Psychodiagnostik für Psychotherapeuten

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Psychodiagnostik
für Psychotherapeuten
Brigitte Sindelar
PROGRAMM:
1.Grundlagen
1.1. Definition
1.2. Historische Aspekte
1.3. Einsatzgebiete von Diagnostik
1.4. Funktionen klinisch-psychologischer Testdiagnostik
1.5. Zielsetzungen der Diagnostik
1.6. Der diagnostische Prozess
1.7. Wege der Diagnostik
2.Verfahrensgruppen
2.1. Interviews
2.1.1. Anamnese
2.1.2. Exploration
2.2. Tests
2.2.1 Leistungs- und Intelligenztests
2.2.2. Persönlichkeitstests
2.2.3. Projektive Testverfahren
2.3.Testpsychologische Diagnostik bei Kindern
2.3.1. Interviews
2.3.2.Intelligenztests
2.3.3. Entwicklungstests
2.3.4.Schulleistungstests
2.3.5.Leistungstests
2.3.6.Projektive Verfahren
2.4. Computergestützte Psychodiagnostik
Übung: PSB-R
Übung: Rorschach-Test
Demonstrationen
3. Psychodiagnostik und Psychotherapie
Æ4. Störungsbezogene Diagnostik
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2
PROGRAMM:
Æ
4. Störungsbezogene Diagnostik
4.1. Klassifikation und Diagnostik
4.1.1.Vorteile und Nachteile der Klassifikation
4.1.2.Der Störungsbegriff
- im ICD -10 (ICD = International Classification of Deseases)
Chapter V (F): Classification Of Mental and Behavioural Disorders:
- im OPD (= Operationale Psychodynamische Diagnostik)
4.1.3.Differentialdiagnostik versus Komorbidität
4.2.Der psychologische Befund in der
störungsbezogenen Diagnostik
4.2.1.Richtlinien der psychologischen Befunderstellung
4.2.2.Aufbau eines psychologischen Befundes
Beispiel eines psychologischen Befundes
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3
1.Grundlagen
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4
„Diagnose“, „Diagnostik“
"διαγιγνϖσκειν"
(diagignoskein)
=
gründlich kennen lernen,
entscheiden,
beschließen.
Diagnostik: Erkenntnisgewinnung zur Unterscheidung
zwischen Objekten
Diagnose liefert Aussagen darüber,
welche Sachverhalte (in der Vergangenheit)
für ein Verhalten (in der Gegenwart) verantwortlich sind.
"Diagnostik" schließt heute auch Aussagen im Sinne einer
Prognose, also der Zukunft ein.
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5
Definition
„Psychologische Diagnostik ist…die Bezeichnung
für alle Methoden und deren Anwendung,
welche zur Messung bzw. Beschreibung interund intraindividueller psychologischer
Unterschiede verwendet werden.“
(Dorsch, F., Häcker, H. & Becker-Carus, Ch. (1998). Psychologisches Wörterbuch
(13., überarbeitete und erweiterte Aufl.) Bern: Huber, 1998, S. 615).
• Oder, einfacher ausgedrückt: Psychodiagnostik
ist die Feststellung psychologischer
Charakteristika eines Individuums mit Hilfe
besonderer Methoden.
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6
Historische Aspekte
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7
(68er) Psychodiagnostik, insbesondere
Tests = Diskriminierung?
Pathologisierung?
Ausdruck des bürgerlichen
Klassendenken?
Psychologie
Psychotherapie
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8
heute:
• Psychodiagnostik = „Boom-Disziplin“
• Einsatz nicht nur bei psychischen
Störungen, sondern auch
Personalberatung, Wirtschaft etc…
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„Diagnostizieren ist die Kunst,
eine adäquate Klassifikation zu machen
und eine erfolgreiche Therapie
vorzuschlagen,
basierend auf unsicherem Wissen
und unvollständigen Daten.“
(zit. nach Clancey)
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Einsatzgebiete von Diagnostik
• Gruppendiagnostik:
Daten ÆStatistiken von
Personenstichproben Æallgemeingültige
Aussagen oder Gesetzmäßigkeiten
Repräsentativität
der Stichprobe
Repräsentativität
der Items
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Standardisierung der
Datenerhebung
11
Einsatzgebiete von Diagnostik
• Einzelfalldiagnostik:
= auf den Einzelfall abgestimmte
Diagnostik mit Hilfe von singulären und
idiographischen Hypothesen
qualifizieren
Personen oder
Objekte
qualifizieren
Aktivitäten von
Personen oder
Objekten
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12
ÆEinzelfalldiagnostik:
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13
Funktionen
klinisch-psychologischer
Testdiagnostik
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Funktionen der Psychodiagnostik
¾Deskription: Aussagen des Patienten
über Beschwerden werden in spezifische
Diagnostikfragen übersetzt
„Ich habe Kopfweh.“
Psychosomatisch?
Depression?
Neurologisch
erkrankt?
Belastungsreaktion?
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rliche
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ö
K
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b
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a
t
s
b
Su
15
Funktionen der Psychodiagnostik
¾Klassifikation: Zuordnung zu
Klassifikationssystemen (z.B. ICD 10);
Zuordnung zur Intervention
F 10.0
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16
Funktionen der Psychodiagnostik
¾ Erklärung: Bereitstellung diagnostischer
Informationen zur Entstehung psychischer
Auffälligkeiten oder Störungen (z. B.
biographische Daten oder aufrechterhaltende
Bedingungen).
vier Krügel
gestern,
vorgestern
vier Krügel
heute
„Ich habe Kopfweh.“
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17
Funktionen der Psychodiagnostik
¾Prognose: Erfolgswahrscheinlichkeiten
von Therapien
„Leidensdruck.Erkenntnis:
kein Bier, kein Schädelweh.“
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18
Funktionen der Psychodiagnostik
¾Evaluation: Veränderungsmessungen
„Ich habe nur mehr sonntags
Kopfweh.“
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19
Zielsetzungen der Diagnostik
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20
Statusdiagnostik
Aussagen über einen Ist-Zustand:
Eigenschaften („traits“)
„Mir ist fad.“
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„Ich habe Kopfweh.“
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Prozessdiagnostik
Veränderungen im Erleben und Verhalten:
quantitative wie qualitative Veränderungen
drei Varianzquellen:
• interindividuelle Varianz zwischen den Personen
(„Max ist nicht gleich Moritz“)
• instrumentenbedingte Varianz zwischen den
parallelen Testverfahren („IQ ist nicht gleich IQ“)
• situationsbedingte Varianz zwischen den
Situationen („Arbeit ist nicht gleich Freizeit“)
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22
Der diagnostische Prozess
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23
Anfänge der Psychodiagnostik:
Die
Untersuchungsergebnisse
sollten ein möglichst
widerspruchsfreies Bild
von der Persönlichkeit
des Untersuchten
ergeben („Abbild“)
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24
heute:
Psychodiagnostik =
zielorientierter,
hypothesengeleiteter
Problemlöseprozess
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Fragestellung Æ
ÆHypothesenbildung Æ
ÆEinholung von Informationen,
systematische , zielorientierte
Datenerhebung Æ
ÆPrüfung der Hypothese Æ
ÆDiagnose Æ
ÆGutachten, Behandlungskonzept,
Interventionsplanung
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Im Rahmen des diagnostischen Prozesses finden
sich immer wieder Diskrepanzen, das heißt:
diagnostische Befunde widersprechen erwarteten
Zusammenhängen:
Zeugnis:
IQ 135
Deutsch:5
Englisch:5
Mathematik:5
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In der Abbilddiagnostik werden
Diskrepanzen zum Dilemma
In der Prozessdiagnostik dagegen führt das
Aufdecken der Diskrepanzen weiter in der
Hypothesenbildung und daher im
Problemlöseprozess.
