Dialog-Diskussionsbeitrag Nr. 4 September 2006 Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern Maya Schmaljohann Hanns Martin Schleyer-Stiftung Beiträge zum Dialogseminar in Blaubeuren Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern 1. Einleitung Seit Ende der 1980er Jahre wurde in einer großen Zahl von Entwicklungs- und Schwellenländer der Kapitalverkehr liberalisiert (s. Abb. 1), d.h. „Transaktionsverbote des Kapitalverkehrs innerhalb der Zahlungsbilanz“ (Internationaler Währungsfond 1998, S. 2) aufgehoben. Mit der Liberalisierung ist ein starker Kapitalzufluss (s. Abb. 2), insbesondere an Direktinvestitionen, in die Schwellenländer einhergegangen. Dies hat vor allem auf das Wirtschaftswachstum der Ländern einen positiven Einfluss. Die Krisen der 1990er Jahre in Asien und Lateinamerika haben aber gezeigt, dass auch erhebliche Risiken mit einer Liberalisierung des Kapitalverkehrs verbunden sind. Im Folgenden werden die Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung theoretisch und empirisch aufgezeigt. Dabei wird deutlich, dass die Risiken einer Liberalisierung insbesondere in den institutionellen und informellen Schwächen der Märkte in Schwellenländern begründet liegen. 2. Messung von Kapitalverkehrsliberalisierung Zur Messung von Kapitalverkehrsliberalisierung wird zwischen qualitativen und quantitativen Maßzahlen unterschieden. Qualitative Indikatoren bestimmen unter Betrachtung der rechtlichen Grundlagen, ob der Kapitalverkehr eines Landes liberalisiert ist. Hierzu werden meist die Angaben im seit 1950 jährlich vom Internationalen Währungsfond (IWF) veröffentlichten „Annual Report on Exchange Arrangements and Exchange Restrictions“ (AREAER), verwendet. Vorwiegend nutzt man diese Angaben, um den Anteil liberalisierter Jahre in einem Beobachtungszeitraum anzugeben. Ein von Quinn (1997) entwickelter Indikator enthält neben der Anteilsmessung auch eine Intensitätsmessung der Kontrollen. Der Indikator ist für 21 OECD Länder in den Jahren 1950-1997 und für 43 nicht OECD Länder für die Jahre 1958, 1973, 1982 und 1988 vorhanden. Quantitative Indikatoren treffen Aussagen über die Liberalisierung anhand ökonomischer Daten. Indikatoren für finanzielle Offenheit sind häufig die Höhe der Portfolio- und Direktinvestitionen und der Verbindlichkeiten relativ zum Bruttoinlandsprodukt (vgl. Mildner und Decker 2004, S. 11). Maya Schmaljohann -1- Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern 3. Chancen der Kapitalverkehrsliberalisierung 3.1 Theoretische Überlegungen Im Zusammenhang mit Kapitalverkehrsliberalisierung werden als Chancen meist Konsumglättung, Risikostreuung, Technologietransfer, steigende Investitionen, makroökonomische Stabilität sowie ein effizienteres Finanz- und Bankensystem genannt. Diese Entwicklungen besitzen einen direkten oder indirekten positiven Einfluss auf das Wirtschaftswachstum, welches als Hauptchance der Kapitalverkehrsliberalisierung gesehen wird. 3.1.1. Konsumglättung Eine Kapitalverkehrsliberalisierung eröffnet Haushalten die Möglichkeit sich in konjunkturell schlechten Zeiten Kapital im Ausland zu leihen und in guten Zeiten Kapital an das Ausland zu verleihen. Dies ergibt sich durch potentiell gegenläufige Konjunkturzyklen. Eine Rezession in Land A kann einhergehen mit einer Boomphase in Land B. Kapitalverkehrsliberalisierung ermöglicht ein abmildern von Konjunkturzyklen, indem in Zeiten einer Rezession durch ausländisches Kapital die inländische Nachfrage gestützt und somit ein weiteres Absinken von Produktion und Einkommen vermieden wird (vgl. IWF 1998). 