Luzerner Tagung zum Sozialhilferecht Invalidenversicherung und Sozialhilfe – Schnittstelle Eingliederung 19. März 2015 Beilagen zum Referat „Eingliederung: Fallführung und Gestaltung der Zusammenarbeit mit involvierten Akteuren aus rechtlicher und praktischer Sicht“ Bundesgericht, {T 0/2} 8C_302/2011 Bundesgericht, {T 0/2} 8C_906/2013 Urteilskopf, 126 V 75 Urteilskopf, 127 V 294 Linkliste Hans Mangold Die Unterlagen finden Sie auch unter: www.hslu.ch/fachtagung-sozialhilferecht 20.09.2011_8C_302-2011 Bundesgericht Tribunal fédéral Tribunale federale Tribunal federal {T 0/2} 8C_302/2011 Urteil vom 20. September 2011 I. sozialrechtliche Abteilung Besetzung Bundesrichter Ursprung, Präsident, Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard, Gerichtsschreiber Kathriner. Verfahrensbeteiligte M.________, vertreten durch Fürsprecher Theodor Bichsel, Beschwerdeführer, gegen IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin. Gegenstand Invalidenversicherung, Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 11. März 2011. Sachverhalt: A. A.a Der 1949 geborene M.________ war selbstständiger Inhaber einer Marketing- und Werbeagentur. Im September 2007 meldete er sich wegen eines "Burn-out" bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Bern holte verschiedene Unterlagen ein und wies mit Verfügung vom 13. Juli 2009 den Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung ab. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 29. Oktober 2009 gut und wies die Sache zu weiteren Abklärungen an die IV-Stelle zurück. A.b Am 25. März 2010 holte die IV-Stelle bei Dr. med. G.________ ein psychiatrisches Gutachten ein und verneinte mit Verfügung vom 21. September 2010 erneut einen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung mangels eines invalidisierenden Gesundheitsschadens. B. Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 11. März 2011 ab. C. Mit Beschwerde lässt M.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und ab 1. Oktober 2007 die Zusprache mindestens einer halben Rente beantragen. Eventualiter sei die Sache an die IV-Stelle zur ergänzenden Abklärung bezüglich Festlegung der Rentenhöhe zurückzuweisen. Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. Erwägungen: 1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann eine - 20.09.2011_8C_302-2011 für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 2. Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie den Anspruch des Versicherten auf Leistungen der Invalidenversicherung verneinte. Zu prüfen ist dabei, ob beim Beschwerdeführer ein invalidisierender Gesundheitsschaden vorliegt. 2 .1 Die Beschwerdegegnerin holte zur Abklärung des Gesundheitsschadens am 25. März 2010 ein psychiatrisches Gutachten bei Dr. med. G.________ ein, welcher mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit eine mittelgradige depressive Episode (ICD-10 F32.1) und eine somatoforme autonome Funktionsstörung des oberen und unteren Gastrointestinaltraktes (ICD-10 F45.31, F45.32) diagnostizierte. Er kam zum Schluss, in der bisherigen Tätigkeit als Leiter einer Werbeagentur bestehe eine Arbeitsunfähigkeit von 70 %. In einfacheren beruflichen Tätigkeiten mit weniger Kundenkontakten betrage die Arbeitsfähigkeit 50 %. Die depressive Störung sei trotz adäquater Therapie weitgehend chronifiziert und begründe im Wesentlichen die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit. 2 .2 Die Vorinstanz verneinte einen invalidisierenden Gesundheitsschaden mit Hinweis auf das Urteil 9C_749/2010 vom 23. November 2010 E. 4.3.1, wonach eine mittelgradige depressive Episode im Rahmen einer somatoformen Schmerzstörung keine andauernde Depression im Sinne einer psychischen Komorbidität darstelle. Sie gab sodann an, die mittelgradige depressive Episode des Beschwerdeführers sei kein von soziokulturellen (richtig wohl: psychosozialen) Belastungssituationen unabhängiger und damit verselbstständigter invalidisierender Gesundheitsschaden. 2 . 3 Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass ein "Burn-out" bei Personen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen in psychosozialen Belastungssituationen auftreten kann (vgl. BRAND/HOLSBOER-TRACHSLER, Das Burnout Syndrom - eine Übersicht, Therapeutische Umschau 2010, S. 561 ff.). Es stellt daher grundsätzlich keinen invalidisierenden Gesundheitsschaden dar (vgl. BGE 127 V 294 E. 5a S. 299; SVR 2008 IV Nr. 62 S. 203, 9C_830/2007 E. 4.2). "Burn-out" wird zwar unter dem Diagnose-Code ICD-10 Z73.0 aufgeführt, es entspricht aber keiner Erkrankung im Sinne der anerkannten internationalen Klassifikationssysteme. Bei den sogenannten Z-Kodierungen handelt es sich um Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen. Die Kategorien Z00-Z999 sind jedoch für Fälle vorgesehen, in denen Sachverhalte als "Diagnosen" oder "Probleme" angegeben sind, die nicht als Krankheit, Verletzung oder äussere Ursache unter den Kategorien A00-Y89 klassifizierbar sind (www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/ htmlgm2009/chapter-xxi.htm; SVR 2008 IV Nr. 15 S. 43, I 514/06 E. 2.2.2.2). "Burn-out" als solches fällt somit nicht unter den Begriff des rechtserheblichen Gesundheitsschadens. 2 .4 Die Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers ist im Wesentlichen in einer depressiven Störung begründet. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz stellt eine solche für sich keinen pathogenetisch (ätiologisch) unklaren syndromalen Zustand dar, bei welchem die Rechtsprechung zu den somatoformen Schmerzstörungen zur Anwendung gelangen würde (vgl. BGE 136 V 279 E. 3.2.1 S. 282, 137 V 64 E. 4.2 S. 68). 2.5 2 . 5 .1 Zur Annahme einer Invalidität braucht es in jedem Fall ein medizinisches Substrat, das (fach)ärztlicherseits schlüssig festgestellt wird und nachgewiesenermassen die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt. Je stärker psychosoziale oder soziokulturelle Faktoren im Einzelfall in den Vordergrund treten und das Beschwerdebild mitbestimmen, desto ausgeprägter muss eine fachärztlich festgestellte psychische Störung von Krankheitswert vorhanden sein. Das bedeutet, dass das klinische Beschwerdebild nicht einzig in Beeinträchtigungen, welche von den belastenden soziokulturellen und psychosozialen Faktoren herrühren, bestehen darf, sondern davon psychiatrisch zu unterscheidende Befunde zu umfassen hat, zum Beispiel eine von depressiven Verstimmungszuständen klar unterscheidbare andauernde Depression im fachmedizinischen Sinne oder einen damit vergleichbaren psychischen Leidenszustand. Solche von der soziokulturellen oder psychosozialen Belastungssituation zu unterscheidende und in diesem Sinne verselbständigte psychische Störungen mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit sind unabdingbar, damit überhaupt von Invalidität gesprochen werden kann. Wo der Gutachter dagegen im Wesentlichen nur Befunde erhebt, welche in den psychosozialen und soziokulturellen Umständen ihre hinreichende Erklärung finden, gleichsam in ihnen aufgehen, ist kein invalidisierender psychischer 20.09.2011_8C_302-2011 Gesundheitsschaden gegeben. Ist anderseits eine psychische Störung von Krankheitswert schlüssig erstellt, kommt der Frage zentrale Bedeutung zu, ob und inwiefern, allenfalls bei geeigneter therapeutischer Behandlung, von der versicherten Person trotz des Leidens willensmässig erwartet werden kann, zu arbeiten (eventuell in einem geschützten Rahmen) und einem Erwerb nachzugehen (BGE 127 V 294 E. 5a S. 299). 