Ungleiche Anerkennung? ‚Arbeit` und ‚Liebe` im

Werbung
18.3.15
Ungleiche Anerkennung?
‚Arbeit‘ und ‚Liebe‘ im Lebenszusammenhang prekär Beschäftigter
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) (Az: Wi2142/5-1)
Projektleitung:
Prof. Dr. Christine Wimbauer
Laufzeit:
1. Mai 2014 bis 30. April 2017
Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen:
Dr. Mona Motakef
Ellen Ronnsiek, M.A.
Ausgangspunkt des Projektes bilden der gegenwärtige Wandel von Erwerbsarbeit und dessen Auswirkungen auf das Verhältnis von ‚Arbeit‘ und ‚Leben‘. Unter dem Stichwort der Prekarisierung von Arbeit wird
eine Zunahme an unsicheren und nicht existenzsichernden Beschäftigungsverhältnissen diagnostiziert, die
bis in die Mittelschicht reichen (Castel/Dörre 2009). Da prekäre Beschäftigung auch als Verlust von sozialer Anerkennung erfahren werden kann, werden Auswirkungen auf den ganzen Lebenszusammenhang
vermutet (Brinkmann et al. 2006); Castel (2000) geht von veränderten sozialen Einbindungen aus. Die
Geschlechterforschung weist darauf hin, dass vor allem Frauen prekär beschäftigt waren und sind. Doch
die Ausweitung der Prekarisierung kann auch eine Verunsicherung des Geschlechterverhältnisses bedeuten
(Aulenbacher 2009; Manske/Pühl 2010), wenn insbesondere über Erwerbsarbeit sozialisierte Männer ihre
Ernährerrolle verlieren und das Einkommen von Frauen zur Existenzsicherung an Bedeutung gewinnt
(Klammer et al. 2012; Klenner et al. 2012).
Zugleich erodiert die tayloristische Trennung der Sozialwelt in einen ‚männlichen‘ Bereich der formellen
Erwerbsarbeit und einen ‚weiblichen‘ Bereich der Haus- und Fürsorgearbeit (Wimbauer 2012: 123f.) und
auch ‚Arbeit‘ und ‚Leben‘ entgrenzen sich (Gottschall/Voß 2003; Jurzcyk et al. 2009; Voß/Pongratz 1998).
In der Arbeitswelt werden veränderte Sinngehalte sowie eine Subjektivierung von Arbeit beobachtet (Kleemann/Matuschek/Voß 2002), wobei Subjektivierungschancen nach Geschlecht und Qualifikation ungleich
verteilt sind (Lohr/Nickel 2005). Sozialpolitisch setzt sich zunehmend eine Orientierung am Adult-WorkerModell für beide Geschlechter durch (Henninger/Wimbauer/Dombrowski 2008a,b; Lewis 2002). Angesichts des Wandels von Erwerbsarbeit und von Sozialpolitik wird die Begrenzung und Neuformierung der
Lebensbereiche mehr und mehr zu einer von den Einzelnen zu leistenden Aufgabe.
Hierbei ist jedoch noch weitgehend offen, wie sich Prekarisierungsprozesse auf Anerkennungs- und Subjektivierungschancen und -risiken im Lebenszusammenhang auswirken, wie dies von den prekär Beschäftigten wahrgenommen und gedeutet und wie Anerkennung intersubjektiv hergestellt oder verweigert wird.
In dem Projekt werden mittels qualitativer, sinnrekonstruktiver (Paar- und/oder Einzel-)Interviews mit Personen mit und ohne Paarbeziehung folgende Fragen untersucht: Weitet sich die Prekarisierung der Beschäftigung auf den gesamten Lebenszusammenhang und damit auch auf Freundschafts-, Familien- und Paarbeziehungen aus? Oder können diese Nahbeziehungen Einschränkungen von Anerkennung in der Erwerbssphäre abmildern? Wie vollzieht sich dies in der alltäglichen Praxis? Und wie gestaltet sich dies bei Personen ohne Partner/in, die nicht über die idealtypische Anerkennungsform ‚Liebe‘ im Bereich von Paarbeziehungen verfügen? Welche Wechselwirkungen zeigen sich schließlich zwischen prekärer Beschäftigung
und Männlichkeitskonzepten, Geschlechterleitbildern sowie den interaktiv hergestellten Macht- und Ungleichheitsbeziehungen zwischen den Geschlechtern und dem Geschlechterverhältnis?
