Prophylaxedialog 1/2006

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1. Jahrgang
Nr. 1/2006
PROPHYLAXEdialog
Informationen zur Oralprävention in der Praxis
Antibakterielle Effekte der Aminfluoride
auf die dentale Plaque
Weitere Themen:
Individualprophylaxe
Prophylaxe in der Kieferorthopädie
Prophylaxe praktikabel
Diabetes und Parodontalerkrankungen
EuroPerio5
Langzeitbehandlung von Patienten mit Parodontitis und Implantaten
Impressum / Inhalt
Herausgeber (V.i.S.d.P.):
Gebro Pharma GmbH
Bahnhofbichl 13
A-6391 Fieberbrunn
Fachbereich Zahngesundheit:
Michael Kainzner
GABA International AG
Emil-Frey-Straße 100
CH-4142 Münchenstein
Medizinisch-wissenschaftliche Abteilung:
Dr. Christiane Spiegelhalder
Public Relations: Dr. Stefan Hartwig
Redaktion:
Medizin & PR GmbH
Gesundheitskommunikation
Im Klapperhof 33 a · D-50670 Köln
Gestaltung:
eye-con Medienagentur
Lechenicher Str. 29 · D-50374 Erftstadt
Editorial
3
– Mag. Michael Kainzner
Schwerpunktthema
– Antibakterielle Effekte der Aminfluoride
auf die dentale Plaque
Prof. Dr. Dr. Lutz Stößer, Jena
4
Individualprophylaxe
– Prophylaxe in der Kieferorthopädie
Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke,
Dr. Angela Döbert, Hamburg
7
Prophylaxe praktikabel
– Diabetes und Parodontalerkrankungen
Prof. Leonardo Trombelli, Ferrara
9
– Prophylaxe bei Angstpatienten
Dr. Dr. Norbert Enkling, Dr. Jens Rathje,
PD Dr. Peter Jöhren, Bochum
11
Produktinformationen
Die Meinung der Autoren muss nicht
in jedem Fall der Meinung des Herausgebers entsprechen. Nachdruck und
auszugsweise Veröffentlichung ist bei
Quellenangabe gestattet.
– Zahnpflege bei Patienten mit freiliegenden
Zahnhälsen und sensiblen Zähnen
13
Kongress International
– EuroPerio5: Langzeitbehandlung von Patienten
mit Parodontitis und Implantaten
16
– EuroPerio5: Diagnostik und Therapie
periimplantärer Infektionen
19
„Fancy“ – Substanz: Hetaflur
Technik: Polarisations-Mikrofotografie
Christian Scheibe
02
1/2006
PROPHYLAXEdialog
Editorial
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
der Prophylaxegedanke
war in der Zahnheilkunde
von jeher stärker verankert
als in anderen medizinischen
Disziplinen. Durch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt und die immer höheren Ansprüche
der Patienten an die Medizin gewinnt die Prophylaxe
noch weiter an Bedeutung.
In Österreich gab es bis zum heutigen Tag kein
Fachmagazin, das dieses Thema in dieser Form zum
Schwerpunkt erklärte. Die vor Ihnen liegende erste
österreichische Ausgabe der Zeitschrift „PROPHYLAXEdialog“ macht Schluss damit.
Der „PROPHYLAXEdialog“ ist eine Fachzeitschrift
für niedergelassene Zahnärzte und Experten an den
Hochschulen.
Unsere Beiträge sind nicht nur für die Praxis relevant, sondern auch umsetzbar. Für die Richtigkeit der
Inhalte steht ein internationaler wissenschaftlicher Beirat, in dem namhafte Professoren und Kliniker ebenso
vertreten sind wie niedergelassene Zahnärzte.
Übrigens ist der Name „PROPHYLAXEdialog“ nicht
zufällig gewählt. Der Titel soll signalisieren, dass wir
einen lebendigen Dialog zwischen Hochschulexperten,
niedergelassenem Zahnarzt und Hersteller initiieren
wollen. Sie können den Inhalt des „PROPHYLAXEdialog“ aktiv mitgestalten, wenn Sie uns Ihre Wünsche
zukommen lassen. Wir freuen uns über Anregungen
unter [email protected].
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen der
ersten Ausgabe und freuen uns darauf, Sie als „Stammleser“ gewinnen zu können.
Die Gebro Pharma GmbH, ein österreichisches
pharmazeutisches Unternehmen und unter anderem
Hersteller von elmex® und meridol®, wird die Zeitschrift zukünftig herausgeben. Zweimal im Jahr werden
Sie darin Artikel von renommierten internationalen
Experten nachlesen können.
Ihr
So schreibt in dieser Ausgabe unter anderem
Professor Lutz Stößer, Universität Jena, über den Wirkstoff Aminfluorid und seine Eigenschaften. Weiter
berichten wir aktuell von der EuroPerio in Madrid mit
Beiträgen von den Professoren Mariano Sanz aus
Spanien, Tord Berglundh aus Schweden und Maurizio
Tonetti aus England. Über die besonderen Anforderungen an die Mundhygiene von Diabetikern berichtet
Professor Leonardo Trombelli von der Universität Ferrara, Italien. Diese Internationalität und die Auswahl der
Autoren sind etwas Besonderes im Bereich der zahnärztlichen Fachzeitschriften.
Mag. Michael Kainzner
Der „PROPHYLAXEdialog“ hat „Schwestermagazine“ in Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Italien,
Belgien und den Niederlanden. Das ist einer der
Gründe für diese Internationalität und das weit verzweigte Expertennetzwerk.
PROPHYLAXEdialog
Fachbereich Zahngesundheit
(Gebro Pharma GmbH)
PS: Wenn Ihnen die erste Ausgabe gefallen hat, können
Sie weitere Ausgaben kostenlos und völlig unverbindlich bestellen. Einfach eine kurze E-Mail (mit Ihrer
vollständigen Adresse) mit dem Kennwort:
„PROPHYLAXEdialog -- Abo“
an [email protected] schicken.
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Schwerpunktthema
Antibakterielle Effekte der Aminfluoride
auf die dentale Plaque
Professor Dr. Dr. Lutz Stößer, Friedrich-Schiller-Universität, Jena
Einleitung
In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde
von Lohmann und Meyerhof die hohe Sensitivität des
glykolytischen Energiestoffwechsels von Säugetierzellen gegenüber Fluorid beschrieben. Kurze Zeit danach wurde von Bibby und van Kesteren (1940) über
die Hemmung der Säureproduktion oraler Streptokokken und Laktobazillen durch niedrige FluoridKonzentrationen berichtet. Nach dem aktuellen Kenntnisstand wird die Wirkung der Fluoride heute als lokaler Einfluss auf die Löslichkeit des Zahnschmelzes, auf
seine Remineralisation und vor allem auch auf den
bakteriellen Stoffwechsels gesehen.
Fluorid-Konzentration
in der dentalen Plaque
Von grundlegender Bedeutung für kariespräventive
Effekte des Fluorids in der dentalen Plaque ist seine
Verfügbarkeit an diesem Wirkort. Dabei ist zu beachten, dass die schwache Flusssäure bei pH-Werten über
5,0 zu 98 % dissoziiert, aber bei pH 4,0 schon 12 %
in der undissoziierten Form als HF vorliegen. Als
Konsequenz seiner Reaktivität wird es sowohl intraals auch extrazellulär gespeichert. Intrazellulär ist es vor
allem an Zytoplasmaproteine gebunden, während es
extrazellulär als Calciumfluorid stabilisiert durch anorganische Phosphate und Matrixproteine anzutreffen
ist. Nach neueren Befunden lassen sich zwei Formen in
der Plaque unterscheiden: etwa 5 % liegen als „freies“
und 95 % als „extrahierbares“ Fluorid vor. Bei niedriger
F-Belastung eines Individuums beträgt der mittlere
F-Gehalt der Plaque etwa 5 bis 10 ppm F vom Feuchtgewicht und bei permanenter F-Belastung mit dem
Trinkwasser steigt dieser Wert auf 10-20 ppm F an.
Fluorid-Aufnahme durch die Plaque
Die F-Menge in den Bakterien hängt vom F-Gehalt
außerhalb der Zelle ab; sie kann energieunabhängig
gegen einen Konzentrationsgradienten intrazellulär
angereichert werden. Wenn extrazellulär durch die
bakterielle Säureproduktion der pH-Wert fällt, liegt
dort bereits relativ viel Fluorid undissoziiert als HF vor,
das augrund seiner Elektroneutralität in die Zelle penetriert, dort auf neutrale pH-Verhältnisse stößt und infolge dessen in H+ und F- dissoziiert (Abb. 1).
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1/2006
Zellmembran
H+ + F- HF
pH 4,0
HF
H+ + FpH 7,0
extrazellulär
intrazellulär
Abb. 1: Fluorid-Transport durch die Bakterienmembran
bei saurem pH-Wert
Damit gelangt nicht nur Fluorid in die Zelle, sondern gleichzeitig erfolgt ein Einstrom von Protonen, so
dass intrazellulär eine Übersäuerung eintritt. Das
Fluorid wird in der Zelle zum größten Teil ionisierbar
lose und zu einem viel kleineren Anteil fest gebunden.
Es bestehen signifikante Unterschiede in der Sensitivität verschiedener mikrobieller Spezies und Genera
gegenüber Fluorid, ungeachtet dessen ist aber in
der Plaque bis 1 mmol/l (19 ppm) F-Exposition keine
Veränderung der bakteriellen Zusammensetzung beschrieben.
Spezifische metabolische Effekte
des Fluorids
Im bakteriellen Intermediärstoffwechsel greift das
Fluorid an folgenden Stellen ein:
1. Enolase: Dieses Enzym ist das Hauptziel des
Fluorid-Ions in der Bakterienzelle; im aktiven Zentrum
enthält es Magnesium, das mit dem Fluorid reagiert,
dadurch wird die Umwandlung von 2-Phosphoglycerat
in Phosphoenolpyruvat (PEP) unterbrochen, folglich
ist der Energiestoffwechsel schwer geschädigt. Die
Enolase ist nicht nur gegenüber Fluorid, sondern auch
gegenüber intrazellulären pH-Verschiebungen empfindlich. Ihr pH-Optimum liegt bei pH 7,3 bis 7,7.
Die reduzierte Säureproduktion als Ausdruck eines
gestörten Energiestoffwechsels der Mikroorganismen
spiegelt den antimikrobiellen Effekt der Fluoride wider
und stellt eine Schlüsselfunktion der Kariesprävention
dar.
