MPa 25–35 / 35-60 24-49 100 Biegefestigkeit MPa 40-90 / 100-145 62-87 170 3–5 / 7-14 2,5-4 4 2–4 / 1,5-1,7 2-4 - • Minimale Wasseraufnahme (0,5 Invibio Ltd.) mg/cm3; PEEK Optima®, • Sehr leicht aufgrund niedriger Dichte (ISO 1183 1,32 g/cm3), dadurch hoher Tragekomfort • Thermisch hoch belastbar und damit herkömmlich sterilisierbar (ISO 11357 343 °C) • Röntgentransparent (verursacht keine Artefakte bei sämtlichen bildgebenden Verfahren) • Compoundierbar mit verschiedenen Zusätzen (TiO2, BaSO4, HAP, Fasern) E-Modul GPa Polymerisations- schrumpfung % Abb. 3: Vergleich von PEEK mit konventionellen Dentalkunststoffen. • Verblendbar mit konventionellen Kompositen • Verschiedene Verarbeitungsverfahren möglich (Spanabtrag, Spritzguss, Laser-Sintern) Abb. 2: Materialvorzüge von PEEK. Abstract Polyetheretherketone (PEEK) – a highly promising material of the future Patients’ desire for metal-free restorations is often scientifically justified. Besides allergies and hypersensitivities towards metals or alloys, other material properties, such as weight and elasticity significantly influence the wear comfort of a denture. Therefore, the high-performance biomaterial PEEK (polyetheretherketone) represents a valuable alternative to conventional dental materials. It has been approved by the FDA as implant material in the 1990s and has since then been implanted mainly in the fields of orthopedics and traumatology. Presently due to its outstanding properties it is also increasingly used for dental applications. The aim of this article is to provide an overview of the material properties of PEEK and its application possibilities in the field of dentistry. Key words: Polyetheretherketone (PEEK), Biomaterial, CAD/CAM, Finite Element Analysis, Dental Prosthesis. 256 lischen Eigenschaften (Abb. 2 und 3) in vielen Industriezweigen Anwendung, ob in Form von Zahnrädern, Gleitlagern, Buchsen, Leuchtfassungen oder Tennissaiten. PEEK wurde 1981 patentiert und in den 1990er-Jahren durch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) als Implantatmaterial zertifiziert. Momentan kommt in der Medizin PEEK vornehmlich auf den Gebieten der Ortho­pädie (LIAO 1994, MAHARAJ & JAMISON 1993), Trauma­tologie (CORVELLI et al. 1997, KELSEY et al. 1997) und Neuro­chirurgie (ALIBHAI et al. 2013) als Implantatmaterial zum Einsatz. Für das Gebiet der Zahnmedizin wird auf dem Dentalmarkt ein einteiliges Implantatsystem auf PEEK-Basis aus dem französischsprachigen Raum angeboten, über dessen Langzeiterfolg bisher wenig bekannt ist (SisoMM® bvba, Hasselt, Belgien). Des Weiteren sind provisorische Abutments erhältlich, welche lediglich für 30 180 Tage im menschlichen Körper verbleiben dürfen. Aktuell wird zunehmend mehr permanenter, herausnehmbarer Zahnersatz auf PEEK-Basis via CAD/CAM bzw. via Spritzguss hergestellt. Hierbei ist das spanabtragende CAD/CAM-Verfahren zu bevorzugen, da es Spannungsfreiheit in den hergestellten Gerüsten gewährleisten kann. Werkstoffkundliche Eigenschaften PEEK Compounds PEEK ist mit verschiedenen Zusatzstoffen compoundierbar, wodurch seine Materialeigenschaften gezielt an die jeweiligen Anforderungen angepasst werden können (SKINNER 1988). Dementsprechend kann PEEK beispielsweise für lasttragende Implantate wie Osteosyntheseplatten und Hüftgelenkschäfte mit Kohlefasern verstärkt