GYNÄKOLOGIE & GEBURTSHILFE 46 Arzneimittelsicherheit Antibiotika in der Schwangerschaft A.Witt Klinische Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinik für Frauenheilkunde,Wien Die Komplexität der Pharmakologie hat in der Vergangenheit und Gegenwart immer wieder zu unerwünschten Nebenwirkungen und in der Schwangerschaft zu Fehlbildungen geführt. Auch antimikrobielle Substanzen haben teilweise eine toxische Wirkung und sollten daher nicht unterschätzt werden. iel jeglicher Behandlung in der Schwangerschaft ist es natürlich, weder die Mutter noch die Entwicklung des Embryos bzw. des Feten zu schädigen. Um dies möglichst sicher zu erreichen, müssen einige Sicherheitsstandards eingehalten werden. E Arzneimittelstoffwechsel von Schwangeren In der Schwangerschaft verläuft der Arzneimittelstoffwechsel etwas komplizierter als sonst, da die tatsächliche Konzentration der verabreichten Substanz von verschiedenen Faktoren abhängt. Zu Beginn steht die Aufnahme, Verteilung und Verstoffwechslung der Mutter, danach erfolgt die Passage durch die Plazenta. Die Plazentaschranke verhält sich DR. dabei für jede Substanz unter- ARMIN WITT schiedlich, grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass Stoffe mit einer Molekularmasse über 800 Dalton diese nicht passieren können. Der nächste Schritt ist die Verteilung und der Arzneimittelstoffwechsel im Kind, die fetale Leber beginnt mit ihrer Funktion bereits ab dem 3. Monat. Anschließend kommt es zur Ausscheidung durch das Kind, weiters zur Rückresorption aus dem Fruchtwasser und schließlich zur Ausscheidung durch die Mutter. Bei der Planung einer Arzneimitteltherapie gilt es einige Sicherheitsstandards zu beachten: • Frauen im gebärfähigen Alter müssen vor der Verordnung eines Medikamentes nach einer möglichen Schwangerschaft befragt werden • bei Langzeitbehandlung entweder Zyklusbeobachtung oder Kontrazeption • Medikation in der Schwangerschaft nach Möglichkeit mit „älteren“ Präparaten • möglichst Monotherapien verordnen • Dosis so niedrig wie therapeutisch möglich halten • Behandlungen ohne Medikamente erwägen • CAVE Phytotherapie, Tees, ethanolische Auszüge Im Falle einer zurückliegenden Arzneimitteltherapie sollte man sich keinesfalls zu Panikreaktionen hinreißen lassen: • keine Abbrüche wegen Fachinformation („unzureichend untersucht“, „tierexperimentell verdächtig“, „kontraindiziert“) • zusätzliche Vorsorgeuntersuchung (Ultraschall, α-Fetoprotein etc.) • erweiterte Diagnostik nur sinnvoll, wenn sich daraus für die Mutter eine Konsequenz ergibt • invasive Maßnahmen eher nicht sinnvoll Klassifizierung des teratogenen Risikos Kategorie A: Kontrollierte Studien an schwangeren Frauen haben kein erhöhtes Risiko für den Fetus während des 1. Trimesters ergeben (z.B. Folsäure). Kategorie B: Tierversuche gaben keinen Hinweis für Teratogenität, an schwangeren Frauen existieren keine kontrollierten Studien (z.B. Penicillin). Kategorie C: Tierversuche zeigten Hinweise auf fetale Schäden, wobei kontrollierte Studien beim Menschen fehlen (z.B. Chloroquin). Kategorie D: Es gibt Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für den menschlichen Fetus. Der Nutzen des Medikamentes kann jedoch bei zwingender Indikation eine Anwendung auch in der Gravidität rechtfertigen (z.B. Chinin) Kategorie X: Eindeutiger Zusammenhang mit fetalen Fehlbildungen. Das Risiko überwiegt jeglichen Nutzen (z.B. Isotretinoin)! Risikoprofile von Antibiotikaklassen Betalaktam-Antibiotika Hemmen die Zellwandsynthese der Bakterien, vergleichbare Stoffwechselschritte kommen beim Menschen nicht vor. Aus diesem Grund ist diese Antibiotikagruppe als unbedenklich einzustufen, wenngleich