PROPHYLAXEdialog
Schwerpunktthema
2. PEP-Phosphotransferase: Weiterhin ist der
Zuckertransport durch die Bakterienmembran betroffen, denn das Phophoenolpyruvat-PhosphotransferaseSystem (PEP-PTF) benötigt ATP zur Translokation der
Glukose in der Membran und zur Aktivierung des
Zuckers.
Enzym II
Ein Vergleich der bakteriziden Wirkung von
Aminfluorid, Aminchlorid und Chlorhexidin an planktonischen oder als Biofilm organisierten S.-sobrinusBakterien zeigt, dass zur Inhibierung des Biofilms 75bis 300fach höhere Konzentrationen für die gleichen
Effekte benötigt werden.
Produkt
Glukose + PEP ---> Glukose-6-P + Pyruvat
Das Enzymsystem selbst reagiert nicht mit dem
Fluorid, so dass die mangelnde Einschleusung von
Zucker in die Zelle direkt auf den ATP-Mangel zurückzuführen ist.
3. Proton translocierende ATPase und Proton
Motive Force: Bei anaeroben Bakterien wird durch die
in der Membran lokalisierte, Protonen ausschleusende
ATPase ein pH-Gradient zwischen extra- und intrazellulärem Raum aufgebaut, der zum Transport von
Aminosäuren, aber auch zusätzlich von Zuckern in die
Zelle dient. Durch den Mangel an ATP-Bereitstellung
ist diese Funktion der Zelle gestört.
4. Makromoleküle/Polysaccharide (PS): Die oralen
Bakterien bilden extra- und intrazelluläre Polysaccharide als Reserven in Nahrungskarenzzeiten und
als Matrixbestandteil sowie als „Klebstoff“ zur Verankerung auf festen Oberflächen. Fluorid hemmt die
Synthese wasserunlöslicher extrazellulärer PS durch
S. mutans, während die Synthese wasserlöslicher PS
unbeeinflusst bleibt. Obwohl einerseits durch FluoridBelastung eine Verschiebung des Fruktose-GlukoseVerhälnisses der PS beschrieben wurde, konnte andererseits keine Beeinflussung der Glucosyl- oder
Fructosyltransferasen durch Fluorid bis zu 200 ppm
bestimmt werden.
Demgegenüber sind Hemmeffekte durch Fluorid
bei der Synthese makromolekularer Zellbausteine wie
bei der Lipoteichonsäure oder den Peptidoglycanen
der Zellwand beschrieben.
In synoptischer Betrachtung der Hemmeinflüsse ist
also nicht nur die Inhibierung der Glykolyse durch
Fluorid bedeutungsvoll, sondern die Bakterien werden
zusätzlich durch Störungen des pH-Gradienten geschädigt.
In-vivo-Übertragbarkeit
Die F-Konzentration von In-vitro-Laboruntersuchungen ist nicht ohne weiteres im Biofilm der dentalen
Plaque gegeben und damit unterscheiden sich die
Reaktionsmuster der dort organisierten, strukturieren
Bakterien erheblich von ihrem Verhalten als planktonische Suspension.
PROPHYLAXEdialog
Planktonische
Bakterien
BiofilmBakterien
MBK* Abtötungszeit
µM
Min
MBK
µM
Abtötungszeit
Min
AmF
20
<5
1.500
<5
AmCI
10
<5
1.500
<5
CHX
5
<5
1.500
<5
Antibakterielle Effekte des Aminfluorids (AmF), Aminchlorids (AmCI)
und Chlorhexidins (CHX) auf S. sobrinus 6715 planktonisch oder als
Biofilm (nach Shani et al. 2000)
* Minimale bakterizide Konzentration
Auch die Stephankurven, die Graf bei Verabreichung von fluoridhaltigen Saccharose-Lösungen
registrierte, bestätigten diese veränderte Reaktion des
Biofilms. Nach parallelen In-vitro-Befunden hätte die
Hemmung der Säureproduktion früher auftreten und
stärker ausfallen müssen (Abb. 2).
in vitro:
Bakterienkultur
ppm F
002
(Bibby 1941)
in vivo:
natürliche Plaque
arterielle Plaque
interproximale Plaque
005
100
030
(Neff 1987)
(Bodden 1982)
(Cornick 1988)
pH
8
Intraoral gemessene Stephankurve
6
1000 ppm F
100 ppm F
10 ppm F
5
0 ppm F
7
4
3
20
40
60 min
(nach Graf 1968)
Abb. 2: Inhibierung der dentalen Plaque durch unterschiedliche
Fluorid-Konzentrationen (oben) und Verlauf der Stephankurve, wenn
die verabreichte Zuckerlösung gleichzeitig Fluorid enthält
Ungeachtet dessen scheint die Säureproduktion
der Plaque bei permanenter F-Verabreichung um etwa
0,2 pH-Einheiten weniger sauer auszufallen, womit
van Loveren einen bedeutenden kariespräventiven
Beitrag verknüpft. Bei Verschiebung des pH-Minimums
um 0,2 Einheiten ins Neutrale ist die Plaque-Flüssigkeit früher für Apatit gesättigt, seine Auflösung fällt
weniger intensiv aus oder unterbleibt vollständig.
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Schwerpunktthema
Spezifität der Aminfluorid-Wirkung
Bei den Aminfluoriden stellt das Kation entweder
ein Monoamin (Olaflur) oder ein Diamin (Dectaflur) dar,
das weiterhin zusätzlich eine apolare aliphatische Kette
besitzt. Diese gegensätzlichen Komponenten verleihen
der Molekülstruktur Tensideigenschaften. Eine optimale Benetzung der Zahnoberfläche durch das Aminfluorid ist die Folge, so dass einerseits die Wechselwirkung mit dem Hartgewebe sowie andererseits auch
das Durchdringen der Plaque besonders intensiv sind.
Die organische Komponente der Aminfluoride verfügt über separate antibakterielle Eigenschaften, die
durch Wechselwirkungen mit der Bakterienmembran
hervorgerufen werden und in Diffusionsmodellen vom
anorganischen Fluorid, das als „kleineres“ Ion viel
schneller aus einem „slow releasing device“ austritt,
differenziert werden kann (Shani et al. 1998). Die
minimalen Hemmkonzentration mit Aminfluorid für
S. sobrinus ist 100-Mal niedriger als mit NaF (Shani
et al. 1996). Auch Gramnegative werden durch Aminfluoride abgetötet, wobei sogar der schwer zu beeinflussende A. actinomycetemcomitans ebenfalls durch
ein Zehntel der elmex®-Konzentration (Olaflur) erreicht
wird (Oosterwaal et al. 1989, 1990).
Nach Untersuchungen an Speichel-konditioniertem
Zahnschmelz wurde eine mit Chlorhexidin vergleichbare lang anhaltende Substantivität des Aminfluorids
(Decker at al. 2003) beschrieben. Bakteriostatische
bzw. bakterizide Konzentrationen, wie sie mit 40 Stämmen (Kay, Wilson 1988) zwischen 65 und 260 µg/ml bei
einer Einwirkungszeit von 3 bis 46 Minuten bestimmt
wurden, lassen sich nicht auf das F-Ion allein zurückführen.
Aus In-vitro-Untersuchungen über den Einfluss von
NaF und Aminfluorid auf die Enolase und die membranständige ATPase (van Loveren) werden unterschiedliche Mechanismen der Wechselwirkung vermutet, denn Enolase wird durch Natriumfluorid gehemmt, während der Aminanteil einen protektiven
oder sogar stimulierenden Einfluss auf das Enzym ausübt. Demgegenüber ist die ATPase gegenüber Aminfluorid deutlich empfindlicher als gegenüber NaF, so
dass Aminfluoride die bakterielle Glykolyse in der
Summe ihrer Einflüsse stark inhibieren.
In der dentalen Plaque verfügt Aminfluorid über
eine besonders lang anhaltende quasi „Depot“Wirkung (Dolan et al. 1974), denn 90 Minuten nach
einer NaF-Spülung bewirkt eine Zuckerbelastung
der Plaque keine Einschränkung der Stephankurve,
während nach Aminfluorid eine reduzierte Stoffwechselaktivität imponiert (Schneider, Mühlemann 1974).
Die antiglykolytische Wirkung des Aminfluorids bleibt
3 bis 6 Stunden erhalten.
Bei der klinischen Anwendung der Aminfluoride
wird in vielen Fällen von einem antibakteriellen Einfluss
berichtet. Dies trifft auch für eigene Untersuchungen
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1/2006
mit meridol®-, Chlorhexidin- oder Aminfluorid-Anwendung zu (Schulz et al. 1991). Nach 21 Tagen ohne
Mundhygiene wurde eine Plaque-Bedeckung der
Labialfläche des rechten oberen lateralen Incisivus mit
40 % beobachtet, die durch zweimalige AminfluoridMundspülung pro Tag (250 ppm F) auf 13 % reduziert
werden konnte (Abb. 3). Eine solche Plaque-Reduktion
ist mit NaF (250 ppm) nicht zu erzielen (Perdok et al.
1989).
%
40
39
Tag 21
Tag 0
35
30
25
24
24
21
18
20
13
15
10
3.5
5
0
Placebo
AmF/SnF2
2
CHX
AmF
Abb. 3: Plaque-Akkumulation am Zahn 12 nach 5 Tagen ohne Mundhygiene und 21 Tagen Mundspülung mit Placebo, Aminfluorid/Zinnfluorid (250 ppm F, Chlorhexidin (0,2 %) oder Aminfluorid (250 ppm F)
Aminfluoride besitzen über die Fluoridwirkung
hinausgehende antibakterielle Eigenschaften, da sie
■ sich aufgrund ihres Tensidcharakters besonders
schnell in der Mundhöhle auf allen Oberflächen
verteilen,
■ eine längere Clearance in der Mundhöhle bzw.
dentalen Plaque zeigen,
■ eine besondere Plaquophilie besitzen,
■ stark antiglykolytisch wirken und damit
■ hohe bakteriostatische und bakterizide Wirkung
entfalten.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass
überzeugende Ergebnisse für die antibakterielle Wirksamkeit der Fluoride mit kariespräventivem Effekt vorliegen. Der Einfluss des Fluorid-Ions kann durch spezifische Anionen verstärkt werden, wie es für das Aminfluorid nachweisbar ist. Diese die Fluorid-Wirkung
unterstützenden Effekte sind eine wichtige Voraussetzung für die hohe kariespräventive, klinisch nachweisbare Wirksamkeit der Aminfluorid-Präparate.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Dr. Lutz Stößer
Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Poliklinik für Präventive Zahnheilkunde
Bachstraße 18 - D-07743 Jena
Tel.: +49(0)3641/934800
Fax: +49(0)3641/934802
E-Mail: [email protected]
PROPHYLAXEdialog
Individualprophylaxe
Prophylaxe in der Kieferorthopädie
Teil 2: Kariesprophylaxe in der pädiatrischen Kieferorthopädie
Professor Dr. Bärbel Kahl-Nieke, Dr. Angela Döbert, Hamburg
Das Gebiss entwickelt sich, wie durch den Zahnwechsel deutlich sichtbar, über eine lange Zeit hinweg.
