Bonner Fortbildungsreihe Sozialpädiatrie Interdisziplinäres Symposium: „Möglichkeiten der Therapie bei Autismus-Spektrum-Störungen“ H erzlich w illkom m en ! Programmänderung 16 Uhr Perspektiven in der Diagnostik und Therapie von Autismus-Spektrum-Störungen Autismus-Spektrum-Störungen in der Praxis Dr. Helmut Hollmann Neuropsychologische Grundlagen für die Therapie bei Autismus-Spektrum-Störungen PD Dr. Judith Sinzig Bonner Fortbildungsreihe Sozialpädiatrie „Möglichkeiten der Therapie bei Autismus-Spektrum-Störungen“ Samstag, 10.11.2012 Autismus und Geistige Behinderung Helmut Hollmann Kinderneurologisches Zentrum K i N Z LVR - Klinik Bonn Fallbeispiele: Ansgar, 5 Jahre Kinderstation II München 11-1981 Aylin H., 4;9 Jahre Eltern-Kind-Station Bonn 10-2012 Gliederung Gemeinsamkeiten Überschneidungen Diagnostik Therapie und Intervention Perspektiven und Fragen Gemeinsamkeiten Überschneidungen Diagnostik Therapie und Intervention Perspektiven und Fragen Definition für den Begriff „Geistige Behinderung“ Geistige Behinderung ist eine Unfähigkeit, charakterisiert durch signifikante Begrenztheit intellektueller Funktionen (Intelligenzminderung) deutliche Einschränkung der Verhaltensanpassung reduzierte konzeptionelle, soziale und praktisch-adaptive Fertigkeiten Auftreten während der Entwicklung (vor dem 18. Lebensjahr) (American Association of Mental Retardation AAMR, 2002) Definition für Autismus-Spektrum-Störungen Allgemeine Merkmale: Beginn ausnahmslos in Kleinkindalter oder Kindheit Einschränkung oder Verzögerung in der Entwicklung von Funktionen, die eng mit der Reifung des ZNS verknüpft sind Stetiger Verlauf, der nicht die für viele psychische Störungen typischen charakteristischen Remissionen und Rezidive zeigt Frühkindlicher Autismus (F84.0) Auffällige/beeinträchtigte Entwicklung bereits vor dem 36. Lebensmonat Kerntrias: Qualitative Auffälligkeiten der gegenseitigen sozialen Interaktion Qualitative Auffälligkeit der Kommunikation/Sprache Begrenzte, stereotype und repetitive Verhaltensmuster Kognitive Entwicklung meist -deutlich- beeinträchtigt Persistenz während der gesamten Lebenszeit Gemeinsamkeiten Überschneidungen Diagnostik Therapie und Intervention Perspektiven und Fragen Kombinationen - Komorbidität Somatische Grunderkrankungen: häufig mit autistischem Verhaltens-Phänotyp (“symptomatischer Autismus“) Besondere Patienten-Populationen: Trisomie 21, Z. n. extremer Frühgeburt, Z. n. angeborenem Herzfehler mit Korrektur-OP an der Herz-Lungen-Maschine Komorbidität: Häufigkeiten Autismus bei Trisomie 21 Tuberöser Sklerose TSC Röteln-Embryopathie Fragiles X-Syndrom versch. Stoffwechselstörungen 1 – 2,2 % 17 – 61 % 4–7% bis zu 60 % deutlich erhöht nach SINZIG J, 2012 Intelligenzminderung und Altersäquivalent bei Erwachsenen Leichtgradig: Mittelgradig: Schwergradig: Schwerstgradig: IQ 50 - 69 IQ 35 - 49 IQ 20 – 34 IQ < 20 9 bis 12 Jahre 6 bis 9 Jahre 3 bis 6 Jahre unter 3 Jahre Der Intelligenzquotient allein ermöglicht keine sinnvolle Untergruppierung von Menschen mit geistiger Behinderung ! Reduzierte Fertigkeiten Kommunikation Eigenständigkeit häusliches Leben