Exzellenzcluster Entzündungsforschung Jahresbericht 2009 Exzellenzcluster Entzündungsforschung Der Austausch mit Ärzten verschiedener Inhalt Fachrichtungen ist ein 3 Vorwort Entzündungsklinik, die 4 Auf den Weg gebracht 8 Preise, Projekte, Projektionen 12 Werkzeuge des Fortschritts 16 Das Proteom. Eine Momentaufnahme 18 Atemanalyse im Labor 22 Histologie am lebenden Tier 25 Prozesse in lebenden Zellen 29 Mikroben, Mäuse und Menschen 30 Mit Darmbakterien in Wechselwirkung 32 Neues Mausmodell für die chronische Darmentzündung 34 Genetische Ursachen für Autoimmunerkrankungen 37 Ernährung, Stoffwechsel und Entzündung 40 Potenzial im Brokkoli. Inhaltsstoffe mit Zusatznutzen 43 Erleben statt Begreifen 46 Entzündungsforschung. Zahlen, Daten, Fakten Merkmal der Kieler enge Anbindung an die Forschung ein anderes. Vorwort von Prof. Stefan Schreiber M eilenstein interdisziplinärer Kooperati- viele Leute zusammengebracht werden, jeder ein on, Ort für zukunftsweisende Medizin, Spezialist in seinem Gebiet. Dieser Austausch bringt Maßstäbe bei der Behandlung von Ent- mit sich, dass die Experten Teile ihrer Autonomie auf- zündungspatienten. Zur Einweihung des Exzellenz- geben müssen, auch wenn es manchmal schwer fällt. bedachten uns Medien und Kollegen mit wohlwol- interdisziplinären Ansatz überzeugt, wie die Menge zentrum Entzündungsmedizin in Kiel im Mai 2009 Die niedergelassenen Kollegen haben wir mit diesem lenden Worten und Vorschusslorbeeren. Entspre- an Zuweisungen zeigt. Sie vertrauen darauf, dass die uns nicht, es spornt uns höchstens an, den einge- Gute kommt. chend hoch sind die Erwartungen. Doch das schreckt hier gebündelte Fachkompetenz den Patienten zu schlagenen Weg konsequent weiterzuverfolgen. Die Ärzte stehen aber nicht nur untereinander in Unser Ziel ist, Barrieren zu überwinden und Entzün- einem ständigen fachlichen Austausch, sie halten dungen nicht mehr organfixiert, sondern ganzheitlich auch regelmäßigen Kontakt zu den Wissenschaftlern zu betrachten und zu behandeln. Denn Krank- des Exzellenzclusters. Dabei geht es unter anderem Darmentzündung (Morbus Crohn) oder koronare finden, die auf einen besonders schweren Verlauf der heiten wie Schuppenflechte (Psoriasis), chronische auch darum, Kennzeichen im Blut oder im Genom zu Herzkrankheit sind nicht so unterschiedlich, wie es jeweiligen Erkrankung oder das Auftreten weiterer auf den ersten Blick scheint. Die zu Grunde liegenden Entzündungen hinweisen. Neue Wirkstoffe aus der Mechanismen sind bei allen ähnlich. Nicht selten Forschung können dem Patienten im Rahmen von haben Patienten an mehreren Stellen im Körper Ent- klinischen Studien zur Verfügung gestellt werden. zündungen. So leiden Patienten mit Schuppenflechte überdurchschnittlich oft auch an einer chronischen Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, Gelenkentzündung; Rheumapatienten entwickeln dass Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung doppelt so oft wie die Durchschnittsbevölkerung schneller in die klinische Praxis gelangen – zum Arteriosklerose, die durch entzündliche Prozesse Vorteil für den Patienten. Und darauf sind wir stolz. beschleunigt wird. Während es sonst ungefähr eine Ärzte-Generation dauert, bis sich der wissenschaftliche Fortschritt Es ist also nur konsequent, die Betroffenen fachü- in der Praxis durchsetzt, haben wir schon jetzt, im bergreifend zu behandeln, so wie wir es uns im Ex- zweiten Geschäftsjahr des Exzellenzcluster, eine zellenzzentrum Entzündungsmedizin vorgenommen Wissensanwendung. haben. Erfahrene Ärzte verschiedener Fachrichtungen betreuen die Patienten und tauschen sich regelmäßig aus. Dafür haben wir feste Strukturen geschaffen. Die Realisierung ist nicht immer ganz einfach. Es müssen 3 Auf den Weg gebracht D Betreuung der Doktorandinnen und Doktoranden ie Entwicklung des Clusters schreitet sollen die neu berufenen Cluster-Professoren über- voran. Die neuen Mitglieder haben sich nehmen. Ziel ist, den wissenschaftlichen Nachwuchs gut integriert und geben wertvolle durch die gemeinsame Arbeit im Kolleg, durch Prak- Impulse. Es kristallisieren sich neue tika, Kolloquien und Arbeitstreffen in einer Vielzahl Arbeitsgebiete heraus – auf zukunftsträchtigen, aber molekular- und zellbiologischer, tierexperimenteller bisher wenig erforschten Feldern. Auch der wissen- und genetisch-bioinformatischer Methoden weit schaftliche Nachwuchs kommt nicht zu kurz. über das übliche Maß hinaus auszubilden. „Ein Graduiertenkolleg zieht in der Regel die allerbesten Kolleg für Nachwuchsforscher Doktoranden an und ist daher mit Sicherheit ein Ge- Wissenschaftler, die im Rahmen des Exzellenzcluster winn“, erklärt Professor Jürgen Scheller, der Sprecher Entzündungsforschung ihre Promotion anfertigen, dieser Initiative. sollen dafür ein exzellentes, kooperierendes Umfeld vorfinden. Der Cluster plant daher ein Graduierten- Epidemiologische Forschung mit popgen kolleg aufzubauen, das von Wissenschaftlern aus Einen „dicken Fisch“ hat Professor Ute Nöthlings an allen drei Forschungsstandorten gemeinschaftlich Land gezogen. Ganz so dick möchte die Epidemiologin getragen wird. Ein Entwurf zur inhaltlichen und am Institut für Experimentelle Medizin der Universi- organisatorischen Gestaltung des Graduiertenkol- tät Kiel aber nicht auftragen. Sie ist lieber vorsichtig, legs liegt zurzeit bei der DFG zur Vorbegutachtung. denn die Planungen und Absprachen sind noch nicht Geplant ist, unter dem Dach eines gemeinsamen abgeschlossen. Nur so viel: „Wenn es kommt, wird es Forschungsschwerpunktes die einzelnen Projekte im eine große Ressource werden für uns lokal und für die Kolleg thematisch und methodisch zu vernetzen. Die ganze Wissenschaftsgemeinschaft.“ Und darum geht Organisation des Kollegs und die wissenschaftliche 4 krankungen. Aber im Grunde ist mit den erhobenen es: Die Biobank popgen wird sich unter Federfüh- Daten noch viel mehr möglich. „Eine Kohorte ist eine rung von Ute Nöthlings in einer deutschlandweiten Ressource, mit der man alles machen kann“, so die Kooperation an dem Aufbau einer großen Kohorte Epidemiologin. „Sie wird groß genug sein, um damit beteiligen. Für diese nationale Kohorte – nach den auch seltenere Erkrankungen erfassen und verschie- Initiatoren auch ursprünglich Helmholtz-Kohorte dene inhaltliche Fragen beforschen zu können.“ Bis es genannt – sollen deutschlandweit 200.000 Personen soweit ist, brauchen jedoch alle Beteiligten Geduld. rekrutiert, untersucht und über viele Jahre nachbeo- Das ist eine Ressource für die Zukunft. „Es dauert bachtet werden. Aus Schleswig-Holstein soll popgen mindestens drei Jahre bis überhaupt erst mal alle 10.000 Personen in die Studie einschleusen. 2012 Personen in die Studie eingeschlossen sind. Und dann soll die Rekrutierung starten, Pilotstudien beginnen muss man auch noch fünf bis zehn Jahre beobachten vermutlich schon 2010. bis überhaupt genug Daten gesammelt sind, um Ressource für die Zukunft damit zu arbeiten.“ umfassend medizinisch untersucht. Zusätzlich geben Umwelteinflüsse und Genpolymorphismen Die in der Studie aufgenommen Personen werden Mit Berufung von Ute Nöthlings in den Cluster sie Auskunft zu Lebensstilvariablen wie Ernährungs- gewohnheiten, körperlicher Aktivität und Rauchver- erweiterte sich auch das Arbeitsfeld von popgen, werden erfasst, Blut- und DNA-Proben analysiert Forschungsprojekt des nationalen Genomfor- und Einflussfaktoren für fünf Erkrankungsfelder: popgen insbesondere im genetischen Bereich aktiv. der Biobank, die 2003 als populationsgenetisches halten. Risikofaktoren für verschiedene Erkrankungen schungsnetz (NGFN) gegründet wurde. „Bisher war und aufbewahrt. Vorrangig geht es um Ursachen „Zunehmend interessieren wir uns nun auch für kardiovaskuläre Erkrankungen, Krebs, Diabetes, die Umweltvariablen, wie z.B. die Ernährung, die neurodegenerative Erkrankungen und Infektionser- Meilensteine der Entzündungsforschung 2000 2001 2003 2004 Entwicklung des anti-entzündlichen Moleküls sgp130Fc Identifizierung der ersten Krankheitsgene für Morbus Crohn. Entdeckung eines der Schlüsselenzyme des SARS-Virus Erfolgreiche Verhinderung von Darmkrebs bei Mäusen mit sgp130Fc 2005 2006 Entwicklung einer Entdeckung des körpereigenen Antibiotikums Psoriasin in der Haut Exklusive Beschreibung des Infektionsweges der Leishmaniose Entdeckung bakterieller Ursachen für koronare Herzerkrankungen Identifizierung des natürlichen Rezeptors für das Wegenersche Autoantigen 5 wir vernetzt über die Cluster-Standorte eine Fülle körperliche Aktivität“, berichtet die Ernährungse- von Methoden und Techniken haben, die von allen im pidemiologin. In Beobachtungsstudien sollen jetzt Verbund genutzt werden können“, erklärt May-Britt vermehrt auch Umweltfaktoren erfasst und in Burdorf, die das Intranet pflegt. Das funktioniert statistischen Modellen mit der Genetik in Beziehung natürlich nur, wenn sich viele beteiligen. Damit die gesetzt werden. Nöthlings: „Dabei wollen wir he- Mitglieder möglichst wenig Arbeit haben, hat sie Vor- rausfinden, bei welcher genetischen Voraussetzung lagen zur Datenübermittlung ins Netz gestellt. Hier welcher Umweltfaktor welche Auswirkung hat. In können die Wissenschaftler ohne großen Aufwand einem Projekt untersuchen wir zum Beispiel wie sich zum Beispiel Name und Verwendungszweck ihrer genetische Polymorphismen und Rauchen auf das Methode eintragen und abschicken. Die Mitarbeiterin Risiko für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen der Cluster-Geschäftsstelle stellt die Inhalte ein, ak- auswirken.“ tualisiert den Terminkalender des Clusters und pflegt die Nachrichtenseite. Diese umfasst nicht nur Neu- Internetplattform für Interna igkeiten aus dem Cluster wie aktuelle Forschungs- Das Intranet zur internen Kommunikation ist aufge- ergebnisse und dergleichen, sondern zum Beispiel baut. Alle Cluster-Mitglieder sind eingeladen, dieses Forum rege zu nutzen, zum Beispiel um sich in einem auch Ausschreibungen für Preise oder Stipendien formieren, Techniken, Methoden, Verfahren, Modelle Formulare für Ausschreibungen und Miniproposals, und die Bewerbungsfristen dafür. Daneben sind auch kurzen Profil vorzustellen, über ihre Arbeiten zu in- Vorlagen für Powerpoint-Präsentationen, Word-Do- und Geräte vorzustellen oder auch nach Kooperati- kumente und Cluster-Logos sowie pdf-Versionen von onspartnern für Projekte zu suchen. So können die Broschüren, Cluster-Newsletter oder Darstellungen Entwicklungen innerhalb der Forschergemeinschaft des Clusters in der Presse über das Intranet abrufbar. schnell verbreitet werden. „Unsere Stärke ist, dass Meilensteine der Entzündungsforschung 2006 2007 2008 Entwicklung einer transgenen Hydra für Gen- und Zelluntersuchungen Entdeckung der antibakteriellen Eigenschaften von Mastzellen Entdeckung der genetischen Ursachen des Herzinfarkts Darstellung eines Endotoxins in Wasser mittels Kernresonanzspektrometer Generierung von Mausstämmen mit definierten Gen-Mutationen in Mitochondrien Identifizierung eines Risikogens für aggressive Parodontitis und Herzinfarkt Nachweis des Zusammenhangs zwischen einer Gen-Variation und Langlebigkeit von Europäernn 2009 Identifizierung weiterer Risikogene für Schuppenflechte 6 Jürgen Scheller ist seit Juli 2008 Cluster-Professor für Signaltransduktion von Zytokinen an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Der Biochemiker erforscht am Mausmodell, wie sich die Botenstoffe des Immunsystems gegenseitig beeinflussen und über Interleukin 6 gesteuert werden. Ute Nöthlings ist seit Januar 2009 Cluster-Professorin für Epidemiologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) Potsdam-Rehbrücke. Die Ernäh- rungsepidemiologin erforscht die Gen-Umwelt-Interaktionen bei chronischen und entzündungsbasierten Erkrankungen. 