3.1.2. Risikostreuung Kapitalverkehrsliberalisierung ermöglicht durch Kapitalexporte, Kapital in anderen Ländern anzulegen. Durch die unterschiedlichen Einflüsse und Entwicklungen in verschiedenen Ländern kann so das Risiko gestreut werden. Unternehmen können sich gegen Kosten- und Produktivitätsschocks schützen, indem sie in Sektoren verschiedener Ländern investieren, deren Schocks unkorreliert sind (vgl. IWF 1998). Von besonderer Bedeutung ist diese Form der Portfoliodiversifikation im Bankensektor, um eine Vernichtung des Gesamtkapitals durch eine im Inland ausgelöste Krise zu vermeiden. Die Streuung der Investitionen führt zu sichereren Erträge, die durch inländisches Sparen und Investieren das Wirtschaftswachstum fördern. 3.1.3. Investitionsanstieg Freier Kapitalverkehr führt zu einer optimalen Ressourcenallokation. Kapital fließt in die Länder, in denen der Grenzertrag des Kapitals am höchsten ist. Aufgrund der niedrigen Kapitalausstattung von Schwellenländern ist die Rendite hier besonders hoch. Dies Maya Schmaljohann -2- Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern führt zu einem erhöhten Kapitalzufluss. Durch dieses „neue“ Kapital können lohnende Investitionen getätigt werden, die zuvor aufgrund der niedrigen Kapitalausstattung nicht möglich waren (vgl. Institut für Weltwirtschaft Kiel, 2000). So werden neue Produktionspotentiale geschaffen, welche das Wachstum fördern. 3.1.4. Technologietransfer Insbesondere durch ausländische Direktinvestitionen kommt es zu Know-how Import. „Multinationale Firmen gehören zu den technologisch fortschrittlichsten Firmen und machen einen Großteil der weltweiten Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten aus“ (Boerzenstein et al. 1998, S. 116). Durch die Niederlassung dieser bzw. den Aufbau neuer Firmen in Schwellenländern kommt es zu Technologietransfer. Die inländischen Firmen stehen im Wettbewerb mit den fortschrittlichen Firmen oder agieren als Zulieferer für sie. Dadurch kommt es schnell zur Adaption des Know-hows durch inländische Firmen. Direktinvestitionen ausländischer Firmen zählen daher zu den Hauptformen der Wissensverbreitung in Entwicklungs- und Schwellenländern (vgl. Boerzenstein et al. 1998, S. 133). Durch die Verbreitung des Wissens und der Technologien sind Effizienzgewinne und Produktivitätssteigerungen zu erwarten. Nach der neoklassischen Wachstumstheorie führt allein technologischer Fortschritt zu einer Erhöhung des Wachstumspfades einer Volkswirtschaft (vgl. Solow, 1956). 3.1.5. Makroökonomische Stabilität Die Öffnung eines Landes für den internationalen Kapitalverkehr bedeutet gleichzeitig, dass es sich dem internationalen Wettbewerb aussetzt. Durch den Wettbewerbsdruck und die Notwendigkeit, Investoren Planungssicherheit und Vertrauen zu geben entsteht der Zwang die politischen Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten. Innerhalb des internationalen Kapitalmarkts wird „schlechte“ Wirtschaftspolitik durch den Abfluss von Kapital bestraft, wohingegen eine stabile und „gute“ Politik mit verstärkten Investitionen belohnt wird. Die beschriebenen Sanktionsmechanismen geben den Ländern einen Anreiz eine „...nachhaltige Wirtschaftspolitik zu verfolgen, ihren Bankensektor zu stabilisieren, einen angemessenen ordnungspolitischen und aufsichtsrechtlichen Rahmen zu schaffen und gute Regierungstätigkeit zu verfolgen“ (Mildner und Decker, 2004, S. 10). 3.1.6. Effizienteres Finanz- und Bankensystem Maya Schmaljohann -3- Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern Durch Kapitalzuflüsse nach einer Kapitalverkehrsliberalisierung kann es zum „Import“ eines neuen Finanzsystems kommen, wenn sich beispielsweise ausländische Banken im Finanzsektor ansiedeln und ihr Wissen dadurch in den Finanzmarkt einbringen. Das überlegene Risikomanagement der ausländischen Banken sowie bessere Vorkehrungen zur Ermittlung „schlechter“ Anleihen werden von heimischen Banken übernommen und senken so interne Risiken. Durch eine Verankerung des Wissens im heimischen Finanzsektor sowie durch erhöhten Wettbewerbsdruck durch die Öffnung des Kapitalmarktes wird sich ein stabileres Finanzsystem entwickeln (vgl. Moreno und Villar, 2005). Ein gut funktionierendes Finanzsystem stellt Märkte zum Leihen und Verleihen bereit. Diese verringern Transaktionskosten und Informationsasymmetrien, mobilisieren Ersparnisse, gewährleisten eine effiziente Ressourcenallokation und vereinfachen das Risikomanagement und den Handel mit Dienstleistungen und Gütern (vgl. Klein und Olivei, 1999, S. 1). 