In dieser langen Wachstums- und Entwicklungsperiode
können aus kieferorthopädischer Sicht neben den
genetischen Determinanten viele exogene Störfaktoren
auf die Zähne einwirken. Aus zahnärztlicher Sicht kann
die Entwicklung eines naturgesunden Gebisses durch
Karies und Parodontopathien beeinträchtigt werden.
Daher ist während der Gebissentwicklung eine regelmäßige Betreuung durch Zahnärzte und Kieferorthopäden sinnvoll.
Eckpfeiler der zahnmedizinischen
Prävention
Die primären Präventionsmaßnahmen zielen darauf
ab, Kariesneuerkrankungen zu verhindern. Sie bestehen
aus Ernährungslenkung, zweckmäßiger und altersgerechter Zahn- und Mundpflege sowie der Anwendung von Fluoriden. Hierbei ist der lokalen Applikation
von Fluoriden (Zahnpasten, Spüllösungen, Lacke und
Gelees) gegenüber der systemischen Zufuhr mittels
Tabletten und Speisesalz der Vorrang einzuräumen.
Die Gruppenprophylaxe bei Vorschul- und Schulkindern
sollte möglichst früh einsetzen und flächendeckend
durchgeführt werden. Sie beinhaltet die Untersuchung
der Mundhöhle, Erhebung des Zahnstatus, Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität des Zahnschmelzes
durch Fluorid und Anleitung zur Mundhygiene.
Kieferorthopädisches
Behandlungsspektrum
Die moderne Kieferorthopädie beinhaltet nicht nur
die Behandlung von Kindern im Wechselgebiss, sondern bietet ein Behandlungsspektrum von der Geburt
bis ins hohe Erwachsenenalter. Zur Bestimmung des
optimalen Behandlungszeitpunkts und der damit verbundenen Behandlungsstrategie sind umfassende
Befunderhebung, Diagnostik und Therapieplanung
innerhalb zahnmedizinischer Grenzen unerlässlich.
Bestimmung des kieferorthopädisch
optimalen Behandlungsbeginns
Der Behandlungsbeginn sollte nach van der Linden
so gewählt werden, dass die Behandlungsdauer möglichst kurz gehalten und mit höchster Wirksamkeit das
bestmögliche Ergebnis erzielt werden kann.
PROPHYLAXEdialog
Die Bestimmung des Behandlungsbeginns hängt ab
von: Art und Ausprägung der Anomalie, dem Dentitionsalter, dem skelettalen Alter, dem chronologischen
Alter (als Orientierungshilfe) und der psychosomatischen Entwicklung des Patienten.
Die kieferorthopädische Behandlung unterteilt sich
in vier verschiedene Behandlungsperioden: Frühbehandlung, Normalbehandlung, Spätbehandlung und
Erwachsenenbehandlung.
Kieferorthopädische
Frühbehandlung
Die Frühbehandlung unterteilt sich in die Behandlung im Säuglingsalter und die Behandlung im Milchund frühen Wechselgebiss. Die Frühbehandlung im
Säuglingsalter beinhaltet die Versorgung von Lippen-,
Kiefer- und Gaumenspaltpatienten mit Trink- und
Sprechplatten, die ein bis zwei Tage nach der Geburt
zur Steuerung des Oberkieferwachstums und der
Segmente eingesetzt werden. Als Weiteres werden
Patienten mit zum Beispiel Pierre-Robin-Sequenz direkt
nach der Geburt mit Stimulationsplatten nach Castillo
Morales behandelt, um postnatal das Unterkieferwachstum zu stimulieren. Die Frühbehandlung im Milchgebiss dient zur Therapie extremer Anomalien, wie zum
Beispiel Anomalien des progenen Formenkreises,
Retrogenien mit ausgeprägt sagittaler Stufe sowie
extrem offene Bisse. Während eine aktive Therapie nur
bei extremen und progredienten Anomalien notwendig
ist, sollten Fehlfunktionen so früh wie möglich abgestellt werden.
Prophylaxe im Säuglingsund Kleinkindalter
Vor dem sechsten Lebensmonat sind keinerlei
Fluoridierungsmaßnahmen notwendig. Mit dem Durchbruch der Milchzähne sollte einmal täglich eine erbsengroße Menge fluoridhaltiger Kinderzahnpasta (max.
500 ppm Fluorid) zur Zahnreinigung verwendet werden.
Hierbei wird von der Verwendung von Zahnpasten mit
Frucht- oder Bonbongeschmack abgeraten, um keinen
Anreiz zum Verschlucken zu geben. Ab dem zweiten
Lebensjahr sollte die Zahnreinigung zweimal täglich
durchgeführt werden, um eine frühzeitige Gewöhnung
an die tägliche Mundhygiene herbeizuführen. Zusätzlich zum Putzen mit fluoridhaltiger Kinderzahnpasta
wird die Verwendung von fluoridiertem Speisesalz empfohlen.
1/2006
70
Individualprophylaxe
Spätestens mit Beginn der Nutzungsperiode des
Milchgebisses im dritten Lebensjahr, wenn alle Milchzähne durchgebrochen sind und damit ein funktionstüchtiges Milchgebiss vorhanden ist (Abb. 1), sollte
aus prophylaktischen Gründen eine zahnärztlich/kieferorthopädische Untersuchung durchgeführt werden.
(1)
In dieser Entwicklungsphase müssen neben der Aufklärung über verschiedene Möglichkeiten der Mundhygiene, der Zahnpflege und der Kariesprophylaxe
auch Faktoren erkannt werden und nach Möglichkeit
eliminiert werden, die im weiteren Verlauf das Wachstum und die Entwicklung des Gebisses ungünstig beeinflussen können. Hierbei handelt es sich um zum
Beispiel Lutschunarten, Lippen- und Zungenfehlfunktionen einschließlich des falschen Schluckens, Mundatmung und verschiedene Formen des Zwangsbisses.
Kieferorthopädische
Normalbehandlung
Der optimale Zeitpunkt zum Erkennen skelettaler
und dentoalveolärer Fehlbildungen ist die erste Phase
des Wechselgebisses (frühes Wechselgebiss, Abb. 2).
(2)
Sie ist gekennzeichnet durch den Durchbruch der
Schneidezähne und des Sechsjahrmolaren mit sechs bis
acht Jahren. Hierbei lassen sich ausgeprägter Platzmangel, Nichtanlagen bleibender Zähne und Abweichungen in der Vertikalen feststellen.
Die überwiegende Zahl der Anomalien wird allerdings erst in der zweiten Phase des Zahnwechsels
(spätes Wechselgebiss = Zahnwechsel in den Stützzonen, Abb. 3) behandelt, da sowohl die Ausnutzung
des Wachstums als auch die Steuerung und Kontrolle
des Zahndurchbruchs möglich sind.
Prophylaxe im Schulkindalter
Das Hauptproblem bei Kindern im frühen Wechselgebiss stellt der Durchbruch der Sechsjahrmolaren dar.
Sein Durchbruch bleibt häufig unbemerkt, wodurch die
Plaque-Entfernung bei der Mundhygiene nur unzureichend gewährleistet wird. Auch der noch
fehlende Antagonistenkontakt beim Kauen
verhindert eine ausreichende Reinigung der
Kaufläche besonders in Fissuren und Grübchen. Obwohl der Zahnschmelz bleibender
Zähne beim Durchbruch komplett ausgebildet ist, ist er doch nur unzureichend mineralisiert und anfälliger gegenüber Säureattacken.
Während der so genannten sekundären Schmelzreifung
penetrieren Ionen aus der Mundhöhle das Hydroxylapatit des Schmelzes und erhöhen damit die Widerstandskraft des Zahnes hinsichtlich Karies. Die Anwesenheit von Fluorid in der Mundhöhle hilft, den
Zahnschmelz zu härten und bewirkt einen erhöhten
Schutz vor Karies. Nach dem Durchbruch der ersten
bleibenden Zähne sollte daher die Umstellung von
Kinderzahnpasta auf eine Junior- oder Erwachsenenzahnpasta erfolgen. Zusätzlich kann die lokale Anwendung von höher dosierten Fluorid-Lacken, -Lösungen
und -Gelees nach zahnärztlicher Anweisung und Kontrolle notwendig werden.
Die Entwicklung des Gebisses ist ein komplizierter
Vorgang, der über eine lange Periode abläuft. Es ist
daher wichtig, einzelne Phasen regelmäßig zu überprüfen, um Störungen zu erkennen und sofern
nötig rechtzeitig therapieren zu können. Eine
enge Zusammenarbeit von Zahnärzten und
Kieferorthopäden zur Erkennung von behandlungsbedürftigen Anomalien und Unterstützung durch individualprophylaktische Maßnahmen ist daher unabdingbar.
Korrespondenzadresse:
Professor Dr. Bärbel Kahl-Nieke, Dr. Angela Döbert
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Poliklinik für Kieferorthopädie
Martinistraße 52
D-20246 Hamburg
Tel.: +49(0)40/42803-3253
Fax: +49(0)40/42803-4887
E-Mail: [email protected]
(3)
Häufig wird der Zahnwechsel in der Stützzone durch
Karies und verfrühten Milchzahnverlust gestört und
damit geht die natürliche Platzreserve frühzeitig verloren.
08
1/2006
PROPHYLAXEdialog
Prophylaxe praktikabel
Diabetes und
Parodontalerkrankungen
Professor Leonardo Trombelli, Ferrara
Organen und Freisetzung reaktiver Sauerstoffspezies
(oxidativer Stress). Wirken sich diese pathologischen
Ereignisse auf das Parodontalgewebe aus, können sie
den Plaque-induzierten Entzündungsprozess beschleunigen und zu parodontaler Zerstörung führen.
Die umfassende Auswertung der Literatur zeigt eine
deutliche und direkte Beziehung zwischen Diabetes
mellitus und Parodontalerkrankungen. Diabetiker, die
von der Insulin-abhängigen oder Nicht-Insulin-abhängigen Form der Krankheit betroffen sind, leiden signifikant stärker an Gingiva-Entzündungen als NichtDiabetiker mit ähnlichem Plaque-Niveau (Tatakis &
Trombelli 2004). Experimentelle Gingivitis-Studien
belegten, dass Typ-1-Diabetiker bei einer vergleichbaren bakteriellen Belastung eine frühere und stärkere
entzündliche Reaktion entwickelten (Salvi et al. 2005).