soziale/zwischenmenschliche Fertigkeiten Nutzung öffentlicher Einrichtungen Selbstbestimmtheit schulische Fertigkeiten Arbeit Freizeit Gesundheit Sicherheit Fallbeispiel Taylan D jetzt 3½ Jahre Sozialpädiatrische Kinderstation 07-09/2012 Diagnosen bei Aufnahme Allgemeiner Entwicklungsrückstand Autismus-Spektrum-Erkrankung, Atypischer Autismus (F84.1) ausgeprägtes Schreiverhalten Psychische Störung der Mutter, Eltern getrennt Ehem. dystrophes Frühgeborenes der 28. SSW Fallbeispiel Taylan D jetzt 3½ Jahre Sozialpädiatrische Kinderstation 07-09/2012 Diagnosen bei Entlassung Allgemeiner Entwicklungsrückstand, Verdacht auf Intelligenzminderung Deprivation, Zustand nach Belastungsreaktion Psychische Störung der Mutter, Eltern getrennt Ehem. dystrophes Frühgeborenes der 28. SSW Übergang zum Vater mit Partnerin unter Begleitung des Jugendamtes Gemeinsamkeiten Überschneidungen Diagnostik Therapie und Intervention Perspektiven und Fragen Erkennung Irritation und Beunruhigung der Eltern Untersuchung Annäherung an eine Diagnose Mehrdimensionale Bereichsdiagnostik Sozialpädiatrie MBS Bereich Bereich Bereich Bereich Bereich Bereich Entwicklung/ Intelligenz Körperlich-neurologische Befunde Psychische Befunde und Verhalten Soziale Begleitumstände Abklärung der Ätiologie Teilhabe und ICF Diagnostik Zuschreibung einer geistigen Behinderung allein anhand Intelligenzmessung („IQ-Test“): sehr umstritten individuelle Einzelfallbeschreibung im Rahmen einer systemischen Analyse der Mensch-Umfeld-Verhältnisse Autismus-Spektrum-Störung: spezifische Verfahren (u.a. ADI-R, ADOS) Differenzialdiagnosen beachten, u.a. - Deprivation - Emotionalstörung - Posttraumatische Belastungsstörung Abklärung der Ätiologie Familien-Anamnese, Stammbaum Biografische Anamnese: Entwicklungsverlauf Klinisch-neurologische Untersuchung Psychopathologischer Befund Globale Entwicklungsstörung mit autistischen Verhaltensmustern – Frühkindlicher Autismus: - Labor, EEG, cMRT, Humangenetik Gemeinsamkeiten Überschneidungen Diagnostik Therapie und Intervention Perspektiven und Fragen Interventionen Kind Therapie Förderung Kindergarten Schule Eltern Information Beratung Anleitung Unterstützung Perspektive Eltern Diagnoseverarbeitung Akzeptanz Beruhigung Kind Selbständigkeit Teilhabe Lebensqualität Psychosoziale Adaptation bei chronischer Krankheit und Behinderung Lebensgeschichtliche Ereignisse / Belastungen Krankheitsbedingungen Psychosoziale Adaptation Persönlichkeit Familie Soziale Umwelt Risikofaktoren vs. Schutzfaktoren Belastung vs. Schutz Belastung vs. Schutz HC Steinhausen 1996 Sozialpädiatrische Blockbehandlung Eltern-Kind-Station Interventionen bei Intelligenzminderung oder autistischen Störungen Kausale Behandlung bislang nicht möglich Ziel: realistische quantitative Verbesserung Aufbau funktionaler Strukturen: - Soziale Interaktionsfähigkeit - Kommunikationsfähigkeit - Selbständigkeit - Soziale Integration - Anpassung an Anforderungen des Alltags Abbau dysfunktionalen Verhaltens: - Zwänge - Rituale/Stereotypien - Unruhe/Hyperaktivität - Auto- und fremdaggressives Verhalten Therapeutische Interventionen bei Autistischen Störungen