WISSEN AKTUELL Onko-Update des Forums für medizinische Fortbildung Immer mehr Krebs-Subtypen erweitern Krebstherapien Gezielte Screenings und neue Medikamente haben in den letzten Jahren die Überlebensrate von Krebspatienten kontinuierlich erhöht. Namhafte Krebsspezialisten orientierten anlässlich eines grossen «Onko Update Refresher» des ­Forums für medizinische Fortbildung FOMF in Zürich über neue Entwicklungen und Erkenntnisse in der Onkologie und über die Bedeutung von Screenings bei der Früherkennung von Krebs. D urch die molekulare Forschung hat sich das Wissen über Krebs in den letzten Jahren verändert und vergrössert. Heute stehen hinter der Diagnose Krebs nicht mehr nur einige wenige Tumorkrankheiten, sondern 210. «Und es kommen laufend weitere hinzu», erklärte Prof. Dr. med. Thomas Cerny, Chefarzt Onkologie am Kantonsspital St. Gallen. Abb. 1 Wichtiges zur Nachsorge Mamma-Karzinom 1. Prinzip 2. Empfehlungen – Lokoregionäre Rezidive noch heilbar: suchen! – Systemische Rezidive nicht heilbar, Zeitpunkt hat kaum Effekt auf Gesamtüberleben – Jährlich eine Mammographie – Alle 3 bis 6 Monate eine klinische Untersuchung inklusive Anamnese – (Selbstuntersuchung der Mammae) jährlich eine gynäkologische Untersuchung 3. Nicht empfohlen – Routine Blut-Entnahme – Alle radiologischen Untersuchungen der informierte arzt _ 11 _ 2013 Noch vor wenigen Jahren konnte der Lungenkrebs beispielsweise lediglich in das kleinzellige und das nichtkleinzellige Lungenkarzinom eingeteilt werden. Heute sind über ein Dutzend Subtypen bekannt, die sich molekular voneinander unterscheiden lassen. «Erst seit kurzem ist auch bekannt, dass die Krebszellen im Primärtumor nicht zwingend mit denjenigen in Metastasen identisch sein müssen und dass Tumorzellen ihre Mikroumgebung auch verändern können», so Prof. Cerny. Neue Wirkstoffe greifen Tumorzellen nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an Das immer grösser werdende Wissen über Krebs, die Subtypen und die Tumorzellen führte in den letzten Jahren zu vielen neuen Krebsmedikamenten, die hochpotent sind und hohe Ansprechraten aufweisen. Ihre Wirkstoffe bestehen oft aus Substanzen, die spezifisch bestimmte Tumorzellen nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip angreifen und ihre Vermehrung durch Hemmung und Blockierung extra- und intrazellulärer Signalwege bremsen oder das Immunsystem gezielt aktivieren. Viele dieser Medikamente sind nun mit sehr präzisen Indikationen zugelassen. «Fast 900 neue Substanzen zur Krebsbehandlung werden derzeit in klinischen Studien erprobt», führte Cerny aus. Studien weisen darauf hin, dass einige dieser Wirkstoffe in Zukunft auch in der Erstlinienbehandlung und in Kombination mit konventionellen Therapien eingesetzt werden können. Denkbar ist auch, dass ein für einen bestimmten Subtyp zugelassener Wirkstoff künftig auch bei anderen Krebsarten therapeutisch eingesetzt werden kann. Denn einige spezielle Rezeptormutationen, die das Tumorwachstum induzieren, kommen gleich bei mehreren Krebsarten vor. So werden 45 WISSEN AKTUELL · KONGRESS Abb. 2 SGU-Empfehlungen zum PSA-Screening Alter (Jahre) Untersuchung Ab 45 PSA-Screening und DRE bei Wunsch und nach ausführlicher Information und erstgradigen Verwandten(Vater, Bruder) mit Prostatakarzinom 50–70 PSA-Screening und DER bei Wunsch und nach ausführlicher Information >70 Kein Screening. PSA-Bestimmung nur bei symptomatischem Karzinom etwa ALK-, BRAF-, KRAS- und HER2-Mutationen bei einigen ­Patienten mit Lungen-, Mamma- oder Dickdarmkarzinom festgestellt. Spezifische Behandlungsmöglichkeiten beim Lungenkarzinom Konkrete Beispiele, wie die neuen Wirkstoffe die Krebstherapie bei Lungenkrebs verbessern, präsentierte unter anderem Dr. med. Dr. phil. nat. Sacha Rothschild vom Universitätsspital in Basel. So profitieren heute Patienten mit einem metastasierenden Adenokarzinom und einem mutierten EGFR-Rezeptor beispielsweise von Afatinib, Erlotinib oder Gefitinib. Eine Behandlung mit dem EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitor verlängert das Gesamtüberleben dieser Patienten auf rund zwei Jahre, was im Vergleich zu einer Platinbasierten Chemotherapie einer Lebenszeitverlängerung