Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes– was gibt es Neues? M. Pavel Universitätsmedizin Berlin, Charité Die Inzidenz neuroendokriner Tumore ist steigend und wird unter Berücksichtigung der Daten des SEER-Programms der USA mit 2.5-5.0/ 100000 EW angegeben (1). Meist handelt es sich um hoch-differenzierte neuroendokrine Tumore (NET) bzw. neuroendokrine Carcinome (NEC). Hauptmetastasierungsort ist die Leber. NET sind charakterisiert durch ein allgemein langsames Tumorwachstum, wobei eine große Variabilität des Tumorverlaufs besteht. Sie präsentieren sich bei funktioneller Aktivität mit unterschiedlichen klinischen Syndromen (Karzinoid-Syndrom, Zollinger-EllisonSyndrom, Verner- Morrison-Syndrom, Glukagonom-Syndrom, Insulinom-Syndrom) oder durch unspezifische Symptome bei nicht-funktionell aktiven Tumoren. Von der European Neuroendocrine Tumor Society (ENETS) wurden infolge von zwei Konsensus-Konferenzen in Frascati Leitlinien für die Diagnostik und Therapie von neuroendokrinen Tumoren für die unterschiedlichen Primärtumorlokalisationen des gastro-entero-pankreatischen Systems erstellt (Neuroendocrinology 2006; 84 (3): 155-215; Neuroendo-crinology 2008; 87 (1): 8-39). Aufgrund der limitierten Anzahl prospektiver randomisierter Studien beruhen die Empfehlungen in erster Linie auf empirischen Daten. Die Therapie richtet sich nach verschiedenen Kriterien. Maßgeblich sind Funktionalität, Differenzierungsgrad und Proliferationsindex, Primärtumorlokalisation, Somatostatinrezeptor (SSTR)- Status, Wachstumsdynamik des Tumors bzw. der Metastasen im Kurzzeit- und Langzeitverlauf. Eine hohe Tumorlast in der Leber erfordert frühzeitig eine Eskalation der Therapie, die Anwendung von Kombinationstherapien oder multimodalen, sequentiellen Therapieansätzen. Aufgrund multimodaler Therapiekonzepte ist eine interdisziplinäre Betreuung der Patienten anzustreben. Prinzipiell ist stets eine chirurgische Resektion, auch unter dem Ansatz einer Tumormassenreduktion zu prüfen. Ausgewählte Patienten mit hepatischen Metastasen können von einem operativen „debulking“, einer Embolisation oder anderen ablativen Verfahren profitieren. Funktionell aktive Tumoren des Gastrointestinaltraktes in nicht-kurativ resektablem Zustand, insbesondere das Karzinoid-Syndrom, werden symptomatisch mit Somatostatinanaloga (z.B. Octreotid LAR 20 mg im alle 4 Wochen nach initial subkutaner Therapieeinleitung oder Lanreotid Autogel 60 – 120 mg tief sc.) und/oder alpha-Interferon behandelt. Von den endokrinen Pankreastumoren (EPT) werden VIPOME und Glukagonome symptomatisch mit Somatostatinanaloga behandelt, das Insulinom spricht aufgrund des SSTR-Status nur in 50% der Fälle an, und wird alternativ mit Diazoxid behandelt. Therapie der Wahl beim Gastrinom ist die hoch dosierte Therapie mit PPI. Nicht funktionell aktive Tumore werden bei stabilem Tumorbefund aufgrund der Tendenz zu spontanen Wachstumsstillständen nicht behandelt (Proliferationsindex in der Regel <2%, Tumornachsorge alle 3 Monate im ersten Jahr) Progrediente neuroendokrine Carcinome mit Primärtumorlokalisation im Pankreas werden mit einer Streptozotocin-basierten systemischen Chemotherapie, in Kombination mit 5-FU und/oder Doxorubicin behandelt. Die partielle Remissionsrate liegt bei etwa 40% (2-4). Dagegen existiert für NEC des Gastrointestinaltrakts (Magen, Duodenum, Ileum, Colon, Rektum) derzeit kein effizienter Ansatz einer systemischen Chemotherapie. Bei Patienten mit NEC von Pankreas oder