Plaque-assoziierte Parodontalerkrankungen sind
chronische Infektionen, die von einer gemischten
mikrobiellen Flora verursacht werden und zu einem
Entzündungsprozess führen, der wiederum in parodontalem Attachmentverlust und schließlich Zahnverlust
resultiert. Auch wenn die Rolle des dentalen Biofilms
bei der Entstehung von Parodontalerkrankungen weitgehend anerkannt ist, können eine Reihe genetischer
Faktoren des Wirtes und Umweltfaktoren die klinischen
Charakteristika sowie das Tempo des Fortschreitens der
Erkrankung stark beeinflussen (Heitz-Mayfield 2005).
Es konnte wiederholt gezeigt werden, dass unter
anderem Diabetes mellitus (Typ-1 und Typ-2) einen
Hauptrisikofaktor für Parodontitis darstellt, besonders
bei Patienten mit schlechter Stoffwechselkontrolle und
einer langen Erkrankungsdauer (Borrell & Papapanou
2005). Andererseits wurde bei Patienten, die an destruktiver Parodontitis leiden, eine schlechtere Stoffwechselkontrolle festgestellt (Lalla et al. 2000; Soskolne
& Klinger 2001).
Diabetes als Risikofaktor
für Parodontitis
Diabetes ist eine Stoffwechselerkrankung, die aufgrund von Störungen der Insulinproduktion zu einem
abweichenden Fett-, Zucker- und Proteinstoffwechsel
führt. Die daraus resultierende Hyperglykämie kann
dann an verschiedenen Systemen pathologische Prozesse verursachen. Gewöhnlich werden diabetische
Komplikationen wie Mikroangiopathie, Nephropathie,
Neuropathie, Retinopathie und kardiovaskuläre Erkrankungen dem hyperglykämischen Zustand zugeschrieben, der mit der Zeit zur irreversiblen kovalenten
Modifikation (Glykosylierung) von Strukturproteinen
und -lipiden führt, die die extrazelluläre Matrix sowie
Binde- und Gefäßgewebe ausmachen. Diese Strukturveränderungen führen zu eingeschränkter Kapillarfunktion, schlechter Durchblutung von Geweben und
PROPHYLAXEdialog
Die Ergebnisse aus Querschnitts- und Longitudinalstudien weisen deutlich darauf hin, dass Patienten mit
Typ-1- und Typ-2-Diabetes eine höhere Prävalenz für
Parodontitis haben und dass deren Ausmaß und
Schweregrad größer ist (Grossi et al. 1994; Tervonen &
Karjalainen 1997; Taylor et al. 1998; Lalla et al. 2004).
Außerdem zeigen diese Studien eine Dosis-ReaktionsBeziehung zwischen dem Grad der Stoffwechselkontrolle und der Schwere der parodontalen Zerstörung (Borrell & Papapanou 2005). Vor diesem
Hintergrund werden Parodontalerkrankungen als sechste Komplikation des Diabetes betrachtet.
Wirkung einer Parodontitis
auf die glykämische Kontrolle
Als chronischer Entzündungsprozess, der zur Produktion und nachfolgenden systemischen Freisetzung
inflammatorischer Zytokine führt, kann Parodontitis als
Stimulus für eine systemisch bedingte, entzündliche
Reaktion ursächlich sein.
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90
Prophylaxe praktikabel
Diese Reaktion kann einen zuvor unterschätzten
metabolischen Stressor bei Diabetes-Patienten darstellen, der die Insulinresistenz verstärkt, die Insulinsekretion beeinträchtigt und so zu erhöhter Morbidität
infolge Diabetes-assoziierter Komplikationen führt
(Southerland et al. 2006).
In dieser Hinsicht scheinen die Daten nahe zu legen,
dass der parodontale Status Einfluss auf die glykämische Kontrolle der Diabetes-Patienten hat. Bei einer
Studie mit Typ-2-Diabetes-Patienten (Grossi et al.
1997) wurde drei Monate nach einer nicht chirurgischen Parodontalbehandlung kombiniert mit ergänzender systemischer Doxycyclin-Behandlung eine
10 %ige Abnahme des Spiegels an glykiertem
Hämoglobin (HbA1c) als Maß der glykämischen Kontrolle festgestellt.
Es wurde berichtet, dass die mit Diabetes verbundene parodontale Zerstörung in einem sehr frühen
Lebensalter beginnen kann und sich verstärkt, wenn die
Kinder heranwachsen (Lalla et al. 2006). Die ausgedehnte und schwere parodontale Zerstörung bei
nicht eingestellten Diabetikern unterstreicht die Bedeutung von Präventionsmaßnahmen bei der Begrenzung der schädlichen Wirkung des hyperglykämischen
Zustandes auf Parodontalgewebe.
Diese günstige Wirkung war allerdings nach
einem längeren Zeitraum nicht mehr zu beobachten.
Bei Patienten, die keine ergänzende AntibiotikaTherapie erhielten, war die Wirkung überhaupt nicht
zu beobachten. Folgerichtig zeigten andere randomisierte Kontrollstudien bei Typ-2-Diabetes-Patienten (Stewart et al. 2001; Rodrigues et al. 2003; Kiran
et al. 2005) eine signifikante HbA1c-Abnahme nach
einem nicht chirurgischen parodontalen Debridement – mit oder ohne zusätzliche AntibiotikaTherapie.
Im Gegensatz dazu konnte bei Studien mit Typ-1Diabetes-Kohorten keine signifikante Wirkung einer
Parodontalbehandlung auf die Stoffwechselkontrolle
gezeigt werden (Seppälä & Ainamo 1994; Aldridge
et al. 1995; Promsudthi et al. 2005). Der Unterschied
bei der Therapieantwort hinsichtlich der HbA1c-Spiegel
zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetikern kann der Rolle
der Entzündung zugeschrieben werden, die beim
Typ-2-Diabetes stark an der Pathogenese beteiligt ist –
nicht aber beim Typ-1-Diabetes.
Weitere Studien mit großen Kohorten geeigneter
Zielpopulationen und mit effektiven Behandlungsmethoden sind erforderlich, um festzustellen, ob es
einen signifikanten klinischen Nutzen der Parodontaltherapie auf die Blutzuckerkontrolle bei Personen mit
Typ-1- und/oder Typ-2-Diabetes gibt (Janket et al.
2005).
Präventive und therapeutische
Strategien bei Diabetes-Patienten
Diabetische Patienten zeigen eine gute Therapieantwort auf eine geeignete Parodontalbehandlung.
Die kurz- und langfristige parodontale Reaktion ist
vergleichbar mit der von nicht diabetischen Patienten
(Bay et al. 1974; Westfelt et al. 1996; Christgau et al.
1998). Ist der Diabetes jedoch nicht gut eingestellt,
treten Parodontalerkrankungen häufiger auf und sind
schwieriger zu kontrollieren (Seppälä et al. 1993;
Tervonen & Karjalainen 1997).
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1/2006
Besondere Strategien zur Förderung der Mundgesundheit (Karikoski et al. 2003) und Anweisungen zur
Mundhygiene (Almas et al. 2003) haben sich bei der
Verbesserung des parodontalen Zustands von Diabetes-Patienten als wirksam erwiesen. Aktuelle Daten
einer finnischen Kohorte an Typ-2-Diabetikern belegen
jedoch, dass nur 32 % der Patienten wussten, dass sich
Diabetes auf die Mundgesundheit auswirken kann, und
dass nur 15 % vom medizinischen Personal über die
Wichtigkeit von Mundhygiene und regelmäßiger Zahnpflege aufgeklärt wurden (Jansson et al. 2006). Diese
Befunde weisen darauf hin, wie wichtig es ist, Programme zur Gesundheitserziehung mit Informationen zur
Mundgesundheit durchzuführen.
Korrespondenzadresse:
Prof. Leonardo Trombelli
Direktor des Forschungszentrums
zur Untersuchung
von Parodontalerkrankungen
Universität Ferrara
Corso Giovecca 203
I-44100 Ferrara
E-Mail: [email protected]
PROPHYLAXEdialog
Prophylaxe praktikabel
Prophylaxe
bei Angstpatienten
Dr. Dr. Norbert Enkling, Dr. Jens Rathje,
PD Dr. Peter Jöhren, Bochum
Die Behandlung von ängstlichen Patienten stellt das
zahnärztliche Team vor besondere Anforderungen. Darüber hinaus stellt Zahnbehandlungsangst eines der
größten Hindernisse zur Erreichung einer optimalen
Zahngesundheit dar. Etwa 75 % der Bevölkerung gehen
mit einer starken bis mittleren Angst zum Zahnarzt,
während über 40 % den Zahnarztbesuch so lange
hinausschieben bis sie Probleme mit ihren Zähnen bekommen. Deutsche Untersuchungen zeigen, dass eine
Gruppe von etwa 25 % der Bevölkerung rund 75 % aller
Erkrankungen der Zähne auf sich versammelt.
Da viele zahnbehandlungsphobische Patienten überhaupt keine Beziehung zu ihren Zähnen und zur Zahnpflege haben, sind die Prophylaxe und professionelle
Zahnreinigung (PZR) und die Etablierung einer suffizienten Mundhygiene Kernpunkte in der langfristig erfolgreichen zahnärztlichen Therapie. In der Zahnklinik und
im Zentrum für Zahnbehandlungsangst in Bochum,
einer Lehreinrichtung der Universität Witten/Herdecke,
stellt die PZR den ersten Schritt auf dem Weg zur möglichst angstfreien zahnärztlichen Behandlung dar.
Die Ängste der Patienten weisen jedoch unterschiedliche Ausprägungen auf:
Zahnbehandlungsangst ist der Sammelbegriff für
alle psychologischen und physiologischen Ausprägungen eines mehr oder weniger starken, aber nicht krankhaften Angstgefühls, das sich gegen die Zahnbehandlung oder die mit ihr verbundenen Stimuli richtet.
Von dieser Zahnbehandlungsangst ist die Zahnbehandlungsphobie abzugrenzen, die zu den spezifischen Phobien gehört. Neben einem hohen Angstausmaß unterscheidet vor allem die Vermeidung eines
regelmäßigen Zahnarztbesuchs Patienten mit einer
Angsterkrankung von normal ängstlichen Patienten.
Der Phobiker weiß, dass seine Angst übertrieben groß
ist, kann jedoch die Angst nicht lösen. Die Phobie ist
eine psychische Erkrankung (ICD 40, 10.2).
