BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 1 BPI-Positionspapier Orphan Drugs (Arzneimittel für seltene Leiden) Compassionate Use Wirtschaftliche Anreize Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 2 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 1 Inhalt Inhalt Zusammenfassung _02 1. Einführung _04 2. Wirtschaftlichkeit _04 3. Zwangsabschlag und Festbetragsregelungen konträr zu wirtschaftlicher Privilegierung von Orphan Drugs _05 4. Regeln für die Förderung der Entwicklung von Orphan Drugs _06 5. Kriterien für Ausweisung als Orphan Drug: Verordnung (EG) 141/2000 _08 6. Committee for Orphan Medicinal Products (COMP) _08 7. Anreize für die Entwicklung von Orphan Drugs _09 8. Auswirkungen der EG-Kinderarzneimittelverordnung auf die Entwicklung von Orphan Drugs _11 9. Compassionate Use und schnelle Verfügbarkeit von Orphan Drugs für Patienten _11 10. Orphan Drugs erfüllen im Stadium der klinischen Prüfung per se die Bedingungen für Compassionate Use _13 11. Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV: Sozialgesetzbuch V (SGB V) _13 12. Auswirkungen auf die Sozialgesetzgebung (SGB V) _14 Glossar _16 B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 01 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 2 Zusammenfassung Zusammenfassung Orphan Drugs sind Arzneimittel für seltene Erkrankun- In Deutschland ist im Gegensatz zu anderen Mitglied- gen, die lebensbedrohlich oder schwerwiegend sind und staaten der EU trotz europäischer Vorgaben ein nationales für die bisher keine oder keine zufriedenstellenden Anreizsystem, das die Entwicklung und die klinische Prü- Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Meist sind Gende- fung im Bereich der Orphan Drugs fördert, nur in Ansätzen fekte die Ursache solcher Erkrankungen, so dass überpro- vorhanden. Es bedarf hier weiterer Aktivitäten, damit portional häufig Kinder und Neugeborene betroffen sind. Patienten in Deutschland schnelleren Zugang zu diesen Arzneimitteln erhalten und deutsche Unternehmen im euro- Obwohl sich die technischen Möglichkeiten zur Erfor- päischen Wettbewerb gleichberechtigt sind. Das deutsche schung von Medikamenten für derartige Erkrankungen Anreizsystem sollte Steuererleichterungen für Unterneh- gerade in den letzten Jahren enorm verbessert haben und men vorsehen, die an Orphan Drugs forschen. Außerdem deutlich mehr Forschungsaktivität in diesem wichtigen dürfen Orphan Drugs weder unter die Festbetragsregelung Bereich in Deutschland möglich wäre, rechnen sich diese fallen noch sollen sie der Zwangsabschlagregelung unterlie- Entwicklungen wegen der kleinen Marktvolumina unter gen. Die Schaffung von Anreizen zur Entwicklung von Or- regulären Marktbedingungen für Unternehmen ökonomisch phan Drugs ist vor allem für kleine und mittlere Unterneh- nicht, eine Amortisierung der Ausgaben für Forschung und men von entscheidender Bedeutung. Deren Förderung Entwicklung kann unter Marktbedingungen in der Regel sowie die Förderung der Forschung im Bereich seltener Lei- nicht erreicht werden. Von daher bedarf es für die Entwick- den stehen nicht erst seit der so genannten Lissabon-Stra- lung von Orphan Drugs besonderer Erleichterungen. tegie im besonderen Fokus der EU und ihrer Institutionen. Im BPI haben sich interessierte Unternehmen zusammengeschlossen und Vorschläge erarbeitet, um die 2. Kein Zweitmeinungsverfahren für Orphan Drugs Situation für die Entwicklung dieser Arzneimittel weiter zu verbessern und die möglichst frühzeitige und hinreichen- Orphan Drugs sind von der Anwendung des Zweit- de Verfügbarkeit dieser Therapien für Patienten in meinungsverfahrens generell auszunehmen. Deutschland zu erhalten und wo nötig auszubauen. Bei Orphan Drugs besteht in der Regel keine Folgende Themen sind dabei von besonderer Bedeutung: Behandlungsalternative, da das Fehlen einer zufriedenstellenden Behandlungsmöglichkeit eine Grundbedingung für die Ausweisung eines Arzneimittels als Orphan 1. Erhalt des bisherigen EU-Anreizsystems und Drug ist. Damit entfällt ein wichtiger Grund für die Über- Verbesserung des nationalen Anreizsystems in prüfung einer Verordnung eines Orphan Drugs durch Deutschland einen ärztlichen Zweitgutachter. Das Anreizsystem, das auf europäischer Ebene für Es kommt hinzu, dass die Diagnose einer seltenen die Entwicklung von Orphan Drugs mit der Verordnung Erkrankung nahezu ausschließlich von spezialisierten (EG) 141/2000 geschaffen worden ist, hat sich als sehr Ärzten in besonderen Zentren häufig im Umfeld von Uni- erfolgreich erwiesen und soll daher für die Zukunft in versitätskliniken gestellt wird, so dass bei seltenen der bisherigen Form erhalten bleiben. Erkrankungen auch eine Überprüfung der Diagnose nicht erforderlich ist, da der „Arzt für besondere Arznei- B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 02 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 3 Zusammenfassung mittel“ - der mögliche Zweitgutachter - in der Regel in cherung hinsichtlich der Verordnungsfähigkeit von Or- Bezug auf seltene Erkrankungen keine überlegene ärztli- phan Drugs im Rahmen des „Compassionate Use“ zu che Kompetenz aufweisen wird. Das Einholen einer Lasten der GKV erforderlich, damit Arzneimittel bedürfti- Zweitmeinung bei Orphan Drugs verursacht einen gen Patienten möglichst frühzeitig und in ausreichendem zusätzlichen bürokratischen Aufwand, dessen Zweck Maß zur Verfügung gestellt werden können. Dies ist auch fraglich ist und der in vielen Fällen zu einer verzögerten deshalb dringend erforderlich, damit die für die Therapie Versorgung für den betroffenen Patienten führt. von Patienten im Rahmen des „Compassionate Use“ anfallenden Kosten nicht von den gesetzlich krankenversicherten Patienten selbst getragen werden müssen, 3. Schaffung von verbesserten Rahmenbedin- weil entsprechende sozialrechtliche Regelungen fehlen. gungen für die Verordnungsfähigkeit von Orphan Drugs zu Lasten der GKV Patienten, die an seltenen Erkrankungen leiden, benötigen rasche Hilfe, da für sie meist keine Therapieal- Der „Compassionate Use“ - also die geduldete ternativen bestehen. Die Förderung der Forschung im Anwendung eines Arzneimittels vor der Zulassung aus Bereich Orphan Drugs ist daher von großem öffentlichen humanitären Erwägungen - ist seit dem Inkrafttreten der Interesse. Demzufolge ist es erforderlich, dass der 14. AMG-Novelle auch in Deutschland möglich. Dies Gesetzgeber für verlässliche politische Rahmenbedin- bedeutet, dass Orphan Drugs bedürftigen Patienten frü- gungen im Hinblick auf die Planungssicherheit für phar- her als bisher zur Verfügung gestellt werden können. Das mazeutische Unternehmen vor dem Hintergrund der lan- deutsche Sozialrecht sieht zurzeit aber nur in Ausnah- gen Entwicklungszeit eines Arzneimittels sorgt. Nur mefällen vor, dass Arzneimittel, die nicht zugelassen durch nachhaltige Konzepte kann auch auf Dauer dafür sind, zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung gesorgt werden, dass die Beforschung von Arzneistof- verordnet werden dürfen. Somit sind klare gesetzliche fen im Bereich der Orphan Drugs weiterhin attraktiv ist. Rahmenbedingungen für den Bereich der Sozialversi- B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 