Wissenschaftliche Abschlussarbeit zur Ausbildung in systemischer Tanztherapie „Borderline Sein“ Videoanalyse von sechs Frauen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung - eine empirische Pilotstudie - vorgelegt von: Aufgabenstellerin: Tanja Burkhardt Susanne Bender Ludwigstr. 3 Europäisches Zentrum für 84028 Landshut Tanztherapie Geyerspergerstr. 25 80689 München Datum: 30.06.2010 Für Cindy, Franziska, Juliane, Maria, Stefanie und Tina „BORDERLINE SEIN“ Videoanalyse von sechs Frauen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung - eine empirische Pilotstudie - Obwohl die Borderline Persönlichkeitsstö- Even rung eine häufige psychiatrische Diagnose Personality Disorder is a very common ist, gibt es bislang noch relativ wenig Be- psychiatric diagnosis, there are only handlungsmanuale. Dies führt dazu, dass alle Menschen mit einer Borderlinestörung sowohl im ambulanten als auch im stationären Setting mit diesen wenigen Therapieansätzen relativ gleich behandelt wer- few though therapeutic the Borderline approaches. This leads to the fact that all people with this diagnosis get pretty much the same kind of treatment. Often these den. Häufig fühlen sich die Patientinnen patients feel unfairly treated if they all und Patienten ungerecht behandelt und in get the same type of therapy. They ihrer Einzigartigkeit nicht gesehen, wenn feel that their inidividuality is not sie diese Gleichbehandlung erfahren. Sie sufficiently taken into account. haben das Gefühl, dass ihrer Individualität Dance therapists are convinced that nicht genug Rechnung getragen wird. essential features of the personality Tanztherapeutinnen und -therapeuten ge- are apparent in the bodies expression hen davon aus, dass sich wesentliche Merkmale der Persönlichkeit im Körperausdruck und in der Bewegung zeigen. Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit and movement. This scientific work is an empirical pilot study to answer the question, if people with the same ist eine empirische Pilotstudie zur Beant- diagnosis, wortung der Fragestellung, ob Menschen disorder, show the same movement mit der gleichen Diagnose, nämlich Bor- qualities and if it´s therefore right to derline-Persönlichkeitsstörung, treat these patients with the same kind die glei- chen Bewegungsqualitäten zeigen und ob borderline personality of psychotherapeutic treatment. es demnach gerechtfertigt ist, alle Pati- Standardized videos of the female entinnen und Patienten mit Borderline probands were recorded and later Syndrom mit dem gleichen psychothera- evaluated using the technique of the peutischen Prgramm zu behandeln. Standardisierte Videoaufzeichnungen und die Übersetzung der Diagnosekriterien der Borderline Persönlichkeitsstörung in der laban movement analysis and the kestenberg movement profile. For the analysis, the diagnostic criteria of the borderline personality disorder, Störungen (ICD 10, Kapitel V) bilden die defined in Grundlage für die bewegungsanalytische classification of deseases (ICD 10, Auswertung gemäß der Fragestellung. chapter Die Arbeit liefert grundlegende Hinter- movement qualities. Then the videos grundinformationen zur were evaluated to check whether and Bewegungsanalyse, die Übersetzung der to what extent there are simililarities Diagnosekriterien der Borderline Persön- and Internationalen Klassifikation psychischer lichkeitsstörung in Bewegungsqualitäten und die ausführliche Darstellung der Ergebnisse der Studie und der Konsequenzen für die tanztherapeutische Begleitung, V), the got differences International translated in as the into probands movement patterns. This scientific work provides basic information about movement analysis, die sich aus den Ergebnissen ergeben. the Das Ergebnis der Studie ist im Wesentli- critieria in the ICD 10 in movement chen, dass zwar grundsätzliche Gemein- qualities and the detailed description samkeiten, wie zum Beispiel Unsicherhei- of the results.The main conclusion of ten in der Integration von ZEIT und KRAFT the in die Bewegung oder eine mangelnde similarities in movement topics, like Empfindung des Kern-Selbst bewiesen insecurities in the wurden, jedoch auch Unterschiede im Grundtemperament und in den individuellen Vorlieben und Lebensstilen in der Therapie berücksichtigt werden müssen, um translation study is, of the that diagnostic indeed basic integration of the efforts of weight and time or an impaired development of the core-self, were prooved, but also that den Patientinnen das Gefühl zu geben, in considerable differences in the basic ihrer Individualität wahrgenommen und temper and the individual lifestyles wertgeschätzt zu sein. exist, which should be considerd in therapy to ensure that the patients feel perceived individuality. and valued for their Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort 1 1 Fragestellung 3 2 Theoriekapitel 6 2.1 Hintergrundinformationen zur Bewegungsanalyse 6 2.1.1 Von den Spannungsflusseigenschaften zu den Antrieben: Modell 7 der konzentrischen Weltbeeinflussung 2.1.2 Vom Formfluss zum Formen 9 2.2 Die Borderline Persönlichkeitsstörung im ICD 10 und die Übersetzung 11 ihrer Diagnosemerkmale in Bewegungsqualitäten 2.2.1 Borderline: vom Begriff zum klassifizierten Krankheitsbild 12 2.2.2 Diagnosemerkmale nach ICD 10 13 2.2.3 Übersetzung der Diagnosemerkmale des ICD 10 in 14 Bewegungskategorien 3 Studie und Resultate 21 3.1 Stichprobe, Setting der Videoaufzeichnung und Prozedere der Auswertung 21 3.2 Die Ergebnisse 23 3.2.1 Vergleichende Auswertung im Hinblick auf die bewegungsanalytischen 23 Diagnosekriterien 3.2.1.1 Deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln / unbeständige und unberechenbare Stimmungen 23 3.2.1.2 Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit Unfähigkeit 29 zur Kontrolle explosiven Verhaltens 3.2.1.3 Deutliche Tendenz zu Streitereien oder Konflikten mit anderen, 32 vor allem dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden 3.2.1.4 Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht 32 unmittelbar belohnt werden 3.2.1.5 Störungen und Unsicherheiten bezüglich Selbstbild, Zielen und 35 „inneren Präferenzen“ (einschließlich sexueller). Ich-Störung 3.2.1.6 Übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden 37 3.2.1.7 Neigung, 38 sich in intensive, aber instabile Beziehungen einzulassen, oft mit der Folge von emotionalen Krisen 3.2.1.8 Ergebnisse, die nicht klar einem Diagnosemerkmal zugeordnet 39 werden können 3.2.2 Besonderheiten der einzelnen Analysandinnen in ihren individuellen 43 Bewegungsqualitäten 3.2.2.1 Franziska 43 3.2.2.2 Stefanie 44 3.2.2.3 Tina 45 3.2.2.4 Juliane 46 3.2.2.5 Cindy 46 3.2.2.6 Maria 47 3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse und Konsequenzen für die 49 tanztherapeutische Begleitung Nachwort und Danksagung 57 Anhang 58 Einverständniserklärung 58 Einladung zur Videoaufzeichnung 59 Ablauf Videoanalyse 60 Quellenverzeichnis 61 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Nachgebende und ankämpfende Antriebselemente 8 Tabelle 2: Nachgebende und ankämpfende Vorantriebe 8 Tabelle 3: Entwicklung der Weltbeeinflussung von den 9 Spannungsflusseigenschaften zu den Antrieben Tabelle 4: Spannungsflusseigenschaften abrupt und graduell 24 Tabelle 5: Antriebe, Vorantriebe und Spannungsflusseigenschaften zum 25 Faktor Zeit Tabelle 6: Antriebe zum Faktor Zeit 26 Tabelle 7: Antriebe und Vorantriebe zum Faktor Zeit 26 Tabelle 8: Bewegungsfluss frei und gebunden 27 Tabelle 9: Spannungsflusseigenschaften niedrige und hohe Intensität 30 Tabelle 10: Spannungsflusseigenschaften und Antriebe zum Faktor Kraft 30 Tabelle 11: Antrieb stark mit freiem und gebundenem Bewegungsfluss 31 Tabelle 12: Vorantrieb vehement (mit frei) und angestrengt (mit gebunden) 31 Tabelle 13: Antriebe und Vorantriebe zum Faktor Raum 33 Tabelle 14: Spannungsflusseigenschaften gleichbleibend und adaptierend 34 Tabelle 15: Spannungsflusseigenschaften und Antriebe zum Faktor Raum 34 Tabelle 16: Anteil der Bewegungen mit Rumpfbeteiligung an Gesamtzahl 35 der Bewegungen Tabelle 17: Bewegungen mit Rumpfbeteiligung in Solo-Improvisation und 36 in Improvisation in Beziehung Tabelle 18: Antrieb direkt in Beziehung und alleine 38 Tabelle 19: Antrieb indirekt in Beziehung und alleine 38 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Repertoire der Spannungsflusseigenschaften 28 Abbildung 2: Verhältnis ankämpfender und nachgebender Antriebe 40 Abbildung 3: Verhältnis ankämpfender und nachgebender Vorantriebe 41 Abbildung 4: Verteilung der Raumantriebe, Kraftantriebe und Zeitantriebe 42 auf Gesamtzahl der Antriebe Vorwort Seit acht Jahren arbeite ich als Dipl. Sozialpädagogin im ambulant betreuten Wohnen für psychisch kranke Erwachsene am Landshuter Netzwerk (www.landshuternetzwerk.de). Der Verein Landshuter Netzwerk ist ein sozialer Dienstleister, der sich seit 1999 im Bereich der Sozialpsychiatrie engagiert. Neben dem Bereich Betreutes Wohnen bietet der Verein eine Tagesstätte für psychisch kranke Erwachsene, eine Suchtberatungsstelle und Zuverdienstarbeitsplätze für psychisch kranke Erwachsene. Außerdem engagiert sich das Landshuter Netzwerk noch in der Beratung von Migranten und in der offenen Seniorenarbeit. Ich leite die Abteilung Betreutes Einzelwohnen und etablierte im Landshuter Netzwerk Einzel-Tanztherapie für Klientinnen und Klienten aus dem Betreuten Wohnen als Ergänzung zu ihrer externen psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung. Grundsätzlich setzt sich unser Klientel aus allen psychiatrischen Krankheitsbildern zusammen. Die größte Gruppe bilden Menschen mit Psychosen oder Schizophrenie, wobei die Gruppe der Persönlichkeitsstörungen die zweit größte und ständig wachsende Gruppe in der Abteilung Betreutes Wohnen bildet. Die sozialpädagogische und therapeutische Arbeit mit Menschen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung finde ich schon seit Beginn meiner Tätigkeit besonders interessant und herausfordernd. Die verbreitete Haltung, dass Menschen mit einer Borderline Störung unbequem und schwierig seien, konnte ich nie teilen. Ich finde es besonders spannend, mit diesen Menschen in Beziehung zu treten, denn sie fordern und fördern eine besondere Wachsamkeit in der Beziehungsarbeit. Durch die Begegnung mit ihnen konnte ich sehr viele, für mich wertvolle Erfahrungen sammeln und ich bin dankbar für jede „Beziehungsfalle“, in die ich getappt bin und noch tappen werde, denn durch die Arbeit mit diesem Klientel kann man so viel über sich, über Beziehung, über Verletzung und über Grenzsetzung lernen wie in keiner anderen therapeutischen Arbeit. Mein persönliches Interesse an der Borderline Persönlichkeitsstörung hat mich auf die Idee gebracht, mich auch in der vorliegenden Abschlussarbeit mit diesem Thema zu beschäftigen. Während meiner Ausbildung zur Tanztherapeutin am Europäischen Zentrum für Tanztherapie in München faszinierte mich die Bewegungsanalyse als fundiertes und umfangreiches Instrument, ein ganzheitliches Verständnis des Individuums durch die Beobachtung seines/ihres nonverbalen Verhaltens zu erreichen. Alle Menschen, ob gesund oder krank, drücken sich in ihren Bewegungen aus und zeigen bewusst oder unbewusst ihre individuelle Art des „In-der-Welt-Seins“. Aus meinem Interesse für die Borderline 1 Persönlichkeitsstörung und der Bewegungsanalyse entstand meine Idee für die vorliegende Arbeit, nämlich die Bewegungsanalyse von Menschen, die an einer Borderline Persönlichkeitsstörung leiden und die somit eine spezielle Art des „In-derWelt-Seins“ verbinden könnte. Diese Überlegung brachte mich auf die Idee, zu überprüfen inwieweit sich Menschen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung aus bewegungsanalytischer Sicht ähneln oder sich vielleicht sogar völlig unterscheiden. Nähere Ausführungen zur Entstehung der wissenschaftlichen Fragestellung werde ich im folgenden Kapitel darlegen, bevor ich im Kapitel 2 die Hintergrundinformationen zur Bewegungsanalyse und die Übersetzung der Diagnosemerkmale der Borderline Persönlichkeitsstörung in Bewegungsqualitäten darlege und dann schließlich im Kapitel 3 die Ergebnisse der Studie ausführe und diskutiere. Da ich zu Beginn der Abschlussarbeit in meiner täglichen Arbeit mit Menschen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung ausschließlich mit Frauen konfrontiert war, entschied ich mich, die wissenschaftliche Fragestellung mit sechs dieser Frauen zu überprüfen. Deshalb werde ich in der vorliegenden Arbeit überwiegend die weibliche Form verwenden und im Empiriekapitel ausschließlich von Probandinnen und Klientinnen sprechen. 2 1 Fragestellung Heutige Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Fragestellungen zur Diagnose und Behandlung der Borderline Persönlichkeitsstörung rücken vermehrt den Körper und das Körpererleben der Patienten in den Blickpunkt (GEISSLER und HEISTERKAM, 2007; JORASCHKY et al. 2006). In meiner sozialpädagogischen und therapeutischen Arbeit erlebe ich, dass den Frauen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung die Basis des liebevollen Gesehen- und Gespiegeltwerdens, das ein Säugling von seiner Mutter erfährt, gar nicht oder nur unzureichend zuteilgeworden ist. Ich erlebe sie als bedürftig und emotional ausgehungert, gleichzeitig als abwertend und aggressiv. Sie binden und stoßen weg. Sie erlauben sich nicht, sich selbst zu versorgen, sind wütend und traurig zugleich. GEISSLER, HEISTERKAMP (2007, S. 499) beschreiben, dass der Körper des Borderline Patienten einerseits „Austragungsort unausgelebter und abgewehrter psychischer Konflikte“ ist und er andererseits als Träger von Gefühlen empfunden wird und so zur Befindlichkeits-Schraube wird, an der autoregulativ gedreht werden kann. Außerdem „ist der Körper dadurch, dass seine materielle Präsenz sich (...) nicht verleugnen lässt, der Teil der eigenen Person, der für die Objekte sichtbar, damit in seiner Erscheinung und seinem Aussehen aber auch bewertbar ist und somit für die gesamte Person des Patienten verantwortlich gemacht werden kann“ (GEISSLER, HEISTERKAMP 2007, S. 499). Viele Patienten mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung empfinden Ekel und Hass gegenüber ihrem Körper. Die Beschäftigung mit dem verhassten Körper ist angstbesetzt und kann zur Überschwemmung des Patienten mit unangenehmen, unaushaltbaren Gefühlen führen. Daher ist es besonders wichtig, vor allem bei schwer gestörten Borderline Patienten, vorsichtig bei der Konfrontation mit der eigenen Körperlichkeit zu sein und die „Körperarbeit“ an das jeweilige Strukturniveau des Klienten anzupassen. JORASCHKY et al. (2006) beschreiben, dass im „Körpergedächtnis“ sowohl die im impliziten Gedächtnis (Verhaltensgedächtnis) als auch im Episodengedächtnis (Erinnerungen an Erlebnisse) gespeicherten positiven und negativen intersubjektiven Erfahrungen „abgelegt“ sind. „Dies macht verständlich, dass sich verschiedenste Erfahrungen der Vernachlässigung und Traumatisierung, wie sie bei BorderlinePatienten gehäuft sind, im Körpererleben verankern. Störungen des Selbstgefühls mit Gefühlen absoluten Unwertes, einhergehend mit ständigen Selbstzweifeln, 3 verwirrenden Entwertungszyklen in Beziehungen und oft trostlosen Körpergefühlen des Hässlichseins und der Verunstaltung, sind typische Phänomene im Selbsterleben von Borderline-Patienten“ (BIRGER, DULZ et al. 2009, S. 349). Bei der Erforschung und Behandlung der Borderline Persönlichkeitsstörung spielt somit der Körper und das Körpererleben dieser Patienten eine wichtige Rolle, denn wenn, wie oben angeführt, im Körpergedächtnis Erfahrungen gespeichert werden, so manifestieren sich diese im Körperausdruck und somit auch in den Bewegungsmustern von Menschen. „Im Kontext der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen gibt es bislang noch reIativ wenig Behandlungsmanuale. Ausnahmen stellen hier die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) nach MARSHA LINEHAN (LINEHAN 1996) sowie die von der Gruppe um KERNBERG entwickelte Übertragungsfokussierte Psychotherapie bei Borderlinestörungen dar“ (Remmel, Kernberg et al. 2006, S. 302). PELZER (2010) erklärt, dass neben der DBT auch die Übertragungsfokussierte Psychotherapie zum Einsatz kommen könne. Diese beiden Therapieansätze kommen aus heutiger Sicht im stationären und ambulanten Setting für die psychotherapeutische Behandlung der Borderline Persönlichkeitsstörung infrage. Im örtlichen Bezirkskrankenhaus wird die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) als einziger Therapieansatz allen Menschen mit Borderline-Diagnose angeboten. Diese „Gleichbehandlung“ trifft auf Menschen, die sich noch nie in ihrer Individualität, ihrer Besonderheit und Einzigartigkeit gesehen und vor allem wertgeschätzt fühlten, was verständlicherweise dazu führt, dass sie sich erneut nicht wahrgenommen und willkommen fühlen. In Gesprächen hörte ich immer wieder, dass die beschriebene Vorgehensweise in der Psychiatrie als kränkend und wenig hilfreich erlebt wird. Zudem erlebte ich die sechs Probandinnen im täglichen Umgang als sehr unterschiedliche Frauen, die sowohl bezogen auf ihr äußeres Erscheinungsbild als auch auf ihre Vorlieben und Hobbys und nicht zuletzt auf ihre Symptomkonstellation große Unterschiede aufwiesen. Auf diesem Hintergrund entwickelten sich Zweifel, ob die wahrgenommene Gleichbehandlung bezogen auf das Angebot der therapeutischen Interventionen gerechtfertigt ist. Zudem beschreiben einige unserer Klientinnen, dass sie das Gefühl hätten, mit ihrer Diagnose weniger liebevoll und fürsorglich behandelt zu werden als zum Beispiel Menschen mit einer Schizophrenie. Eine Patientin, bei der noch bis vor wenigen Jahren die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung in den Akten vermerkt war, erklärte: „Seitdem ich Borderline bin, bin ich total abgestempelt, bin Patientin zweiter Klasse. Mir wurde ins Gesicht gesagt, dass mir keine Zuneigung entgegengebracht 4 werden dürfe, weil ich schließlich Borderline sei.