Rattenstudie: Kalkulierter Mediencoup der Antigentechnik

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Rattenstudie: Kalkulierter Mediencoup
der Antigentechnik-Lobby
Von Ludger Weß
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Im September sahen sich die „Gentechnik-nein-danke“-Advokaten wieder einmal bestätigt: „Mit
Genmais gefütterte Ratten sterben früher“, „Genmais und Rattenkrebs – Tod durch manipuliertes
Futter“, „Genmais-Futter kann Ratten schwer krank machen“, „In Europa zum Verzehr freigegeben:
Genmais verursacht Tumore“. Gilles-Eric Séralini, Professor an der Universität Caen, hatte eine Studie
vorgelegt, die endlich belegen sollte, was die Bewegung schon lange weiß: Nahrungsmittel, die mit
Gentechnik verändert wurden, sind giftig, verursachen Krebs und verkürzen die Lebensdauer. Doch
diesmal könnte der Schuss nach hinten losgehen: Die Studie ist schlecht gemacht, die Ergebnisse
legen nahe, dass an den Behauptungen nichts dran ist und zu allem Überfluss hat Séralini auch noch
versucht, die Medien zu manipulieren.
Schlagkräftiges Studiendesign
Séralini hat Langzeitstudien an Ratten durchgeführt, die er mit Gentechnik-Mais (NK603 von
Monsanto) sowie mit und ohne Roundup fütterte, und zwar bis zu zwei Jahre lang. Das ist bei diesen
Tieren praktisch lebenslänglich – selbst als Haustiere gehaltene Ratten erreichen bei guter Pflege nur
eine durchschnittliche Lebensdauer von 2 Jahren. Der Ansatz leuchtet Laien sofort ein: Wenn die
einen Versuchstiere lebenslang GMOs und/oder Herbizide in ihrer Nahrung erhalten und die anderen
nicht, dann sollte man aus den Unterschieden wohl Schlüsse über die Gefährlichkeit von GMOs
und/oder den verwendeten Pestiziden ziehen können. Roundup ist ein so genanntes Totalherbizid,
das auf die Genmais-Felder aufgebracht wird, um Unkräutern den Garaus zu machen und steht bei
Umweltschutzgruppen besonders in der Kritik.
Um seine Studie noch schlagkräftiger zu machen, verabreichte Séralini den nach Männchen und
Weibchen getrennten Tieren den Genmais in 3 verschiedenen Dosierungen, und zwar jeweils
unbehandelt oder mit Roundup gespritzt. Zu diesen sechs Gruppen kamen vier weitere hinzu: eine
Kontrollgruppe, die konventionellen, unbehandelten Mais erhielt, und drei Gruppen, die zusätzlich zu
normalem Mais Roundup im Trinkwasser erhielten (wiederum in drei verschiedenen Dosierungen) –
macht zusammen zehn Gruppen von männlichen und zehn von weiblichen Tieren.
Das Design der Studie wirkt auf den ersten Blick bestechend – man könnte sehen, ob Tiere, die nur
normalen Mais erhalten, länger leben und gesünder alt werden. Dank der unterschiedlichen
Dosierungen und der verschiedenen Kombinationen (Genmais ohne Roundup, Genmais mit
Roundup, konventioneller Mais mit und ohne Roundup) könnte man auch feststellen, ob es sich –
falls die Genmais/Roundup-Ratten kürzer leben oder kränker sind – um einen dosisabhängigen Effekt
handelt und ob der Genmais, das Herbizid oder die Kombination von beidem daran schuld ist.