03 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 4 Einführung | Wirtschaftlichkeit 2. Wirtschaftlichkeit 1. Einführung Orphan Drugs (sog. Waisenkinder unter den Arznei- Die Wirtschaftlichkeit einer Arzneimittelentwicklung mitteln) werden Präparate genannt, die der Behandlung steht in direktem Bezug zur Marktgröße. Die Investitio- seltener und sehr seltener Erkrankungen dienen, die nen, die für die Entwicklung eines Arzneimittels - wel- lebensbedrohlich oder schwerwiegend sind und für die che sich über einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren es bisher keine oder keine zufriedenstellenden Behand- erstrecken kann - aufgebracht werden müssen, belau- lungsmethoden gibt. fen sich auf mehrere Hundert Millionen Euro. Diese Investitionen können normalerweise am Markt nur Dieses betrifft 5.000 bis 8.000 der rund 30.000 bis dann wieder erwirtschaftet werden, wenn die Arznei- heute bekannten Erkrankungen, wobei das Spektrum mittel für eine große Anzahl von Patienten bestimmt Stoffwechselstörungen, bestimmte Krebsformen, Infekti- sind, wie dies z. B. bei sogenannten Volkskrankheiten onskrankheiten der Fall ist. und neurologische Erkrankungen umfasst. Für viele der Erkrankungen sind die Krankheitsursachen nicht geklärt, so dass weniger als 1.000 der Aufgrund der kleinen Märkte von Orphan Drugs ist bekannten seltenen Erkrankungen - häufig die mit höchs- es unter regulären Bedingungen für Unternehmen ter Prävalenz - von einem Minimum an Therapiemaßnah- wenig attraktiv, Arzneimittel für seltene Erkrankungen men profitieren können. Bei etwa 80 % der Erkrankungen zu entwickeln, da eine Amortisierung der Forschungs- liegen Gendefekte zugrunde, so dass überproportional und Entwicklungsausgaben (F&E-Ausgaben) kaum häufig Kinder und Neugeborene betroffen sind. erreicht werden kann. Vor diesem Hintergrund bedarf es für die Entwicklung von Orphan Drugs besonderer Es ist das Recht von Patienten mit seltenen Erkran- Erleichterungen. kungen gleichermaßen mit wirksamen und sicheren Arzneimitteln versorgt zu werden, wie Patienten, die an einer Solche Anreize müssen auch für kleine und mittlere weit verbreiteten Krankheit leiden. Für den einzelnen Unternehmen (KMU), insbesondere aus der Biotech- Patienten ist es nicht relevant, ob seine Erkrankung sel- nologie, attraktiv sein. Diese arbeiten bevorzugt in ten auftritt. Aus diesem Grund sind Politik, Krankenkas- dem genannten Bereich. Die Förderung von KMU sen und Pharmaindustrie gefordert, dafür Sorge zu tra- steht nicht zuletzt seit der Lissabon-Strategie, die gen, dass auch diesen Patienten die notwendigen The- Europa bis 2010 zukunftsfähig machen soll, in der EU rapien zur Verfügung stehen. im besonderen Fokus. Wegen der lang dauernden Entwicklungsprozesse ist es für pharmazeutische Unternehmen von größter Bedeutung, sich in einem klaren politischen Umfeld mit verlässlichen Rahmenbedingungen zu bewegen, da eine wirtschaftlich zuverlässige Planung sonst kaum möglich ist. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 04 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 5 Zwangsabschlag 3. Zwangsabschlag und Festbetragsregelungen konträr zu wirtschaftlicher Privilegierung von Orphan Drugs Die Erhebung eines Zwangsabschlags auf Orphan Bei der ärztlichen Verordnung eines Orphan Drug Drugs in Deutschland steht - unabhängig von dessen ist jedoch das Einholen einer Zweitmeinung nicht sinn- Höhe - in deutlichem Widerspruch zur Intention des voll und damit entbehrlich. Bei Orphan Drugs besteht europäischen Gesetzgebers, Anreize für die Entwick- in der Regel keine Behandlungsalternative, da - wie lung von Orphan Drugs zu schaffen. Mit einer solchen bereits dargestellt - das Fehlen einer zufriedenstellen- Regelung wird die wirtschaftliche Privilegierung dieser den Behandlungsmöglichkeit eine Grundbedingung Arzneimittelgruppe durch das Europäische Gemein- für die Ausweisung eines Arzneimittels als Orphan schaftsrecht teilweise zunichte gemacht. Drug ist. Damit entfällt ein wichtiger Grund für die Überprüfung einer Verordnung eines Orphan Drug Ebenso sind Festbetragsregelungen bei Orphan durch einen ärztlichen Zweitgutachter. Drugs verfehlt. Diese Art von Arzneimitteln kann per se nicht in den Anwendungsbereich der Festbetragsrege- Das Zweitmeinungsverfahren macht grundsätzlich lung fallen, da eine zehnjährige Marktexklusivität nur dann Sinn, wenn gleichzeitig ein weiteres Arznei- gewährleistet ist. Selbst nach Ablauf dieser Marktex- mittel mit geringeren Jahrestherapiekosten zur Verfü- klusivität werden sich zur Behandlung eines seltenen gung steht, das für die Behandlung ebenfalls geeignet Leidens kaum mehrere Arzneimittel finden, die für die ist. Wenn aber keine geeignete Therapiealternative Behandlung derselben Krankheit zugelassen sind. besteht, kann eine zugelassene Therapie dem Patien- Sollten mehrere Präparate vorhanden sein, so unter- ten nicht vorenthalten werden. scheiden sich diese in der Regel durch unterschiedliche therapeutische Ansätze, sind daher nicht aus- Weiteres Ziel des im SGB V verankerten Zweitmei- tauschbar und für die Bildung von Festbetragsgrup- nungsverfahrens ist die Sicherstellung eines indikations- pen nicht geeignet. gerechten Einsatzes hochpreisiger bzw. risikoreicher Arzneimittel. Dies wird bei Orphan Drugs bereits jedoch durch Die Einbeziehung von Orphan Drugs in das Verfah- Zuerkennung des besonderen Status sichergestellt, da ren zur Verordnung „besonderer Arzneimittel“ („Zweit- diese Arzneimittel speziell für die Behandlung einer meinungsverfahren“) kann das gesetzgeberische Ziel, bestimmten seltenen Erkrankung entwickelt werden. die Therapiequalität bei der Anwendung von Spezialpräparaten zu verbessern, prinzipiell nicht verwirkli- Hinzu kommt, dass die Diagnose einer seltenen chen. Das so genannte Zweitmeinungsverfahren wird Erkrankung nahezu ausschließlich von spezialisierten in § 73d SGB V geregelt. Es besagt, dass der behan- Ärzten in besonderen Zentren häufig im Umfeld von delnde Arzt bei der Verordnung „besonderer Arznei- Universitätskliniken gestellt wird, so dass bei seltenen mittel“ einen zweiten Arzt hinzuziehen muss. Der Erkrankungen auch eine Überprüfung der Diagnose Gesetzgeber definiert „besondere Arzneimittel“ im Sin- nicht erforderlich ist, da der „Arzt für besondere Arznei- ne des § 73d SGB V als „Spezialpräparate mit hohen mittel“ - der potenzielle Zweitgutachter - in der Regel in Jahrestherapiekosten oder mit erheblichem Risikopo- Bezug auf seltene Erkrankungen keine überlegene tential“. Orphan Drugs könnten damit unter die ärztliche Kompetenz aufweisen wird. Bestimmungen von § 73d SGB V fallen, da diese Arzneimittel infolge der nur geringen Patientenkollektive Orphan Drugs sind aus den genannten Grün- meist hochpreisig sind. den von der Anwendung des Zweitmeinungsverfahrens generell auszunehmen. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 05 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 6 Zwangsabschlag | Regeln für die Förderung der Entwicklung 4. Regeln für die Förderung der Entwicklung von Orphan Drugs Um den wirtschaftlichen Nachteil der Orphan Drugs Zwangsabschläge, Diskussionen zu Fest- zu kompensieren, haben das Europäische Parlament beträgen und zur Anwendung des Zweitmei- und der Rat die Verordnung (EG) 141/2000 für Orphan nungsverfahrens auf Orphan Drugs oder ähn- Drugs erlassen. Diese verfolgt das Ziel, Anreize für die liche Eingriffe in den Markt gefährden nicht nur Erforschung, Entwicklung und das Inverkehrbringen die Versorgung der Patienten, sondern auch von Arzneimitteln für seltene Leiden zu schaffen und innovative Ansätze von Pharma- und Biotech- ein Gemeinschaftsverfahren für die Ausweisung von unternehmen, die auf diesem Feld tätig sind. Arzneimitteln als Orphan Drug festzulegen. Solche nationalen Regelungen stellen die Versorgung der Patienten in Deutschland mit inno- Seit Januar 2000 ist diese Verordnung direkt in allen vativen Orphan Drugs in Frage, nehmen den Mitgliedstaaten rechtlich wirksam. Mit der Verordnung Pharma- und Biotechunternehmen in Deutsch- wurden in der EU für pharmazeutische Unternehmen land die Möglichkeit, sich auch zukünftig auf in etwa vergleichbare Anreize geschaffen, wie sie sich diesem Gebiet zu engagieren und benachteili- im internationalen Umfeld schon lange bewährt hatten gen sie gegenüber Unternehmen in anderen und dort auch Forschung & Entwicklung für Orphan EU-Mitgliedstaaten. Drugs vorangebracht haben: Solche Regelungen konterkarieren zudem die • US: „Orphan Drug Act“ 1983 Absichten der Lissabon-Strategie, die im März 2005 • Japan: „Orphan Drug Legislation“ 1993 vom Europäischen Rat neu belebt worden ist und nun • Singapore: „Orphan Legislation“ 1997 noch stärker als bisher auf die Bereiche Wachstum • Australien: „Orphan Legislation“ 1998 und Beschäftigung fokussiert. Status von Anträgen auf Ausweisung als Orphan Drug bei der EMEA - Stand: Juli 2008 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Total Eingereichte Anträge 72 83 80 87 108 118 104 125 54 831 Positive COMP Stellungnahmen 26 64 43 54 75 88 81 97 45 573 Ausweisungen durch die 14 64 49 55 72 88 80 98 32 552 0 1 3 1 4 0 2 1 0 12 6 27 30 41 22 30 20 19 20 215 EU-Kommission Endgültige negative COMP Stellungnahmen Zurückgezogene Anträge Quelle: EMEA B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 06 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 7 Regeln für die Förderung der Entwicklung Mit dieser europäischen Verordnung über Arzneimit- Die einzelnen Mitgliedstaaten der EU sind darüber hinaus aufgefordert, spezifische nationale Anreize für die Entwicklung von Orphan Drugs zu schaffen. Der COMP hat dazu Ansätze vorgeschlagen wie: tel für seltene Leiden wurden die ersten wichtigen positiven Schritte getan, um den industriepolitischen Standortnachteil für die europäische pharmazeutische Industrie im Bereich der Beforschung seltener Erkran- • Gebührenverzicht, kungen zu reduzieren. • Forschungsförderung, • Steuernachlässe, Dieses kommt den Patienten in den europäischen • unterstützende Politik bei der Preisfindung Mitgliedstaaten unmittelbar zugute, weil auf diesem und Kostenübernahme sowie Weg wirksame Arzneimittel gegen ihre Leiden von der • Gründung eines nationalen Präsidiums für Orphan Industrie gezielter entwickelt werden können. Drugs, um die zum Teil mangelhafte Vernetzung zwischen behandelnden Ärzten, Kliniken und Industrie und Universitäten haben diesen neuen Forschungseinrichtungen zu verbessern. Ansatz positiv aufgegriffen: Inzwischen liegen 552 Ausweisungen (Designations) und 46 Zulassungen für Orphan Drugs vor (Stand: Juli 2008). Die überwiegen- Da Steuernachlässe, wie sie z. B. in den USA de Mehrheit der als Orphan Drug ausgewiesenen Arz- gewährt werden, wegen der Zuständigkeit der einzel- neimittel betrifft die folgenden Therapiegebiete: nen Mitgliedstaaten auf Ebene der EU nicht möglich sind, ist hier in Deutschland eher an steuerliche Anrei- • Krebs (36 %) ze zu denken, aber auch an weitere Maßnahmen, wie • Stoffwechselstörungen (21 %) beispielsweise eine Verbesserung bzw. Vereinfachung • Immunsystemstörungen (11 %) der Kostenübernahme durch die gesetzliche Kranken- • Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen (12 %) versicherung. (Stand: April 2005) 1 1 Commission Staff Working Document on the experience acquired as a result of the application of Regulation (EC) No 141/2000 on orphan medicinal products and account of the public health benefits obtained Document on the basis of Article 10 of Regulation (EC) No 141/2000. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 07 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 8 Kriterien | COMP 5. Kriterien für Ausweisung als 6. Committee for Orphan Orphan Drug: Verordnung (EG) 141/2000 Medicinal Products (COMP) Um Missbrauch dieser Verordnung auszuschließen, Innerhalb der EMEA wurde ein Ausschuss für Arz- wurden in Europa spezifische Kriterien für die Auswei- neimittel für seltene Leiden (COMP) eingerichtet, der sung eines Arzneimittels als Orphan Drug angelegt, die dafür verantwortlich ist, die Anträge für eine Auswei- wissenschaftlich zu belegen sind. sung als Orphan Drug zu überprüfen und gemäß der Verordnung (EG) 141/2000 ein Gutachten zu erstellen, So muss der Ansatz für eine Entwicklung medizi- aufgrund dessen die EU-Kommission die Ausweisung nisch plausibel sein und es muss sich um eine lebens- als Orphan Drug erteilen kann. rettende oder eine dauerhafte Behinderung vermindernde Maßnahme handeln. Hinzu kommt, dass nicht Dieser Ausschuss umfasst pro Mitgliedstaat ein Mit- eine bereits zufriedenstellende Therapie in der EU glied, insgesamt derzeit 39 Mitglieder und einen Vor- bestehen darf bzw. dass der Nachweis erbracht wer- sitzenden sowie einen Stellvertreter. Darunter sind den muss, dass das neue Arzneimittel den betroffenen auch zwei Vertreter von Patientenorganisationen, die Patienten einen erheblichen Nutzen (significant bene- von der EU-Kommission benannt werden, ein Vertreter fit) bringt. Dies ist eine Forderung, die es in den USA in der Europäischen Kommission, zwei nicht abstim- dieser Form nicht gibt. mungsberechtigte Mitglieder, die durch EWR-Mitgliedstaaten nominiert werden, drei von der EU-Kommissi- Als epidemiologisches Kriterium für die EU gilt, dass on auf Empfehlung der EMEA benannte Mitglieder, eine Prävalenz von höchstens fünf Patienten von sowie vier allgemeine Beobachter. 10.000 Personen gefordert wird, d. h. in der EU dürfen zur gleichen Zeit nicht mehr als fünf von 10.000 EU- Über seine oben angegebene Aufgabe hinaus ist Bürgern von der Krankheit betroffen sein. der COMP aber auch mit wissenschaftlichen und politischen Aufgaben betraut: So wirkt er beratend für die Darüber hinaus können auch wirtschaftliche Krite- EU-Kommission, wie z. B. bei der Weiterentwicklung rien, wie die fehlende Möglichkeit mit dem betreffen- von detaillierten Leit- und Richtlinien oder bei Verein- den Arzneimittel aufgrund zu geringer Patientenzahlen barungen mit Patienten- und anderen Gruppen, und eine ausreichende Rendite (return on investment) zu baut internationale Kooperationen auf. erwirtschaften, bei der Entscheidung über den Orphan Drug-Status Berücksichtigung finden, wenn die Prävalenzzahlen überschritten sind. Seit November 2007 können Antragsteller, die eine Ausweisung als Orphan Drug sowohl in Europa als auch in Amerika beabsichtigen, einen gemeinsamen Antrag bei EMEA und der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA stellen, der jedoch durch beide Einrichtungen unabhängig voneinander bewertet wird. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 08 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 9 Anreize 7. Anreize für die Entwicklung von Orphan Drugs Angebote von Seiten der EU • Genehmigung vorbehaltlich der Verpflichtung des Antragstellers zur Schaffung von Verfahren, die die Die Liste der Anreize umfasst unter anderem die fol- Sicherheit des Arzneimittels, die Information der genden Punkte (z. T. nicht spezifisch für Orphan Drugs): zuständigen Behörde über alle Zwischenfälle im Zusammenhang mit der Verwendung und die zu • Seit November 2005 ist die zentrale Zulassung ergreifenden Maßnahmen betreffen („authorisation verbindlich für Orphan Drugs under exceptional circumstances“), gemäß der Verordnung (EG) 726/2004, Art. 14 (8)4 • Zehn Jahre Marktexklusivität (12 Jahre bei Orphan Drugs, die auch Kinderarzneimittel sind)* • Unterstützung bei der Erstellung des Prüfplans und des Zulassungsantrags, z. B. Scientific advice und 2 Protokoll-Assistenz, ohne dass Gebühren erhoben die für die öffentliche Gesundheit und insbesondere unter dem Gesichts- werden punkt der therapeutischen Innovation von hohem Interesse sind, kann Artikel 14 (9) der Verordnung (EG) 726/2004: Für Humanarzneimittel, • Reduzierte Gebühren für Antragstellung sowie für der Antragsteller bei Einreichen des Antrags auf Erteilung der Genehmi- Maßnahmen vor und nach der Zulassung z. B. gung für das Inverkehrbringen ein beschleunigtes Beurteilungsverfahren Inspektionen und jährliche Gebühren (nur für kleine beantragen. Dieser Antrag ist gebührend zu begründen. Kommt der und mittlere Unternehmen möglich) Ausschuss für Humanarzneimittel diesem Antrag nach, so verkürzt sich • Direkte Forschungsförderung aus dem die in Artikel 6 (3) Unterabsatz 1 vorgesehene Frist auf 150 Tage. 7. FRP (2007 - 2013) 3 • Beschleunigtes Beurteilungsverfahren (Fast Track Procedure), gemäß der Verordnung (EG) 726/2004, Art. 14 (9) Artikel 14 (7) der Verordnung (EG) 726/2004: Nach Konsultation des Antragstellers kann eine Genehmigung vorbehaltlich besonderer Bedin- 2 gungen erteilt werden, die jährlich von der Agentur neu beurteilt werden. • Genehmigung vorbehaltlich besonderer Bedin- Die Liste dieser Bedingungen wird öffentlich zugänglich gemacht. Ab- gungen („conditional marketing authorisation“), weichend von Absatz 1 ist diese Genehmigung ein Jahr gültig und ver- gemäß Verordnung (EG) 726/2004, Art. 14 (7) 3 längerbar. Die Kommission erlässt die Durchführungsbestimmungen für die Erteilung dieser Genehmigung in einer Verordnung nach dem in Artikel 87 Absatz 2 genannten Verfahren. * Artikel 8 4 (2) der Orphan Drugs-Verordnung ermöglicht es, Bedingun- Artikel 14 (8) der Verordnung (EG) 726/2004: In Ausnahmefällen und gen festzulegen, unter denen die ursprünglich gewährte Marktexklusivi- nach Konsultation des Antragstellers kann eine Genehmigung vorbe- tät von zehn Jahren nach dem Ablauf des fünften Jahres auf sechs haltlich der Verpflichtung des Antragstellers erteilt werden, besondere Jahre reduziert werden kann. Mit dem Entwurf einer Guideline zur Redu- Verfahren zu schaffen, die insbesondere die Sicherheit des Arzneimit- zierung der Marktexklusivität gemäß Artikel 8 der Orphan Drug-Verord- tels, die Information der zuständigen Behörden über alle Zwischenfälle nung hat die EU-Kommission diese Möglichkeit der Orphan Drug-Ver- im Zusammenhang mit seiner Verwendung und die zu ergreifenden ordnung genutzt. Es wird festgelegt, dass, wenn das Kriterium für die Maßnahmen betreffen. Diese Genehmigung kann nur aus objektiven Gewährung der Ausweisung als Orphan Drug die Prävalenz gewesen ist, und nachprüfbaren Gründen erteilt werden und muss auf einem der in auch nur eine Erhöhung der Prävalenz ein mögliches Kriterium sein kann, Anhang I der Richtlinie 2001/83/EG genannten Motive beruhen. Die um die Marktexklusivität von zehn auf sechs Jahre zu reduzieren. Wirt- Aufrechterhaltung der Genehmigung ist von der jährlichen Neubeurtei- schaftliche Aspekte dürfen in diesem Fall keine Rolle spielen. lung dieser Bedingungen abhängig. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 09 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 10 Anreize Übersicht der Anreize in den EU-Mitgliedstaaten Da in vielen Mitgliedstaaten der EU bereits Bisher haben die einzelnen Mitgliedstaaten in unter- nationale Anreizsysteme für die Entwicklung schiedlicher Form auf die in der Orphan Drug-Verord- von Orphan Drugs gewährt werden, sollten nung enthaltene Aufforderung reagiert, spezifische auch in Deutschland solche Instrumente zur Anreize für die Forschung und Entwicklung von Or- Verfügung stehen. Steuerliche Anreize für For- phan Drugs zu schaffen, so dass es inzwischen in den schungs- und Entwicklungsaktivitäten einer- einzelnen Mitgliedstaaten der EU - trotz einheitlicher seits sowie die Reduzierung der Gebühren für Verordnung - für Unternehmen, die Orphan Drugs ent- die Beantragung von klinischen Prüfungen für wickeln und vermarkten, spezifische Vor- und Nachtei- ein als Orphan Drug ausgewiesenes Arznei- le gibt. Auch der Zugang von Patienten zur dringend mittel bei den deutschen Bundesoberbehör- notwendigen Therapien ist EU-weit uneinheitlich. den andererseits stellen beispielsweise geeignete Instrumente dafür dar. Einige Mitgliedstaaten gewähren steuerliche Vorteile für die Forschung und die Industrie, wie z. B. Frankreich und die Niederlande für Start-up-Unternehmen. Außerdem wurden auf nationaler Ebene in vielen EU-Mitgliedstaaten Förderprogramme für die Forschung an seltenen Erkrankungen eingerichtet sowie Netzwerke, die Expertenwissen und Ressourcen koordinieren z. B. E-RARE, an dem auch Deutschland beteiligt ist. In vielen EU-Mitgliedstaaten wurden klinische Exzellenzzentren für seltene Erkrankungen geschaffen. In diesem Zusammenhang ist auch die europäische Online-Datenbank seltener Erkrankungen ORPHANET zu erwähnen. In einigen Mitgliedstaaten (z. B. Niederlande und UK) findet eine Förderung von Patientenorganisationen statt. Die Beantragung von klinischen Studien mit Orphan Drugs ist in Schweden für bestimmte Sponsoren von Gebühren ausgenommen. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 10 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 11 EG-Kinderarzneimittelverordnung | Compassionate Use 8. Auswirkungen der 9. Compassionate Use und EG-Kinderarzneimittelverordnung auf die Entwicklung von Orphan Drugs schnelle Verfügbarkeit von Orphan Drugs für Patienten Etwa 50 % der bekannten seltenen Erkrankungen Nach der Definition in Artikel 83 Absatz 2 der Verord- 5 treten bei Kindern auf . Bei den Betroffenen handelt es nung (EG) 726/2004 bedeutet „Compassionate Use“, sich vielfach um Kinder, die das Erwachsenenalter nicht dass ein nicht zugelassenes Arzneimittel aus humanitä- erreichen. Daher besteht im Bereich der Orphan Drugs ren Erwägungen einer Gruppe von Patienten zur Verfü- ein besonderer Bedarf für diese Patientengruppe. gung gestellt wird, die an einer zur Invalidität führenden chronischen oder schweren Krankheit leiden, oder deren Die Europäische Union ist dem besonderen Bedarf Krankheit als lebensbedrohend gilt. Weitere Vorausset- nach Arzneimitteln für Kinder mit der Verordnung (EG) zung ist, dass diese Patienten mit einem bereits geneh- 1901/2006, die am 26. Januar 2007 in Kraft getreten migten Arzneimittel nicht zufriedenstellend behandelt ist, begegnet. Diese Verordnung enthält in Artikel 37 werden können. Für das betreffende Arzneimittel muss einen zusätzlichen Anreiz für die Entwicklung von Or- darüber hinaus entweder ein Zulassungsantrag vorlie- phan Drugs für Kinder in Form der Erweiterung der gen, oder es muss Gegenstand einer noch nicht abge- Marktexklusivität von zehn auf 12 Jahre bei der Durch- schlossenen klinischen Prüfung sein. führung von klinischen Prüfungen mit Kindern in Übereinstimung mit einem vorher festzulegenden pädiatrischen Prüfplan (PIP)6. Aus einem Bericht der Europäischen Kommission ist zu entnehmen, dass allein in den ersten fünf Jahren seit dem Inkrafttreten der Orphan Drugs-Verordnung 54 % der Orphan Drug-Ausweisungen potenzielle Arzneimittel für Kinder betrafen: 5,7 davon waren 11 % ausschließlich für Kinder und 43 % 7 für Erwachsene und Kinder (Stand: April 2005) . Commission Staff Working Document on the experience acquired as a result of the application of Regulation (EC) No 141/2000 on orphan medicinal products and account of the public health benefits obtained Document on the basis of Article 10 of Regulation (EC) No 141/2000. 6 8 Artikel 37 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006: Wird ein Genehmigungs- § 21 Abs. 2 AMG: Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die antrag für ein Arzneimittel gestellt, das nach der Verordnung (EG) Nr. […] 6. unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 141/2000 als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen ist, und bein- genannten Voraussetzungen für eine Anwendung bei Patienten zur haltet dieser Antrag die Ergebnisse aller Studien, die entsprechend einem Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung gebilligten pädiatrischen Prüfkonzept durchgeführt wurden, und wird die führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend Erklärung nach Artikel 28 Absatz 3 anschließend in die gewährte Geneh- ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufriedenstellend migung aufgenommen, so wird die zehnjährige Frist nach Artikel 8 Absatz behandelt werden können; Verfahrensregelungen werden in einer 1 der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 auf zwölf Jahre verlängert. Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt. Absatz 1 gilt auch, wenn die Ausführung des gebilligten pädiatrischen Auszug aus der Gesetzesbegründung zu § 21 Abs. 2: Bei Arzneimitteln Prüfkonzepts nicht zur Genehmigung einer pädiatrischen Indikation zur Behandlung seltener Erkrankungen, die im Rahmen des entspre- führt, die Studienergebnisse jedoch in der Zusammenfassung der chenden Verfahrens der Europäischen Arzneimittel-Agentur den Status Merkmale des Arzneimittels und gegebenenfalls in der Packungsbeila- als „Orphan Drug“ erlangt haben, ist dies bei den Regelungen zum ge des betreffenden Arzneimittels wiedergegeben werden. „Compassionate Use“ entsprechend zu berücksichtigen. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 11 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 12 Compassionate Use Der Leidensdruck von Patienten mit seltenen und Die Neuregelung gilt für die in der EG-Verordnung auf- schweren Erkrankungen - und bei Kindern und Neuge- geführten Kriterien. In einer Rechtsverordnung nach borenen auch von deren Eltern - ist sehr hoch, solange § 80 AMG sollen zur näheren Ausgestaltung Verfah- es noch keine zugelassenen Arzneimittel für die jeweili- rensregelungen festgelegt werden. Da bisher keine gen Erkrankungen gibt. Bei diesen Patienten besteht Rechtsverordnung nach § 80 AMG vorliegt, hat das daher ein besonderes Interesse, dass sie schon vor der Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Zulassung und ggf. auch außerhalb laufender klinischer (BfArM) zurzeit keine Rechtsbefugnis über "Compas- Prüfungen von Orphan Drugs mit diesen für sie wichti- sionate Use"-Programme zu entscheiden. gen Präparaten versorgt werden. Folgende Kriterien sollten gemäß einer VeröffentliFür diese Fälle haben bereits eine Reihe von Mitglied- chung des BfArM auf der Website des Instituts vor der staaten spezifische nationale Programme aufgestellt, Durchführung eines „Compassionate Use“-Programms um Entwicklungsprodukte, die sich noch in der klini- erfüllt sein: schen Erprobung befinden, unter bestimmten Voraussetzungen den bedürftigen Patienten vor der Zulas- 1. Vorliegen eines Nachweises, dass die Patienten an sung zur Verfügung stellen zu können. Solche nationa- einer lebensbedrohenden oder zu einer schweren len „Compassionate Use“-Programme stellen in den Behinderung führenden Krankheit leiden. jeweiligen Staaten auf unterschiedlichen Wegen sicher, 2. Vorliegen eines Nachweises, dass es keine zufrie- dass bestimmte Patienten, entweder auf „named denstellende alternative Therapiemöglichkeit mit patient“-Basis oder auf „cohort of patient“-Basis einem in der EU zugelassenen Arzneimittel gibt. Zugang zu neuen, vielversprechenden Arzneimitteln 3. Vorliegen eines Nachweises, dass das betreffende vor der Zulassung haben, wie es in den USA bereits seit Arzneimittel entweder Gegenstand eines 1987 der Fall ist. Zulassungsantrags oder Gegenstand einer noch nicht abgeschlossenen klinischen Prüfung ist. Der „Compassionate Use“ war in der Vergangenheit 4. Berücksichtigung der "Guideline on Compassionate bis zur 14. AMG-Novelle im deutschen Arzneimittelge- Use of Medicinal Products, Pursuant to Article 83 of setz (AMG) nicht geregelt. Eine Anwendung nicht zuge- Regulation (EC) No 726/2004". lassener Arzneimittel in Deutschland war nur im Rah- 5. Zum Nachweis einer Wirksamkeit in der vorgese- men einer klinischen Prüfung oder eines gesetzlichen henen Indikation und Sicherheit der Behandlung - Notstandes möglich. Mit der 14. Novelle zum Arznei- Vorhandensein geeigneter Dokumente, z. B. aktuelle mittelgesetz erfolgte die Einführung des „Compassio- "Investigator's Brochure" (Prüferinformation) mit den nate Use“ in das deutsche Arzneimittelrecht. Unter für die Anwendung relevanten klinischen und nicht- Umsetzung der Bestimmungen des europäischen klinischen Daten (Studiendaten). Rechts in Übereinstimmung mit der Verordnung (EG) 6. Definition von Ein- und Ausschlusskriterien sowie 726/2004 wurden in § 21 Abs. 2 Ziffer 6 AMG die recht- ggf. Abbruchkriterien für das "Compassionate Use"- lichen Voraussetzungen für Sonderregelungen zur vor- Programm. zeitig geduldeten Anwendung eines noch nicht zuge- 7. Maßnahmen zur Pharmakovigilanz im lassenen Arzneimittels aus humanitären Erwägungen "Compassionate Use"-Programm. 