Prozessdiagnostik
=
Diskrepanzdiagnostik
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28
Abbilddiagnostik: Dilemma
IQ-Messung
(Abbild)
IQ = 135
Schulversagen
><
(Abbild)
nicht genügende
Schulleistungen
Diagnostik als Problemlöseprozess: Aufdecken der
Diskrepanz führt weiter in der Hypothesenbildung und
daher im Problemlöseprozess
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29
IQ = 135
><
Schulversagen
Teilleistungsschwächen?
familiäre
Probleme?
Depression?
soziale
Probleme in der
Klasse?
Persönlichkeitsund projektive Tests,
Teilleistungsschwächentest
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weitere
Exploration
der Eltern
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Einzelfalldiagnostik:
Aufdecken der Diskrepanzen ->
-> Klärung der Hintergründe ->
-> Fortschritt im Problemlöseprozess
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31
Zum Beispiel: Angstdiagnostik
Patient stuft Reiz als angstbesetzt ein.
Erwartung der
Abbilddiagnostik:
physiologische Antwort auf
Reizdarbietung
Diskrepanz!!Æ Diagnostik falsch?????
Diagnostisches Ergebnis:
keine physiologische
Antwort
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32
Prozessdiagnostik:
Angst nur auf
subjektiver
Ebene erlebt?
Patient
unterscheidet
zwischen Test und
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Realität
es
d
be B
a
ng ? (z A
he nten rsatz
c
ls tie ne
a
F P a d e che)
ha prü
c
S ns
a
33
ÆParadigmenwechsel in der
Psychodiagnostik:
Abbilddiagnostik
Prozessdiagnostik
als
Diskrepanzdiagnostik
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34
Zum Beispiel:
Neuropsychologische Tests
=
Aufdecken von Diskrepanzen
(partielle Leistungsausfälle, wie etwa
bei Aphasie)
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35
Datenebenen:
Prinzip der Multimodalität
•
•
•
•
somatisch
somatisch/psychisch
psychisch
sozial
= Grundannahme der klinischpsychologischen und somit auch der
therapiebezogenen Diagnostik
Brigitte Sindelar
36
Datenquellen
• Klient
• andere Bezugspersonen (Angehörige,
Therapeuten; zuweisender Arzt…)
• Verfahren der Leistungs- und
Intelligenzdiagnostik
• Verfahren der Persönlichkeitsdiagnostik
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37
Wege der Diagnostik
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38
Datentypen:
• L (Life)-Daten: biographische Merkmale,
Fremdbeurteilungen
• Q(Questionnaire)-Daten: Selbstauskünfte in
Befragungen, zumeist mittels
Persönlichkeitsfragebögen erhoben =„subjektive
Persönlichkeitstests“
• T-(Test) Daten: unmittelbare,
situationsbezogene Messungen eines
Persönlichkeitsmerkmals (zum Beispiel: IQ,
Aufmerksamkeit….)
Brigitte Sindelar
39
Normorientierte Diagnostik:
• das zu bewertende Merkmal wird mit den
Ausprägungsgraden dieses Merkmals in
einer Repräsentativstichprobe verglichen.
Brigitte Sindelar
40
Kriteriumsorientierte Diagnostik:
• Vergleich mit einem Merkmal, unabhängig
von der Verteilung des Merkmals in einer
Vergleichsgruppe
Brigitte Sindelar
41
Verfahrensgruppen
• Interviews:
-Anamnese
-Exploration
frei oder strukturiert und standardisiert
Brigitte Sindelar
42
Æ Anamnese:
Kessler, 1980:
Anforderungen an die Anamnese:
„Aus einem „Probanden“
wird ein Mensch,
der an seiner Diagnostik teil hat.“
Brigitte Sindelar
43
Æ Exploration:
ist NICHT NUR
Datenerhebung und Datensammlung,
SONDERN AUCH
Beziehungsstruktur zwischen Exploriertem und Explorierendem mit
therapeutischen Implikationen
Persönlichkeitsvariablen des Explorierenden fließen mit ein
Anpassung an vermutete Erwartungen des Explorierenden
Selbstdarstellung Æ Selbstreflexion
Brigitte Sindelar
44
Tests
• Ein Test ist hinsichtlich Durchführung,
Auswertung und Interpretation standardisiert.
Ein Test soll ein objektives, kontrolliertes
Verfahren sein.
• Unter standardisierten Bedingungen wird eine
Informationsstichprobe über den Probanden
erhoben, die einen wissenschaftlich
begründeten Rückschluss auf die Ausprägung
eines oder mehrerer psychischer Merkmale des
Probanden gestattet.
Brigitte Sindelar
45
Kriterien der Testbeurteilung
• Objektivität = Unabhängigkeit vom
Untersucher
• Reliabilität =wie genau misst der Test?
• Validität =misst der Test tatsächlich das
Merkmal X?
• Normen= Vergleich mit Bezugsgruppe
(zum Beispiel: IQ: Normen - zeitvariant!)
Brigitte Sindelar
46
Leistungs- und Intelligenztests
Ein Mensch „besitzt“ nicht einen IQ. Der
IQ ist der Wert, der dem Menschen
aufgrund des Tests zugeordnet wird.
Die Normierung von Intelligenztests ist
zeitvariant.
Brigitte Sindelar
47
Beispiel eines Intelligenztests:
PSB-R
• Das PSB-R 6-13 ist ein auf der Grundlage
der Thurstone`schen Primärfaktoren der
Intelligenz entwickeltes Diagnostikum. Es
besteht aus 9 Subtests.
praktische Übung:
Brigitte Sindelar
48
Persönlichkeitstests
Das „Fünf-Faktoren-Modell“ der Persönlichkeit
(„Big Five“):
• Neurotizismus
• Extraversion
• Offenheit für Erfahrung
• Verträglichkeit
• Gewissenhaftigkeit
Brigitte Sindelar
49
Diese fünf Faktoren sind keine unabhängigen
Faktoren und wurden von Eysenck zum
„Big Three (PEN-Modell)“
zusammengeführt. Darin werden drei voneinander
unabhängige Persönlichkeitsfaktoren postuliert:
• Neurotizismus
• Extraversion
• Psychotizismus
Brigitte Sindelar
50
Becker reduziert auch dieses auf zwei
Hauptkomponenten („Big Two“):
• seelische Gesundheit
• Verhaltenskontrolle
Brigitte Sindelar
51
Beispiel:
FPI-R
(Freiburger Persönlichkeitsinventar)
J. Fahrenberg und R. Hampel und H. Selg
• Das Freiburger Persönlichkeitsinventar ist ein
faktorenanalytisch und itemmetrisch begründetes
Persönlichkeitsverfahren.
• Skalen:
Lebenszufriedenheit, Soziale Orientierung,
Leistungsorientierung, Gehemmtheit, Erregbarkeit,
Aggressivität, Beanspruchung, Körperliche
Beschwerden, Gesundheitssorgen, Offenheit,
außerdem die zwei Sekundärskalen Extraversion und
Emotionalität im Sinne Eysencks.