Mit diesem Forschungsinteresse sollen drei bisher noch kaum verbundene Forschungsstränge aus einer
subjektorientierten, ungleichheits- und geschlechtersoziologischen Perspektive füreinander fruchtbar gemacht werden: erstens die Work and Family-Forschung, zweitens die Prekarisierungsforschung sowie drittens die Anerkennungsforschung.
18.3.15
Literatur
Aulenbacher, Brigitte (2009): „Die soziale Frage neu gestellt – Gesellschaftsanalysen der Prekarisierungs- und Geschlechterforschung.“ In: Robert Castel und Klaus Dörre (Hrsg.): Prekarität, Abstieg und Ausgrenzung. Frankfurt/New York: Campus,
S. 65-77.
Brinkmann, Ulrich, Klaus Dörre, Silke Röbenack, Klaus Kraemer und Frederic Speidel (2006): Prekäre Arbeit. Ursachen, Ausmaß, soziale Folgen und subjektive Verarbeitungsformen unsicherer Beschäftigungsverhältnisse. Expertise, herausgegeben vom Wirtschafts- und sozialpolitischen Forschungs- und Beratungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn:
Friedrich-Ebert-Stiftung.
Castel, Robert (2000): Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz.
Castel, Robert und Klaus Dörre (Hrsg.) (2009): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. Frankfurt/New York: Campus.
Gottschall, Karin und G. Günter Voß (Hrsg.) (2003): Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der Beziehung von Erwerbstätigkeit und Privatsphäre im Alltag. München und Mering: Rainer Hampp Verlag.
Henninger, Annette, Christine Wimbauer und Rosine Dombrowski (2008a): “Demography as a Push towards Gender Equality?
Current Reforms of German Family Policy.” In: Social Politics: International Studies in Gender, State & Society, 15 (3),
S. 287-314.
Henninger, Annette, Christine Wimbauer und Rosine Dombrowski (2008b): „Geschlechtergleichheit oder ‚exklusive Emanzipation‘? Ungleichheitssoziologische Implikationen der aktuellen familienpolitischen Reformen.“ In: Berliner Journal für
Soziologie, 18 (1), S. 99-128.
Jurczyk, Karin, Michaela Schier, Peggy Szymenderski, Andreas Lange und G. Günter Voß (2009): Entgrenzte Arbeit – Entgrenzte
Familie. Grenzmanagement im Alltag als neue Herausforderung. Berlin: Edition Sigma.
Klammer, Ute, Sabine Neukirch und Dagmar Weßler-Poßberg (2012): Wenn Mama das Geld verdient. Familienernährerinnen
zwischen Prekarität und neuen Rollenbildern. Berlin: Sigma.
Kleemann, Frank, Ingo Matuschek und G. Günter Voß (2002): „Subjektivierung von Arbeit. Ein Überblick zum Stand der soziologischen Diskussion.“ In: Manfred Moldaschl und G. Günter Voß (Hrsg.): Subjektivierung von Arbeit. München und
Mering: Rainer Hampp, S. 53-100.
Klenner, Christina, Katrin Menke und Svenja Pfahl (2012): Flexible Familienernährerinnen: Moderne Geschlechterarrangements
oder prekäre Konstellationen? Opladen: Barbara Budrich.
Lewis, Jane (2002): “Gender and Welfare State Change.” In: European Societies, 4 (4), S. 331-357.
Lohr, Karin und Hildegard Maria Nickel (2005): „Subjektivierung von Arbeit – Riskante Chancen.“ In: Dies. (Hrsg.): Subjektivierung von Arbeit – Riskante Chancen. Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 207-239.
Manske, Alexandra und Katharina Pühl (2010): Prekarisierung zwischen Anomie und Normalisierung. Geschlechtertheoretischer
Bestimmungen. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Voß, G. Günter und Hans J. Pongratz (1998): „Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft.“ In:
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 50 (1), S. 131-158.
Wimbauer, Christine (2012): Wenn Arbeit Liebe ersetzt. Doppelkarriere-Paare zwischen Anerkennung und Ungleichheit. Frankfurt/New York: Campus.
18.3.15
Veröffentlichungen:
Motakef, Mona (2015): Prekarisierung. Reihe Studienbuch. Bielefeld: transcript.
Wimbauer, Christine, Mona Motakef, Julia Teschlade: „Prekäre Selbstverständlichkeiten – alte und neue Ungleichheiten. Prekarisierungstheoretische Überlegungen zu Diskursen der Anti-Gleichstellungspolitik und
Anti-Geschlechterforschung. Zehn Thesen“. In: Sabine Hark und Paula-Irene Villa (Hrsg.): Sex und Gender. Sozial- und kulturwissenschaftliche Analysen symptomatischer Empörungen. Bielefeld: transcript, i.E.