3.2 Empirische Befunde 3.2.1. Technologietransfer Boerzenstein und Lee (1998) untersuchen in einer Studie den Zusammenhang von ausländischen Direktinvestitionen und Wirtschaftswachstum. Sie kommen zu dem Schluss, dass die höhere Effizienz von Direktinvestitionen auf bessere Managementkenntnisse und Technologien zurück zuführen sei. Direktinvestitionen könnten damit der Hauptweg für die Verbreitung von neuen Technologien in Entwicklungsländern sein. 3.2.2. Makroökonomische Stabilität Eine Studie von Kaminsky und Schmuckler (2003) belegt, dass Schwellenländer zunächst anfälliger für Krisen sind, sich langfristig die Finanzzyklen aber glätten. Das Ausmaß von Boomphasen reduziert sich um 30% im Vergleich zur Zeit vor der Liberalisierung. Rezessionen treten ebenfalls seltener auf. Grund für diese Entwicklung scheint die Entstehung eines besseren Institutionellen Rahmens zu sein. Kaminsky und Schmuckler (2003) zeigen, dass in den meisten Ländern die Qualität der Institutionen erst nach der Liberalisierung steigt, was an steigenden Anreizen, die Rahmenbedingungen für Investoren zu verbessern, liege. Eine positive Entwicklung hinsichtlich der makroökonomischen Stabilität stellen auch Tytell und Wei (2004) fest. Sie kommen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass Maya Schmaljohann -4- Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern Liberalisierung Länder dazu anhält, eine striktere Inflationspolitik zu betreiben. Verbesserungen in der Budgetpolitik lassen sich hingegen nicht nachweisen. 3.2.3. Effizienzsteigerungen im Finanz- und Bankensystem Goldberg, Dages und Kinney (2000) untersuchen die Partizipation ausländischer und heimischer Banken, basierend auf Daten aus Mexiko und Argentinien. Sie zeigen, dass ausländische Banken aufgrund eines höheren Anleihenwachstums bei geringerer Volatilität für eine größere Stabilität im Finanzsystem gesorgt haben. Effizienzsteigerungen im Bankensektor sowie eine Nachfrage nach verbesserten Kontrollmechanismen durch die Integration und den Wissenstransfer ausländischer Banken wurde auch für Ostasien festgestellt (vgl. Coppel und Davies, 2003). 3.2.4. Wirtschaftswachstum Ein umfassender Bestand empirischer Untersuchungen befasst sich mit dem Zusammenhang von Kapitalverkehrsliberalisierung und Wirtschaftswachstum. Die Ergebnisse sind jedoch sehr uneinheitlich. Quinn (1997) erhält ein signifikant positives Ergebnis für den Zusammenhang von Liberalisierung und Wirtschaftswachstum. Häufig werden positive Entwicklungen aber nur bei einer bestimmten Abfolge („Sequencing“) der Liberalisierung sowie makroökonomischen Stabilitätsvoraussetzungen festgestellt. Arteta, Eichengreen und Wyplosz (2001) ermittelten einen signifikant positiven Einfluss von Kapitalverkehrsliberalisierung auf das Wachstum unter der Bedingung, dass zuvor Handelsverzerrungen und makroökonomische Ungleichgewichte abgebaut wurden. Einen positiven Wachstumseffekt durch die Öffnung des Kapitalmarktes stellt Edwards (2001) für Länder fest, die bereits ein gewisses Niveau des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreicht haben. Bei einem geringen BIP kann die Öffnung hingegen negative Folgen haben. Der Zusammenhang von ausländischen Direktinvestitionen und Wirtschaftswachstum wurde von Boerzenstein und Lee (1998) untersucht. Danach ergibt sich ein positiver Zusammenhang, wenn der Bestand an Humankapital ein bestimmtes Mindestmaß erreicht. Die Autoren führen dies auf notwendige Fähigkeiten, um