“ An dieser Aussage schockierten mich mehrere Dinge: zum einen natürlich die Aussage, dass Menschen mit einer BorderlineStörung keine Zuwendung erfahren dürften und das Erleben, mit dieser Diagnose schlechter behandelt zu werden, und zum anderen die Formulierung der Patientin, „seitdem ich Borderline bin“. Es deutet für mich auf eine starke Identifikation mit der Diagnose, mit dem „Stempel“ Borderline hin und könnte dazu führen, dass die Diagnose weitgehend die Identität dieser Frauen bestimmt. So stellt sich mir die Frage, ob sich Patientinnen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung in ihrem „In-der-WeltSein“ derart ähneln, dass man tatsächlich von „Borderline-Sein“ sprechen könnte? Zielsetzung dieser Arbeit ist die Untersuchung von Personen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung mittels standardisierter Bewegungsanalyse, um folgende Fragestellung zu beantworten: Zeigen Menschen mit der gleichen Diagnose, Borderline Persönlichkeitsstörung, auch die gleichen Bewegungsmuster? Die vorliegende Pilotstudie folgt der Entwicklung, den Körperausdruck in die Erforschung von psychiatrischen Krankheitsbildern mit einzubeziehen und soll vor allem Auskunft darüber geben, ob Menschen mit einer Borderlinestörung sinnvollerweise auch in der Tanztherapie mit gleichen therapeutischen Programmen behandelt werden sollen oder ob nur durch individuell entwickelte Therapiepläne eine erfolgreiche Behandlung der Borderline Persönlichkeitsstörung erreicht werden kann. 5 2 Theoriekapitel 2.1 Hintergrundinformationen zur Bewegungsanalyse „Wenn wir den Körper anschauen [sic], sehen wir die Geschichte dieses Körpers und die Geschichte der Schwierigkeiten, die dieser Körper im Verhältnis zu sich selbst hat“ (ORBACH UND CARROLL 2006, S. 69). „Bewegungsbeobachtungs- und -diagnoseinstrumente der Tanz- und Bewegungstherapie dienen der differenzierten Erfassung des Ist-Zustandes anhand objektivierbarer Parameter mit dem Ziel, menschliches Verhalten besser zu verstehen und zu erforschen, adäquate Interventionen zu bestimmen und den Therapieprozess zu evaluieren“ (RÖSSLER 2004, S. 382). Die wissenschaftliche Weiterentwicklung und die methodische Anwendung der objektivierenden Bewegungsanalyse, die als diagnostisches Verfahren und zur Entwicklung eines Therapieplanes eingesetzt wird (BERUFSVERBAND DER TANZTHERAPEUTINNEN DEUTSCHLANDS 2009), ist ein wesentlicher Bestandteil der Tanztherapie. Basierend auf den Erkenntnissen von Rudolf von Laban gibt es heute eine Reihe von komplexen Bewegungsbeobachtungssystemen. Während Labans Ursprung der Tanz als Kunstform war, hatte Judith Kestenberg als Kinderpsychiaterin die Entwicklung des Kindes im Auge (BENDER 2007). Sie entwickelte das „Kestenberg-Movement-Profile“, das von ihrer Tochter Janet Kestenberg-Amighi, Warren Lamb und anderen weiter ausdifferenziert wurde und heute ein wissenschaftlich fundiertes und komplexes System zur Bewegungsanalyse darstellt. Die vorliegende Arbeit basiert auf der „LabanBewegungsanalyse“ (LBA) und dem „Kestenberg Movement Profile“ (KMP), da diese beiden Systeme in mehr als 150 Unterrichtsstunden in der Ausbildung zur systemischen Tanztherapeutin am Europäischen Zentrum für Tanztherapie in München schwerpunktmäßig vermittelt wurden. In den folgenden Punkten gebe ich einen kurzen Überblick über die im Ergebniskapitel verwendeten Begriffe aus der Bewegungsanalyse nach Laban und Kestenberg. Um einen tieferen Einblick in die Materie zu erhalten, möchte ich auf die einschlägige Fachliteratur verweisen (BENDER 2007; KESTENBERG-AMIGHI, LOMAN et al. 1999). Leser, die bereits mit der Bewegungsanalyse vertraut sind, können dieses Kapitel überspringen. 6 2.1.1 Von den Spannungsflusseigenschaften zu den Antrieben – Modell der konzentrischen Weltbeeinflussung „Die Entwicklung des Menschen von den Spannungsflusseigenschaften am Anfang des Lebens zur Integration der Antriebe bis ungefähr zum 6. Lebensjahr zeigt die Entwicklung von der Konzentration auf innere Vorgänge zur Zuwendung und Bewältigung der Außenwelt“ (BENDER 2007, S.83). BENDER beschreibt, dass Weltbeeinflussung Tätigkeiten umfasst, die die Umwelt verändern und eine Mikro- oder Makrogesellschaft stabilisieren. „Für die Fähigkeit der Weltbeeinflussung müssen wir den Zyklus von Spannungsflusseigenschaften (als muskuläre Vorbereitung), Vorantrieben (als Lernqualitäten) hin zu den Antrieben als eigentliche Bewältigung der Umweltanforderungen durchlaufen“ (BENDER 2007, S. 87). In allen Bewegungen sehen wir Spannungsfluss. Damit wird in der Bewegungsanalyse der Wechsel von Muskelspannung im Körper bezeichnet. Beim gebundenen Fluss kontrahieren der Agonist und der Antagonist gleichzeitig. „Wenn die Energie der Bewegung frei durch den Körper fließt, sprechen wir von freiem Fluss. Die Bewegung kann nicht unbedingt gestoppt werden, der Agonist funktioniert alleine ohne große Kontrolle des antagonistischen Muskels“ (BENDER 2007, S. 10). Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen freiem und gebundenem Fluss ist Voraussetzung für die Eigenregulation von Emotionalität. Die Spannungsflusseigenschaften stellen verschiedene Möglichkeiten des Wechselspiels von gebundenem und freiem Spannungsfluss dar und ermöglichen den Umgang mit Gefühlen. Von allen Bewegungskategorien sind die Spannungsflusseigenschaften als Ausdruck des Kerntemperaments die stabilsten über die Lebensspanne, wenn nicht psychische oder physische Traumata diese Muster unterbrechen. Wir unterscheiden sechs verschiedene Spannungsflusseigenschaften: • gleichbleibender Fluss • Adaptierung • hohe Intensität • niedrige Intensität • Abruptheit • Gradualität Bei der Beobachtung von Säuglingen und Kleinkindern fand KESTENBERG heraus, dass Vorantriebe die Brücke zwischen dem inneren Fokus auf die Muskeltätigkeit (Spannungsflusseigenschaften) und der sich entwickelnden Fähigkeit, mit den Realitäten der Außenwelt umzugehen, darstellen. Sie bilden daher ein wichtiges Bindeglied in der 7 Entwicklung zur Weltbeeinflussung. „Wir sprechen immer dann von einem Vorantrieb, wenn eine Bewegung mit einer inneren Anstrengung, Besorgnis oder Vermeidung hinsichtlich der Aufmerksamkeit gegenüber dem Raum, der Absicht des Krafteinsatzes und des Erspürens des richtigen Zeitpunktes geschieht“ (BENDER 2007, S. 31). Den Faktoren Raum, Kraft und Zeit sind jeweils zwei Vorantriebe zugeordnet. • Raum: kanalisieren und flexibel • Kraft: vehement (mit freiem Bewegungsfluss) / angestrengt (mit gebundenem Bewegungsfluss) und vorsichtig • Zeit: plötzlich und zögerlich Bei der Bewegungsbeobachtung unterscheiden wir zwischen den Vorantrieben, die sowohl einen inneren (auf die Muskelspannung) als auch einen äußeren Fokus (auf die Umwelt) haben, und den Antrieben, die die innere Motivation zur Problemlösung und Konzentration auf die äußere Realität nutzen. Der Mensch drückt sich in seinen Antrieben aus und teilt durch die Bewegung etwas von seinem inneren Wesen mit. Antriebe beschreiben den dynamischen Aspekt der Bewegung. Den Faktoren Fluss, Raum, Kraft und Zeit sind jeweils zwei Antriebselemente zugeordnet, von denen eines eine eher nachgebende, einfühlende, weibliche und das andere eine eher kämpferische, widerstehende, männliche Einstellung beinhaltet: Fluss Raum Kraft Zeit Nachgebend Frei Indirekt Leicht Getragen Ankämpfend Gebunden Direkt Stark Schnell Tabelle 1: Nachgebende und ankämpfende Antriebselemente (BENDER 2007, S.69) Auch die Vorantriebe können in ankämpfende und nachgebende Vorantriebe unterteilt werden. Zum Bewegungsfluss gibt es keine Vorantriebe. Raum Kraft Zeit Nachgebend Flexibel Vorsichtig Zögerlich Ankämpfend Kanalisieren Vehement / Angestrengt Plötzlich Tabelle 2: Nachgebende und ankämpfende Vorantriebe In Theorien des Kestenberg-Movement-Profiles (KMP) wird beschrieben, dass es für die Bewältigung der Realität hilfreich sei, wenn die nachgebenden und ankämpfenden Antriebe sowohl bei Männern als auch bei Frauen ausgewogen vorhanden sind (BENDER 2007). Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung von den einzelnen Spannungsflusseigenschaften hin zu den Antrieben und verdeutlicht die Entwicklung der Weltbeeinflussung. 8 Spannungsfluss- Vorantriebe Antriebe Lebensjahr Gleichbleibend Kanalisieren Direkt 1. Lebensjahr Adaptierend Flexibel Indirekt 1.-6. Lebensjahr eigenschaft Raum Hohe Intensität Kraft Vehement/ angestrengt Stark 2. Lebensjahr Niedrige Intensität Vorsichtig Leicht Abrupt Plötzlich Schnell Zeit 3. Lebensjahr Graduell Tabelle 3: Zögerlich Getragen Entwicklung der Weltbeeinflussung von den Spannungsflusseigenschaften zu den Antrieben (BENDER 2007, S. 88) 2.1.2 Vom Formfluss zum Formen „Solange wir leben, verändert sich allein schon durch das Ein- und Ausatmen mehr oder weniger stark die Form unseres Körpers. Wenn wir einatmen, wird unser Brustkorb weit und die Körperform ein bisschen runder. Wenn wir ausatmen, schrumpft der Brustkorb zusammen und die Körperform wird ein bisschen flacher. Dieser Formfluss, der Wechsel von Wachsen und Schrumpfen im Körper, gibt dem Spannungsfluss und dem Wechsel von Spannungen im Körper Form oder Struktur. Er ist die Grundlage für Beziehungsentwicklung, die mit der Beziehung zu sich selbst beginnt und sich dann auf andere ausweitet“ (BENDER 2007, S. 127). Die früheste und einfachste Form der Beziehungsgestaltung ist der bipolare Formfluss, in dem das Baby symmetrisch zu einem angenehmen Stimulus oder Kontakt hinwächst oder von einem unangenehmen Stimulus oder Kontakt wegschrumpft und damit ein generalisiertes Bedürfnis an die Umwelt ausdrückt. Das interaktive Wachsen und Schrumpfen mit der Bezugsperson legt den Grundstein für Vertrauen. Der bipolare Formfluss ist daher der Ursprung jeder Beziehungsentwicklung. „Neugeborene zeigen fast nur bipolaren Formfluss. Erst mit der motorischen Entwicklung in Verbindung mit der Bindung an die Bezugspersonen entwickelt sich auch der unipolare, d.h. einseitige Formfluss“ (BENDER 2007, S. 129). Der unipolare Formfluss ermöglicht das absichtsvolle Wachsen oder Schrumpfen hin oder weg von einer Person oder einem Objekt bei Empfindungen von Behagen oder Unbehagen. Erst mit den Richtungsbewegungen kann die Person eine Brücke zu seinen Mitmenschen bauen, indem sie auf sie zeigt oder sich bei Unbehagen gegen sie abblockt. Es „sind einfache, maximal 9 zweidimensionale Bewegungen, die geradlinig oder bogenförmig eine Richtung im Raum beschreiben, um entweder ein Objekt zu lokalisieren, zu definieren, zu kennzeichnen oder sich gegen Objekte oder Menschen zu verteidigen oder diese abzuwehren“. (BENDER 2007, S. 151) Richtungsbewegungen wirken in einer Beziehung eher distanzierend. Erst das Formen drückt eine komplexe Beziehung zu anderen Menschen und Objekten aus. „Im Formen werden Teile oder der ganze Körper durch die Bewegung mehrdimensional konkav oder konvex verändert, um sich den Charakteren von Objekten oder Menschen anzupassen oder Menschen und Objekte dazu zu bringen, sich anzupassen“ (BENDER 2007, S. 173). Der bipolare bzw. unipolare Formfluss und die Richtungsbewegungen sind drei Dimensionen zugeordnet, die wiederum den ersten drei Lebensjahren zugeordnet werden können: Horizontale Dimension (1. Lebensjahr): • verbreitern / verschmälern (bipolarer Formfluss) • mittiges Verschmälern / seitliches Verbreitern (unipolarer Formfluss) • quer / seitwärts (Richtungsbewegungen) Vertikale Dimension (2. Lebensjahr): • verlängern/verkürzen (bipolarer Formfluss) • verkürzen nach oben bzw. unten / verlängern nach oben bzw. unten (unipolarer Formfluss) • abwärts / aufwärts (Richtungsbewegungen) Sagittale Dimension (3. Lebensjahr): • auswölben / aushöhlen (bipolarer Formfluss) • auswölben nach vorne bzw. hinten / aushöhlen nach vorne bzw. hinten (unipolarer Formfluss) • rückwärts / vorwärts (Richtungsbewegungen) Beim Formen sprechen wir nicht mehr von Dimensionen, sondern von Flächen. So setzt sich z.B. die horizontale Fläche (Tischfläche) aus der horizontalen Dimension (seit/seit) und der sagittalen Dimension (vor/rück) zusammen. Horizontale Fläche: einschließen und ausbreiten Vertikale Fläche (hoch/tief, seit/seit): sinken und steigen Sagittale Fläche (vor/rück, hoch/tief): zurückziehen und vorrücken 10 2.2 Die Borderline Persönlichkeitsstörung im ICD 10 und die Übersetzung ihrer Diagnosemerkmale in Bewegungsqualitäten 2.2.1 Borderline: vom Begriff zum klassifizierten Krankheitsbild Bereits vor beinahe 150 Jahren veröffentlichten BREUER und FREUD Falldarstellungen von Personen, die sie als „hysterisch“ bezeichneten. Nach heutigem Verständnis wären diese Personen vielfach der Borderline Persönlichkeitsstörung zuzuordnen. Der Begriff „Borderline“ tauchte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts bereits in der Literatur auf, jedoch war seine Verwendung aufgrund der Vielfältigkeit der Symptome und Erscheinungsformen eher diffus. Der Psychoanalytiker STERN führte basierend auf den Erkenntnissen aus seiner psychoanalytischen Praxis 1938 den Begriff Borderline für ein Krankheitsbild ein, das weder der psychiatrischen Gruppe der Neurosen noch der der Psychosen zugeordnet werden konnte (SENDERA A.; SENDERA M.; 2007). Zwischen 1967 und 1975 entwickelte O. F. KERNBERG eine Theorie der BorderlinePersönlichkeitsorganisation. Zusammen mit den von GRUNDERSON und SINGER entwickelten Kriterien ging Kernbergs Konzept 1980 erstmals als Definition der Borderlinestörung in das DSM (diagnostisches und statistisches Manual) ein, das vorwiegend in den Vereinigten Staaten von Amerika verwendet wird. In die Internationale Klassifikation Weltgesundheitsorganisation psychischer wurde die Störungen (ICD Diagnose der 10) der Borderline Persönlichkeitsstörung erst 11 Jahre später aufgenommen, nämlich 1991 unter dem Begriff der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung, Borderline Typus (MENTZOS, MÜNCH; 2003). Die ICD 10 ist das in Deutschland gebräuchliche Diagnoseschema. 