2008 Beschreibung der genetischen Ursachen der Sarkoidose Entdeckung einer Erkennungsstruktur für Toxoplasmose-Erreger Entwicklung eines Moleküls zur Sepsis-Behandlung Identifizierung der Krankheitsgene für Colitis ulcerosa Eröffnung des Exzellenzzentrum Entzündungsmedizin in Kiel und Lübeck Aufklärung der Bildung von reaktiven Sauerstoffverbindungen (oxidativer Stress) auf molekularer Ebene Entdeckung eines neuen Risikogens für Herzinfarkt 2009 Entdeckung eines Risikogens für Neurodermitis 7 Preise, Projekte, Projektionen S ie werben erfolgreich Drittmittel ein, Professor Heimo Reinitzer, Akademiepräsident und entwickeln innovative Methoden und te- Grundlagenforscher auf dem Gebiet der Biomedizin, Vorsitzender der Jury würdigt Ehlers als exzellenten bringen neue Großprojekte auf den Weg, „der immer auch die diagnostische und therapeu- sten neue Therapien. Wissenschaftler des tische Relevanz seiner Forschungen im Blick hat.“ Exzellenzcluster Entzündungsforschung gehen neue Wege, leisten Herausragendes und mitunter auch Die Arbeit von Ehlers entspreche den Zielen des Auszeichnung für Tuberkuloseforschung dem Wohl der Menschen diene. Ehlers will mit dem Preises in „idealer Weise“, da sie eine herausragende Preiswürdiges. wissenschaftliche Leistung sei und gleichzeitig Preisgeld am Forschungszentrum Borstel eine neue Professor Stefan Ehlers, Leiter des Bereichs „Mikro- Teststation einrichten, um neue Antibiotikatherapien bielle Entzündungsforschung“ am Forschungszen- gegen resistente Tuberkulose-Erreger in Tiermodellen trum Borstel und Professor für Molekulare Entzün- zu prüfen. dungsmedizin an der Universität Kiel, erhält den ersten „Hamburger Wissenschaftspreis“ der Akade- mie der Wissenschaften in Hamburg. Ausgezeichnet Leibniz-Preis an Cluster-Wissenschaftler systeme zur Erforschung der Krankheitsausprägung sor Jan Born erhielt für seine richtungsweisenden Der Lübecker Hormon- und Gehirnforscher Profes- wird Ehlers für die Entwicklung kliniknaher Modell- Arbeiten auf dem Gebiet der Schlafforschung und Behandlung der Tuberkulose. Der Preis ist von der Hamburgischen Stiftung für Wissenschaften, den Leibniz-Preis, die renommierteste deutsche Greve mit einem Preisgeld von 100.000 Euro dotiert. Forschungsgemeinschaft (DFG) vergebene Preis Auszeichnung für Forscher. Der von der Deutschen Entwicklung und Kultur Helmut und Hannelore 8 folgt Schröder der Spur, dass die (Schleim-)Haut auf ist mit 2,5 Millionen Euro dotiert. Der Direktor des ihrer Oberfläche in Sekreten, Schleim und Schweiß Instituts für Neuroendokrinologie der Universität Lü- besondere Antibiotika bereitzustellen scheint, die in beck untersucht vor allem, wie im Schlaf Gedächtnis den Bakterien eine Schwachstelle treffen und damit gefestigt wird. Dabei konnte er zeigen, dass im Schlaf auch kognitive Prozesse wie Problemlösungsstrate- eine Resistenzbildung unmöglich machen. Schröder DFG-Förderung für innovative Antibiotikaforschung sitätshautklinik Kiel. der ist auf der Suche nach neuartigen Antibiotika, Neuer SFB untersucht ist Leiter der Klinischen Forschergruppe „Mechanis- gien stattfinden. men Kutaner Entzündungsreaktionen“ an der Univer- Der Kieler Biochemiker Professor Jens-Michael Schrö- Folgen der Proteinspaltung in Zellen gegen die Krankheitserreger keine Resistenz entwi- Professor Stefan Rose-John, Direktor des Bioche- ckeln. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mischen Instituts an der Universität Kiel, hat einen bewilligte ihm dafür ein Reinhart Koselleck-Projekt und unterstützt seine Arbeit in den kommenden fünf neuen Sonderforschungsbereich auf den Weg solche Forschungsvorhaben, die besonders innovativ als regulatorisches Element der Pathophysiolo- gebracht: den SFB 877 mit dem Titel „Proteolyse Jahren mit 1,25 Millionen Euro. Gefördert werden nur gie“. Proteine sind essenzielle zelluläre Bausteine oder – im positiven Sinne – risikoreich sind, indem sie mit vielfältigen strukturellen und regulatorischen gewagte Ideen verfolgen oder neue bzw. neu ange- wendete Methoden einsetzen. Funktionen. Proteinmodifikationen sind wichtige spannend an, dass schon die Überprüfung der Idee auch ursächlich an der Entstehung von Krankheiten, physiologische Steuerungselemente, können aber Die Gutachter sahen Schröders Vorhaben als so wie Entzündung, Krebs und dem Absterben von Ner- an sich als lohnenswert eingestuft wurde. „Der venzellen, beteiligt sein. Der SFB 877 beschäftigt sich Antrag enthält drei originelle Hypothesen“, erläutert mit Signalwegen im Zellinneren und zwischen Zellen, Schröder, „die ‚Nano-Nadeln‘, ‚Trojanische Pferde‘ die durch eine besondere Form der Proteinmodifika- und neue Antibiotika.“ Bakterien haben eine Reihe tion, der Spaltung von Proteinen, ausgelöst werden. von Strategien entwickelt, die sie resistent gegen „Während die meisten Veränderungen an Proteinen herkömmliche Antibiotika machen. Um diese Metho- in Sekundenbruchteilen umkehrbar sind, ist ihre Spal- den zu unterlaufen, hat sich Schröder verschiedene tung – die Proteolyse – irreversibel und nimmt daher Ansätze überlegt. So könnten sich Haut-Eiweiße eine bislang wenig untersuchte Sonderstellung ein“, durch Kontakt mit gefährlichen Bakterien in neuen, größeren Einheiten zusammenlagern, die mikrosko- erklärt Rose-John, der im Cluster den Forschungsbe- würden die Krankheitserreger dann im Prinzip erste- Er vermutet, „dass es sich hier um Hauptschalter der reich F „Zytokin-Signalwege über gp130“ koordiniert. pisch kleinen Nadeln gleichen. Diese ‚Nano-Nadeln‘ Zellkommunikation handelt, die bei der Entstehung chen. Neben diesem mechanischen Ansatz verfolgt vieler Krankheiten gestört sind.“ Erste Ergebnisse aus der Biochemiker auch eine an das Modell ‚Troja- nisches Pferd‘ angelehnte Methode. Bei dieser Art dem Konsortium unterstützen diese Hypothese. Im Bakterien von der Haut abgesonderte Stoffe nichts und das integrierte Graduiertenkolleg aufklären, wie Förderverlauf wollen die beteiligten Arbeitsgruppen der Bekämpfung von Krankheitserregern würden die zelluläre Proteinspaltungsprozesse reguliert und ko- ahnend aufnehmen, die sich erst dann in Antibiotika ordiniert werden. „Wir wollen herausfinden, welche umwandeln und sie so von innen töten. Als Drittes 9 Veränderungen dieser Prozesse an der Entstehung Gemeinsamer Workshop natürliche Variabilität von menschlichen Genen, Bei einem Workshop im Kieler Zoologischen Museum beschrieben und Assoziationen mit Erkrankungen sol- ler die Rolle von Wirt-Bakterien-Beziehungen im von Ozean- und Entzündungscluster von Krankheiten beteiligt sind“, so Rose-John. Die vom 6. bis 8. Juli 2009 diskutierten 80 Wissenschaft- die die Spaltung von Proteinen beeinflussen, soll Verlauf der Evolution. Die Veranstaltung wurde finan- len aufgeklärt werden. Fernziel ist, diese Erkenntnisse ziell unterstützt vom Cluster Entzündungsforschung zu neuartigen therapeutischen Konzepten für die und dem Kieler Exzellenzcluster Ozean der Zukunft. Behandlung von Menschen mit Entzündungskrank- „Wir haben herausgefunden, dass es in Kiel und heiten, neurodegenerativen Erkrankungen und Krebs Umgebung das Potenzial für einen neuen Sonder- weiterzuentwickeln. forschungsbereich gibt“, erklärte Professor Thomas Bosch, Organisator des Workshops. Das bestätigte Cluster-Symposium Die zweite Cluster-Konferenz vom 9. bis 11. Juli 2009 auch Professor Margaret McFall-Ngai, eine renom- Kieler Schloss. Die amerikanische Mikrobiologin moderierte. Sie stellte fest: „Die Wissenschaftler consin, hielt den 500 Gästen einen informativen und Forschungsgebiet. Dazu kommen eine überragende mierte Mikrobiologin aus den USA, die den Workshop begann mit einem besonderen Eröffnungsabend im hier gehören weltweit zu den Pionieren auf diesem Professor Margaret McFall-Ngai, Universität Wis- Infrastruktur und eine sehr ausgefeilte Vision: Was humorvollen Vortrag über die lebenswichtige Rolle will man mehr?“ Sie bot an, weiterhin als Beraterin der Bakterien im menschlichen Körper. Hoch konzen- triert, virtuos und sinnlich präsentierte der Welt- zur Verfügung zu stehen. nisten. Über die Konferenz im Kieler Audimax mit fast Therapie gegen Hauterkrankungen klassepianist Boris Bloch Werke klassischer Kompo- Eine Forschungsgruppe des Clusters um Dr. Enno 300 Teilnehmern berichteten Hörfunk und Fernsehen Schmidt und Professor Detlef Zillikens von der Uni- des NDR. Organisator Professor Thomas Bosch vom versitätshautklinik Lübeck entwickelt gemeinsam mit Zoologischen Institut der Universität Kiel hob die Teil- zwei Partnern aus der Industrie eine neue Behand- nahme internationaler Spitzenforscher hervor und lobte die Nachwuchswissenschaftler: „In einzelnen lungsmethode gegen blasenbildende Hautkrank- ster verändere traditionelle Strukturen, konstatierte krankungen greifen körpereigene Antikörper die Haut heiten. Bei diesen bisher unheilbaren Autoimmuner- Gruppen wurde Bahnbrechendes geleistet.“ Der Clu- an – sie wirft Blasen und löst sich ab. der Kieler Molekularbiologe und Cluster-Sprecher Professor Stefan Schreiber: „Unsere interdisziplinären, Die neue Therapie soll zielgenau nur die krankma- Fakultäten. Vor allem junge Wissenschaftler nutzen gibt allein in Deutschland rund 2.000 Menschen chenden Antikörper entfernen. „Unsere Forschung standort-übergreifenden Projekte transformieren die Hoffnung, ihre Leiden zu lindern. Womöglich können die sich bietenden Brücken. Der Cluster verändert die Patienten sogar geheilt werden“, erklärt Detlef Zil- Forschung und wird zur Keimzelle einer modernen in- likens, der den Forschungsbereich H „Autoimmunität terdisziplinären Medizin.“ Professor Per Brandzæg, Pa- gegen Typ VII Kollagen“ im Cluster koordiniert. Der thologe aus Oslo und Mitglied im Supervisory Board, war beeindruckt: „Interaktion über vier Standorte Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) der Cluster leisten kann, wenn die Forscher ihr Wissen Projekt in den nächsten drei Jahren mit mehr als einer und das Land Schleswig-Holstein unterstützen das hinweg ist nicht leicht. Aber die Konferenz zeigt, was Million Euro. zusammentragen und miteinander kommunizieren.“ 10 Oben links: Prof. Jan Born, Direktor des Instituts für Neuroendokrinologie der Universität zu Lübeck (links im Bild) erhält von DFG-Präsident Prof. Matthias Kleiner den Leibniz-Preis. Oben rechts: Prof. Stefan Ehlers, Leiter der Abteilung Molekulare Infektiologie am Forschungszentrum Borstel und Professor für Mikrobielle Entzündungsforschung an der Universität Kiel wurde mit dem Hamburger Wissenschaftspreis 2009 ausgezeichnet. Links: Prof. Jens-Michael Schröder, Biochemiker an der Universitätshautklinik Kiel, untersucht neue Ansätze im Kampf gegen Krankheitserreger und erhält dafür DFG- Fördergelder. Werk zeuge des Fortschritts 12 A n allen Standorten des Exzellenzclusters drei SOLiD-Geräte von Applied Biosystems sowie ckende Geräteparks zur Verfügung. stehen dem Cluster zur Verfügung. ein 454 (Roche FLX-Sequenzierer) angeschafft und stehen den Wissenschaftlern beeindruDie Ausstattungen entsprechen dem Genom der Darmflora aktuellen Stand der Technik und ermöglichen For- „Mit diesen neuen Sequenziertechnologien kann schungen auf allen Ebenen – von der Analyse der man ganze Genome angehen“, erklärt Plattformleiter genetischen Varianz bis zur Funktionsuntersuchung Markus Schilhabel. Vor allem die SOLiD-Technologie beim Tier. Einige besondere Methoden und Techniken (Bild links) komme hierfür zum Einsatz. „Wir haben sind hier beispielhaft vorgestellt. hier mehrere DNA Proben von Patienten, deren Genome wir komplett durchsequenzieren. Dafür DNA-Sequenzierer der neuen Generation brauchen Sie aber derzeit noch mehrere Runs (Durch- Sanger-Methode, 454-Technologie und SOLID-System gänge)“, berichtet Professor Andre Franke, der die – das Innenleben der Sequenziergeräte, die diese bioinformatischen Analysen koordiniert Und auch Namen tragen, kennen vermutlich nur ihre Entwick- für Transkriptomanalysen eigne sich das Gerät. Das ler im Detail. Für Genforscher sind sie einfach nur Werkzeuge – hochentwickelte Werkzeuge wohlge- heißt es lassen sich gezielt die Bereiche des Genoms DNA zu entziffern. Es gibt heute