2.5.2 Der psychiatrische Gutachter Dr. med. G.________ erwähnte als Diagnose eine mittelgradige depressive Episode und ergänzte, diese sei trotz adäquater Therapie chronifiziert. In seinem Gutachten erwähnte er sodann nur noch den Begriff "psychischen Störung". Damit bescheinigte er nicht bloss eine mittelgradige depressive Episode im Sinne einer vorübergehenden, zeitlich begrenzten Depression, sondern eine anhaltende Erkrankung. Aufgrund der erhobenen Befunde ist allerdings fraglich, ob beim Beschwerdeführer überhaupt von einer depressiven Störung gesprochen werden kann. Im psychopathologischen Befund, den Dr. med. G.________ erhoben hatte, konnten keine entsprechenden Hinweise objektiviert werden. Insbesondere war die Aufmerksamkeit des Beschwerdeführers gut und die Konzentration ungestört. Eine Merkfähigkeitsstörung und Zeichen für eine gestörte Intentionalität oder einen gestörten Antrieb lagen nicht vor. Darauf verwies Dr. med G.________ auch in seiner abschliessenden Beurteilung. Zwar sind gemäss Gutachten Schlafstörungen, eine verminderter Appetit und eine ausgeprägte Suizidalität ebenfalls nicht gegeben. Der Beschwerdeführer geniesse die Aufenthalte in der Natur (vgl. DILLING/MOMBOUR/SCHMIDT/SCHULTE-MARKWORT, Internationale Klassifikation psychischer Störungen, ICD-10 Kapitel V (F), Diagnostische Kriterien für Forschung und Praxis, 5. Aufl. 2011, F32, S. 110 ff.). Dennoch diagnostizierte er eine mittelgradige depressive Störung. Er stützte sich dabei offenbar auf die subjektiven Angaben des Beschwerdeführers. Ob unter diesen Umständen der Beurteilung von Dr. med. G.________ Beweiswert zukommt, kann offen bleiben. Denn zur Begründung der depressiven Störung gab er an, der Beschwerdeführer könne kaum akzeptieren, seine frühere Leistungsfähigkeit verloren zu haben, in wirtschaftlicher Bedrängnis zu sein und keine Zukunftsperspektiven zu haben. Er fühle sich minderwertig und sein Selbstwertgefühl sei vermindert. Zudem sei sich der Versicherte bewusst, dass er beruflich kaum mehr Möglichkeiten habe und dass die Zukunft in finanzieller Hinsicht schwierig sei. Er leide unter dem Verlust seiner früheren Leistungsfähigkeit. All dies trage zur Chronifizierung bei und es sei kaum damit zu rechnen, dass sich die depressive Störung in den nächsten Jahren verbessere. Hierbei handelt es sich um ausgeprägte psychosoziale Faktoren, die das Beschwerdebild bestimmen. Aus dem Gutachten ist ersichtlich, dass sowohl die depressive Störung selber als auch deren Chronifizierung durch diese Faktoren geprägt sind. Von einem invalidisierenden psychischen Gesundheitsschadens kann unter diesen Umständen nicht gesprochen werden (vgl. E. 2.5.1 hievor). Die von Dr. med. G.________ bescheinigte Arbeitsunfähigkeit von 50 % in einer angepassten Tätigkeit ist im Rahmen der invalidenversicherungsrechtlichen Leistungszusprache daher nicht zu berücksichtigen. Die Verneinung eines invalidisierenden Gesundheitsschadens durch die Vorinstanz erweist sich im Ergebnis somit als rechtens, und die Beschwerde ist demzufolge abzuweisen. 3. Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Demnach erkennt das Bundesgericht: 1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. Luzern, 20. September 2011 Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts Der Präsident: Ursprung 20.09.2011_8C_302-2011 Der Gerichtsschreiber: Kathriner 23.05.2014_8C_906-2013 Bundesgericht Tribunal fédéral Tribunale federale Tribunal federal {T 0/2} 8C_906/2013 Urteil vom 23. Mai 2014 I. sozialrechtliche Abteilung Besetzung Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, Gerichtsschreiberin Weber Peter. Verfahrensbeteiligte A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Pierre Heusser, Beschwerdeführer, gegen IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin. Gegenstand Invalidenversicherung, Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. Oktober 2013. Sachverhalt: A. A.________, geboren 1973, meldete sich im April 2012 unter Hinweis auf Methadon-Einnahme, Alkoholkonsum und Depression bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich holte in der Folge einen Bericht der Klinik B.________ vom 27. Juni 2012 sowie eine Stellungnahme des Dr. med. C.________, Facharzt Arbeitsmedizin des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 22. August 2012 ein. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens wies die IV-Stelle mit Verfügung vom 29. Oktober 2012 den Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung ab. B. Die dagegen erhobene Beschwerde, in deren Folge u.a. ein Arztbericht des med. pract. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 18. April 2013 eingereicht wurde, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. Oktober 2013 ab. C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt der Versicherte beantragen, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sei die Sache an die Vorinstanz (eventualiter an die IV-Stelle) zurückzuweisen, damit sie ein unabhängiges psychiatrisches Gutachten in Auftrag gebe. Zudem wird um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht. Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. Erwägungen: 23.05.2014_8C_906-2013 1. 1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 1.2. Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um Entscheidungen über Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Dagegen ist die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.). 2. Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung und dabei die Frage, ob eine invaliditätsbegründende Gesundheitsschädigung vorliegt. 2.1. Das kantonale Gericht hat im angefochtenen Entscheid die Bestimmungen und Grundsätze über die Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261), den Beweiswert und die Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) sowie die Rechtsprechung betreffend IV-rechtlicher Relevanz psychischer Gesundheitsschädigungen (BGE 131 V 49 E. 1.2 S. 50 mit Hinweisen) zutreffend wiedergegeben, worauf verwiesen wird. 2.2. Richtig festgehalten hat die Vorinstanz zudem, dass nach ständiger Rechtsprechung Alkoholismus, Medikamentenmissbrauch und Drogensucht keine Invalidität im Sinne des Gesetzes begründen. Vielmehr wird eine solche Sucht invalidenversicherungsrechtlich erst bedeutsam, wenn sie ihrerseits eine Krankheit oder einen Unfall bewirkt hat, in deren Folge ein körperlicher oder geistiger die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Gesundheitsschaden eingetreten ist, oder aber wenn sie selber Folge eines körperlichen oder geistigen Gesundheitsschadens ist, welchem Krankheitswert zukommt (vgl. BGE 124 V 265 E. 3c S. 268; AHI 2002 S. 30, I 454/99 E. 2a). Dabei ist das ganze für die Alkoholsucht massgebende Ursachen- und Folgespektrum in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen, was impliziert, dass einer allfälligen