Therapiesetting Kind bzw. Jugendlicher - Einzeltherapie - Gruppentherapie - Pharmakotherapie Eltern Institution - Kindergarten - Schule LehrerInnen und MitschülerInnen - Beruflicher Kontext Interventionen bei Frühkindlichem Autismus und Intelligenzminderung: Grundsätze Starke Einbeziehung der Eltern Therapie in unterschiedlichen Zusammenhängen (Familie, Öffentlichkeit, Kindergarten und Schule) Strukturierung des Tagesablaufs und der Umgebung Frühe, intensive Verhaltenstherapie mit operanter und klassischer Konditionierung, Imitation und Modelllernen Interventionen bei Frühkindlichem Autismus und Intelligenzminderung: Schwerpunkte Einüben alltagspraktischer und sozio-kommunikativer Fertigkeiten (Essen, Waschen, Aus- und Anziehen, Toilette, Spielplatz) Sprachanbahnung (bis ca. 8. Lebensjahr): - verhaltenstherapeutischer Sprachaufbau (Blickkontakt, Imitation Grob- und Feinmotorik, Imitation Laute und Sprache) - psycholinguistischer Sprachaufbau - Aufbau alternativer Kommunikationsformen (Zeichensprache, Fotos, Bildkarten) PECS (Picture Exchange Communication System) Frühkindlicher Autismus: Therapie in der Störungs-Kerntrias Soziale Interaktion Kommunikation Beschäftigung Soziales Verständnis und Freundschaft– Einzeltherapie ! Kommunikationsstil der Therapeutin: Absicht klar formulieren, keine „Ironie“, Zeit lassen Soziale Verkehrsregeln vermitteln, soziale Konventionen wie Grußformeln erarbeiten. Visualisation (grafische Darstellungen) und Rollenspiele Soziale Alltagssituationen, z.B. Anstehen, Verabreden, Meinung äußern Thema Freundschaft Wunsch nach einem Freund und Möglichkeiten, Freundschaft zu gestalten Soziale und kommunikative Fertigkeiten - Gruppentraining „Kontakt“ Herbrecht, Bölte, Poustka 2008 Frankfurter Kommunikations- und soziales InteraktionsGruppentrainung bei Autismus-Spektrum-Störungen Ziele: Erlernen von Kontaktaufnahme, sozialen Regeln, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Konfliktlösungsstrategien, Soziale Kompetenzen, Verständnis von sozialen Konstrukten wie Freundschaft Stärkung des Selbstvertrauens Emotionale Edukation: Emotionsregulation und Selbstkontrolle Gefühle verstehen und ausdrücken Tagebuch, Gefühlsthermometer „Emotionale Werkzeugkiste“ zum Umgang mit negativen Gefühlen: Körperliche Aktivitäten, Entspannung Psychotherapie bei sekundären affektiven Störungen Stereotype Verhaltensmuster Spezialinteressen zeitlich und räumlich begrenzen; aber auch „utilisieren“: Kontaktaufnahme zu anderen, Heranführen an benachbarte Themen, Akzeptanz von Außenseitern Sonderinteressen als Ressourcen Aktivieren statt Leerlauf Interventionen in der Institutionellen Betreuung Kindergarten Information der Erzieherinnen über Globale Entwicklungsstörung/Autismus Gruppenorganisation mit: Struktur und Ritualen, Ordnung der Materialien, sozialen Regeln Kognitive Einschränkungen Spiel und Beschäftigung orientiert am Entwicklungsstand Verhaltensbesonderheiten konkrete handlungsorientierte Führung ! Rückzugsmöglichkeiten ! Schule Information der Lehrer über Intelligenzminderung/Autismus Arbeitsorganisation mit Plänen, Ordnung der