Patientenbezogene Psychotherapieforschung –Die Ergebnisse der „QS-Psy-Bay-Studie“ Bernhard Strauß, Helmut Kirchmann, Uwe Altmann, Rolf Steyer, Anna Zimmermann, Ellen Bruckmayer, Andres Steffanowski, Werner W. Wittmann, Dietmar Kramer, Irmgard Pfaffinger, Friedrich von Heymann, Elisabeth Auch-Dorsch (Jena, München, Heidelberg, Mannheim) 20.06.2013 Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie Übersicht • Paradigmenwechsel in der Psychotherapieforschung? • „Kernergebnisse“ der QS‐Psy‐Bay‐Studie • Typische Therapieverläufe • Verlängerungen ambulanter Richtlinienpsychotherapien • Vorläufiges Fazit und Ausblick 2 Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie Verschiedene Ansätze praxisorientierter Forschung • Patient‐focused research (z.B. Veränderungsmuster und deren Nutzung, e. g. durch Feedback) • Practice‐based Evidence (Nutzung von Datenbanksystemen, e.g. COMPASS, CORE, praxisbasierte Normierungen) • Practice‐Research Networks (Störungsspezifische oder –unspezifische Kooperations“systeme“, e.g. Penn State Training Clinic) vgl. Castonguay, Barkham, Lutz & McAleavey (2013) 3 Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie Prozessbeschreibung QS‐PSY‐BAY 6 Studiendesign von QS‐PSY‐BAY Naturalistische Längsschnittstudie zur Ergebnisevaluation Therapieverlaufsmessungen Juni 2007‐ Juni 2009 Teilnehmende Therapeuten N = 217 Therapeuten Teilnehmende Patienten N = 1.696 Patienten Befragungszeitpunkte Erstkontakt (T0) Therapiebeginn (T1) optional: Therapieverlängerung (T2, T3, T4) Therapieende (T5) Nachbefragung zur 1 –Jahres‐Katamnese (T6) Verwendete Fragebogen Basisdokumentation (BD) Psychopathologie ‐ PHQ (Patient Health Questionnaire ‐ PHQ) Lebensqualität ‐ SEL (Skala zur Erfassung der Lebensqualität ‐ SEL) Beziehungsqualität ‐ HAQ (Helping Alliance Questionnaire ‐ mit Selbst‐ und Fremdeinschätzung) Problembereiche ‐ PPB (Problembereiche aus der PSY‐ BADO mit Selbst‐ und Fremdeinschätzung) 7 Ergebnisevaluation: Studienfragen • Welche Ergebnisqualität hat die dokumentierte ambulante Psychotherapie? • Sind die eingesetzten Fragebogen geeignet, Änderungen im Therapieverlauf abzubilden? • Wie effizient ist ambulante Psychotherapie? 8 Stichprobenbeschreibung: Patienten, N = 1696 Alter M = 40,2 Jahre (SD = 12,3); Geschlecht: 76,8% w Hauptdiagnosegruppe N % Sonstige Diagnose (noch nicht zugeordnet; Fxx.x) 104 6,1 Leichte depressive Störungen (F32.0, F33.0, F34.1) 265 15,6 Mittelgradige depressive Störungen (F32.1, F33.1) 429 25,3 Schwere depressive Störungen (F32.2/3, F33.2/3) 132 7,8 91 5,4 228 13,4 Zwangsstörungen (F42) 35 2,1 Posttraumatische Belastungsstörungen (F43.0/1) 84 5,0 161 9,5 Somatoforme Störungen (F45) 71 4,2 Essstörungen (F50) 37 2,2 Persönlichkeitsstörungen (F60) 59 3,5 1696 100,0 Phobische Störungen (F40) Sonstige Angststörungen (F41) Anpassungsstörungen (F43.2, F48) Total Behandlungsanlass sind vor allem Depressive Störungen (48,6%), gefolgt von Angststörungen (18,8%) und Anpassungs- bzw. PTSD (14,5%)!10 Studiendesign von QS‐PSY‐BAY 11 Merkmale der Therapeuten und der Therapien PA / P T VT / T /T P V P T / PA T V Verfahren TP 0 20 40 Von den untersuchten 1696 Behandlungen wurden 530 mindestens einmal verlängert. Von den 530 änderte sich bei 133 (25.1%) die Therapieform. Desweiteren wurde bei der 1.Verlängerung/Umwandlung bei 25 Patienten (4.7%) das Verfahren gewechselt. Zum Zeitpunkt der zweiten Verlängerung waren es 2 von 112 Patienten (1.8%). Ergebnisse: Skalenverlauf Depressivität Entwicklung über die vier Hauptmesszeitpunkte (N = 884 Patienten mit katamnestischen Daten; PHQ Rohwerte) ErstTherapie- Therapie- 1-Jahreskontakt beginn ende Katamnese 13 Multipler Status‐Indikator MSI Zusammenfassung aller Fragebogenskalen zur Ergebnisqualität PHQ Depression PHQ Somatische Symptome PHQ Stress PHQ Angst SEL Stimmung SEL Objektive Beschwerden SEL Subjektive Beschwerden SEL Erlebnistönung SEL Soziale Integration SEL Lebenseinstellung PPB Problembereiche Transformation in einheitliche Metrik: 0-100 Berechnung des MW als Indikator MSI 0-100 14 N = 309 abgeschlossene Therapien Erstkontakt Therapiebeginn Therapieende 1-JahresKatamnese 15 Standardisierte Ergebnisbewertung mit Effektgrößen Prä-Post-Effektgrößen basieren auf der z-Verteilung Mittelwertsdifferenz, geteilt durch die Standardabweichung ES = M post − M