grundsätzlich eher ältere Vertreter zu wählen sind. Aztreonam, Mero-, Imipenem werden GYNÄKOLOGIE & GEBURTSHILFE 47 GYNÄKOLOGIE & GEBURTSHILFE TABELLE 1 Betalaktame (Penicilline/Cephalosporine/Aztreonam/Carbapeneme) Benzylpenicilline Penicillin G (Benzylpenicillin-Natrium, Clemizol-, Procain-Benzylpenicillin, Benzathin-Penicillin) Phenoxypenicillin (Oralpenicillin) Penicillin V Penicillinasefeste Flucloxacillin Dicloxacillin Oxacillin Aminobenzylpenicilline Ampicillin Amoxicillin Bacampicillin Carboxypenicilline Carpenicillin Temocillin Ticarcillin Cephalosporine I Cefalotin Cefazolin Cefazedon Cefaclor (oral) Cefadroxil (oral) Cefalexin (oral) Cephalosporine II Cefmandol Cefotetan Cefotiam Cefoxitin Cefuroxim Cefuroximaxetil (oral) Ureidopenicilline (Acylamino-) (Breitspektrumpenicilline) Azlozillin Apalcillin Piperacillin Mezlozillin Cephalosporine IV Cefepim Cefpirom Carbapeneme Imipenem Meropenem Monobactame Aztreonam ebenfalls zu dieser Gruppe gezählt, aufgrund ihres antimikrobiellen Spektrums sind sie jedoch Medikamente der 2. Wahl. Makrolid-Antibiotika Makrolide wirken bakteriostatisch durch Hemmung der Proteinsynthese. Die meiste Erfahrung besteht hinsichtlich des ältesten Vertreters, dem Erythromycin. Weder bei dieser noch bei den neueren Substanzen, wie Josa-, Spira-, Clarithro-, Roxithro- oder Azithromycin hat sich bisher der Verdacht auf teratogene Wirkungen ergeben. Lediglich das Erythromycinestolat ist für die Mutter im 2. und 3. Trimenon potenziell lebertoxisch, nach Absetzen kam es aber durchwegs zur Restitution ohne Folgeschäden für GYNÄKOLOGIE & GEBURTSHILFE Makrolide • Erythromycin • Azithromycin • Clarithromycin • Josamycin • Roxithromycin • Dirithromycin • Spiramycin • Clindamycin TABELLE 2 Cephalosporine III Cefixim (oral) Cefmenoxim Cefodizim Cefoperazon Cefotaxim Cefpodixim-Proxetil (oral) Cefsulodin Ceftazidim Ceftibuten (oral) Ceftizoxim Ceftriaxon Latamoxef Mutter und Kind. Bemerkenswert ist jedoch die äußerst schlechte Plazentagängigkeit der Makrolide, eine erfolgreiche intrauterine Therapie zum Beispiel eines Amnioninfektsyndroms ist daher fraglich. Bei intrauteriner Infektion durch Organismen wie Ureaplasma urealyticum sollte durchwegs ein Spezialist zur Therapieverordnung herangezogen werden. Auch Clindamycin wird zur Gruppe der Makrolide gezählt. Es ist ebenfalls nicht embryotoxisch, allerdings sollte an die Möglichkeit einer Antibiotika-assoziierten Colitis gedacht werden. Zusammenfassend ist Erythromycin als 1. Wahl, die anderen Makrolide (noch) als 2. Wahl zu bezeichnen. Metronidazol Sie wirken bei anaeroben Bakterien stark bakteriozid durch Hemmung der Proteinsynthese. Metronidazol wurde in früheren Publikationen als potenziell mutagen und kanzerogen beschrieben, daher wurde befürchtet, dass dies beim Menschen und v.a. in der Schwangerschaft zu Fehlbildungen etc. führen könnte. Dieser Verdacht konnte jedoch trotz zahlreicher Studien nicht bestätigt werden. Daher darf Metronidazol nach Nutzen-Risiko-Abwägung in der Schwangerschaft angewendet werden, vorzugsweise nach dem 1. Trimenon. Tetracycline ▲ Sie wirken bakteriostatisch durch Hemmung der Proteinsynthese, allerdings bilden sie Chelate mit Ca2+-Ionen. GYNÄKOLOGIE & GEBURTSHILFE GYNÄKOLOGIE & GEBURTSHILFE 48 TABELLE 3 Tetracycline • Tetracyclin • Doxycyclin • Minocyclin • Oxytetracyclin • Rolitetracyclin GYNÄKOLOGIE & GEBURTSHILFE TABELLE 4 Aminoglykoside • Amikacin • Gentamicin • Netilmicin • Sisomicin • Streptomycin • Tobramycin Chloramphenicol Diese alte Substanz ist ein bakteriostatischer Proteinsynthesehemmer, der in Mitteleuropa kaum mehr angewendet wird. Andererseits ist es das am häufigsten