2.2.2 Diagnosemerkmale nach ICD 10 In der internationalen Klassifikation psychischer Störungen im Kapitel V ist die emotional instabile Persönlichkeitsstörung, der die Borderline Störung als Unterpunkt zugeordnet ist, wie folgt beschrieben: „Eine Persönlichkeitsstörung mit deutlicher Tendenz, Impulse ohne Berücksichtigung von Konsequenzen auszuagieren, verbunden mit unvorhersehbarer und launenhafter Stimmung. Es besteht eine Neigung zu emotionalen Ausbrüchen und eine Unfähigkeit, impulshaftes Verhalten zu kontrollieren. Ferner besteht eine Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten und zu Konflikten mit anderen, insbesondere wenn impulsive Handlungen durchkreuzt oder behindert werden. Zwei Erscheinungsformen können unterschie11 den werden: Ein impulsiver Typus, vorwiegend gekennzeichnet durch emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle; und ein Borderline-Typus, zusätzlich gekennzeichnet durch Störungen des Selbstbildes, der Ziele und der inneren Präferenzen, durch ein chronisches Gefühl von Leere, durch intensive, aber unbeständige Beziehungen und eine Neigung zu selbstdestruktivem Verhalten mit parasuizidalen Handlungen und Suizidversuchen“ (DEUTSCHES INSTITUT FÜR MEDIZINISCHE DOKUMENTATION UND INFORMATION, 2009). Die Forschungskriterien der ICD 10 legen fest, dass, um von der „Emotional instabilen Persönlichkeitsstörung, Borderline Typus“ (F60.3.1) sprechen zu können, mindestens drei der folgenden Merkmale vorliegen müssen: • deutliche Tendenz unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln; • deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, vor allem dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden; • Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens; • Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden; • unbeständige und unberechenbare Stimmung Zusätzlich müssen mindestens zwei der folgenden Merkmale vorliegen: • Störungen und Unsicherheit bezüglich Selbstbild, Zielen und "inneren Präferenzen" (einschließlich sexueller); • Neigung sich in intensive aber instabile Beziehungen einzulassen, oft mit der Folge von emotionalen Krisen; • übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden; • wiederholte Drohungen oder Handlungen mit Selbstbeschädigung; • anhaltende Gefühle von Leere. (TRESS, WÖLLER et al.; 2002) 12 2.2.3 Übersetzung der Diagnosekriterien des ICD 10 in Bewegungskategorien „In der klinischen Arbeit mit Patientinnen mit Borderline Persönlichkeitsstörungen fiel schon immer die auffällige Störung des Verhältnisses zum eigenen Körper auf, dennoch fehlt dieses Kriterium in den Diagnosekriterien der Borderline-Persönlichkeitsstörung“ (JORASCHKY und PÖHLMANN, 2006, S. 207). Das Diagnoseschema der ICD 10, Kapitel V (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) wird im europäischen Raum genutzt, um eine Borderline Persönlichkeitsstörung festzustellen. Die dort festgelegten Kriterien sind hierzulande im psychiatrischen Arbeitsfeld allgemein bekannt. Zur Überprüfung der Fragestellung, ob Menschen mit einer Borderlinestörung die gleichen Bewegungsmuster zeigen, ist ein zugrunde liegendes Schema notwendig, das zusammen mit den Kenntnissen über Bewegungsanalyse geeignet ist, Probandinnen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung bewegungsanalytisch zu untersuchen. Dafür wurden die Kriterien der ICD 10 in Bewegungskategorien übersetzt. Ziel der Übersetzung ist, festzulegen wie sich die Diagnosekriterien im Körper und in der Bewegung ausdrücken. Diese übersetzten Kriterien müssten dann in unterschiedlicher Gewichtung bei allen Probandinnen sichtbar werden. Inwieweit dies der Fall ist, wird im Ergebniskapitel ausführlich dargestellt. Diagnosekriterium die Im folgenden Abschnitt werden zu jedem Bewegungsqualitäten dargelegt, die aus der Verhaltensbeschreibung zu erwarten sind und für die spätere Auswertung des Videomaterials zugrunde gelegt werden. Aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Abschlussarbeit wird auf die Auswertung der Spannungsflussrhythmen verzichtet, obwohl sie in der Übersetzung der Diagnosekriterien erwähnt werden. KESTENBERG benannte „fünf Grundrhythmen, die bestimmten Körperzonen zugeordnet sind. Diese fünf Grundrhythmen sind jeweils in einen libidinösen, d.h. lustvollen, und einen aggressiven, d.h. trennenden, ablösenden Rhythmus aufgeteilt“ (BENDER 2007, S. 91): • orale Rhythmen (Saug- und Beißrhythmus), • anale Rhythmen (Verdreh- und Pressrhythmus), • urethrale Rhythmen (Fließ- und Stopprhythmus), • innergenitale Rhythmen (Wiege- und Wogerhythmus) • außergenitale Rhythmen (Hüpf- und Sprungrhythmus) Auch auf Körperspaltungsphänomene wird in der Übersetzung hingewiesen, obwohl sie in der vorliegenden Studie nicht untersucht wurden. 13 • Deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln • unbeständige und unberechenbare Stimmungen Verhält sich eine Person unerwartet oder überraschend, deutet dies darauf hin, dass sich abrupte Wechsel im Intensitätslevel der Bewegung zeigen. Die Person wechselt abrupt von einem Spannungsgrad in einen anderen. Vielleicht bricht sie auch unvermittelt eine Bewegung ab und beginnt etwas Neues. Dass eine Bewegung oder Handlung unerwartet erfolgt, kann bedeuten, dass sie aus der Person herausbricht, somit nicht vorhergesehen werden kann. Vielleicht steht sie auch nicht unmittelbar in Zusammenhang mit der Situation. KLEIN (1998, S. 274) erklärt, dass diese abrupten Wechsel von einer Bewegungsqualität zur nächsten die gefühlsmäßigen Wechselbäder im Kontakt mit diesen Menschen auf der Bewegungsebene deutlich machen. Dass die Konsequenzen einer Handlung nicht berücksichtigt werden, deutet darauf hin, dass die Person in der Situation nicht antizipiert, also entweder nicht in der Lage ist, die Folgen der Handlung abzuschätzen, oder diese aus verschiedenen Gründen außer Acht lässt. Möglicherweise ist das Verhalten rein emotional gesteuert und es besteht kein Zugang mehr zu rationalen Überlegungen. Dies würde auf ein „Kopf-Körper-Spaltungsphänomen“ hindeuten. Die Fähigkeit, den Verlauf einer Handlung mit deren möglichen Konsequenzen zu antizipieren, setzt voraus, dass ein Bewusstsein von „Zeit“ besteht. Auf der Bewegungsebene übt ein Kind den Umgang mit Zeit im dritten Lebensjahr. Es ist die Phase des Einübens der Harnkontrolle, des Einübens der Spannungsflussrhythmen Fließen und Stoppen (KESTENBERG und KESTENBERG-AMIGHI, 1993). Bewegungen in dieser Phase finden vermehrt in der sagittalen Dimension statt – d.h., es geht um vorwärts und rückwärts und somit auch um die Auseinandersetzung mit Zukunft und Vergangenheit. Fehlt nun die Fähigkeit zur Antizipation, gehen wir davon aus, dass die Integration des Zeitfaktors in die Bewegung nicht gelungen ist. Dies bedeutet, dass der Person die beiden Zeitantriebe schnell und getragen nicht in ausgewogenem Maß zur Verfügung stehen. Somit kann es zum Beispiel sein, dass die Person im „schnellen“ Antrieb auf eine Situation reagieren muss, in der der „getragene“ zwar angebrachter wäre, sie den jedoch nicht zur Verfügung hat. Ich überprüfe bei diesem Diagnosekriterium nun das Vorhandensein von Abruptheit und die Integration des Faktors Zeit durch die Überprüfung der Antriebe schnell und getragen. Die Patientinnen bleiben vermutlich mit der Beschäftigung im „Innen“ und kommen gar nicht erst in die Antriebe von Zeit. Somit sollte sich eine deutliche Betonung der Span14 nungsflusseigenschaften und Vorantriebe im Vergleich zu den Antrieben zeigen. Der zweite Teil des Diagnosekriteriums lautet „unbeständige und unberechenbare Stimmungen“. Die Fähigkeit zur Eigenregulation von Emotionalität setzt grundsätzlich ein ausgewogenes Verhältnis von freien und gebundenen Bewegungen voraus. Ich vermute, dass bei den Probandinnen dieses Verhältnis nicht ausgewogen ist. Außerdem soll überprüft werden, inwieweit die Probandinnen verschiedene Spannungsflusseigenschaften, also verschiedene Möglichkeiten des Wechsels von freiem zu gebundenem Fluss, zur Verfügung haben. KESTENBERG beschrieb, dass die Fähigkeit zur Regulation vielfältiger Stimmungen auch mit dem sogenannten „loadfactor“ zusammenhängt. Das bedeutet, wenn eine Person zwei oder drei verschiedene Spannungsflusseigenschaften in verschiedenen Variationen benutzt, hat sie eine größere Auswahl an Reaktionsmöglichkeiten und eher das Potenzial zu einem angepassten Verhalten als jemand, der nur eine Eigenschaft zeigt (BENDER 2007). In diesem Zusammenhang wird vermutet, dass bei den Probandinnen eine Spannungsflusseigenschaft deutlich betont ist, denn wenn unberechenbare und unbeständige Stimmungen zum Problem werden, kann davon ausgegangen werden, dass die Regulation dieser Stimmungen über die Spannungsflusseigenschaften nicht adäquat funktioniert. • Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens Mangelnde Impulskontrolle deutet auf Abruptheit in der Bewegung hin. KESTENBERGAMIGHI et al. (1999) beschreiben, dass eine Person, die die Abruptheit als Überlebenstechnik anwendet, sehr unbeständig und labil ist. Ausbrüche von Wut deuten auf eruptive Bewegungen hin. Im sechsten Lebensjahr werden vermehrt eruptive Bewegungen sichtbar. Wir bezeichnen Bewegungen, die durch ein „abruptes Ansteigen und Fallen der Spannung mit scharfen Übergängen in hoher Intensität von freier zu gebundener Bewegung“ (BENDER 2007, S. 101) geschehen, als Sprungrhythmus. Die Unfähigkeit zur Kontrolle des explosiven Verhaltens deutet darauf hin, dass die Bewegung in solchen Momenten im freien Bewegungsfluss abläuft. Um eine Bewegung zu stoppen, bzw. sie zu kontrollieren, braucht die Person gebundenen Bewegungsfluss. Da bei der Borderline Persönlichkeitsstörung kennzeichnend ist, die Ausbrüche von Wut oder Gewalt nicht kontrollieren zu können, scheint hier ein Ungleichgewicht zwischen gebundenem und freiem Bewegungsfluss vorzuliegen und somit die Eigenregulation von Emotionalität beeinträchtigt zu sein. Außerdem liegt die Vermutung nahe, 15 dass der urethral aggressive Spannungsflussrhythmus Stoppen nicht zur Verfügung steht. Stoppen gehört in die Phase des Erlernens der Harnkontrolle und hat mit der Auseinandersetzung mit Persönlichkeitsstörung Zeit zeigen zu tun. vermutlich Menschen mit abrupt Ausbrüche einer Borderline von Aggressivität (Sprungrhythmus) und agieren diese dann im Fließrhythmus aus, ohne sie stoppen zu können. Die mangelnde Kontrolle der Wut führt dazu, dass der Sprungrhythmus eine bedrohliche Qualität erhält und dass beim Gegenüber das Gefühl entsteht, die Person kann sich nicht mehr beherrschen, weil sie dem Gefühlsausbruch, der in hoher Intensität auftaucht, kein Ende mehr setzen kann. Zu diesem Diagnosekriterium werden die Spannungsflusseigenschaften abrupt und hohe Intensität als innere Vorbereitung auf die Auseinandersetzung mit den Faktoren Zeit und Kraft. Außerdem wird untersucht, ob Kraftantriebe vermehrt im freien Bewegungsfluss gezeigt werden, da dies das Gefühl von mangelnder Kontrolle erklären würde. • Deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, vor allem dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden Tendieren Menschen zu Streitereien und Konflikten mit anderen, vermute ich ein allgemein hohes Anspannungsniveau. Dies zeigt sich in der Bewegung entweder in der Spannungsflusseigenschaft hohe Intensität, im gebundenen Fluss oder im unvollständigen Pressrhythmus. Das heißt, die Spannung im Körper wird abrupt aufgebaut und in hoher Intensität gleichbleibend gehalten. Die Unvollständigkeit des Pressrhythmus bedeutet, dass die Spannung nicht abrupt wieder losgelassen wird, sondern sie wird nur langsam wieder abgebaut. Wir sehen ein Bewegungsmuster von lang anhaltender Spannung im Körper. Der Pressrhythmus ist bei Kindern im 2. Lebensjahr besonders deutlich sichtbar. Es ist die Phase der Aufrichtung und deutet auf die Auseinandersetzung mit der eigenen Kraft hin. Gemeinsam mit dem anal-libidinösen Rhythmus „verdrehen“ lernt das Kind, sich durchzusetzen und entwickelt ein Gefühl von Autonomie. Streitereien und Konflikte könnten bei Menschen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung ein Lösungsversuch sein, die im Körper aufgebaute Spannung auszuagieren und abzubauen, da sie alleine keine Möglichkeit haben, das hohe Anspannungsniveau, in das sie so abrupt geraten sind, auch wieder abrupt loszulassen. Impulsive Handlungen deuten auf den Sprungrhythmus hin, der auch abrupt und in hoher Intensität passiert. Geht dem Sprungrhythmus jedoch ein unvollständiger Pressrhythmus voraus, ist die impulsive Handlung eine Möglichkeit, das hohe Spannungsni16 veau auszuagieren. Hier wird der Sprungrhythmus zum „Endpunkt“ des Pressrhythmus. Also die Spannung, die in hoher Intensität im gebundenen Fluss gehalten wurde, wird nicht wie im Pressrhythmus abrupt losgelassen und wechselt wieder in niedrige Intensität, sondern führt in hoher Intensität und freiem Fluss in eine Explosion. Das Gegenüber erlebt dies als bedrohlich. Für die betreffende Person ist es jedoch ein Lösungsversuch, das hohe Anspannungsniveau auszuagieren, da die Möglichkeit, die Spannung bewusst loszulassen, durch das Fehlen des vollständigen Pressrhythmus nicht zur Verfügung steht. • Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden Wenn Handlungen nicht beibehalten werden können, fehlt der Person die Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu halten. KESTENBERG-AMIGHI et al. (1999) sahen auch hier einen Zusammenhang mit Abruptheit in den Bewegungen. Die grundsätzliche Fähigkeit zur Aufmerksamkeit hat jedoch vor allem mit der Integration des Raumfaktors in der Bewegung zu tun. BENDER zitierte RUDOLF VON LABAN: „Wer gelernt hat, sich zum Raum in Beziehung zu setzen, und dies physisch beherrscht, hat Aufmerksamkeit (...)“ (BENDER 2007, S. 69). Ich untersuche zu diesem Diagnosemerkmal die Integration des Raumfaktors durch die Überprüfung des Verhältnisses der Raumantriebe direkt und indirekt und die zugrunde liegenden Spannungsflusseigenschaften „gleichbleibend und adaptierend“ als muskuläre Vorbereitung zur Entwicklung der Raumantriebe. Der zweite Teil des Diagnosekriteriums ist, dass die Personen eine Handlung nur dann beibehalten können, wenn diese unmittelbar belohnt wird. Das Wörtchen „unmittelbar“ deutet erneut darauf hin, dass den Personen die Fähigkeit, vorauszuplanen fehlt. Hier geht es wie bereits beschrieben um die Fähigkeit zur Antizipation und somit um die Auseinandersetzung mit dem Faktor Zeit in der Bewegung. Zusätzlich müssen mindestens zwei der folgenden Eigenschaften und Verhaltensweisen vorliegen: • Störungen und Unsicherheit bezüglich Selbstbild, Zielen und “inneren Präferenzen” (einschließlich sexueller). Ich-Störung Das Selbstbild beschreibt die Vorstellung, die jemand von sich selbst hat. Es beruht auf Selbstwahrnehmung und steht im Gegensatz zum Fremdbild, also wie Dritte jemanden von außen wahrnehmen. 17 STERN hat in seinem Buch „Die Lebenserfahrung des Säuglings“ (STERN 2003) die sensomotorische Entwicklung des Kindes beschrieben. In seinem komplexen Modell beschreibt er unter anderem die Entwicklung der Empfindung des „Kernselbst“, welche die Grundlage für das Selbstbild über die gesamte Lebensspanne darstellt. Die Erfahrung, die dieses „Kernselbst“ prägt, ist grundsätzlich körperlich. Das „Kernselbst“ entsteht, wenn das Kind seinen Körper kennenlernt. Es wird definiert als Integration von Urheberschaft, Selbst-Kohärenz, Selbst-Affektivität und Selbstgeschichtlichkeit, die alle kinästhetische Erlebnisse sind – d.h. vereinfacht die bewusste Wahrnehmung der eigenen Bewegung (RUSSEL 2008, S. 3). Der Rumpf wird als Sitz des Kernselbst betrachtet, denn im Rumpfbereich empfinden wir alle Gefühle. Eine Nichtwahrnehmung des Rumpfbereiches hat demnach auch immer eine emotionale Abgeschnittenheit zur Folge (BENDER 2007). Bei einer Störung im Selbstbild können wir also davon ausgehen, dass auch die Entwicklung des „Kernselbst“ fundamental beeinträchtigt ist. Somit müssten wir in der Bewegung von Menschen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung wenig bis keine Bewegungen des Rumpfbereiches sehen, da die Körperteile, die nicht wahrgenommen werden, auch nicht bewegt werden. Wir können damit rechnen, dass wenig Posituren (die Bewegungen beziehen den ganzen Körper mit ein – gehen durch das Zentrum des Körpers (BENDER 2007)) sondern primär periphere Bewegungen und Gesten (Aktionen der Extremitäten, in der es zu keiner Gewichtsübertragung kommt (BENDER 2007)) in der Bewegung gezeigt werden. Außerdem wird vermutet, dass die Probandinnen kaum ein „Verdrehen“ in der Wirbelsäule zeigen (anal libidinöser Spannungsflussrhythmus). Körperspaltungen sind wahrscheinlich, zum Beispiel eine Arme-Körper-Spaltung, bei der die Arme leblos oder mit gehaltener Energie wie am Körper „aufgehangen“ wirken. Es besteht keine Verbindung zwischen „Sein“ (Rumpf) und „Tun“ (Arme/Hände) (BENDER 2007). • Übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden Wenn Menschen sich bemühen, Verlassenwerden zu vermeiden, gehen wir davon aus, dass sie grundsätzlich dazu neigen, festzuhalten. Festhalten sehen wir körperlich in einem unvollständigen Pressrhythmus. Das übertriebene Bemühen Verlassenwerden zu vermeiden, deutet zudem darauf hin, dass Personen mit einer Borderline Persönlichkeit einen starken Wunsch nach Nähe und somit eine große Bedürftigkeit haben. Um dieser Ausdruck zu verleihen, zeigen sie wahrscheinlich viele orale Rhythmen. 