Da viele ängstliche Patienten ungefragt ihre Angst
nicht kommunizieren, sollte vor Behandlungsbeginn
danach gefragt werden. Die Selbstbeurteilung durch
den Patienten stellt die brauchbarste Erfassungsmethode dar. Hier hat sich die Einschätzung der Angst
auf einer visuellen Analogskala (VAS) bewährt. Die VAS
besteht aus einer 10 cm langen Linie mit den Extrempunkten an jedem Ende. Der Patient bezeichnet durch
einen Strich auf dieser Linie das Ausmaß seiner Angst.
Ab einem Wert von 5 cm sollten weitere Fragebögen
wie der hierarchische Angstfragebogen vorgelegt
werden. Ab einem Wert von 7 cm liegt die Verdachtsdiagnose einer „Zahnbehandlungsphobie“ nahe und es
sollte eine Überweisung zum Psychotherapeuten mit
dem Patienten erwogen werden.
Kariesprävention durch Prophylaxebewusstsein und
durch das Erlernen der Hygienemaßnahmen bedarf
bei Angstpatienten ganz besonderer Bemühungen und
stellt für viele der Patienten mit Zahnbehandlungsphobie ein Novum dar.
PROPHYLAXEdialog
43-jähriger Patient nach 14-jähriger Vermeidung eines Zahnarztbesuchs
Alle Patienten, die ängstlichen wie die phobischen,
durchlaufen die im folgenden skizzierten Prophylaxesitzungen, welche gleichzeitig als Einstimmung auf die
spätere zahnärztliche Therapie dienen. Wichtige Leitsätze für diese Prophylaxesitzungen sind:
■ kein erneutes Trauma für den Patienten zu setzen,
■ Vertrauen in sich selbst und in den Behandler zu
entwickeln,
■ ein Kontrollgefühl beim Patienten über die Behandlung aufzubauen,
■ Empathie für die Patienten zu zeigen,
■ ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass Prävention besser als spätere kurative Maßnahmen ist.
Erste Sitzung
Der erste Eindruck auf den Patienten ist entscheidend, um bleibendes Vertrauen aufzubauen: Jeder
Patient wünscht sich, dass sein Behandler Ruhe ausstrahlt und ihm freundlich und offen gegenübertritt.
Auch wenn ängstliche Patienten ihre Angst nicht verbalisieren, lassen sich körperliche Veränderungen wie
Anspannung, Unsicherheit, Zittern, Schreckhaftigkeit
bei Veränderung der Stuhlstellung oder auch feuchte
Hände nicht verbergen. Diese Anspannung kann über
ein einleitendes, informierendes Gespräch abgebaut
werden, in dem der Patient nach seinem Wohlbefinden
befragt wird und genaue Informationen über den
Ablauf der Behandlungssitzung erhält.
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Prophylaxe praktikabel
Wichtig ist es, Empathie zu zeigen und den Behandlungsdruck zu nehmen: Der Patient wird aufgeklärt,
dass er jederzeit die Behandlung unterbrechen kann
und dass kein Erfolgsdruck besteht.
Nach der Frage über bisherige Mundhygienemaßnahmen beginnt die einfühlsame vorsichtige Inspektion der Mundhöhle. Dem Patienten werden mit Hilfe
eines Handspiegels oder der intraoralen Kamera Problemstellen aufgezeigt und er wird nach Sensibilitäten
oder Beschwerden befragt. Die bisherige Putztechnik
wird vom Patienten anschließend praktisch demonstriert und durch die Prophylaxefachkraft korrigiert. Abhängig von der individuellen Mundhygiene und dem
Zahnbefund bei Behandlungsbeginn wird der Patient
über Putztechniken und Hilfsmittel aufgeklärt: Wenn
bisher überhaupt keine Interdentalraumpflege durchgeführt wurde und massiv Zahnstein und Konkremente
vorhanden sind, wird der Patient nicht überfordert und
nur die elementare Putztechnik verändert.
Die professionelle Zahnreinigung (PZR) mittels des
Pulverstrahl- und Ultraschallgerätes wird über Informationen zu Gerät und Arbeitsablauf eingeleitet: Der
Patient wird auf zu erwartende Geräusche und eventuelle Schmerzen vorbereitet. Nur durch Ehrlichkeit
kann Vertrauen gestiftet werden!
Für einige Patienten mit Angststörung ist in der
ersten Sitzung die Absolvierung des theoretischen Anteils der PZR schon Stress genug, so dass der praktische
Teil in die zweite Sitzung verschoben werden muss. Hier
muss eventuell auch ein Umdenken bei den zahnärztlichen Prophylaxemitarbeiterinnen einsetzen, damit der
innere Erfolgsdruck und die damit zwangsläufig verbundene Ungeduld sich nicht auf den ängstlichen Patienten übertragen, welcher darüber ein erneutes Trauma
erleiden kann und die Therapie eventuell abbricht.
Bei der Zahnsteinentfernung ist ein schrittweises
Vorgehen sinnvoll, da manchmal nur einzelne Zähne
zur langsamen Gewöhnung an die Behandlung gereinigt werden können. Meist müssen viele Pausen einlegt werden, damit der Patient sich wieder entspannen
kann. Wenn starke Sensibilitäten bestehen und der
Patient große Angst vor Schmerzen aufweist, hat es sich
bewährt, die PZR unter Lokalanästhesie der betroffenen
Zähne durchzuführen.
Während und nach der Behandlung sollte der
Patient aufgemuntert und gelobt werden. Es ist zu
bedenken, dass manche Patienten Ängste bis hin zur
Todesangst ausstehen. Als Abschluss der ersten Sitzung
wird nach dem Wohlbefinden gefragt, der Inhalt der
nächsten Sitzung vorgestellt und ein Ernährungstagebuch als Hausaufgabe ausgehändigt.
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Zweite Sitzung
Beim zweiten Termin wird zu Beginn wieder nach
dem Wohlbefinden und nach eventuellen Schmerzen
nach der letzten Behandlung gefragt. Die Patienten
sind in der zweiten Sitzung meist gelöster. Zunächst
werden Fragen beantwortet, welche sich seit dem letzten Termin ergeben haben, und erneut die Pflegetechnik und – wenn noch nicht geschehen – die Interdentalraumpflege demonstriert. Es folgen Airflow-Behandlung, Politur und Fluoridierung der Zahnoberflächen.
Im Anschluss wird das Ernährungstagebuch ausgewertet und eine Ernährungsberatung gegeben. Der
Patient wird gefragt wie er sich fühlt, wie er die PZR
erlebt hat, welche Resultate und Tipps er mitgenommen hat. Abschließend wird die nächste Behandlungssitzung erklärt und über das Prophylaxe-Recall aufgeklärt.
Wenn ein Vertrauensverhältnis zu den sehr ängstlichen Patienten aufgebaut ist, erweist sich die ArztPatienten-Beziehung meist als sehr belastbar. Ehemalige Angstpatienten sind sehr treue Patienten.
Menschliche Wärme und Empathie sind der Schlüssel
für die erfolgreiche Prophylaxe bei Angstpatienten.
In einer Untersuchung bei jugendlichen Patienten
äußerten 30 % den Eindruck, dass das zahnärztliche
Team die Angst nicht bemerkt hätte. Dieses Ergebnis
fordert zum einen ein feineres Gespür des Behandlungsteams für die Ängstlichkeit der Patienten und zum
zweiten mehr kommunikative Kompetenz.
Letztlich kann die individuell abgestimmte Prophylaxe nicht nur eine Eintrittspforte in eine künftige
angstfreie Zahnbehandlung und damit einen Teil der
Psychotherapie darstellen, sondern als Grundlage dienen, um weitere kurative Maßnahmen zu begrenzen.
Korrespondenzadresse:
Dr. med. dent. Dr. med. dent. Norbert Enkling
Zahnklinik Bochum und
Therapiezentrum für Zahnbehandlungsangst
Augusta Krankenanstalt
Bergstraße 26
D-44791 Bochum
Tel.: +49(0)234/5839228
Fax: +49(0)234/5840085
E-Mail: [email protected]
PROPHYLAXEdialog
Produktinformationen
Zahnpflege bei Patienten mit freiliegenden Zahnhälsen
und sensiblen Zähnen
Etwa 15 bis 20% der Erwachsenen leiden – vor allem
im Alter zwischen 20 und 40 Jahren – unter schmerzempfindlichen Zahnhälsen, meist an Schneidezähnen
und Prämolaren (Clayton et al. 2002; Jensen 2003;
Silverman et al. 1996; Zimmer et al. 1998). Diese
Dentinhypersensitivität kann nicht nur deutliches subjektives Unbehagen verursachen, sondern auch die
Mundhygienefähigkeit massiv einschränken (Addy et al.
1985). Deshalb ist es wichtig, den betroffenen Patienten wirksame Gegenmaßnahmen zu empfehlen, die
auf valide überprüften Wirkstoffen basieren und durch
wissenschaftliche Studien abgesichert sind.
Ätiologie und Pathogenese
Ursächlich für die Dentinhypersensitivität ist freiliegendes Dentin, dessen Tubuli eröffnet sind. So
weisen Zähne mit überempfindlichen Zahnhälsen in
der Zervikalregion viel mehr eröffnete Dentintubuli
auf als symptomlose Zähne (Absi et al. 1987). Einen
Erklärungsansatz hierfür bietet die hydrodynamische
Theorie. Demnach lösen thermische, osmotische und
mechanische Reize Bewegungen der Dentinflüssigkeit
in den eröffneten Tubuli aus und induzieren so eine
Schmerzreaktion der pulpalen Nervenfasern (Brännström et al. 1967). Im Rahmen der Therapie überempfindlicher Zahnhälse versucht man deshalb in erster
Linie, die eröffneten Dentintubuli zu verschließen.
Weiterhin muss das besonders empfindliche, freiliegende Dentin vor kariösen und mechanischen Angriffen
geschützt werden.
Im Rahmen der Entstehung vom freiliegendem
Dentin werden vor allem die folgenden Pathomechanismen diskutiert:
■ Abrasion: mechanische Abtragung des im Zahnhalsbereich sehr dünnen Schmelzes mit nachfolgender
Dentinexposition, vor allem im zervikalen Bereich durch
Zähneputzen mit abrasiven Zahnpasten und/oder zu
harten Zahnbürsten (Jensen 2003). Teilweise kann das
Dentin im Zahnhalsbereich aber auch primär exponiert
sein (Schroeder et al. 1988).
■ Verlust des parodontalen Gewebes durch Rezessionen, wie sie zum Beispiel durch Bürsttraumata entstehen (Völk et al. 1987; Blunck 2000). Das dabei freigelegte Zement im Zahnhalsbereich ist weicher als
Zahnschmelz und wird schnell abradiert. Auch dies führt
zur Freilegung von Dentin.