Gewagte Interpretationen
So weit, so gut. Was dabei herauskam, schildert Séralini so: „Bei den Weibchen starben die
behandelten Gruppen 2–3 mal häufiger als die Kontrollen, und sie starben schneller. Dieser
Unterschied war in 3 Gruppen von Männchen, die mit GMOs gefüttert wurden, sichtbar. ... Weibchen
entwickelten große Brusttumore fast immer häufiger und eher als die Kontrollen ... Männchen
zeigten viermal mehr große tastbare Tumore als die Kontrollen; sie traten bis zu 600 Tage eher auf.“
Ein klares Ergebnis klingt anders. Die Veröffentlichung ist – trotz anonymer Begutachtung durch
Fachleute – in einem Zustand, der vor allem durch Unübersichtlichkeit und gezielte, anekdotische
Auswahl von negativen Daten besticht: Mal kommen in den Gruppen besonders schwere oder große
Tumore vor, mal treten sie besonders rasch auf, ein anderes Mal ist die Zahl der Tumore pro Tier
erhöht – wie es gerade passt. Aus den Grafiken der Veröffentlichung lässt sich ablesen, dass die Tiere
nicht in allen behandelten Gruppen eher oder häufiger starben oder schwerer erkrankten – über die
Details schweigt Séralini sich aus. Eine Dosisabhängigkeit der beobachteten Effekte – das gibt Séralini
selbst zu – gibt es nicht.
Alles in allem ist die statistische Basis erschreckend klein: Séralini machte die Versuche an nur 100
männlichen und 100 weiblichen Tieren, d.h. pro Gruppe waren es jeweils 10 Tiere und damit viel zu
wenig für eine aussagekräftige Statistik. Die gibt er auch erst gar nicht an: Der Veröffentlichung
fehlen die grundlegende Angaben zur statistischen Signifikanz.
So ist es kein Wunder, dass die Ergebnisse kein klares Bild zeigen: Schon in der Kontrollgruppe, die
nur normalen Mais und kein Roundup erhielt, starb ein Drittel der Männchen spontan und vorzeitig,
und zwei Weibchen mussten getötet werden, weil ihre Tumore zu groß geworden waren. Bei den
Männchen, die die Höchstdosis Roundup erhielten, gab es dagegen weniger Todesfälle als in der
Kontrollgruppe (nur ein Männchen starb vorzeitig), und auch viel GMO im Futter hatte offenbar –
bleibt man in der Logik von Séralini – einen positiven Einfluss auf die Sterblichkeit: In den Gruppen
von Männchen, die 22 Prozent bzw 33 Prozent GMO-Mais im Futter erhielten, starb je nur ein Tier
vorzeitig (eines spontan, eines musste wegen Tumoren getötet werden).
Angesichts dieser Widersprüche, die schon in dem rudimentären Datensatz auftauchen, spricht vieles
dafür, dass die Ergebnisse zufällig zustande kamen – Séralini unternimmt aber stattdessen auch noch
den Versuch, über Wirkmechanismen zu spekulieren.
Aber es kommt noch schlimmer: Séralini und seine Mitstreiter wählten einen Rattenstamm, der dafür
bekannt ist, dass er spontan sehr schnell Krebsgeschwüre entwickelt – vor allem bei Überfütterung,
Überalterung oder Störungen des Hormonhaushalts. Das ist für die Krebsforschung und
toxikologische Kurzzeitstudien nützlich, nicht aber für eine Langzeitfütterungsstudie: Die Ratten
bekommen nach ein paar Monaten unausweichlich Krebs. Wenn man aber dennoch diese Sorte
wählt, sind ein paar Dinge zu beachten. Die Zahl der Ratten sollte hinreichend hoch sein, um
signifikante Unterschiede in der Krebsrate finden zu können – zwei von zehn gegenüber vier von
zehn klingt für den Laien nach einer Verdopplung („doppelt so viele Ratten bekamen Krebs“), ist aber
völlig im Rahmen der statistischen Bandbreite, wenn im Schnitt drei von zehn Krebs bekommen. Bei
diesem Rattenstamm sind es im Schnitt sieben von zehn.