Wechselwirkung zwischen Suchtmittelabhängigkeit und psychischer Begleiterkrankung Rechnung zu tragen ist. Was die krankheitsbedingten Ursachen der Alkoholsucht betrifft, ist für die invalidenversicherungsrechtliche Relevanz der Abhängigkeit erforderlich, dass dem Alkoholismus eine ausreichend schwere und ihrer Natur nach für die Entwicklung einer Suchtkrankheit geeignete Gesundheitsstörung zugrunde liegt, welche zumindest eine erhebliche Teilursache der Alkoholsucht darstellt. Mit dem Erfordernis des Krankheitswerts einer allfälligen verursachenden psychischen Krankheit wird verlangt, dass diese die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit einschränkt. Wenn der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Alkoholsucht und krankheitswertigem psychischem Gesundheitsschaden besteht, sind für die Frage der noch zumutbaren Erwerbstätigkeit die psychischen und die suchtbedingten Beeinträchtigungen gesamthaft zu berücksichtigen (vgl. Urteil 9C_701/2012 vom 10. April 2013 E. 2 mit Hinweisen sowie Urteil 9C_706/2012 vom 1. Juli 2013 E. 3.2 mit Hinweis auf I 169/06 vom 8. August 2006 E. 2.2). Die Frage nach der objektiv zu verstehenden Zumutbarkeit [einer Tätigkeit] beurteilt sich entscheidend nach dem, was der Arzt, im Kontext der Psychiater als Facharzt, dazu sagt (Ulrich Meyer, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 2. Aufl. 2010, S. 20 mit Hinweisen). 3. 3.1. Nach Wiedergabe der medizinischen Akten, namentlich des von der IV-Stelle eingeholten Berichts der Klinik B.________ vom 27. Juni 2012, der Stellungnahme des RAD-Arztes Dr. med. C.________ vom 22. August 2012 und des vom Beschwerdeführer eingereichten Berichts des Psychiaters med. pract. D.________ vom 18. April 2013 gelangte die Vorinstanz in Bestätigung der 23.05.2014_8C_906-2013 Verwaltung zum Schluss, dass von einer rein suchtbedingten Arbeitsunfähigkeit auszugehen sei, welche mangels nachweisbaren anderen Ursachen invalidenversicherungsrechtlich nicht relevant sei. Sie stützte sich dabei auf den Aktenbericht des RAD-Arztes Dr. med. C.________, den sie, beruhend auf dem umfassenden Bericht der Klinik B.________, als plausibel bezeichnete. Sie erwog, der RADArzt habe nachvollziehbar festgestellt, dass von einem reinen Suchtgeschehen, beziehungsweise einer aktuell ausschliesslich alkoholbedingten vollen Arbeitsunfähigkeit auszugehen sei, wobei schwerwiegende psychiatrische Störungen zu verneinen seien. Die Einschätzung des Psychiaters med. pract. D.________, welche (nach vielen Absagen) nur auf zwei Konsultationen beruhe, vermöge die Beurteilung des RAD-Arztes nicht in Frage zu stellen. Zudem seien Auswirkungen der 1993 im Militär erlittenen Unterschenkelverletzung, die keine längerdauernde Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte, auf den aktuellen Gesundheitszustand auszuschliessen, zumal sie vom Versicherten bei seiner IV-Anmeldung nicht einmal erwähnt worden seien. 3.2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes. Er begründet dies u.a. damit, dass die Vorinstanz, obwohl ein Arztbericht des behandelnden Psychiaters vorliege, der eine klare psychiatrische Diagnose stelle und obwohl der Bericht der Klinik B.________ ebenfalls den Verdacht auf eine psychiatrische Diagnose enthalte, ohne zusätzliche medizinischen Abklärungen auf den Bericht des RAD-Arztes abstellte, der kein Psychiater sei und den Beschwerdeführer zudem nie gesehen, geschweige denn jemals medizinisch untersucht habe. 4. 4.1. Im Bericht der Klinik B.________ vom 27. Juni 2012 wie auch im Bericht des aktuell behandelnden Psychiaters med. pract. D.________ sind Hinweise auf eine relevante psychisch bedingte Gesundheitsstörung enthalten. Der Bericht der Klinik B.________ führt als Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit an: Verdacht auf nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.9), nicht näher bezeichnete depressive Störung (ICD-10 F33.9), psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol (ICD-10 F10.5) sowie makrozytäre Anämie bei Mangelernährung und chronischem Alkoholkonsum (ICD-10 D53.1). Laut diesem Bericht ist eine Persönlichkeitsakzentuierung bis -störung und eine depressive Erkrankung zu vermuten. Aufgrund der abwehrenden Haltung und des anhaltenden Alkoholkonsums könne diese Diagnose letztlich nicht mit Sicherheit festgelegt werden. Eine zuverlässige Beurteilung war mithin nicht möglich. Wenn der RAD-Arzt Dr. med. C.________ daraus schloss, dass von einem reinen Suchtgeschehen, beziehungsweise einer aktuell ausschliesslich alkoholbedingten vollen Arbeitsunfähigkeit auszugehen sei, wobei schwerwiegende psychiatrische Störungen zu verneinen seien, kann dies entgegen der Vorinstanz nicht ohne weiteres als nachvollziehbar bezeichnet werden, zumal wie der Beschwerdeführer zu Recht einwendet, der RAD-Arzt nicht Psychiater ist und mithin nicht über die notwendige fachliche Qualifikation verfügt, um die psychiatrische Einschränkung abschliessend zu beurteilen. Entgegen dem Beschwerdeführer stellt hingegen auch der behandelnde Psychiater keine klare Diagnose, vielmehr spricht er von einer massiven Persönlichkeitsveränderung nach langjährigem Drogenmissbrauch. Seit ungefähr acht Jahren seien Drogen durch Methadon substituiert. Aufgrund der bestehenden medizinischen Aktenlage lässt sich damit entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht beurteilen, ob ein krankheitswertiger psychischer Gesundheitsschaden vorliegt und ob zur Alkoholsucht allenfalls ein Kausalzusammenhang besteht. Dabei wäre auch einer allfälligen Wechselwirkung zwischen Suchtmittelabhängigkeit und psychischer Begleiterkrankung Rechnung zu tragen (vgl. E. 2.2 hievor). 4.2. Bei dieser Sachlage ist eine umfassende psychiatrische Begutachtung erforderlich, um entscheiden zu können, ob der Beschwerdeführer an einer invalidenversicherungsrechtlich relevanten Gesundheitsstörung leidet oder nicht. Die Sache ist daher an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ein solches einholt und danach über die Beschwerde neu entscheidet. 5. Die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz oder an den Versicherungsträger zu weiterer Abklärung und neuem Entscheid (mit noch offenem Ausgang) gilt praxisgemäss als volles Obsiegen der Beschwerde führenden Partei im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie überhaupt beantragt oder ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder Eventualantrag gestellt wird (BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271). Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten daher der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat dem Beschwerdeführer überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Damit ist das Gesuch betreffend unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. 