Brigitte Sindelar
52
Beispiele der Fragen:
.. Im allgemeinen bin ich ruhig und nicht
leicht aufzuregen
stimmt
stimmt nicht
.. Es fällt mir meist leicht, mich auf
meine Arbeit zu konzentrieren
stimmt
stimmt nicht
.. Ich bin immer guter Laune
stimmt
stimmt nicht
.. Oft habe ich alles gründlich satt
stimmt
stimmt nicht
.. Ich habe einen empfindlichen Magen
stimmt
stimmt nicht
Brigitte Sindelar
53
Fehlerquellen:
•
•
•
•
•
•
Unklare Formulierungen
Selbsttäuschung
Erinnerungs- und Gedächtnisfehler
Simulation/Dissimulation
Bagatellisierung
Antwort in Richtung sozialer Erwünschtheit
Brigitte Sindelar
54
Projektive Testverfahren
Verbal-thematische Verfahren:
• Assoziationsverfahren:
Der Proband soll Reizwörter mit dem ersten Einfall
beantworten
• Ergänzungsverfahren:
Satzanfänge, unvollständige Geschichten, offene soziale
Situationen
• Erzählverfahren:
Dem Klienten werden szenische Bilder gezeigt, zu denen
er eine möglichst dramatische Geschichte erzählen soll
Brigitte Sindelar
55
Beispiel:
Thematischer Apperzeptionstest
(TAT)
bekanntestes Erzählverfahren, entwickelt von:
Christiana D. Morgan
Henry A. Murray
In den vom Untersuchten erzählten Geschichten sind
„needs“ und „presses“ zu analysieren. Die Antworten
sollen dominante Triebe, Gefühle, Gesinnungen,
Komplexe und Konflikte erkennen lassen.
Brigitte Sindelar
56
Formdeuteverfahren
• Der Klient erhält relativ unstrukturiertes,
nicht eindeutig erkennbares Reizmaterial
(z.B. Tintenkleckse), das gedeutet werden
soll. Diese Deutungen werden klassifiziert
und signiert. Aus den Signierungen
werden Kennwerte errechnet. Diese
interpretiert der Diagnostiker nach
vorgegebenen Richtlinien.
Brigitte Sindelar
57
Beispiel:
Der Rorschach-Test
Der Rorschach-Test gilt als Prototyp der
Formdeuteverfahren". Er wurde von
Hermann Rorschach, (1884-1922,), einem
Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker,
entwickelt.
Brigitte Sindelar
58
Rorschachkenner - Rorschachkönner
• Der Rorschach-Test ist (zum Unterschied von
Persönlichkeitstest in Form von Fragebogentests)
• - absolut unbeeinflussbar durch den Untersuchten und
damit ein objektives Verfahren
• - die Signierung erfolgt nach festgelegten Kriterien
• - die Berechnung von Kennwerten aus der Signierung
erlaubt sowohl psychodynamische als auch
psychopathologische Diagnostik im Rahmen der
psychiatrischen und neurologischen Nosologie.
• - inhaltliche Assoziationen des Untersuchers zu den
Antworten des Untersuchten spielen in der Auswertung
absolut keine Rolle.
Brigitte Sindelar
59
Testpsychologische Diagnostik bei
Kindern
Brigitte Sindelar
60
Interviews
• Anamnese
Befragt werden dabei natürlich die Eltern. In der
somatischen Anamnese werden detaillierte Daten zu
Schwangerschaft und Geburt sowie der frühkindlichen
Entwicklung erhoben.
• Exploration
Bei der Exploration ist besonders Bedacht zu nehmen auf
das Sprachverständnis und die sprachliche
Ausdrucksfähigkeit des Kindes. Die sprachlichen und
inhaltlichen Formulierungen sind dem Entwicklungsstand
des Kindes anzupassen. Ob das Kind beim ersten
Kontakt alleine oder im Beisein der Eltern (des
Elternteiles) exploriert wird, ist davon abhängig, ob das
Kind sich leicht von der Begleitperson trennt oder nicht.
Mit zunehmender Vertrautheit mit dem Untersucher, die
eventuell erst in weiteren Sitzungen erreicht wird, ist eine
Exploration ohne Beisein der Eltern zwar anzustreben,
darf aber nie unter Druck erreicht werden.
Brigitte Sindelar
61
Beispiel eines strukturierten Interviews:
Kinder-DIPS
Diagnostisches Interview bei psychischen
Störungen im Kindes- und Jugendalter
S. Unnewehr, S. Schneider, J. Margraf
• Kinder und Jugendliche vom 6. bis zum 18.
Lebensjahr sowie deren Eltern.
• Kinderversion zur direkten Befragung des Kindes
bzw. Jugendlichen
• parallele Elternversion
• jeweils ca. 60 Min.
Brigitte Sindelar
62
Intelligenztests
Beispiel:
AID 2
Adaptives Intelligenz Diagnostikum 2
K. D. Kubinger und E. Wurst
für Kinder von 6;0 bis 15;11 Jahren
Brigitte Sindelar
63
Entwicklungstests
Entwicklungstests:
sowohl für einzelne Bereiche der
Entwicklung (Motorik, Sprache, usw.) als
auch als allgemeine Entwicklungsskalen,
in denen die Gesamtentwicklung eines
Kindes erfasst wird. Der Einsatzbereich ist
bevorzugt im Kleinst- und Kleinkindalter.
Brigitte Sindelar
64
Schulleistungstests
erheben das Niveau der schulischen Leistungen eines
Kindes im Lesen, Schreiben und Rechnen.
Beispiel:
SLRT -Salzburger Lese- und Rechtschreibtest
K. Landerl und H. Wimmer und E. Moser
Im Lesetest werden sowohl sinnfreie als auch sinnhafte
Wörter und Texte vorgegeben, das Lesetempo, die
Lesefertigkeit und das sinnverstehende Lesen werden
überprüft. Im Rechtschreibtext fügt das Kind vorgelesene
Wörter in einen Lückentext ein, wobei auch der ganze
Satz vorgelesen wird. Die Auswertung erfolgt nach
Schulstufen.
Brigitte Sindelar
65
Leistungstests
Beispiel:
Verfahren zur Erfassung von
Teilleistungsschwächen
B. Sindelar
Dieses Verfahren zur Erfassung von Teilleistungsschwächen ist ein
Instrument zur gezielten Beobachtung eines Kindes. Gegenstand
der Beobachtung ist das Entwicklungsniveau der einzelnen
Teilleistungen des Kindes. Ziel dieses Verfahrens ist, die
Wahrnehmungs- und kognitiven Verarbeitungsfunktionen eines
Kindes detailliert zu erfassen, um darauf aufbauend einen
individualisierten, spezifischen Trainingsplan für das
teilleistungsschwache Kind zu erstellen. Den theoretischen
Hintergrund des Verfahrens bilden die Neuropsychologie, die
kognitive Psychologie und die Entwicklungspsychologie.
Brigitte Sindelar
66
Projektive Verfahren
Verzauberte Familie
Diese kann sowohl als Zeichentest als auch als
Erzähltest vorgegeben werden. (Instruktion: „Stell dir
einmal vor, ihr seid alle zu Hause, deine ganze Familie.
Auf einmal kommt ein Zauberer. Dieser Zauberer
verzaubert euch alle. Zeichne deine verzauberte Familie
auf!“ oder: „Erzähl mir: wer wird in was verzaubert?“)
Brigitte Sindelar
67
Projektive Verfahren
Schweinchen Schwarzfuß
- verbal-thematisches Verfahren für Kinder
- Bilder, in denen Szenen aus einer Schweinchen-Familie
vorgestellt werden. Das Kind erzählt, was es auf dem Bild
sieht.
Brigitte Sindelar
68
Projektive Verfahren
Der Sceno-Test
Gerhild v. Staabs
Brigitte Sindelar
69
Computergestützte
Psychodiagnostik
•
•
•
•
Leistungstests
Intelligenztests
Persönlichkeitstests (Fragebogentests)
Für etliche Verfahren ist auch bereits
eine Online-Auswertung möglich.