mehrere Verfahren darauf können Aussagen über die Genaktivität und erfassen, die funktionell wichtig sind. Aufbauend merkt – die sie brauchen, um die Buchstabenfolge der deren Regulation in verschiedenen Entwicklungs- zum Ablesen der Sequenzinformation von einem stadien und Geweben eines Organismus gemacht DNA-Molekül. Auch künftig kommen Weiterent- werden. Damit können sämtliche exprimierten wicklungen der Methode nach Frederick Sanger zum Transkripte identifiziert werden und so wurden auch Einsatz. Vier solcher optimierten Sanger-Sequenzierer schon zahlreiche bis dato unbekannte Isoformen von namens AB 3730xl gehören zur Sequenzierungsplatt- form am Institut für Klinische Molekularbiologie der Wissenschaftlern des Entzündungsclusters annotiert. die Sequenzierer der neueren Generation. Sie sind aus gesetzt, um Proben mit unbekannter DNA-Sequenz Die 454-Technologie hingegen werde vor allem ein- Universität Kiel. Sehr viel mehr Möglichkeiten bieten aufzuschlüsseln (also keine Resequenzierung wie der Genomforschung heute nicht mehr wegzuden- oben erwähnt), etwa die mikrobiologische Gemein- ken, da sie die Ultra-Hochdurchsatz-Sequenzierung schaft des menschlichen Darms oder in Proben aus schneller und kostengünstiger erledigen. Von diesen der Ostsee. „Auch im Meer tummeln sich viele Bakte- Sequenzierern der „nächsten Generation“ wurden 13 Andre Franke ist seit August 2008 Juniorprofessor für Epitheliale Barrierefunktion im Exzellenzcluster Entzündungsforschung und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Klinische Molukularbiologie. Sein Forschungsschwerpunkt ist die genetische Ätiologie chronisch- entzündlicher Erkrankungen des Darms und der Gallengänge. Markus Schilhabel ist Leiter der Sequenzierplattform am Institut für Klinische Mo- lekularbiologie. Der Biologe leitet Schulungen zur Einführung in die Technologie und unterstützt und berät die Anwender bei den möglichen Anwendungen und Problemen. rien und auch Viren. Das war lange nicht bekannt und aus den einzelnen Genfragmenten zusammen und ben heraus.“ Die Analysetechnik hat auch ihren Preis. Gensequenzen von Gesunden und Kranken. Professor vergleichen zum Beispiel die Buchstabenfolgen der kam erst durch Sequenzierung von Meerwasserpro- Abgesehen von den Anschaffungskosten in Höhe von Andre Franke arbeitet gerade an der Fertigstellung rund 8000 Euro an. Kosten, die vor allem durch die Crohn. Ziel dieser Arbeit ist, so Franke, Signaturen im des ersten Genoms einer Patientin mit Morbus etwa 500.000 Euro, fallen bei jedem Probendurchlauf individuellen Genom zu finden, die es ermöglichen, benötigten Sequenzier-Chemikalien entstehen. Beim SOLiD erhält man dafür mehrere hundert Millionen. eine speziell für diese Person geeignete Therapie sind es circa 1 Million Sequenzen mit einer Durch- aus dem Exzellenzcluster Entzündungsforschung der Hauptarbeit kommt nach der Sequenzierung in Patienten mit Morbus Crohn vor und welche bei auszuwählen. In anderen Projekten gehen Kollegen Sequenzen mit einer Länge von 50 Basen, beim FLX Darmflora auf den Grund. Dabei geht es um folgende schnittslänge von etwa 400 Basen. Fragen: Welche Bakterienarten kommen wie häufig gesunden Kontrollpersonen? Wie variiert die Zusam- Mit dem Auslesen der DNA-Sequenz ist es aber nicht mensetzung innerhalb der Bakteriengemeinschaft getan. Die neuen Technologien liefern zunächst nur des Darms? Und inwieweit hängt die Zusammenset- eine Menge an Rohdaten. Um eine Antwort auf die zung der Darmflora von einer bestimmten gene- wissenschaftliche Fragestellung zu bekommen, müs- tischen Veranlagung ab? Neben Franke und seinen sen die Daten aber erst ausgewertet und interpre- Kollegen vom Institut für Klinische Molekularbiologie tiert werden. Da ist dann die Bioinformatik gefragt. nutzen noch viele weitere Arbeitsgruppen die hoch- Eigens dafür entwickelte Computerprogramme modern ausgestattete Sequenzierplattform. fügen das für die Sequenzierung zerstückelte Genom 14 Die für die Sequenzierung speziell aufbereitete DNA wird bei der 454-Tech- nologie in circa 2 Millionen winzig kleinen Vertiefungen (Wells) der Piko- titerplatten hineinzentrifugiert (Bild unten). Jedes dieser Löcher enthält unzählige Kopien ein und desselben DNA-Fragments gebunden an einen Träger (Bead). In diesen Löchern findet die Sequenzierreaktion statt. Die vie- len Kopien sind notwendig, damit das Signal, dass von einer Kamera erfasst wird, stark genug ist. Beim SOLiD-System (Bilder links) erfolgt die Sequenzierung nicht auf Platten, sondern auf Objektträgern. Da sind erheblich mehr drauf (750 Millionen). 15 Das Proteom Eine Momentaufnahme N eben der Analyse des Genoms, der DNA- le sind fein austariert. Dadurch kann die Zelle sehr effi- analytische Schritte notwendig, um die und Umweltfaktoren reagieren. Die Feinregulation Sequenzierung und -Typisierung sind weitere zient auf unterschiedliche biologische Anforderungen molekularen Grundlagen natürlicher und krankhafter kann aber gestört sein – als Folge oder gar als Ursache mationen liefert die Proteomics. krank sein, und in den beiden Zuständen können sich von Krankheiten. Tholey: „Eine Zelle kann gesund oder Lebensvorgänge zu verstehen. Weiterführende Infor- die Proteine, die in der Zelle vorhanden sind, die Art der Proteine oder der Aufbau der Proteine verändern. In menschlichen Zellen liegen Tausende verschiedener Und genau das untersuchen wir. Wir suchen nach Proteine nebeneinander vor. Sie sind dafür zustän- Besonderheiten in einer Mischung von Proteinen der dig, die genetische Information umzusetzen. Fast Zelle.“ Diese Besonderheiten zu kennen, könne ent- alle Prozesse, die in den Zellen lebender Organismen scheidend dazu beitragen, die molekularen Ursachen ablaufen, beruhen auf der Wirkung von Proteinen. viele Krankheiten aufzuklären und darauf aufbauend Welche Proteine gebildet werden, regulieren die Gene, neue, ursächlich wirkende Medikamente da sie den Bauplan für die Proteine verschlüsseln. zu entwickeln. Im Gegensatz zum statischen Bauplan einer Zelle, dem Genom, ist das Proteom, also das Gemisch von Neue Methoden für die Proteomanalyse Proteinen innerhalb einer Zelle in einem bestimmten Die Arbeit von Tholeys Arbeitsgruppe gliedert sich Zustand, hoch dynamisch. Ein Beispiel: Die genetische in zwei Teile. „Zum einen versuchen wir Methoden Information, der Bauplan für die Proteine eines Men- und Technologien weiterzuentwickeln, die für diese schen, ist mehr oder wenig gleich – vom Baby bis zum Greis. Trotzdem sehen Baby und Greis nicht gleich aus. Analyse notwendig sind. Zum anderen wenden wir sich die Zusammensetzung des Proteoms. biomedizinische Fragen an. Hierfür kooperieren wir die Methoden auf biologische, biotechnologische und Denn je nach Alter oder Umgebungseinflüssen ändert mit anderen Arbeitsgruppen des Exzellenzclusters.“ Proteinausstattung der Zelle passt „Molekülwaagen“ identifzieren die Proteine sich den Umständen an Als Hauptarbeitstechniken entwickelt Tholey Metho- „Proteine werden synthetisiert und wieder abgebaut den der mehrdimensionalen Chromatographie, die und nicht alle im Genom kodierten Proteine sind auch es erlauben die sehr komplexen Proteinmischungen immer exprimiert“, erklärt Professor Andreas Tholey, in Proteomen zu trennen. In den dabei gewonnenen der die Arbeitsgruppe Proteomforschung im Institut Protein- oder Peptidfraktionen sind immer noch sehr für Experimentelle Medizin an der Universität Kiel leitet. Die Zusammensetzung des Proteoms und die Wechselwirkung der Proteine miteinander in einer Zel- 16 viele Proteine enthalten. Diese werden mit zwei ver- schiedenen Methoden der Massenspektrometrie auf- Andreas Tholey ist seit Dezember 2008 Cluster-Professor für Systematische Proteomforschung und Bioanalytik an der Christian-Albrechts- Universität zu Kiel. Der Chemiker war zuvor Hochschulassistent an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und beschäftigt sich bereits seit über 15 Jahren mit der funktionellen Proteinanalytik. die Zusammensetzung von Gesteinsproben anderer getrennt: die Elektrospray (ESI)-Massenspektrometrie Planeten zu analysieren. und die matrixunterstützte Laser-Desorptions-Ioni- sations (MALDI)-Massenspektrometrie. Sie sortieren Mit Markern Mengen erfassen die einzelnen Fraktionen anhand ihrer Molekularge- Um herauszufinden, in welchen Mengen die einzelnen wichte, stellen also gewissermaßen „Molekülwaa- Proteine in einer Probe vorliegen, zum Beispiel beim gen“ dar. Mit dieser Information können mit Hilfe bi- Vergleich von gesundem und krankem Gewebe, setzt oinformatischer Methoden letztendlich die einzelnen der Experte für funktionelle Proteinanalytik spezielle Peptide oder Proteine identifiziert werden. Die Suche labeling-Techniken ein. Als Marker dienen stabile, nicht- nach einem ganz bestimmten Protein innerhalb des radioaktive Isotope. Diese können entweder mittels Gemischs von bis zu Hunderttausend Proteinen im chemischer Methoden oder auch – nach Zuführung mit Proteom der Zellen vergleicht Tholey mit der sprich- den Nährstoffen – durch die Proteinsynthesemaschi- wörtlichen Suche nach der Stecknadel im Heuhafen. nen der Zelle selbst in die Proteine eingebaut werden. „Es handelt sich dabei um eine sehr anspruchvolle Die Isotope können dann mit Hilfe der Massenspektro- aber auch sehr wichtige Analysentechnik.“ Eine Me- metrie quantifiziert werden. Durch Kombination dieser thodik, die übrigens auch in vielen anderen Bereichen Verfahren lässt sich die qualitative und quantitative gefragt ist, etwa in der Lebensmittel- und Umwelta- Zusammensetzung des Proteoms erfassen. nalytik, der Dopinganalytik oder wenn es darum geht Zur weiteren Analyse kommt die Massenspektrome- Komplexe Peptid- und Proteingemische werden zunächst trie zum Einsatz. Damit lassen sich die enthaltenen mittels mehrdimensionaler Flüssigchromatographie in kleinere Proteine identifzieren und „zählen“. Peptid- und Proteinfraktionen getrennt. 17 Atemanalyse im Labor S truktur und Funktion der Atemwege hän- Maßgeschneidert für Mäuse Forschungszentrum Borstel untersuchen verfügt die Gruppe über ein Gerät, das speziell gen eng zusammen. Wissenschaftler im Zur Messung der Lungenfunktion bei Mäusen das mit ausgefeilter Technik im Tiermodell. für diesen Zweck gefertigt wurde und so ähnlich nur noch an drei anderen Standorten in Deutsch- land steht – die Head-out-Body-Plethysmogra- „Jetzt einmal bitte tief einatmen und komplett phie. „Wir können damit verschiedene Parameter ausatmen ...“ Um die Lungenfunktion exakt der Lungenfunktion beim lebenden Tier nicht- messen zu können, müssen die Patienten gut invasiv messen und zwar bei vier Tieren gleichzei- mitarbeiten. In der Arztpraxis ist das meist tig“, erklärt Fehrenbach. Die Maus kommt dazu kein Problem. Anders ist die Situation in der Forschung. Um wichtige Parameter der Lungen- in eine zylinderförmige Glaskammer. Der Kopf braucht es schon besonderes Knowhow und spe- Latexkrause luftdicht abgeschlossen wird. Nach ist außerhalb der Kammer, die am Hals mit einer funktion bei Versuchstieren präzise zu erfassen, hinten schließt ein Stöpsel ab. Über ein Röhrchen zielle Geräte. Beides ist im Forschungszentrum Borstel vorhanden – im Bereich „Experimentelle Pneumologie“. Dieser Arbeitsbereich wurde mit der Berufung von Professor Heinz Fehrenbach in den Exzellenzcluster Entzündungsforschung neu etabliert. Fehrenbach kam im Juli 2008 von der Universität Marburg nach Borstel. Seine steht die Kammer mit der Außenluft in Verbin- dung. Atmet die Maus ein, wird der Brustkorb größer, die Luft in der Kammer wird verdrängt, beim Ausatmen passiert das Gegenteil. „Durch die Bewegung des Brustkorbs entsteht am Ablei- tungsrohr der Kammer ein Luftstrom, der dem an Arbeitsgruppe – Entzündung und Regeneration den Nasenlöchern der Maus entspricht. Und den Zusammenhang von Struktur und Funktion der mann, wissenschaftlicher Mitarbeiter in Fehrenbachs – erforscht im Tiermodell unter anderem den können wir aufnehmen“, erklärt Dr. Michael Weg- Atemwege, die Interaktion inflammatorischer Arbeitsgruppe. „Wir messen die Druckänderung. und strukturbildender Zellen sowie die Regene- Dadurch kann der expiratorische bzw. inspiratorische rationsfähigkeit der Lunge bei Asthma und chro- Atemfluss abgeleitet werden.