Effizienzgewinne durch neue Technologien generieren zu können, zurück. Rodrick (1998) und Kraay (1998) erhalten hingegen kein signifikantes Ergebnis für den Zusammenhang zwischen der Öffnung des Finanzmarktes und Wirtschaftswachstum. Maya Schmaljohann -5- Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern 4. Risiken der Kapitalverkehrsliberalisierung 4.1 Theoretische Überlegungen Neben den angeführten Chancen einer Kapitalverkehrsliberalisierung bestehen auch erhebliche Risiken, insbesondere in Bezug auf die Krisenanfälligkeit der Länder. Die Risiken sind vor allem auf die Rahmenbedingungen und das Problem der asymmetrischen Informationsverteilung in Schwellenländern zurückzuführen. 4.1.1. Pro-zyklische Kapitalflüsse Kurzfristige Kapitalimporte in Schwellenländer erfolgen häufig pro-zyklisch (vgl. Kaminsky, Reinhart und Végh, 2004). Dies birgt das Risiko, dass Konjunkturzyklen verstärkt werden. In konjunkturell guten Zeiten kommt es zu Kapitalzuflüssen, die die Nachfrage und die Investitionstätigkeit verstärken. Dadurch steigt die Gefahr des „Überhitzens“ der Wirtschaft und einem daraus folgenden Inflationsanstieg. In konjunkturell schlechten Phasen kommt es hingegen zu einem Abfluss von Kapital. Dies schränkt die Inlandsnachfrage und Investitionstätigkeit weiter ein und hat eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation zur Folge. Ein weiteres Problem entsteht bei einer Verwendung der Kapitalzuflüsse zur Finanzierung höheren Konsums in der Gegenwart. Dies kann zur späteren Zahlungsunfähigkeit führen, insbesondere wenn die Kapitalimporte mit einer erhöhten Verschuldung verbunden sind (vgl. Institut für Weltwirtschaft, 2000). 4.1.2. Makroökonomische Instabilität Starke Kapitalzuflüsse können zu Aufwertungsdruck der heimischen Währung, Inflationsdruck und Ausweitung des Leistungsbilanzdefizits führen (Agénor, 2001, S. 13f.). Steigende Kapitalzuflüsse verursachen einen Aufwertungsdruck der Währung, die eine Verschlechterung der Exportsituation des Landes zur Folge hat. Die Zentralbank versucht dies, wie in einem Festkurssystem, häufig durch den Aufkauf ausländischer Devisen zu verhindern. Es kommt zur Ausweitung des Zentralbankgeldes, was eine steigende Inflation nach sich zieht. Um dies zu verhindern, muss die Zentralbank den heimischen Kreditmarkt beschränken, beispielsweise durch höhere Reserveauflagen für die Geschäftsbanken. Ein Anstieg der Zinsen ist die Folge. Dieser führt jedoch zu einer steigenden Attraktivität heimischer Anlagen für ausländische Investoren und damit zu einer Verlängerung des Kapitalzuflusses (vgl. Frankel und Okongwu, 1995). Maya Schmaljohann -6- Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern 4.1.3. Fehlallokation Zur Fehlallokation des Kapitals kann es insbesondere aufgrund von Informationsasymmetrien kommen. Informationsasymmetrie hat verschiedene Effekte zur Folge, wie: „adverse selection“, „moral hazard“ und „Herdenverhalten“. „Adverse selection“ und „moral hazard“ führen zu dem Problem der Fehlallokation, während der „Herdenverhalten“ vor allem das Risiko einer Währungskrise erhöht. „Adverse selection“ bezieht sich auf fehlende Informationen über die Bonität der Kreditnehmer. „Gute“ Kreditnehmer zahlen eine (relativ zu ihrer Bonität) hohe Risikoprämie, „schlechte“ Kreditnehmer hingegen eine in Anbetracht ihrer Bonität niedrige Prämie. Dadurch werden die „guten“ Kreditnehmer aus dem Markt ausscheiden und das Kapital vor allem den Kreditnehmern mit geringerer Bonität zu kommen. „Moral hazard“ wird durch fehlende Informationen über das Verhalten des Kreditnehmers sowie schwache Banken (i.S. der Kapitalausstattung) und nachlässige Aufsichtsbehörden in Schwellenländern bedingt. Durch diese Systemschwächen besteht die Gefahr, dass Kreditnehmer nach Abschluss des Kreditvertrages ihre Sorgfaltspflicht vernachlässigen und in riskante Projekte investieren (vgl. Agénor, 2001, S.). 