PROPHYLAXEdialog
■ Okklusale Überbelastungen (Kauen, Bruxismus)
führen zu Schmelzauflockerungen und -aussprengungen am Zahnhals (Blunck 2000). Die dadurch entstehenden keilförmigen Defekte findet man bevorzugt
in Berufsgruppen mit hohem Stresspotenzial wie zum
Beispiel Piloten (Dawid et al. 1994).
■ Erosionen: Eine Auflösung des Schmelzes durch
häufigen Kontakt mit exogenen und/oder endogenen
Säuren begünstigt die Dentinexposition (Jensen 2003).
Letztendlich führen einzelne oder mehrere dieser
Mechanismen zur Dentinexposition im Zahnhalsbereich. Hieraus resultieren Schmerzen, aber auch eine
deutlich erhöhte Anfälligkeit für weitere Destruktionen
durch kariöse oder mechanische Angriffe. Deshalb darf
das Fehlen von Schmerzen – zum Beispiel bei älteren
Patienten – kein Kriterium für ein Nachlassen der abgestimmten Mundhygienebemühungen sein, da trotz
geringeren Schmerzempfindens die Probleme Zahnhalskaries und Abrasion akut bleiben und weiterer,
gezielter Aufmerksamkeit bedürfen.
Therapieansätze bei freiliegenden
Zahnhälsen
Desensibilisierung
Bei der Behandlung sensibler Zahnhälse geht es
nach dem Ausschalten potenzieller Ursachen zunächst
um die Beseitigung der Schmerzen durch Tubuliverschluss, um das Wohlbefinden des Patienten und
seine Motivation zur Mundhygiene wieder zu stärken.
Hierbei unterscheidet man Wirkstoffe und Methoden,
die vom Zahnarzt, und solche, die vom Patienten angewendet werden. Letztere haben meist therapiebegleitenden bzw. -unterstützenden Charakter.
Ein zentraler Behandlungsansatz ist die Anwendung
von Fluorid-Präparaten, die intra- und extratubuläre
calciumfluoridhaltige Präzipitate bilden und so die
Obliteration der Tubuli fördern. Gleichzeitig gewährleisten sie Kariesschutz. Aminfluoridhaltige Zahnpasten
zeigten hier eine deutlich bessere desensibilisierende
Wirkung als natriumfluoridhaltige Produkte (Renggli
et al. 1997).
■ Kaliumsalze – wie zum Beispiel Kaliumnitrat – sollen
die Reizweiterleitung hemmen, ohne dass der Wirkmechanismus im Detail bekannt ist. Hier handelt es sich
also eher um einen symptomatischen Ansatz.
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Produktinformationen
Entsprechende Produkte sind zwar wirksamer als
wirkstofffreie Pasten, aber für die überlegene Wirkung
solcher Zahnpasten im Vergleich zu Standard-Zahnpasten – zum Beispiel mit Natriummonofluorphosphat –
gibt es keinen eindeutigen klinischen Beleg (Brodowski
& Imfeld 2003; Jensen 2003; Poulsen et al. 2005).
■ Auch Strontiumsalze zeigen keine bessere desensibilisierende Wirkung als natriummonofluorphosphathaltige Produkt (Jensen 2003).
Darüber hinaus haben weder Strontium- noch
Kaliumsalze eine direkt remineralisierende, also zahnhalskarieshemmende Wirkung.
Kariesschutz
Neben der sicherlich notwendigen Desensibilisierung darf das erhöhte Kariesrisiko des freiliegenden
Dentins nicht vernachlässigt werden. Bei älteren Patienten muss dies sogar das Hauptaugenmerk sein, da
hier – aufgrund von Reizdentinbildung – das Warnsignal
„Schmerz“ völlig fehlen kann.
Dentin ist wesentlich weniger widerstandsfähig
gegen die Säureangriffe der Plaque-Bakterien: Der
kritische pH-Wert zur Demineralisation des Dentins ist
bereits bei pH 6,5 erreicht, während
Schmelz erst bei pH-Werten unter 5,5
gefährdet ist (Hoppenbrouwers et al.
1987). Freiliegendes Dentin impliziert
also immer ein hohes Risiko für Zahnhalskaries. Es steigt mit zunehmendem
Lebensalter. Zahnhalskariesprophylaxe
ist damit zentral für Patienten mit freiliegenden Zahnhälsen.
Lange ging man davon aus, dass
der feste Einbau von Fluorid in die
Zahnhartsubstanzen dauerhaft vor
Säureangriffen schützt. Neuere Ergebnisse zeigen dagegen, dass der
Einfluss des Fluorids auf die dynamischen Vorgänge von De- und Remineralisation des Zahnschmelzes entscheidend ist für die kariesprophylaktische Wirksamkeit (Rölla et al. 1991).
Bereits kleine Fluorid-Konzentrationen hemmen die Demineralisation
und beschleunigen die Remineralisation. Hierfür muss das Fluorid allerdings ständig an der Zahnoberfläche
verfügbar sein.
Eine zentrale Rolle spielt dabei die calciumfluoridhaltige Deckschicht, die bei der Reaktion von Fluorid
mit den Calcium-Ionen der Zahnhartsubstanzen und
des Speichels auf der Zahnoberfläche präzipitiert
(Ögaard 2001). Sie ist schwer säurelöslich und schützt
die darunter liegenden Zahnhartsubstanzen vor Säureangriffen. Gleichzeitig stellt sie ein Fluorid-Reservoir
dar, das ständig – vor allem aber bei Säureangriffen –
Fluorid freisetzt.
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Der schwach saure pH-Wert der organischen Aminfluoride führt zur Bildung einer besonders stabilen, gut
haftenden Fluorid-Deckschicht (Strübig 1980). Weiterhin sind die Aminfluoride oberflächenaktiv. Dies fördert
den Transport zur Zahnoberfläche und führt damit zu
einer sehr hohen Anreicherung von Fluorid am und im
Schmelz (Gülzow & Köhler 1998; Klimek et al. 1998;
Gintner et al. 2000). Auch im Speichel führt die
Verwendung aminfluoridhaltiger Zahnpasten zu einer
höheren Fluorid-Konzentration als natriumfluorid- bzw.
natriummonofluorphosphathaltige Produkte (Issa &
Toumba 2004).
Zusätzlich wirken Aminfluoride durch ihren Aminteil
antibakteriell und hemmen damit die bakterielle
Säurebildung (Gehring et al. 1983; Shani et al. 1995).
Dies trägt ebenfalls zur Kariesprophylaxe bei. Die
Kombination dieser unterschiedlichen Eigenschaften
unterscheidet die Aminfluoride von allen anderen
bekannten Fluoriden.
Abrasionsschutz
Da Dentin weiterhin weicher ist als Schmelz, muss
es sehr schonend gereinigt werden, um den empfindlichen Zahnhals nicht anzugreifen.
In der Regel wird Abrasivität von
Zahnpasten nach einem weltweiten
Standard gemessen (DIN EN ISO
11609 „Zahnpasten“, 1998). Gemäß
dieser Norm dient der RDA-Wert
(radioactive dentine abrasion) als Maß
für den Substanzabtrag beim Zähneputzen. Bei freiliegenden Zahnhälsen
sollte er auf das weiche Dentin abgestimmt sein, also unter 40 liegen
(Imfeld 2002). Deshalb hat zum Beispiel die elmex® SENSITIVE Zahnpasta mit ihren besonders schonenden Putzkörpern einen RDA-Wert von
nur 30 und greift so das freiliegende
Dentin nicht an, während viele andere
Spezial-Zahnpasten für sensible Zähne
wesentlich höhere RDA-Werte aufweisen. Gleichzeitig verhindert ein geringer Abrasionswert den Abtrag des
neu gebildeten, kariesprophylaktischen Calciumfluorid-Präzipitats.
Man muss sich allerdings bewusst sein, dass geringe Abrasivität immer mit einer – zumindest leicht –
reduzierten Reinigungsleistung einhergeht. Die entsprechende Messgröße, die pellicle cleaning ratio
(PCR) beschreibt, inwieweit die betreffende Zahnpasta
das Zahnoberflächenhäutchen (Pellikel) beim Zähnebürsten stört, also gefärbte Auflagerungen entfernt.
Beide Effekte müssen in ausgewogenem Verhältnis
stehen und die individuellen Bedürfnisse des Patienten
berücksichtigen (Imfeld 2002).
PROPHYLAXEdialog
Produktinformationen
Die aminfluoridhaltige elmex® SENSITIVE Zahnpasta gewährleistet eine nachhaltige, deutlich bessere
desensibilisierende Wirkung als natriumfluoridhaltige
Produkte (Renggli 1997) und fördert die Remineralisation des Dentins (Kraft & Hoyer 1995; Petersson &
Kambara 2004).
Ergänzend wichtig ist die Verwendung einer weichen Zahnbürste, die auch die empfindlichen Dentinflächen sanft und schonend reinigt.
Empfehlungen zur Mundhygiene
Benötigt wird eine problemorientierte Lösung, die
zum einen den schmerzempfindlichen Zahnhälsen
Rechnung trägt, zum anderen aber auch die täglichen
Mundhygienegewohnheiten berücksichtigt und fördert.
Sie wird wirksam ergänzt durch die Verwendung der
elmex® interX SENSITIVE Zahnbürste, die mit ihren
sanften, X-förmig angeordneten Schonborsten die
Reinigung der Zahnzwischenräume deutlich verbessert
(Yankell et al. 2002) und durch die tägliche Anwendung
der elmex® SENSITIVE Zahnspülung, die den remineralisierenden Effekt der Zahnpasta nochmals deutlich
verstärkt (Petersson & Kambara 2004).
Sind die Produkt- und Systemleistungen durch
wissenschaftliche Studien belegt, können Zahnärzte
und Verwender sicher sein, eine gute Wahl getroffen zu
haben.
Schlussfolgerungen
Reaktion hypersensibler Zähne auf Kalt- und WarmluftStimulation
N (Anzahl hypersensibler Zähne pro Patient)
Renggli 1997
Kaltluft-Stimulation
Warmluft-Stimulation
5
5
4
4
*
3
*
3
*
2
1
0
*
*
2
1
0
2
Wochen
4
NaF
Zahnpasta
6
12
14
®
elmex SENSITIVE PLUS
Zahnpasta
0
0
2
Wochen
4
6
12
14
* p < 0,05 (im Vergleich zu NaF)
• p < 0,05 (im Vergleich zu Baseline)
•• p < 0,01 (im Vergleich zu Baseline)
Die Empfehlung zur häuslichen
Mundhygiene mit fluoridhaltigen Zahnpflegemitteln unterstützt die Therapie
in der zahnärztlichen Praxis und beugt
weiteren Schäden vor.
