Newtons Traum: Molekulardynamik-Simulationen Michael Vogel Institut für Festkörperphysik Technische Universität Darmstadt Inhaltsübersicht • Newtons Traum • Grundlagen von Molekulardynamik-Simulationen • Anwendungen von Molekulardynamik-Simulationen - Ionentransport in Festkörpern - Flüssigkeiten an Grenzflächen Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Sir Isaac Newton Hauptwerk: Philosophiae Naturalis Principia Mathematica Beschreibung der Gravitation und der Bewegungsgesetze als Grundstein der klassischen Mechanik Theorie über das Licht und die Farben (1686) Entwicklung der Infinitesimalrechnung (zeitgleich mit Gottfried W. Leibnitz) Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth (1642-1726) Newtonsche Gesetze (leges motus) 1. Newtonsches Gesetz (Trägheitsgesetz) „Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen Translation, sofern er nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird.“ 2. Newtonsches Gesetz (Aktionsprinzip) „Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt.“ Heutige Formulierung Eulers Formulierung (1750) d F p dt F ma Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Newtonsche Gesetze (leges motus) 3. Newtonsches Gesetz (Wechselwirkungsprinzip) „Kräfte treten immer paarweise auf. Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine Kraft aus (actio), so wirkt eine gleich große, aber entgegen gerichtete Kraft von Körper B auf Körper A (reactio).“ „4. Newtonsches Gesetz“ (Superpositionsprinzip) „Wirken auf einen Punkt (oder einen starren Körper) mehrere Kräfte , so addieren sich diese vektoriell zu einer resultierenden Kraft auf.“ Fges F1 F2 FN Die Summe der Kräfte in einem abgeschlossenen System ist Null. Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Teilchen im konstanten Potential Gleichmäßig beschleunigte Bewegung Potential U=const. F 1 a U m m F U Geschwindigkeit d a v dt F v (t ) v (0) t m Ort d v x dt F 2 x (t ) x (0) v (0) t t 2m Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Vielteilchensystem Zeitabhängige Vielwechselwirkungen Fi = Fi(t) ??? Trajektorien der Teilchen x i (t) Keine analytische Lösung für die Zeitentwicklung Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Newtons Traum Molekulardynamik-Simulationen (MD-Simulationen) Iteratives Lösen der Newtonschen Bewegungsgleichungen eines klassischen Vielteilchensystems auf einem Computer(-cluster) (~ 100.000 Teilchen) !!! Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Inhaltsübersicht • Newtons Traum • Grundlagen von Molekulardynamik-Simulationen • Anwendungen von Molekulardynamik-Simulationen - Ionentransport in Festkörpern - Flüssigkeiten an Grenzflächen Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Grundlagen von MD-Simulationen 5 f i5 fi6 fi2 fi9 7 fi7 2 N Fi f ij j1 Fi ai mi 6 9 Iterative Berechnung aller Teilchentrajektorien (Kleiner Zeitschritt t) vi (t δt) vi (t) a i (t)δt ri (t δt) ri (t) vi (t)δt Vollständige Information über das Vielteilchensystem Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Grundlagen von MD-Simulationen Zeitschritt in MD-Simulationen: ca. 1fs =10-15 s MolekulardynamikSimulationen Zahl der Zeitschritte: ca. 1 Milliarde = 109 s Bindungsschwingungen Reorientierungsdynamik Dauer von Aktionspotentialen Faltung von Proteinen Dauer der DNA-Replikation Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Grundlagen von MD-Simulationen Wechselwirkungen in einem Modellsystem aus N Teilchen werden durch ein klassisches Wechselwirkungspotential beschrieben: V( r1 , r2 ,... rN ) Einfaches Beispiel: Van der Waals - Flüssigkeit N N V( r1 , r2 ,... rN ) U(rij ) i 1 ji 12 6 U(rij ) 4 r r ij ij Newtonsche Bewegungsgleichungen: N N U(rij ) V( r1 , r2 ,... rN ) mi ri Fi f ij ri ri j1,i j j1,i j Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Taylor-Entwicklung Darstellung von Funktionen durch Potenzreihen Taylor-Entwicklung der Funktion f(x) in der Umgebung des Punktes a: Beispiel: Taylor-Entwicklung der Sinus-Funktion um x=0 Quelle: Wikipedia Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Grundlagen von MD-Simulationen Integration der Bewegungsgleichungen Taylor-Entwicklung vorwärts und rückwärts in der Zeit: Addition: Subtraktion: Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth r Fi i mi r b i i Grundlagen von MD-Simulationen Mittels Taylor-Entwicklung lässt sich auf ähnliche Weise zeigen: 2 δt ri (t δt) ri (t) vi (t)δt f i (t) 2mi 2 f i (t δt) f i (t) vi (t δt) vi (t) δt 2mi Velocity Verlet Algorithmus Integrationsschema: 1. Berechne neue Positionen r(t+t) aus r(t) and v(t) 2. Berechne neue Kräfte f(t+t) aus r(t+t) 3. Berechne neue Geschwindigkeiten v(t+t) aus v(t), f(t), and f(t+t) Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Grundlagen von MD-Simulationen Wechselwirkungspotentiale für Systeme aus Molekülen • nicht-gebundene Wechselwirkungen (Coulomb, Lennard-Jones, …) • gebundene Wechselwirkungen (Bindungslänge, Bindungswinkel, …) Länge Winkel Dieder ijk Bindungslänge: ijkl konstante Länge oder harmonisches Potential Bindungswinkel: Diederwinkel: Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Grundlagen von MD-Simulationen Periodische Randbedingungen Selbst für 106 =1003 Atome befinden sich ca. 6% der Atome an der Oberfläche der Simulationsbox Umgebe die Simulationsbox mit identischen Kopien Wenn ein Teilchen die Simulationsbox verlässt, wird es von einem seiner Bildteilchen ersetzt. Wechselwirkungen werden unter Berücksichtigung von Teilchen und Bildteilchen berechnet. M.P. Allen (2004) Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Grundlagen von MD-Simulationen Die Gesamtenergie E des Systems ist beim Lösen der Newtonschen Bewegungsgleichungen erhalten ( numerische Fehler) Simulationen bei konstanten Werten von N,V und E, d.h., im mikrokanonischen Ensemble MD-Simulations können aber auch bei konstantem T und/oder P durchgeführt werden Möglichkeiten, die Temperatur konstant zu halten: 1. Periodische Reskalierung der Geschwindigkeiten N 2 1 T m v i i 3Nk BT i 1 2. Kopplung an externes Wärmebad via Nose-Hoover-Algorithmus: kanonisches Ensemble Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Inhaltsübersicht • Newtons Traum • Grundlagen von Molekulardynamik-Simulationen • Anwendungen von Molekulardynamik-Simulationen - Ionentransport in Festkörpern - Flüssigkeiten an Grenzflächen Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Festkörperelektrolyte Festkörperelektrolyte haben zahlreiche aktuelle und potentielle Anwendungsgebiete LithiumionenBatterien Chemische Sensoren Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Gläser Quarz-Glas Kalk-Natron-Glas (SiO2) (SiO2+Na2O+CaO+Al2O3) Netzwerkwandler (Alkali- und Erdalkalioxide) bewirken ein Aufbrechen des Glasnetzwerks Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Ionentransport in Gläsern Elektrische Leitfähigkeit beruht auf Platzwechselprozessen der Ionen in der Glasmatrix LiPO3-Glas Lithiumtrajektorien Spungbewegung der Lithiumionen in der Glasmatrix Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Einfaches 1D Modell Thermisch aktivierte Sprünge über Barrieren V0 /2 /2 V0 κ i,i 1 κ 0exp k BT Das Verlassen der Plätze wird beschrieben durch eine Rate V κ κ i,i -1 κ i,i 1 2κ 0exp 0 k BT Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Einfaches 1D Modell x(0) Mittleres Verschiebungsquadrat r2(t) = <[x(t)-x(0)]2> r 2 (t) κa2t 2Dt 1 D κa2 2 x(t) r(t) Normale Diffusion Diffusionskoeffizient Temperaturabhängigkeit V D(T) κ 0a 2exp 0 k BT Arrhenius-Gesetz Wahrscheinlichkeit, dass während eines Zeitintervalls t kein Sprung: F2 (t) exp κt Exponentialfunktion Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Ionentransport in Gläsern ri (t) ri (0) Mittleres Verschiebungsquadrat r2(t) r 2 (t) ri (t) ri (0)2 LiPO3Glas r2(t) = 6Dt Ballistische Bewegung Diffusive Bewegung r2(t) t2 r2(t) t Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Ionentransport in Gläsern ri (t) ri (0) Inkohärente intermediäre Streufunktion S(q, t) cosqri (t) ri (0) Arrhenius-Gesetz E τ(T) τ 0exp a k BT Ea= 0.67eV Eexp= 0.6-0.7eV Ea Einfaches Modell: S(q,t) = exp(-t/) : Korrelationszeit Ionendynamik S(q,t) = exp[-(t/)] 0.5 Realistische Beschreibung der Lithiumionendynamik in LiPO3-Glas Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Ionentransport in Gläsern • Unterschiedliche lokale Umgebungen in der Glasmatrix führen zu einer