23.05.2014_8C_906-2013 Demnach erkennt das Bundesgericht: 1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. Oktober 2013 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 3. Die Beschwerdegegnerin hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. Luzern, 23. Mai 2014 Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts Die Präsidentin: Leuzinger Die Gerichtsschreiberin: Weber Peter 126 V 75 Zurück zur Einstiegsseite Drucken Grössere Schrift Inhalt Urteilskopf Ganzes Dokument Regeste: deutsch französisch italienisch 126 V 75 15. Auszug aus dem Urteil vom 9. Mai 2000 i.S. IV-Stelle Zug gegen A. und Verwaltungsgericht des Kantons Zug Erwägungen 3 4 5 6 7 Regeste Referenzen Art. 28 Abs. 2 IVG: Kürzung von Tabellenlöhnen. - Für die Bestimmung des Invalideneinkommens ist primär von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen, in welcher die versicherte Person konkret steht. Ist kein tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen gegeben, können rechtsprechungsgemäss Tabellenlöhne beigezogen werden. - Die Frage, ob und in welchem Ausmass Tabellenlöhne herabzusetzen sind, hängt von sämtlichen persönlichen und beruflichen Umständen des konkreten Einzelfalles ab (leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre, Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad), welche nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen sind. Dabei erlaubt ein Abzug vom statistischen Lohn von insgesamt höchstens 25%, den verschiedenen Merkmalen, die das Erwerbseinkommen zu beeinflussen vermögen, Rechnung zu tragen. - Bei der Überprüfung des gesamthaft vorzunehmenden Abzuges, der eine Schätzung darstellt und von der Verwaltung kurz zu begründen ist, darf das Sozialversicherungsgericht sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen. BGE: 124 V 323, 117 V 18, 124 V 322, 114 V 310 mehr... Artikel: Art. 28 Abs. 2 IVG, Art. 8 Abs. 1 BV, Art. 4 Abs. 1 aBV, Art. 132 lit. a OG Navigation Neue Suche ähnliche Leitentscheide suchen Erwägungen ab Seite 76 BGE 126 V 75 S. 76 Aus den Erwägungen: 3. a) Es ist unbestritten, dass das vom Versicherten ohne Invalidität erzielbare Einkommen (Valideneinkommen) im Jahre 1992 Fr. 56'376.- betrug, dies bei 45 Wochenstunden. Angepasst an die Nominallohnentwicklung im Baugewerbe (vgl. Die Volkswirtschaft, 1996 Heft 12, Anhang S. 13, Tabelle B4.4, und 1999 Heft 12, Anhang S. 28, Tabelle B10.2) ergibt sich im Jahre 1998 ein Valideneinkommen von Fr. 60'727.55. Das Umrechnen auf 40 Wochenstunden, wie es das kantonale Gericht vorgenommen hat, geht nicht an. Denn als Valideneinkommen ist grundsätzlich das gesamte Erwerbseinkommen zu berücksichtigen (vgl. ZAK 1980 S. 592 Erw. 3a; RKUV 1989 Nr. U 69 S. 181 Erw. 2c), was hier umso mehr Gültigkeit hat, als die in der Firma X geleisteten 45 Wochenstunden die normale Arbeitszeit bilden. b) aa) Für die Bestimmung des trotz Gesundheitsschädigung zumutbarerweise noch realisierbaren Einkommens (Invalideneinkommen) ist primär von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen, in welcher der Versicherte konkret steht. Übt er nach Eintritt der Invalidität eine Erwerbstätigkeit aus, bei der - kumulativ - besonders stabile Arbeitsverhältnisse gegeben sind und anzunehmen ist, dass er die ihm verbleibende Arbeitsfähigkeit in zumutbarer Weise voll ausschöpft, sowie das Einkommen aus der Arbeitsleistung als angemessen und nicht als Soziallohn erscheint, gilt grundsätzlich der von ihm tatsächlich erzielte Verdienst als Invalidenlohn (BGE 117 V 18 Erw. 2c/aa; RKUV 1991 Nr. U 130 S. 272 Erw. 4a, je mit Hinweisen; nicht publizierte Erw. 6b des in AHI 1998 S. 179 auszugsweise veröffentlichten Urteils W. vom 31. Oktober 1997). bb) Ist kein solches tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen gegeben, namentlich weil der Versicherte nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine oder jedenfalls keine ihm an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, so können nach der Rechtsprechung Tabellenlöhne beigezogen werden (ZAK 1991 S. 321 BGE 126 V 75 S. 77 Erw. 3c, 1989 S. 458 Erw. 3b; OMLIN, Die Invalidität in der obligatorischen Unfallversicherung, Diss. Freiburg 1995, S. 215). Wie in BGE 124 V 322 Erw. 3b/aa dargelegt, stellte das Eidg. Versicherungsgericht zu diesem Zweck jeweils auf die Oktoberlohnerhebung des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit (seit 1. Januar 1998: Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit, seit 1. Juli 1999: Staatssekretariat für Wirtschaft) ab. Diese Publikation ist indessen letztmals für 1993 herausgegeben und im Jahre 1994 von der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) abgelöst worden, welche im Zweijahresrhythmus erscheint. Für den Verwendungszweck des Einkommensvergleichs ist dabei auf die im Anhang enthaltene Statistik der Lohnsätze, d.h. der standardisierten Bruttolöhne (Tabellengruppe A) abzustellen, wobei jeweils vom so genannten Zentralwert (Median) auszugehen ist. Bei der Anwendung der Tabellengruppe A gilt es ausserdem zu berücksichtigen, dass ihr generell eine Arbeitszeit von 40 Wochenstunden zu Grunde liegt, welcher Wert etwas tiefer ist als die betriebsübliche durchschnittliche Arbeitszeit seit 1993 von wöchentlich 41,9 Stunden (Die Volkswirtschaft, 1999 Heft 12, Anhang S. 27, Tabelle B9.2). Dazu kommt, dass die Tabellenlöhne Berufe mit unterschiedlichem Anforderungsniveau beinhalten, wobei der Lohn mit steigendem Anforderungsniveau deutlich zunimmt: Das erste - und oberste - Anforderungsniveau umfasst anspruchsvolle und schwierigste Arbeiten. Das zweite beinhaltet die Verrichtung selbstständiger und qualifizierter Arbeiten. Beim dritten Anforderungsniveau sind Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt und unter das vierte - und niedrigste - Anforderungsniveau fallen einfache und repetitive Tätigkeiten (LSE 1994 S. 25 f.). http://relevancy.bger.ch/php/clir/http/index.php?lang=de&zoom=&type=show_document&highlight_docid=atf%3A%2F%2F126-V-75%3Ade[16.03.2015 11:28:12] 126 V 75 4. Die Vorinstanz nahm vom Tabellenlohn (Fr. 4'294.- gemäss LSE 1996 S. 17, Anforderungsniveau 4, Männer) vorab einen leidensbedingten Abzug von 25% vor. Damit wollte sie dem Umstand Rechnung tragen, dass der Beschwerdegegner wegen seiner physischen Einschränkungen (vermehrt sitzend zu verrichtende Arbeit, keine wiederholte Tätigkeit über Kopfniveau) das durchschnittliche Lohnniveau nicht erreiche. Zusätzlich gewährte sie unter dem Titel der Teilzeitarbeit einen weiteren Abzug von 5%, weil Teilzeitbeschäftigte überproportional weniger verdienen würden als Vollzeitangestellte. Weitere 10% liess sie schliesslich zum Abzug zu, da Jahresaufenthalter wie der Versicherte unterdurchschnittlich entlöhnt würden. BGE 126 V 75 S. 78 Die IV-Stelle wendet sich gegen die Annahme eines im Vergleich zum statistischen Tabellenlohn um mehr als einen Viertel verminderten Invalideneinkommens und sieht keinen Anlass für Abzüge aus Gründen des Beschäftigungsgrades (Teilzeit) und der Aufenthaltskategorie (Jahresaufenthalter). 