Intestinaltrakt kann bei langsamem Tumorwachstum ein zeitlich limitierter Therapieversuch mit Somatostatinanaloga (SSA) oder Interferon-alpha initial unternommen werden. Der antiproliferative Stellenwert von SSA ist jedoch noch unklar und wird in laufenden placebokontrollierten Studien dokumentiertem überprüft. Tumorprogress In vor einer Metaanalyse Therapiebeginn wird von die Studien Rate mit von Wachstumsstabilisierungen mit 44% angegeben (5). Nach einem Jahr wurden in zwei prospektiven Studien bei heterogenem Patientengut Wachstumsstillstände noch bei ca. 25 – 30% der Patienten beobachtet (6,7). Die Rate partieller Remissionen liegt bei unter 5-10%. Die Wirksamkeit der Somatostatinanaloga unterschied sich nicht von der einer alpha-Interferon (IFN)-Therapie bzw. Kombinationstherapie von IFN und SSA. Die Rate partieller Remissionen wird aus verschiedenen nicht-kontrollierten Studien für IFN mit etwa 11% angegeben (8). Der Einsatz von IFN ist limitiert durch Nebenwirkungen. Bei Nicht-Verträglichkeit kann pegyliertes IFN empfohlen werden (9), dieses ist jedoch bei NET bisher nicht offiziell zugelassen. Bei Progreß der Erkrankung kann bei pos. Somatostatin-Rezeptorstatus eine metabolische Therapie mit 90Y-DOTATOC oder 177-Lutetium-DOTATATE durchgeführt werden. In seltenen Einzelfällen (z.B. KI gegen Chemotherapie) wird diese Therapie als Erstlinien-Therapie eingesetzt. Kurzzeitige Remissionsraten liegen bei heterogenem Patientengut in nicht kontrollierten Studien bei 25-30%, Wachstumsstabilisierungen bei 50% (10,11). Nach einer mittleren Nachsorge von 2 Jahren lagen die Remissionsraten bei 15 bzw. 17% für nicht-pankreatische bzw. pankreatische NET (12). Es besteht bisher keine offizielle Zulassung für diese Therapie, potentielle Spätschäden sind zu berücksichtigen (cave Niereninsuffizienz und Myelotoxizität im Verlauf). Die seltenen schlecht differenzierten NEC mit rascher Tumorprogression werden unabhängig von ihrer Lokalisation mit Cisplatin und Etoposid therapiert. Die Remissionsraten liegen bei 42 bis 67%, sind jedoch von kurzer Dauer (13-15). Der zusätzliche Einsatz von Paclitaxel erhöht die Remissionsrate nicht (16). Neue Therapieoptionen haben ihren Stellenwert bei Versagen der o.g. Therapien oder im Rahmen von Studien in der frühen Behandlung von NET. Angiogeneseinhibition Verschiedene Angiogeneseinhibitoren (PTK787/ZK, Endostatin und Thalidomid) führten in der Monotherapie zu keiner Tumorremission, jedoch hoher Rate stabiler Tumorbefunde (17-19). Die meisten Studien forderten keinen Tumorprogress vor Studieneinschluss. Die stabilen Tumorbefunde sind aufgrund spontan auftretender Wachstumsstillstände bei NET nur eingeschränkt zu werten. Molekular-zielgerichtete Therapien mit antiangiogenetischer Wirkung, wie Sunitinib und Sorafenib führen zu Tumorremissionen in 10% der Fälle. Sorafenib (400 mg b.i.d.), ein Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitor von C-RAF, B-RAF, VEGFR-2, VEGFR-3, PDGFR-ß und KIT, wurde im Rahmen einer Phase II-Studie bei 93 Patienten mit neuroendokrinem Carcinom eingesetzt (20). Die Rate partieller Remissionen lag bei 77 evaluierbaren Patienten bei 9%; „minor remissions“ traten bei 10% der Patienten auf. Da der Tumorverlauf vor Therapiebeginn nicht erfasst wurde, ist die Rate stabiler Tumorbefunde nicht angegeben. Die Ansprechrate liegt damit in der Größenordnung der von Sunitinib (s. GI Oncology Update 2006). Erhebliche Nebenwirkungen von Sorafenib führten jedoch zu einem Therapieabbruch bei 