Der Nutzen der elmex® SENSITIVE
Produkte ist durch eine Vielzahl von
Studien wissenschaftlich belegt. Für
eine Überlegenheit anderer Wirkstoffe
oder Wirkstoffkombinationen in Zahnpasten für sensible Zähne und freiliegende Zahnhälse gibt es dagegen
keine wissenschaftlichen Beweise.
Wissenschaftlich dokumentierte Produktkonzepte geben dem Zahnarzt die
Sicherheit, seinen Patienten ein wirksames Schutzkonzept zu empfehlen.
Remineralisation des Dentins
mit elmex® SENSITIVE PLUS Zahnpasta und Mundspülung
Elektrischer Widerstnad (Ω)
Petersson et al. 2004
100
p < 0,05 (A vs. B)
p < 0,001 (B vs. C)
80
60
40
A
B
20
C
0
Placebo ZP
+
Placebo Spülung
PROPHYLAXEdialog
NaF ZP
+
Placebo Spülung
elmex® SENS PLUS ZP elmex® SENS PLUS ZP
+
+
Placebo Spülung
elmex® SENS PLUS
Spülung
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Kongress International
Langzeitbehandlung von Patienten mit Parodontitis
und Implantaten
Wissenschaftliche Pressekonferenz EuroPerio5, Madrid
Implantate oder
Parodontitisbehandlung -Nutzen oder Risiken?
Professor Mariano Sanz -- Dekan,
Zahnmedizinische Fakultät,
Universität Complutense in Madrid
In vielen Fällen sind Biofilme in der Lage, der
Wirkung von antibakteriellen Wirkstoffen wie Antibiotika zu widerstehen, und der einzige zuverlässige
Behandlungsansatz ist die mechanische Entfernung.
Bei schwer wiegender Gewebszerstörung ist der Raum
zur Säuberung der Wurzeloberflächen begrenzt und es
sind mehrmalige chirurgische Eingriffe erforderlich, um
den bakteriellen Biofilm vollständig zu entfernen. Diese
chirurgischen Eingriffe haben sich als sehr wirkungsvoll
und zuverlässig erwiesen. Darüber hinaus steht uns in
speziellen Fällen eine Vielzahl von wiederherstellenden
chirurgischen Techniken unter Verwendung von Biomaterialien, Wachstumsfaktoren, physischen Barrieren
und anderen chirurgischen Methoden zur Verfügung.
Bei Patienten mit einer fortgeschrittenen Parodontitis hat die Behandlung, obwohl eine traditionelle
Parodontosebehandlung wirkungsvoll Plaque entfernen
und den Entzündungsprozess unter Kontrolle halten
kann, entscheidende Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Einschränkungen beim Kauen aufgrund von
gelockerten Zähnen, ästhetische Beeinträchtigungen
aufgrund der sehr langen Zähne und in vielen Fällen
das Fortbestehen von leichten Symptomen wie Überempfindlichkeit und Schmerz.
Parodontitis ist eine chronisch-entzündliche Infektion, die das Zahnhaltegewebe befällt und die unbehandelt zu einer umfangreichen Zerstörung des
Gewebes, einer Lockerung der Zähne und schließlich
zum Zahnverlust führen kann. Die Erkrankung wird
durch gut organisierte Bakteriengemeinschaften hervorgerufen. Die Mehrzahl der im Zahnbelag vorkommenden Bakterien verursachen gewöhnlich keinen
Schaden – sofern sie in geringer Anzahl oder in Bereichen vorkommen, aus denen sie entfernt werden
können. Wenn sie jedoch Zugang in die Bereiche unterhalb des Zahnfleischrandes finden, wachsen sie, vermehren sich und verursachen entzündliche Reaktionen
im umgebenden Gewebe.
Befindet sich die Entzündung nur am Zahnfleischrand und ist unser Immunsystem in der Lage, eine
Ausbreitung der Infektion zu verhindern, dann wird die
Erkrankung als Gingivitis bezeichnet. Bleibt die lokale
Entzündung jedoch unbehandelt, kann sich der Entzündungsprozess bei manchen Patienten in die Tiefe
ausbreiten und zu einer Zerstörung des Gewebes und
des Knochens führen. Dieser Zerstörungsprozess kennzeichnet die als Parodontitis bezeichnete Erkrankung,
die langfristig zum Zahnverlust führen kann, wenn sie
unbehandelt bleibt.
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Auf der anderen Seite hat sich die Implantationsbehandlung in den vergangenen 30 Jahren als verlässliche und vorhersehbare Methode zum Ersatz fehlender
Zähne bewährt. Die klinische Forschung hat eindeutig
gezeigt, dass wurzelförmige Implantate mit zylindrischem oder konischem Design im umgebenden
Knochen einwachsen, wenn sie sorgfältig chirurgisch
eingesetzt werden, und dass die biologische Schnittstelle zwischen Implantat und Knochen langfristig den
Kaukräften ohne Verlust der Knochenhöhe standhalten
kann.
Die evidenzbasierte Zahnheilkunde belegt, dass sowohl eine
Parodontitisbehandlung als auch ein Implantat wirkungsvolle
Therapiemethoden
sind, um in einem Fall
die Zähne durch Beseitigung der chronischen Infektion und Verbesserung
der Zahnfunktion zu erhalten und in einem anderen Fall
fehlende Zähne durch eine Versorgung mit einer zuverlässigen Langzeitstütze für eine funktionale Wiederherstellung zu ersetzen.
PROPHYLAXEdialog
Kongress International
Pathologie und bakterielle
Infektionen rund um Zähne und
Zahnimplantate – Implikationen
für die lokale und allgemeine
Gesundheit
Professor Dr. Maurizio Tonetti DMD, MMSc,
Zahnmedizinische Fakultät,
Zentrum für Gesundheitswissenschaften,
Universität von Connecticut
Der Zahnarzt kann einen 3-Minuten-Test durchführen, der dem Patienten eine Antwort auf die Frage
nach der Ursache der Blutung und das Stadium der
Erkrankung bietet. Zu einem späteren Zeitpunkt sind
dann Zahnlockerung und -migration wichtige Symptome, die der Patient wahrnehmen kann.
Systemische Wirkungen
Der Körper des Patienten spürt sowohl das Bestehen der Infektion als auch der örtlichen Entzündung.
Dafür sind zwei Mechanismen verantwortlich: zum
einen das Eindringen der Bakterien und deren Virulenzfaktoren in das Gewebe und manchmal auch in den
Blutstrom und zum anderen das Einsickern der örtlich
entstandenen Entzündungsmediatoren in den Blutstrom.
Eine Reihe von wissenschaftlichen Studien hat
belegt, dass eine Parodontitis zur Gesamtentzündungsbelastung des einzelnen Patienten beiträgt. Dies ist
insofern von Bedeutung, da eine chronische Entzündung als eine wichtige Ursache für das Entstehen
von systemischen Erkrankungen wie Atherosklerose,
Diabetes, metabolischem Syndrom angesehen wird.
Auswirkungen auf den allgemeinen
Gesundheitszustand
Die Infektion
Parodontitis ist eine Infektion des Zahnhalteapparates: Sie führt zu einer Zerstörung der Verankerung der
Zahnwurzel im Kiefer. Von ihr sind – in schwereren
Ausprägungen – 10 bis 15 % der erwachsenen Bevölkerung betroffen. Aggressivere Formen, die zu stärkeren
Schäden führen, findet man bei bis zu 1 % der Kinder
und Heranwachsenden. Die Infektion wird durch eine
spezielle Gruppe von Bakterien hervorgerufen, die von
anderen Menschen, meist im Familienbereich, übertragen werden.
Die Erkrankung
Die Kette der Ereignisse, die zu einer klinisch signifikanten Erkrankung führt, wird durch bestimmte Bakterien ausgelöst und durch die Entzündungsreaktion
des Infizierten verstärkt. Eigentlich ist die Parodontitis
eine chronische Infektion mit gleichzeitiger chronischer
Entzündung. Die Zerstörung der periodontalen Befestigung ist auf die intrinsische Virulenz der verursachenden Bakterien sowie auf die Nebenwirkungen eines
fehlgeleiteten Ansprechens des Wirtes zurückzuführen.
Bakterien können das Wirtsgewebe befallen und tief
in den Blutstrom eindringen.
Selbstdiagnose
Zahnfleischbluten ist eines der ersten Anzeichen
für eine Zahnfleischerkrankung, das ein Patient wahrnehmen kann.
PROPHYLAXEdialog
Es wurde eine Verbindung hergestellt zwischen
periodontalen Infektionen und dem allgemeinen
Gesundheitszustand insbesondere im Hinblick auf
kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, Lungenerkrankungen und die Frühgeburt von untergewichtigen Babys. Umfangreiche epidemiologische Studien
haben einen Zusammenhang zwischen diesen Erkrankungen und der Parodontitis belegt. Die Art des Einflusses ist jedoch immer noch nicht geklärt: Bisher
haben wir Hinweise darauf, dass der Zusammenhang
durchaus kausaler Natur sein könnte: Kleine Pilotstudien haben gezeigt, dass eine Behandlung der Parodontitis sinnvoll sein kann, weil dadurch 1) das Risiko
einer Frühgeburt von Babys mit geringem Geburtsgewicht verringert wird, 2) die Parameter der vaskulären
Gesundheit verbessert werden und 3) die Stoffwechselkontrolle bei Diabetes mellitus vom Typ II verbessert
wird.
Die Behandlung
Die meisten Formen der Parodontitis können bei
der großen Mehrheit der Patienten erfolgreich behandelt werden. Die Behandlung ist am wirkungsvollsten,
wenn eine frühe Diagnosestellung erfolgt. Der größte
Vorteil ist, dass eine frühzeitige Behandlung einfach –
das heißt kostengünstig – und sehr effektiv ist. Erfolgt
die Diagnosestellung später, dann ist eine komplexere
Behandlung erforderlich, die sehr wirkungsvoll ist.
Studien über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren
zeigen, dass das natürliche Gebiss unserer Patienten
lebenslang erhalten werden kann.
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Kongress International
Zahnverlust
In manchen Fällen ist der Verlust von Zähnen aufgrund einer fortgeschrittenen Zerstörung eines Zahnes
oder einer Zahnreihe unvermeidlich. In diesen Fällen
kann der Parodontologe durch Einsatz eines Zahnimplantates helfen. Zahnimplantate sind sehr nützlich,
scheinen aber langfristig nicht besser als natürliche
Zähne zu sein. Aktuelle Studien zeigen, dass der Zahnverlust durch eine Parodontitisbehandlung zu begrenzen ist und dass die Verwendung von Zahnimplantaten
einem späteren Stadium und den örtlich begrenzten
Problemen, die nicht mehr behandelt werden können,
vorbehalten sein sollte.