werden. Des Weiteren können dem Werkstoff verschiedene Pulver beigemischt werden, um beispielsweise seine Eigenfarbe aufzuhellen (TiO2), um eine höhere Röntgen­ umwelt·medizin·gesellschaft | 27 | 4/2014 PEEK opazität zu erreichen (BaSO4) oder die Knocheneinheilung von PEEK zu optimieren (Hydroxylapatit) (Invibio, Ltd., ThorntonCleveleys, United Kingdom) (Abb. 4 und 5). Biegefestigkeit Voraussetzung für die Anwendung von Kunststoffen in der zahnärztlichen Praxis ist eine Mindestbiegefestigkeit von 65 MPa (DIN EN ISO 10477). Im Rahmen unserer Untersuchungen am Bereich Zahnärztliche Werkstoffkunde und Biomaterialforschung der Charité konnten wir zeigen, dass alle von uns getesteten PEEK-Sorten signifikant höhere Biegefestigkeitswerte erreichten (Abb. 6). Hierbei zeigten die ungefüllten PEEK-Varianten in den 3-Punkt-Biegestests die niedrigsten Festigkeitswerte von durchschnittlich ca. 170-180 MPa. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen konnten des Weiteren zeigen, dass mit den zur Verfügung stehenden PEEK-Compounds, die uns als Halbzeuge geliefert wurden, eine große Spannbreite hinsichtlich der E-Moduli im Vergleich mit konventionellen Werkstoffen abgedeckt werden kann, falls dies gewünscht sein sollte (Abb. 7). Zellkulturtests Auch haben wir verschiedene PEEK-Sorten in Form runder Plätt­chen mit einem Durchmesser von 10 mm in vorläufigen Zell­kulturtests untersucht. In einer Serie wurden PEEK-Sorten mit unterschiedlichen Füllstoffen (ein „Medical-Grade“ mit 10 % Titandioxid für den Einsatz von 30 Tagen im menschlichen Körper; zwei „Industrial-Grades“, einerseits mit 30 % Glas­ faser­anteil und andererseits mit 30 % Kohlefaseranteil für den 1200 PEEK 1000 ungefüllt gefüllt 800 Fasern kurz zur Veränderung der... Kohlefasern MPa Pulver endlos Glasfasern Kohlefasern ungeordnet geordnet Glasfasern 600 400 200 er n n= 60 5 er n n= 30 10 as ef hl Ko Ko hl ef as se rn n= 30 10 Gl as fa lfa t n= 20 5 su m riu Ba Ti ta Abb. 4: Compoundierungsmöglichkeiten für PEEK. 0 io xid n= 10 10 Hydroxylapatit nd ...Biokompatibilität Bariumsulfat ge n= füllt 10 ...Röntgenopazität Un ...Eigenfarbe Titandioxid Abb. 6: Biegefestigkeitswerte unterschiedlicher PEEK Compounds; verwendete Zusatzstoffe von links nach rechts: keine („Ungefüllt“), 10 % Titandioxid-Pulver („Titan­dioxid10“), 20 % Bariumsulfat-Pulver („Bariumsulfat20“), 30 % kurze Glasfasern („Glasfasern30“), 30 % kurze Kohlefasern („Kohlefasern30“) und 60 % geordnete EndlosKohlefasern („Kohlefasern60“) (SCHWITALLA et al. 2013). Abb. 5: Eigenfarben verschiedener PEEK-Compounds. umwelt·medizin·gesellschaft | 27 | 4/2014 Abb. 7: Dargestellt ist die Spannbreite der E-Moduli von verschiedenen PEEK-Compounds im Vergleich zu den E-Moduli natürlicher Hartgewebe und konventioneller zahnärztlicher Werkstoffe. 257 PEEK Titandioxid Titandioxid (10%) (10%) Kohlefasern(30%) (30%) Glasfasern Glasfasern (30%) Kohlefasern (30%) Abb. 8: Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen von Mäusefibroblasten, die auf polierten Oberflächen unterschiedlicher PEEK-Sorten kultiviert und deren Anzahl über 21 Tagen gezählt wurde; Zellzahl nach 21 Tagen: 30% Glasfaser-PEEK > 30% Kohlefaser-PEEK ≥ TiO2-PEEK (SPINTIG et al. 2013). Abb. 9: Kohlefaser-gefülltes (dunkles) PEEK (a) Auflichtmikroskopie und (b) Fluor­eszenz­ mikroskopie (Fluorescein). Abb. 