Abstract - GI-Oncology 2017

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Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes– was gibt es
Neues?
M. Pavel
Universitätsmedizin Berlin, Charité
Die Inzidenz neuroendokriner Tumore ist steigend und wird unter Berücksichtigung
der Daten des SEER-Programms der USA mit 2.5-5.0/ 100000 EW angegeben (1).
Meist handelt es sich um hoch-differenzierte neuroendokrine Tumore (NET) bzw.
neuroendokrine Carcinome (NEC). Hauptmetastasierungsort ist die Leber. NET sind
charakterisiert durch ein allgemein langsames Tumorwachstum, wobei eine große
Variabilität des Tumorverlaufs besteht. Sie präsentieren sich bei funktioneller Aktivität
mit unterschiedlichen klinischen Syndromen (Karzinoid-Syndrom, Zollinger-EllisonSyndrom, Verner- Morrison-Syndrom, Glukagonom-Syndrom, Insulinom-Syndrom)
oder durch unspezifische Symptome bei nicht-funktionell aktiven Tumoren.
Von der European Neuroendocrine Tumor Society (ENETS) wurden infolge von zwei
Konsensus-Konferenzen in Frascati Leitlinien für die Diagnostik und Therapie von
neuroendokrinen Tumoren für die unterschiedlichen Primärtumorlokalisationen des
gastro-entero-pankreatischen Systems erstellt (Neuroendocrinology 2006; 84 (3):
155-215; Neuroendo-crinology 2008; 87 (1): 8-39). Aufgrund der limitierten Anzahl
prospektiver randomisierter Studien beruhen die Empfehlungen in erster Linie auf
empirischen Daten.
Die
Therapie
richtet
sich
nach
verschiedenen
Kriterien.
Maßgeblich
sind
Funktionalität, Differenzierungsgrad und Proliferationsindex, Primärtumorlokalisation,
Somatostatinrezeptor (SSTR)- Status, Wachstumsdynamik des Tumors bzw. der
Metastasen im Kurzzeit- und Langzeitverlauf. Eine hohe Tumorlast in der Leber
erfordert
frühzeitig
eine
Eskalation
der
Therapie,
die
Anwendung
von
Kombinationstherapien oder multimodalen, sequentiellen Therapieansätzen.
Aufgrund multimodaler Therapiekonzepte ist eine interdisziplinäre Betreuung der
Patienten anzustreben. Prinzipiell ist stets eine chirurgische Resektion, auch unter
dem Ansatz einer Tumormassenreduktion zu prüfen. Ausgewählte Patienten mit
hepatischen
Metastasen
können
von
einem
operativen
„debulking“,
einer
Embolisation oder anderen ablativen Verfahren profitieren.
Funktionell aktive Tumoren des Gastrointestinaltraktes in nicht-kurativ resektablem
Zustand,
insbesondere
das
Karzinoid-Syndrom,
werden
symptomatisch
mit
Somatostatinanaloga (z.B. Octreotid LAR 20 mg im alle 4 Wochen nach initial
subkutaner Therapieeinleitung oder Lanreotid Autogel 60 – 120 mg tief sc.) und/oder
alpha-Interferon behandelt. Von den endokrinen Pankreastumoren (EPT) werden
VIPOME und Glukagonome symptomatisch mit Somatostatinanaloga behandelt, das
Insulinom spricht aufgrund des SSTR-Status nur in 50% der Fälle an, und wird
alternativ mit Diazoxid behandelt. Therapie der Wahl beim Gastrinom ist die hoch
dosierte Therapie mit PPI. Nicht funktionell aktive Tumore werden bei stabilem
Tumorbefund aufgrund der Tendenz zu spontanen Wachstumsstillständen nicht
behandelt (Proliferationsindex in der Regel <2%, Tumornachsorge alle 3 Monate im
ersten Jahr)
Progrediente neuroendokrine Carcinome mit Primärtumorlokalisation im Pankreas
werden
mit
einer
Streptozotocin-basierten
systemischen
Chemotherapie,
in
Kombination mit 5-FU und/oder Doxorubicin behandelt. Die partielle Remissionsrate
liegt bei etwa 40% (2-4). Dagegen existiert für NEC des Gastrointestinaltrakts
(Magen, Duodenum, Ileum, Colon, Rektum) derzeit kein effizienter Ansatz einer
systemischen Chemotherapie.