“ Für den Messvorgang nisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD). werden vier solcher „Head-out-Body-Plethysmo- 18 Heinz Fehrenbach ist Professor für Experimentelle Pneumologie an der Universität zu Lübeck und Leiter der gleichnamigen Abteilung am Forschungszentrum Borstel. Sein Forschungsschwerpunkt gilt der Aufklärung der Zusammenhänge zwischen chronischer Entzündung, Störung der Lungenstruktur (Remodelling) und den damit einhergehenden Funktionseinschränkungen. Dabei interessiert er sich besonders für Reparatur- und Regenerationsvorgänge, auf deren Grundlage neue therapeutische Ansätze entwickelt werden könnten. graphen“ über Verbindungsstücke an eine Expositi- onskammer angedockt. Die Nasen der Mäuse sind nach innen gerichtet, so dass sie das dort eingeleitete Aerosol einatmen können. Die Messdaten werden auf einen Computer übertragen, mit spezieller Software aufbereitet und auf einen Bildschirm übertragen. Asthma im Experiment Vier Mäuse sind in ihrem Body-Plethysmo- Die verschiedenen Messgrößen der Body-Plethys- graphen an die Expositionskammer an- mographie erlauben eine genaue Beurteilung der geschlossen. Die Apparatur ist mit einem Lungenfunktion. So lässt sich zum Beispiel ablesen, Computer verbunden, der die Messwerte ob das Versuchstier gegen einen erhöhten Wider- empfängt und weiterverarbeitet. 19 Rechts: Schnittbild der Atemwegswand mit zwei sekretorischen Zellen gefüllt mit runden Sekretgranula, pyrami- denförmiger Basalzelle und darunter liegender Muskulatur. Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme. Mitte Links: Schnittbild der Atemwegswand und angrenzender Lungenbläschen mit braun gefärbter Atemwegswandmuskulatur. Lichtmikroskopische Aufnahme. Mitte rechts: Schnittbild der Atemwegswand. Zwischen den Zellen des einschichtigen Bronchialepithels ist ein intraepithelialer eosinophiler Granulozyt (rot) zu sehen. Lichtmikroskopische Aufnahme. Rechts: Schnittbild mehrerer Lungenbläschen (Alveolen). Die schwarzen Flächen sind Anschnitte der Lufträume, die von den nur wenige tausendstel Millimeter dicken, dem Gasaustausch dienenden Alveolarwänden umge- ben sind. Mithilfe von spezifischen Antikörpern sind die Alveolarepithelzellen Typ 1 (rot) und Typ 2 (grün) angefärbt. Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme. stand in den Atemwegen (Resistance) atmen muss. Das wäre zum Beispiel beim Asthma-Anfall der Fall und hängt davon ab, wie stark die Atemwege verengt sind. Um dies zu testen, wenden Lungenfachärzte den so genannten Metacholin-Provokationstest an. Metacholin ist eine Substanz, die eine Kontrak- Michael Wegmann tion der Atemwegsmuskulatur auslöst. Daraufhin verengen sich die Atemwege, der Atemwegswider- stand steigt, der expiratorische Atemfluss – also die Geschwindigkeit, mit der ausgeatmet wird – sinkt. Die Versuchstiere reagieren genauso. Für den Test ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in gender Konzentration, die Mäuse in der Expositions- Regeneration im Bereich Experimen- messen, kann man sehen, wie sehr eine bestimmte zentrum Borstel. Er beschäftigt sich vernebeln die Wissenschaftler Metacholin in stei- der Laborgruppe Entzündung und kammer atmen das ein. „Über den Atemfluss, den wir telle Pneumologie am Forschungs- Konzentration des Metacholins die Atemwege ver- hauptsächlich mit der Immunpatho- engt. Typisch für Asthmatiker ist, dass sie auf sehr viel genese des allergischen Asthmas geringere Konzentrationen dieses Stimulus‘ mit einer und dessen Auswirkungen auf die Verengung reagieren als Gesunde“, erklärt Fehren- Lungenfunktion. bach. „Wir haben das Gerät zum Beispiel genutzt, um ein Asthmamodell zu entwickeln, das genau dieses Hauptkennzeichen des Asthmas darstellt.“ Auch therapeutische Interventionen lassen sich mit dem Gerät an Mäusen testen. Der Vorteil dieser nicht-in- vasiven Lungenfunktionsdiagnostik ist, dass die Tiere überleben und zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Krankheitsverlauf untersucht werden können. Funktion und Struktur der Lunge an. „Durch Spülung der Lunge mit Puffersubstanzen, Noch genauer lassen sich die Tiere mit einer invasiven die so genannte bronchoalveoläre Lavage, werden die Lungenfunktionseinheit untersuchen – dem Flexi- in den Luftwegen befindlichen Zellen herausgespült. tensivstation“. Das anästhesierte Tier liegt auf einem Mikroskop auszählen. Auch Zytokine lassen sich hier Vent System. Wegmann beschreibt es als „kleine In- Die angefärbten Zellen kann man und unter dem Wärmebett, Puls und Körpertemperatur werden nachweisen“, ergänzt Fehrenbach. überwacht. Luft bekommt es über eine computer- Neben der Lungenfunktion erfassen die Wissen- Lunge. „Indem man die Luft mit einem bestimmten rungen, die damit einhergehen. Gewebeschnitte der gesteuerter Pumpe via Trachealkanüle direkt in die schaftler aber auch die morphologischen Verände- Druck über eine bestimmte Zeit rein gibt, kann man Lungen werden histologisch aufbereitet und unter verschiedene Parameter bestimmen“, erklärt der dem Mikroskop analysiert. „Die Struktur der Lunge tötet, und es schließen sich weitere Untersuchungen beide Untersuchungen zu kombinieren.“ Human-Biologe. Nach dem Versuch wird das Tier ge- hat Einfluss auf die Funktion. Daher ist es wichtig, 21 Histologie am lebenden Tier D Lebende Darmschschleimhaut unterm Objektiv as Zwei-Photonen-Mikroskop ermöglicht Geberts Forschungsgruppe untersucht im Mausmo- es, dynamische Vorgänge im Inneren von dell, wie Epithelzellen mit Zellen des Immunsystems Geweben und Zellen im Detail zu studieren während Immunreaktionen miteinander intera- – direkt am lebenden Objekt . gieren. Untersuchungsgegenstand ist die Dünn- darmschleimhaut. Für die Untersuchung wird eine Die oberste Zellschicht der Dünndarmschleimhaut Maus narkotisiert und beatmet. Durch einen kleinen – das Epithel – wird engmaschig von Lymphozyten Bauchschnitt zieht der Untersucher eine Dünndarm- überwacht. „Alle zwei Minuten tastet ein Lymphozyt schlinge heraus, schneidet sie ein paar Millimeter jede Epithelzelle ab.“ Professor Andreas Gebert vom auf und drückt vorsichtig ein Deckglas an. Darauf Institut für Anatomie der Universität Lübeck weiß das richtet er das Mikroskop. Gebert: „Man kann so auf ganz genau. Er hat es mit eigenen Augen gesehen. die innere Oberfläche des Darms schauen und hat die Ermöglicht wurde das mit einem ganz besonderen Darmschleimhaut vor sich. Wir sehen alle Gewebe- Mikroskop: dem Zwei-Photonen-Mikroskop. Damit komponenten, sämtliche Zellen und auch nicht-zel- kann man in ein Gewebevolumen hineinschauen, luläre Komponenten, wie Kollagenfasern, elastische ohne es zerschneiden zu müssen. „Wir können am Fasern und Blutgefäße. Auch auf subzellulärer Ebene Versuchstier und theoretisch auch am Menschen direkt mikroskopische Bildgebung machen, ohne dass können wir Details auflösen, zum Beispiel intrazellu- so Gebert. „Wir benutzen dafür auf der einen Seite Gewebe, wie es nötig ist, und liefert mikroskopische läre Transportvesikel. Das Objektiv fährt so dicht ans wir irgendwelche Farbstoffe oder Marker brauchen“, Bilder, eine Art Histologie am lebenden Tier.“ spezielles Laserlicht und auf der anderen Seite endogene Fluoreszenzfarbstoffe, also Farbstoffe, Darmzellen in Aktion beobachten die sowieso im Gewebe vorhanden sind. Das ist der Und das ist noch längst nicht alles. Der Untersucher besondere Ansatz, den wir hier entwickelt haben.“ kann eine bestimmte Ebene einstellen und eine Zeit Bis zu 100 Mikrometer tief ins Gewebe kann man mit lang verfolgen. Dadurch lassen sich Bewegungsvor- dem besonderen Mikroskop schauen, die Auflösung gänge darstellen. Auch Volumen können untersucht, liegt nah am physikalisch Möglichen, also bei etwa dreidimensional abgebildet und von allen Seiten 0,5 Mikrometer. 22 Andreas Gebert ist Professor für Anatomie an der Universität zu Lübeck. Mit seiner Ar- beitsgruppe beschäftigt er sich mit Strukturen und Funktionen, die an der Immunabwehr an Schleimhäuten, insbesondere am Darm, beteiligt sind. Peter König leitet die Arbeitsgruppe „Lungenbiologie“ am Institut für Anatomie der Universität zu Lübeck. Mit seiner Arbeitsgruppe beschäftigt er sich damit, wie Entzündungsreaktionen in den Atemwegen ablaufen, und wie sich die Atemwege gegen Fremdstoffe und Krankheitserreger schützen. betrachtet werden. „Darüber hinaus können wir fluoreszenzmarkierte Zellen ins Gewebe einbringen und deren Verhalten, Bewegung und Kontakte, sozusagen als molecular imaging, verfolgen.“ Das sind allerdings Daten, die nicht direkt bei der Aufzeichnung zu sehen sind. Dafür müssen die gewonnen Bilderstapel nach- träglich analysiert werden. „Für einen Versuchstag an dem wir Daten gewinnen, schätzen wir mindestens Atemwege interessiert. „Wir kennen Entzündungen noch mal das Doppelte an Zeit, um die Bilder am bisher nur aus histologischen Schnitten. Da wissen Rechner aufzuarbeiten“, so Gebert. wir, wer daran beteiligt ist. Aber wir haben bisher nicht wirklich verstanden, welche Rolle die jeweiligen Dynamik von Entzündungsprozessen Zelltypen einnehmen, eosinophile Granulozyten zum Auf diese Weise haben Gebert und seine Mitar- Beispiel. Diese Immunzellen findet man in großer beiter zum Beispiel die ständige Bewegung von Zahl in den Atemwegen vieler Asthmatiker. Es ist aber Lymphozyten im Darmepithel beobachtet und bis heute nicht so recht klar, was sie da tun. Wenn Überraschendes zutage gebracht: „Man wusste, die wir verstehen würden, was die verschiedenen Zellen sitzen dort. Dass sie sich aber wie Amöben zwischen wirklich während einer Entzündung machen, dann den Zellen durch die Deckzellschicht arbeiten und könnten wir auch sehr viel gezielter eingreifen.“ ständig zu allen Epithelzellen Kontakt aufnehmen, war nicht bekannt. Das ist ein völlig neuer Befund.“ Schädigung und Reparatur Ausgehend von den Beobachtungen im gesunden Ingenieure und Physiker vom Institut für Biomedi- Gewebe wollen die Wissenschaftler die Situation an zinische Optik der Lübecker Universität haben die der entzündlich veränderten Schleimhaut mit Hilfe Gerätefunktionen in Kooperation mit den Anatomie- interessiert, ist zu verstehen, wie ein Entzündungs- möglich, Zellen gezielt zu schädigen, ein Vorgang, der des Mikroskops genauer charakterisieren. „Was uns Ärzten noch weiter entwickelt. Dadurch wurde es prozess in seiner Dynamik abläuft“, ergänzt Geberts unter physiologischen Umständen vermutlich stän- Kollege Dr. Peter König, der sich besonders für die dig passiert. König: „Wir richten einen zweiten Laser- 23 Oben: Mikroskopischer Blick auf die lebende strahl gezielt auf eine einzelne Zelle oder eine Gruppe von Zellen und beobachten, welche Reparaturmecha- Dünndarmschleimhaut mittels intravitaler riert.“ Hört sich einfach an, ist aber alles andere als das. Mosaik aus Zellen der Deckzellschicht wird drei- nismen die Zelle einsetzt, wie sich das Epithel regene- Um verwertbare Ergebnisse zu bekommen, ist eine Autofluoreszenz-2-Photonen-Mikroskopie. Das dimensional abgebildet. Lebensvorgänge, wie die Bewegung von Zellen und Zell­organellen, gründliche Vorbereitung nötig. „Da sorgt man dafür, werden so über mehrere Stunden „live“ ver- dass physiologische Versuchsbedingungen herrschen, folgt. Das Bild zeigt eine computergenerierte dass das Gewebe durchblutet ist und dass kein Ödem 3D-Rekonstruktion bei 500facher Vergröße- entsteht“, so Gebert. Ein gewisses feinmotorisches rung aus drei verschiedenen Ansichten. Unten: Talent und Fingerspitzengefühl sind auch vonnöten Zwischen den Zellen der Dünndarm-Deckzell- „Meine Mitarbeiter brauchen etwa ein halbes Jahr, schicht (blau) schlängelt sich ein Lymphozyt um sich einzuarbeiten. Dazu gehört auch, sich diese (gelb) hindurch. Aus einem 3D-Movie von 11 feine OP-Technik und die Narkoseführung anzueignen sowie den Umgang mit dem Gerät zu lernen. Erst dann können sie selbstständig damit arbeiten und den jeweiligen Fragestellungen nachgehen.