18 Außerdem kann eine deutliche Betonung des Raumantriebes direkt in Beziehung vermutet werden, denn „Direktheit ermöglicht den konzentrierten Kontakt zu einem Menschen. Das Gegenüber spürt genau, dass es gemeint ist.“ (BENDER 2207, S. 49) • Neigung, sich in intensive, aber instabile Beziehungen einzulassen, oft mit der Folge von emotionalen Krisen Intensive Beziehungen lösen in der Regel starke Gefühle aus. Diese starken Gefühle sind vermutlich der Grund, weshalb sich die Person auf die Beziehung einlässt. Vermutlich ist vor allem die Spannungsflusseigenschaft „hohe Intensität" vertreten und im Bewegungsfluss tritt „frei“ gegenüber „gebunden“ stärker zutage. Wir wissen, dass bei Personen mit einer Borderline Störung die eigene Emotionalität grundsätzlich instabil ist. Eine instabile Beziehung kann somit den Spiegel für die eigene emotionale Instabilität darstellen. • Wiederholte Drohungen oder Handlungen mit Selbstbeschädigung Bei allen Probandinnen der vorliegenden Studie liegt das Symptom der wiederholten Selbstbeschädigung vor. Alle sechs Frauen verletzten sich in der Vergangenheit massiv selbst oder/und haben bereits Suizidversuche unternommen. Bei zwei Frauen ist das Muster der massiven Selbstverletzung noch heute häufig Thema. Alle Frauen betrieben oder betreiben teils massiven Substanzmissbrauch und/oder haben bzw. hatten Essstörungen (Bulimie, Esssucht). Bei einigen ist die Selbstschädigung durch Ritzen, Schneiden oder Brennen durch engmaschige therapeutische Begleitung, Kriseninterventionsstrategien und Skills-Training (LINEHAN 1996) weitgehend in den Hintergrund gerückt. Wir machen jedoch die Erfahrung, dass selbstschädigendes Verhalten ein tiefsitzendes und ein, wenn auch dysfunktionales, paradox haltgebendes Verhaltensmuster zu sein scheint. Die Möglichkeiten der Selbstschädigung sind vielfältig und die Erscheinungsformen werden gegeneinander ausgetauscht. So beschreibt eine der Probandinnen, dass sie sich zwar nicht mehr schneide, dafür trinke sie dann exzessiv Alkohol oder rauche eine Schachtel Zigaretten am Stück, obwohl sie Raucher zutiefst verabscheue. Die Möglichkeit, sich selbst zu schädigen gebe ihr das Gefühl, sich selbst bestrafen zu können und sie könne sich gar nicht vorstellen, sich gar nicht mehr schaden zu dürfen. Die Abscheu und der Ekel vor dem eigenen Körper sei so groß, dass sie sich nicht vorstellen könne, einen liebevollen Umgang mit ihm zu pflegen und ihm nicht mehr schaden zu wollen. Bei einer anderen Probandin liegt eine chronische Suizidalität vor. Sie hält fest am „Zwischen-den-Welten-Sein“ und gibt damit ihrem Gefühl, lebendig tot zu sein, Ausdruck. Das Symptom der Drohungen und 19 Handlungen mit Selbstbeschädigung wird in der vorliegenden Studie nicht weiter überprüft. Die teils schwerwiegenden Vernarbungen der Körper der Probandinnen sprechen für sich und werden hier nicht weiter dargestellt. • Anhaltendes Gefühl von Leere Das Gefühl von Leere steht im Gegensatz zu dem Gefühl von Ausgefüllt-, von SattSein. Im dritten Lebensjahr beschäftigen sich Kinder damit, was sie schon alles können. „Während es im zweiten Lebensjahr sehr damit beschäftigt war, wie groß es schon ist, kommt im dritten Lebensjahr ein Gefühl des Ausgefülltseins hinzu“ (BENDER 2007, S. 134). Es geht um die Entwicklung von Selbstvertrauen. Auf der Bewegungsebene geht es nun um Bewegungen in der sagittalen Dimension (vor/rück), die sich auf Qualitäten wie Antizipation, Entscheidung und Umsetzung beziehen und somit das Selbstvertrauen stärken bzw. erzeugen. Ein Gefühl von Leere deutet auf ein bipolares Aushöhlen hin. Das heißt, die Person höhlt z.B. beim Ausatmen sowohl den Bauch- und Brustraum als auch den Rückenbereich aus. Der Körper schrumpft nach innen. Der bipolare Formfluss in der sagittalen Dimension ist vermutlich nicht dynamisch, sondern erstarrt, was bedeutet, dass wir keinen Formfluss in der sagittalen Dimension sehen. 20 3 Studie und Resultate Die Antwort auf die wissenschaftliche Fragestellung, ob Personen mit der Diagnose Borderline die gleichen Bewegungsqualitäten zeigen, wird in diesem Kapitel ausführlich dargestellt. Die Vorbereitung und Durchführung der Studie wird erläutert, die Ergebnisse dargelegt und die Konsequenzen für die therapeutische Begleitung von Patientinnen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung, die sich aus den Ergebnissen der Studie ergeben, erklärt. Die vorliegende Arbeit kann als Pilotstudie verstanden werden, die aufgrund des begrenzten Rahmens einer Abschlussarbeit nicht größer angelegt werden konnte. Die vorliegenden Ergebnisse sind aufgrund der geringen Stichprobe und der Tatsache, dass die Studie von einer einzigen Person vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet wurde, nicht repräsentativ, können allerdings eine richtungsweisende Grundlage für weiterführende Studien bieten. 3.1 Stichprobe, Setting der Videoaufzeichnung und Prozedere der Auswertung Alle sechs Probandinnen, die sich bereit erklärten an der Studie mitzuwirken, sind Klientinnen des ambulant betreuten Wohnens am Landshuter Netzwerk. Bei den ausgewählten Probandinnen wurde von Fachärzten die Borderline Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Alle sechs Frauen leben in ihren eigenen Wohnungen und werden im Rahmen des ambulant Betreuten Einzelwohnens durch sozialpädagogisches Fachpersonal begleitet. Die Probandinnen sind zwischen 35 und 45 Jahre alt und bei allen ist die Erkrankung soweit ausgeprägt, dass sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Fünf Probandinnen beziehen Erwerbsunfähigkeitsrente, eine bezieht Leistungen über die Bundesagentur für Arbeit. Alle Probandinnen werden mit Psychopharmaka behandelt und sind seit Jahren im Psychiatriesystem eingebunden. Für die vorliegende Studie wurden ausschließlich Frauen ausgewählt, um die Stichprobe homogen zu halten. Die Teilnehmerinnen haben sich freiwillig gemeldet, an der Studie teilzunehmen. Aufgrund des sehr begrenzten Rahmens einer Abschlussarbeit entschied ich mich dafür, die Studie mit sechs Probandinnen durchzuführen. Die Probandinnen überlegten sich jede ein Pseudonym, um die Anonymität der Studie zu sichern. Für die Videoaufzeichnung wurden die Frauen einzeln in den Tanztherapieraum eingeladen. Allen sechs Probandinnen wurden die gleichen Bewegungsaufgaben gestellt, 21 um die Vergleichbarkeit der sechs Videos zu gewährleisten. Die Aufzeichnung dauerte pro Probandin ungefähr 25 Minuten. Die Teilnehmerinnen hatten zu Beginn der Videoaufzeichnung einige Minuten Zeit, sich mit dem Therapieraum vertraut zu machen. Sie wurden gebeten, den Raum mit der Videokamera und den bereitgelegten Medien wahrzunehmen und zu erkunden. Drei der sechs Frauen kannten zwar den Therapieraum und auch die Methode der Tanztherapie, jedoch war die Situation mit Videokamera für alle sechs Probandinnen neu und ungewohnt. Dann sollten sie sich einen Platz im Raum aussuchen, um dort im Stehen einige Sekunden von vorne, von hinten und von beiden Seiten aufgenommen zu werden. Anschließend sollten sie auf verschiedene Arten durch den Raum gehen: vorwärts, rückwärts, seitwärts gehen, dann dabei mit dem Tempo spielen, also mal schnell, mal langsam gehen und zum Schluss noch eine eigene Art der Fortbewegung finden. Diese Sequenz dauerte ca. drei bis vier Minuten und schloss die Phase des Ankommens im Raum und in der neuen Situation ab. Nun sollten die Probandinnen mit den drei bereitgestellten Medien (Ball, Tuch und Stab) nacheinander frei zu dem vorgegebenen Musikstück (Peter Gabriel: Red Rain) improvisieren. Für die Improvisation mit dem Ball, dem Tuch und dem Stab hatten die Probandinnen jeweils ca. drei Minuten Zeit. Sobald die Musik angehalten wurde, sollten sie zum nächsten Gerät wechseln. Bei der folgenden Aufgabe sollten die Probandinnen erneut mit den drei Medien nacheinander improvisieren, diesmal allerdings mit mir in Beziehung zu einem erneut vorgegebenen Musikstück (Cirque du Soleil: KA, forest). Diese Sequenz dauerte insgesamt ungefähr 10 Minuten. Für die letzte Bewegungsaufgabe hatten die Probandinnen eigene Musikstücke dabei. Sie sollten sich eines der drei Medien, mit denen sie sich vorher bewegt hatten, aussuchen und damit zu ihrem eigenen Musikstück frei improvisieren. Für die Auswertung des Videomaterials wurde der Teil der freien Improvisation mit den drei Medien alleine und in Beziehung verwendet. Der Rahmen dieser Abschlussarbeit ließ nicht zu, dass mehrere, objektive Personen bei der Auswertung des Videomaterials beteiligt wurden. Die sechs Videos wurden bezüglich jeder einzelnen Bewegungsqualität (Spannungsflusseigenschaften, Antriebe, Vorantriebe, Formfluss usw.) gesichtet und diese wurden dann einzeln ausgezählt. Eine Bewegung ist eine abgeschlossene Aktion. Ein Schritt, Wurf, Stoß oder Schwung ist somit eine Bewegung und wird auch als solche gezählt. Innerhalb dieser Aktionen kommt es durchaus zu mehreren Wechseln im Spannungsfluss von frei zu gebunden, was erklärt, warum deren Gesamtanzahl höher ist als die der Gesamtaktionen. 22 3.2 Die Ergebnisse Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit den Ergebnissen der Studie. Zunächst werde ich die vergleichende Auswertung im Sinne der Fragestellung darlegen. Anschließend folge ich dem Wunsch meiner Probandinnen und stelle ihre individuellen Besonderheiten in den Bewegungsqualitäten dar. Die Zusammenfassung der Ergebnisse und die Darlegung der Konsequenzen für die tanztherapeutische Begleitung von Patientinnen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung schließt das Kapitel ab. 3.2.1 Vergleichende Auswertung im Hinblick auf die bewegungsanalytischen Diagnosekriterien 3.2.1.1 Deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln / unbeständige und unberechenbare Stimmungen Wenn Personen unerwartet handeln, bestimmt Abruptheit ihr Bewegungsmuster, und wenn sie nicht in der Lage sind, Konsequenzen abzuschätzen, fehlt ihnen die Fähigkeit zur Antizipation und sie haben ein mangelndes Gefühl für ZEIT. Für den zweiten Teil des Diagnosemerkmals wird das Verhältnis von freiem und gebundenem Bewegungsfluss als grundlegende Voraussetzung für die Eigenregulation von Emotionalität und das individuelle Repertoire an Spannungsflusseigenschaften untersucht. Lediglich bei einer von sechs Probandinnen zeigt sich ein Übergewicht von abruptem zu graduellem Spannungsfluss (Tabelle 4, S. 24). In diesem Fall kann man nicht davon ausgehen, dass Abruptheit grundsätzlich in der Bewegung bei Personen mit einer Borderline-Störung stärker vertreten ist als Gradualität. Alle Personen haben Abruptheit zur Verfügung und können daher unerwartet handeln. Fünf von sechs Personen zeigen allerdings mehr Gradualität im Spannungsfluss und hätten somit eher die Anlagen für den Zeit-Antrieb „getragen“. Bei Maria sind beide Spannungsflusseigenschaften relativ ausgewogen vorhanden, wobei auch hier die Gradualität leicht betont ist. 23 SPANNUNGSFLUSSEIGENSCHAFT Probandin Abrupt Graduell Franziska 173 89 Stefanie 92 257 Tina 120 255 Juliane 60 373 Cindy 136 280 Maria 96 125 Mittelwert 113 230 Tabelle 4: Spannungsflusseigenschaften abrupt und graduell Spannungsflusseigenschaften sind die muskuläre und innerpsychische Vorbereitung für die Antriebe. Um die Entwicklung eines Gefühls für ZEIT zu untersuchen, überprüfe ich, wie die Spannungsflusseigenschaften mit den gezeigten Antrieben korrelieren (Tabelle 5, S. 25). Zeigen die Probandinnen nämlich vermehrt Antriebe, die nicht zu den Spannungsflusseigenschaften passen, spricht man von einer Diskrepanz. Bei Franziska und bei Stefanie zeigt sich, dass entsprechend der Spannungsflusseigenschaften auch die passenden Antriebselemente von Zeit betont sind. Bei Tina, Juliane und Cindy, die vermehrt Gradualität im Spannungsfluss aufweisen, bedeutet dies eine Diskrepanz, da sie in den Antrieben deutlich häufiger das Antriebselement schnell im Vergleich zu getragen zeigen. Das bedeutet, sie benutzen einen Antrieb, ohne die muskuläre Vorbereitung dazu ausreichend zur Verfügung zu haben. Auch bei Maria besteht eine Diskrepanz, denn bei leichter Betonung der Gradualität zeigt sie in den Antrieben deutlich vermehrt das Antriebselement schnell. KESTENBERG-AMIGHI beschrieb, dass die Spannungsflusseigenschaften von allen Bewegungskategorien am beständigsten seien, wenn nicht psychische oder physische Traumata diese Muster unterbrechen (BENDER 2007). Da bei Borderline Patientinnen vielfältige Traumatisierungen in der Biographie typisch sind (RUPPERT, 2004), können wir nicht davon ausgehen, dass die gezeigten Spannungsflusseigenschaften zum Faktor ZEIT das Grundtemperament der Personen abbilden, sondern aufgrund der Traumatisierungen die normale Entwicklung unterbrochen wurde und die gezeigten Spannungsflusseigenschaften sich vielmehr als Überlebenstechnik im Bewegungsmuster manifestierten. Dies würde die Diskrepanz bei der Entwicklung der 24 Antriebe erklären. KESTENBERG-AMIGHI beschreibt, wenn Gradualität als Überlebenstechnik eingesetzt wird, „kann dies daher rühren, dass die Person die Erfahrung gemacht hat, dass jeder schnelle Wechsel die Gefahr birgt, dass (...) missbräuchliches Verhalten von Neuem beginnt“ (BENDER 2007, S. 24). Gradualität wird häufig von Kindern gewalttätiger Eltern bevorzugt, vermutlich um nicht von der eigenen oder der Spontaneität der anderen überrascht zu werden. Bei Cindy, Tina, Juliane und Maria vermute ich, dass die Gradualität als Überlebenstechnik eingesetzt wurde und eventuell gar nicht ihrem Grundtemperament entspricht. ZEIT Antriebe Probandin Spannungsflusseigenschaften Schnell Getragen Abrupt Graduell Franziska 3 0 173 89 Stefanie 5 10 92 257 Tina 20 1 120 255 Juliane 12 1 60 373 Cindy 30 0 136 280 Maria 31 2 96 125 Tabelle 5: Antriebe, Vorantriebe und Spannungsflusseigenschaften zum Faktor Zeit Da bei der Borderline Persönlichkeitsstörung, wie bereits in Kapitel 2.2.3 dargestellt, die Antizipationsfähigkeit fehlt oder nicht ausreichend vorhanden ist, gehe ich davon aus, dass die Antriebe von ZEIT nicht integriert sind. Das bedeutet, dass den Probandinnen von den beiden Antriebselementen schnell und getragen entweder nur eines oder beide lediglich in deutlich unausgewogenem Maße zur Verfügung stehen. Bei allen sechs Probandinnen besteht ein unausgewogenes Verhältnis der Antriebselemente schnell und getragen. Bei fünf von sechs Probandinnen wird dies besonders deutlich. Fünf von sechs Probandinnen haben den Schwerpunkt auf dem ankämpfenden Zeitantrieb schnell. Eine Person scheint sich eher im getragenen Antrieb zu Hause zu fühlen. Zudem spielt die Auseinandersetzung bzw. die Beeinflussung der Umwelt durch den Faktor Zeit bei erneut fünf von sechs Probandinnen eine untergeordnete Rolle (siehe Tabelle 6, S. 26). Lediglich bei Maria liegt die Beschäftigung mit den Zeitantrieben über dem Durchschnitt. 