von rund acht Monaten entspricht. «Das ist für Patienten mit einem Lungenkarzinom sehr viel», erklärte der Onkologe. «Ein Problem stellt allerdings die Resistenzbildung dar», führte Dr. Rothschild aus. Bei vielen Patienten lässt die Wirkung der neuen Medikamente nach einiger Zeit nach. Die genauen Mechanismen sind nicht bekannt, sie werden gegenwärtig aber intensiv erforscht. Ein weiterer neuer Ansatz in der Behandlung von Lungenkrebs ist das Konzept, nach einer Erstlininienchemotherapie (in der Regel 4 Zyklen) ein damit erreichtes Tumoransprechen durch eine Erhaltungstherapie zu konsolidieren. Die Erhaltungstherapie sollte nach Möglichkeit so gewählt werden, dass die Lebensqualität der Patienten nicht negativ beeinflusst wird. Einige klinische Studien haben gezeigt, dass durch dieses Konzept eine Verlängerung des Überlebens erreicht werden kann. Fortschritte in der Therapie des multiplen Myeloms Neue Wirkstoffe haben in den letzten Jahren auch in der Behandlung des multiplen Myeloms Fortschritte gebracht. «Mit Talidomid, Bortezomib und Lenalidomid konnte das Überleben betroffener Krebspatienten seit 2003 im Bereich von 4 bis 6 Jahren verlängert werden», erklärte Dr. med. Felicitas Hitz vom Kantonsspital St. Gallen in ihrer Präsentation über Multiple Myelome. «Trotz dieser Fortschritte kann die Krankheit noch immer nicht geheilt werden», betonte sie. Nebst der zielgerichteten Myelomtherapie sollten supportive Massnahmen wie beispielsweise die Knochenstärkung mit Bisphosphonaten ausgebaut werden. Bei rezidivierenden Infekten hilft oft eine monatliche Immunglobulin-Substitution, für die aber ein Antrag auf Kostengutsprache bei den Krankenkassen gestellt werden muss. 46 Screening ist nicht perfekt, aber wirksam Eine Krebstherapie ist umso erfolgreicher, je früher mit ihr begonnen werden kann. Daher spielen Screenings bei der Früherkennung von Tumorerkrankungen eine grosse Rolle. Sie sind nicht perfekt, helfen aber, Todesfälle zu verhindern. Wann, unter welchen Umständen und bei welchen Patienten die Fachgesellschaften ein Screening empfehlen, darüber sprachen gleich drei Referenten. Dr. med. Ursula Hasler-Strub vom Brustzentrum St. Gallen zeigte anhand neuer Studienergebnisse auf, dass Frauen über 50 Jahre von einem zweijährlichen Mammographie-Screening profitieren. «Die Mammographie ist zwar keine perfekte Untersuchungsmethode, stellt aber heute die beste Möglichkeit zur Brustkrebsfrüherkennung dar», erklärte sie. Durch die Mammographie können kleine, nicht tastbare Veränderungen der Brust erkannt werden. Um die Belastung einer Mammografie klein zu halten, rät Dr. Hasler, die Frauen vor einer Untersuchung gut über die Vorund Nachteile einer Mammographie aufzuklären. Statistiken zu Folge wird unter 10 000 gescreenten Frauen zwischen 50 und 70 Jahren bei 500 bis 1000 ein verdächtiger Befund entdeckt. Von diesen Frauen haben 440 bis 940 (4,4–9,4%) keinen bösartigen Tumor, bei 60 (0,6%) wird ein Krebs gefunden und bei 12 Frauen (0,1%) liegt eine Krebserkrankung vor, obwohl bei ihnen in der Mammographie kein verdächtiger Befund erhoben wurde. PSA-Screening bringt Vorteil bei Prostatakarzinom «Ein PSA-Screening ist trotz Schwächen für die Früherkennung von Prostatakarzinomen sinnvoll», erklärte PD Dr. med. Frank Stenner vom Universitätsspital Basel. «Zudem ist das Screening eine Realität und wird von informierten Männern nachgefragt». Mit dem PSA-Screening werden kleine Tumore gefunden, die mit adäquater Behandlung geheilt werden können. Trotzdem sollen nicht wahllos alle Männer gescreent werden. Es bleibt das Problem der Überdiagnostik und Übertherapie einer signifikant grossen Zahl von Männern: Um einen Todesfall zu verhindern müssen 1055 gescreent und 37 Tumoren entdeckt und radikal behandelt werden. Das Screening gehört gemäss Dr. Stenner in die Hände von Experten, die den PSA-Wert nicht isoliert, sondern im Gesamtkontext bewerten. Die publizierten Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Urologie bilden hierzu die Grundlage (Abb. 2). wwClaudia Benetti Quelle: Onko Update Refrescher: Forum für medizinische Fortbildung (FOMS), 9. Mai 2013, Technopark Zürich 11 _ 2013 _ der informierte arzt