“ 24 Minuten Länge wurden sieben Momentaufnah- men mit verschiedenen Positionen desselben, wandernden Lymphozyten überlagert. Prozesse in lebenden Zellen D urch Beobachten lebender Zellen lassen sich dynamische Prozesse wie Transport- vorgänge, Zellteilung und pathologische Veränderungen studieren. Dazu braucht es jedoch besonderer Instrumente. Ein solches – genauer ge- sagt ein Laser Spinning-Disk-Confocal-Microscope – Licht zu arbeiten, um die Zellen zu schonen. „Wenn man zuviel Licht auf die Zellen scheint, bleicht man die Farbstoffe aus und erzeugt zudem Sauerstoffra- dikale, die Zellen schädigen“, so Duden. „Leicht löst man dadurch Mechanismen aus, die zum Zellab- sterben führen.“ Das heißt, die Probe muss mit sehr steht im Institut für Biologie der Universität Lübeck. geringer Lichtintensität ausgeleuchtet werden. Der Dr. Irina Majoul haben es aufgebaut. die „spinning disk“. Diese teilt den verwendeten La- Cluster-Professor Rainer Duden und seine Kollegin Leuchtende Sonden „Wir schauen uns lebende Zellen unter dem Mikro- skop über längere Zeiträume an, also Stunden bis Tage“, erklärt Professor Rainer Duden. Das klingt zu- nächst recht simpel. Doch schnell wird klar: Einfach ist hier gar nichts. Denn die Zellen sollen unterm Mi- kroskop genau das tun, was sie auch im Brutschrank oder im lebenden Organismus tun: sich teilen und weiter entwickeln. Das heißt, sie brauchen auch auf dem Mikroskoptisch besondere Bedingungen – eine Temperatur von 37 Grad Celsius, feuchte Luft und einen genau eingestellten pH-Wert. Doch damit ist es nicht getan. Um Vorgänge innerhalb der Zelle beobachten zu können, müssen sie sichtbar gemacht werden. Dazu markiert der Lübecker Zellbiologe die zu untersuchenden Proteine mit Fluoreszenz- Proteinen, also leuchtenden Sonden verschiedener Farben. Gleichzeitig ist es nötig, mit möglichst wenig besondere Trick hierbei ist eine rotierende Scheibe, serstrahl in viele Teilstrahlen und vermindert die auf die Zelle einstrahlende Energie. Um die schwachen Lichtsignale zu detektieren, braucht das Mikroskop allerdings eine besonders lichtempfindliche Optik und CCD Kamera. Wohlfühlathmospäre für Zellen All das ist mit moderner Mikroskoptechnik machbar – kostet aber seinen Preis. Um diesen möglichst gering zu halten, haben Duden und seine Mitarbei- terin Dr. Irina Majoul, die bereits seit mehr als zehn Jahren mit dieser Technik arbeiten, das Mikroskop aus Komponenten zusammengebaut. „Es ist ein hochkomplexes Mikroskop, weil viele elektronische und feinmechanische Teile kontrollierbar zusam- menarbeiten müssen. Zum Wohle der Zellen ist das ganze Mikroskop mit einer Kammer umgeben, wo wir Temperatur, Gasatmosphäre und Luftfeuchtig- keit konstant halten können, über Beobachtungs- 25 zeiträume bis zu 100 Stunden“, erklärt Duden, der zuvor in Cambridge und London geforscht hat. „Das Gerät ist ziemlich einzigartig im norddeutschen Raum. Wir haben eine sehr schöne optische Auflö- sung kombiniert mit hoher Empfindlichkeit. Und wir haben wirklich die Möglichkeit, Zellen lange am Rainer Duden Leben zu halten und konstant zu beobachten.“ Das Mikroskopsystem bietet eine Fülle von Analyse- ist seit Oktober 2008 Cluster-Professor für möglichkeiten. So können in der Probe interessante „Intrazellulären Transport von pathogenen Zellen oder Abschnitte markiert werden. „Diese vor- Mikroorganismen“ an der Universität zu Lübeck programmierten Punkte fährt das Gerät dann au- und leitet am Institut für Biologie die Arbeits- tomatisch ab, immer wieder in vorher festgelegten gruppe „Membrane Traffic and Cell junctions“. Zeitabständen“, so Duden. Mit diesem „time lapse“ Er beschäftigt sich vor allem mit intrazellulären können langsam ablaufende Zellvorgänge an vielen Transportvorgängen im sekretorischen Weg verschiedenen Stellen der Probe im selben Experi- zwischen Golgi-Apparat und Endoplasmatischem ment verfolgt werden. Das ermöglicht Lebendzell- Retikulum. Analyse von Phänomen, zum Beispiel Zellteilung, die nur in fünf bis zehn Prozent der Zellen in einer Population auftreten. Man kann mit dem Mikroskop optische Schnitte legen, das heißt gewünschte Beobachtungsebenen in den Fokus legen und stabil halten. Ebenfalls können dreidimensionale Gebilde Ebene für Ebene gescannt und dann am Computer zusammengelegt werden. Der Computer stellt dann hinterher ein komplettes, durchgehend fokussiertes dreidimensionales Bild des Präparates dar. Kommunikation und Transport Lebendzell-Imaging eignet sich für eine Vielzahl von Fragestellungen in der Zellbiologie. Duden: „Alles, was man mit Fluoreszenzsonden sichtbar machen kann, lässt sich prinzipiell mit diesem Typ Irina Majoul Lübecker Arbeitsgruppe interessiert sich speziell für beiterin am Institut für Biologie der Universität den intrazellulären Protein- und Membrantransport. Biophysik. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die Kommu- sor Rolf Hilgenfeld vom Institut für Biochemie der von Mikroskop in Lebendzellen untersuchen.“ Die ist seit Oktober 2008 wissenschaftliche Mitar- Kommunikationsvorgänge zwischen Zellen und für zu Lübeck und seit 2009 Privatdozentin für In Kooperationen mit der Arbeitsgruppe von Profes- nikation zwischen Zellen über so genannte „Gap Universität Lübeck wollen sie in neuen Projekten die Junctions“ sowie die FRET Analyse von Protein- Induktion von Membranstrukturen durch Proteine Protein-Interaktionen in Lebendzellen. human-pathogener RNA Viren untersuchen. 26 Oben links: Transportvesikel bewegen sich entlang von Zytoskelettelementen. Oben rechts: Mikroskopsystem mit „spinning disk“- Einheit und EM-CCD Kamera. Mitte links: Hemmung des intrazellulären Transports verur- sacht Zellteilungsanomalien. Chromatin und Golgi Komplex markiert in lebenden Nierenzellen. Mitte rechts: Kerntei- lungen (Kernlamina angefärbt) über zwei Tage beobachtet. Unten links: Protein-Protein-Interaktionen im Nanometer- Distanzbereich sind per Fluorescence Resonance Energy Transfer (FRET) in Lebendzellen mikroskopisch messbar. 28 Mikroben, Mäuse Menschen und A n Ideen für neue Forschungsprojekte mangelt es den neu berufenen Profes- soren im Cluster nicht. Bereits innerhalb des ersten Jahres haben sie Kooperati- onspartner gefunden, um ihre Ideen rasch umsetzen zu können. Drei Beispiele für eine gelungene Vernet- zung über Standort- und Fächergrenzen. Evolutionärer Hintergrund „Nothing in biology makes sense except in the light Forschungsmöglichkeiten bieten. „Ich habe wirklich viele interessante Möglichkeiten im Rahmen des Exzellenzcluster gefunden. Denn eigentlich hat alles einen evolutionären Hintergrund.“ Der Evolutionsbi- ologe und Populationsgenetiker konzentriert sich in der Forschung zurzeit auf die Bakteriengesellschaft, das Mikrobiom, im Darm und welche Funktionen sie erfüllt. Dabei interessiert ihn vor allem die Koevolution zwischen Wirt und Bakterien, und wie sich das auf Gesundheit und Krankheit des Einzelnen of evolution“, zu deutsch: „Nichts in der Biologie auswirkt. tet“. Professor John Baines zieht dieses Zitat des schen Individuen identifizieren können, die einerseits ist sinnvoll außer im Lichte der Evolution betrach- Baines: „Wenn wir genetische Unterschiede zwi- russisch-amerikanischen Genetikers und Evolutions- die bakterielle Besiedlung beeinflussen und gleich- um zu erklären, warum sich für ihn so vielfältige erhöhen, dann bringt uns das wirklich weiter.“ biologen Theodosius Dobzhansky (1900-1975) heran, zeitig die Anfälligkeit für chronische Erkrankungen 29 Mit Darmbakterien in Wechselwirkung B bei bekannten Risikogenen für Morbus Crohn ein aines hat zum Beispiel ein Gen analysiert, ähnlicher Effekt auf die Darmflora beobachtet wurde. das im Darm aktiv ist. Es kodiert für ein Dies hat die Arbeitsgruppe von Professor Philipp Enzym, das den Proteinen oder Peptiden im Rosenstiel herausgefunden. Die von Rosenstiel unter- Darmsekret (Mukus) Zuckermoleküle hinzufügt. suchten genetischen Webfehler betreffen die NOD- like-Rezeptoren (NLR), entwicklungsgeschichtlich sehr Solche Zuckermoleküle sind Bindungsstellen für alte Strukturen, die zu einer Störung der angeborenen Bakterien. Sie binden daran und fressen die Zucker- moleküle. „Fehlt im Darm pflanzliches Material, etwa Immunität führen. die Bakterien ein Signal und der Wirt produziert mehr der Anfälligkeit für Entzündung zusammenhängt, ist Wie die Veränderung der Bakteriengesellschaft mit weil der Wirt nicht genug gegessen hat, dann geben noch unklar. Wahrscheinlich beeinflusst das Gen die Zuckermoleküle für die Bakterien“, so Baines. „Das ist Pathogenresistenz, also die Fähigkeit Krankheitserre- so eine Art Symbiose. Wir helfen den Bakterien und bekommen auch etwas von ihnen zurück. Denn die ger abzuwehren. Diesem Verdacht will Baines in einem Fettsäuren, die die Heilung und Regeneration des Grassl vom Forschungszentrum Borstel nachgehen. neuen Projekt zusammen mit Professor Guntram Darmbakterien produzieren zum Beispiel kurzkettige Darmgewebes fördern.“ Evolution ist nicht gleich Perfektion Der Evolutionsbiologe möchte außerdem verstehen, Unterschiede in der Darmflora warum sich die Anfälligkeit für chronische Entzün- Wie sich die Darmflora verändert, wenn das Gen im dungskrankheiten überhaupt durchgesetzt hat, ob- Darm nicht aktiv ist, hat Baines an einem Knock-out- wohl sie doch offensichtlich Nachteile für die Betrof- Maus-Modell untersucht. „Bei den Knock-out-Mäusen fenen hat. „Diese Mutationen mussten irgendwann haben wir doppelt so viele von einer Art gesehen, einen Vorteil gehabt haben, sonst wären sie nicht so als beim Wildtyp. Gleichzeitig war eine andere Art weniger stark vertreten. Dass der Einfluss so groß ist, häufig“, erklärt Baines. „Sehr oft sind es kurzfristige aus, als ob eine Art von Bakterium besser damit klar sondern nur die ersten, die durch natürliche Selektion Lösungen, so würde ich das nennen, nicht die besten, haben wir nicht gedacht“, bekennt Baines. „Es sieht entstanden sind. Man könnte auch sagen, es ist eine kommt, wenn die Zuckermoleküle im Mukus fehlen.“ schlampige Lösung der Natur. Aber solange der Selek- Interessant sei dieser Befund vor allem deshalb, weil 30 „ Der Cluster ermöglicht mir mit Experten aus verschiedenen Fachbereichen zu arbeiten. Damit kann ich ein Thema in sehr viel größerer Breite untersuchen, als wenn ich das alleine oder nur mit meinen evolutionsbiologischen Kollegen machen würde. Kooperationspartner zum Beispiel aus der Mikrobiologie, Immunologie, Genetik oder den Kliniken finden sich an allen Standorten. Eigentlich habe ich viel zu viele Ideen “ und mögliche Kooperationen, als ich tatsächlich umsetzen kann. John Baines ist Professor für Evolutionäre Genomik, tätig am Max-Planck-Institut für Evoluti- onsbiologie in Plön und an der Christians-Albrechts-Universität zu Kiel. Nach dem Studium der Biochemie und der Biologie in Maryland und Rochester promovierte der gebürtige US-Amerikaner an der Universität München, wo er vier Jahre Wissenschaftlicher Mitarbeiter war. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass sich komplexe tionsdruck da ist, werden sie auch beibehalten.