10: TiO2-gefülltes (helles) PEEK (a) Fluorescein-Färbung (Zellen sind nur am Rand des Probekörpers erkennbar) und (b) modifizierte Fluorescein-Färbung. Einsatz in Bereichen der Industrie) und polierten Oberflächen mit Mäusefibroblasten inkubiert und die Zellzahl nach 21 Tagen evaluiert. Die höchste Anzahl an Zellen wurde auf den Plättchen des Glasfaser-gefüllten PEEKs gefunden, die zweithöchste auf PEEK-Plättchen mit 30 % Kohlefaseranteil, und die niedrigste Zellzahl auf dem Titandioxid-gefüllten PEEK. Erstaunlicherweise generierten somit die Industrial-Grades, die nicht für den Einsatz im menschlichen Organismus zugelassen sind, die höchsten Zellzahlen. Diese Ergebnisse bedürfen sicherlich weitergehender Untersuchungen, belegen jedoch einmal mehr die ausgezeichnete Biokompatibilität der untersuchten PEEK-Compounds (Abb. 8). helle PEEK-Compounds die Verwendung langwelligerer Farbstoffe (z.B. Cy-5-NHS) an, wobei jedoch nicht der Zellkörper direkt, sondern die extrazelluläre Matrix angefärbt wird (BECKER 2013). Je nach Farbe und Zusammensetzung des PEEK-Compounds muss, im Vorfeld des in-vitro-Versuchs, eine genaue Abklärung der Auswertungsparameter erfolgen. Bei allen Zellkulturtests stellt die Visualisierung von Zellen auf PEEK eine Herausforderung dar. Einerseits lassen dunkle PEEKCompounds (z.B. Kohlefaser- und teilweise Glasfaser-gefülltes PEEK) eine herkömmliche Auflichtmikroskopie (IFM Alicona) nicht zu, was primär auf die Lichtreflexion des Füllstoffanteils zurückzuführen ist (Abb. 9). Andrerseits weist helles PEEK (z.B. ungefülltes PEEK, TiO2- und teilweise Glasfaser-gefülltes PEEK) eine extreme Autofluoreszenz auf. Mit typischen Fluoreszenzfarbstoffen (z.B. Fluorescein oder Rhodamin) sieht man grüne bzw. rote Zellen auf grünem bzw. rotem Hintergrund (Abb. 10). Durch Einsatz spezieller Filter und Veränderungen der Anfärbetechniken kann man die Autofluoreszenz zwar reduzieren, jedoch nicht vollständig ausschließen. Daher bietet sich für 258 Eigenschaften als zahnärztlicher Werkstoff PEEK ist hervorragend polierbar und weist eine geringe Plaque­ affinität auf. Auch aufgrund seiner knochenähnlichen Elasti­zi­täts­ eigenschaften eignet sich das Material ideal für implantatgetragenen Zahnersatz. Bei einer Biegefestigkeit von ca. 170 MPa und einem E-Modul von ca. 4 GPa ist das Risiko eines Materialbruchs minimal. Im Gegensatz zu steifen Materialien haben Zahntechniker beim Entwerfen des Zahnersatzes aus PEEK eine höhere Designfreiheit. Gerade bei komplexeren Fällen kann der Einsatz von steiferen Materialien wie Titan (E-Modul: 110 GPa) oder Zirkoniumdioxid (E-Modul: 210 GPa) im Rahmen des Kauvorgangs zu einer Überbelastung noch vorhandener Zähne und des Kieferknochens führen, da hierbei die eingeleiteten Kaukräfte direkt auf das benachbarte natürliche Gewebe übertragen werden (BOUGHERARA et al. 2010). Dieses Phänomen kann beispielsweise eine Knochenresorption an Implantaten zur Folge haben (FROST 1992). Durch seine elastischeren Eigenschaften lässt sich PEEK daher leichter in den Organismus integrieren. Deshalb ist PEEK besonders für umwelt·medizin·gesellschaft | 27 | 4/2014 PEEK Patienten mit ausgeprägtem Bruxismus zu empfehlen. So kann beispiels­weise durch die Verwendung von Osteosyntheseplatten auf PEEK-Basis - im Gegensatz zu steifen Osteosyntheseplatten aus