25 ZEIT Probandin Schnell Getragen Gesamtzahl Zeitantriebe Anteil Zeitantriebe an Gesamtzahl Bewegungen Franziska 3 0 3 1% Stefanie 5 10 15 4% Tina 20 1 21 6% Juliane 12 1 13 3% Cindy 30 0 30 6% Maria 31 2 33 13% Mittelwert 17 2 19 6% Tabelle 6: Antriebe zum Faktor Zeit Bei den Vorantrieben von ZEIT zeigt sich, dass ihr Anteil an den Gesamtbewegungen genau wie der der Antriebe sehr gering ist (Tabelle 7). Alle sechs Probandinnen bleiben beim Faktor ZEIT in der inneren Auseinandersetzung mit den Spannungsflusseigenschaften. ZEIT Antriebe Probandin Schnell Getragen Franziska 3 0 Stefanie 5 Tina Vorantriebe Anteil an Anteil an Plötzlich Zögerlich 1% 7 8 5% 10 4% 7 8 4% 20 1 6% 4 4 2% Juliane 12 1 4% 6 3 2% Cindy 30 0 5% 9 6 2% Maria 31 2 13% 7 10 7% Mittelwert 17 2 6% 7 7 4% Gesamtaktionen Gesamtaktionen Tabelle 7: Antriebe und Vorantriebe zum Faktor Zeit Die Ergebnisse lassen auf eine große Unsicherheit in der Entwicklung eines Gefühls für ZEIT schließen. Man kann insgesamt davon ausgehen, dass alle Probandinnen Schwierigkeiten damit haben, Ereignisse zu antizipieren und den richtigen Zeitpunkt für eine Aktion zu finden. Sie versuchen, entweder die Zeit zu beschleunigen oder sie aus26 zudehnen. Da ihnen beide Antriebe nicht in ausgewogenem Maße zur Verfügung stehen, werden sie auch in Situationen, in denen es nicht passend ist, mit dem zur Verfügung stehenden Antrieb reagieren. Der zweite Teil des Diagnosekriteriums lautet „unbeständige und unberechenbare Stimmung“. Es wird das Verhältnis von freiem zu gebundenem Bewegungsfluss als Voraussetzung für die Eigenregulation von Emotionalität und zusätzlich das Repertoire der Spannungsflusseigenschaften der Probandinnen untersucht, denn wenn eine Person verschiedene Spannungsflusseigenschaften nutzen kann, hat sie deutlich mehr Möglichkeiten im Umgang mit Stimmungen, als wenn sie nur auf eine einzige Spannungsflusseigenschaft zurückgreifen kann. Das Ergebnis zeigt, dass alle sechs Probandinnen beide Elemente des Bewegungsflusses zur Verfügung haben und somit grundsätzlich in der Lage sind, ihren Spannungsfluss und somit auch ihre Emotionen zu modellieren (Tabelle 8). Bei einer Person war das Verhältnis unausgewogen. Sie bewegte sich deutlich häufiger gebunden als frei. FLUSS Probandin Frei Gebunden Franziska 299 318 Stefanie 330 327 Tina 326 380 Juliane 184 453 Cindy 263 285 Maria 327 354 Mittelwert 288 353 Tabelle 8: Bewegungsfluss frei und gebunden Bezüglich des Repertoires an Spannungsflusseigenschaften wird deutlich, dass vor allem Stefanie, die sich hauptsächlich in niedriger Intensität bewegte, aber auch Juliane, die Gradualität und Gleichbleibend zeigte, ein geringes Repertoire an Spannungsflusseigenschaften zur Verfügung haben (Abbildung 1, S. 28). Cindy bewegte sich vermehrt graduell, hat jedoch auch abrupt und gleichbleibend in ausgewogenem Maße zur Verfügung. Bei Tina sehen wir zwar eine Überbetonung von graduell, jedoch sind die anderen fünf Spannungsflusseigenschaften relativ ausgewogen vorhanden. Ihr scheint das größte und ausgewogenste Repertoire an Spannungsflusseigenschaften zur Verfügung zu stehen. 27 Legende: rot = gleichbleibend; dunkelblau = adaptierend; gelb = hohe Intensität; grün = niedrige Intensität; braun = abrupt; hellblau = graduell Franziska Stefanie gleichbleibend, niedrige Intensität und abrupt niedrige Intensität Tina Juliane graduell betont, Rest ausgewogen graduell und gleichbleibend Cindy Maria graduell, abrupt und gleichbleibend hohe Intensität und graduell Abbildung 1: Load-Factor / Repertoire der Spannungsflusseigenschaften 28 3.2.1.2 Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens Bei diesem Diagnosekriterium werden die Spannungsflusseigenschaften abrupt und hohe Intensität untersucht. Um Gefühle wie Wut zu kontrollieren, spielt zudem der Bewegungsfluss eine wichtige Rolle. Es wird überprüft, ob der Antrieb stark vermehrt im freien Bewegungsfluss abläuft und somit beim Gegenüber das Gefühl mangelnder Kontrolle entsteht. Wie bereits weiter oben dargestellt, zeigt nur eine der Probandinnen vermehrt Abruptheit in den Bewegungen. Hohe Intensität ist nicht bei allen sechs Probandinnen stärker vertreten als niedrige Intensität. Maria bewegte sich am häufigsten in hoher Intensität. Bei Cindy zeigte sich eine leichte Überbetonung und Tina bewegte sich zwar häufig in hoher Intensität, jedoch überwog in der Summe die niedrige Intensität in ihrem Bewegungsmuster (Tabelle 9, S. 30). Die aufgrund des Diagnosekriteriums vermutete, überwiegend hohe Intensität konnte demnach nicht bei allen Probandinnen beobachtet werden. Dies bedeutet natürlich nicht, dass Ausbrüche von Wut und Gewalt bei den Probandinnen nicht vorkommen können, denn alle sechs Probandinnen haben die hohe Intensität zur Verfügung, auch wenn sie in der ausgewerteten Videosequenz bei vier Frauen eine mehr oder weniger untergeordnete Rolle gespielt hat. Vier von sechs Probandinnen bewegten sich häufiger in niedriger Intensität. Möglicherweise ist auch hier die niedrige Intensität zur Überlebenstechnik aufgrund traumatischer Erlebnisse geworden und sie versuchen, ihre Gefühle in niedriger Intensität weniger spürbar zu machen (BENDER 2007). Die niedrige Intensität gepaart mit gebundenem Fluss kann für die Probandinnen eine Möglichkeit darstellen, Ausbrüche von Wut und Gewalt zu vermeiden. Möglicherweise fürchten die Klientinnen auch, außer Kontrolle zu geraten und kontrollieren ihre Emotionalität über Bewegungen in gebundener niedriger Intensität. Insgesamt können wir bei allen Probandinnen recht wenig Kraftantriebe im Vergleich zu den Spannungsflusseigenschaften sehen. Sie bleiben ähnlich wie beim Faktor ZEIT in der inneren Auseinandersetzung und wir können daher davon ausgehen, dass bei allen Probandinnen Unsicherheit bezüglich ihres Krafteinsatzes besteht. Bei Stefanie, Cindy und Maria ist das Antriebselement entsprechend der zugrunde liegenden Spannungsflusseigenschaft entwickelt, jedoch stehen ihnen die beiden Antriebselemente in deutlich unausgewogenem Verhältnis zur Verfügung. Der Faktor KRAFT ist bei ihnen nicht integriert. Bei Franziska und Juliane sehen wir kaum Kraftantriebe. Das Verharren in den Spannungsflusseigenschaften wird bei ihnen besonders deutlich (Tabelle 10, S. 30). 29 SPANNUNGSFLUSSEIGENSCHAFT Probandin Niedrige Intensität Hohe Intensität Franziska 222 67 Stefanie 346 13 Tina 118 109 Juliane 114 95 Cindy 89 100 Maria 18 161 Mittelwert 151 91 Tabelle 9: Spannungsflusseigenschaften niedrige und hohe Intensität KRAFT Probandin Spannungsflusseigenschaften Antriebe Hohe Intensität Niedrige Intensität Stark Leicht Franziska 67 222 4 5 Stefanie 13 346 0 47 Tina 109 118 15 6 Juliane 95 114 7 6 Cindy 100 89 24 5 Maria 161 18 59 2 Mittelwert 91 151 18 12 Tabelle 10: Spannungsflusseigenschaften und Antriebe zum Faktor Kraft Das grundsätzliche Verhältnis von freiem und gebundenem Spannungsfluss in der Bewegung (siehe Tabelle 8, S. 27) war nur bei Juliane deutlich unausgewogen, die deutlich vermehrt den gebundenen Fluss in der Bewegung nutzte. Es liegt nahe, dass sie versucht, über den gebundenen Bewegungsfluss (in niedriger Intensität) ihre Emotionen zu kontrollieren. Die Hälfte der Probandinnen zeigt den Antrieb stark, wie vermutet, vermehrt im freien Bewegungsfluss (Tabelle 11, S. 31). Eine Probandin zeigt gar kein stark, eine weitere genauso viele im freien wie im gebundenen Bewegungsfluss. Die drei Probandinnen, die sich am häufigsten im Antrieb stark bewegen, zeigen diesen auch vermehrt im freien Bewegungsfluss. Bei Tina und Maria 30 sehen wir stark mit freiem Bewegungsfluss ohne Raumbezug. Bei Tina war außerdem zu beobachten, dass sie den Raumbezug zum Kraftantrieb stark erst in Beziehung dazunahm. Alleine zeigte sie siebenmal stark ohne Raumbezug. Franziska zeigte ausschließlich im Beziehungstanz den Kraftantrieb stark, beides mal mit Raumbezug. Bei Cindy sehen wir ausschließlich stark mit Raumbezug. Bei ihr fällt außerdem auf, dass sie den gebundenen Bewegungsfluss hauptsächlich in Beziehung mit dem Antrieb stark kombinierte. Es entsteht der Eindruck, dass sie sich in Beziehung im starken Kraftausdruck stärker kontrolliert. Bei den Vorantrieben sehen wir bei allen Probandinnen eine Überbetonung des Vorantriebes vehement, das heißt gepaart mit freiem Bewegungsfluss (Tabelle 12). stark mit frei stark mit frei stark mit gebunden Stark mit gebunden ohne Raumbezug mit Raumbezug ohne Raumbezug mit Raumbezug Franziska - 2 - 2 Stefanie - - - - Tina 8 6 - 1 Juliane - 3 - 4 Cindy - 17 - 7 Maria 6 31 - 22 Mittelwert 2 10 0 6 Probandin Tabelle 11: Antriebselement stark mit Spannungsfluss frei/gebunden verbunden mit Raumbezug Vehement Angestrengt (mit frei) (mit gebunden) Franziska 4 2 6 Stefanie 3 - 3 Tina 7 1 8 Juliane 4 2 6 Cindy 8 2 10 Maria 11 7 18 Mittelwert 6 2 9 Probandin Tabelle 12: Gesamt Vorantriebe KRAFT Vorantrieb vehement (mit frei) und angestrengt (mit gebunden) 31 3.2.1.3 Deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, vor allem dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden Wir überprüfen bei diesem Diagnosekriterium ein allgemein hohes Anspannungsniveau, das sich durch die Spannungsflusseigenschaft hohe Intensität und im gebundenen Bewegungsfluss zeigt. Impulsive Handlungen deuten außerdem auf Abruptheit in Bewegungen hin. Wie weiter oben bereits gezeigt, konnte nur bei einer Person vermehrt Abruptheit (siehe Tabelle 4, S. 24) und insgesamt kein durchgehendes Übergewicht der Spannungsflusseigenschaft hohe Intensität (siehe Tabelle 9, S. 30) festgestellt werden. Alle sechs Probandinnen haben zwar die hohe Intensität zur Verfügung, jedoch ist bei vier von sechs Probandinnen die niedrige Intensität in der Bewegung stärker betont. Fünf von sechs Klientinnen bewegen sich häufiger gebunden als frei (siehe Tabelle 8, S. 26), jedoch ist dieses Verhältnis nur bei einer Person außergewöhnlich deutlich. 3.2.1.4 Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden Der Ausdruck „unmittelbar“ in dem Diagnosekriterium deutet auf einen Zusammenhang mit der Antizipationsfähigkeit und somit mit der Integration des Faktors ZEIT in die Bewegung hin. Wie bereits weiter oben erwähnt (siehe Punkt 3.2.1.1), besteht durchgängig Unsicherheit beim Faktor ZEIT und wir können von einer mangelnden Antizipationsfähigkeit bei allen Probandinnen ausgehen. Die grundsätzliche Fähigkeit zur Beibehaltung von Handlungen hat etwas mit Aufmerksamkeit und somit mit der Integration des Faktors RAUM in die Bewegung zu tun. Neben den Antrieben direkt und indirekt untersuche ich die zugrunde liegenden Spannungsflusseigenschaften gleichbleibend und adaptierend. Grundsätzlich fördert gleichbleibender Spannungsfluss die Konzentration und das Beibehalten einer Handlung (BENDER 2007). Alle sechs Probandinnen zeigen ein deutlich unausgewogenes Verhältnis der Raumantriebe, wobei bei allen der direkte Antrieb überwiegt. Es bestätigt sich hier, dass der Faktor Raum bei allen sechs Probandinnen nur sehr unausgewogen genutzt wird. Vor allem bei Franziska, Cindy und Maria kann man von einer mangelnden Integration des Raumfaktors sprechen. Stefanie, Tina und Juliane haben den indirekten Raumantrieb deutlicher zur Verfügung, jedoch nutzen auch sie hauptsächlich den direkten. Zusätzlich ist bei ihnen die Betonung des Antriebsvorläufers kanalisieren auffällig, denn in den Fällen, in denen sie kanalisieren, versuchen sie direkt zu sein (siehe Tabelle 13, S. 33). 32 Wir kommen mit der Fähigkeit zum Antrieb direkt auf die Welt, da er uns die Fähigkeit verleiht, uns auf die erste Bezugsperson zu beziehen. Der indirekte Antrieb steht uns nicht von Anfang an zur Verfügung, sondern wir müssen ihn uns durch die Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung der Umwelt erarbeiten (BENDER 2007, S. 51). Der Prozess der Entwicklung des indirekten Raumantriebes und somit der Fähigkeit, sich Überblick über eine Situation zu verschaffen, dauert in der Regel bis zum Ende der Grundschulzeit. Bei allen Probandinnen ist deutlich der direkte, also erste Antrieb des Lebens betont. Besonders bei Franziska und bei Cindy, aber auch bei Maria ist das Verhältnis sehr unausgewogen. Franziska und Cindy nutzen fast ausschließlich den direkten Raumantrieb. Beide beziehen sich deutlich und fast ausschließlich auf das zur Verfügung gestellte Objekt oder die Bezugsperson. RAUM Antriebe Probandin Franziska Stefanie Tina Juliane Cindy Maria Vorantriebe (VAN) Direkt Indirekt Gesamt Kanalisieren Flexibel Gesamt 138 6 144 41 44 85 95% 5% 100% 48% 52% 100% 158 61 219 53 5 58 72% 28% 100% 92% 8% 100% 87 41 128 30 4 34 68% 32% 100% 88% 12% 100% 94 46 140 10 2 12 67% 33% 100% 83% 17% 100% 283 11 294 96% 4% 100% - - - 91 12 103 40 10 50 88% 12% 100% 80% 20% 100% Tabelle 13: Antriebe und Vorantriebe zum Faktor Raum Bezüglich der Spannungsflusseigenschaften gleichbleibend und adaptierend lässt sich feststellen, dass bei Juliane und Franziska ein deutlich unausgewogenes Verhältnis vorhanden ist. Bei ihnen ist die Spannungsflusseigenschaft gleichbleibend am deutlichsten vorhanden. Somit müssten diese beiden die beste Grundausstattung zur Beibehaltung einer Probandinnen der Handlung haben. Grundsätzlich ist bei fünf von sechs gleichbleibende Spannungsfluss stärker vertreten als der adaptierende. Lediglich Tina zeigt mehr Adaptierung. 33 SPANNUNGSFLUSSEIGENSCHAFT Probandin Gleichbleibend Adaptierend Franziska 230 58 Stefanie 91 69 Tina 82 121 Juliane 275 21 Cindy 158 44 Maria 89 54 Mittelwert 154 61 Tabelle 14: Spannungsflusseigenschaften gleichbleibend und adaptierend Eine Diskrepanz entsteht immer dann, wenn Menschen einen Antrieb zeigen, ohne die zugrunde liegende Spannungsflusseigenschaft zu zeigen. Bei vier von sechs Probandinnen hat sich aus der Betonung der Spannungsflusseigenschaft gleichbleibend auch der Antrieb direkt entwickelt. Bei Tina sehen wir eine Diskrepanz, da sie vermehrt adaptierenden Spannungsfluss zeigte, bei den Antrieben dann aber mehr den direkten Raumantrieb nutzte. RAUM Probandin Spannungsflusseigenschaften Antriebe Gleichbleibend Adaptierend Direkt Indirekt Franziska 230 58 138 6 Stefanie 91 69 158 61 Tina 82 121 87 41 Juliane 275 21 104 46 Cindy 158 44 283 11 Maria 89 54 91 12 Mittelwert 154 61 144 30 Tabelle 15: Spannungsflusseigenschaften und Antriebe zum Faktor Raum Fünf von sechs Probandinnen haben durch die Spannungsflusseigenschaft gleichbleibend die Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu halten. Alle sechs Probandinnen haben den Antrieb direkt zur Verfügung. Keine der Probandinnen scheint ein grundsätzliches Problem damit zu haben, Handlungen beizubehalten. Da jedoch bei 34 allen Probandinnen Schwierigkeiten bei der Integration des Faktors ZEIT in die Bewegung bewiesen wurden und somit die Antizipationsfähigkeit eingeschränkt ist, haben alle sechs Probandinnen Probleme damit, vorauszuplanen und so wird eine eventuell anstrengende oder herausfordernde Handlung nicht beibehalten, weil sie nicht in die Zukunft planen und somit mögliche Vorteile nicht antizipieren können. 3.2.1.5 Störungen und Unsicherheit bezüglich Selbstbild, Zielen und “inneren Präferenzen” (einschließlich sexueller); Ich-Störung Die Grundlage für das Selbstbild ist die Entwicklung der Empfindung des Kernselbst. Untersucht werden die Bewegungen des Rumpfbereiches als Sitz des Kernselbst. Die Kernselbstempfindung scheint bei allen Probandinnen problematisch zu sein. Alle Probandinnen zeigen wenig Rumpfbewegungen. Besonders ausgeprägt ist das Kriterium bei Franziska und Stefanie. Hier können wir von einer tief greifenden Störung des Selbstbildes ausgehen. Die Auszählung der Rumpfbewegungen ergab, dass die Probandinnen durchschnittlich bei 27% ihrer Bewegungen den Rumpfbereich einsetzen oder mitbewegen (Tabelle 16). Die meisten Aktionen (durchschnittlich 73%) beinhalten lediglich Bewegungen der Körperperipherie, d.h. der Arme oder Beine. Im Vergleich dazu wurden auch meine eigenen Aktionen bei der Improvisation in Beziehung ausgezählt und festgestellt, dass 64% meiner Aktionen Rumpfbewegungen enthalten. Probandin Anzahl Aktionen Anzahl Aktionen mit Rumpfbeteiligung Anteil der Bewegungen mit Rumpfbeteiligung Gesamtzahl Franziska 296 55 19% Stefanie 359 47 13% Tina 349 135 39% Juliane 376 86 23% Cindy 501 140 28% Maria 246 99 40% Durchschnitt gerundet 355 94 27% Vergleichsperson 1014 653 64% Tabelle 16: Anteil der Bewegungen mit Rumpfbeteiligung an Gesamtzahl der Bewegungen 35 Betrachtet man nun, ob und inwieweit sich die Anzahl der Rumpfbewegungen in der Improvisation alleine und in Beziehung unterscheidet, zeigt sich vor allem bei Stefanie eine deutliche Veränderung (Tabelle 17). Sie beteiligt ihren Rumpfbereich in Beziehung deutlich mehr als im Solotanz. Lediglich bei Franziska ändert sich das Verhältnis nicht. Bei fünf von sechs Probandinnen können wir Veränderungen in der Beteiligung des Rumpfbereiches in Beziehung feststellen. Maria beteiligt ihren Rumpf im Beziehungstanz weniger als in der Improvisation alleine. Solo Probandin Gesamtzahl der Aktionen Anzahl mit Rumpfbeteiligung In Beziehung Anteil der Rumpfbeteili Gesamtzahl gung an der Aktionen Gesamtzahl Anzahl mit Rumpfbeteiligung Anteil der Rumpfbeteiligung an Gesamtzahl Franziska 167 31 19% 129 24 18% Stefanie 220 17 7% 139 30 22% Tina 175 42 24% 174 93 53% Juliane 270 39 14% 106 47 44% Cindy 305 65 21% 196 75 38% Maria 122 68 56% 124 31 25% Mittelwert Tabelle 17: 24% 33% Bewegungen mit Rumpfbeteiligung in Solo-Improvisation und in Improvisation in Beziehung Neben Aussagen über die Kernselbst-Empfindung der Probandinnen und damit über ihr Gefühl sich selbst gegenüber lässt dieses Ergebnis auch Rückschlüsse auf Probleme in der Beziehungsgestaltung zu, da die Probandinnen durch die mangelnde Bewegung des Rumpfbereiches auch kaum Formen als essentielle Voraussetzung für Beziehungsgestaltung zeigen. Ohne Rumpfbeteiligung ist Formen nicht möglich. Bei Stefanie, Tina, Juliane und Cindy zeigt sich, dass sowohl die grundlegende Fähigkeit zur Beziehungsgestaltung, wie vermutlich auch die Bereitschaft vorliegen. Diese vier Probandinnen beziehen in Beziehung ihren Rumpfbereich stärker mit ein. Bei Maria besteht eine grundlegende Fähigkeit zur Beziehungsgestaltung, jedoch scheint sie aus unbekannten Gründen auf diese Fähigkeiten in Beziehung nicht zurückzugreifen. 