“ Verhaltensweisen oder molekulare Prozesse nur im Den Grund für die Genveränderungen zu kennen, Ganzen verstehen lassen, wenn ihr evolutiver Ur- könne dazu beitragen, neue Therapieansätze zu fin- den. Davon ist der Evolutionsbiologe überzeugt und sprung bekannt ist. Daher wird die Evolutionsmedizin Fragen gestellt werden, erlebt derzeit einen besonde- eigener Foschungsbereich, koordiniert von Philipp auch im Exzellenzcluster Entzündungsforschung als nicht nur er. Die Evolutionsmedizin, in dem diese Art Rosenstiel und John Baines, weiter gestärkt. ren Schub in der naturwissenschaftlichen Forschung. Genom der Mikroben -WG D Mikroorganismen, so schätzt man, sind nicht kulti- ie Entwicklung der Metagenomik ermöglicht vierbar. Metagenomische Methoden ermöglichen die Genom-Analyse einer ganzen Mikroorga- erstmals die komplexe Physiologie und Ökologie nismen-Population zum Beispiel im menschlichen von Mikroorganismen zu erfassen. „Wir nutzen die Darm auf einmal, ohne sie im Labor zu kultivieren. Metagenomik, um den Einfluss von genetischen Hierfür nutzt man moderne molekularbiologische Methoden, zum Beispiel die 454-Technologie zur Varianten des Wirts auf die Zusammensetzung der aus Stuhlproben isolierte DNA charakterisieren Baines, Professor für Evolutionäre Genomik der Bakterienpopulation zu beobachten “, erklärt John Gensequenzierung. Damit lässt sich beispielsweise intestinalen Mikroflora. „Das Interesse an dieser und die gesamte bakteriologische Gesellschaft auf einmal beobachten. Mit den herkömmlichen, klas- Forschung ist groß Denn die Mikrobiota spielt möglich. Denn ein großer Teil aller existierenden eine Rolle. wahrscheinlich bei allen chronischen Krankheiten sisch mikrobiologischen Methoden wäre das nicht 31 Neues Mausmodell für die chronische Darmentzündung W ie Baines hat Professor Guntram Grassl seine Clusterprofessur im April 2009 übernommen. Obwohl beide aus unter- Problematische Engstellen im Darm Ziel der Arbeiten ist, neue Wege zur Behandlung aufzuzeigen. Denn während die Entzündung im Darm schiedlichen Richtungen kommen – Evolutionsbiolo- mit Medikamenten ganz gut zu beherrschen ist, – arbeiten sie viel zusammen. medikamentös zu behandeln. Einzige Option ist die ge der eine, medizinischer Mikrobiologe der andere Modell für Morbus Crohn Grassl ist Experte für Entzündungsmodelle. Um die krankhaften Vorgänge bei chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten im Detail untersuchen zu können, hat er ein Mausmodell entwickelt. „Durch Infektion mit dem Darmbakterium Salmonella enterica serovar gibt es bisher keine Möglichkeit intestinale Fibrosen operative Entfernung der verengten Stelle, wenn gar nichts mehr durchgeht. Grassl: „Man weiß nicht genau, warum manche Patienten Fibrose entwickeln und andere nicht. Aber es gibt Gene, die dafür prä- destinieren. Eins davon ist das nod2-Krankheitsgen.“ Um die Auswirkung dieser Mutation zu analysieren, untersucht er auch die entsprechenden Knock-out- Typhimurium können wir bei Mäusen eine Entzün- Mäuse. Morbus Crohn sehr ähnlich ist“, erklärt Grassl. Vor Typische Krankheitszeichen sen, eine häufige Komplikation bei diesem Krank- den Tierstall im Forschungszentrum Borstel mit dung im Darm auslösen, die der von Patienten mit allem eigne sich das Modell dazu, intestinale Fibro- heitsbild zu untersuchen. Viele Patienten entwickeln infolge der chronischen Entzündung Fibrosen im Darm. Das bedeutet, die Darmwand verdickt sich. Es entstehen Engstellen, die ein häufiger Grund für Operationen sind. „Das Modell bildet die Situation beim Crohn-Patienten sehr gut nach, so dass wir die krankhaften Mechanismen analysieren können“, so Grassl, der zuvor an der Universität Vancouver gearbeitet hat. „Wir suchen zum einen die bakteriel- len Faktoren, die zur Entzündung und Fibrose führen. Zum anderen interessiert uns, welche Zelltypen und welche Botenstoffe beim Wirt beteiligt sind.“ Für die Versuche mit den Mäusen nutzt Grassl S2-Sicherheitsstufe, die man für den Umgang mit Salmonellen braucht. Die Tiere werden zunächst mit dem Antibiotikum Streptomycin vorbehandelt und dann mit den Salmonellen infiziert. Das Antibiotikum tötet etwa 90 Prozent der normalen Darmflora ab. Der Krankheitserreger kann sich dadurch besser an- siedeln und mehr Entzündung auslösen. Die Mäuse entwickeln – wie gewünscht – eine chronische Infek- tion, die sich über 10 bis 15 Wochen verfolgen lässt. „Äußerlich sehen die Mäuse gesund aus und es geht ihnen auch recht gut. Aber sie haben Durchfall und einen entzündeten Darm“, so Grassl. Also genau das, 32 „ Ich profitiere sehr von dem guten Zugang zu Knock-out-Mäusen. In der Arbeitsgrup- pe von Professor Philip Rosenstiel gibt es sehr viele Knock-out-Mäuse gerade in Bezug auf NOD-like-Rezeptoren. Diese Mutationen beeinflussen die Immunantwort auf “ eindringende Bakterien. Guntram Grassl ist Juniorprofessor für die Erforschung infektiöser und entzündlicher Barriereer- krankungen im Tiermodell an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und im Forschungszentrum Borstel. Nach dem Biologiestudium in Bayreuth promovierte der gebürtige Berchtesgadener in München und Tübingen. Zuletzt forschte er an der Universität Vancouver. worunter auch Patienten mit Morbus Crohn leiden. antworten anders auf Bakterien oder auf andere Durch Vergleiche mit Mäusen ohne Mutation bzw. Stimuli. Deshalb entwickeln wir in Kooperation mit denden Unterschiede aufklären, so die Hoffnung. Immunologie ein humanisiertes Mausmodell.“ Hier- Unterschiede im Immunsystem haben, mit menschlichen Stammzellen behandelt, nicht infizierten Kontrollen, lassen sich die entschei- Rückschlüsse auf die Situation beim Menschen lassen sich daraus aber nur bedingt ziehen. Denn das Immunsystem von Maus und Mensch sind nicht gleich. Grassl: „Einige Rezeptoren sind anders, sie Professor Dietrich Kabelitz vom Kieler Institut für für werden Mäuse, die kein eigenes Immunsystem so dass sie ein vollständiges humanes Immunsystem entwickeln. Eine weitere Kooperation läuft mit Pro- fessor Ehrhardt Proksch und Dr. Jürger Hader von der Kieler Hautklinik. Oben sieht man den gesunden Blinddarm im Gewebeschnitt. Bei der infizierten Maus ist das Darmlumen voll mit toten Zellen und Bakterien, die Darmwand ist verdickt. Die Kryptenarchitektur der Darmschleimhaut ist total zerstört, sehr viele inflammatorische Zellen sind eingewandert – Makrophagen, Neutrophile sowie Fibroblasten, die das Kollagen produzieren. Die Überproduktion von Kollagen ist ein Charakteristikum der Fibrose. 33 Genetische Ursachen für Autoimmunerkrankungen P hat man dann Mäuse mit einem gemischten Genom. rofessor Saleh Ibrahim ist seit Dezember Anhand dieser Nachkommen untersucht er, welcher 2008 Mitglied im Exzellenzcluster Entzün- Teil des Genoms mit der Resistenz gegenüber der Er- dungsforschung. Der Immungenetiker kam krankung korreliert und welcher mit der Anfälligkeit. von der Universität Rostock an die Universitätshaut- Anschließend sucht man nach den entscheidenden klinik Lübeck. Hier leitet der gebürtige Ägypter die Einzelgenen. „Das dauert zwei bis fünf Jahre und ist Arbeitsgruppe Genetik entzündlicher Hauterkran- abhängig von den Ressourcen und natürlich auch ein kungen. wenig Glück“, so Ibrahim. „Wir versuchen herauszufinden, welche Gene die Kooperation mit Popgen Hautentzündung auslösen. Dafür untersuchen wir Parallel dazu will der Lübecker Mausgenetiker aber sowohl Mäuse als auch Menschen.“ Konkret geht es auch bei Menschen nach den Genen suchen, die um die relativ seltenen Autoimmunerkrankungen der sie anfällig für Autoimmunerkrankungen der Haut Haut: Pemphigus vulgaris und bullöses Pemphigoid. machen. Hierfür arbeitet er mit der Biobank Popgen Bei den Betroffenen bilden sich in der Haut Blasen, sowie Professor Andre Franke und Professor Stefan die am ganzen Körper und auch an Schleimhäuten Schreiber vom Institut für klinische Molekularbiologie auftreten können. Die Blasen verkrusten und die Haut in Kiel zusammen. Bis Ende 2010 sollen Menschen mit löst sich ab. Ursache der Blasenbildung sind Antikör- derartigen Hauterkrankungen gefunden und für eine per gegen körpereigene Strukturproteine. Warum es Studie gewonnen werden. Bundesweit und zusätzlich zum Verlust der Toleranz gegenüber körpereigenen Proteinen kommt und welche Mechanismen dabei in verschiedenen anderen Ländern rekrutieren die schung soll zum Verständnis der zugrunde liegenden „Wir kooperieren mit Ägypten, der Türkei, Kuwait und liefern. Studie auf“, erklärt Ibrahim. Der Grund: In Ländern Wissenschaftler Patienten und Kontrollpersonen. eine Rolle spielen, ist noch nicht bekannt. Die Genfor- Griechenland und nehmen von dort Patienten in die Prozesse beitragen und neue Ansätze für Therapien des Nahen Ostens und im Süden Europas komme Pemphigus vulgaris häufiger vor als in Deutschland. Suche nach Krankheitsgenen Hierzulande seien häufig Migranten zum Beispiel Mit den klassischen Methoden der Mausgenetik will aus der Türkei betroffen. Das bullöse Pemphigoid Ibrahim einzelne Gene identifizieren, die mit den betrifft vor allem Menschen über 70 Jahren und wird, Erkrankungen assoziiert sind. Hierfür kreuzt er eine da der Anteil alter Menschen in der Bevölkerung Maus, die komplett resistent gegenüber dieser Er- zunimmt, auch immer häufiger. Aus den Blutproben krankung ist, mit einer anderen Maus, die empfindlich der Studienteilnehmer wird dann die DNA isoliert und für die Erkrankung ist. Nach ein paar Generationen 34 „ Die Zusammenarbeit mit der Biobank Popgen, mit den Kollegen vom Institut für Klinische Molekularbiologie in Kiel ist einzigartig. Sie ermöglicht erst solche genom- weiten Assoziationsstudien zu blasenbildenden Autoimmundermatosen, wie wir sie vorhaben. Die Infrastruktur, die uns innerhalb des Clusters zur Verfügung steht, ist “ Weltklasse. Saleh Ibrahim ist Professor für Genetik entzündlicher Hauterkrankungen an der Klinik für Der- matologie, Allergologie und Venerologie der Universität zu Lübeck. Der gebürtige Ägypter studierte Medizin in Ägypten und promovierte an der Universität Helsinki (Finnland). Als Postdoc ging er an die Universität Princeton (USA) und später an die Universität Rostock in genomweiten Assoziationsstudien analysiert. Das Ziel besteht darin, die genetischen Varianten zu entdecken, die mit der Hauterkrankung assoziiert sind. „So wie das die Kollegen in Kiel für Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gemacht haben“, so Ibrahim. Einzigartig: Mäuse mit zweierlei DNA Neben diesen klassischen Wegen der Genomfor- schung hat Ibrahims Arbeitsgruppe noch eine weitere Variante entwickelt – und diese ist weltweit einzigartig. „Wir haben eine Serie neuer Mausstäm- me gezüchtet, mit denen wir die Rolle von Mito- chondrien bei der Entstehung von chronisch-ent- zündlichen und neurodegenerativen Erkrankungen sowie Prozessen der Alterung untersuchen können.“ Mitochondrien sind kleine zelluläre Organellen, die im Wesentlichen für die Energieversorgung der Zelle mit definierten genetischen Mutationen gezielt in Mausstämme transferiert. Ibrahim: „Wir haben eine Gruppe von Stämmen generiert, die das gleiche Genom im Zellkern haben aber ein anderes in den Mitochondrien – insgesamt sind es 20 verschiedene genetisch definierte Stämme. Für diese Ressource interessieren sich Forschergruppen aus der ganzen Welt. Erste Kooperationen laufen mit Kollegen aus den USA, Schweden und Deutschland.“ Darmflora in Kiel, Lübeck und Plön Ein weiteres Projekt verbindet Ibrahim mit dem Evolutionsbiologen Baines. „Wir erfassen die mi- krobielle Besiedlung im Darm und auf der Haut von verschiedenen Mausstämmen an den Standorten Plön, Lübeck und Kiel und untersuchen, wie sich das Mikrobiom verändert, wenn die Tiere eine Entzün- verantwortlich sind. Interessanterweise verfügen dung oder eine Autoimmunkrankheit bekommen.“ Genom). Mutationen des mitochondrialen Genoms werden, die die mikrobielle Besiedlung beeinflussen. sie über ein eigenes Erbmaterial (mitochondriales werden mit einer Vielzahl von Erkrankungen zum Bei- Im nächsten Schritt sollen die Gene identifiziert „Die Umwelt hat Einfluss darauf wie empfindlich spiel entzündlichem Rheuma, Diabetes und Multiple oder resistent unsere Tiermodelle für verschiedene jedoch geeignete Tiermodelle, um die zugrunde normalen Besiedlung von Haut oder Darm zu tun.“ Forscher um Professor Saleh Ibrahim haben zusam- von Autoimmunerkrankungen führt Ibrahim unter Sklerose in Verbindung gebracht. Bisher fehlten liegenden Mechanismen zu analysieren. Die Lübecker men mit Kollegen am Forschungszentrum Borstel und der Universitätsklinik Rostock Mitochondrien Erkrankungen sind und das hat etwas mit der ganz Auch die regionalen Unterschiede in der Häufigkeit anderem auf die regional unterschiedliche Darm- oder Hautflora zurück. 