Titan - der sogenannte „Stress-shielding“-Effekt vermieden werden, welcher dazu führt, dass die Knochendichte aufgrund der Belastungsabschirmung durch die Platte in diesem Bereich abnimmt (HUISKES et al. 1992, UHTHOFF et al. 2006). Übertragen auf die Zahnmedizin, hat PEEK auch hier als Basis für Zahnersatz die Eigenschaft, Verwindungen der Gerüste besser kompensieren und stoßdämpfend gegen die eingeleiteten Kaukräfte wirken zu können, was langfristig eine knochenprotektive Wirkung nach sich zieht. Dies konnten wir anhand von Finite Elemente Analysen andeutungsweise bestätigen, die in Zusammenarbeit mit Herrn M. Eng. Mohamed Abou-Emara und Herrn Prof. Dr.-Ing. Justus Lackmann an der Beuth Hochschule für Technik Berlin simuliert wurden. Hierbei konnte der maximale Kontaktdruck am Knochen-Implantat-Interface eines ImplantatSystems aus Titan reduziert werden, indem dieses mit einer Krone aus PEEK statt Keramik versorgt wurde (Abb. 11). PEEK ist chemisch inert und biokompatibel. Gleichzeitig hat es eine geringe Wärmeleitfähigkeit, leitet keine elektrischen Ströme und kann durch keine in der Mundhöhle vorkommende Substanz gelöst werden. Auch aufgrund seines geringen Gewichts, das einen positiven Tragekomfort bewirkt, und seiner Geschmacksneutralität im Gegensatz zu metallhaltigen Restaurationen wird PEEK, etwa als Basismaterial für Prothesen, von Patienten als besonders angenehm empfunden. Es sind keine Unverträglichkeiten gegenüber PEEK bekannt, sodass es ideal als alternativer Werkstoff für Patienten mit einem hohen Allergierisiko geeignet ist. Subjektiv erscheint die beige, bisweilen gräuliche bzw. weiße Eigenfarbe von PEEK – abhängig vom jeweiligen Hersteller – gewöhnungsbedürftig; verglichen mit konventionellen Metallgussprothesen optisch jedoch diskreter. Die gräulichen bis beigefarbenen Prothesenelemente treten aufgrund von Schatteneffekten – gerade unter Einhaltung des klassischen Sprech-/Komfortabstands – eher in den Hintergrund. Deshalb ist weißes PEEK aufgrund seiner hervorstechenden Eigenfarbe nicht in jedem Fall indiziert. Des Weiteren wird die Handhabung von klammergetragenen Prothesen als besonders komfortabel empfunden: Die Klammerarme sind ausreichend stabil und aufgrund ihrer hervorragenden Elastizität kann selbst ein ungeübter oder körperlich beeinträchtigter Patient mühelos seine Prothese entfernen. Nachträgliches Aktivieren von metallischen Klammerarmen, die ihre Haltefunktion verloren haben, wird hinfällig – ebenso die damit verbundenen Zahnarztbesuche. Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass eine Klammer aus PEEK gebrochen ist, so kann diese mithilfe des Ultraschall-Schweißens repariert werden. Der Klammerarm sollte weitgehend unterhalb des prothetischen Äquators positioniert werden, was aufgrund der elastischen Eigenschaften von PEEK gewährleistet wird. Gegebenenfalls kann in diesem Bereich eine diskrete Retentionsrille am Zahn angebracht werden, die die Haltefunktion verbessern kann. Deren Position wird idealerweise in Rücksprache mit dem zahntechnischen Labor geplant. Verarbeitung PEEK kann sowohl im Spritzgussprozess als auch mechanisch verund bearbeitet werden. Der Einsatz des Lasersinterns ist ebenfalls möglich, ebenso das oben erwähnte Ultraschallschweißen als Fügetechnik. Im Bereich der Zahnmedizin stellen das Spritzguss- und das