Diese Erwägung besteht vor dem Hindergrund,
dass Zahnimplantate durch eine Erkrankung – die so
genannte Periimplantitis –, die das Zahnimplantatsäquivalent zur Parodontitis ist, in Mitleidenschaft gezogen werden können.
Halten Zahnimplantate ein
Leben lang? Wie häufig treten
biologische Komplikationen
bei der Implantatstherapie auf?
Professor Dr. Tord Berglundh, DDS,
Die Sahlgrenska Academy an der Universität
von Göteborg
Ergebnisse, die sich ausschließlich auf die Lebensdauer von Implantaten beziehen, können jedoch nicht
direkt auf den Patienten übertragen werden. Anders
ausgedrückt, wäre es besser über das Ergebnis des
Eingriffs zu berichten und nicht über die Lebensdauer
des einzelnen Implantats.
Vor kurzem wurde in einer Studie die Häufigkeit des
Auftretens von progressivem Knochenabbau in der Umgebung von Implantaten untersucht. Es wurde gezeigt,
dass ca. 28 % der Probanden zumindest ein Implantat
mit dieser Komplikation aufwiesen. Eine Berechnung
auf Basis der Zahl der Implantate ergab jedoch, dass
ca. 12 % der Implantate einen progressiven Knochenabbau zeigten.
Patienten, die anfällig für Parodontitis sind
Neuere Studien belegen für Patienten mit unterschiedlichen Parodontitisvorgeschichten eine erhöhte
Anzahl von Implantatsverlusten sowie einen höheren
Grad von marginalem Knochenverlust bei Patienten,
die für Parodontitis anfällig sind. Wenn jedoch eine ausreichende Pflege mit wirkungsvoller mechanischer
Infektionskontrolle erfolgt, so wird dies auch bei
Patienten mit einer Vorgeschichte von fortgeschrittener
Parodontitis zu optimalen Ergebnissen der Implantationstherapie führen.
Sondierung des Periimplantatsgewebes
Die klinischen Untersuchungen, die während der
Kontrolluntersuchungen bei Implantatpatienten vorgenommen werden, erfordern die Verwendung von
Taschenmesssonden zur Untersuchung des Zustands
der Schleimhaut rund um das Implantat. Zahlreiche
experimentelle und klinische Studien haben jedoch die
Verlässlichkeit und Genauigkeit der Sondierung der
implantatsumgebenden Schleimhaut belegt. Sichtbare
Symptome einer Entzündung können in der implantatsumgebenden Schleimhaut weniger auffallend sein als
im Zahnfleisch rund um Zähne.
Periimplantitis: Symptome und Behandlung
Biologische Komplikationen
Das Auftreten von biologischen Komplikationen
variiert zwischen unterschiedlichen Behandlungsformen, wie zum Beispiel einzelner Zahnersatz, feste
Teil-/Vollprothesen oder Deckprothesen. Bei Deckprothesen wurde im Vergleich zu festen Prothesen ein
häufigeres Auftreten von Komplikationen berichtet.
Beim Ersatz einzelner Zähne kommt es am seltensten
zu Komplikationen.
Implantatsdaten versus Patientendaten
In der Literatur wird einheitlich das Implantat als
Einheit zur Beurteilung des Erfolgs der Implantationstherapie verwendet.
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1/2006
Die Periimplantitis ist eine entzündliche Läsion mit
Gewebszerstörung im implantatsumgebenden Gewebe
und ist somit das Äquivalent zu einer Parodontitis an
den natürlichen Zähnen.
Die Periimplantitis scheint „aggressiver“ zu sein und
schneller fortzuschreiten als eine Parodontitis. Die
Behandlung der Periimplantitis und anderer periimplantärer Infektionen ist ähnlich der Behandlung der
Parodontitis und umfasst eine täglich vom Patienten
durchzuführende mechanische Infektionskontrolle sowie professionelle, vom Arzt vorzunehmende Maßnahmen. Chirurgische Maßnahmen zielen hauptsächlich
auf ein Debridement der Implantatsoberfläche und die
Beseitigung der entzündlichen Läsionen ab sowie auf
die Herstellung eines flachen Sondierungsumfeldes.
PROPHYLAXEdialog
Kongress International
Diagnostik und Therapie periimplantärer Infektionen
Wissenschaftliche Pressekonferenz EuroPerio5, Madrid
Die Zahl der Implantate steigt stetig weiter an
und damit einhergehend auch die Zahl der bakteriellen Komplikationen bis hin zu Implantatverlusten.
Durch diese Verbreitung der Implantate wird auch
das Wissen um die richtige Mundhygiene für die
größer werdende Zahl von Patienten wichtiger. Bei
einer bereits bestehenden Periimplantitis kann eine
rechtzeitig einsetzende Therapie den Verlust verhindern.
Der „State of the Art“ zur mikrobiologischen
Diagnostik und Festlegung der Behandlungsstrategie ist die Real Time PCR. Um die Bedeutung
von Mundhygiene und abgesicherter Diagnostik
sowie engmaschiger zahnärztlicher Betreuung zu
unterstreichen präsentiert GABA International im
wissenschaftlichen Programm der Europerio5 in
Madrid zwei entsprechende Workshops.
Zwar haben moderne Zahnimplantate eine hohe
Erfolgsrate, jedoch treten in vier von zehn Fällen therapiebedürftige Probleme auf. Die Anlagerung von
Bakterien am Implantat verursacht im Anfangsstadium
eine periimplantäre Mukositis, die sich ebenso wie bei
einer Parodontitis häufig unbemerkt in die Tiefe ausdehnen kann. Die Periimplantitis wird als entzündlicher
Prozess der das Implantat umgebenden Gewebe definiert, der mit Knochenabbau einhergeht. Klinische
Studien zeigen, dass erfolgreich eingewachsene Implantate von einer mehrheitlich aus grampositiven
Keimen bestehenden Mikroflora umgeben sind, während infektiöse Implantate von einer hohen Quantität
gramnegativen Bakterien besiedelt sind.
Wenn bereits eine Periimplantitis besteht, kann der
Verlust des Implantats durch eine adäquate Behandlung mit gründlicher Reinigung des Implantats und
Suppression des Bakterienwachstums verhindert werden, sofern sie rechtzeitig genug einsetzt. Als erste diagnostische Schritte schlägt
Mombelli neben der Erhebung des Mundhygienestatus und der Feststellung der Blutungsneigung die Sondierung der Taschentiefe vor.
Ist die Zahnfleischtasche > 3 mm, dient
zur weiteren Diagnose ein Röntgenbild, um
einen möglichen Knochenverlust festzustellen. Im Falle eines Knochenabbaus, einer
Taschentiefe von 4 bis 5 mm, Blutungsneigung und eventuellem Eiteraustritt schließen sich neben der gründliche Reinigung der
Implantate und Mundhygieneinstruktionen
der begleitende Einsatz von Antiseptika
(0,2 % Chlorhexidin) an.
Professor Andrea Mombelli von der Universität Genf
widmete sich in seinem Workshop im Rahmen der
Scientific Sessions der Prävention und Therapie bakteriell verursachter Komplikation bei Zahnimplantaten.
Dabei stellte er einen evidenzbasierten klinischen
Behandlungs- und Erhaltungsplan vor.
PROPHYLAXEdialog
Bei Taschen tiefer als 5 mm können chirurgische
Maßnahmen notwendig werden, da sich die gründliche
Reinigung der rauen Implantatoberflächen häufig als
schwierig erweist. Zur Unterstützung der mechanischen
Implantatreinigung wird die Therapie mit Antiseptika
und Antibiotika empfohlen. Zur Auswahl der richtigen
Therapieform können mikrobiologische Tests hilfreich
sein. Das Verfahren mit der höchsten Spezifität und
Sensitivität für die rechtzeitige und abgesicherte
Diagnostik ist die Real Time PCR zur quantitativen
Bestimmung der sechs wichtigsten Markerkeime der
Periimplantitis sowie der Gesamtkeimzahl.
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Kongress International
Professor Søren Jepsen,
Universität Bonn, Deutschland
Auf ihre Sensitivität hin untersuchten
Professor Søren Jepsen und Dr. Pia-Merete
Jervœ-Storm von der Universität Bonn verschiedene mikrobiologische Testverfahren
und stellten ihre Resultate im Forum für
Innovation bei der Europerio5 vor. Als „State
of the Art“ bezeichneten die Referenten dabei den
meridol® Paro-Diagnostik-Test, dessen Technologie
sich auf die Real Time Polymerase Chain Reaction (PCR)
stützt.
Im Vergleich zur gängigen Kultivierung der Bakterien wird für die Real Time PCR kein vitales Probenmaterial benötigt, was im Falle der parodontal pathogenen gramnegativen Keime, die anaerobe Lebensbedingungen brauchen, eindeutige Vorteile bietet. Bei
der Real Time PCR werden die Proben auf bestimmte
DNA-Sequenzen untersucht. Die automatisierte Analyse kann sechs parodontal pathogene Markerkeime
identifizieren und quantifizieren (A. actinomycetemcomitans, P. gingivalis, T. forsythensis, F. nucleatum, P.
intermedia, T. denticola). Vor allem die Quantifizierung
des Bakterienbesatzes in der subgingivalen Plaque
bringt Vorteile hinsichtlich der Therapieentscheidung.
Zusätzlich präsentierten die Bonner Wissenschaftler
die Ergebnisse einer vergleichenden Studie zur Bestimmung der klinischen Effekte von Full-Mouth Root
Planing (FMRP) gegenüber der Wurzelglättung einzelner Quadranten (QRP). Beim FMRP wurden die Probanden innerhalb von 24 Stunden in zwei Sitzungen
subgingivalem Scaling und Root planing an allen
Quadranten unterzogen. Beim QRP wurde das Scaling
quadrantenweise in wöchentlichen Intervallen vorgenommen. Weder für die einzelnen Quadranten noch für
den ganzen Mund wurden nach 3 und 6 Monaten signifikante Unterschiede der Parameter Taschentiefe (PPD),
Blutungsindex (BOP) und Attachmentverlust (RAL) festgestellt.
Die beiden Workshops von Professor
Mombelli (Universität Genf) sowie Professor
Jepsen und Dr. Jervœ-Storm (Universität
Bonn) wurden von GABA International im
Rahmen der Europerio5 in Madrid präsentiert.
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PROPHYLAXEdialog
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