35 Ernährung und Entzündung Ü Entzündungsprozesse zu. Das heißt, ein Zuviel an bergewicht und vor allem der typische Nahrungsenergie und ein Zuwenig an Bewegung Wohlstandsbauch fördern Entzün- führen, sofern sie mit erhöhtem BMI (Body Mass dungsprozesse im Körper. Vor allem Index) einhergehen, zu mehr Entzündung. So wurde dieser Zusammenhang macht den zum Beispiel gezeigt, dass das Fettgewebe proin- Krankheitswert der überflüssigen Pfunde aus, erklärt Professor Frank Döring im Interview. Der Ernäh- flammatorische also entzündungsfördernde Zytokine dafür in Kooperation mit Medizinern, Epidemiolo- Fettmasse. Einen Hinweis auf den Zusammenhang Schutzfaktoren in der Ernährung untersuchen andere auch die Beobachtung, dass Schuppenflechte – eine ausschüttet. Das ist sozusagen eine Funktion der rungsexperte erforscht die molekularen Grundlagen zwischen Körpergewicht und Entzündung liefert gen und Humangenetikern des Clusters. Mögliche entzündliche Hauterkrankung – bei Übergewichtigen Arbeitsgruppen. vermehrt auftritt. Umgekehrt kann man sagen, Übergewicht ist per se unproblematisch, abgesehen Herr Professor Döring, Sie vertreten die Ernährungs- vielleicht von ästhetischen Gesichtspunkten oder wissenschaft im Exzellenzcluster Entzündungsfor- der Mehrbelastung von Gelenken und Bandscheiben. schung. Inwiefern hat das, was wir essen mit Entzün- Der Krankheitswert von erhöhtem Körpergewicht dungsprozessen im Körper zu tun? ergibt sich hauptsächlich aus der Veränderung des Stoffwechsels und aus dem Effekt auf Entzündung. Frank Döring: Eine wichtige Beziehung zwischen Die unter dem Begriff Arteriosklerose bekannten Ernährung und Entzündung betrifft das Körperge- krankhaften Veränderungen der Blutgefäße etwa, wicht. Mit steigendem Körpergewicht nehmen auch 36 Frank Döring hat seit November 2008 eine Professur für Molekulare Prävention innerhalb des Exzellenzcluster inne. Außerdem ist er Direktor am Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Forschungsschwer- punkte seiner Arbeitsgruppe sind Ernährung-Genom-Wechselwirkungen. Inhaltlich steht die Nahrungsenergie, das Nahrungsfett und Coenzym Q10 im Vordergrund. profitieren von einer gesunden Ernährung besonders. die mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Diese Wechselwirkung zwischen der individuellen ge- Schlaganfall einhergehen, beruhen auf Entzündungs- netischen Ausstattung und den Ernährungsfaktoren, prozessen, wie man heute weiß. liegt im Fokus unserer Forschung. Langfristiges Ziel ist es, ausgehend von der individuellen genetischen Aber es gibt doch auch Ernährungsfaktoren, die Ent- Ausstattung eine maßgeschneiderte Ernährungsstra- zündungen vermindern können. tegien und Lebensmittel anbieten zu können. Das ist richtig. Einzelne Stoffe mit antientzündlicher Die Ernährungsberatung basiert also in Zukunft auf Wirkung sind bekannt und zum Teil auch schon ganz einem Gentest? gut untersucht. Hierzu gehören bestimmte sekun- däre Pflanzeninhaltsstoffe oder auch Omega-3-Fett- Das ist das Ziel. Solche Dinge werden übrigens auch säuren aus Fischöl. Man kann aber nicht erwarten, heute schon kommerziell angeboten. Sie können dass sich chronisch-entzündliche Erkrankungen wie ein Wattestäbchen mit Mundschleimhautzellen zur Morbus Crohn allein mit Ernährungsmaßnahmen ausreichend behandeln lassen. Genotypisierung einschicken. Aufbauend darauf Sie konzentrieren sich in der Forschung vor allem auf Zwar kennen wir schon einige Polymorphismen, die wird die wünschenswerte Ernährung abgeleitet. Auswirkungen auf den vorbeugenden Effekt von die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Ernäh- Ernährungsmaßnahmen haben. Das heute schon rung und Genom. Warum ist das interessant? in praktische Empfehlungen zu übertragen, halte ich für verfrüht. So weit sind die Forschungen noch Weil die Menschen, je nach genetischer Ausstattung nicht fortgeschritten. Ich bin daher eher vorsichtig unterschiedlich auf Ernährungsmaßnahmen reagie- und würde mich höchstens zu der Aussage hinreißen ren. Wenn ich die Zufuhr von gesättigten Fettsäu- lassen, dass nicht alle Menschen von ungesättigten ren drossle und vermehrt mehrfach ungesättigte Fettsäuren gleichermaßen profitieren. Fettsäuren aufnehme, wirkt sich das nicht bei jedem auf das Entzündungsgeschehen aus. Der Grund sind Polymorphismen in den entsprechenden Genen, die Welche Forschungsfragen bearbeiten Sie konkret? Reaktion des Stoffwechsels auf mehrfach ungesät- Uns interessieren vor allem die Prozesse im Zu- den Stoffwechsel regulieren. Sie bewirken, dass die sammenhang mit der Fettassimilation, also solche tigte Fettsäuren einmal vorhanden ist und einmal Prozesse, bei denen Nahrungsfett in Körperfett nicht vorhanden ist. Das heißt, bestimmte Menschen 37 zurückgehalten werden. Dadurch kommt es zu umgewandelt wird. Dabei haben wir Gene im Auge, einem langsamen und dosiertem Einstrom der den die für Fettsäurebindungsproteine (FABP) kodieren. Stoffwechsel belastenden Fettsäuren in das Blut. Diese Eiweiße sind für die Bindung von Fettsäuren in Diese Schutzfunktion scheint bei Diabetespatienten Zellen verantwortlich. Uns interessieren speziell die FABP-Gene in Darmzellen, die bei der Aufnahme von mit der Variante des FABP2-Gens nicht richtig zu wir das FABP2-Gen des Dünndarms. Veränderungen Nach der Mahlzeit gehen die Fettspiegel im Blut hoch funktionieren. Sie resorbieren das Fett schneller. Fett eine Rolle spielen. Sehr genau untersucht haben und das wiederum geht mit Entzündungsprozessen dieses Gens treten bei Menschen mit Alterszucker einher. Und nicht nur das. Die Insulinresistenz, ein (Typ 2 Diabetes) häufiger auf. Sie betreffen die Ge- wesentliches Merkmal von Typ 2 Diabetes, ist auch schwindigkeit mit der Fette nach einer Mahlzeit vom Folge einer Störung des Fettstoffwechsels. Wenn Darm ins Blut gelangen. Bei der Variante, die bei Typ viele Fettsäuren in der Zelle verbleiben, können sie 2 Diabetikern häufig ist, geht das Fett schneller ins den Insulinrezeptor angreifen und schädigen. Entzün- Blut über. dungsprozesse provozieren also auf der einen Seite Diabetes Typ 2, in dem sie die Empfindlichkeit der Und das ist ungünstig? Zellen für Insulin herabsetzen, auf der anderen Seite geht Diabetes Typ 2 mit erhöhten Entzündungspro- Das Fettsäurebindungsprotein 2 sorgt dafür, dass zessen einher – durch die schnellere Fettresorption. Fettsäuren aus der Nahrung zunächst im Dünndarm BMBF- Projek t untersucht Diäten - Effek te D Energiezufuhr und alternativen Diätstrategien. Es as Bundesministerium für Bildung und soll zudem geprüft werden, ob die Kalorienrestrik- Forschung (BMBF) investiert über vier Jahre tion nachhaltige Gesundheitswirkungen hat und insgesamt 2,9 Millionen Euro in ein großes For- inwiefern sie die Expression und Funktion zentraler schungsvorhaben an der Universität Kiel, welches Gene des Fettstoffwechsels und der Entzündung das Innovationsgebiet „Ernährungsepigenomik“ beeinflusst. betrifft. Verschiedene Wissenschaftler des Exzel- lenzclusters Entzündungsforschung sind daran be- Am Ende des Projekts steht mit der „Vision Epifood“ ring geleiteten Projektes stehen die langfristigen funktionellen Lebensmitteln, die eine Kalorien- Biologen, Mediziner und Bioinformatiker unter- sam agieren können. Projektpartner sind neben Maus, Schwein) und beim Menschen, was eine Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere (FBN) Dum- die Entwicklung einer zweiten Generation von teiligt. Im Mittelpunkt des von Professor Frank Dö- restriktion imitieren und so gesundheitswirk- Effekte von Diäten. Ernährungswissenschaftler, der Kieler Universität das Leibnizinstitut für die suchen in verschiedenen Modellen (Fruchtfliege, merstorf sowie kleinere und mittelständischen Kalorienrestriktion bewirkt. Betrachtet werden Unternehmen der Biotechnologie, Biomedizin und hierbei sowohl negative (Jojo-Effekt) als auch posi- Meeresforschung. tive (anti-entzündliche) Aspekte einer reduzierten 38 Besser Essen bei Rheum a D Ernährungsmedizin gegründet. Dieser hat Ernäh- ie Ernährungstherapie wurde in der Rheuma- rungs-Empfehlungen herausgegeben. Günstig ist tologie lange Zeit als Außenseitermethode demnach eine überwiegend vegetarisch orien- belächelt. Das hat sich geändert. Mittlerweile tierte Kost, ergänzt mit fettreichem Seefisch. Der gehört die Ernährungsberatung zum Therapieprogramm von Rheumapatienten. Ergänzend zur Konsum von Fleisch- und Wurstwaren sollte stark Patienten durch Umstellung der Ernährung ihre enthaltene Arachidonsäure Ausgangssubstanz von eingeschränkt werden, da die in tierischen Fetten spezifischen medikamentösen Therapie können entzündungsfördernden Botenstoffen ist. Vorteil- Beschwerden verringern und zum Teil sogar haft hingegen sind Omega-3-Fettsäuren, vor allem Schmerzmittel einsparen, indem sie zum Beispiel weniger Grundbausteine für Entzündungsboten- Eicosapentaensäure (EPA) im Fischöl. Sie liefert das die mehr als 400 verschiedenen rheumatischen stoffe. Mindestens zweimal in der Woche sollte für jede die Notwendigkeit einer Ernährungsbera- Thunfisch oder Hering auf den Tisch. Den Nutzen Rheumatologie erkannt und einen Arbeitskreis für dene Studien nachgewiesen. Grundgerüst für entzündungshemmende Boten- stoffe mit der Nahrung aufnehmen. Es gibt für daher fettreicher Meeresfisch wie Makrele, Lachs, Erkrankungen keine einheitliche Diät, aber fast einer Fischöl-reichen Ernährung haben verschie- tung. Das hat auch die deutsche Gesellschaft für 39 Potenzial im Brokkoli Inhaltsstoffe mit Zusatznutzen U geschwüren und Magenkrebs schützen, die sich auf nter den Lebensmitteln, denen eine anti- Grundlage einer H. pylori-Besiedlung entwickeln. kanzerogene Wirkung zugeschrieben wird, rangiert Brokkoli weit vorn. Dieses gute Wirkmechanismen in der Zelle Image verdankt das grüne Gemüse vor allem dem In- Wie die Inhaltstoffe im Detail wirken, ist bisher noch haltsstoff Sulforaphan. Über welche Wege dieser und weitgehend unbekannt. Zur Aufklärung will Anika andere Kohlinhaltsstoffe vor Krebs oder Entzündung schützen können, untersucht Anika Wagner. Wagner beitragen. In Zellkulturstudien untersucht Nützliche Kohlinhaltstoffe Effekt von Isothiocyanaten (zum Beispiel Sulforaphan) die Juniorprofessorin für Molekulare Ernährung den und Indolen (zum Beispiel Indol-3-Carbinol) auf mole- Kohlgemüse und andere Pflanzen aus der Familie kularer Ebene. Sie nutzt dafür Immunzellen der Maus der Kreuzblütler wie Senf, Kresse oder Meerrettich und zwar murine Makrophagen der permanenten zeichnen sich durch ihren Gehalt an verschiedenen Zelllinie RAW264.7, bringt sie mittels LPS (Lipopolysac- Glucosinolaten aus. Die Abbauprodukte dieser sekun- charid) in einen entzündlichen Zustand und behandelt dären Pflanzenstoffe (Isothiocyanate, Thiocyanate und Indole) sorgen für den typischen Geschmack der die Zellen anschließend mit den verschiedenen und hemmen möglicherweise die Krebsentstehung, Ernährungswissenschaftlerin unter anderem auf der ders gut untersucht ist die Substanz Sulforaphan aus rischer miRNA. Darüber hinaus werden epigenetische Testsubstanzen. Die Effekte untersucht die Kieler Produkte. Vor allem aber beugen sie Infektionen vor Ebene der mRNA sowie pro- und antiinflammato- wie tierexperimentelle Studien gezeigt haben. Beson- Regulationsmechanismen systematisch studiert. „Wir Brokkoli. messen verschiedene Zielgene von NF-kappaB und In einer aktuellen Studie fanden Wissenschaftler der auch Zielgene von Nrf2“, so Wagner. NF-kappaB ist ein Johns Hopkins University in Baltimore, dass der regel- mäßige Genuss von Brokkolisprossen, die Vermehrung des schädlichen Magenbakteriums Helicobacter pylori unterdrückte. Dadurch könnten die Sprossen, die Sul- zentraler Akteur im Entzündungsgeschehen, während Nrf2 für die Produktion von