65% der Patienten. Sunitinib wird derzeit in einer internationalen placebo-kontrollierten Studie bei NEC des Pankreas geprüft. Bevacizumab (15 mg/kg iv q 3 Wo.) wurde unter stabiler Therapie mit Octreotid LAR (max. 30 mg q 3 Wochen) im Vergleich zu pegyliertem Interferon-alpha bei Patienten mit hoch-differenzierten NEC verschiedenen Ursprungs eingesetzt (21). Die Rate partieller Tumorremissionen lag bei 18% im Octreotid-Bevacizumab-Arm, die Rate stabiler Tumorerkrankungen lag bei 77% nach 18 Wochen Therapiedauer. Das mediane progressionsfreie Überleben betrug in diesem Zeitraum 95% im Bevacizumab-Arm und 68% im PEG-Interferon-Arm. Die Verträglichkeit der Bevacizumab-Octreotid-Kombinationstherapie war gut. Ein Therapieabbruch erfolgte in <5% der Fälle. Neue chemotherapeutische Ansätze In einer Phase II Studie wurde 5-Fluorouracil metronomisch (200 mg/ m²/d iv.) in Kombinatiuon mit Octreotid LAR (20 mg q 4 Wo. im) bei 29 Patienten mit metastasierten oder lokal fortgeschrittenen neuroendokrinen Carcinomen eingesetzt (22). 5-FU wurde für maximal 9 Monate oder bis zur Tumorprogression eingesetzt, Octreotid LAR bis zur Tumorprogression. Eine partielle Remission trat bei 7 Patienten (24.1%), eine stabile Erkrankung bei 20 Patienten (69%), eine Progression dagegen nur bei 2 Patienten (6.9%) auf. Ein symptomatisches Ansprechen wurde bei 60% (9/15 Patienten), ein biochemisches (Chromogranin A) bei 44% (11/25) der Behandelten beobachtet. Die mediane Zeit bis zur Tumorprogression betrug 25 Monate (2-69 Monate). Das mediane Gesamtüberleben wurde nicht erreicht. Ein Hand-Fuß-Syndrom Grad 2-3 trat bei 6 Patienten (20.7%) auf. Es wurde kein Studienabbruch aufgrund von Nebenwirkungen berichtet. Weitere Studien sind erforderlich, um die Effektivität dieser Kombinationstherapie zu prüfen. Temozolomid wurde in der Monotherapie (100 – 150 mg/m²/d mit z.T. Dosissteigerung auf 200 mg/m²/d) bei 36 Patienten mit fortgeschrittenem NEC eingesetzt (23). Die mediane Zeit bis zur Tumorprogression lag bei 7 Monaten. Die partielle Remissionsrate betrug 14%, eine stabile Erkrankung lag bei 53% der Patienten vor. In der Subgruppe mit bronchialen NET lag die Remissionsrate bei 31%, bei Patienten mit pankreatischen NET bei 8% mit jedoch hoher Stabilisierungsrate (67%). Eine Thrombozytopenie Grad 3-4 trat bei 14% der Patienten auf. Eine Immunreaktivität in < 10% der Nuklei für 0-Methylguanin DNA Methyltransferase (MGMT) wurde bei 10 Patienten gefunden, von denen 4 ein radiologisches Ansprechen zeigten. Ein möglicher prädiktiver Wert einer niedrigen MGMT Expression für das Therapieansprechen bedarf weiterer Untersuchungen. In kleinen Beobachtungsstudien konnten in der Kombination mit Angiogeneseinhibitoren höhere Remissionsraten erzielt werden (bei endokrinen Pankreastumoren 45% in der Kombination mit Thalidomid und 24% in der Kombination mit Bevacizumab). Die Kombinationstherapie Temozolomid (200 mg/m² tgl. Tg 10-14) mit Capecitabine (750 mg/m² 2x tgl, Tg 1-14) erzielte bei Patienten mit progredienten neuroendokrinen Carcinomen des Pankreas (10 nicht-funktionell, 7 funktionell) in der Erstlinientherapie eine partielle Remissionsrate von 71%, während 29% der Patienten eine stabile Erkrankung aufwiesen bei einer medianen Beobachtungszeit von 12 Monaten (24). Nur in einem Fall (6%) wurde eine Grad 3/4 Toxizität mit Thrombozytopenie berichtet. Diese guten Ansprechraten bedürfen weiterer Studien, um den Stellenwert von Temozolomid plus Capecitabine in der