Einwilligungsfähigkeit, Aufklärungsgespräch, Schweigepflicht Juristische Aspekte mit Fallbeispielen Dr. Andreas Pollinger Begriffliche und gesetzliche Grundlagen • Einwilligung (§§ 1903, 183 BGB) betrifft Willenserklärung Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft • Einwilligung (§§ 630d BGB, 228 StGB) betrifft Gestattung oder Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des Gestattenden eingreifen § 223 StGB Körperverletzung • (1) Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. • (2) Der Versuch ist strafbar. • Leben, körperliche Unversehrtheit, Ehre sind Rechtsgüter: genießen Rechtsschutz, sind nicht Gegenstands eines Rechts. Über Rechtsgüter kann nicht verfügt werden wie über eine Sache oder ein Rechtsverhältnis. § 630d Einwilligung • (1) Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 Satz 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt. … . Kann eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf d sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. • (2) Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt voraus, dass der Patient oder im Falle des Absatzes 1 Satz 2 der zur Einwilligung Berechtigte vor der Einwilligung nach Maßgabe von § 630e Absatz 1 bis 4 aufgeklärt worden ist. • (3) Die Einwilligung kann jederzeit und ohne Angabe von Gründen formlos widerrufen werden. § 228 StGB Einwilligung • Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. § 203 StGB Verletzung von Privatgeheimnissen • (1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als Arzt (…) anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft. Einverständnis/Einwilligung • Einverständnis schließt Tatbestand aus • Einwilligung beseitigt Rechtswidrigkeit • Bei § 203 StGB nach allg. Auffassung im Ergebnis kein Unterschied • Einwilligung nur bei Individualrechtsgütern möglich • Antragsdelikte Fall 1 • P litt seit Jahren ständig unter starken Kopfschmerzen, deren Ursache alle ärztlichen Bemühungen nicht hatten ergründen können. Bei neuerlicher Untersuchung äußerte sie die Absicht, sich alle plombierten Zähne ziehen zu lassen. Weil nach ihrer Überzeugung ein Zusammenhang zwischen dem Leiden und der Füllung der Zähne bestehe. Der untersuchende Arzt konnte weder eine medizinische Notwendigkeit dieser Maßnahme feststellen, noch P von seiner Einschätzung überzeugen. Er überwies P zum Zahnarzt Z, der ebenfalls der P mitteilte, dass der Zustand der Zähne nicht für die Kopfschmerzen ursächlich sei. P beharrte jedoch auf ihrem Wunsch. Mit der Bemerkung, sie müsse es selbst wissen, ob sie die Zähne „heraus haben“ wolle, erklärte er sich dazu bereit, an einem späteren Tag Zähne zu ziehen. Zunächst entfernt Z zwei zähne im Oberkiefer, drei im Unterkiefer. Später entfernt ein Assistent des Z aufgrund des Missverständnisses, P wolle sämtliche Zähne gezogen haben, elf weitere, auch unplombierte. Urteil BGH, 2 StR 372/77, 22.2.1978 • Die mangelnde Belehrbarkeit der A beruhte, wie dem Z klar war, auf Unkenntnis und einer seelischen Verfassung, die ein verstandesgemäßes Abwägen der vorgebrachten medizinischen Argumente verhinderte. Kritik • Für eine geistige und seelische Verwirrung der P ist nichts ersichtlich. Die Entscheidung läuft darauf hinaus, „unvernünftige“ Entscheidungen durch Ausschluss der Einsichtsfähigkeit für unwirksam zu halten (Roxin AT I § 13 Nr. 87) Beurteilungskriterien • Fähigkeit, Wesen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs voll zu erfassen und seinen Willen danach zu bestimmen, die Vorund Nachteile der Behandlung zu erfassen und eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen • Bei Volljährigen kann diese Fähigkeit, von ins Gewicht fallenden psychischen Störungen und Beeinträchtigungen, wie Geisteskrankheiten, Trunkenheit usw. abgesehen, im Allgemeinen nicht schon deshalb verneint werden, weil die Einwilligung offensichtlich unvernünftig ist • Bei Minderjährigen kommt es auf den individuellen Reifegrad an • Die Frage der Urteilsfähigkeit ist nicht generell, sondern auf den konkreten Eingriff bezogen zu beurteilen (relativ) Einwilligungsunfähig ist, wer – wegen Minderjährigkeit, geistiger Behinderung, psychischer Erkrankung - nicht erfassen kann • Um welche Tatsachen es sich bei der Entscheidung handelt • Welche Folgen oder Risiken sich aus der Einwilligungsentscheidung ergeben und welche Mittel es zur Erreichung der mit der Einwilligung verbundenen Ziele gibt, die ihn weniger belasten • Welchen Wert oder welchen Rang die von der Einwilligung berührten Güter und Interessen für ihn besitzen (Foerster/Habermeyer 2015) Zu beurteilende Funktionen: • • • • Verständnis Verarbeitung Bewertung Bestimmbarkeit des Willens (Helmchen u. Lauter 1995) § 630e Aufklärungspflichten • (1) der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. • Aufklärung