Zudem sollte man angeben, wie viel Futter die Ratten bekamen: Séralini verzichtet darauf. Ob der
Mais, der eigens aus Kanada über Le Havre „in großen Jutesäcken“ eingeführt wurde (so steht es in
einem reißerischen Bericht im Le Nouvel Observateur), auf Schimmelbefall getestet wurde, ist
ebenfalls nicht angegeben. Bestimmte Schimmelpilze, die auf Mais häufig vorkommen, können den
Hormonhaushalt von Tieren durcheinanderbringen. Entsprechende Tests hat Séralini entweder nicht
gemacht oder er hat die Daten nicht angegeben. Fragwürdig ist auch die Verfütterung einer
einseitigen Maisdiät – hier wäre auch eine Kontrollgruppe mit normalem Futter angezeigt gewesen.
In seiner Tabelle zum Studiendesign gibt Séralini an, es sei auch nach Rückständen von Roundup bzw.
des Transgens im Gewebe gesucht worden – das Paper enthält aber keinerlei Angaben zu den
Ergebnissen.
Massive Kritik aus der Fachwelt
Fachleute lassen denn auch kein gutes Haar an der Studie: „kein Mehrfachreihentest“, „ist der Tod
von drei Ratten gegenüber dem vom fünf statistisch signifikant?“, „die statistischen Methoden sind
unkonventionell und es gibt keinen klar definierten Datenanalyseplan“ usw. Zudem: Wenn der
betreffende Mais tatsächlich so gefährlich wäre, warum haben hunderte von Studien zu anderen
Ergebnissen geführt und warum gibt es keine alarmierenden Zahlen über Nutztiere, die seit Jahren
mit diesem Mais gefüttert werden? Und was ist mit den Laborratten, die zumindest in den USA schon
seit einem Jahrzehnt routinemäßig GMO-Mais im Futter erhalten?
Die Autoren des Academics Review, einer Webseite, die sich der Kritik an ungenügend abgesicherten
und nicht untermauerten Aussagen von Wissenschaftlern verschrieben hat, wollten in diesem Fall
nicht einmal eine Detailkritik durch ihre eigenen Fachleute abwarten und kommentierten:
„... wir haben uns zu diesem Schritt entschlossen, um auf die grobe Verletzung nicht nur von
wissenschaftlichen Standards (d.h. richtiges Design von Experimenten und Analyse), sondern auch
der wissenschaftlichen Ethik, von Tierschutzstandards und der journalistischen Ethik zu antworten,
derer sich Seralini, seine Co-Autoren sowie die Redakteure und Herausgeber der Fachzeitschrift
objektiv schuldig gemacht haben. Der Codex wissenschaftlicher Ethik sagt eindeutig, dass
Wissenschaftler, die Fehlverhalten verschweigen, selbst einen Fehltritt begehen. Eine Analyse des
Papers, die ihrerseits Peer Review unterliegen wird, folgt.“
Séralini empört seine Fachkollegen auch mit der Weigerung, seine Daten öffentlich verfügbar zu
machen – schon gar nicht der für Lebensmittelsicherheit zuständigen Behörde EFSA. Das lehnt er mit
der kuriosen Begründung ab, die dort beschäftigten Wissenschaftler hätten an der Genehmigung
mitgearbeitet. Mittlerweile gibt es bereits eine elektronische Petition, die Séralini zur Offenlegung
seiner Daten auffordert.
Manipulation und Verdunkelung
Trotz dieser massiven Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Studie schrieben die Agenturen und
Zeitungen die gewünschten Horrormeldungen: „Genmais-Futter macht Ratten schwer krank: Eine
Studie über die Folgen von gentechnisch verändertem Mais auf Ratten hat eine Diskussion über die
Zulassung von Genpflanzen in der EU ausgelöst. Einer am Mittwoch veröffentlichten Studie
französischer Forscher zufolge sterben mit Genmais gefütterte Ratten jünger und erkranken deutlich
häufiger an Krebs als Tiere, die herkömmliche Nahrung erhalten.“ Séralini nannte seine Ergebnisse
auf einer Pressekonferenz „alarmierend“, die EU-Kommission kündigte an, „Konsequenzen zu
prüfen“, gleich drei französische Minister forderten die EU in einer gemeinsamen Presseerklärung
zum Handeln auf („notfallmäßige Aussetzung der Importgenehmigung“) und mehrere EUAbgeordnete forderten die Aussetzung von Zulassung und Import gleich sämtlicher gentechnisch
veränderter Pflanzen.