Brigitte Sindelar
70
Vorteile der PC-basierten Testanwendung:
- kontrollierte Bedingungen
- der Untersuchte durchschaut die Testkonstruktion nicht,
weil jeweils nur ein Item auf dem Bildschirm erscheint.
- Erhöhung der Reliabilität.
- Ergebnisse sofort zur Verfügung.
- Beantwortungszeit erfasst.
- Ausdruck der Ergebnisse zur Dokumentation im
Gutachten,
- Ausdruck kann dem Klienten bei der Besprechung der
Testergebnisse vorgelegt werden.
- Kontrolle von Prozess- und Entscheidung-strategien
gewährleistet.
Brigitte Sindelar
71
„Was haben wir nun an psychologischem Ergebnis,
definiert als Computerausdruck? Das „Knochengerüst“,
wie Pulver (a.a.O.) meinte, das jetzt noch mit dem
„Fleisch“ der klinischen Methoden zu umgeben sei? Aus
meiner Sicht nicht mehr als einen Haufen Knochen, die
zwar sehr sauber, zierlich und akkurat herumliegen, aber
noch längst kein Skelett darstellen, weil sogar der
Bauplan noch fehlt. Wir kennen zwar den allgemeinen
menschlichen Bauplan, können Fuß- und Handknochen
unterscheiden, wissen, wo Elle und Speiche hingehören.
Aber dieses Wissen alleine langt noch nicht, um das je
individuelle Skelett zusammenzusetzen. Es sind die
Unregelmäßigkeiten im Zusammenbau, die Winkel und
Disproportionen, die verheilten Brüche und die
lebensgeschichtlichen Verformungen, die aus dem
allgemeinen das spezielle Skelett formen.“
• (Ulrike Zöllner)
Brigitte Sindelar
72
Psychodiagnostik und
Psychotherapie
Nomothetische
Diagnostik
•
•
•
•
diagnostiziert anhand von
standardisierten Testdaten
Diagnostik als Psychometrie,
Der Mittelwert der
Bezugsgruppe bildet die
Realnorm, auf die hin das
untersuchte Individuum
definiert wird.
Instrument: objektiver,
standardisierter, normierter und
hinsichtlich der Gütekriterien
qualifizierter psychometrische
Test.
Brigitte Sindelar
Idiographische
Diagnostik:
• ganzheitlich
• versucht, den individuellen
Menschen ganzheitlich zu
erfassen
• thematisiert das
Unverwechselbare und
Individuelle.
• projektive als qualitative
Verfahren
73
bewusste Handhabung der Subjektivität im Interesse einer
objektiven idiographischen Diagnostik:
Brigitte Sindelar
74
O. Sacks:
„Frage nicht,
welche Krankheit ein Mensch hat,
sondern
welcher Mensch die Krankheit
hat.“
Brigitte Sindelar
75
Störungsbezogene Diagnostik :
„beschließen“: aus dem gewonnenen Wissen
eine Behandlungsindikation ableiten
„gründlich kennen lernen“: die Störung in ihrer
Bedingtheit und Genese verstehen
„entscheiden“: die Störung(en) benennen
Brigitte Sindelar
76
Störungsbezogene
Diagnostik endet nicht
bei der Klassifikation,
sie beginnt mit dieser.
Brigitte Sindelar
77
Klassifikation und Diagnostik
Brigitte Sindelar
78
Störungsbezogene Diagnostik
hat
zwei grundsätzliche Aspekte:
kategorial
= welche Störung liegt
vor?
dimensional
= wie schwer ist die
Störung?
Brigitte Sindelar
79
Ansprüche an die
störungsbezogene Diagnostik:
deskriptive
-> was ist die Störung?
Klassifikation
Diagnostik
-> wie heißt die Störung?
->
-> woher
woher kommt
kommt die
die Störung?
Störung?
->
-> was
was ist
ist gegen
gegen die
die Störung
Störung zu
zu tun?
tun?
->
-> hilft
hilft das,
das, was
was gegen
gegen die
die Störung
Störung getan
getan wird?
wird?
nur bedingt therapeutische
Implikationen ableitbar
Brigitte Sindelar
80
Deskriptiver Ansatz der neuen
Diagnosesysteme
???
=> multiple Diagnosestellung
bei ein und derselben Person
(zum Beispiel: Angst und Abhängigkeit)
= „Komorbidität“
= Benennen aller Störungen dieses Menschen
„neu“ ? Zitat Walter Spiel:
„Der Mensch kann Wanzen, Flöhe und Läuse haben“
Brigitte Sindelar
81
Es gibt keine Klassifikation
psychischer Störungen,
die genuin aus dem
psychotherapeutischen Bereich
stammt.
Brigitte Sindelar
82
Definition psychischer Störungen durch die
Amerikanische Psychiatrische Assoziation,
dem DSM IV (Diagnostisches Statistisches
Manual IV):
"Psychische Störungen sind konzeptualisiert als ein klinisch
bedeutsames behaviorales oder psychisches Syndrom oder
Muster, das bei einem Individuum erscheint
undDie
das
verbunden
(Anmerkung:
Finanzierung
bzw.
von Psychotherapie
ist mit gegenwärtigen Belastungen, Teilfinanzierung
z.B. einem schmerzvollen
durch
die Sozialversicherungsträger
Symptom mit Beeinträchtigungen, z.B.
Behinderung
in einem
ist an das Vorliegen von Krankheit
oder mehreren Funktionsbereichen oder mitgebunden
einem bedeutsam
(„Vorliegen einer
erhöhtem Risiko zu sterben, Schmerzenkrankheitswertigen
oder Behinderungen
zu
Diagnose“).)
erleiden oder einem wesentlichem Verlust von Freiheit".
Krankheitsbegriff
Brigitte Sindelar
83
Krankheitsursache =
Ordnungsmodell
Patienten mit gleichem Zustandsbild
Diagnostik nach Krankheitsursachen
unterschiedliche Diagnosen, je nach
ätiologischem Hintergrund des Diagnostikers
möglichst präzise definitorische Erfassung
von "Symptomen und Syndromen"
Anstieg der Reliabilität der diagnostischen Aussagen
Brigitte Sindelar
84
Vorteile und Nachteile
der Klassifikation
Brigitte Sindelar
85
Skepsis gegenüber der Klassifikation
psychischer Störungen ging vor allem von den
Psychotherapeuten aus:
• Der Vorgang der Diagnostik
gefährdet die akzeptierende
therapeutische Haltung und fördert
eine objektivierende Einstellung
Brigitte Sindelar
86
Skepsis gegenüber der Klassifikation psychischer
Störungen ging vor allem von den Psychotherapeuten aus:
• Die Patienten werden durch die Vergabe
von Diagnosen etikettiert, pathologisiert,
im schlimmsten Fall stigmatisiert
FX X.
Brigitte Sindelar
87
Skepsis gegenüber der Klassifikation psychischer
Störungen ging vor allem von den
Psychotherapeuten aus:
• Die Patienten werden durch die
Speicherung und Weitergabe persönlicher
Befunde versachlicht und entpersönlicht
Brigitte Sindelar
88
Skepsis gegenüber der Klassifikation psychischer
Störungen ging vor allem von den
Psychotherapeuten aus:
• Die vergebenen Diagnosen sind unvalide
und für die Klärung
psychotherapeutischer Zielsetzungen
ungeeignet
FXX
.
FXy.