CAD/ CAM-Verfahren die gängigsten Herstellungsprozesse für individuelle Konstruktionen dar. Im Rahmen des Spritzgussprozesses können Schwindungen am Werkstück entstehen, welche Spannungen und Verzüge innerhalb des Zahnersatzes nach sich ziehen. Diese Nachteile treten beim CAD/CAM-Verfahren nicht auf, da zur Herstellung des Zahnersatzes industriell extrudierte, homogene Fräsronden für die Fertigung per Spanabtrag herangezogen werden. Deshalb wird dieses Verfahren mehrheitlich bevorzugt. Verbundfestigkeit zu Verblendkunststoffen Mehrere neuere Arbeiten von Wagner et al., Schmidlin et al. und erst kürzlich auch von Rosen­tritt et al. und Keul et al. konnten zeigen, dass ein suffizienter Verbund zwischen dem PEEK-Gerüst und dem entsprechenden Verblend­­komposit hergestellt werden kann, welcher der von der ISO 10477 geforderten Mindestscherhaftfestigkeit von 5 MPa entspricht (KEUL et al. 2014, ROSENTRITT et al. 2014, SCHMIDLIN et al. 2010, WAGNER et al. 2012) (Abb. 12 und 13). Unabhängig davon, ob compoundiertes Material oder ungefülltes PEEK zum Einsatz kommt, wird ein funktionell wie ästhetisch ansprechendes Ergebnis erzielt. Eine wichtige Rolle spielt bei der Verarbeitung offenbar die sorgfältige Kondensierung des Verblendkomposits auf das PEEK-Gerüst. Indikationen Abb. 11: Finite Elemente Analyse (FEA) eines Implantatsystems aus Titan mit einer Keramikkrone einerseits („Variante 1“) und andererseits mit einer PEEK-Krone („Variante 2“); a) Schematische Darstellung der Krafteinleitung; b) Resultierende FEA-Bilder (hier: Variante 1 mit Darstellung der Von-Mises-Spannungen im Knochen); c) Ergebnisse der maximalen Kontaktdrücke aus der FEA. umwelt·medizin·gesellschaft | 27 | 4/2014 Abhängig von der Materialzusammensetzung der momentan auf dem Markt verfügbaren PEEK-Rohlinge variieren deren Einsatzgebiete im zahntechnischen Bereich. Daher ist beispielsweise neben dem beigen, ungefüllten PEEK auch weißes, mit Titandioxid-Pulver angereichertes PEEK erhältlich. Ungefülltes PEEK ist derzeit für definitiven, (bedingt) herausnehmbaren Zahn­ ersatz wie Implantat-getragene Suprakonstruktionen, Teleskop-, Geschiebe- und Stegarbeiten zugelassen. Der per CAD/CAM- 259 PEEK Abb. 12: Scherhaftfestigkeit des Verbunds eines konventionellen Verblendkomposits mit PEEK in Abhängigkeit von der Oberflächenrauheit entsprechend der Korngröße des verwendeten Strahlguts. Vor Auftragen des Verblendmaterials wurde die PEEK-Oberfläche per Sandstrahl konditioniert. hergestellte Zahnersatz aus PEEK kann sowohl Zahn- als auch Implantat-getragen sein und gewährleistet eine rundum ästhetische und funktionelle Versorgung. Die Indikationserweiterung auf festsitzenden Zahnersatz, wie Kronen und Brücken, soll laut Hersteller demnächst erfolgen. In dieser Form und verblendet bietet PEEK dann aufgrund seiner hervorragenden Eigenschaften eine ideale metallfreie Alternative zu den konventionellen zahnärztlichen Werkstoffen. Ergebnisse von Langzeitstudien stehen diesbezüglich noch aus. Fazit Der Hochleistungswerkstoff PEEK kommt aufgrund seiner überzeugenden chemischen und physikalischen Eigenschaften seit langem in weiten Teilen der Industrie zur Anwendung. Seit längerer Zeit hält das Material wegen seiner mehrfach nachgewiesenen Biokompatibilität als Implantatmaterial und seiner knochenähnlichen elastischen