5. a) aa) Das Eidg. Versicherungsgericht anerkannte zuerst, dass Versicherte, die in ihrer letzten Tätigkeit körperliche Schwerarbeit verrichteten und nach Eintritt des Gesundheitsschadens auch für leichtere Arbeiten nur beschränkt einsatzfähig sind, in der Regel das entsprechende durchschnittliche Lohnniveau gesunder Hilfsarbeiter nicht erreichen, weshalb es den Tabellenlohn um 25% herabsetzte (nicht publizierte Erw. 4b des Urteils BGE 114 V 310). bb) In der Folge stellte es fest, dass sich die gegenüber Durchschnittswerten zu erwartende Reduktion des Lohnansatzes bei gesundheitlich beeinträchtigten Versicherten, die - im Rahmen leichter Hilfsarbeitertätigkeiten - nicht mehr voll leistungsfähig sind, unabhängig von der früher ausgeübten Tätigkeit grundsätzlich gleich präsentiert (nicht veröffentlichtes Urteil O. vom 27. März 1996; vgl. statt vieler auch BGE 124 V 323 Erw. 3b/bb; AHI 1999 S. 180 Erw. 3b). Damit entwickelte sich der ursprünglich nur bei Schwerarbeitern zugelassene Abzug zu einem allgemeinen behinderungsbedingten Abzug, welcher sowohl bei Versicherten, die vollzeitig eine ihrem Leiden angepasste Arbeit ausüben, als auch bei bloss teilzeitig einsetzbaren Versicherten erfolgt (AHI 1999 S. 181 Erw. 3b; RKUV 1999 Nr. U 343 S. 414 Erw. 4b/cc, je mit Hinweis auf ZAK 1989 S. 458 Erw. 3b). Gleichzeitig betonte das Eidg. Versicherungsgericht, dass der Abzug von 25% nicht generell und in jedem Fall zur Anwendung komme. Im Gegenteil sei anhand der gesamten Umstände des konkreten Einzelfalles zu prüfen, ob und in welchem Ausmass das hypothetische Einkommen als Invalider gekürzt werden müsse. Dabei sei auch ein Abzug von weniger als 25% denkbar (AHI 1999 S. 181 Erw. 3b, 1998 S. 177 Erw. 3a; RKUV 1999 Nr. U 343 S. 414 Erw. 4b/cc, 1998 Nr. U 304 S. 373 Erw. 3). cc) Sodann trug die Rechtsprechung dem Umstand Rechnung, dass weitere persönliche und berufliche Merkmale einer versicherten Person, wie Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Nationalität oder Aufenthaltskategorie sowie Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können. Denn die in den LSE erstmals vorgenommene Quantifizierung dieser Merkmale zeigt auf, dass die Höhe des Lohnes auch durch sie mitbestimmt wird (BGE 124 V 323 Erw. 3b/aa). BGE 126 V 75 S. 79 So hat das Eidg. Versicherungsgericht beispielsweise in dem in AHI 1999 S. 237 veröffentlichten Urteil Z. vom 28. Juli 1999 einen Abzug wegen des fortgeschrittenen Alters des Versicherten - im Zeitpunkt des Verfügungserlasses 53-jährig - verneint, da mit zunehmendem Alter die Lohnzuwachskurve zwar flacher verlaufe, der Faktor Alter sich aber nicht lohnsenkend auswirke (AHI 1999 S. 242 Erw. 4c). Dagegen hielt es im in AHI 1999 S. 177 publizierten Urteil N. vom 24. März 1999 fest, dass eine versicherte Person nach dem gesundheitlich bedingten Verlust der bisherigen Stelle in einer angepassten Tätigkeit insofern keinen allgemeinen Durchschnittslohn erhalten könne, als der ihr offen stehende Arbeitsmarkt lediglich derjenige für Personen sei, welche in einem Betrieb neu anfangen (AHI 1999 S. 181 Erw. 3b). Zugleich wies es aber darauf hin, dass die Bedeutung der Dienstjahre im privaten Sektor abnehme, je niedriger das Anforderungsprofil sei (AHI 1999 S. 181 Erw. 3b und 243 Erw. 4c). Ausserdem beachtete es, dass nicht immer sämtliche Ausländer weniger Einkommen erzielen als der Totalwert aller Schweizer und Ausländer; vielmehr können sich je nach Aufenthaltskategorie und Anforderungsniveau weit gehende Unterschiede ergeben, insbesondere bei Inhabern einer Niederlassungsbewilligung der Kategorie C, bei welchen der Durchschnittslohn für einfache und repetitive Tätigkeiten darüber liegen kann (nicht veröffentlichte Urteile B. vom 30. August 1999, P. vom 30. März 1999, B. vom 19. März 1999 und N. vom 6. Oktober 1998). Schliesslich wurde berücksichtigt, dass Teilzeitangestellte nicht zwingend weniger als Vollzeittätige verdienen, zum Beispiel in Beschäftigungsbereichen, in denen Teilzeitarbeit Nischen auszufüllen vermag, die arbeitgeberseits stark nachgefragt und dementsprechend entlöhnt werden (nicht veröffentlichte Urteile S. vom 28. September 1999 und R. vom 5. Juli 1999). b) aa) Die vom Eidg. Versicherungsgericht herausgebildete Rechtsprechung, den mit Blick auf die Behinderung gewährten Abzug nicht schematisch, sondern in Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles vorzunehmen, hat den Zweck, ausgehend von statistischen Werten ein Invalideneinkommen zu ermitteln, welches der im Einzelfall zumutbaren erwerblichen Verwertung der noch möglichen Verrichtungen im Rahmen der (Rest-)Arbeitsfähigkeit am besten entspricht. Dieser Gesichtspunkt verdient auch hinsichtlich der übrigen in Betracht fallenden einkommensbeeinflussenden Merkmale, des Lebensalters, der Anzahl Dienstjahre, der Nationalität/Aufenthaltskategorie und des Beschäftigungsgrades BGE 126 V 75 S. 80 (vgl. Erw. 5a/cc), den Vorzug. Ein Abzug soll auch diesbezüglich nicht automatisch, sondern dann erfolgen, wenn im Einzelfall Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Versicherte wegen eines oder mehrerer dieser Merkmale seine gesundheitlich bedingte (Rest-)Arbeitsfähigkeit auf dem http://relevancy.bger.ch/php/clir/http/index.php?lang=de&zoom=&type=show_document&highlight_docid=atf%3A%2F%2F126-V-75%3Ade[16.03.2015 11:28:12] 126 V 75 allgemeinen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann. bb) Es rechtfertigt sich aber nicht, für jedes zur Anwendung gelangende Merkmal separat quantifizierte Abzüge vorzunehmen und diese zusammenzuzählen, da damit Wechselwirkungen ausgeblendet werden. So bestimmt sich beispielsweise der Anfangslohn in einer neuen Firma in der Regel nicht isoliert nach der Anzahl Dienstjahre, sondern u.a. auch auf Grund der mitgebrachten Berufserfahrungen. Ganz allgemein ist der Einfluss aller Merkmale auf das Invalideneinkommen (leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre, Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad) unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen (vgl. AHI 1999 S. 181 Erw. 3b und 243 Erw. 4c, 1998 S. 292 Erw. 3b; nicht veröffentlichtes Urteil T. vom 28. April 1999). cc) Letztlich ist der Abzug vom statistischen Lohn unter Berücksichtigung aller jeweils in Betracht fallenden Merkmale auf insgesamt höchstens 25% zu begrenzen. dd) In diesem Zusammenhang ist der Verwaltung und - im Beschwerdefall - dem Richter das verfassungsrechtliche Gebot der Begründungspflicht (Art. 8 Abs. 1 BV) in Erinnerung zu rufen. Nach der Rechtsprechung zu Art. 4 Abs. 1 aBV soll diese verhindern, dass sich die Behörde von unsachlichen Motiven leiten lässt, und dem Betroffenen ermöglichen, die Verfügung gegebenenfalls sachgerecht anzufechten. Dies ist nur möglich, wenn sowohl er wie auch die Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des Entscheides ein Bild machen können. In diesem Sinn müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf welche sich ihre Verfügung stützt. Dies bedeutet indessen nicht, dass sie sich ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen muss. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 124 V 181 Erw. 1a mit Hinweisen). Bezüglich der hier interessierenden Thematik hat die Verwaltung kurz zu begründen, warum sie einen Abzug vom Tabellenlohn gewährt, insbesondere welche Merkmale sie bei ihrer gesamthaften Schätzung berücksichtigt. BGE 126 V 75 S. 81 6. Das kantonale Gericht hat einen Abzug von insgesamt 40% zugelassen. Wie ausgeführt, stellt der gesamthaft vorzunehmende Abzug eine Schätzung dar. Bei deren Überprüfung kann es nicht darum gehen, dass die kontrollierende richterliche Behörde ihr Ermessen an die Stelle der Vorinstanz setzt. Bei der Unangemessenheit (Art. 132 lit. a OG) geht es um die Frage, ob der zu überprüfende Entscheid, den die Behörde nach dem ihr zustehenden Ermessen im Einklang mit den allgemeinen Rechtsprinzipien in einem konkreten Fall getroffen hat, nicht zweckmässigerweise anders hätte ausfallen sollen. Allerdings darf das Sozialversicherungsgericht sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen; es muss sich somit auf Gegebenheiten abstützen können, welche seine abweichende Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen (BGE 123 V 152 Erw. 2 mit Hinweisen). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, übersteigt doch der vom kantonalen Gericht gemachte Abzug von 40% bereits erheblich den maximal zulässigen Abzug von 25%. Überdies liegt er, wie noch zu zeigen sein wird, beträchtlich über dem vom Gericht nachfolgend als angemessen bezeichneten Abzug. 7. a) Die Vorinstanz ist ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dass der Beschwerdegegner nach Eintritt des Gesundheitsschadens nurmehr eine Tätigkeit mit Anforderungsniveau 4 ausüben kann. Man kann sich fragen, ob angesichts seiner schulischen und beruflichen Ausbildung (Mittelschule, Verkehrstechniker) und unter Berücksichtigung der physischen Einschränkungen nicht eine Beschäftigung mit Anforderungsniveau 3 angenommen werden könnte. Da es sich jedoch um einen Grenzfall handelt, kann dem kantonalen Gericht hierin gefolgt werden. Gemäss Tabelle A 1 der LSE 1996 belief sich der Zentralwert für die mit einfachen und repetitiven Aufgaben (Anforderungsniveau 4) beschäftigten Männer im privaten Sektor (bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden) im Jahre 1996 auf monatlich Fr. 4'294.-. Auf der Basis von 41,9 Wochenstunden und in Berücksichtigung des Nominallohnindexes für Männer von 1996 bis 1998 (Die Volkswirtschaft, 1999 Heft 12, Anhang S. 28, Tabelle B10.3) ergibt sich im Jahre 1998 ein Gehalt von monatlich Fr. 4'550.10 oder Fr. 54'601.20 für das ganze Jahr (Fr. 4'550.10 x 12). Da der Versicherte nur zu 50% arbeitsfähig ist, ist dieser Betrag hier zu halbieren, was Fr. 27'300.60 ausmacht. BGE 126 V 75 S. 82 b) Nach dem Gesagten hängt die Frage, ob und in welchem Ausmass der statistische Lohn von Fr. 27'300.60 zu korrigieren ist, von den gesamten persönlichen und beruflichen Umständen des konkreten Einzelfalles ab. Der Beschwerdegegner kann gemäss MEDAS-Gutachten vom 26. Januar 1998 nur für leichte, wechselbelastende, vermehrt sitzend zu verrichtende Arbeiten ohne wiederholte Tätigkeiten über dem Kopfniveau eingesetzt werden, sodass er auf dem Arbeitsmarkt in Konkurrenz mit einem Mitbewerber ohne physische Einschränkungen benachteiligt ist, was sich auf das Lohnniveau auswirkt. Kaum ins Gewicht fällt hier das streitige Merkmal des Beschäftigungsgrades, zumal Teilzeitarbeit "hauptsächlich eine weibliche Beschäftigungsform" bildet (LSE 1996 S. 14; vgl. auch LSE 1994 S. 30) und somit vor allem die Verdienstmöglichkeiten von Frauen durch eine Teilzeitarbeit reduziert werden. Dafür, dass der Versicherte wegen seiner ausländischen Nationalität und dem Status als Jahresaufenthalter auf dem Arbeitsmarkt eine Lohneinbusse hinnehmen müsste, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, entsprach doch sein Einkommen vor Eintritt der Invalidität durchaus branchenüblichen Ansätzen, die auch für Schweizer Geltung hatten (vgl. RKUV 1993 Nr. U 168 S. 104 Erw. 5b; ZAK 1989 S. 458 Erw. 3b). Im vorliegenden Fall trägt eine Herabsetzung um insgesamt 15% diesen Tatsachen angemessen Rechnung. c) Bei einem Abzug von 15% resultiert ein Invalideneinkommen von Fr. 23'205.50 (Fr. 27'300.60 x 0,85) und - im Vergleich mit dem Valideneinkommen von Fr. 60'727.55 (Erw. 3a) - demzufolge ein http://relevancy.bger.ch/php/clir/http/index.php?lang=de&zoom=&type=show_document&highlight_docid=atf%3A%2F%2F126-V-75%3Ade[16.03.2015 11:28:12] 126 V 75 Invaliditätsgrad von rund 62%. Damit besteht nach wie vor Anspruch auf eine halbe Invalidenrente. Drucken nach oben http://relevancy.bger.ch/php/clir/http/index.php?lang=de&zoom=&type=show_document&highlight_docid=atf%3A%2F%2F126-V-75%3Ade[16.03.2015 11:28:12] 127 V 294 Zurück zur Einstiegsseite Drucken Grössere Schrift Inhalt Urteilskopf Ganzes Dokument Regeste: deutsch französisch italienisch 127 V 294 46. Auszug aus dem Urteil vom 5. Oktober 2001 i. S. B. gegen IV-Stelle Bern und Verwaltungsgericht des Kantons Bern Erwägungen 4 5 Regeste Referenzen Art. 4 Abs. 1 IVG: Psychisches Leiden. Zur Bedeutung der Behandelbarkeit einer psychischen Störung sowie der psychosozialen und soziokulturellen Faktoren für die Invalidität (Präzisierung der Rechtsprechung). BGE: 122 V 218, 108 V 215, 121 V 272, 119 V 102 mehr... Erwägungen ab Seite 294 BGE 127 V 294 S. 294 Aus den Erwägungen: Artikel: Art. 4 Abs. 1 IVG, Art. 29 Abs. 1 lit. a und b IVG, Art. 29 Abs. 1 IVG, Art. 19 Abs. 1 UVG mehr... Navigation Neue Suche 4. Die Vorinstanz schliesst einen psychischen Gesundheitsschaden mit Krankheitswert im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG nicht schlechthin aus, verneint aber dessen Relevanz mangels einer Chronifizierung, weil durch entsprechende Behandlung (Psychotherapie, Antidepressiva) eine Verbesserung der psychophysiologischen Beschwerden habe erreicht werden können. Diese Würdigung wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in tatsächlicher Hinsicht mit dem Hinweis bestritten, dass in den erwähnten Berichten des Spitals Y und der Frau Dr. med. A. von einem chronifizierten Krankheitszustand gesprochen werde. Abgesehen davon könne nicht nur ein chronifizierter oder fixierter, sondern auch ein noch behandel- und therapierbarer Gesundheitsschaden eine Invalidität bewirken. a) Zur Frage, ob und welche Bedeutung dem Gesichtspunkt der Therapierbarkeit oder Behandelbarkeit einer psychischen Störung für den Anspruch auf eine Invalidenrente (oder auch Massnahmen beruflicher Art) zukommt, besteht, wie die in diesem Zusammenhang ähnliche Leitentscheide suchen BGE 127 V 294 S. 295 im angefochtenen Entscheid und in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Stützung des jeweiligen Standpunktes angeführten Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts zeigen, keine einheitliche Rechtsprechung. In dem von der Vorinstanz erwähnten Fall I 239/86 (unveröffentlichtes Urteil V. vom 6. November 1986) wurde allgemein psychogenen Störungen, deren Auswirkungen mit zumutbaren medizinischen Vorkehren - in casu Psychotherapie und autogenes Training behoben werden können, ein invalidisierender Charakter aberkannt, da keine länger dauernde oder bleibende Erwerbsunfähigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG vorliege. Dabei verwies das Eidg. Versicherungsgericht auf mehrere ebenfalls nicht publizierte Entscheide, u.a. auf das Urteil E. vom 2-8. Dezember 1981 (I 558/79), wonach reaktiven Depressionen grundsätzlich kein Krankheitswert im invalidenversicherungsrechtlichen Sinne zuzumessen sei, da diese laut der Fachliteratur durch Psychotherapie leicht beeinflussbar seien und im Allgemeinen rasch abklängen, wenn z.B. ihre Ursache aufgehoben werde. Im nicht veröffentlichten Urteil C. vom 21. Februar 1994 (I 369/93) bestätigte das Gericht