Vorträge:
Wimbauer, Christine und Mona Motakef: “Ungleiche Anerkennung? ‚Arbeit’ und ‚Liebe’ im Lebenszusammenhang prekär Beschäftigter“, Vortrag auf der Konferenz Beschäftigungsqualität im beruflichen, familiären und betrieblichen Kontext. 21.11.2014, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg.
Wimbauer, Christine und Mona Motakef: „Ungleiche Anerkennung? ‚Arbeit’ und ‚Liebe’ im Lebenszusammenhang (prekär) Beschäftigter“. Vortrag im Kolloquium des Lehrstuhls für Geschlechterverhältnisse,
Bildung und Lebensführung (Prof. Dr. Cornelia Koppetsch) des Instituts für Soziologie, 19.11.2014, TU
Darmstadt.
Wimbauer, Christine, Mona Motakef, Ellen Ronnsiek und Almut Peukert: „Ungleiche Anerkennung? ‚Arbeit’
und ‚Liebe’ im Lebenszusammenhang (prekär) Beschäftigter“, Vortrag im Kolloquium des Instituts für
Soziologie, 5.11.2014, Eberhard Karls Universität Tübingen.
Wimbauer, Christine und Mona Motakef: „Ungleiche Anerkennung? ‚Arbeit’ und ‚Liebe’ im Lebenszusammenhang prekär Beschäftigter“, Vortrag in der Ad-hoc-Gruppe Prekarisierung als Krisendiagnostik – Potenziale, Grenzen und Herausforderungen der aktuellen Prekarisierungsdebatte (Leitung: Christine Wimbauer und Mona Motakef) auf dem 37. Kongress der deutschen Gesellschaft für Soziologie, 8.10.2014,
Universität Trier.
Wimbauer, Christine, Mona Motakef und Julia Teschlade: „Das Phänomen des Antigenderismus prekarisierungstheoretisch betrachtet. Neun Thesen“. Vortrag in der Ad-hoc-Gruppe Genderismus – Der Umbau der
Gesellschaft (Leitung: Paula-Irene Villa und Sabine Hark) auf dem 37. Kongress der deutschen Gesellschaft für Soziologie, 9.10.2024, Universität Trier.
Organisation von Veranstaltungen:
Wimbauer, Christine und Mona Motakef: Ad-Hoc-Gruppe „Prekarisierung als Krisendiagnostik – Potenziale,
Grenzen und Herausforderungen der aktuellen Prekarisierungsdebatte“ auf dem 37. Kongress der deutschen Gesellschaft für Soziologie Routinen der Krise – Krise der Routinen, 8.10.2014, Trier.
Transfer:
Wimbauer, Christine, Mona Motakef und Julia Teschlade, Blogeinträge (SozBlog)
„‚Wir sind nie nicht prekär gewesen’ – Politiken der Ent_Prekarisierung. Konturen und Herausforderungen“
(August 2014), In: http://soziologie.de/blog/?p=3470.
„Rise like a Phoenix? Über den Beifall für Conchita Wurst, ‚europäische Werte’ und die These einer Prekarisierung von Heteronormativität“ (August 2014), In: http://soziologie.de/blog/?p=3453.
„,It ain’t Feminism – It’s the Economy’ – Vom blinden Fleck antigenderistischer Kritik“ (August 2014), In:
http://soziologie.de/blog/?p=3439.
„Von Recht auf einen verlässlichen Feierabend. Wie wollen ‚wir’ leben und arbeiten?“ (Juli 2014), In:
http://soziologie.de/blog/?p=3430.
„Prekäre Rechte? Kämpfe um Asyl, Repräsentationskritik und Prekärsein“ (Juli 2014), In: http://soziologie.de/blog/?p=3408.
„Solidaritätsaufruf: Gegen
gie.de/blog/?p=3404.
eine
antigenderistische
Kampagne“
(Juli
2014),
In:
http://soziolo-
„Was ist normal? Was ist prekär? Überlegungen zur Ambivalenz eines zeitdiagnostischen Konzepts“ (Juli
2014), In: http://soziologie.de/blog/?p=3396.
„Prekarisierung Unbound? Über alte und neue Ungleichheiten und prekäre Allianzen. Ein Intro“ (Juli 2014),
In: http://soziologie.de/blog/?p=3392.
Herunterladen