Statement Dr. med. Karl-Josef Eßer - AOK

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Pressekonferenz des AOK-Bundesverbandes
und des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO)
am 2. Dezember 2015 in Berlin
Statement von Dr. med. Karl-Josef Eßer
Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
Lücken in der Gesundheitsversorgung von
Kindern und Jugendlichen schließen
Der heute vorgestellte Versorgungs-Report 2015 hat sich die Gesundheit unserer Jüngsten zum
Schwerpunkt gesetzt. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) begrüßt den
Report als wesentlichen Beitrag für mehr Wissen über die besonderen Bedürfnisse und Ansprüche
der Kinder- und Jugendgesundheit und damit über die Altersgruppe der 0- bis 18-Jährigen, die 16
Prozent der Bevölkerung ausmacht.
Als wissenschaftliche Fachgesellschaft befasst sich die DGKJ intensiv mit der Versorgungsforschung
zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Einige zentrale Aspekte (und Lücken!)
der ambulanten und stationären Versorgung von Kindern seien hier beispielhaft und ergänzend
aufgegriffen:
„Auch Kinder haben ein Recht auf sichere Arzneimittel“ –
Arzneimitteltherapie im Kindes- und Jugendalter
Mindestens 50 Prozent der Arzneimittel, die heute bei Kindern eingesetzt werden, sind nicht für ihre
Altersgruppe geprüft (2013 Progress Report on the Paediatric Regulation (EC) N°1901/2006). Schätzungen gehen davon aus, dass in bestimmten pädiatrischen Teildisziplinen wie der Neonatologie der
Off-Label-Use sogar bei 90 Prozent liegt (SVR-Sondergutachten 2009). Besonders dramatisch stellt
sich die Situation bei Kindern unter zwei Jahren wie auch bei Kindern mit seltenen Erkrankungen
dar. Angesichts fehlender Kenntnisse müssen immer wieder Kinder mit Medikamenten behandelt
werden, die bisher nur an Erwachsenen untersucht und überprüft wurden. Dieser Mangel gefährdet
unsere Kinder.
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Seit Jahren fehlt es der Pädiatrie und der Pharmakologie in Deutschland an einer international
sichtbaren Forschungsaktivität im Bereich der pädiatrischen Pharmakotherapie und insbesondere
Pharmakovigilanz: Dies muss zugunsten unserer Kinder dringend geändert werden.
Kinder brauchen „Mehr“!
Kinder- und Jugendmedizin ist anspruchsvoll: Zu versorgen sind sehr verschiedene Altersgruppen
vom Neugeborenen – bis ins junge Erwachsenenalter, spezifische Krankheitsbilder und ein breites
Leistungsspektrum. So fallen in einer Kinderklinik 400 – 500 verschiedene Fallpauschalen an,
anstelle der ca. 200 DRGs einer durchschnittlichen Abteilung der Erwachsenenmedizin. Früh- und
Neugeborene, Kleinkinder, Schulkinder und Jugendliche brauchen eine altersgerechte Betreuung.
Bei einer stationären Behandlung ist speziell geschultes und ausreichendes ärztliches wie pflegerisches Personal (Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger) notwendig und auch eine kindgerechte
Umgebung entsprechend den von den Fachgremien festgelegten Qualitätsanforderungen.
Der hohe Qualitätsanspruch schlägt sich auch in den rund 300 Leitlinien für die Kinder- und Jugendmedizin nieder: systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in speziellen
Situationen. Leitlinien geben den zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung gültigen Stand des medizinischen Wissens wieder und bedürfen der ständigen Anpassung an einen sich ändernden Kenntnisstand. Die DGKJ ist stetig in die Überprüfung und in die Bestätigung oder Aktualisierung pädiatrischer
Leitlinien involviert, ist sie doch ressortübergreifend in die Leitlinienarbeit der Arbeitsgemeinschaft
der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) eingebunden. Zusammen mit
vielen anderen Fachrichtungen, aber besonders mit ihren 39 Subspezialitäten entwickelt sie kontinuierlich die Empfehlungen zur Betreuung ihrer Patienten weiter. Die Einbindung weiterer Fachgesellschaften ist selbstverständlich, um interdisziplinäre und fachübergreifende Ergebnisse auf
höchstem Niveau zu erzielen. Eine Herausforderung stellt derzeitig die Qualitätsanforderung des
G-BA an die Frühgeborenenbetreuung mit einem 1:1 Betreuungsschlüssel im Intensivbereich dar.