Wie Séralini das geschafft hat, ist ein kleines Meisterstück in Medienmanipulation: Handverlesene
Journalisten bekamen die Veröffentlichung unter Embargo, mussten sich also verpflichten, ihre
Artikel erst nach Erscheinen der Studie zu veröffentlichen. Das ist im Wissenschaftsjournalismus
übliche Praxis. Ungewöhnlich war jedoch, dass sie sich zur Geheimhaltung verpflichten mussten – das
kam einem Rechercheverbot gleich, denn normalerweise kontaktieren Journalisten, sobald sie eine
Veröffentlichung unter Embargo erhalten, andere Wissenschaftler auf diesem Gebiet, um deren
Meinung zu der Studie zu erfragen und schließlich die Ergebnisse einordnen und notfalls kritisch
beleuchten zu können. Das war ihnen in diesem Fall untersagt.
Den Vogel abgeschossen hat Le Nouvel Observateur in Frankreich: garniert mit Informationen über
das klandestine Verhalten der Autoren, die nicht miteinander telefonierten und in ihrer
Korrespondenz Decknamen für die Studie benutzten, erweckt er den Eindruck, Séralini und seine
Mitstreiter stünden auf einer Todesliste internationaler Großkonzerne.
Aber Séralini ist eher Mini-Me als James Bond. Schon im ersten Satz seiner Veröffentlichung
behauptet er, es gebe eine „internationale Debatte“ über die notwendige Länge von Studien zur
Giftigkeit von genetisch modifizierten Pflanzen. Die meisten Toxikologen halten die Frage für längst
geklärt – schließlich hat die Wissenschaft jahrzehntelange Erfahrungen mit der Überprüfung der
Giftigkeit von allen möglichen Substanzen an Ratten – von neuen Arzneimitteln über
Umweltchemikalien bis zu Bestandteilen von Kosmetika und Nahrungsmitteln. Selbst die Wirkung
von Spuren bestimmter Substanzen, wie z.B. Hormonen, kann man bei Ratten bereits in Zeiträumen
von einigen Wochen bis wenigen Monaten sehr gut studieren.
Séralini hält es offenbar für möglich, dass bei gentechnisch veränderten Pflanzen andere, der
Wissenschaft bislang verborgene Mechanismen am Werk sind. Das ist sein gutes Recht, aber zu
behaupten, es werde eine internationale Debatte darum geführt, ist schlicht falsch. Der Beleg für
seine Behauptung ist denn auch eine seiner eigenen Veröffentlichungen.
Am Ende des Artikels erklärt Séralini, es gebe keine Interessenkonflikte – soll heißen, Séralini hat
keine Zuwendungen von Interessengruppen erhalten, die nahelegen könnten, dass auf seine Arbeit
irgendein Einfluss ausgeübt wurde. Wenige Zeilen später folgt jedoch der Satz, er danke der
Association CERES, der Stiftung „Charles Leopold Mayer pour le Progrès de l’Homme“, dem
französischen Forschungsministerium und CRIIGEN (Committee for Research & Independent
Information on Genetic Engineering) für ihre große Unterstützung. Studie und Medienkampagne, so
ist inzwischen bekannt, kosteten etwa 3,2 Millionen Euro, davon wurden 1,5 Millionen Euro durch
CERES bereit gestellt und 0,9 Millionen Euro durch die „Fondation Charles Leopold Mayer“. Die
Finanzquelle für die restlichen 0,8 Millionen Euro ist bislang nicht bekannt. Das Geld floss zum
größten Teil über CRIIGEN, eine von Séralini mitgegründete gentechnikkritische Organisation.