Bei Patienten mit NEC von Pankreas oder Intestinaltrakt kann bei langsamem
Tumorwachstum ein zeitlich limitierter Therapieversuch mit Somatostatinanaloga
(SSA) oder Interferon-alpha initial unternommen werden. Der antiproliferative
Stellenwert von SSA ist jedoch noch unklar und wird in laufenden placebokontrollierten
Studien
dokumentiertem
überprüft.
Tumorprogress
In
vor
einer
Metaanalyse
Therapiebeginn
wird
von
die
Studien
Rate
mit
von
Wachstumsstabilisierungen mit 44% angegeben (5). Nach einem Jahr wurden in
zwei prospektiven Studien bei heterogenem Patientengut Wachstumsstillstände
noch bei ca. 25 – 30% der Patienten beobachtet (6,7). Die Rate partieller
Remissionen liegt bei unter 5-10%. Die Wirksamkeit der Somatostatinanaloga
unterschied sich nicht von der einer alpha-Interferon (IFN)-Therapie bzw.
Kombinationstherapie von IFN und SSA. Die Rate partieller Remissionen wird aus
verschiedenen nicht-kontrollierten Studien für IFN mit etwa 11% angegeben (8). Der
Einsatz von IFN ist limitiert durch Nebenwirkungen. Bei Nicht-Verträglichkeit kann
pegyliertes IFN empfohlen werden (9), dieses ist jedoch bei NET bisher nicht offiziell
zugelassen. Bei Progreß der Erkrankung kann bei pos. Somatostatin-Rezeptorstatus
eine metabolische Therapie mit 90Y-DOTATOC oder 177-Lutetium-DOTATATE
durchgeführt werden. In seltenen Einzelfällen (z.B. KI gegen Chemotherapie) wird
diese Therapie als Erstlinien-Therapie eingesetzt. Kurzzeitige Remissionsraten
liegen bei heterogenem Patientengut in nicht kontrollierten Studien bei 25-30%,
Wachstumsstabilisierungen bei 50% (10,11). Nach einer mittleren Nachsorge von 2
Jahren lagen die Remissionsraten bei 15 bzw. 17% für nicht-pankreatische bzw.
pankreatische NET (12). Es besteht bisher keine offizielle Zulassung für diese
Therapie, potentielle Spätschäden sind zu berücksichtigen (cave Niereninsuffizienz
und Myelotoxizität im Verlauf).
Die seltenen schlecht differenzierten NEC mit rascher Tumorprogression werden
unabhängig von ihrer Lokalisation mit Cisplatin und Etoposid therapiert. Die
Remissionsraten liegen bei 42 bis 67%, sind jedoch von kurzer Dauer (13-15). Der
zusätzliche Einsatz von Paclitaxel erhöht die Remissionsrate nicht (16).
Neue Therapieoptionen haben ihren Stellenwert bei Versagen der o.g. Therapien
oder im Rahmen von Studien in der frühen Behandlung von NET.
Angiogeneseinhibition
Verschiedene Angiogeneseinhibitoren (PTK787/ZK, Endostatin
und Thalidomid)
führten in der Monotherapie zu keiner Tumorremission, jedoch hoher Rate stabiler
Tumorbefunde (17-19). Die meisten Studien forderten keinen Tumorprogress vor
Studieneinschluss. Die stabilen Tumorbefunde sind aufgrund spontan auftretender
Wachstumsstillstände bei NET nur eingeschränkt zu werten.
Molekular-zielgerichtete Therapien mit antiangiogenetischer Wirkung, wie Sunitinib
und Sorafenib führen zu Tumorremissionen in 10% der Fälle.
Sorafenib (400 mg b.i.d.), ein Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitor von C-RAF, B-RAF,
VEGFR-2, VEGFR-3, PDGFR-ß und KIT, wurde im Rahmen einer Phase II-Studie
bei 93 Patienten mit neuroendokrinem Carcinom eingesetzt (20). Die Rate partieller
Remissionen lag bei 77 evaluierbaren Patienten bei 9%; „minor remissions“ traten bei
10% der Patienten auf. Da der Tumorverlauf vor Therapiebeginn nicht erfasst wurde,
ist die Rate stabiler Tumorbefunde nicht angegeben. Die Ansprechrate liegt damit in
der Größenordnung der von Sunitinib (s. GI Oncology Update 2006). Erhebliche
Nebenwirkungen von Sorafenib führten jedoch zu einem Therapieabbruch bei 65%
der Patienten. Sunitinib wird derzeit in einer internationalen placebo-kontrollierten
Studie bei NEC des Pankreas geprüft.