Brigitte Sindelar
89
Skepsis gegenüber der Klassifikation psychischer
Störungen ging vor allem von den
Psychotherapeuten aus:
• Klassifikation bedeutet
Informationsverlust, da sie zu
einer diagnostische Vergröberung
führt
Brigitte Sindelar
90
Skepsis gegenüber der Klassifikation psychischer
Störungen ging vor allem von den
Psychotherapeuten aus:
• der typologischer Ansatz der Klassifikation
nivelliert interindividuelle Unterschiede und
negiert Einmaligkeit des Individuums
durch vereinfachende Klassenzuweisung
Brigitte Sindelar
91
Skepsis gegenüber der Klassifikation psychischer
Störungen ging vor allem von den
Psychotherapeuten aus:
• die deskriptive Klassifikation ist
lediglich kategorial und nicht
dimensional
Brigitte Sindelar
92
Skepsis gegenüber der Klassifikation psychischer
Störungen ging vor allem von den
Psychotherapeuten aus:
• die Klassifikation ist weitgehend
eine dichotome
Entscheidungsklassifikation
(Störung vorhanden oder nicht?)
Brigitte Sindelar
93
Skepsis gegenüber der Klassifikation psychischer
Störungen ging vor allem von den
Psychotherapeuten aus:
• die Inter-Diagnostiker Reliabilität
habe sich nur mäßig erhöht (trotz
anderer Hoffnungen )
Brigitte Sindelar
94
Kritik
aus (Schul-)Psychiatrie und
Psychoanalyse:
• eine rein deskriptive,
a-theoretische Klassifikation
ohne ätiologische Annahmen ist
nutzlos
Brigitte Sindelar
95
Kritik
aus (Schul-)Psychiatrie und
Psychoanalyse:
•„Bewährte“ Konzepte wie „endogen“,
„psychosomatisch“, „Psychose“, „Sucht“
etc., die wegen Ätiologieannahmen und
Schulenbindung in der deskriptiven
Diagnostik keine Bedeutung haben,
aufzugeben, ist gleichbedeutend mit
einem Verlust der diagnostischen Qualität
Brigitte Sindelar
96
Kritik
aus Psychoanalyse:
•Das System ist
psychiatrielastig,
psychosomatische Störungen
sind randständig und die
neurotischen Störungen
unlogisch erfasst
Brigitte Sindelar
97
Kritik
aus Psychoanalyse:
• Die beschriebenen Krankheitseinheiten haben keine psychotherapeutische Validität, das heißt,
es resultieren aus ihnen keine
psychotherapeutischen Strategien
Brigitte Sindelar
98
Kritik
aus (Schul-)Psychiatrie und
Psychoanalyse:
•Die kategorialen Syndrome sind zeigen
erhebliche Überschneidungen, so dass man
einen Begriff wie Komorbidität einführen muss,
um zu beschreiben, dass z. B. eine
Persönlichkeitsstörung zu 60% mit anderen
Persönlichkeitsstörungen überlappt oder dass
somatoforme Störungen zu 50% auch die
Kriterien für Depression oder Angststörung
erfüllen.
Brigitte Sindelar
99
Kritik
aus (Schul-)Psychiatrie und
Psychoanalyse:
•ICD-10 und DSM-IV sind
in der Praxis schwer praktikabel
Brigitte Sindelar
100
Vorsicht im Umgang mit
vermeintlichen Realitäten, ihrer
Zuordnung und vor allem ihrer
Bewertung!
Brigitte Sindelar
101
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem
wie ICD oder DSM :
Brigitte Sindelar
102
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem wie ICD oder DSM :
Das Ordnungssystem psychischer Störungen,
auf das sich interdisziplinär und international
jeder beziehen kann, erleichtert die
interpersonale, interdisziplinäre und
internationale Verständigung
Brigitte Sindelar
103
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem wie ICD oder
DSM :
Es ist operational definiert, d. h. die
Krankheitsbilder sind genau festgelegt und
es liegt nicht im Ermessen des einzelnen
Therapeuten, was er dafür hält.
Brigitte Sindelar
104
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem wie ICD oder
DSM :
Es ist empirisch überprüfbar
Brigitte Sindelar
105
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem wie ICD oder DSM :
Daraus folgt: die Ergebnisse dieser Überprüfung
wirken zurück auf die Weiterentwicklung des
Systems von Version zu Version, d.h. es zeigt eine
gewisse Flexibilität und Anpassung an jeweils
aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse
Brigitte Sindelar
106
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem wie ICD oder
DSM :
Es entwickelt sich von Version zu
Version weiter
Brigitte Sindelar
107
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem wie ICD oder DSM :
Die hypothetische Klassenbildung
ermöglicht empirische Analysen, die neue
Informationen (zu Ätiologie,
Epidemiologie, Symptomatologie,
Behandlungsmöglichkeiten) erbringen
Brigitte Sindelar
108
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem wie ICD oder DSM :
Die Reliabilität wird in einem gewissen Maß
erhöht durch den deskriptiven Ansatz und die
„Operationalisierung“ der diagnostischen
Leitlinien nach möglichst verhaltensnahen
Symptombeschreibungen und durch die
Spezifikation von Symptomanzahl und
Symptomdauer sowie durch die
Konstruktvalidität
Brigitte Sindelar
109
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem wie ICD oder DSM :
Durch „diagnostische Leitlinien“
nach dem aktuellen
wissenschaftlichen Stand ist eine
Inhaltsvalidität gegeben
Brigitte Sindelar
110
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem wie ICD oder DSM :
Die allgemeine Indikationsstellung
(„Krankheitswertigkeit“) wird
erleichtert,
(= behandlungsbedürftig), nicht aber
die differentielle Indikationsstellung
(= welcher Behandlung bedürftig)
Brigitte Sindelar
111
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem wie ICD oder DSM :
Es ist frei von unbeweisbaren
theoretischen Annahmen
(z. B. der Neurosentheorie)
Brigitte Sindelar
112
Vorteile eines diagnostisches
Klassifikationssystem wie ICD oder DSM :
Zum größten Teil dienen Diagnostik
und Klassifikation unmittelbar der
Therapieplanung und der
Therapiedurchführung.
Brigitte Sindelar
113
Beispiel: ICD 10:
Brigitte Sindelar
114
F90 hyperkinetische Störungen:
einfache
Aufmerksamkeitsstörung
G1: Unaufmerksamkeit
Brigitte Sindelar
115
1. sind häufig unaufmerksam gegenüber Details oder
machen Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten und
sonstigen Arbeiten und Aktivitäten
Brigitte Sindelar
116
2. sind häufig nicht in der Lage,
die Aufmerksamkeit bei Aufgaben und beim Spielen
aufrechtzuerhalten
A D S
P O S
Aufmerksamkeit
ADHD
ADD
MCD
ATTENTION
DEFICIT
HYPERACTIVITY
DISORDER
Brigitte Sindelar
117
3.
hören häufig scheinbar nicht, was ihnen gesagt wird
ht!
c
i
n
du
t
n
s
r
Hö ollst de
Du s nseher
Fer alten!
ch
auss
Brigitte Sindelar
118
4.
können oft Erklärungen nicht folgen oder ihre Schularbeiten,
Aufgaben oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht erfüllen
??
??