36 3.2.1.6 Neigung, sich in intensive, aber instabile Beziehungen einzulassen, oft mit der Folge von emotionalen Krisen / Übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden. Bei diesem Diagnosekriterium wird das Vorhandensein von hoher Intensität in der Bewegung überprüft. Wie bereits dargestellt ist nur bei zwei von sechs Probandinnen die hohe Intensität im Spannungsfluss betont. Die Neigung, sich in intensive, aber instabile Beziehungen einzulassen, kann nicht mit einer allgemein hohen Intensität im Spannungsfluss in Zusammenhang gebracht werden. Außerdem wird bei diesem Kriterium untersucht, ob die Probandinnen in Beziehung vermehrt den direkten Raumantrieb nutzen. Bei vier von sechs Probandinnen konnte festgestellt werden, dass sie im Vergleich zur Improvisation alleine in der Sequenz in Beziehung mehr direkt zeigen als im Solotanz (Tabelle 18, S. 38). Bei Franziska und Cindy war dies besonders auffällig. Bei Tina und Maria fiel auf, dass sie in der Improvisation mit den Medien in Beziehung weniger direkt nutzten als alleine. Bei Maria war dies besonders deutlich. Bei Franziska und Cindy tritt der direkte Raumantrieb in Beziehung deutlich in den Vordergrund. Sie beziehen sich stark auf ihr Gegenüber. Dabei tritt der indirekte Raumantrieb gegenüber dem Solotanz zurück (Tabelle 19, S. 38). Stefanie zeigt in Beziehung zwar auch mehr direkt, jedoch auch deutlich mehr indirekt als in der Improvisation alleine. Stefanie scheint beide Raumantriebe zur Verfügung zu haben und sie auch adäquat zu nutzen. Franziska und Cindy neigen dazu, sich sehr deutlich auf ihr Gegenüber zu beziehen und ihm das Gefühl geben, dass es unersetzlich und lebensnotwendig ist. Beide sind übrigens sehr stark bezogen auf ihre Bezugspersonen aus dem Hilfesystem und können mit Trennungen nur sehr schwer umgehen. Ich vermute hier einen Zusammenhang mit dem nur sehr rudimentär vorhandenen indirekten Antrieb. Es erinnert an die Entwicklungsphase, bevor ein Kind Objektpermanenz erreicht hat und die Existenz eines Objektes oder einer Bezugsperson nur durch den direkten Blickkontakt sicherstellen kann. Bei Maria und Tina ist es umgekehrt. Sie nutzen den indirekten Antrieb in Beziehungen stärker als im Solotanz. Den direkten Antrieb nutzen sie im Beziehungstanz weniger als in der Improvisation alleine. Der direkte Raumantrieb in Beziehungen ist nicht bei allen stärker vorhanden als bei der Bewegung alleine. Alle sechs Frauen zeigen zwar den Antrieb direkt in Beziehungen, was eine Voraussetzung für jegliche Beziehungsaufnahme darstellt, jedoch zwei weniger als im Solotanz und bei einer lässt sich kaum eine Veränderung feststellen. Bei drei von sechs Probandinnen trifft es zu, dass sie in Beziehung den Antrieb direkt deutlich stärker nutzen. 37 Direkt in Beziehung Probandin Anzahl Anteil an Gesamtbewegungen Direkt im Solotanz Anzahl Anteil an Gesamtbewegungen Franziska 91 73% 47 39% Stefanie 80 58% 78 35% Tina 35 20% 52 30% Juliane 52 49% 42 40% Cindy 152 76% 131 43% Maria 28 23% 63 52% Mittelwert 73 50% 69 40% Tabelle 18: Antrieb direkt in Beziehung und alleine indirekt in Beziehung Probandin Anzahl Anteil an Gesamtbewegungen indirekt im Solotanz Anzahl Anteil an Gesamtbewegungen Franziska 1 1% 5 3% Stefanie 56 40% 5 3% Tina 28 16% 13 7% Juliane 28 26% 18 7% Cindy 3 2% 8 3% Maria 8 6% 4 3% Mittelwert 21 15% 9 4% Tabelle 19: Antrieb indirekt in Beziehung und Alleine 3.2.1.7 Anhaltendes Gefühl von Leere Bei allen sechs Probandinnen konnte kein dynamischer oder erstarrter (bipolarer) Formfluss in der sagittalen Dimension wahrgenommen werden. Auch in den anderen beiden Dimensionen (horizontal und vertikal) konnte wenig Formfluss beobachtet werden. Dass ur wenig Formfluss sichtbar war, könnte mit der Kernselbstempfindung (siehe Punkt 3.2.1.5) zusammenhängen. Formfluss wird im Rumpfbereich initiiert, da er eng mit der Atembewegung verbunden ist. Werden Bewegungen im Rumpfbereich festgehalten, führt dies zu einer eher flachen Atmung und zu kaum sichtbaren Formfluss. Wenn nun alle sechs Probandinnen keinen Formfluss in der sagittalen 38 Dimension zeigen, fehlt ihnen auch die Wahrnehmung des Gefühls von AusgefülltSein, das durch das dynamische bipolare Aushöhlen und Auswölben des Rumpfbereiches erfahrbar wird. Somit entsteht keinerlei dynamisches Empfinden davon, wann ich „satt“ bzw. „leer“ oder „hungrig“ bin. Wenn keine Unterschiede wahrgenommen werden, gibt es im Empfinden keine Modulationen oder Abstufungen. Das chronifizierte Gefühl von Leere entsteht aus dem nicht vorhandenen Formfluss in der sagittalen Dimension und wird daher in der Bewegung aller Probandinnen sichtbar. 3.2.1.8 Ergebnisse, die nicht klar einem Diagnosemerkmal zugeordnet werden können Bei allen Probandinnen konnte ich eine deutliche Überbetonung ankämpfender Antriebe zu nachgebenden Antrieben erkennen (Abbildung 2, S. 40). Die Theoretiker des Kestenberg Movement Profiles gehen davon aus, dass ein ausgewogenes Verhältnis von nachgebenden und ankämpfenden Antriebselementen sowohl bei Frauen als auch bei Männern hilfreich ist, um die Realität zu bewältigen (BENDER 2007). Diese Überbetonung der ankämpfenden Antriebe bei den Probandinnen deutet darauf hin, dass alle sechs Frauen versuchen, die Welt durch widerstehende und ankämpfende Bewegungsqualitäten zu beeinflussen. Möglicherweise wehren sie die nachgebenden und sich hingebenden Antriebe ab, da sie möglicherweise angstbesetzt sind. Bei den Vorantrieben (Abbildung 3, S. 41) zeigt sich, dass die nachgebenden Elemente bei vier von sechs Probandinnen ein Lernfeld darstellen, da ihr Anteil deutlich größer als bei den Antrieben ist. Franziska, Juliane, Cindy und Maria üben sich durch die Vorantriebe in den nachgebenden Antriebselementen, bzw. sie erhalten eine „Als-ob-Qualität“. Sie tun zum Beispiel so, als bewegten sie sich leicht, getragen oder flexibel, benutzen den Antrieb aber nicht wirklich. Die Reaktion auf Umweltanforderungen durch Vorantriebe ermöglicht den Probandinnen allerdings nicht die tatsächliche Bewältigung der Realität. Die verstärkte Auseinandersetzung mit den nachgebenden Elementen zeigt bei allen vier Frauen, dass sie versuchen, diese zu zeigen, es aber aus unbekannten Gründen noch nicht können, wollen oder es sich erlauben. Bei Tina bleibt das Verhältnis von nachgebenden zu ankämpfenden Elementen bei den Vorantrieben ziemlich stabil. Stefanies Vorantriebe zeigen sogar eine Verstärkung der ankämpfenden Elemente. Sie scheint sich mehr in der Entwicklung dieser Elemente zu üben. 39 Franziska Stefanie Tina Juliane Cindy Maria Abbildung 2: Verhältnis ankämpfende (rot) zu nachgebende (blau) Antriebe 40 Franziska Stefanie Tina Juliane Cindy Maria Abbildung 3: Verhältnis ankämpfende (rot) zu nachgebende (blau) Vorantriebe 41 Bezüglich der Verteilung der Antriebe zeigt sich bei den Probandinnen eine deutliche Betonung von Antrieben zum Raumfaktor gegenüber Antrieben zum Kraft- oder Zeitfaktor. Die Beeinflussung der Umwelt durch die Antriebe stark, leicht, schnell und getragen spielt bei allen Probandinnen eine untergeordnete Rolle. Besonders deutlich wird dies bei Franziska, Cindy und Juliane. In den Bereichen Kraft und Zeit bleiben sie in der Auseinadersetzung im Innen und konnten die Antriebe nicht ausreichend in die Bewegung integrieren, was bei allen sechs Probandinnen dazu führt, dass sie wenig Gefühl für den richtigen Zeitpunkt einer Aktion oder ihre Selbstwirksamkeit durch die Nutzung der Kraftantriebe haben (siehe Abbildung 4). Franziska Stefanie Tina Juliane Cindy Maria Abbildung 4: Verteilung der Raumantriebe (blau), Kraftantriebe (rot) und Zeitantriebe (gelb) auf Gesamtzahl der Antriebe 42 3.2.2 Besonderheiten der einzelnen Analysandinnen in ihren individuellen Bewegungsqualitäten Bei der bewegungsanalytischen Auswertung der einzelnen Probandinnen gehe ich auf Besonderheiten in ihren Bewegungsmustern ein. Die Musikstücke, die die Probandinnen zur Videoaufzeichnung selbst mitgebracht hatten, habe ich bei der folgenden Beschreibung aufgeführt. Ich empfehle, sich diese Titel zum Beispiel auf Youtube (www.youtube.de) anzuhören, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Stimmung diese Stücke transportieren. Im folgenden Abschnitt stelle ich dar, welche Bewegungsqualitäten von den Probandinnen bei der freien Improvisation mit dem eigenen Musikstück schwerpunktmäßig gezeigt werden und greife individuelle Besonderheiten aus 3.2.1 auf. 3.2.2.1 Franziska: Eigenes Musikstück: G.G. Anderson: Wir sind auf der Erde, um glücklich zu sein Gewähltes Medium: Tuch Bei der Improvisation zu ihrem mitgebrachten Musikstück wiegt sich Franziska in gleichbleibender, niedriger Intensität zur Musik. Wie bei der Auszählung des Repertoires an Spannungsflusseigenschaften gezeigt (Abbildung 1, S. 28), sind gleichbleibend und niedrige Intensität mit abrupt, welches hauptsächlich in den Kopfbewegungen auftauchte, ihre überwiegend genutzten Spannungsflusseigenschaften. Hieraus ergibt sich das „Talent“ für die Antriebe: direkt, leicht und schnell. Bei Franziska war als Einzige Abruptheit häufiger zu beobachten als Gradualität. Bei ihr ergibt sich keine Diskrepanz, denn sie zeigte zwar insgesamt nur drei Zeitantriebe, diese waren allerdings alle schnell. In der Analyse von Franziska fallen insgesamt sehr viele Vorantriebe auf. Interessant ist, dass sich das Verhältnis von Antrieben zu Vorantrieben deutlich verändert, sobald sie in Beziehung ist. Insgesamt ergibt sich bei Franziska ein Verhältnis von 52% Antrieben zu 48% Vorantrieben, wobei sie in Beziehung 80% Antriebe und nur noch 20% Vorantriebe zeigt. Außerdem ist eine schlechte Augen-Hand-Koordination auffällig, denn Franziska hat alleine große Probleme, den Ball nach einem Wurf zu fangen. Dies verbesserte sich deutlich, als sie sich in Beziehung bewegte, denn dann verlor sie denn Ball nur noch selten. Die Augen-Hand-Koordination hat sowohl mit dem Faktor RAUM (Wo?) als auch mit ZEIT (Wann?) zu tun. 43 Die Auseinandersetzung mit ZEIT ist bei Franziska nicht ausgereift. Ihr stehen weder der schnelle noch der getragene Antrieb ausreichend zur Verfügung. Auffällig sind Franziskas abrupte Kopfbewegungen, die hauptsächlich in Bewegungspausen auftreten und wie unbewusste Schattenbewegungen oder Tics wirken. Franziska hat eine deutlich kindliche Ausstrahlung. Ihre Bewegungen wirken mit freiem Fluss und vielen Vorantrieben tolpatschig und unkontrolliert. Insgesamt zeigt Franziska kaum Zeit- oder Kraftantriebe. Der indirekte Raumantrieb kommt kaum zur Anwendung. Bei Franziska deutet dies darauf hin, dass sie bei der Entwicklung der Antriebe im ersten Lebensjahr stecken geblieben ist, da ihr weder Kraftantriebe (2. Lebensjahr) noch Zeitantriebe (3. Lebensjahr) ausreichend zur Verfügung stehen. Im Beziehungstanz kann Franziska Antriebe zeigen. Die Verwendung eines Hilfs-Ichs (HEIGL-EVERS und OTT, 2002) kann demnach bei ihr sinnvoll sein, um ihre eigenen Ressourcen in den Spannungsflusseigenschaften zu entdecken und Antriebe in der Bewegung erfahrbar zu machen. Franziska beteiligt unterdurchschnittlich. Auffällig ist bei ihren ihr, Rumpfbereich dass sich in die der Bewegung Einbeziehung des Rumpfbereiches in Beziehung anders als bei den anderen Frauen nicht verändert. Die Ergebnisse deuten auf eine deutliche Störung des Selbstbildes hin. 3.2.2.2 Stefanie Eigenes Musikstück: Disturbed: Down with the sickness Gewähltes Medium: Tuch Während der freien Improvisation zu ihrem eigenen Musikstück zeigt Stefanie bipolaren und unipolaren Formfluss in der vertikalen und horizontalen Fläche, nämlich verschmälern und verkürzen nach oben. Außerdem Richtungsbewegungen und Ansätze von Formen in der sagittalen Fläche und Dimension. Sie ist beschäftigt mit vorwärts und rückwärts. In der Sequenz für die vergleichende Auswertung ist dies nicht zu beobachten. Obwohl ihr Musikstück zum Kraftantrieb stark einlädt, bleibt Stefanie die ganze Zeit über leicht und in niedriger Intensität. Bei Stefanie fällt insgesamt auf, dass sie die gesamte Solo-Improvisation und auch den Beziehungstanz hindurch kein einziges Mal „stark“ zeigt (TabeIlle 10, S. 30). Stefanie scheint sich im leichten Antrieb sehr zu Hause zu fühlen, stark steht ihr jedoch nicht zur Verfügung. Diese deutliche Betonung des Antriebselementes leicht war ausschließlich bei ihr zu beobachten. Bezüglich der Antriebe zum Faktor ZEIT zeigt sich bei Stefanie als Einzige keine Diskrepanz, denn passend zur Spannungsflusseigenschaft graduell ist bei ihr das Antriebselement getragen bei der vergleichenden Auswertung betont. Bei ihr scheint 44 die Integration von ZEIT in die Bewegung am wenigsten Probleme zu machen, da bei ihr das Verhältnis der beiden Antriebselemente mit 1/3 schnell zu 2/3 getragen am ausgewogensten von allen Probandinnen ist. Da Stefanie den Rumpfbereich insgesamt wenig in ihre Bewegungen einbezieht, können wir von einer mangelnden Kernselbstempfindung ausgehen. Interessant ist, dass sich das Verhältnis von Bewegungen mit und ohne Rumpfbeteiligung bei ihr in Beziehung deutlich verändert. Ihr Gegenüber zeigte ein Verhältnis von Bewegungen mit und ohne Rumpfbeteiligung von nahezu 1:1, formte und machte somit deutliche Beziehungsangebote, auf die Stefanie vermutlich mit einer stärkeren Einbeziehung des Rumpfbereiches reagieren konnte. Stefanie war in der Lage, die angebotenen Formen zu spiegeln. Hier kann das Gegenüber auch die Position eines „Hilfs-Ich“ einnehmen. Bezüglich ihres Repertoires an Spannungsflusseigenschaften verfügt Stefanie über wenig Möglichkeiten des Wechselspiels zwischen freiem und gebundenem Bewegungsfluss. Sie nutzt hauptsächlich die niedrige Intensität und damit die deutliche Anlage für den Kraftantrieb leicht. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Stefanie sich häufig von sehr intensiven Gefühlen überfallen fühlt. Sie werde völlig unvermittelt und unvorbereitet von Zuständen höchster Emotionalität überrollt und könne diese dann nur durch massive Selbstverletzungen ein Ende setzen. 3.2.2.3 Tina Eigenes Musikstück: Cradle of Filth: Black Metal Gewähltes Medium: Ball Bei der Improvisation zu ihrem eigenen Musikstück zeigt Tina alle ankämpfenden Antriebselemente (schnell, stark, direkt) im vollen Antrieb stoßen, außerdem peitschen (schnell, stark, indirekt) und drücken (getragen, stark, direkt). Tina nimmt als Einzige die Stimme dazu und erlaubt sich, laut zu schreien. In dieser Sequenz zeigt Tina ihr Potential an hoher Intensität und starkem Kraftausdruck. Bei der vergleichenden Auswertung fallen bei Tina beim Faktor KRAFT und RAUM Diskrepanzen auf, denn sie zeigte in den Spannungsflusseigenschaften überwiegend niedrige Intensität und adaptierend, wobei sie in den Antrieben stark und direkt häufiger anbietet. Die Rumpfbeteiligung liegt bei Tina über dem Durchschnitt (Tabelle 16, S. 35) gemessen an den anderen Probandinnen. Zählt man Solo-Improvisation und Beziehungstanz gesondert aus, fällt auf, dass die Beteiligung des Rumpfbereiches im Solo-Tanz genau im Durchschnitt und im Beziehungstanz weit über dem Durchschnitt 45 liegt (Tabelle 17, S. 36). Tina scheint im Vergleich zu den anderen Probandinnen über das größte Repertoire an Spannungsflusseigenschaften zu verfügen. Gradualität ist zwar betont, die restlichen Spannungsflusseigenschaften stehen jedoch auch in ausgewogenem Maße zur Verfügung. Sie scheint damit im Vergleich zu den anderen Probandinnen die vielfältigsten Möglichkeiten im Umgang mit Emotionalität zu haben. Tina hat als Einzige den indirekten Raumantrieb deutlich zur Verfügung. Sie bewegte sich von allen jedoch auch am häufigsten ohne Raumbezug. Auch der Antrieb stark konnte bei ihr am häufigsten ohne Raumbezug festgestellt werden. 