4.1.4. Risiken durch ausländische Banken Die Integration ausländischer Banken kann zu einer Verschlechterung der Kreditvergabe und zu einer Fusionswelle führen. Es besteht das Risiko, dass ausländische Banken eine an den großen und sicheren Kreditnehmern orientierte Kreditvergabepolitik betreiben. Ein Absinken der Kredite für kleine Firmen, was einen negativen Effekt auf Produktion, Beschäftigung und Einkommensverteilung hätte, wäre die Folge (vgl. Agénor 2001). Nach Agénor (2001) liegt ein weiteres Problem ausländischer Banken darin, dass sie aufgrund geringerer operationaler Kosten einen Vorteil gegenüber heimischen Banken haben, den diese versuchen durch Fusionen auszugleichen. Verstärkte Zusammenschlüsse von Banken bergen aber in Ländern mit einer mangelhaften Bankenaufsicht die Gefahr des „moral hazard“. Die Banken verlassen sich darauf, dass der Staat aufgrund ihrer Größe im Falle einer drohenden Insolvenz Liquiditätshilfen bereitstellt, um eine Bankenkrise abzuwenden. Da sie so einen Bankrott nicht zu fürchten haben, investieren Banken in risikoreiche Projekte. Maya Schmaljohann -7- Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern Eine weitere Gefahr ist, dass ausländischen Banken in Krisenzeiten abwandern und den heimischen, „unerfahreneren“ und kapitalärmeren Banken den Finanzmarkt überlassen. Ausländische Banken bergen zudem das Risiko, Schocks in das Land tragen, welche sich im Heimatmarkt der Mutterbank abspielen. 4.1.5. Währungskrisen Die Gefahr einer Währungskrise ist das am häufigsten im Zusammenhang mit Kapitalverkehrsliberalisierung genannte Risiko. Es entsteht vor allem durch das Zusammenspiel von schwacher Finanzkontrolle und dem Verhalten der Investoren aufgrund asymmetrischer Informationen, dem „Herding“ oder „Herdentrieb“. Fehlende Informationen führen dazu, dass Investoren in ihrem Verhalten anderen, scheinbar besser informierten Investoren folgen. Das sog. „Herding“ hat einen starken Kapitalzufluss in einen Sektor zur Folge, wodurch eine Investitionsblase entstehen kann (z.B. im Zuge der Asienkrise). Sobald einige Investoren ihr Kapital aufgrund negativer Erwartungen zurückziehen, folgt die Mehrheit der anderen Investoren. Dieses panikartige Verhalten hat einen Verfall der Vermögenswerte und der Währung zur Folge. Ist die Finanzaufsicht zudem mangelhaft, besteht die Gefahr, dass dem investierten Kapital nicht genügend Reserven gegenüber stehen und ein rascher Kapitalabzug zur Insolvenz von Intermediären führt. Ein weiterer Grund für Währungskrisen ist der Aufbau eines Kapitalbilanzdefizits und dessen mögliche Folgen bei einer Abwertung der Währung. Um die geringere Stabilität der heimischen Währung auszugleichen, herrscht in Schwellenländern meist ein höherer Zinssatz (vgl. Metzger, 2001, S. 89). Durch die höhere Verzinsung und den häufig fixierten Wechselkurs angelockt, investieren ausländische Kapitalgeber kurzfristig in Schwellenländer und können so erhebliche Zinsgewinne erwirtschaften. Durch den Zufluss ausländischen Kapitals entsteht ein Kapitalbilanzdefizit. Zudem gerät die Währung unter Aufwertungsdruck, was die Zentralbank durch eine Sterilisationspolitik (siehe 3.2.1) versucht zu verhindert. Kommt es aufgrund der hohen Auslandsverschuldung oder anderer Gründe zu einem Vertrauensverlust der ausländischen Anleger in die Währung, ziehen sie ihr Kapital ab und die Währung wertet ab. Da die Verschuldung der Länder überwiegend in Fremdwährung erfolgt, erhöht sich so die Schuldenlast massiv. Diese Verschuldungsfalle wird noch verstärkt durch die Kreditaufnahme heimischer Banken und Unternehmer im Ausland, welche angetrieben werden durch Maya Schmaljohann -8- Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern niedrigere, ausländische Zinssätze. Aufgrund mangelhafter Bankenaufsicht und Kontrollen, kann es zu einer nicht nachhaltigen Kreditaufnahme der Banken kommen. Ein Anstieg der Schulden, der durch den Wertverlust der Währung verursacht wird, kann zur Zahlungsunfähigkeit der Unternehmen und Banken führen und so neben der Währungs- auch eine Finanzkrise auslösen (vgl. Bofinger, 2001). 