??
a2 + b2 - c2
{(x7-3,2).(mq-y)}
Brigitte Sindelar
119
5.
sind häufig beeinträchtigt, Aufgaben und Aktivitäten zu
organisieren
Brigitte Sindelar
120
6.
vermeiden oder verabscheuen Arbeiten, wie Hausarbeiten,
die Durchhaltevermögen erfordern
Brigitte Sindelar
121
7. verlieren häufig Gegenstände, die für bestimmte Aufgaben oder
Tätigkeiten wichtig sind, z.B. Schularbeiten, Bleistifte, Bücher,
Spielsachen und Werkzeuge
Brigitte Sindelar
122
8.
werden häufig von externen Stimuli abgelenkt
Brigitte Sindelar
123
9.
sind im Verlaufe der alltäglichen Aktivitäten oft vergesslich
Brigitte Sindelar
124
mindestens sechs der Symptome
von Unaufmerksamkeit bestanden
mindestens sechs Monate lang in
einem mit einem mit dem
Entwicklungsstand des Kindes nicht
zu vereinbarenden und
unangemessenen Ausmaß.
Brigitte Sindelar
125
G1: Unaufmerksamkeit
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
sind häufig unaufmerksam gegenüber Details oder machen
Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten und sonstigen Arbeiten
und Aktivitäten
sind häufig nicht in der Lage, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben
und beim Spielen aufrechtzuerhalten
hören häufig scheinbar nicht, was ihnen gesagt wird
können oft Erklärungen nicht folgen oder ihre Schularbeiten,
Aufgaben oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht erfüllen
sind häufig beeinträchtigt, Aufgaben und Aktivitäten zu
organisieren
vermeiden oder verabscheuen Arbeiten, wie Hausarbeiten, die
Durchhaltevermögen erfordern
verlieren häufig Gegenstände, die für bestimmte Aufgaben oder
Tätigkeiten wichtig sind, z.B. Schularbeiten, Bleistifte, Bücher,
Spielsachen und Werkzeuge
werden häufig von externen Stimuli abgelenkt
sind im Verlaufe der alltäglichen
Aktivitäten oft vergesslich
Brigitte Sindelar
126
Der
Störungsbegriff:
- im ICD-10
(ICD = International Classification of Deseases)
Chapter V (F):
Classification Of
Mental and Behavioural Disorders:
Brigitte Sindelar
127
der Störungsbegriff im ICD -10
­verzichtet durchgängig auf den Begriff
der Krankheit
- nicht „psychiatrische“ Störungen,
sondern „psychische Störungen“
Brigitte Sindelar
128
der Störungsbegriff im ICD -10
­Störung = Komplex von Symptomen oder
Verhaltensauffälligkeiten, die mit individuellen
psychischen Beeinträchtigungen, mit
individuellen Behinderungen im Sinne einer
verminderten Bewältigungsfähigkeit von
Alltagsaktivitäten verbunden sind und auch auf
der sozialen Ebene mit Belastungen und
Funktionsbeeinträchtigungen verbunden sein
können
Brigitte Sindelar
129
der Störungsbegriff im ICD -10
­diagnostiziert anhand „diagnostischer
Leitlinien“
-spezifiziert Anzahl und Gewichtung der
Symptome, die für eine Diagnose
vorliegen müssen
­Angaben zur Symptomdauer sind dabei
allgemeinere Richtlinien
Brigitte Sindelar
130
der Störungsbegriff im ICD -10
-unterscheidet Diagnose-Typen:
•„sichere Diagnose“= diagnostische Leitlinien
vollständig erfüllt
•„vorläufige Diagnose“ = diagnostische Leitlinien
nicht vollständig erfüllt, fehlende Informationen
können wahrscheinlich ergänzt werden
•„Verdacht auf ...“-Diagnose = diagnostische
Leitlinien nicht vollständig erfüllt, fehlende
Informationen können nicht ergänzt werden
Brigitte Sindelar
131
der Störungsbegriff im ICD -10
-Prinzip der Komorbidität: so viele
Diagnosen wie nötig (Haupt-, Neben- und
Zusatzdiagnosen)
-Rangreihe nach Aktualität der
Störungskomponenten (Leidensdruck)
- Bezug zu den anderen ICD-10-Kapiteln
(zum Beispiel somatischen)
Brigitte Sindelar
132
der Störungsbegriff im OPD
(= Operationale Psychodynamische Diagnostik)
= psychotherapiespezifische diagnostische
Klassifikation
Brigitte Sindelar
133
der Störungsbegriff im OPD
- vier psychodynamische Achsen
aus mehreren Dimensionen zusammengesetzt
- eine klassifikatorische Achse
Achse I: Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen
Achse II: Beziehung
Achse III: (psychodynamische) Konflikt(e)
Achse IV: (Persönlichkeits-) Struktur
Achse V: Psychische und Psychosomatische
Störungen (Verknüpfung mit der
Brigitte Sindelar
Symptombeschreibung
nach ICD 10134
Diagnosen sind Konstrukte!
Menschen HABEN nicht eine
psychische Störung, sondern
sie erfüllen die Kriterien
einer psychischen Störung!
Brigitte Sindelar
135
Der psychologische Befund in der
störungsbezogenen Diagnostik
Richtlinien der psychologischen Befunderstellung
• aufgrund wissenschaftlich anerkannter Methoden und Kriterien
• nach feststehenden Regeln der Gewinnung und Interpretation
von Daten
• zu konkreten Fragestellungen Aussagen
• Verantwortung des Psychologen,
• welche Verfahren er aufgrund des aktuellen
Forschungsstandes in der wissenschaftlichen Psychologie
auswählt,
• welchen Umfang der Datenerhebung er für angemessen hält
• was aus der Sicht der Fragestellung als mitteilensnotwendig
gilt
• was zum Schutz der Persönlichkeit des Begutachteten nicht
mitzuteilen ist.
Brigitte Sindelar
136
• Bemühen um Objektivität
• Freiwilligkeit einer Teilnahme an
psychologischer Begutachtung
respektieren
• Sorge tragen für hinreichenden
Datenschutz
Brigitte Sindelar
137
psychologischer Befund
- psychologisches Gutachten:
laut österreichischer Zivilprozessordnung
(§ 362 Abs. 1 ZPO) zwei unterschiedliche Gesetzesbegriffe:
• psychologischer Befund:
• psychologisches Gutachten:
Feststellung und
Schlussfolgerungen aus den
Beschreibung von
ermittelten Tatsachen durch
psychologischen Tatsachen;
Anwendung des
rein deskriptiv abgefasste
Fachwissens; Interpretation
Ergebnisse von
der
Anamneseerhebung,
Untersuchungsergebnisse
Exploration, psychologischen
und darauf basierend
Tests und gegebenenfalls
Vorschlag von Maßnahmen
von biographischem Inventar
Brigitte Sindelar
138
Aufbau eines psychologischen Befundes:
• Eckdaten der Befunderhebung: an wem wurde wann die psychologische
Untersuchung durchgeführt?
• In wessen Auftrag (zum Beispiel: Zuweisung durch Arzt, Empfehlung durch
Schule, Selbstvorstellung) und zur Klärung welcher Fragestellung wurde der
Befund erhoben?
• Anamnese der für die Fragestellung relevantenBefund
Inhalte, wobei die
Informationsquelle angegeben werden muss (zum Beispiel: „nach Bericht
der Eltern…“)
• Biographische Anamnese
• Exploration und Verhaltensbeobachtung
• Durchgeführte Testverfahren (müssen namentlich angeführt werden)
• Deskription der Testergebnisse
• Interpretation der Testergebnisse
Gutachten
• Empfehlungen
Brigitte Sindelar
139
Beispiel eines psychologischen
Befundes:
• Eckdaten der Befunderhebung: an wem wurde wann
die psychologische Untersuchung durchgeführt?