Bevacizumab (15 mg/kg iv q 3 Wo.) wurde unter stabiler Therapie mit Octreotid LAR
(max. 30 mg q 3 Wochen) im Vergleich zu pegyliertem Interferon-alpha bei Patienten
mit hoch-differenzierten NEC verschiedenen Ursprungs eingesetzt (21). Die Rate
partieller Tumorremissionen lag bei 18% im Octreotid-Bevacizumab-Arm, die Rate
stabiler Tumorerkrankungen lag bei 77% nach 18 Wochen Therapiedauer. Das
mediane progressionsfreie Überleben betrug in diesem Zeitraum 95% im
Bevacizumab-Arm und 68% im PEG-Interferon-Arm. Die Verträglichkeit der
Bevacizumab-Octreotid-Kombinationstherapie war gut. Ein Therapieabbruch erfolgte
in <5% der Fälle.
Neue chemotherapeutische Ansätze
In einer Phase II Studie wurde 5-Fluorouracil metronomisch (200 mg/ m²/d iv.) in
Kombinatiuon mit Octreotid LAR (20 mg q 4 Wo. im) bei 29 Patienten mit
metastasierten oder lokal fortgeschrittenen neuroendokrinen Carcinomen eingesetzt
(22). 5-FU wurde für maximal 9 Monate oder bis zur Tumorprogression eingesetzt,
Octreotid LAR bis zur Tumorprogression. Eine partielle Remission trat bei 7
Patienten (24.1%), eine stabile Erkrankung bei 20 Patienten (69%), eine Progression
dagegen nur bei 2 Patienten (6.9%) auf. Ein symptomatisches Ansprechen wurde bei
60% (9/15 Patienten), ein biochemisches (Chromogranin A) bei 44% (11/25) der
Behandelten beobachtet. Die mediane Zeit bis zur Tumorprogression betrug 25
Monate (2-69 Monate). Das mediane Gesamtüberleben wurde nicht erreicht. Ein
Hand-Fuß-Syndrom Grad 2-3 trat bei 6 Patienten (20.7%) auf. Es wurde kein
Studienabbruch aufgrund von Nebenwirkungen berichtet. Weitere Studien sind
erforderlich, um die Effektivität dieser Kombinationstherapie zu prüfen.
Temozolomid wurde in der Monotherapie (100 – 150 mg/m²/d mit z.T.
Dosissteigerung auf 200 mg/m²/d) bei 36 Patienten mit fortgeschrittenem NEC
eingesetzt (23). Die mediane Zeit bis zur Tumorprogression lag bei 7 Monaten. Die
partielle Remissionsrate betrug 14%, eine stabile Erkrankung lag bei 53% der
Patienten vor. In der Subgruppe mit bronchialen NET lag die Remissionsrate bei
31%,
bei
Patienten
mit
pankreatischen
NET
bei
8%
mit
jedoch
hoher
Stabilisierungsrate (67%). Eine Thrombozytopenie Grad 3-4 trat bei 14% der
Patienten auf.
Eine Immunreaktivität in < 10% der Nuklei für 0-Methylguanin DNA Methyltransferase
(MGMT) wurde bei 10 Patienten gefunden, von denen 4 ein radiologisches
Ansprechen zeigten. Ein möglicher prädiktiver Wert einer niedrigen MGMT
Expression für das Therapieansprechen bedarf weiterer Untersuchungen.
In
kleinen
Beobachtungsstudien
konnten
in
der
Kombination
mit
Angiogeneseinhibitoren höhere Remissionsraten erzielt werden (bei endokrinen
Pankreastumoren 45% in der Kombination mit Thalidomid und 24% in der
Kombination mit Bevacizumab).
Die Kombinationstherapie Temozolomid (200 mg/m² tgl. Tg 10-14) mit Capecitabine
(750 mg/m² 2x tgl, Tg 1-14) erzielte bei Patienten mit progredienten neuroendokrinen
Carcinomen des Pankreas (10 nicht-funktionell, 7 funktionell) in der Erstlinientherapie
eine partielle Remissionsrate von 71%, während 29% der Patienten eine stabile
Erkrankung aufwiesen bei einer medianen Beobachtungszeit von 12 Monaten (24).