4.2. Empirische Befunde 4.2.1. Pro-zyklische Kapitalflüsse Kaminsky, Reinhart und Végh (2004), untersuchen die Struktur von Kapitalflüssen sowie die Fiskal- und Geldpolitik in 105 Ländern. Sie stellen fest, dass besonders in Schwellenländern die Kapitalflüsse positiv miteinander korreliert sind. In guten Zeiten kommt es also sowohl zu mehr Kapitalimporten als auch einer expansive Fiskal- und Geldpolitik. Aus Sicht der Autoren trägt dies zur Erklärung der häufigen Finanzkrisen sowie der Volatilität und Ausgeprägtheit der Konjunkturzyklen in Schwellenländern bei. 4.2.2. Makroökonomische Instabilität Calvo, Leiderman und Reinhart (1996) untersuchten Kapitalzuflüsse und die resultierenden makroökonomischen Effekte in Lateinamerika und Asien. Kapitalzuflüsse führen demnach in den meisten Ländern zu einer Geldmengenausweitung. In den Ländern Lateinamerikas kam es zudem zu einer starken Währungsaufwertung. 4.2.3. Fehlallokation Nach Krugman (1998) war ein Hauptgrund der Asienkrise die Fehlallokation von Geldern aufgrund von „moral hazard“. In den 1990er Jahren wurden in vielen Staaten indirekt staatliche Garantien für Finanzinstitute gewährleistet. Durch diese staatliche Absicherung in Verbindung mit einer schwachen Bankenaufsicht wurden viele Gelder in risikoreiche Anlagen investiert. Dies führte zu einer großen Zahl notleidender Kredite und dadurch zu einer Belastung der Banken. 4.2.4. Risiken durch ausländische Banken Eine Studie zum Verhalten ausländischer Banken in Malaysia von Detragiache und Gupta (2004) zeigt, dass ausländische Banken, im Anschluss an die Krise 1997/98, das Land trotz (im Vergleich zu heimischen Banken) geringerer Unterstützung durch die Regierung nicht verließen. Maya Schmaljohann -9- Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern In Korea hingegen nutzten ausländische Banken ihre Sachkenntnisse und Ressourcen, um heimischen Banken Kreditnehmer von hoher Bonität abzuwerben und ihnen lediglich riskante Kreditnehmer zu überlassen (vgl. Kim und Lee, 2003). 4.2.5. Banken- und Währungskrisen Eichengreen und Arteta (2000) zeigen, dass Kapitalverkehrsliberalisierung in Verbindung mit schwachen Institutionen das Risiko einer Bankenkrise erhöht. Zu diesem Ergebnis kommen auch Demirgüç-Kunt und Detragiache (1998). Nach einer Studie von Glick, Guo und Hutchison (2004) ist hingegen die Gefahr einer Währungskrise in Ländern mit Kapitalkontrollen höher als in einem Land, welches seinen Kapitalverkehr liberalisiert hat. 5. Fazit Es ist deutlich geworden, dass Kapitalverkehrsliberalisierung viele Chancen für die Entwicklung und das Wachstum einer Volkswirtschaft bietet. In der Theorie wird von transparenten Märkten und vollkommenen Informationen ausgegangen, weshalb eine optimale Ressourcenallokation durch Liberalisierung stattfindet. Gerade in Schwellenländern ist jedoch der institutionelle Rahmen schwach und es herrscht Informationsasymmetrie. Durch diese Unvollkommenheiten birgt eine Kapitalverkehrsliberalisierung schwerwiegende Risiken für Schwellenländer und die Weltwirtschaft. Um diese Risiken zu minimieren, sollte einer Liberalisierung ein entsprechender Umbau des institutionellen Rahmens vorangehen. In Studien, die sich mit dem Thema des optimalen „Sequencing“ makroökonomischer beschäftigen, Stabilität, wird funktionierender häufig die Wichtigkeit Finanzaufsicht sowie schrittweisen Öffnung, vor allem in Bezug auf kurzfristige Kapitalströme, betont. Maya Schmaljohann -10- von einer Chancen und Risiken einer Kapitalverkehrsliberalisierung in Schwellenländern 6. 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