KLINISCH-PSYCHOLOGISCHER BEFUND
(Anmerkung: der Befund wurde selbstverständlich
anonymisiert)
Betrifft: Birgit XXXX
geb.: XX.XX.1987
Untersuchungsdatum: XX.XX.2004
Brigitte Sindelar
140
Beispiel eines psychologischen Befundes:
•In wessen Auftrag (zum Beispiel: Zuweisung durch Arzt, Empfehlung
durch Schule, Selbstvorstellung) und zur Klärung welcher Fragestellung
wurde der Befund erhoben?
Vorstellungsgrund und Fragestellung:
Birgit wird von ihren Eltern und auf eigenen Wunsch wegen
trauriger Gestimmheit, Appetitverlust, Lernschwierigkeiten,
besonders in den Gegenständen Deutsch, Englisch und
Mathematik zur klinisch-psychologischen Untersuchung
vorgestellt.
Die klinisch-psychologische Untersuchung soll abklären,
inwieweit eine depressive Symptomatik die Leistungsfähigkeit
des Mädchens beeinträchtigt oder ob andere Bedingungen
vorliegen, die Birgit in ihrer emotionalen Gesundheit und in
ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit blockieren, insbesondere
inwieweit Birgit durch die Leistungsanforderungen der AHS
überfordert ist.
Brigitte Sindelar
141
Beispiel eines psychologischen Befundes:
•Anamnese der für die Fragestellung relevanten Inhalte, wobei
die Informationsquelle angegeben werden muss (zum Beispiel:
„nach Bericht der Eltern…“)
Aus der Anamnese:
Birgit wiederholt derzeit fünfte Klasse der allgemein bildenden höheren Schule. Das
vorangegangene Schuljahr konnte sie wegen nicht-genügender Leistungen in
Deutsch, Englisch und Mathematik nicht positiv abschließen. Intensive Lernnachhilfe
während des gesamten letzten Schuljahres zeigte laut Bericht der Eltern und Birgits
keinen Effekt. Die Eltern berichten weiters, dass Birgit besonders im Laufe des letzten
halben Jahres zunehmend traurig gestimmt sei, den Kontakt zu ihren Freunden
einschränke, sich auch innerhalb der Familie zurück ziehe. Außerdem sei den Eltern
aufgefallen, dass vor allem in den letzten Wochen zunehmend appetitlos sei, sie habe
etwa 5 Kilogramm im letzten Monat abgenommen.
Weiters berichten die Eltern, dass Birgit schon seit der zweiten Volksschulklasse mit
Schulschwierigkeiten kämpfe: gegen Ende der zweiten Klasse Volksschule sei
aufgefallen, dass Birgit noch keine sichere Buchstabenkenntnis hatte und das Lesen
noch nicht erlernt hatte (was die Klassenlehrerin, die aus Gründen ihrer xxxxxxxxx
häufig abwesend war, noch nicht bemerkt hatte) Die Mutter übte daraufhin intensiv
mit Birgit, sodass sie den Anschluss an das Klassenniveau finden konnte. Dieses
intensive häusliche Üben fand während der gesamten Volksschulzeit statt. Die Mutter
berichtet, dass Birgit dabei immer sehr geduldig und ausdauernd mitgearbeitet hätte.
Ebenso berichten die Eltern, dass Birgit bis vor etwa einem halben Jahr ein besonders
sonniges Wesen und hohe soziale Kompetenz besitze.
Brigitte Sindelar
142
Beispiel eines psychologischen Befundes:
•Biographische Anamnese
Biographische Anamnese:
Grav.: oB, Part.: spontan zum Termin, 3300g, 52 cm, keinerlei Komplikationen.
Birgit wurde sechs Wochen lang gestillt, ist nach einer Krabbelphase mit elf Monaten gelaufen,
sauber war sie mit eineinhalb Jahren, die Sprachentwicklung war unauffällig.
Birgit besuchte von drei bis sechs Jahren den Kindergarten, vorher wurde sie von der Mutter
betreut, mit sechs Jahren trat sie in die Volksschule ein. Danach besuchte sie das
Gymnasium.
Bisherige Erkrankungen: Pfeiffersches Drüsenfieber, Windpocken, häufig Otitiden, mit 9
Jahren Commotio nach einem Sturz mit dem Fahrrad, keine Hospitalisierung.
Voruntersuchungen:
im Alter von neun Jahren kinderpsychologische Untersuchung an der Kinderklinik in xxxx, die
laut Bericht der Eltern eine gut durchschnittliche Intelligenz und eine legasthene Symptomatik
aufwies. Behandlung wurde keine vorgeschlagen.
Vor zwei Monaten sei Birgit internistisch komplett durchuntersucht worden, die Untersuchung
blieb ohne medizinischen Befund. Augen- und ohrenärztlich sei sie ebenfalls abgeklärt
worden. Bis auf eine leichte, nicht korrekturbedürftige Kurzsichtigkeit seien keinerlei
Auffälligkeiten festgestellt worden.
Familienanamnese:
Mutter 4X Jahre, arbeitet in der Praxis des Vaters im organisatorischen und administrativen
Bereich mit,
Vater 5X Jahre, Arzt, Praxis,
ein Bruder mit 19 Jahren absolviert nach der Matura seinen Wehrdienst, eine Schwester mit
12 Jahren besuche mit gutem Erfolg das Gymnasium.
Die Familie lebt in xxxx (Kleinstadt) in xxxx.
Keinerlei familiäre Erkrankungen.
Brigitte Sindelar
143
Beispiel eines psychologischen Befundes:
•Exploration und Verhaltensbeobachtung
Exploration:
Birgit berichtet, dass sie sich große Sorgen um ihre Zukunft mache, da sie die Schule nicht schaffen werde. Ihr
Traumberuf (Anm.: ein sozialer Beruf mit akademischer Ausbildung) sei ein unerfüllbarer Traum. Sie schlafe in
letzter Zeit schlecht, könne erst nach Stunden einschlafen. Ihre früheren Hobbies machen ihr keine Freude mehr,
auch ihre Freunde möchte sie nicht mehr so oft sehen, weil sie es nicht ertrage, dass es allen außer ihr in der
Schule so gut gehe. Und sie müsse, auch außerhalb der Schule, dauernd ans Lernen denken. Vor Schularbeiten
und Prüfungen sei sie sehr nervös und leide unter Übelkeit und Bauchschmerzen.
Mit den Eltern verstehe sie sich gut, nur ginge ihr die „Mitleidstour“ ihrer Mutter zunehmend auf die Nerven und
auch, dass die Mutter dauernd etwas koche, nur damit sie mehr esse. Die Geschwister seien, wie Geschwister
so eben sind, manchmal „nervig“, manchmal lieb. Ihren Bruder, der das Gymnasium bereits abgeschlossen
habe, beneide sie darum, dass er immer so leicht gelernt habe.
Sie habe jeden Tag Nachhilfe von insgesamt drei verschiedenen Lehrern, die Kosten machen ihr ein schlechtes
Gewissen. Die Lehrer seien ja ganz in Ordnung und bemühen sich auch, aber sie selbst sei halt einfach zu dumm
für die Schule – sie könne ja nicht einmal in anderen Fächern als den Problemfächern ordentlich mitschreiben,
mache dauernd Fehler, die ihr gar nicht auffallen, nur könne sie nachher das Geschriebene fast nicht lesen.
Buchstaben seien überhaupt eine unnötige Sache.
Was bei der psychologischen Untersuchung rauskomme, wisse sie ohnehin jetzt schon: am Ende werde sie
erfahren, dass sie fürs Gymnasium zu dumm sei und es aufgeben solle.
Während der Exploration, die in Abwesenheit der Eltern geführt wurde, beginnt Birgit immer wieder zu weinen,
bleibt aber gesprächsbereit und antwortet geordnet und kohärent auf Fragen. Birgit ist ein auffallend hübsches
Mädchen, erscheint schlank, aber nicht untergewichtig.