unter Hinweis auf seinen Entscheid vom 28. Dezember 1981 und auf Rz 1028 der bundesamtlichen Wegleitung über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung (WIH) in der ab 1. Januar 1990 gültigen Fassung diese Praxis. In einem weiteren nicht veröffentlichten Urteil G. vom 29. September 1997 (I 167/97) verwies das Eidg. Versicherungsgericht auf die zutreffende Darlegung der Grundsätze über die Anerkennung geistiger Gesundheitsschäden als invalidisierende Faktoren im angefochtenen Entscheid, worin das Verwaltungsgericht des Kantons Bern erwogen hatte: "Entscheidend ist, ob die psychische Beeinträchtigung der Gesundheit nicht mehr therapierbar (chronifiziert und fixiert) ist (...). Eine psychische Fehlentwicklung (Persönlichkeitsstörung, einfache psychische oder neurotische Fehlentwicklung etc.) vermag nach konstanter Praxis nur dann eine Invalidität zu begründen, wenn nach fachärztlicher Feststellung den Versicherten die Verwertung der Arbeitsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt nur in vermindertem Masse oder überhaupt nicht zumutbar ist und die Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit trotz Ergreifens der den Versicherten möglichen und zumutbaren medizinischen (z.B. auch psychotherapeutischen), beruflichen oder anderen Massnahmen langdauernd sind (Rz 1020 ff. der vom Bundesamt für Sozialversicherung herausgegebenen Wegleitung über Invalidität und Hilflosigkeit). Eine reaktive Depression stellt keinen Gesundheitsschaden dar, der eine bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit und damit eine Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG auszulösen vermag (vgl. BGE 127 V 294 S. 296 [Hinweis auf I 369/93])." Demgegenüber führte das Eidg. Versicherungsgericht in der in BGE 122 V 218 (Urteil Z. vom 23. Mai 1996 [I 309/95]) nicht publizierten Erw. 5c u.a. aus: "Auch die Tatsache, dass die Krankheitsverarbeitungsstörung gegebenenfalls therapierbar ist und dass eine solche Therapie dem Beschwerdeführer zugemutet werden kann, spricht für sich allein http://relevancy.bger.ch/php/clir/http/index.php?lang=de&zoom=&type=show_document&highlight_docid=atf%3A%2F%2F127-V-294%3Ade[16.03.2015 11:25:29] 127 V 294 nicht gegen die Annahme, dass vor Durchführung einer solchen Therapie ein geistiger Gesundheitsschaden von Krankheitswert vorliegt. Diesbezüglich wurde etwa gemäss BGE 108 V 215 f. einer Versicherten eine Invalidenrente zugesprochen, obwohl davon auszugehen war, dass die Erwerbsfähigkeit durch intensive Psychotherapie wesentlich verbessert werden konnte; (...)." In Erw. 3b des auszugsweise in Praxis 1997 Nr. 49 S. 252 ff. wiedergegebenen Urteils F. vom 2. Dezember 1996 (I 192/96) sodann stellte das Gericht ganz allgemein fest, dass nicht erst bei einer chronifizierten oder fixierten, sondern auch bei einer noch behandel- oder therapierbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung eine Invalidität vorliegen könne. Im nicht veröffentlichten Urteil N. vom 26. September 1997 (I 214/97) ist diese Auffassung unter Verweisung auf den Entscheid vom 2. Dezember 1996 bestätigt worden. b) aa) Das bereits mehrfach erwähnte Urteil E. vom 28. Dezember 1981 stützt die Auffassung, dass einer psychischen Störung grundsätzlich kein invalidisierender Krankheitswert zukommt, wenn, soweit und solange sie nach schlüssiger fachärztlicher Ansicht prognostisch behandel- oder therapierbar ist, nur beschränkt. Vielmehr liegt jenem Entscheid die Annahme zu Grunde, dass reaktive Depressionen in der Regel nicht die für die Entstehung des Rentenanspruchs nach Art. 29 Abs. 1 (Variante 2 [heute: lit. b]) IVG erforderliche Dauer und Intensität in den Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit erreichten, dies auf Grund der medizinischen Erfahrungstatsache, dass sie im Allgemeinen relativ rasch wieder abklingen. Die von der Vorinstanz vertretene Auffassung, dass die Therapierbarkeit ein entscheidendes Kriterium dafür sei, ob einer psychischen Beeinträchtigung der Gesundheit invalidisierender Charakter zukomme, lässt sich aus dem Urteil E. nicht ableiten und ist abzulehnen, weil sich für eine solche negative materielle Anspruchsvoraussetzung im Gesetz keine Grundlage findet, wie sich aus dem Nachfolgenden ergibt. bb) Nach Art. 4 Abs. 1 IVG gilt als Invalidität die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit. Die Invalidität gilt nach Abs. 2 dieser Bestimmung als eingetreten, sobald BGE 127 V 294 S. 297 sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat. Der Rentenanspruch im Besonderen entsteht frühestens in dem Zeitpunkt, in dem der Versicherte mindestens zu 40% bleibend erwerbsunfähig geworden ist oder während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40% arbeitsunfähig gewesen war (Art. 29 Abs. 1 lit. a und b IVG). Das Gesetz unterscheidet somit beim Begriff der Invalidität nicht danach, ob ein körperlicher oder geistiger Gesundheitsschaden vorliegt (im Rahmen der 4. IVRevision sollen durch entsprechende Änderungen insbesondere im Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG] explizit auch die psychischen Gesundheitsschäden als mögliche Ursache der Invalidität anerkannt werden [vgl. BBl 2001 3224 Ziff. 1.2.4, 3263 Ziff. 2.6.1, 3323 und 3337 f.; ferner BBl 1997 IV 149ff., 183 und 196]). Auch macht das IVG die Entstehung des Rentenanspruchs nicht davon abhängig, dass das betreffende Leiden stabil oder zumindest relativ stabilisiert ist (vgl. BGE 121 V 272 Erw. 6a und BGE 119 V 102 Erw. 4a mit Hinweisen). Andernfalls hätte es der Differenzierung in Art. 29 Abs. 1 IVG nicht bedurft. Eine andere Regelung gilt u.a. im Bereich der Unfallversicherung, wo der Anspruch auf eine das Taggeld ablösende Invalidenrente u.a. erst entsteht, wenn von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes mehr erwartet werden kann (vgl. Art. 19 Abs. 1 UVG; vgl. auch Art. 40 Abs. 1 MVG). cc) Die Qualifizierung prognostischer Behandelbarkeit (Therapierbarkeit) einer psychischen Störung als Ausschlussgrund für die Entstehung des Rentenanspruchs widerspricht im Weitern Sinn und Zweck dieser Leistungsart, der Deckung des Risikos gesundheitlich bedingter Erwerbsunfähigkeit, dies grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Genese der eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigung (vgl. BGE 125 V 157 Erw. 5c/bb sowie MEYER-BLASER, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], in: MURER/STAUFFER [Hrsg.], Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Zürich 1997, S. 8 f.). Zudem gilt es in diesem Zusammenhang, den Grundsatz der Selbsteingliederung (BGE 113 V 28 Erw. 4a) zu beachten. Danach hat der Versicherte von sich aus das ihm Zumutbare zur Verbesserung der Erwerbsfähigkeit beizutragen, in erster Linie durch Ausschöpfung sämtlicher medizinischer Behandlungs- und weiterer therapeutischer Möglichkeiten. Kommt er dieser Schadenminderungspflicht nicht in genügender Weise nach, kann dies im BGE 127 V 294 S. 298 Rahmen von Art. 31 Abs. 1 IVG (BGE 122 V 218, ZAK 1992 S. 126) zur ganzen oder teilweisen, vorübergehenden oder dauernden Ablehnung der Rente führen (MEYER-BLASER, a.a.O., S. 240 ff.). Nimmt anderseits der Versicherte diese Pflicht im Rahmen