Medikamentöse und multimodale Behandlung hyperkinetischer Störungen
Der Versorgungs-Report 2015 bezieht erstmals auch fachspezifische Institutsambulanzen und Sozialpädiatrische Zentren bei den Diagnosedaten hyperkinetischer Störungen ein. 2013 hatten demnach 4,9 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren eine HKS-Diagnose. Das sind rund
eine halbe Millionen Kinder und Jugendliche. Betroffen sind 7,1 Prozent der Jungen und 2,5 Prozent
der Mädchen. Die Auswirkung einer AD(H)S-Diagnose auf das Miteinander der gesamten Familie ist
nicht zu unterschätzen: Deshalb ist hier besonders die Einbindung der Eltern in die Therapie wichtig.
Frühe Weichenstellung: Adipositas bei Kindern und Jugendlichen
Adipositas gehört zu den chronischen Erkrankungen. In den letzten Jahren haben wir viele Erkenntnisse gewinnen können über die verschiedenen Faktoren, die eine Entwicklung von Adipositas beeinflussen, so der Gesundheitszustand und das Essverhalten der werdenden Mutter, psychosoziale
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Faktoren im Lebensumfeld des Kindes, oder auch schlichtweg fehlendes Wissen der Eltern über die
gesunde Ernährung ihrer Kinder. Zielgerichtete Prävention ist auch hier der entscheidende Faktor,
die Entwicklung der Adipositas zu verhindern.
Prävention und Gesundheitsförderung “von Anfang an“
Das jüngst beschlossene Präventionsgesetz soll bereits die vorgeburtliche Beratung fördern und
damit frühestmöglich Hilfe und Unterstützung bereitstellen, wo sie benötigt wird. Entscheidend ist
zudem die direkt bei Geburt beginnende Betreuung im Rahmen von Früherkennungsuntersuchungen, von Quartiersarbeit und von psychosozialen Angeboten.
Etwa 10 Prozent aller Familien werden im Rahmen der `Frühen Hilfen´ betreut. Projekte wie „Babylotse“ in Hamburg und Berlin, die hier sehr gute Arbeit leisten, werden leider bisher nur durch
Eigenmittel oder Stiftungsgelder finanziert. Hier ist die Gesellschaft gefordert, einen gesetzlichen
und finanziellen Rahmen für das gesunde Aufwachsen von Kindern in unserem Land zu schaffen.
Hilfestellungen dürfen nicht nach Überschreiten einer Altersgrenze oder eines Förderzeitraums
plötzlich enden, sondern sollen Kind und Familie nachhaltig stützen. Folgekosten von psychosozialen
Störungen werden in die Höhe schnellen, wenn keine betreuenden Maßnahmen erfolgen.
Der Versorgungs-Report 2015 rückt mit den Kindern und Jugendlichen eine große Bevölkerungsgruppe in den Fokus, die in der gesundheitspolitischen Diskussion der letzten Zeit viel zu sehr außer
Acht gelassen wurde. Die engagierte Förderung ihrer Entwicklung und ihrer Gesundheit sollte zu den
zentralen Zielen unserer Gesellschaft zählen.
Dr. Karl-Josef Eßer
Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
Chausseestr. 128/129, 10115 Berlin
[email protected] | www.dgkj.de
ANSPRECHPARTNER
Kai Behrens | AOK-Bundesverband | 030 346 46 2309 | [email protected]
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