breiten Verteilungen von Sprungraten • Eine geringe Verfügbarkeit freier Plätze bewirkt eine starke Verlangsamung des Ionentransports Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Inhaltsübersicht • Newtons Traum • Grundlagen von Molekulardynamik-Simulationen • Anwendungen von Molekulardynamik-Simulationen - Ionentransport in Festkörpern - Flüssigkeiten an Grenzflächen Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Polymere an Grenzflächen Polymere sind Ketten- oder Makromoleküle Synthetische Polymere: Polymerbeschichtungen: Kunststoffe Antihaftbeschichtungen, Korrosionsschutz Aufgrund der fortschreitenden Miniaturisierung in der Nanotechnologie wird ein Verständnis des Einflusses von Grenzflächen immer wichtiger Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Polymere an Grenzflächen Nano-Komposit PEO: H-[CH2-O-CH2]12-H Poly(ethylenoxid) TiO2: Kristalloberfläche Wechselwirkungspotential aus quantenchemischen Rechnungen Borodin et al., Macromolecules 36, 7873 (2003) nb V (r) V (r) iVbond (rij ) ij Vangle (Φijk ) ijkl Vdihedral (Θijkl ) tot Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Polymere an Grenzflächen: Struktur Wahrscheinlichkeitsverteilung des Diederwinkels cc O CC C O • PEO bildet Lagen parallel zu den TiO2-Oberflächen • Unterschiedliche Kettenkonformationen im Volumen und an der Oberfläche Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth C Polymere an Grenzflächen: Dynamik Inkohärente intermediäre Streufunktion 425K S(q, t) cosqri (t) ri (0) Korrelationszeiten Polymerdynamik an TiO2-Oberflächen: - ist langsamer als im Volumen - gehorcht dem Arrhenius-Gesetz Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Wasser an Grenzflächen Wasserstoffbrückenbildende Flüssigkeiten in nanoskopischen Confinements sind in Biologie, Geologie und Technologie von enormer Bedeutung Zytoplasma einer Zelle Nanotribologie, Nanofluidik Ellis et al., Nature (2003) Kalra et al., Eur. Phys. J. (2010) Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Wasser an Proteinoberflächen Starke dynamische Kopplungen zwischen Wasser und Protein (Slaving) Neutronen-Streuung 100 200 300 400 T [K] Fenimore et al., PNAS (2002) Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Wasser an Proteinoberflächen Bindegewebe Kollagenfaser (Zugfestigkeit) Elastinfaser (Elastizität) Elastinmodell (VPGVG)50 Kollagenmodell 3(POG)10 Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Wasser an Proteinoberflächen Elastin + Wasser Mittleres Verschiebungsquadrat Wasser Protein Langreichweitige Wasserdiffusion und kurzreichweitige Proteindiffusion Anomales Diffusionsverhalten Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Wasser an Proteinoberflächen Inkohärente Streufunktion von Wassermolekülen mit n=0,1,2 Wasserstoffbrücken mit Protein Rotationskorrelationsfunktionen von C=O-Bindungen im Rückgrat von Elastin n=2 n=1 n=0 • Wasserstoffbrücken mit Protein verlangsamen Wasserdynamik • Nicht-exponentielle Korrelationsfunktionen der Proteindynamik Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Wasser an „Eis”-Oberflächen Herstellung einer „neutralen“ Grenzfläche Aufteilung des System in 2 Subsysteme: Festhalten der äußeren Wassermoleküle zur Bildung einer zylindrische Pore Propagation der inneren Wassermoleküle zum Studium einer räumlich eingeschränkten Flüssigkeit Porendurchmesser: = 1nm, 3nm, and 5 nm Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Wasser an „Eis”-Oberflächen: Struktur Dichteprofil Tetraedrische Ordnung Q qi 3 3 4 q i 1 j1 k j1 cosijk 1 3 8 2 qi=0: Zufällige Anordnung qi=1: Perfekte Ordnung Ungestörte Wasserstruktur in der gesamten Pore Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Wasser an „Eis”-Oberflächen: Dynamik Ortsaufgelöste inkohärente Streufunktionen S(q, t) cos qri (t) ri (0) Ortsaufgelöste Korrelationszeiten der Wasserdynamik Correlatio d times n Neutrale Oberfläche verändert zwar nicht die Struktur, aber die Dynamik des Wassers Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Vielen Dank Forschergruppe 1583 Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth Vielen Dank … für Ihre Aufmerksamkeit Oktober 2013 | Physik mit dem PC | Universität Bayreuth