Erstlinientherapie (versus Streptozotocin und 5-FU) bzw. in der Zweitlinientherapie bei neuroendokrinen Carcinomen des Pankreas zu evaluieren. Capecitabine (2000 mg/m²/d Tg. 2-15 q 3 Wochen) in Kombination mit Oxaliplatin (130 mg iv. Tag 1) wurde bei 27 Patienten mit gut differenzierten neuroendokrinen Carcinomen mit Tumorprogression nach Einsatz von Somatostatinanaloga und bei 13 Patienten mit schlecht differenzierten neuroendokrinen Carcinomen in der Erstlinientherapie eingesetzt (25). Die Rate partieller Tumorremissionen bei Anwendung von bis zu 6 Zyklen betrug 30% bei den gut differenzierten NEC, die Rate stabiler Tumorerkrankungen 48%. Die Zeit bis zur Tumorprogression betrug 20 Monate (3-40). Die Remissionen traten in der Gruppe der bronchialen und pankreatischen NEC auf, während bei intestinalen NEC das beste Ansprechen eine stabile Tumorerkrankung war, die jedoch alle Patienten (7/7) betraf. Ein biochemisches und symptomatisches Ansprechen lag bei 20 bzw. 50% der Patienten vor. Bei den schlecht differenzierten NEC lag die Rate partieller Remissionen bei 23%. Eine Tumorprogression trat bei 70% der Patienten auf. Die Zeit bis zur Tumorprogression betrug 4 Monate. In einer weiteren Studie wurden Capecitabine (850 mg/m2 2x tgl. Tg 1-14 alle 3 Wo.) und Oxaliplatin (130 mg/m2 iv Tg. 1) mit Bevacizumab (4 Zyklen à 7.5 mg/kg iv) eingesetzt (26). Von den 13 bisher eingeschlossenen Patienten (davon 10 mit Progression vor Therapiestart) entwickelten 4 eine partielle Remission (Effekt in Wochen: 33, 27+, 27+, 27+) und 6 wiesen eine stabile Erkrankung auf (Effekt in Wochen: 45+, 18, 48+, 48+, 12, 27+). FOLFOX-6 in der Kombination mit Bevacizumab (5 mg/kg iv. q 14 Tg.) erzielte bei Patienten mit fortgeschrittenen progredienten NEC verschiedenen Ursprungs (6 EPT, 5 intestinale NET, 1 schlecht differenziertes NEC) in 25% der Fälle (3/12 Pat.) partielle Tumorremissionen (Primarius im Pankreas bei 2, im Intestinum bei einem Patienten). Bei 75% der Patienten lag eine stabile Tumorerkrankung vor. Die Behandlung erfolgte im Median über 11 Zyklen à 2 Wochen (3-26). 15% der Patienten entwickelten eine sensible Polyneuropathie. Zwei schwer wiegende unerwünschte Nebenwirkungen traten auf (therapiebedingte Sepsis mit letalem Ausgang, thromboembolisches Ereignis) (27). Angiogeneseinhibitoren (Bevacizumab, Sunitinib) könnten zukünftig in der Kombinationstherapie, entweder mit Somatostatinanaloga oder Chemotherapeutika Bedeutung gewinnen. Verschiedene Chemotherapie-Regime (CAPOX; FOLFOX mit/ohne Bevacizumab, TEMCAP) zeigen eine Effektivität bei progredienten neuroendokrinen Carcinomen, Temodalhaltige Regime insbesondere bei Tumoren pankreatischen Ursprungs. Weitere Studien mit ausreichender Patientenzahl und gut definierter Patientenpopulation sind erforderlich, um den Stellenwert dieser Therapien bei progredienten neuroendokrinen Carcinomen zu überprüfen. Literatur 1. Modlin et al, Lancet Oncol 2008 Jan;9(1):61-72. Review. 2. Kouvaraki et al, J Clin Oncol 2004; 22: 4762-71 3. Moertel et al, N Engl J Med. 1992 Feb 20;326(8):519-23. 4. Erikkson et al. Cancer. 1990 May 1;65(9):1883-90. 5. Plöckinger und Wiedenmann, Virchows Arch. 2007 Aug;451 Suppl 1:S71-80. 6. Faiss et al, J Clin Oncol. 2003 Jul 15;21(14):2689-96. 7. Arnold et al. Clin Gastroenterol Hepatol. 2005 Aug;3(8):761-71. 8. Öberg et al, Digestion. 1994; 55 Suppl 3:64-9. Review. 9. Pavel et al. J Interferon Cytokine Res. 2006 Jan;26(1):8-13. 10. 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