Testverhalten:
Birgit ist in der Untersuchungssituation kooperativ, affektiv zugewendet, kontaktbereit, arbeitet konzentriert und
ausdauernd in guter Leistungsmotivation. Sie schreibt und hantiert rechtshändig. Die Grobmotorik ist ruhig, die
Feinmotorik geschickt. Sie spricht in deutlicher
und
differenzierter Spontansprache. Der Antrieb ist angemessen
Brigitte
Sindelar
144
aktiv, die Stimmungslage gedrückt.
Beispiel eines psychologischen Befundes:
• Durchgeführte Testverfahren (müssen namentlich
angeführt werden)
Untersuchungsergebnisse:
PSB –R 6-13 nach Horn,
Verfahren zur Erfassung von Teilleistungsschwächen
nach Sindelar,
Rorschach-Test
Beck´sches Depressionsinventar (BDI)
Brigitte Sindelar
145
Beispiel eines psychologischen Befundes:
•Deskription der Testergebnisse
Leistungstests:
Im Leistungsprüfsystem nach HORN erreicht Birgit ein dysharmonisches Profil:
Durchschnittliche Werte erzielt sie im Schriftwortschatz, im Erkennen von Gesetzmäßigkeiten und Serien, in der visuellen
Wahrnehmung und in der Genauigkeit und Konzentrationsfähigkeit.
Unter dem Durchschnitt liegen die Werte in der schriftsprachlichen Gewandtheit, in der Hypothesen--bildung bei
schriftsprachlichem Material sowie in der Konzentrations-fähigkeit bei rein mechanischen Rechenaufgaben.
Überdurchschnittlich sind die Leistungen in der abstrakt-sprachlichen Logik, und im räumlich-logischen Denken.
Damit zeigt das Profil eine Ausprägung, wie sie gehäuft bei Legasthenikern im Jugendlichenalter zu finden ist.
In der Untersuchung der kognitiven Grundfunktionen lassen sich Teilleistungs-schwächen in der visuellen Merkfähigkeit und in der
Fähigkeit zur intermodalen Kodierung feststellen. Diese Teilleistungsschwächen bewirken: Birgit kann durch die
Teilleistungsschwäche in der visuellen Merkfähigkeit Wortbilder nur ungenau speichern, durch die Teilleistungsschwäche in der
intermodalen Kodierung Verbindungen zwischen Gehörtem und Gesehenem, also zum Beispiel zwischen dem gesprochenen Wort
und dem geschriebenen Wort, nicht ihrem allgemeinen Entwicklungsniveau entsprechend herstellen. Dies erklärt sowohl die
Diskrepanzen im Leistungsprofil als auch die Lernschwierigkeiten.
Persönlichkeitstests:
Im durchgeführten projektiven Testverfahren zeigt sich ein emotional sehr kontrolliertes, in der Fähigkeit zum tiefergehenden
zwischenmenschlichen Du-Kontakt differenziertes und reifes Persönlichkeitsbild. Die affektive Ansprechbarkeit ist gegeben. Birgit
ist allerdings in ihrem Selbstwertgefühl durch ihre Schulschwierigkeiten massiv verunsichert, die Beziehung zur Leistungssituation
ist durch Aggression einerseits, durch Schuldgefühle andrerseits belastet. Autoaggressive Tendenzen zeichnen sich ab. Da Birgit
an sich ein qualitätsehrgeiziges Mädchen ist, ihr auch bezüglich ihrer Position in der Gruppe der Gleichaltrigen ihre
Leistungsfähigkeit besonders wichtig ist, ist sie in der Folge ihrer legasthenen Symptomatik sekundär neurotisiert und somit auch in
ihrer Zukunftserwartung verunsichert.
In der Beziehung zur Mutter dominiert das Gefühl der Besorgtheit um die Mutter bis zur Angst um die Mutter, auch in der
Beziehung zum Vater steht die Sorge um ihn im Vordergrund. Die Beziehung zu den Geschwistern ist unauffällig.
Im BDI (Fragebogen zur Messung des Schweregrades einer Depression) ergibt sich die deskriptive Diagnose einer mittelgradigen
bis schweren Depression. Dagegen sind im Rorschachtest, der die unbewusste Gefühlswelt sowie die affektive Struktur erfasst,
keine depressiven Indikatoren zu finden.
Brigitte Sindelar
146
Beispiel eines psychologischen Befundes:
•Interpretation der Testergebnisse
Zusammenfassung, Interpretation und Empfehlung:
Birgits Schulschwierigkeiten stehen im Zusammenhang mit
Teilleistungsschwächen in der visuellen Merkfähigkeit und in der
Intermodalität, die in einer legasthenen Symptomatik resultieren und in der
Folge nicht nur die schulischen Leistungen beeinträchtigen, sondern auch die
Entfaltung des gesamten Leistungsprofils, wie mittels des PSB erhoben,
partiell blockieren. Im Sinne der sekundären Neurotisierung zeigt sich eine
massive Verunsicherung des Selbstwertgefühls, eine gespannte Beziehung zur
Leistung und Unsicherheit in der Zukunftserwartung.
Diskrepant sind die Ergebnisse zwischen dem Fragebogentest und dem
projektiven Test: im Fragebogentest ergibt sich das Bild einer mittelgradigen
bis schweren Depression, die im projektiven Test nicht feststellbar ist. Diese
Diskrepanz ist wie folgt zu interpretieren: Birgit ist in Folge ihrer massiven
Misserfolgserlebnisse und der chronischen schulischen Stresssituation,
bedingt durch die Legasthenie, belastet und emotional erschöpft, was sich in
einer depressiven Symptomatik auswirkt. Ätiologisch ist somit die Legasthenie
das Grundproblem, das sich auf die seelische Befindlichkeit und Gesundheit
auswirkt.
Brigitte Sindelar
147
Beispiel eines psychologischen Befundes:
•Empfehlungen
Daher ist die Behandlung des Grundproblems die erste Indikation, die durch
begleitende ich-stützende und ermutigende Hilfestellung, vor allem seitens der
Familie und der Schule, geleistet werden sollte. Eine Behandlung der
depressiven Symptomatik kann als Begleitmaßnahme sinnvoll sein, wird
jedoch, solange das verursachende Moment der Legasthenie nicht behoben
ist, keinen langfristigen Erfolg zeigen, da eine Fortsetzung der Frustration
durch Misserfolg wahrscheinlich ist.
Das Untersuchungsergebnis wurde mit Birgit und ihren Eltern besprochen,
Birgit reagierte auf die Befundbesprechung mit enormer Erleichterung.
Besonders die Erklärung ihres Leistungsprofils sowie die Besprechung der
legasthenen Symptomatik und der diesbezüglichen Behandlungsmöglichkeiten
hoben ihre Stimmung.
Ein spezifisches funktionell-therapeutisches Trainingsprogramm wurde
vorgeschlagen und erstellt, das Birgit in der Computerspielversion zu Hause
durchführen wird. Dieses Programm wird in weiteren klinisch-psychologischen
Behandlungen im Laufe des Trainings in seiner Effizienz kontrolliert und dem
Fortschritt Birgits angepasst werden.
Dr. Brigitte Sindelar
Wien, am XXXXXXXX
Brigitte Sindelar
148
• Stieglitz,Rolf-Dieter; Baumann, Urs;
Freyberger Harald J.: Psychodiagnostik in
Klinischer Psychologie, Psychiatrie,
Psychotherapie; Thieme, 2001
Brigitte Sindelar
149
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