Stiftungspräsident ist der Mediziner, Homöopath und Akupunkteur Joël Spiroux de Vendomois, der
auch schon mal gern Seminare für die französische Firma Sevene Pharma abhält (und Co-Autor der
Studie ist). Sevene Pharma, spezialisiert auf pflanzliche Medizin, verspricht, ein Mittel zur Entgiftung
für Menschen zu entwickeln, die mit Roundup und anderen Herbiziden „vergiftet“ sind und bewirbt
Séralinis Bücher. Und wer untersucht das innovative Produkt Dig-1 der Firma? Séralini! Bei Dig-1
handelt es sich um einen pflanzlichen Extrakt aus Löwenzahn, der Großen Klette und der
Gewöhnlichen Berberitze. Die Stiftung „Charles Leopold Mayer“ (FPH) zählt zu den langjährigen
Unterstützern von anti-Gentechnik-Projekten und hat diverse illustre Kampagnen mitfinanziert, z.B.
Stop OGM und Combat Monsanto.
Die ominöse Vereinigung CERES, die keine Webseite besitzt (nicht identisch mit
http://www.ceres.org), wurde auf Initiative von Gérard Mulliez, dem Gründer von Auchan,
Frankreichs zweitgrößter Hypermarktkette, gegründet. Den Vorsitz führt Jacques Dublancq,
ehemaliger Leiter des zentralen Einkaufs von Auchan. Wie französische Medien vorab aus Séralinis
Buch berichten, wurde das Geld über CRIIGEN geschleust, weil Séralini nicht direkt von einer großen
Supermarktkette gesponsert werden wollte. Mulliez sagte dem L’Express in einem 2008
veröffentlichten Interview, er stehe auf dem Standpunkt, gentechnisch veränderte Nahrungsmittel
sollten aufgrund ihrer Risiken verboten werden.
Auch Konkurrent Carrefour beteiligte sich am Sponsoring von CRIIGEN und Séralini. Die
Hypermarktkette unterstützte CRIIGEN von 2001 bis 2010 und hatte lange Zeit einen Sitz im
Vorstand. Über den Hintergrund der Stiftung Leopold Mayer, die 2010–2011 über ein Jahresbudget
von 21,3 Millionen Euro verfügte, ist nichts bekannt. Sie finanziert neben CRIIGEN u.a. das gegen
Gentechnik aktive European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility
(ENSSER), den deutschen Verein Gentechnikfreies Europa e.V., Combat Monsanto und mindestens
zehn andere Organisationen von Gentechnikgegnern. Kein Interessenkonflikt also.
Wie viel Geld die französische Regierung beigesteuert hat, die in der Studie ebenfalls als Sponsor
geführt wird, ist bislang nicht bekannt.
Lauter Zufälle?
Wenn auch die Studie selbst mangelhaft ist – Timing und Choreographie der Veröffentlichung waren
perfekt – zu perfekt. Am 19.9. frühmorgens wird Séralinis Studie durch einen exklusiven, reißerisch
geschriebenen Artikel im Nouvel Observateur bekannt gemacht; am Nachmittag hält Séralini eine
Pressekonferenz in London ab. Journalisten hatten, wie bereits weiter oben erwähnt, die Publikation
vorab nur erhalten, wenn sie sich verpflichteten, die Studie und deren Inhalt nicht mit anderen
Fachleuten zu diskutieren. Bereits um 15 Uhr und parallel zu Séralinis Pressekonferenz geben drei
französische Ministerien (für Landwirtschaft, für Soziales und für Umwelt) eine gemeinsame
Presserklärung heraus, in der sie u.a. die „notfallmäßige Aussetzung der Importgenehmigung“ für
gentechnisch veränderten Mais verlangten – eine Meisterleistung an Abstimmungsprozessen der
ansonsten für ihre Schwerfälligkeit bekannten französischen Staatsbürokratie.