verschriebene Antibiotikum in der 3. Welt, daher CAVE Auslandsreisen und Schwangerschaft. Chloramphenicol ist relativ toxisch, eine Agranulozytose ist die gefürchtetste Nebenwirkung. Bei Gabe in der Schwangerschaft kann sich das sog. Grey-Syndrom ausbilden. Dabei kommt es beim Kind zu Nahrungsverweigerung, Erbrechen, einem aschgrauen Hautkolorit und schließlich zu Atem- und Kreislaufversagen, ein Krankheitsverlauf, der tödlich enden kann. Chloramphenicol ist daher in der gesamten Gravidität kontraindiziert. Sulfonamide/Trimethoprim Diese stabilen Chelatbildungen führen in der Mineralisierungsphase ab der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) zu kindlichen Schäden. Es kommt zum Anlagern an Ca2+-Ionen im Bereich von Zähnen und Knochen, als Folge findet man eine Gelbfärbung der Zähne. Ein Zusammenhang mit Schmelzdefekten, Wachstumshemmung und Kataraktbildung wird ebenfalls diskutiert, ein erhöhtes Missbildungsrisiko im 1. Trimenon liegt hingegen nicht vor. Bei Überdosierung sind Leberschäden der Mutter ab dem 2. Trimenon beschrieben. Tetraycline sind in Zusammenschau all dieser Berichte ab der 16. SSW kontraindiziert. Sie wirken bakteriostatisch durch Hemmung der Folsäuresynthese. Bisher gibt es keinen Anhaltspunkt für teratogenes Potenzial, im Tierversuch schon. Aufgrund des Zusammenhanges von Folsäuremangel und Entstehen von Neuralrohrdefekten bzw. Senkung der Inzidenz von Neuralrohrdefekten durch Gabe von Folsäure während der Frühschwangerschaft ist eine potenzielle Schädigung des Feten zumindest nicht auszuschließen. Sulfonamide verdrängen zudem Bilirubin aus der Plasmabindung, daher kann es zu einer erhöhten Inzidenz an Kernikterus des Neugeborenen bei präpartaler Verabreichung dieser Substanzen kommen. Zusammenfassend sind Sulfonamide während der gesamten Schwangerschaft zu meiden und bestenfalls als Antibiotika der 2. Wahl einzustufen. Gyrasehemmer (Quinolone) Aminoglykoside Sie wirken bakterizid durch Hemmung der Proteinsynthese. In der Literatur findet man Berichte über Ototoxizität beim Feten, andere teratogene Effekte sind nicht bekannt. Aminoglykoside haben grundsätzlich nur eine sehr eingeschränkte Indikationsbreite, da sie auch außerhalb der Gravidität irreversibel ototoxisch, irreversibel vestibulotoxisch und reversibel nephrotoxisch sind. Wegen dieser potenziellen Nebenwirkungen und aufgrund der Tatsache, dass diese Substanzen eine äußerst schlechte Gewebepenetration aufweisen, ist deren Anwendung nur durch Spezialisten bei vital bedrohlichen Infektionen unter Serumspiegelbestimmung durchzuführen. GYNÄKOLOGIE & GEBURTSHILFE Gyrasehemmer (Quinolone) • • • • • • • Ciprofloxacin Fleroxacin Lomefloxacin Norfloxacin Ofloxacin Levofloxacin Moxifloxacin TABELLE 5 Hemmen das für den Nukleinsäurestoffwechsel nötige Enzym Topoisomerase. Beim Menschen werden diese Enzyme nicht beeinträchtigt. Irreversible Gelenksknorpelschäden bei Hunden wurden in der Literatur berichtet. Diese oder andere Folgeschäden konnten trotz häufiger (zufälliger) Exposition bisher beim Menschen nicht gefunden werden. Dennoch sind Gyrasehemmer in der Schwangerschaft kontraindiziert, da für nahezu alle Indikationen länger erprobte Behandlungsalternativen existieren. ■ GYNÄKOLOGIE & GEBURTSHILFE RESÜMEE Abschließend soll an den bewussten und sinnvollen Umgang mit antimikrobiellen Substanzen erinnert werden. Besonders in der Schwangerschaft sollte die Sinnhaftigkeit jeglicher Therapie hinterfragt und eine Nutzen-RisikoAnalyse durchgeführt werden. ! Conclusio: • Betalaktame und Makrolide sind den anderen Antibiotikagruppen vorzuziehen • ältere Substanzen eher als neue • keine unnötige Hysterie bzw.Verunsicherung