Eigenschaften auch Einzug in viele Bereiche der Medizin und Zahnmedizin, und wird zunehmend für Zahnersatz verarbeitet. Dem aktuellen Wissens- und Erfahrungsstand nach zeichnet sich für PEEK eine vielversprechende Zukunft auf dem zahnmedizinischen Sektor ab. Zwar gibt es noch Bedarf an weiterführenden wissenschaftlichen Untersuchungen, um Indikationserweiterungen für PEEK zu evaluieren. Es ist aber bereits jetzt davon auszugehen, dass nicht nur die zunehmende Nachfrage nach biokompatiblen, metallfreien Werkstoffen, sondern auch die zunehmende Berücksichtigung umweltzahnmedizinischer Aspekte dazu beitragen werden, dass PEEK als zahnärztlicher Werkstoff weiter an Bedeutung gewinnt. Hersteller Bislang bekannte Hersteller eines FDA-zertifizierten PEEKs für den dauerhaften Verbleib im menschlichen Organismus sind Invibio Biomaterial Solutions Ltd. (PEEK-Optima), welche die Firma Juvora Ltd. ausgegliedert hat, um den Dentalmarkt mit PEEK-Blanks zu versorgen, und die Evonik Industries AG (Vestakeep® PEEK i-Grades). Abb. 13: Untersuchung der Verblendung im Rasterelektronenmikroskop. 260 umwelt·medizin·gesellschaft | 27 | 4/2014 PEEK Kontakt: Dr. med. dent. Andreas Schwitalla (Korrespondenzanschrift) Bereich Biomaterialforschung und Zahnärztliche Werkstoffkunde Abteilung fur zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und Funktionslehre ChariteCentrum 3 für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde Charite – Universitätsmedizin Berlin Assmannshauser Str. 4-6, 14197 Berlin Tel: 030-450 562 224 Fax: 030-450 562 923 [email protected] ZA Tobias Spintig Bereich Biomaterialforschung und Zahnärztliche Werkstoffkunde Abteilung fur zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und Funktionslehre ChariteCentrum 3 für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde Charite – Universitätsmedizin Berlin Assmannshauser Str. 4-6, 14197 Berlin SCHWITALLA AD, WAGNER R, SPINTIG T, MÜLLER W-D. (2013b): Bonding strength between PEEK and C&B composite. Oral Presentation. CED-IADR September 4-7 2013, Florence, Italy. SKINNER HB. (1988): Composite technology for total hip arthroplasty. Clin Orthop Relat Res. 235: 224–236. SPINTIG T, WEINHOLD H, MÜLLER W-D, SCHWITALLA A. 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Wolf-Dieter Muller Bereich Biomaterialforschung und Zahnärztliche Werkstoffkunde Abteilung fur zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und Funktionslehre ChariteCentrum 3 für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde Charite – Universitätsmedizin Berlin Assmannshauser Str. 4-6, 14197 Berlin Nachweise ALIBHAI MK, BALASUNDARAM I, BRIDLE C, HOLMES SB. (2013): Is there a therapeutic role for cranioplasty? Int J Oral Maxillofac Surg. 42(5): 559-561. BECKER M, LORENZ S, STRAND D, VAHL CF, GABRIEL M. (2013): Covalent Grafting of the RGD-Peptide onto Polyetheretherketone Surfaces via Schiff Base Formation. The Scientific World Journal Volume 2013: Article ID 616535, 5 pages, http://dx.doi. org/10.1155/2013/616535. BOUGHERARA H, BUREAU MN, YAHIA L. (2010): Bone remodeling in a new biomimetic polymer composite hip stem. J Biomed Mater Res A. 92: 164-174. CORVELLI AA, BIERMANN PJ, ROBERTS JC. (1997): Design, analysis and fabrication of a composite segmental bone replacement implant. 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