Am Tag darauf, dem 20.9., veranstaltet Séralini im Europäischen Parlament eine Pressekonferenz mit
Corinne Lepage, seiner langjährigen Mitstreiterin bei CRIIGEN. Die ehemalige französische
Umweltministerin war CRIIGEN-Mitgründerin und Vorsitzende der Organisation, bis sie 2009 Mitglied
des Europäischen Parlaments wurde. Zufall oder nicht: einen Tag später, am 21.9., einem Freitag,
erscheint ihr Buch „Die Wahrheit über GMOs“ im Verlag der Fondation Charles Leopold Mayer, die
Séralinis Studie mitfinanziert hatte.
Da trifft es sich – sicherlich ein weiterer Zufall –, dass Carrefour am Montag, dem 24.9., eine große
Werbekampagne für seine GMO-freie Produktreihe beginnt. Greenpeace Frankreich hatte Carrefour
zuvor kritisiert, weil die Kette von allen französischen Supermärkten die meisten gentechnisch
modifizierten Produkte in seinem Sortiment führte.
Am 26. 9. erscheint Séralinis Buch „Tous cobayes! – Wir sind alle Versuchskaninchen!“ und parallel
dazu der fast gleichnamige Film „Tous cobayes? Sind wir alle Versuchskaninchen?“ von Jean-Paul
Jaud, dessen für den April geplanter Start verschoben wurde, weil da „noch eine Bombe platzen“
würde, wie der Filmemacher Journalisten vorab versicherte. Ebenfalls am 26.9. fordert die EUKommission EFSA auf, Séralinis Studie zu begutachten.
Am 27.9. hält Frau Lepage in Paris eine Pressekonferenz ab, und am selben Tag steht in Brüssel
erneut eine Entscheidung über die Zulassung der Genmais-Sorte MIR162 von Syngenta an. Bei einer
ersten Abstimmung am 10. September hatte es weder für noch gegen die Zulassung der
insektenresistenten Maissorte zur Verwendung in Tierfutter und Lebensmitteln eine ausreichende
Mehrheit gegeben.
Doch hier ist die Rechnung nicht aufgegangen: Die EU-Mitgliedstaaten stimmten wie zuvor im
Ständigen Ausschuss für Nahrungskette und Tiergesundheit: 13 Länder sprachen sich für eine
Zulassung aus, zehn dagegen und vier – darunter Deutschland und Frankreich – enthielten sich. Nun
muss die Kommission allein entscheiden – nicht nur über MIR162. Ende des Jahres stehen
Entscheidungen über die Zulassung von drei weiteren gentechnisch veränderten Maislinien
(MON810, Bt11 und 1507) an: im Juni hatte die Kommission auf Druck u.a. der deutschen und der
französischen Regierung die wissenschaftlichen Stellungnahmen der EFSA an die Behörde
zurückverwiesen.
Daher bleibt Séralini am Ball: France 5 sendet einen Dokumentarfilm zum Buch und zur Studie am
16.10.
Ludger Weß ist ausgebildeter Molekularbiologe und hat über 20 Jahre als Wissenschaftsjournalist für
Publikums- und Fachmedien über Wissenschaft geschrieben. Bei dem Text handelt es sich um eine
überarbeitete und erweiterte Fassung von zwei Artikeln zum Thema („‚Alarmierende’ Rattenstudie:
French Connection“, „Ratten sterben an Gen-Mais – der perfekte Medien-Coup“), die Ludger Weß
zuerst bei Die Achse des Guten publiziert hat.
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Mehr zum Thema im Novo-Dossier „Grüne Gentechnik & Landwirtschaft“
02.10.2012 | Permanente Link |
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