Nur in einem Fall (6%) wurde eine Grad 3/4 Toxizität mit Thrombozytopenie
berichtet.
Diese guten Ansprechraten bedürfen weiterer Studien, um den Stellenwert von
Temozolomid plus Capecitabine in der Erstlinientherapie (versus Streptozotocin und
5-FU) bzw. in der Zweitlinientherapie bei neuroendokrinen Carcinomen des Pankreas
zu evaluieren.
Capecitabine (2000 mg/m²/d Tg. 2-15 q 3 Wochen) in Kombination mit Oxaliplatin
(130 mg iv. Tag 1) wurde bei 27 Patienten mit gut differenzierten neuroendokrinen
Carcinomen mit Tumorprogression nach Einsatz von Somatostatinanaloga und bei
13 Patienten mit schlecht differenzierten neuroendokrinen Carcinomen in der
Erstlinientherapie eingesetzt (25). Die Rate partieller Tumorremissionen bei
Anwendung von bis zu 6 Zyklen betrug 30% bei den gut differenzierten NEC, die
Rate stabiler Tumorerkrankungen 48%. Die Zeit bis zur Tumorprogression betrug 20
Monate (3-40). Die Remissionen traten in der Gruppe der bronchialen und
pankreatischen NEC auf, während bei intestinalen NEC das beste Ansprechen eine
stabile Tumorerkrankung war, die jedoch alle Patienten (7/7) betraf. Ein
biochemisches und symptomatisches Ansprechen lag bei 20 bzw. 50% der Patienten
vor.
Bei den schlecht differenzierten NEC lag die Rate partieller Remissionen bei 23%.
Eine Tumorprogression trat bei 70% der Patienten auf. Die Zeit bis zur
Tumorprogression betrug 4 Monate.
In einer weiteren Studie wurden Capecitabine (850 mg/m2 2x tgl. Tg 1-14 alle 3 Wo.)
und Oxaliplatin (130 mg/m2 iv Tg. 1) mit Bevacizumab (4 Zyklen à 7.5 mg/kg iv)
eingesetzt (26). Von den 13 bisher eingeschlossenen Patienten (davon 10 mit
Progression vor Therapiestart) entwickelten 4 eine partielle Remission (Effekt in
Wochen: 33, 27+, 27+, 27+) und 6 wiesen eine stabile Erkrankung auf (Effekt in
Wochen: 45+, 18, 48+, 48+, 12, 27+).
FOLFOX-6 in der Kombination mit Bevacizumab (5 mg/kg iv. q 14 Tg.) erzielte bei
Patienten mit fortgeschrittenen progredienten NEC verschiedenen Ursprungs (6 EPT,
5 intestinale NET, 1 schlecht differenziertes NEC) in 25% der Fälle (3/12 Pat.)
partielle Tumorremissionen (Primarius im Pankreas bei 2, im Intestinum bei einem
Patienten). Bei 75% der Patienten lag eine stabile Tumorerkrankung vor. Die
Behandlung erfolgte im Median über 11 Zyklen à 2 Wochen (3-26). 15% der
Patienten entwickelten eine sensible Polyneuropathie. Zwei schwer wiegende
unerwünschte Nebenwirkungen traten auf (therapiebedingte Sepsis mit letalem
Ausgang, thromboembolisches Ereignis) (27).
Angiogeneseinhibitoren
(Bevacizumab,
Sunitinib)
könnten
zukünftig
in
der
Kombinationstherapie, entweder mit Somatostatinanaloga oder Chemotherapeutika
Bedeutung gewinnen. Verschiedene Chemotherapie-Regime (CAPOX; FOLFOX
mit/ohne Bevacizumab, TEMCAP) zeigen eine Effektivität bei progredienten
neuroendokrinen Carcinomen, Temodalhaltige Regime insbesondere bei Tumoren
pankreatischen Ursprungs. Weitere Studien mit ausreichender Patientenzahl und gut
definierter Patientenpopulation sind erforderlich, um den Stellenwert dieser
Therapien bei progredienten neuroendokrinen Carcinomen zu überprüfen.
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