3.2.2.4 Juliane Eigenes Musikstück: Adoro: Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann Gewähltes Medium: Tuch und Ball Juliane zeigt in der freien Improvisation mit dem eigenen Musikstück und auch in der Sequenz für die vergleichende Auswertung viele Richtungsbewegungen in der vertikalen Fläche (aufwärts, abwärts). Sie bewegt sich von allen Probandinnen am meisten gebunden und ihre Bewegungen bekommen dadurch einen hölzernen Ausdruck. Juliane erlaubt sich als Einzige, das für die freie Improvisation zum eigenen Musikstück gewählte Medium zu wechseln. Außerdem benutzt sie die Trommeln im Raum, nimmt sich einen Stuhl und macht es sich bequem. Juliane verfügt über ein geringes Repertoire an Spannungsflusseigenschaften mit der Betonung von graduell und gleichbleibend. Damit verfügt sie über die Anlagen für die Antriebe getragen und direkt. 3.2.2.5 Cindy Eigenes Musikstück: Joe: If I was your man Gewähltes Medium: Ball Cindy bringt zu der Videoanalyse ihren Schäferhund mit, der ihr ständiger Begleiter im Alltag ist. In der Improvisation zu ihrem eigenen Musikstück fällt besonders auf, dass Cindys gesamter Körper abwärts strebt: Ihre Schultern hängen, ihre Arme hängen am Körper, Ihr Rumpfbereich wirkt als sinke er zu Boden. Ihr Körper drückt betonte Lässigkeit, jedoch auch deutliche Schwere aus. Zudem hat sie eine deutlich männliche Ausstrahlung. Sie spielt das ganze Musikstück hindurch Fußball, ihre Arme bleiben dabei eher unbeteiligt im freien Fluss. Insgesamt bietet sie während dieser Sequenz ausschließlich die Spannungsflusseigenschaft niedrige Intensität an. 46 Bei Cindy fällt insgesamt auf, dass sie sowohl zu ihrem eigenen Musikstück als auch in der Sequenz für die vergleichende Auswertung sehr direkt ist. Sowohl in der Improvisation alleine als auch in Beziehung nutzt sie fast ausschließlich den direkten Raumantrieb. Sie zeigt keine Vorantriebe zum Raum, also weder kanalisieren noch flexibel. Auffällig ist, dass sie auch den indirekten Raumantrieb kaum nutzt. Dafür steht ihr der direkte Antrieb deutlich zur Verfügung und kann als klare Ressource, als Anker gewertet werden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Cindy allgemein mit der Wahrnehmung ihres eigenen Körpers große Schwierigkeiten hat und dies auch meist vermeidet. Sie sagt häufig, dass sie sich nicht spüren könne und es für sie sehr bedrohlich sei, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Der direkte Raumantrieb hilft Cindy, mit ihrer Aufmerksamkeit im Außen zu bleiben und sich auf das Medium und die Bezugsperson zu beziehen und damit die Selbstwahrnehmung zu vermeiden. 3.2.2.6 Maria Eigenes Musikstück: Die toten Hosen: Nur zu Besuch Gewähltes Medium: Ball Maria setzt sich bei ihrem eigenen Musikstück hin, kanalisiert fast durchgehend und rollt den Ball über ihre Arme, den Kopf und die Beine. Ihre Bewegungen waren hauptsächlich gebunden. In den Spannungsflusseigenschaften zeigte sie gleichbleibend, hohe und niedrige Intensität. Kanalisieren gepaart mit hoher Intensität vermittelt den Eindruck, dass Maria mit für sie bedrohlichen Gefühlen konfrontiert sein könnte, diese allerdings nicht nach Außen bringt. Maria kanalisiert viel sowohl alleine als auch in Beziehung. In Beziehung fällt auf, dass sie den direkten Kontakt zu ihrer Partnerin vermeidet. Sie bezieht sich nur direkt auf das Medium, nicht auf die Tanzpartnerin. Ihre Rumpfbeteiligung liegt gemessen an den anderen Probandinnen insgesamt über dem Durchschnitt (Tabelle 16, S. 35). Im Beziehungstanz hingegen beteiligt sie ihren Rumpf nur noch halb so viel (Tabelle 17, S. 35) wie in der Solo-Improvisation. Bei Maria war als Einzige zu beobachten, dass sie ihren Rumpfbereich in Beziehung deutlich weniger einsetzte als in der Improvisation alleine. Alleine zeigte sie bei 122 Aktionen der Körperperipherie 68 Aktionen mit Rumpfbeteiligung (Verhältnis 2:1). In Beziehung waren es bei 124 Aktionen nur noch 31 Bewegungen, bei denen der Rumpfbereich beteiligt war (Verhältnis 4:1). Dieses Ergebnis bedeutet, dass Maria in Beziehung ihren Rumpfbereich wenig bewegt, somit deutlich weniger Formfluss zeigen 47 kann und die Grundlage zur Beziehungsgestaltung nicht einsetzt, obwohl sie grundsätzlich dazu in der Lage wäre. Vermutlich ist Beziehung an sich für Maria stark angstbesetzt und sie reagiert darauf, dass sie mehr Aktionen der Körperperipherie zeigt, sich damit abschneidet von Empfindungen im Rumpfbereich. Damit entsteht keine Beziehung, da sie ohne eine Beteiligung des Rumpfbereiches nicht ins Formen kommen kann. Maria beschreibt zwar eine große Sehnsucht nach Kontakt und Beziehung, jedoch sei sie noch nicht bereit dafür. Die Kontaktstörung wird auf der Bewegungsebene sowohl durch das Vermeiden des direkten Raumantriebes als auch durch die mangelnde Einbeziehung des Rumpfbereiches in Beziehung deutlich. Dass sie in Beziehung ihren Rumpfbereich und damit den Sitz ihres Kernselbst so stark zurücknimmt, deutet auf eine tief greifende Traumatisierung oder Frustration in früher Kindheit hin. Sie scheint sich eine Art Pseudo-Ich aufgebaut zu haben, das dem vermeintlichen Blick des Gegenübers im Beziehungstanz nicht standhalten würde und dann in sich zusammenzufallen scheint. Ein ähnliches Phänomen lässt sich bei den Kraftantrieben feststellen, die sie im Beziehungstanz auch deutlich Spannungsflusseigenschaften. zurücknimmt. Insgesamt zeigt Sie Maria bleibt kein dann einziges in den Mal den Kraftantrieb leicht. Die Vorantriebe nehmen im Beziehungstanz im Verhältnis zu. Maria traut sich alleine eher stark zu werden als in Beziehung zu einer Person. 48 3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse und Konsequenzen für die tanztherapeutische Begleitung Bei allen sechs Probandinnen wurde deutlich, dass sie Probleme mit der Integration des Zeitfaktors in die Bewegung haben. Die mangelnde Antizipationsfähigkeit, wie sie in den Diagnosemerkmalen enthalten ist, kann bei allen Probandinnen auf der Bewegungsebene bewiesen werden. Bezüglich der Abruptheit von Bewegungen konnte keine Häufung bei allen Probandinnen festgestellt werden. Lediglich eine Person zeigte vermehrt Abruptheit in der ausgewerteten Videosequenz. Interessant ist, dass vier der Probandinnen, die eher Gradualität im Spannungsfluss aufweisen, beschreiben, dass ihre Stimmung im Alltag sehr abrupt kippen kann und sie in ihrem Erleben völlig unvorbereitet und unvermittelt von Zuständen höchster innerer Anspannung „überfallen“ werden. Möglicherweise sind diese schnellen Wechsel in der Stimmung deshalb so bedrohlich für die Patientinnen, weil der abrupte Spannungsfluss so wenig in die Bewegung integriert ist. Alle Probandinnen bleiben beim Faktor ZEIT eher in der Auseinandersetzung im Innern, denn sie zeigen wesentlich mehr Spannungsflusseigenschaften als Antriebe. Ähnlich verhält es sich beim Faktor KRAFT. Auch hier wurden bei allen Probandinnen wenig Kraftantriebe im Vergleich zu den Spannungsflusseigenschaften beobachtet. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass bei allen Probandinnen Unsicherheit bezüglich ihres Krafteinsatzes besteht, denn sie zeigen entweder gar keine, nur wenige oder nur ein einziges Antriebselement zum Faktor KRAFT. Die Antriebe leicht und stark sind bei allen Probandinnen nicht in die Bewegung integriert. Alle sechs Probandinnen zeigen außerdem ein deutlich unausgewogenes Verhältnis der Raumantriebe, wobei bei allen der direkte Antrieb überwiegt. Bei der Hälfte der Probandinnen ist das Verhältnis von direkten zu indirekten Raumantrieben deutlich unausgewogen. Bei ihnen kann auch von einer mangelnden Integration des Raumfaktors ausgegangen werden. Drei Probandinnen haben zwar den indirekten Raumantrieb eindeutiger zur Verfügung, jedoch nutzen auch sie hauptsächlich den direkten. Der indirekte Raumantrieb ist in der Regel erst nach der Grundschulzeit voll entwickelt (BENDER 2007). KLEINS Aussage, dass bei Borderline Persönlichkeiten nur wenig kraftvolle und direkte Bewegungen zu finden seien (KLEIN 1998, S. 274), bestätigt sich somit nur zum Teil. KLEIN beschreibt außerdem, dass der Borderline Persönlichkeitsstörung massive Beeinträchtigungen insbesondere in den von MAHLER beschriebenen Subphasen der Loslösung, der Übungs- und Wiederannäherungsphase 49 (5.-24. Lebensmonat) zugrunde liegen (KLEIN 1998). Die mangelnde Integration der Antriebe in den drei Bereichen Raum, Kraft und Zeit bestätigt eine frühe Störung der kindlichen Entwicklung. Bei allen Probandinnen sehen wir deutlich mehr Bewegungen der Körperperipherie als des Rumpfbereiches. Der Rumpfbereich ist der Sitz des Kernselbst und ein „NichtBewegen“ dieses Bereiches bedeutet auch, dass er nicht wahrgenommen wird (BENDER 2007). Dies deutet bei allen Probandinnen auf eine Beeinträchtigung der Kernselbstempfindung hin, wobei bei einer Person dies vor allem in Beziehung zutage tritt. STERN siedelt die Entwicklung der Kernselbstempfindung im 3.-7. Lebensmonat des Säuglings an (RUSSEL 2008). Das Diagnosemerkmal „Störungen und Unsicherheit bezüglich Selbstbild, Zielen und inneren Präferenzen; Ich-Störung“ trifft auf alle Probandinnen zu, da das Selbstbild aus der Empfindung des Kernselbst entsteht. Bei zwei Frauen liegt die Beteiligung des Rumpfbereiches über dem Durchschnitt jedoch unter der der Vergleichsperson. Bei fünf von sechs Probandinnen sind Veränderungen in der Beteiligung des Rumpfbereiches in Beziehung festzustellen. Bei vier von sechs Probandinnen zeigte sich eine vermehrte Einbeziehung des Rumpfbereiches in Beziehung, bei einer Probandin eine deutliche Verringerung. Neben Aussagen über die Kernselbst-Empfindung der Probandinnen und damit über ihr Gefühl sich selbst gegenüber lässt dieses Ergebnis auch Rückschlüsse auf die Beziehungsgestaltung zu, da die Probandinnen durch die mangelnde Bewegung des Rumpfbereiches auch kaum Formen zeigen, da dies ohne Rumpfbeteiligung kaum möglich ist. Beim Diagnosemerkmal „unbeständige und unberechenbare Stimmungen“ zeigt die Untersuchung, dass das Verhältnis von freien zu gebundenen Bewegungen nur bei einer Person, die sich vermehrt gebunden bewegte, unausgewogen ist. Alle sechs Probandinnen haben beide Elemente des Bewegungsflusses zur Verfügung und sind somit grundsätzlich in der Lage, ihren Spannungsfluss und somit auch ihre Emotionen zu modellieren. KESTENBERG beschrieb, dass die Fähigkeit zur Regulation vielfältiger Stimmungen auch damit zusammenhängt, ob eine Person auf verschiedene Spannungsflusseigenschaften zurückgreifen kann, oder ob sie hauptsächlich nur eine oder zwei Spannungsflusseigenschaften nutzt, um Emotionalität zu regulieren. Grundsätzlich sind alle Spannungsflusseigenschaften bei den Probandinnen vorhanden, sie nutzen diese allerdings jeweils in sehr unterschiedlicher Gewichtung. Diese unterschiedliche Gewichtung der Spannungsflusseigenschaften ist ein Anhaltspunkt für die einzelnen Grundtemperamente der Probandinnen. Sie weisen auf das individuelle Muster hin, wie die Probandinnen ihre Emotionen regulieren und wie sie auf innere Stimuli reagieren. Da bei Borderline Patientinnen vielfältige 50 Traumatisierungen in der Biographie typisch sind (RUPPERT 2004), können wir nicht davon ausgehen, dass die gezeigten Spannungsflusseigenschaften durchgängig das Grundtemperament der Personen darstellen, da aufgrund der Traumatisierungen die normale Entwicklung unterbrochen wurde und die Spannungsflusseigenschaften zu Überlebenstechniken geworden sind. Stefanie, die sich hauptsächlich in niedriger Intensität bewegte, aber auch Juliane, die hauptsächlich graduell und gleichbleibend zeigte, haben ein geringes Repertoire an Spannungsflusseigenschaften zur Verfügung, da sie in ihren Bewegungen hauptsächlich auf diese eine oder diese beiden Spannungsflusseigenschaften zurückgreifen. Bei Tina sehen wir zwar eine Überbetonung von graduell, jedoch sind die anderen fünf Spannungsflusseigenschaften relativ ausgewogen vorhanden. Ihr scheint das größte und ausgewogenste Repertoire an Spannungsflusseigenschaften zur Verfügung zu stehen. Das Diagnosemerkmal „deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, vor allem dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden“ konnte nicht durch eine deutliche Betonung von Abruptheit oder hoher Intensität bewiesen werden. KESTENBERG-AMIGHI beschreibt, wenn Gradualität als Überlebenstechnik eingesetzt wird, „kann dies daher rühren, dass die Person die Erfahrung gemacht hat, dass jeder schnelle Wechsel die Gefahr birgt, dass (...) missbräuchliches Verhalten von Neuem beginnt“ (BENDER 2007, S. 24). Gradualität wird häufig von Kindern gewalttätiger Eltern bevorzugt, vermutlich um nicht von der eigenen oder der Spontaneität der anderen überrascht zu werden. Auch beim Diagnosemerkmal „Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens“ wurde überwiegend hohe Intensität im Spannungsfluss vermutet. Vier von sechs Probandinnen bewegen sich häufiger in niedriger Intensität. Wenn die niedrige Intensität zur Überlebenstechnik aufgrund traumatischer Erlebnisse geworden ist, versuchen sie, ihre Gefühle in niedriger Intensität weniger spürbar zu machen (BENDER 2007). Die niedrige Intensität gepaart mit gebundenem Fluss kann für die Probandinnen eine Möglichkeit darstellen, Ausbrüche von Wut und Gewalt zu vermeiden. Möglicherweise fürchten die Klientinnen auch, außer Kontrolle zu geraten und kontrollieren ihre Emotionalität über Bewegungen in gebundener niedriger Intensität. Fünf von sechs Klientinnen bewegen sich häufiger gebunden als frei, jedoch ist dieses Verhältnis nur bei einer Person außergewöhnlich deutlich. Wenn der Antrieb stark gezeigt wird, dann läuft dieser bei der Hälfte der Probandinnen vermehrt im freien Bewegungsfluss ab. Bei den Vorantrieben von stark lässt sich bei allen eine Betonung von vehement (gepaart mit freiem Bewegungsfluss) 51 feststellen. Der freie Bewegungsfluss beim starken Antrieb oder Vorantrieb lässt beim Gegenüber ein Gefühl von mangelnder Kontrolle der Bewegung entstehen. Bezüglich des Diagnosemerkmals „Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden“ zeigt sich, dass fünf von sechs Probandinnen durch die Spannungsflusseigenschaft gleichbleibend die grundsätzliche Fähigkeit haben, Aufmerksamkeit zu halten. Außerdem haben alle sechs Probandinnen den Antrieb direkt zur Verfügung. Da jedoch bei allen Probandinnen Schwierigkeiten bei der Integration des Faktors ZEIT in die Bewegung bewiesen wurden und somit die Antizipationsfähigkeit eingeschränkt ist, haben alle sechs Probandinnen Probleme damit, vorauszuplanen und so wird eine eventuell anstrengende oder herausfordernde Handlung nicht beibehalten, weil sie nicht in die Zukunft planen und somit die Vorteile nicht antizipieren können, was begründet, warum nur bei unmittelbarer Belohnung eine Handlung beibehalten wird. Bei keiner der Probandinnen konnte in der untersuchten Videosequenz Formfluss in der sagittalen Dimension beobachtet werden. Das Diagnosemerkmal „anhaltendes Gefühl von Leere“ wird bei allen Probandinnen im mangelnden Formfluss deutlich. Die „Neigung, sich in intensive, aber instabile Beziehungen einzulassen“, kann nicht mit einer allgemein hohen Intensität im Spannungsfluss in Zusammenhang gebracht werden. Bei vier von sechs Probandinnen kann man feststellen, dass sie im Vergleich zur Solo-Improvisation in der Sequenz in Beziehung mehr direkt zeigen. Der direkte Raumantrieb in Beziehungen ist nicht bei allen stärker vorhanden als bei der Bewegung alleine. Bei allen Probandinnen ist eine deutliche Überbetonung ankämpfender Antriebe zu nachgebenden Antrieben erkennbar. Diese Überbetonung der ankämpfenden Antriebe bei den Probandinnen bedeutet, dass alle sechs Frauen versuchen, die Welt durch widerstehende und ankämpfende Bewegungsqualitäten zu beeinflussen. Für die letzte Sequenz der Videoaufnahme hatten die Probandinnen eigene Musikstücke dabei, zu denen sie sich gerne bewegen. Die Stilrichtungen der mitgebrachten Musikstücke reichen von Schlager bis Death Metal und gewähren Einblick in die vielfältigen musikalischen Vorlieben der Probandinnen. Die unterschiedliche Gewichtung der Spannungsflusseigenschaften zeigt die individuelle Ausstattung der Probandinnen im Umgang mit Emotionen. Es zeigt, welche Möglichkeiten der Spannungsflussregulierung sie überwiegend zur Verfügung haben und gibt somit einen wichtigen Hinweis auf ihre Ressourcen im Bewegungsmuster und auch auf die Bereiche, die noch wenig in die Bewegung integriert sind und über die 52 Tanztherapie entdeckt und entwickelt werden können. Die gezeigten Antriebe geben einen Hinweis darauf, welche Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten die Probandinnen sich erlauben, und können daher richtungsweisend sein, wenn es um die Entwicklung von Skills (Fertigkeiten), wie in der Dialektisch Behavioralen Therapie üblich, im Umgang mit Zuständen hoher emotionaler Anspannung geht. Bei Cindy ist beispielsweise der direkte Raumantrieb besonders ausgeprägt und so kann die Beschäftigung mit ihrem Schäferhund oder ihren zahlreichen Freunden eine gute Möglichkeit bieten, sich von Zuständen höchster innerer Anspannung abzulenken und den Fokus von innen nach außen zu lenken. Auch Beschäftigungen wie puzzeln, stricken und Filme ansehen sind Tätigkeiten, die den direkten Raumantrieb nutzen und für Personen wie Cindy oder auch Franziska hilfreich sind. Bei Maria wird in der bewegungsanalytischen Auswertung deutlich, dass die Nähe im Zweier-Kontakt sehr angstbesetzt ist und dass ihr Selbstbild noch nicht stabil genug ist, um in Beziehung aufrechterhalten zu werden. Dies wurde deutlich, weil sie in Beziehung sehr stark kanalisierte und ihren Rumpfbereich kaum noch mit in die Bewegungen mit einbezog. Die Stärkung ihres eigenen Selbstbildes verbunden mit der Wahrnehmung der eigenen Körpergrenzen und der Fähigkeit zur Regulierung von Nähe und Distanz ist für Maria notwendig, um genug Sicherheit zu haben, Beziehungen einzugehen. Die individuelle Betrachtung der Probandinnen zeigt, dass was für die eine angenehm und förderlich ist, für die andere eine große Hürde sein kann. Franziska und Cindy brauchen und suchen Kontakt, während für Maria Nähe stark angstbesetzt ist. Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus den dargestellten Ergebnissen für die tanztherapeutische Begleitung von Patientinnen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung? Auf eine ausführliche therapeutische Empfehlung für die Borderline Persönlichkeitsstörung soll an dieser Stelle verzichtet werden. Es geht nicht darum, ein tanztherapeutisches Behandlungsmanual für die Borderline Persönlichkeitsstörung zu liefern, sondern vielmehr darum zu überprüfen, ob es allgemein sinnvoll ist, einheitliche Therapieansätze für dieses Krankheitsbild anzuwenden oder ob es aufgrund so gravierender Unterschiede bei Borderline-Persönlichkeiten nur Sinn macht, individuelle Behandlungspläne zu entwickeln. Die Studie belegt grundsätzliche Gemeinsamkeiten in den Bewegungsmustern der Probandinnen und somit auch die Sinnhaftigkeit von Behandlungsplänen in der Tanztherapie, die diese Gemeinsamkeiten aufgreifen. Die Studie zeigt allerdings auch, dass es wert ist, auf die individuellen Besonderheiten im Bewegungsmuster zu achten, 53 um den Patientinnen in der Einzeltherapie gerecht werden zu können und sie dort abzuholen, wo sie gerade in ihrer individuellen Entwicklung stehen. Die individuelle Bewegungsanalyse bietet die Möglichkeit, die Ressourcen der Betroffenen zu entdecken und ihre eigene Art des „In-der-Welt-Seins“ kennenzulernen. Außerdem bedeutet die Hervorhebung von Individualität und Einzigartigkeit auch eine besondere Wertschätzung der Persönlichkeit unabhängig von ihrer Diagnose und kann der Entwicklung und Förderung eines positiven Selbstbildes bei Borderline Patientinnen nur dienlich sein. Zusammen mit dem Wissen über die Gemeinsamkeiten in den Bewegungsmustern können den Patientinnen dann gezielte tanztherapeutische Interventionen angeboten werden, die entsprechend ihrer Lebenssituation, ihren Vorlieben und vor allem ihren individuellen Ressourcen dazu beitragen, die Behandlungsziele zu erreichen. Es bietet sich außerdem an, die in der Studie festgestellten Gemeinsamkeiten in den Bewegungsmustern der Probandinnen in einer tanztherapeutischen Gruppe aufzugreifen. Bei allen Probandinnen ist der Faktor Zeit nicht in die Bewegung integriert. Somit haben alle Probandinnen Schwierigkeiten damit, Ereignisse zu antizipieren und den richtigen Zeitpunkt für eine Aktion zu finden. Dieses mangelnde Gefühl für Zeit kann zu Schwierigkeiten in der Strukturierung des Tagesablaufes führen. Möglicherweise überfordern sie sich, weil sie ihren Tag mit zu vielen Aktivitäten füllen oder der Tag fühlt sich unendlich lang an. Vielleicht finden sie auch nicht die richtige Balance zwischen Aktivitäts- und Ruhephasen über den Tagesablauf. Möglicherweise besteht Schwierigkeit darin, Termine einzuhalten. Sie kommen entweder zu spät oder zu früh zur Therapiestunde und sind damit überfordert, in einer Therapiestunde ein Thema zum richtigen Zeitpunkt einzubringen. In diesem Punkt sollten sich die Patientinnen gemäß der Ergebnisse aus der Studie alle begegnen und sich gegenseitig stützen können. Die Folgen, die dieses mangelnde Gefühl für ZEIT für das Leben der Probandinnen hat, sind vielfältig. Gemeinsam haben sie, dass die frühe Störung ihrer kindlichen Entwicklung dazu geführt hat, dass sie die Bewegungsthemen, die mit der Entwicklung eines Gefühls für ZEIT zusammenhängen, nicht ausreichend integriert haben und somit können alle Probandinnen von tanztherapeutischen Angeboten zur Integration von ZEIT profitieren. Auf der Bewegungsebene übt ein Kind den Umgang mit Zeit im dritten Lebensjahr. Es ist die Phase des Einübens der Harnkontrolle, des Einübens der Spannungsflussrhythmen Fließen und Stoppen (KESTENBERG und KESTENBERG-AMIGHI, 1993). Bewegungen in dieser Phase finden vermehrt in der sagittalen Dimension statt – d.h., es geht um vor54 wärts und rückwärts und somit auch um die Auseinandersetzung mit Zukunft und Vergangenheit. In einer tanztherapeutischen Gruppe für Borderline-Persönlichkeiten können diese Bewegungsthemen zum Beispiel durch folgende Angebote aufgegriffen werden: • einfache Kreistänze mit überwiegend Bewegungen in der sagittalen Fläche, • die Verwendung von Medien, die zu fließenden Bewegungen einladen, wie zum Beispiel Tücher oder die Einbeziehung von Musikinstrumenten wie „Regenmacher“, • einfache Spiele, die den Stopprhythmus trainieren, • Bewusstmachung der Spannungsflusseigenschaften abrupt und graduell, • Förderung der Auseinandersetzung mit den Antrieben schnell und getragen. Die Ergebnisse der Studie deuten auch beim Faktor KRAFT auf eine mangelnde Integration der Antriebe und ein Verharren in den Spannungsflusseigenschaften hin. Entwicklungspsychologisch liegt die Integration von KRAFT, die mit der Autonomieentwicklung einhergeht, noch vor der Entwicklung eines Gefühls für ZEIT, nämlich im zweiten Lebensjahr. In dieser Phase ist bei Kindern der Pressrhythmus besonders deutlich sichtbar. Es ist die Phase der Aufrichtung und der Auseinandersetzung mit der eigenen Kraft. Gemeinsam mit dem anal-libidinösen Rhythmus „verdrehen“ lernt das Kind, sich durchzusetzen und entwickelt ein Gefühl von Autonomie (BENDER, 2007). Bewegungen finden in dieser Entwicklungsphase überwiegend in der vertikalen Dimension statt. Bei allen Probandinnen besteht Unsicherheit bezüglich ihres Krafteinsatzes. Die Antriebselemente leicht und stark sind bei keiner der Probandinnen integriert. Somit begegnen sich die Probandinnen in Schwierigkeiten damit, sich selbst als autonome Gestalter ihres Lebens anzunehmen und befinden sich vielleicht im Konflikt mit Verantwortung und Selbständigkeit. Möglicherweise mussten sie in ihrer Biographie bereits zu früh Verantwortung übernehmen oder ihnen wurde nie etwas zugetraut. Bewegungen, die die Spannungsflussrhythmen der analen Phase, die Entwicklung eines Bewusstseins über den eigenen Krafteinsatz, das eigene Gewicht und die Wirksamkeit von Handlungen aufgreifen, sind Themen, in denen sich alle Patientinnen wiederfinden, und können in einer tanztherapeutischen Gruppe durch folgende Angebote aufgegriffen werden: • Kreistänze mit Bewegungen in der vertikalen Fläche, • Rollenspiele, die die Spannungsflussrhythmen „pressen“ und „verdrehen“ aufgreifen • Partner- und Gruppenübungen mit drücken, stemmen, schieben, lehnen 55 • Bewusstmachung der Spannungsflusseigenschaften hohe und niedrige Intensität • Förderung der Auseinandersetzung mit den Antrieben stark und leicht Bei der Entwicklung eines sicheren Gefühls für RAUM scheinen alle Probandinnen keine vollständige Integration der Antriebselemente direkt und indirekt entwickelt zu haben. Bei der Hälfte der Probandinnen ist dies besonders deutlich, da sie den indirekten Raumantrieb so gut wie gar nicht nutzen. • Einfache Spiele in der Gruppe, die den Wechsel zwischen direkter und indirekter Aufmerksamkeit trainieren, wie zum Beispiel Ballspiele, • Bewusstmachung der Spannungsflusseigenschaften gleichbleibend und adaptierend, • Kreistänze mit Bewegungen in der horizontalen Fläche Grundsätzlich sind der Fantasie der Therapeutinnen und Therapeuten im Angebot der tanztherapeutischen Interventionen keine Grenzen gesetzt. Tanztherapie in Einzel- und Gruppenarbeit für Patientinnen mit Borderline Persönlichkeitsstörung soll gemäß den Ergebnissen die Gemeinsamkeiten, die Menschen mit dieser Diagnose auf der Bewegungsebene haben, aufgreifen und die individuellen Besonderheiten in der Symptomausprägung und vor allem in den Ressourcen berücksichtigen und wertschätzen, denn im Mittelpunkt der Betrachtung bleibt das Individuum und nicht die Diagnose. 56 Nachwort und Danksagung Während der Bearbeitung dieses umfangreichen Themas hatte ich mehrmals das Gefühl, im Detail verloren zu gehen. Die größte Herausforderung bei der Erstellung dieser empirischen Abschlussarbeit war, eine immense Fülle an Datenmaterial zu sichten, auszuzählen und sich bei der Auswertung immer wieder auf die Fragestellung zu konzentrieren und zu begrenzen. In der Regel werden derartige Studien von mehreren Personen ausgewertet. In diesem Fall war ich auf mich gestellt und verbrachte viele Stunden vor dem Bildschirm, um die einzelnen Bewegungsqualitäten im Sinne der Fragestellung auszuzählen und war mir oft nicht sicher, ob ich überhaupt noch auf dem richtigen Weg bin. Dreißig Minuten Videomaterial pro Probandin bieten eine Datenfülle, die für die Erstellung von mehreren Diplomarbeiten ausreichen würde. So war der Rahmen dieser Abschlussarbeit leider nicht groß genug, um der Komplexität des Themas in vollem Umfang gerecht zu werden. Je mehr ich mich mit dem Thema und der Auswertung des Datenmaterials beschäftigte, desto unmöglicher schien es mir, eine umfassende und vollständige Auswertung und Interpretation der einzelnen Bewegungsqualitäten zu erreichen. Das Videomaterial bietet die Möglichkeit, jede einzelne von mir bereits überprüfte Bewegungsqualität noch wesentlich tief gehender zu untersuchen. Aufgrund des begrenzten Rahmens musste ich leider auf die Auszählung der Spannungsflussrhythmen verzichten. Mir ist bewusst, dass die Ergebnisse der vorliegenden Abschlussarbeit aufgrund der geringen Stichprobe und der Tatsache, dass ich die Studie alleine vorbereitet, durchgeführt und die Ergebnisse ausgewertet und dargelegt habe, nicht repräsentativ sein kann. Ich hoffe deshalb, dass sich ein Forschungsteam findet, das der Fragestellung mithilfe einer repräsentativen Stichprobe auf den Grund gehen wird und auch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Spannungsflussrhythmen mit einbezieht. An dieser Stelle möchte ich mich in besonderem Maße bei den Probandinnen bedanken, die sich bereit erklärt hatten, mich bei meiner Abschlussarbeit zu unterstützen und bei meiner Pilotstudie mitzuwirken. Außerdem danke ich meinem früheren Vorgesetzten, Herrn Paul Wieland, und unserem Geschäftsführer, Herrn Jürgen Handschuch, die mir erlaubten, die Videoaufzeichnungen während meiner Arbeitszeit durchzuführen und mir Sonderurlaub für die Fertigstellung der Arbeit genehmigten. Besonders hervorheben möchte ich auch Susanne Bender, die mir in meiner Ausbildung zur Tanztherapeutin die Faszination der Bewegungsanalyse näher gebracht und mir bei der Auswertung des Datenmaterials den Rücken gestärkt hat. 57 Anhang Einverständniserklärung Im Rahmen der Ausbildung zur systemischen Tanztherapeutin wird Frau Tanja Burkhardt, Dipl. Sozialpädagogin am Landshuter Netzwerk e.V. eine wissenschaftliche Abschlussarbeit zum Thema Borderline Persönlichkeitsstörung verfassen. Hiermit erkläre ich, …................................, mich bereit, an dem Forschungsprojekt im Rahmen der Abschlussarbeit von Frau Tanja Burkhardt zum Thema Borderline Persönlichkeitsstörung als Analysandin teilzunehmen. Ich bin damit einverstanden, dass Frau Burkhardt eine 30 minütige Videoaufnahme von mir in Bewegung anfertigt und bewegungsanalytisch auswertet. Frau Burkhardt verpflichtet sich, dass diese Videoaufnahme ausschließlich für die Erstellung einer detaillierten Bewegungsanalyse verwendet und archiviert wird. Ausschließlich sie selbst und supervidierende Personen des Ausbildungsinstitutes werden die Aufnahme einsehen. In der Forschungsarbeit wird ein Pseudonym für meinen Namen verwendet, den ich mir selber aussuchen kann. Mit folgendem Vornamen möchte ich in der Abschlussarbeit Platz finden: …............................................................................................... ….......................................................................................... Ort, Datum, Unterschrift Analysandin …........................................................................................... Ort, Datum, Unterschrift Tanja Burhkardt 58 Einladung zur Videoaufzeichnung: Liebe <Name>, es ist soweit. Nachdem Du Dich bereit erklärt hast, an meinem Forschungsprojekt teilzunehmen, bekommst Du nun wichtige Informationen vorab. Das Wichtigste vorneweg: Du kannst nichts falsch machen! Du darfst einfach so da sein, wie Du bist und Dich bewegen, wieviel oder wie wenig Du magst oder Dich körperlich in der Lage fühlst. Alles ist erlaubt und erwünscht, solange ich Dich dabei filmen kann. Solltest Du aufgeregt sein, ist das absolut in Ordnung. Ich weiß, es ist eine ungewohnte und nicht alltägliche Situation. Ich werde Musik zu den Bewegungsaufgaben spielen und Dich durch die Videoaufzeichnung führen und begleiten. Das heißt, ich lade Dich zu einfachen Bewegungsaufgaben ein und begleite Dich dabei mit meiner Stimme. Gegen Ende der Sitzung darfst Du zu Deinem mitgebrachten Lieblingslied improvisieren, d.h. Dich bewegen, so wie Du magst. Termin für die Videoaufzeichnung: Bitte komm am Dienstag, den …................... um ….................... Uhr in die Herzog-Wilhelm-Str. 20, um Deine persönliche ca. 30min Bewegungssequenz aufzuzeichnen. Bei diesem Termin werden nur Du und ich anwesend sein. Mitzubringen: Trage bequeme Kleidung, in der Du Dich gut bewegen kannst und bring bitte eine CD oder Kassette mit einem persönlichen Lieblingslied mit. Ich freue mich sehr auf Deine Mitarbeit! Tanja Burkhardt Dipl. Sozialpädagogin (FH), Tanztherapeutin 59 Ablauf der Video-Session Datum und Uhrzeit:......................................................................................................... Name der Analysandin:................................................................................................... Pseudonym:…................................................................................................................. eigenes Musikstück:....................................................................................................... 1. Ankommen: 2-3 Minuten Raum wahrnehmen lassen 2. Steady Shot: 2 Minuten Stehen am Platz: Filmen von Vorne, von Hinten, von den beiden Seiten 3. Gehen: 2-3 Minuten schnell gehen, langsam gehen, in eigenem Tempo gehen, Wege gehen, vorwärts, rückwärts, seitwärts gehen 4. Bewegung mit Medium alleine: 5-10 Minuten Es liegen Medien bereit: Ball, Tuch, Stab Zu Musikstück (Peter Gabriel: Red Rain) nacheinander mit den drei Medien improvisieren; Musikstopp leitet Wechsel ein. 5. Aufgabe: 5-10 Minuten Gleiche Medien – Ball, Stab und Tuch und mit diesen Medien nacheinander in Beziehung; Musikstück: Cirque du Soleil: Ka, Forest 6. Aufgabe: 3-5 Minuten Eigenes Musikstück – freies Improvisieren mit dem mitgebrachten Musikstück und einem selbstgewählten Medium. Ingesamt 20-30 Minuten 60 Quellenverzeichnis Literatur Bender, Susanne (2007): Die psychophysische Bedeutung der Bewegung – ein Handbuch der Laban Bewegungsanalyse und des Kestenberg Movement Profile. Berlin: Logos Verlag Birger Dulz et al. (2009): Borderlinestörungen und Sexualität: Ätiologie- StörungsbildTherapie. 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