8 („Compassionate Use“) geschaffen (siehe Seite 11). B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 12 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 13 Klinische Prüfung | Verordnungsfähigkeit 10. Orphan Drugs erfüllen im 11. Verordnungsfähigkeit zu Stadium der klinischen Prüfung per se die Bedingungen für Compassionate Use Lasten der GKV: Sozialgesetzbuch V (SGB V) Die Definition der Bedingungen für den „Compas- Die Verordnungsfähigkeit von nicht zugelassenen sionate Use“ in der Verordnung (EG) 726/2004 und der oder in der jeweiligen Indikation nicht zugelassenen Bedingungen zur Erlangung der Ausweisung als Or- Arzneimitteln zu Lasten der GKV ist derzeit im SGB V phan Drug gemäß der Verordnung (EG) 141/2000 sind nicht hinreichend geregelt. Als nicht zugelassen kom- - bis auf die Festlegung einer Höchstgrenze der von men Arzneimittel in Frage, die der Krankheit betroffenen Menschen auf weniger als fünf von 10.000 Bürgern der EU im Falle von Orphan • im Rahmen des „Compassionate Use“ eingesetzt Drugs - identisch. werden (seit Verabschiedung der 14. AMG-Novelle gemäß § 21 Abs. 2 Ziff. 6); siehe auch Kapitel 9 und 10, Aus diesem Grund sollte in den Fällen, in • als Einzelimporte gemäß § 73 Abs. 3 AMG denen der bei der Europäischen Arzneimit- eingeführt werden, telagentur angesiedelte Ausschuss für Arz- • im Off-Label-Use verwendet werden, d. h. außerhalb neimittel für seltene Leiden Committee for einer bereits zugelassenen Indikation eingesetzt Medicinal Products for Human Use (COMP) werden. die Ausweisung als Orphan Drug erteilt hat, gleichzeitig ohne eine weitere Prüfung durch Die Behandlung eines Patienten mit einem nicht den CHMP oder durch eine nationale Behör- zugelassenen Arzneimittel in klinischen Prüfungen de eines Mitgliedstaates, zumindest aber dient vorwiegend der Forschung; dagegen dient die mittels eines deutlich vereinfachten Verfah- Anwendung eines Arzneimittels im Off-Label-Use und rens, ein „Compassionate Use“ auf nationa- beim „Compassionate Use“ - aber auch bei Einzelim- ler Ebene bewilligt werden. porten - der Therapie von Patienten. Für die Erlangung einer Ausweisung als Orphan Beim Einsatz eines Medikaments im Rahmen des Drug sind bereits umfassende Unterlagen vorzulegen, „Compassionate Use“ handelt es sich um die Behand- dabei ist auch immer nachzuweisen, dass das Arznei- lung eines Patienten mit einem Arzneimittel, das ent- mittel zur Diagnose, Verhütung oder Behandlung eines weder in der klinischen Prüfung angewendet wird oder Leidens bestimmt ist, das lebensbedrohend ist oder für das bereits ein Zulassungsantrag gestellt wurde. eine chronische Invalidität nach sich zieht. Der Einsatz muss medizinisch plausibel und ein therapeutischer Bei der Behandlung von Patienten mit seltenen Lei- (Mehr-)Nutzen muss zu erwarten sein. den sind ein „Compassionate Use“, Einzelimporte und Off-Label-Use von besonderer Bedeutung, weil die Somit sind alle Punkte, die zur Erlangung des „Com- Erkrankungen lebensbedrohlich oder schwerwiegend passionate Use“-Status zu erfüllen sind, im Rahmen sind, und anderweitig nicht oder nicht zufriedenstel- des Verfahrens zur Erteilung der Ausweisung als Orp- lend behandelbar sind. Auch für diese bei ihr versi- han Drug bereits vom COMP geprüft worden. Doppel- cherten Patienten hat die gesetzliche Krankenversi- prüfungen der Antragsgrundlagen sind überflüssig, da cherung (GKV) die Aufgabe, die Gesundheit zu erhal- sie keine neuen Erkenntnisse bringen und den Zugang ten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszu- der betroffenen Patienten zu der dringend benötigten stand zu verbessern (§ 1 SGB V). Dabei ist zwar Therapie verzögern. einerseits das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten, B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 13 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 14 Verordnungsfähigkeit | Auswirkungen auf die Sozialgesetzgebung 12. Auswirkungen auf die Sozialgesetzgebung (SGB V) d. h. die Leistungen müssen ausreichend, zweckmä- Gerade für Orphan Drugs, die definitionsgemäß der ßig und wirtschaftlich sein (§ 12 SGB V), andererseits Behandlung seltener und sehr seltener lebensbedroh- ist aber auch das Humanitätsgebot des § 70 SGB V zu licher und anderer sehr schwerer Erkrankungen die- 9 berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat nen, sind sowohl der Einsatz im Rahmen des „Com- aus den Grundrechten hergeleitet, dass ein Patient passionate Use“ als auch die Verordnungsfähigkeit zu nicht von einer bestimmten Behandlungsmethode Lasten der GKV vor der Zulassung von großer Bedeu- durch die GKV ausgeschlossen werden darf, tung. Wie bereits aufgeführt, erfüllen Orphan Drugs die Voraussetzung des „Compassionate Use“. Sie sollten • wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar den betroffenen Patienten frühestmöglich zur Verfü- regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet und gung gestellt werden, um einen möglichst raschen • keine schulmedizinische Behandlung vorliegt und Therapiebeginn zu gewährleisten. • die gewählte Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte und nicht ganz fernliegende Aussicht auf Seit dem Inkrafttreten der 14. AMG-Novelle können Heilung oder noch nicht zugelassene Arzneimittel im Rahmen des • die gewählte Behandlungsmethode wenigstens eine „Compassionate Use“ in der Therapie eingesetzt werden. spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsver- Auf der Grundlage des Beschlusses des Bundesverfas- lauf verspricht. sungsgerichts und der Folgeentscheidungen des BSG müssen Patienten, die in der gesetzlichen Krankenversi- Diese Ansicht wird vom Bundessozialgericht (BSG) cherung versichert sind, die Kosten für das Arzneimittel 10 dahingehend modifiziert , dass unter Berufung auf einen jedoch vielfach selbst tragen, soweit nicht im Einzelfall Einzelfall kein Recht begründet werden könne, welches die besonderen Voraussetzungen im Sinne der derzeiti- der GKV durch „konsequente Ausnutzung der Leistungs- gen höchstrichterlichen Rechtsprechung vorliegen. berechtigten“ unverhältnismäßig hohe Kosten aufbürdet. Zukünftig ist es daher von Bedeutung, Für den Versicherten bedeutet dies, dass zwar im dass der Gesetzgeber im SGB V die gesetzli- Einzelfall letztlich eine bestimmte Therapie zu Lasten che Grundlage für eine generelle Verord- der GKV beansprucht werden kann, jedoch muss er nungsfähigkeit von Orphan Drugs im Rah- dies zumeist im Klageweg und vor dem Hintergrund men des „Compassionate Use“ zu Lasten uneinheitlicher Rechtsprechung erstreiten. Eine ver- der GKV verankert. lässliche rechtliche Situation ist für den Patienten vor diesem Hintergrund nicht gegeben. Für die Patienten und Unternehmen ist es wichtig und erforderlich, die Möglichkeit der Refinanzierung der Entwicklungskosten sicher zu stellen, da nur dann weitere Forschungsvorhaben in diesem Bereich realisiert werden können. Eine Kostenerstattung auf 9 gesetzlicher Grundlage ist aus den genannten Grün- Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005, den eine wichtige Voraussetzung für den zukünftigen Az.: 1 BvR 347/98. Einsatz von Orphan Drugs im Rahmen von „Compas10 sionate Use“-Programmen in Deutschland. vgl. BSG, NSZ 2007, 144, 146. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 14 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 15 Auswirkungen auf die Sozialgesetzgebung Auch aus wirtschaftlichen Erwägungen ist eine mög- verankert wurde, muss nun gerade im Hinblick auf den lichst frühzeitige Behandlung von Patienten mit selte- Verfassungsrang des Anspruchs auf die medizinische nen Leiden im Rahmen des „Compassionate Use“ Versorgung in besonderen Fällen zur Klarstellung eine sinnvoll, da dadurch in der Regel Folgekosten redu- Regelung im SGB V erfolgen, um den Weg für die Ver- ziert werden können. ordnungsfähigkeit von Orphan Drugs im Rahmen des „Compassionate Use“ zu Lasten der GKV für die Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie Zukunft zu gewährleisten. Die betroffen Patienten pro- (BPI) e. V. sieht unter Bezug auf die Bestimmungen des fitieren besonders von einem konfliktfreien frühzeitigen SGB V und die vorliegende Rechtsprechung die Krite- Beginn ihrer Behandlung. Ein positiver Nebeneffekt in rien für eine Erstattung von Orphan Drugs im Rahmen Form der Reduzierung der Gesamtkosten für das des „Compassionate Use“ als begründet an. Da der gesamte Behandlungsregime kann dadurch ebenfalls Compassionate Use mit der 14. AMG-Novelle im AMG erzielt werden. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 15 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 16 Glossar Glossar CHMP - Committee for Medicinal Products for „Compassionate Use“: Der Begriff bezeichnet die Human Use: Dies ist der bei der Europäischen Arznei- Anwendung eines Arzneimittels bereits vor der Zulas- mittelagentur (EMEA) in London eingerichtete Aus- sung aus humanitären Erwägungen. Er ist beschränkt schuss für Humanarzneimittel. Aufgabe des Aus- auf die Anwendung bei Patienten, die an einer zu einer schusses ist die Bewertung der Zulassungsanträge für schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden alle Humanarzneimittel, die über das zentrale Verfah- oder deren Erkrankung lebensbedrohend ist, und die ren zugelassen werden. Außerdem wird der Aus- mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden- schuss eingeschaltet, wenn sich die Mitgliedstaaten stellend behandelt werden können. Beispiele für den im Falle eines Verfahrens der gegenseitigen Anerken- Einsatz eines Arzneimittels im Rahmen eines „Com- nung sowie des dezentralen Verfahrens nicht auf eine passionate Use“ sind Anwendungen bei Patienten, die gemeinsame Position einigen können. Auch die Ver- aufgrund ihrer individuellen Krankengeschichte nicht in fassung von Gutachten zu wissenschaftlichen Fragen klinische Studien eingeschlossen werden können, im Zusammenhang mit Humanarzneimitteln, z. B. bei oder die Weiterbehandlung von Patienten aus klini- Fragen der Pharmakovigilanz, fällt in den Aufgabenbe- schen Studien nach deren Beendigung bis zur Zulas- reich des Ausschusses sowie die Erstellung von Leitli- sung. Der „Compassionate Use“ ist mit der 14. AMG- nien zu Themen von übergeordnetem Interesse. Novelle im Arzneimittelgesetz verankert worden. Der Einsatz eines Arzneimittels im Rahmen des „Compassionate Use“ dient der Therapie eines Patienten. Eine cohort basis: Der Begriff beschreibt eine Patien- Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung tenkohorte, die bereits vor der eigentlichen Zulassung (GKV) ist daher begründet. Das AMG sieht in Überein- des Arzneimittels mit einem neuen Arzneimittel behan- stimmung mit EU-Recht vor, dass die betreffenden delt werden darf. Arzneimittel entweder Gegenstand eines Antrags auf Zulassung oder Gegenstand einer noch nicht abgeschlossenen klinischen Prüfung an Patienten sein COMP - Committee for Orphan Medicinal Pro- müssen. Nach ihrer Zweckbestimmung ist die Rege- ducts: Dies ist der bei der Europäischen Arzneimittel- lung zum „Compassionate Use“ auf Arzneimittel agentur (EMEA) in London eingerichtete Ausschuss für beschränkt, für die die klinische Erprobung so weit Arzneimittel für seltene Leiden. Aufgabe des Aus- fortgeschritten ist, dass seitens des Herstellers ausrei- schusses ist es, die Anträge zur Gewährung einer Aus- chende Unterlagen zur Dokumentation von Wirksam- weisung eines Arzneimittels als Arzneimittel für seltene keit, Sicherheit und zur Qualität des Arzneimittels vor- Leiden zu bewerten und ein Gutachten zu erstellen, liegen. auf dessen Basis dann die Ausweisung als Orphan Drug (Designation) erteilt werden kann. Außerdem fällt die Aufgabe der Beratung der EU-Kommission in Fragen zu Orphan Drugs und die Erarbeitung von Guidelines (Leitlinien) zu diesem Themenkomplex in den Zuständigkeitsbereich dieses Ausschusses. Die Bewertung im Rahmen der Zulassung von Orphan Drugs fällt dagegen in den Aufgabenbereich des CHMP. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 16 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 17 Glossar Einzelimport: Der Begriff bezeichnet die in § 73 Festbetragsregelung: Festbeträge nach § 35 Absatz 3 des Arzneimittelgesetzes (AMG) vorgesehe- Sozialgesetzbuch V (SGB V) sind Erstattungshöchst- ne Möglichkeit, ein Arzneimittel, das in Deutschland beträge für erstattungsfähige Arzneimittel in der nicht zugelassen ist, auf Verordnung eines Arztes über gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Es gibt eine Apotheke im Einzelfall und in geringer Menge unterschiedliche Festbetragsgruppen. Das SGB V nach Deutschland zu importieren. Der Einzelimport unterscheidet Festbetragsgruppen für Präparate stellt insofern eine Ausnahme von der Verpflichtung des § 21 Absatz 1 AMG dar, nach der es für das In- • mit den selben Wirkstoffen, Verkehrbringen eines Arzneimittels in Deutschland • mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren einer in Deutschland gültigen Zulassung bedarf. Ein- Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch zelimportierte Arzneimittel sind nur in Ausnahmefällen verwandten Stoffen und zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung • mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung, (GKV) verordnungsfähig. insbesondere Arzneimittelkombinationen. Die Festbetragsgruppen werden vom Gemeinsa- EWR: Europäischer Wirtschaftsraum men Bundesausschuss (G-BA) nach Anhörung festgelegt. Die Festbetragshöhe wird seitens des GKV-Spitzenverbandes nach Anhörung festgelegt. E-RARE: Netzwerk von neun Partnern - darunter öffentliche Einrichtungen, Ministerien und forschungskoordinierende Stellen - aus acht Staaten, das für die FRP: EU-Forschungsrahmenprogramm Entwicklung und die Verwaltung von nationalen und regionalen Forschungsprogrammen über seltene Erkrankungen zuständig ist. E-RARE wird aus Mitteln Gesetzliche Krankenversicherung (GKV): Sie des 6. Rahmenförderprogramms der EU-Kommission dient der finanziellen Absicherung des Versicherten im unterstützt. Die Aufgabe des Netzwerks ist es, die For- Krankheitsfall. Die GKV ist Bestandteil des deutschen schung im Bereich seltener Erkrankungen in Europa zu Sozialversicherungssystems. Innerhalb der gesetzli- stärken. chen Krankenversicherung gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Krankenkassen, zu denen neben den Allgemeinen Ortskrankenkassen, den Ersatz- und Betriebskrankenkassen auch Innungskrankenkassen sowie weitere berufsbezogene Krankenkassen gehören. Etwa 90 % der deutschen Bevölkerung sind in Krankenkassen der GKV versichert. Neben dem System der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es in Deutschland auch die private Krankenversicherung (PKV), die jedoch grundlegend anders organisiert ist. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 17 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 18 Glossar Inzidenz: Anzahl der Neu-Erkrankungsfälle einer neimittel außerhalb der zugelassenen Indikationen ein- bestimmten Krankheit innerhalb eines bestimmten gesetzt, so kann es vom Arzt nur in Ausnahmefällen zu Zeitraums. Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist eine Expertengruppe Marktexklusivität: Der Begriff bezeichnet die „Anwendung von Arzneimitteln außerhalb des zuge- Schutzfrist, während der es Wettbewerbern verwehrt lassenen Indikationsbereiches“ („Off-Label“) einge- ist, ein Arzneimittel zu vermarkten, das mit dem durch setzt. die Marktexklusivität geschützten vergleichbar ist. Es gibt jedoch die Möglichkeit, im Falle von Studien, die die klinische Überlegenheit des Wettbewerbsarznei- Orphan Drug: Mit dem Begriff Orphan Drug werden mittels zeigen, trotz bereits erteilter Marktexklusivität Arzneimittel für seltene Leiden bezeichnet. In der EU des Erstanbieters auch dieses Arzneimittel zuzulas- kann bei der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen sen. Auch die Beforschung einer identischen Indikati- eine Ausweisung als Orphan Drug beim zuständigen on, aber mit unterschiedlichem Target, wird nicht Ausschuss für Arzneimittel für seltene Leiden (COMP) durch die Regelungen zur Marktexklusivität behindert. der Insofern behindert die Marktexklusivität nicht die Wei- beantragt werden. Voraussetzungen für die Gewäh- terentwicklung und Forschung. Ziel der Marktexklusi- rung dieser Ausweisung sind eine sehr kleine mögliche vität für Orphan Drugs ist es, dem pharmazeutischen Patientenzahl (weniger als fünf Betroffene pro 10.000 Unternehmer die Möglichkeit zur Refinanzierung der EU-Bürger), oder die fehlende Möglichkeit, das Arznei- Entwicklungskosten zu ermöglichen, die aufgrund der mittel unter Marktbedingungen wirtschaftlich vertrei- sehr kleinen Patientenzahlen anderweitig nicht mög- ben zu können. Nach einem erfolgreich abgeschlosse- lich wäre. nen Zulassungsverfahren wird bei vorher erteilter Aus- Europäischen Arzneimittelagentur in London weisung als Orphan Drug eine Marktexklusivität von zehn Jahren für das Arzneimittel gewährt. Die entsprenamed patient: In einigen EU-Mitgliedstaaten chenden arzneimittelrechtlichen Rahmenbedingungen gebräuchlicher Terminus, um die Verordnung eines Arzneimittels auf Einzelverschreibungsbasis regelt die EU-Verordnung (EG) 141/2000. zu beschreiben. Hierbei kann es sich, je nach mitgliedstaatlicher Regelung, um einen Import oder auch um Prävalenz: Epidemiologische Häufigkeit aller Fälle einen „Compassionate Use“ handeln. einer bestimmten Krankheit in einer Population zum Zeitpunkt der Untersuchung. Off-Label-Use: Der Begriff bezeichnet die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels außerhalb der Scientific Advice: Der Begriff bezeichnet die Mög- zugelassenen Indikation(en). Der Einsatz eines Arznei- lichkeit, für bestimmte Fragestellungen, die im Rahmen mittels im Off-Label-Use wird durch die ärztliche The- der Vorbereitung eines Zulassungsverfahrens auftau- rapiefreiheit gedeckt. Vom Off-Label-Use zu unter- chen können, wissenschaftliche Hilfestellung durch die scheiden ist der „Compassionate Use“. Wird ein Arz- jeweilige Zulassungsbehörde zu erhalten. Mögliche Fra- B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 18 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 19 Glossar gen können z. B. den Aufbau von klinischen Prüfungen Zwangsabschlag: Der Begriff bezeichnet einen oder den Umgang mit bestimmten Problemsituationen Abschlag auf den Herstellerabgabepreis, den Arznei- im Entwicklungsprozess betreffen. Scientific Advice ist in mittelhersteller bei Arzneimitteln, die zu Lasten der der Regel kostenpflichtig und muss begründet werden. gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben wer- Vor allem in Fällen, in denen keine Guidelines zur Beant- den, dieser gewähren müssen. Der Zwangsabschlag wortung der auftretenden Fragestellungen zur Verfügung beträgt derzeit 6 % für Arzneimittel, die nicht dem Fest- stehen, ist die Möglichkeit, den Rat einer Zulassungsbe- betragssystem unterliegen (§ 130 a Abs. 1 SGB V). Für hörde einholen zu können, von großer Bedeutung. Zwar patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel innerhalb und ist weder der Antragsteller bei der Planung der weiteren außerhalb des Festbetragssystems beträgt der zulassungsrelevanten Schritte noch die Behörde bei der Zwangsabschlag 10 %. Somit ergibt sich für einige Beurteilung des späteren Zulassungsantrages zwingend patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel außerhalb des an den Scientific Advice gebunden. Eine Abweichung Festbetragssystems eine kumulative Belastung von muss allerdings von beiden Seiten begründet werden. 16 % (1 0 % plus 6 %). Im Falle von Orphan Drugs ist zusätzlich zum Scientific Advice die so genannte „Protocol Assistance“ vorgesehen, die noch weitergehende Hilfestellungen der Zulassungsbehörden ermöglicht. Für Orphan Drugs gibt es für die Beantragung von „Protocol Assistance“ auf der europäischen Ebene bei der EMEA Gebührenermäßigungen bzw. -erlasse. Verordnungsfähigkeit für Orphan Drugs: Die Möglichkeit des Arztes, Arzneimittel in Ausnahmefällen bereits vor Zulassung zu Lasten der GKV zu verordnen, ist unter den derzeitigen Bedingungen des Sozialgesetzbuches (SGB V) und der Arzneimittelrichtlinien (AMR) für Patienten mit seltenen Erkrankungen nicht zufriedenstellend geregelt. Die Ausweisung eines Arzneimittels als Orphan Drug und „Compassionate Use“Programme sollten hier für erweiterte Möglichkeiten sorgen. B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 19 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 20 Mitwirkende Mitwirkende am Positionspapier Stefan Biedebach Prof. Dr. Barbara Sickmüller Celgene GmbH, München BPI e. V., Berlin Dr. Norbert Gerbsch Dr. Peter Simon BPI e. V., Berlin Jerini AG, Berlin Christine Lietz Dr. Kirsten Theiling BPI e. V., Berlin Neuraxo Biopharmaceuticals GmbH, Erkrath Dr. Skaidrit Kramer Elke von Kleist Medac Gesellschaft, Wedel B. Braun Melsungen AG, Melsungen Eberhard Kroll Herbert Wartensleben Orphan Europe GmbH, Dietzenbach Anwaltskanzlei Wartensleben, Stolberg Dr. Jens Oltrogge Dr. Gabriele Weiß Swedish Orphan International GmbH, Langen Pascoe Pharmazeutische Präparate GmbH, Gießen Birgit Pscheidl Gudrun Werner Riemser Arzneimittel AG, Greifswald Bionorica AG, Neumarkt Dr. Hilde Riethmüller-Winzen Matthias Wilken Dr. Riethmüller M/R/S GmbH, Frankfurt/Main BPI e. V., Berlin Dr. Rudolf Schosser Andreas Zachmann Baxter Deutschland GmbH, Unterschleißheim Shire Deutschland GmbH, Köln Dr. Diane Seimetz Fresenius Biotech GmbH, Gräfeling B P I - P O S I T I O N S PA P I E R 20 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 21 BPI-Brosch-OrphanDrugs08-RZ 02.01.2000 6:38 Uhr Seite 22 www.bpi.de Herausgeber: Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI) Friedrichstraße 148 10117 Berlin Tel.: (030) 2 79 09 - 0 Fax: (030) 2 79 09 - 361 E-Mail: [email protected] Internet: www.bpi.de Gestaltung: tack.graphik September 2008