ist eine Hauptpflicht des Behandelnden aus dem Behandlungsvertrag • Selbstbestimmungsaufklärung • Situationsangemessenheit der Aufklärung; maßgeblich ist der Verständnishorizont des Patienten; der tatsächliche Befund darf weder verharmlost noch übertrieben werden • Therapeutische Unzumutbarkeit der Aufklärung ist Ausnahme § 630e Aufklärungspflichten • (2) Die Aufklärung muss 1.) mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält; 2.) so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann; 3.) für den Patienten verständlich sein. § 630e Aufklärungspflichten • (4) ist nach § 630d Absatz 1 Satz 2 die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, ist dieser nach Maßgabe der Absätze 1 bis 3 aufzuklären. § 630e Aufklärungspflichten • (5) Im Fall des § 630d Absatz 1 Satz 2 sind die wesentlichen Umstände nach Absatz 1 auch dem Patienten entsprechend seinem Verständnis zu erläutern, soweit dieser Aufgrund seines Entwicklungsstandes und seiner Verständnismöglichkeiten in der Lage ist, die Erläuterung aufzunehmen, und soweit dies seinem Wohl nicht zuwiderläuft. Absatz 3 gilt entsprechend. Rechtsfolge der Verletzung von § 630e Absatz 5 BGB • Keine Unwirksamkeit der Einwilligung des Berechtigten • Ersatz immateriellen Schadens Fall 2 • Hausarzt H stellt fest, dass M in der achten oder neunten Woche schwanger ist; diese möchte Abbruch der Schwangerschaft. Gynäkologe G, an den H M überweist, hält Eileiterschwangerschaft für wahrscheinlich mit Gefahr der Ruptur des Eileiters und der Folge alsbaldigen Verblutens. G teilt M die Gefahr mit und erklärt, sie müsse sofort in eine Klinik. M lehnt dies ebenso ab wie die Information der vor der Praxis wartenden Mutter. M begab sich nach Hause und rief – nachdem sich ihr Zustand verschlechterte – Hausarzt H herbei. Da dieser fahrlässig die Diagnose nicht stellt und vom G nicht informiert wurde, unterbleibt die notwendige Einweisung in das Krankenhaus. Die Ruptur tritt am folgenden tag ein, M stirbt innerhalb kurzer Zeit BGH Urteil vom 26.10.1982, 1 StR 413/82 • Verpflichtung, nachdrücklicher auf M einzuwirken? • Offenbarungspflicht gegenüber H (jetzt § 9 Abs. 4 Berufsordnung für die Ärzte Bayerns) • Offenbarungspflicht gegenüber der Mutter (jetzt § 9 Abs. 2 Berufsordnung für die Ärzte Bayerns) • Verurteilung wegen Unterlassener Hilfeleistung § 323c StGB) Rechtfertigung der Offenbarung • Einverständnis/Einwilligung, abhängig von Einwilligungsfähigkeit • Mutmaßliche Einwilligung • Gesetzliche Offenbarungspflichten- und befugnisse • Güter- und Interessenabwägung (rechtfertigender Notstand § 34 StGB) Fall 3 • 16jährige K sucht mit ihrer Mutter gynäkologische Praxis der B mit dem Wunsch zur Kontrazeption auf. Bei Sonographie stellt B Schwangerschaft der K fest. Die Mutter der K erfuhr hiervon nichts. Die Beklagte wünschte einen Schwangerschaftsabbruch, der aber aus Rechtsgründen nicht mehr möglich war. B informierte die Eltern der K nicht. Eine weitere Behandlung in der Form von Kontrolluntersuchungen erfolgte zunächst nicht. K brachte einen Jungen zur Welt. K klagt auf Zahlung von „Schmerzensgeld“ sowie Feststellung einer Schadensersatz- und Unterhaltsverpflichtung LG Köln Urteil vom 17.9.2008, 25 O 35/08 • Wenn der Patient (hier Minderjährige) die zur Entscheidung über die Fortführung der Schwangerschaft erforderliche Einsichtsfähigkeit vermittelt und für den medizinischen Schutz des Patienten kein besonderes Risiko zu prognostizieren ist und der Patient zudem eine Unterrichtung der Eltern untersagt, besteht eine Verpflichtung zur Unterrichtung der Eltern nicht • Vorrang der Entscheidung des Rechtsgutträgers Fall 4 • S wird vom Amtsgericht mit der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens über B, der in der psychiatrischen Klinik untergebracht ist beauftragt. Vom dortigen Oberarzt begehrt er Einsicht in die Behandlungsunterlagen und Auskunft über die aktuelle Entwicklung • Es gelten die allgemeinen Voraussetzungen für die Rechtfertigung der Offenbarung Fall 5 • Der behandelnde Arzt wird zum Sachverständigen bestellt • Kein Verbot, aber § 329 Absatz 2 Satz 2, Absatz 3 FamFG beachten • Verweigerungsrecht §§ 29 Abs. 2 FamFG, 384 Nr. 2, 408 Absatz 1 ZPO • Hinsichtlich der bisherigen Behandlung und Zusatztatsachen gilt Schweigepflicht • Bestellung des Sachverständigen ist dem Betroffenen vor der Untersuchung mitzuteilen (wegen Möglichkeit der Ablehnung) • Der Sachverständige muss vor der Untersuchung dem Betroffenen den Zweck der Untersuchung eröffnen • Offenbarung in anderem Zusammenhang – auch gerichtlichen Verfahren – bedarf der selbständigen Rechtfertigung Schweigepflicht des Betreuers? • Rechtsanwalt, Sozialarbeiter, Amtsträger? • Nicht in dieser Funktion bestellt? • Ausnahmen? Betreuungsbehörde • Datenschutz