Materialien, Klassenregeln, Sitzordnung, Sport, mündliche Mitarbeit, Pausen Kognitive Besonderheiten Beeinträchtigte exekutive Funktionen: Schwächen in Organisation und Planung, Arbeitsgedächtnis, Impulskontrolle, bei neuen Strategien und Zeitmanagement. Schwache zentrale Kohärenz: Blick aufs Detail; Schwierigkeiten, Gesamtbild zu erfassen. Verhaltensbesonderheiten: Strategien gegen Hänseln und Bullying in der Schule ! Rückzugsmöglichkeiten ! Spezielle Maßnahmen Haus Waldschlösschen, 99752 Bleicherode www.leben-mit-autismus.de Therapieprogramm TEACCH Treatment and Education for Autistic and related Communication handicapped Children (Schopler) Kombinierte pädagogische und verhaltenstherapeutische Maßnahmen, strukuriertes Lehren und Lernen, Rahmengerüst statt Therapie Individuell angepasste Umgebung Minderung störender Einflüsse Patient bei seinen Stärken und Schwächen abholen, individuelle Diagnostik und Förderpläne Organisation der materiellen Umgebung, Pläne und Arbeitssysteme, klare Instruktionen, überschaubare Teilschritte Visualisierung!! Therapieprogramm ABA Applied Behavior Analysis (ABA) (Lovaas) Orientierung an Verhaltenstherapeutischen Methoden Frühe und intensive (15 bis 40 Stunden/Woche) Behandlung im häuslichen Rahmen Grundsätzliche Wirksamkeit unbestritten, Verbesserungen von Teilbereichen der Intelligenz, Sprachfähigkeit und schulischen Fertigkeiten. Keine Verbesserung im adaptiven Verhalten, Problem der Generalisierung. Symptomgeleitete Therapie mit Psychopharmaka Kernsymptome sind nicht medikamentös behandelbar. Deshalb gibt es keine Standard-Medikation bei Autismus. Gleiches gilt bei Intelligenzminderung. Zielbehandlung von: ADHS: Stimulanzien, Atomoxetin Fremd- und Autoaggression, Impulsdurchbrüche („Tantrums“), Reizbarkeit, weniger auch Stereotypien: Atypische Neuroleptika (z. B. Risperidon, Aripiprazol) Zwänge und Depression: SSRI (z. B. Fluvoxamin, Fluoxetin) Epilepsie: Antikonvulsiva (z. B. Carbamazepin, Valproat) Gemeinsamkeiten Überschneidungen Diagnostik Therapie und Intervention Perspektiven und Fragen Schwierigkeiten Therapieplätze Eltern als zentrale therapeutische Bezugspersonen Bereichsübergreifende Interventionen: Behandlungsplanung – Evaluation Netzwerk-Abstimmung systemübergreifend: Gesundheit – Pädagogik – Sozialhilfe – Jugendhilfe Stationäre Behandlung Freizeit-Angebote Inklusion Wohnen und Betreuung Arbeit und Beruf Prognose Frühzeitige Problem-Identifikation (Diagnosestellung) Gezielte Interventionen Effizienz Psychosoziale Rahmenbedingungen Stressinduzierende Lebenserfahrungen (Symbiose, Trennung) Traumatisierung, sexueller Missbrauch FAZIT Autistische Störung und Intelligenzminderung Frühe (Verdachts-)Diagnose Globale Entwicklungsstörung: Somatische Diagnostik Genetik Interventionen: je jünger das Kind, desto mehr Eltern im Focus zentral: Gestaltung der Rahmenbedingungen („förderndes Milieu“) spezifische Verhaltensregulation: Psychoedukation – Verhaltenstherapie – Jugendlichen-Psychotherapie – (Psychopharmaka) „Kindheitslange“ ärztlich-fachliche Begleitung V ielen D ank für Ihre A ufm erksam keit ! WDR Köln, 2006; „Quarks und Co“; Wenn Denken einsam macht