prä SD prä Unbehandelte Gruppe (prä) Standardisierte Evaluation von Prä-Postveränderungen über unterschiedlich skalierte Testskalen ist möglich! Behandelte Gruppe (post) ES ES = 0,20 „klein“ ES = 0,50 „mittel“ ES = 0,80 „groß“ (Cohen, 1992) 16 Ergebnisse: Entwicklung der Effektgrößen ES Nutzung der letzten verfügbaren Messung Erstkontakt Therapiebeginn Therapieende 1-JahresKatamnese N = 309 Patienten mit abgeschlossener Therapie N = 1.696 Intent-To-Treat Korrigierter Effekt Ergebnisse: Ergebnisqualität bei 1‐Jahres‐Katamnese Prä-Post-Effektgrößen Multipler Status-Indikator MSI, Häufigkeitsverteilung Grafische Plausibilitätskontrolle Neben einer Vielzahl von deutlich positiven Effekten werden auch einige Nulleffekte bzw. Verschlechterungen berichtet. -> Kein Hinweis auf systematische Auslassung von kritischer Verläufe! N = 309 Patienten mit abgeschlossener Therapie; Effektgrößen für Vergleich zwischen Therapiebeginn und 1-Jahres Katamnese 18 Kurzzeittherapie und Langzeittherapie Multipler Status‐Indikator MSI (Range: 0 – 100 Punkte) Bei der KZT wurden im Durchschnitt 18,2 Sitzungen (SD = 8,1) in 10,9 Monaten (SD = 5,0) und bei der LZT 51,7 Sitzungen (SD = 29,8) in 18,2 Monaten (SD = 4,9) absolviert. 19 Diskussion und Ausblick QS‐PSY‐BAY‐Systematik ist zur schulen‐, störungs‐ und praxis‐ übergreifenden Qualitätssicherung im ambulanten Bereich geeignet und wird von den Patienten gut angenommen. Die Prä‐Post‐Effekte (Cohen‘s d) zeigen sowohl auf den Einzelskalen als auch in der zusammengefassten multiplen Ergebnisskala (MEK) große Effekte, die in der 1‐Jahres‐Katamnese stabil sind. Langzeittherapiepatienten erreichen trotz höherer Ausgangsbelastung in ihrem gesundheitlichen Befinden bis zum Therapieende annähernd das gleiche gesundheitliche Niveau wie die Kurzzeittherapiepatienten. Dies lässt sich im Sinne einer bedarfsgerechten Versorgung interpretieren. Die Daten liefern Patienten, Therapeuten, Kostenträgern, Gesundheitspolitikern und der Öffentlichkeit eine Dokumentation der Leistungsfähigkeit der ambulanten Psychotherapie und lassen sich zur Versorgungsforschung nutzen. Repräsentativität wird anhand von Versorgungsdaten derzeit überprüft, um etwaigen doppelten positiven Selektionseffekt abschätzen zu können (motivierte Therapeuten und Patienten). 20 Verlaufsmuster depressiver Störungen bei ambulanten psychotherapeutischen Behandlungen: Ergebnisse der QS-Psy-Bay-Studie. Zeitschrift für Klinische Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, eingereicht FOKUS t0,t1,t5 Verlängerungen ambulanter Psychotherapien: Eine Studie zu Patienten-, Therapeuten-, Behandlungsund Verlaufsmerkmalen. PPmP, submitted Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie QS-PSY-BAY: Projekterfahrungen der Beteiligten Strauss, B., Lutz, W., Steanowski, A., Wittmann, W. W., Böhnke, J. R., Rubel, J., Scheidt, C. E., Caspar, F., Vogel, H., Altmann, U., Steyer, R., Zimmermann, A., Bruckmayer, E., von Heymann, F., Kramer, D., and Kirchmann, H. Benefits and challenges in practice-oriented psychotherapy research in Germany: The TK- and the QS-PSY-BAY projects of quality assurance in outpatient psychotherapy. Psychotherapy Research. Submitted 38 Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie Vorbereitungen und Durchführung • Wichtigkeit einer von Praktikern ausgehenden Qualitätssicherung • "non‐Punitivität" • Definition von klaren Zielen und Nichtzielen • Vereinigung von berufspolitischen, wissenschaftlichen und praktischen Aspekten in einem Projekt • Integration von Therapierichtungen • lange Vorbereitungszeiten • lange Projektlaufzeit, Komplexität • Auswahl und Nutzung standardisierter Diagnostik • intensive Beschäftigung mit den Befürchtungen der Praktiker, Wissenschaftler • Anforderungen des Datenschutzes 39 Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie Kommende Fragestellungen • Wird durch ambulante Psychotherapie eine Kostenersparnis im Gesundheitssystem erreicht? • Wird durch ambulante Psychotherapie eine Reduktion von Arbeitsunfähigkeitstagen erreicht? • Lasen sich Prä-Post-Symptomveränderungen durch die Helping Alliance zum Beginn der Psychotherapie prädizieren? • Lassen sich Prä-Post-Symptomveränderungen durch Versorgungsdaten (z.B. Doctor-Shopping) prädizieren? • …… 40 Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ! 41