Phase-II-Enzymen zur Entgiftung von Fremdstoffen sowie von antioxida- tiven Enzymen sorgt. Nrf2 ist ein Gegenspieler von foraphan in sehr viel höherer Konzentration enthalten NF-kappaB. als das ausgewachsene Gemüse, auch vor Magen- 40 Anika Wagner wurde im Dezember 2009 auf eine Juniorprofessur innerhalb des Exzellenzcluster Entzündungsforschung berufen. Die Ernährungswissenschaftlerin leitet die Arbeits- gruppe Molekulare Ernährung am Institut für Humanernährung und Lebensmittel- kunde der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie erforscht die Wirkmechanis- men sekundärer Pflanzenstoffe. Stichwort Tr anskrip tionsfak toren T kappaB reguliert die Aktivität bestimmter Gene, ranskriptionsfaktoren spielen eine entschei- so dass Entzündungsfaktoren produziert werden. dende Rolle bei der Regulation der Genakti- Damit ist dieses Molekül eine äußerst attraktive vität. Sie beeinflussen die Transkription – also die Übersetzung – abhängiger Gene, indem sie sich Zielstruktur für potenzielle Wirkstoffe. binden. NF-kappaB (nuclear factor ‚kappa-light- ein ubiquitär vorkommender Transkriptionsfaktor wichtigsten Vertreter und kommt in nahezu allen Fremdstoffmetabolismus sowie von antioxidativen Nrf2 (nuclear factor (erythroid-derived 2)-like 2) ist an bestimmte regulatorische Abschnitte der DNA der in der Regulation von Phase-II-Enzymen des chain-enhancer‘ of activated B-cells) ist einer der Enzymen im Organismus eine zentrale Rolle spielt. Zelltypen vor. Das Molekül hat zahlreiche Zielgene Chemopräventive und anti-inflammatorische und vermittelt unterschiedlichste Wirkungen, etwa Effekte von Nahrungsfaktoren können unter an- bei der Immunabwehr des Körpers und auch beim derem über diesen Transkriptionsfaktor vermittelt gezielten Untergang von Zellen. Bekannt ist er als werden. zentraler Akteur der Entzündungsreaktion: NF- 41 42 Erleben statt begreifen D schung: „Wenn jemand nicht aus der Forschungswelt ie Zusammenarbeit von Wissenschaft kommt, dann ist sehr schwer begreifbar zu machen, und Kunst lohnt sich – für beide Seiten. worum es geht. Die Mehrzahl wird ausgeschlossen Bester Beweis dafür ist das Projekt bleiben.“ Mit dieser Feststellung gibt sich der Kieler „Entzündet“, für das Studierende der Molekularbiologe aber nicht zufrieden. „Wir haben Muthesius Kunsthochschule Kiel einen tiefen Blick in uns der wissenschaftlichen Erforschung von Entzün- die Forschung des Exzellenzclusters Entzündungsfor- dungskrankheiten verschrieben, um ihre Entstehung schung geworfen haben. besser zu verstehen und sie so zielgerecht behandeln zu können. Wir möchten auch dazu beitragen, dass Ihre Eindrücke setzten die Kreativen in Form von Plakaten, Filmen und vielen weiteren Arbeiten um. Sie diese Krankheiten besser bekannt werden.“ Den den Inhalten der Forschung und dem Forschungspro- ihn zu demokratisieren, ist ihm ein Anliegen. Dafür Forschungsprozess in die Öffentlichkeit zu tragen, bieten einen ganz neuen, unmittelbaren Zugang zu brauche es einen Zugang, der unabhängig von einer zess selbst. fachlichen Vorbildung ist, und diesen ermögliche die Kunst. „Kunst lässt sich erleben, Kunst muss man Schwierige Materie nicht begreifen, Kunst nimmt einen auf ganz andere Tabellen und Grafiken, mikroskopische Aufnahmen Art und Weise mit“, so der Dekan der Medizinischen oder Fotos aus der Klinik – die Bilder, mit denen Wis- senschaftler und Ärzte in Vorträgen oder Aufsätzen Fakultät an der Kieler Universität. Zum Verständnis tragen sie selten bei. Doch es fehlt Zuschauen, zuhören, verarbeiten die komplexen Inhalte der Forschung allen erklären zu schungsinhalten fand Schreiber an der Muthesius der Sprecher des Exzellenzcluster Entzündungsfor- Präsident Rainer W. Ernst der Herausforderung aufwarten, sind entweder abstrakt oder abstoßend. Verbündete für diesen neuen Zugang zu den For- nicht nur an anschaulichen Bildern. Allein der Versuch Kunsthochschule Kiel. Dabei war sich Muthesius- wollen, ist verfehlt, meint Professor Stefan Schreiber, 43 den. Weitere Arbeiten kommen aus dem Bereiche der bewusst: „Anfangs waren wir unsicher, ob sich junge digitalen und interaktiven Medien und der Fotografie. Menschen, die Kunst- und Kommunikationsdesign In der Medienkunstklasse entstanden zahlreiche studieren, an chronische Entzündungskrankheiten filmische Arbeiten. Eine Auswahl von 24 künstlerisch- heranwagen würden. Dieses Thema berührt ja sehr kommunikativen Arbeiten dieses Projektes wurde stark die eigene Betroffenheit, die körperlichen vom 20. bis 30. April 2010 in der Landesvertretung Empfindungen jedes Einzelnen.“ Die Zweifel waren unbegründet. Tatsächlich stürzten sich insgesamt 35 Schleswig-Holstein in Berlin ausgestellt. terung und persönlichem Einsatz über zwei Semester Neue Ebene des Verständnises der chronischen Entzündung des Menschen zu sieht der Mediziner Schreiber erfüllt. „Die Arbeiten Studierenden aus verschieden Bereichen mit Begeis- Seine Erwartungen an das Gemeinschaftsprojekt in die gestellte Aufgabe: das Zivilisationsphänomen visualisieren. Sie ließen sich ein auf Fachvorträge und schaffen eine neue Ebene des Verständnises.“ die Forscher im Labor und sprachen mit Patienten. Künstler und Designer erhielten auf diesem Weg, „ei- Lohnend war es für beide Seiten. Die angehenden Diskussionen, hospitierten in der Klinik, besuchten nen künstlerischen Zugang zu einem der prägenden Ihre Eindrücke verarbeiteten sie auf vielfältige Weise. Themen unserer Zeit“, so Muthesius-Präsident Ernst. Sie zeichneten, texteten, fotografierten, filmten, Den Wissenschaftlern verschaffte der Blick von programmierten, nähten, formten und klebten. Zur außen einen anderen Blickwinkel auf ihr Forschungs- Seite standen ihnen Silke Juchter, Professorin für Kon- gebiet und gab neue Anregungen. Und die Koopera- zeption und Entwurf, Arnold Dreyblatt, Professor für Freie Kunst und Tom Duscher, Professor für digitale tion geht weiter. Bildschirmdesigner der Muthesius- schulpräsident Ernst mehr als zufrieden: „Unsere Stu- und Genetikern des Clusters ein neues Projekt. Ziel Hochschule planen zusammen mit Informatikern und interaktive Medien. Mit dem Ergebnis ist Hoch- ist, einen Computer zu entwickeln, der Gendaten dierenden haben enorm viel Kreativität entwickelt. sehr viel schneller analysiert als bisherige Rechner Sie nutzen die gesamte Bandbreite der künstlerischen und die Ergebnisse in einer neuen, vereinfachten Art und kommunikativen Möglichkeiten im öffentlichen von Bildschirm-Visualisierung dem lesenden oder Raum, im Atelier, mit Formaten des ‚advertising’, klinischen Wissenschaftler präsentiert. medialen Installationen bis zum bewegten Bild. Wir sind überrascht, mit welcher Sinnlichkeit und mit wie viel Reflektion sich die Studierenden dieser großen Herausforderung gestellt haben.“ Tim Eckhorst hat einen überlebensgroßen Comic auf eine Wand in Kiel gemalt, um möglichst viele Bildsprache für Entzündung Menschen über die Krankheit Morbus Crohn Speziell für das Medium Plakat sind 20 Motive ent- und die Arbeit des Clusters zu informieren. Mehr standen, die im öffentlichen Raum geschaltet wur- unter: www.kriegimkoerper.de. Unten links: den. Darunter fiktive Filmplakate zu Morbus Crohn Paris Küchler visualisiert in einem dramatischen und Psoriasis. Ein überlebensgroßer Comic, gepinselt Plakatmotiv, wie sich Asthma anfühlt. Unten auf Hauswände am Sophienblatt in Kiel, erzählt an- rechts: Der vom Verzicht geprägte Alltag Morbus schaulich über das Leben mit der Darmkrankheit Morbus Crohn und liefert Fakten zum „Krieg im Körper“. Crohn erkrankter Jugendlicher steht im Fokus der nahmen des Mundraumes zusammengenäht wur- Plakathintergründe zeigen Toilettenpapier. Poster-Kampagne von Anna-Franziska Wolf. Alle Mehrdeutig ist die Skulptur „Pulpa“, für die Detailauf- 44 7.0 Entzündungsforschung Zahlen, Daten, Fakten I Rheumatologen. In der neuen Entzündungsklinik wird m Exzellenzcluster Entzündungsforschung sind die Entzündung als eine systemische Erkrankung be- die Kompetenzen von rund 200 spezialisierten trachtet, unabhängig wo am Körper sich die Beschwer- Forschern und Medizinern gebündelt. den zeigen. Diagnostik und Therapie erfolgt hier im Austausch mit den Kollegen der anderen Fachgebiete. Die Wissenschaftler nutzen eine im internationalen Zudem kooperieren die Ärzte mit den Grundlagenfor- Vergleich herausragende Infrastruktur, bereitgestellt schern im Exzellenzcluster. von den Universitäten Kiel und Lübeck, dem Leibniz- Bei der Erforschung von Entzündungsprozessen setzen Forschungszentrum für Medizin und Biowissen- die Clusterforscher auf einen ganzheitlichen Ansatz: schaften Borstel und dem Max-Planck-Institut für Sie wollen Entzündungen an Grenzflächen von Anfang Evolutionsbiologie Plön. bis Ende umfassend verstehen, von der genetischen Varianz bis zur unterschiedlichen Ausprägung beim Ganzheitlicher Ansatz Die Wissenschaftler in über 80 Forschergruppen Menschen. Dabei nutzen sie das ganze Spektrum an lichen Erkrankungen und entwickeln präventive sowie bieten. Molekularbiologen erforschen genetische Prä- Expertise, das die beteiligten Forschungsinstitutionen ergründen in diesem Rahmen Ursachen von entzünd- dispositionen, Strukturbiologen klären die Beziehung therapeutische Ansätze. An beiden Standorten des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Kiel und Lübeck, wurde im Frühjahr 2009 eine Spezialambulanz für Patienten mit chronischen Entzündungskrank- zwischen Struktur und Funktion von Molekülen auf. Biologen und Immunologen untersuchen die mole- kularen Mechanismen der Entzündung in Zellkultur und Tiermodellsystemen. Und das alles soll in neue heiten eröffnet. Üblicherweise werden sie von ver- Diagnose- und Therapiemöglichkeiten münden sowie schiedenen Fachärzten versorgt, Psoriasis-Patienten gezielte Präventionsmaßnahmen zum Beispiel in Form vom Dermatologen, Patienten mit Morbus Crohn von Ernährungsinterventionen hervorbringen. vom Gastroenterologen und Rheumakranke vom 46 Forschungsgebiete Netzwerk-Management Plattform E „Patientenversorgung“ Integrative Forschungsprojekte Forschungsgebiete F, G, H Plattform D „Komplexe Modelle“ Plattform C „Mol. Zellfunktion“ Nachwuchs-Forschergruppen Forschungsgebiet I Plattform B „Strukturelle Biologie“ Darm Plattform A „Genetische Prädisposition“ Lunge Haut Mund Gefäße Die Clusterforscher sind in acht Forschungsschwerpunkten organisiert und arbeiten in unterschiedlichen, methodischen Plattformen. Die fünf Plattformen decken die gesamte Forschungsbreite vom Gen bis zum Menschen ab und symbolisieren die vorhandene Expertise. Der Exzellenzcluster will das Phänomen Entzündung ganzheitlich erforschen und verstehen: Bei welchen Erkrankungen gibt es Gemeinsamkeiten, bei welchen Unterschiede? Auf welcher Ebene manifestieren sie sich auf welche Weise? Verteilung Fördermittel 2009 Im Jahr 2009 wurden Fördermittel in Höhe von 6.577.000 Euro umgesetzt. Die Grafik zeigt die Mittelverteilung. Zentrale Ausgaben 368 T € Verbrauchsmaterial/ Laborbedarf 2.135 T € Investitionen 813 T € Personalkosten 2.576 T € Zentrale Ausgaben beinhalten: Symposium, Cluster Lecture, Beteiligung Petra III sowie Cluster und Schule und Videokonferenzsystem Investitionen beinhalten: Erweiterung Massenspektrometer sowie Copas Biosort Instrument Personalkosten beinhalten: Gehälter Professuren sowie wissenschaftliches und technisches Personal Geschäftsstelle/ Medienrepräsentanz 685 T € 47 Forschungszentrum Borstel Impressum Jahresbericht 2009 Exzellenzcluster Inflammation at Interfaces c/o Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Christian-Albrechts-Platz 4 24118 Kiel Telefon: 0431/880-4850 V.I.S.d.P: Prof. Dr. Stefan Schreiber Redaktion: Kerstin Nees, Dr. Jens Urny Gestaltung: Dirk Holtkötter Druck: Druckerei Pockrandt Fotos: istockphoto.com, Fotolia, medicalpicture, purpur, 5amTag, Tina Eckhorst, Kerstin Nees, www.entzuendungsforschung.de Universitäten Kiel und Lübeck, Forschungszentrum Borstel, Muthesius Kunsthochschule August 2010