des ihm objektiv und subjektiv Zumutbaren (vgl. THOMAS LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2. Aufl., Bern 1997, S. 57 f. N 30) wahr, indem er beispielsweise vom verfügbaren psychotherapeutischen Angebot Gebrauch macht, und wird dadurch eine voraussichtlich dauernde Verbesserung des Gesundheitszustandes und damit der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit erreicht, stellt dies gegebenenfalls einen Revisionsgrund im Sinne von Art. 41 IVG dar (vgl. BGE 122 V 78 Erw. 2b und Praxis 1997 Nr. 49 S. 256 Erw. 4c). c) Nach dem Gesagten ist die bisherige uneinheitliche Rechtsprechung in dem Sinne klarzustellen, dass die Behandelbarkeit einer psychischen Störung, für sich allein betrachtet, nichts über deren invalidisierenden Charakter aussagt. Für die Entstehung des Anspruchs auf eine Invalidenrente im Besonderen ist immer und einzig vorausgesetzt, dass während eines Jahres (ohne wesentlichen Unterbruch) eine mindestens 40%ige Arbeitsunfähigkeit nach Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG bestanden hat und eine anspruchsbegründende Erwerbsunfähigkeit gemäss Art. 28 Abs. 1 bis Abs. 1ter IVG sowie Art. 28 Abs. 2 IVG oder Art. 5 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 28 Abs. 3 IVG und Art. 27 f. IVV weiterhin besteht. Dies bedeutet keineswegs, dass eine fachärztlich festgestellte psychische Krankheit ohne weiteres gleichbedeutend mit dem Vorliegen einer Invalidität ist. In jedem Einzelfall muss eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit unabhängig von der Diagnose und grundsätzlich unbesehen der Ätiologie ausgewiesen und in ihrem Ausmass bestimmt sein (BGE 99 V 29 Erw. 2; MEYER-BLASER, a.a.O., S. 11 f. und LOCHER, a.a.O., S. 81 N 7 und 10). Entscheidend ist die http://relevancy.bger.ch/php/clir/http/index.php?lang=de&zoom=&type=show_document&highlight_docid=atf%3A%2F%2F127-V-294%3Ade[16.03.2015 11:25:29] 127 V 294 nach einem weit gehend objektivierten Massstab zu erfolgende Beurteilung, ob und inwiefern dem Versicherten trotz seines Leidens die Verwertung seiner Restarbeitsfähigkeit auf dem ihm nach seinen Fähigkeiten offen stehenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt noch sozial-praktisch zumutbar und für die Gesellschaft tragbar ist (BGE 102 V 165; AHI 1996 S. 303 Erw. 2a und ZAK 1992 S. 170 Erw. 2a mit Hinweisen). Soweit die Vorinstanz ihren Entscheid mit der Behandelbarkeit (Therapierbarkeit) und fehlenden Chronifizierung einer allfälligen (nicht auszuschliessenden) psychischen Störung begründet, hält dies demnach vor Bundesrecht nicht Stand. BGE 127 V 294 S. 299 5. a) Was das "sozio-kulturelle Umfeld" als weiteren Grund für das Unvermögen des Beschwerdeführers, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, anbetrifft, wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sinngemäss geltend gemacht, dass invaliditätsfremde Faktoren insofern von Bedeutung sind, als sie zur Entstehung oder Verschlimmerung des psychischen Gesundheitszustandes beitragen oder den Erfolg therapeutischer Massnahmen gefährden. An dieser Auffassung ist so viel richtig, dass sich solche Umstände im Rahmen der Invaliditätsbemessung unter dem Gesichtspunkt zumutbarer Willensanstrengung zu ihrer Überwindung regelmässig nicht klar vom medizinischen Leiden selber trennen lassen. Indessen gebietet sich mit Blick auf die in Erw. 4a dargelegte Rechtsprechung, insbesondere Praxis 1997 Nr. 49 S. 252, die Präzisierung, dass Art. 4 Abs. 1 IVG zu Erwerbsunfähigkeit führende Gesundheitsschäden versichert, worunter soziokulturelle Umstände nicht zu begreifen sind. Es braucht in jedem Fall zur Annahme einer Invalidität ein medizinisches Substrat, das (fach) ärztlicherseits schlüssig festgestellt wird und nachgewiesenermassen die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt. Je stärker psychosoziale oder soziokulturelle Faktoren im Einzelfall in den Vordergrund treten und das Beschwerdebild mitbestimmen, desto ausgeprägter muss eine fachärztlich festgestellte psychische Störung von Krankheitswert vorhanden sein. Das bedeutet, dass das klinische Beschwerdebild nicht einzig in Beeinträchtigungen, welche von den belastenden soziokulturellen Faktoren herrühren, bestehen darf, sondern davon psychiatrisch zu unterscheidende Befunde zu umfassen hat, zum Beispiel eine von depressiven Verstimmungszuständen klar unterscheidbare andauernde Depression im fachmedizinischen Sinne oder einen damit vergleichbaren psychischen Leidenszustand. Solche von der soziokulturellen Belastungssituation zu unterscheidende und in diesem Sinne verselbstständigte psychische Störungen mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit sind unabdingbar, damit überhaupt von Invalidität gesprochen werden kann. Wo der Gutachter dagegen im Wesentlichen nur Befunde erhebt, welche in den psychosozialen und soziokulturellen Umständen ihre hinreichende Erklärung finden, gleichsam in ihnen aufgehen, ist kein invalidisierender psychischer Gesundheitsschaden gegeben (vgl. AHI 2000 S. 153 Erw. 3). Ist anderseits eine psychische Störung von Krankheitswert schlüssig erstellt, kommt der Frage zentrale Bedeutung zu, ob und inwiefern, allenfalls bei geeigneter therapeutischer Behandlung, von der versicherten Person trotz des Leidens BGE 127 V 294 S. 300 willensmässig erwartet werden kann zu arbeiten (eventuell in einem geschützten Rahmen; vgl. Praxis 1997 Nr. 49 S. 255 Erw. 4b) und einem Erwerb nachzugehen (vgl. HANS-JAKOB MOSIMANN, Somatoforme Störungen: Gerichte und [psychiatrische] Gutachten, in: SZS 1999 S. 1 ff. und 105 ff., insbes. S. 15 ff. mit zahlreichen Hinweisen auf die neuere medizinische Lehre; ferner JACQUES MEINE, L'expertise médicale en Suisse: satisfait-elle aux exigences de qualité actuelles? in: SVZ 1999 S. 37 ff.). b) Im Falle des Beschwerdeführers weisen die medizinisch-psychiatrischen Berichte einerseits eine Reihe persönlicher, familiärer und herkunftsbezogener Umstände aus, anderseits nicht näher spezifizierte psychische/psychosomatische Beeinträchtigungen. Ob Letzteren im Sinne des eben Gesagten gegenüber der soziokulturellen Belastungssituation selbstständige Bedeutung und (teil)invalidisierende Krankheitswertigkeit zukommt, kann auf Grund der Akten nicht zuverlässig beurteilt werden. Vielmehr erscheinen insbesondere mit Blick auf die Diagnosen in den Berichten der Medizinischen Abteilung des Spitals Y vom 23. Oktober 1996 und 20. November 1997 sowie der Frau Dr. med. A. vom 4. Dezember 1998, ferner unter Berücksichtigung, dass der Beschwerdeführer offenbar seit September 1993 nicht mehr gearbeitet hat und im April 1998 eine psychotherapeutische Behandlung begonnen wurde, weitere Abklärungen durch die Verwaltung als unumgänglich (vgl. zu den Anforderungen an eine psychiatrische Begutachtung AHI 2000 S. 152 f. Erw. 2c mit Hinweis auf MOSIMANN, a.a.O., sowie HANS KIND, So entsteht ein medizinisches Gutachten [mit einem Blick hinter die Kulissen], in: SCHAFFHAUSER/SCHLAURI [Hrsg.], Rechtsfragen der medizinischen Begutachtung in der Sozialversicherung, Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Universität St. Gallen, S. 49 ff., S. 57 f.). 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