Artikel lesen

Werbung
Unterwegs auf dem Bibbulmun Track
Y
arn-Spinning, der australische Volkssport im Geschichtenerzählen, umhüllt
mich wie die glühende
Hitze im Busch, sobald ich
Fragen zum Bibbulmun
Track stelle. Ich höre die
wildesten Geschichten, Worte fallen wie:
«brütend heiss, voller Schlangen, kein Wasser,
gift ige Tiere, Buschfeuer, gefährlich». Eigentlich müsste ich nun verdurstet im Bauch einer
Schlange liegen und könnte unmöglich diesen
Bericht schreiben.
Eine gute Vorbereitung ist unerlässlich.
Mit gesundem Menschenverstand und einigen
Survivalskills kann man aber sogar in der
heissen Jahreszeit alleine raus in den Busch,
vor allem auf einem Track wie dem Bibbulmun. Die zahlreichen Warnungen im Ohr,
gehe ich die Sache mit dem nötigen Ernst an.
Ich habe keine Lust für die nächste Schlagzeile
zu sorgen: «Leichtsinniger Tourist im Hochsommer auf dem Bibbulmun Track verschollen.» Ich stelle meine Sensoren scharf: Kein
Rumgefummel im Unterholz, denn wer weiss,
was da liegen oder kriechen mag. Keine Extratouren, immer auf dem sehr gut markierten
Weg bleiben, vorsichtig gehen, nichts verstauchen oder gar brechen. Den Wasserhaushalt
gut regeln, mich informieren, wo es Wasser
nachzufüllen gibt. Kompass und Karte sind
dabei, meine Freunde in Perth über meine
Route und Dauer der Wanderung informiert.
Dazu lese ich noch ein Buch, wie man Buschfeuer überlebt, ist doch die Waldbrandgefahr
wegen der Trockenheit sehr hoch.
Die Fahrt von der Busplattform in Downtown Perth bis zum Ausgangsort der Wanderung dauert eine knappe Stunde. Im Shopping
Center von Kalamunda kaufe ich die letzten
Früchte und Snacks für meine zehntägige
Wanderung bis Dwellingup. Ich marschiere
an diesem Nachmittag alleine los, in der irrigen Annahme, in einer der nächsten Hütten
rasch auf Gleichgesinnte zu stossen.
Alleine draussen im Bush. Der Schweiss
tropft, die australische Sommerhitze macht zu
schaffen. Bei 40 Grad im Schatten wird das
Wandern mit schwerem Rucksack sehr anstrengend. Der Körper kühlt, indem er literweise Wasser verdunstet. Mit langen Hosen
und langem Baumwollhemd reduziert sich
mein Wasserverbrauch erheblich, und der
Kühlprozess wird über das Baumwollgewebe
gesteigert – Rüdiger Nehbergs Trick funktioniert prima. Zudem bleibe ich vor lästigen Insekten und der Sonne optimal geschützt. Es ist
unglaublich, innert Stunden werden aus 15
Grad deren 40. So breche ich in der Morgendämmerung auf, bewundere eine kleine Blume, die aus der knochentrockenen Erde
spriesst, und staune über einen grossen Eukalyptusbaum, der seine weissen Äste majestätisch in den Himmel streckt. Die Wegbedingungen ändern sich ständig. Auf steile An-
74
GLOBETROTTER-MAGAZIN
HERBST 2009
Text: Claudio Breda
Bilder: Claudio Breda & Hanspeter Kämpf
westaustralien
Dem Spirit Australiens auf der Spur
BUSHWALK
Claudio Breda ist für zehn Tage in eine andere Welt eingetaucht. Weg von der Zivilisation,
einem unsichtbaren Faden entlang, der ihm einen kleinen, faszinierenden Teil des
roten Kontinents erschlossen hat. – «Alles war da, was ich mir vom australischen Busch
erträumt habe. Endlose Wälder, die bis an den Horizont reichen, die Sonne, die den
Tag zum Glühen bringt, die unzähligen Tiere, die einsamen Hütten, der Duft von Eukalyptus,
Holz und Erde und der unvergessliche Sternenhimmel in einsamer Nacht.»
Hüttenzauber. Von den erhöhten Schlafböden der offenen Hütten aus geniesst man eine 24-Stunden-Aussicht. Die Wassertanks sind überlebenswichtig.
75
Mein Ausblick ist spektakulär. Jeden Moment
erwarte ich, einen kapitalen Stegosaurus zu erblicken.
stiege folgen flache Stücke, die dann wieder in
abschüssige Passagen übergehen. 20 Kilometer werden unter diesen Umständen sehr lang,
der Rücken schmerzt, der Weg ein ständiges
Auf und Ab in jeder Hinsicht. Sehnsüchtig
warte ich jeweils auf den nächsten erlösenden
Hüttenwegweiser. «Da, endlich!», immer kurz
bevor ich mich ernsthaft frage, was ich hier
draussen eigentlich mache, taucht er auf. Hat
die Hitze am Mittag ihren Höhepunkt erreicht, sitze ich im Schatten der Schutzhütte
und erhole mich vom anstrengenden Marsch.
Da es zu heiss ist für jegliche Aktivitäten, mache ich eine Siesta von ein paar Stunden, döse,
knabbere etwas Proviant, lese die Einträge in
den Hüttenbüchern und studiere meinen Bibbulmun-Führer. Gegen Abend werden die
76 GLOBETROTTER-MAGAZIN
HERBST 2009
Temperaturen wieder erträglicher, ich streife
etwas durch die Gegend, koche und lege mich
früh schlafen.
Einmal finde ich ein National GeographicMagazin. Darin ist ein Bericht über das faszinierende Leben der Primatenforscherin Jane
Goodall. In dieser Umgebung kann ich mir
gut vorstellen, wie es in Afrika war, als sie frei
lebende Schimpansen beobachtete. Die Hitze,
die tausend Gerüche, die Weite. Mein Ausblick ist nicht minder spektakulär, lässt aber
mehr auf Dinosaurier schliessen. Jeden Moment erwarte ich, in der Senke, die sich vor
mir ausbreitet, einen kapitalen Stegosaurus zu
erblicken. Er taucht am Abend als Tannenzapfenechse auf, die vor der Hütte nach Insekten
jagt. Interessiert beobachte ich das urtümliche
Tier, das mir wild fauchend seine blaue Zunge
entgegenstreckt, als es mich wahrnimmt.
An Echsen, Spinnen, Wallabys, Kängurus,
Insekten und Vögeln mangelt es hier nicht,
bloss die Gattung Mensch lässt sich nicht blicken. Den letzten Artgenossen begegne ich
kurz nach Kalamunda bei den grossen Trinkwasserstauseen, die Perth mit dem kostbaren
Nass versorgen. So liege ich abends leider viel
einsamer, als ich mir das ausgemalt habe,
wach in einer der Hütten und lasse die Ge-
schehnisse des Tages Revue passieren. Gerne
hätte ich die vielen Eindrücke und Erlebnisse
mit anderen Menschen geteilt. Mir ist nun
endgültig klar, dass sowohl Aussies wie Touristen jetzt mit einem kühlen Drink in der
Hand am Strand liegen und sich im Sommer
garantiert nicht in den Busch zum Wandern
verirren. So lausche ich dem Zirpen der Zikaden, und über mir leuchtet der erste Stern am
Abendhimmel auf.
Ohne Wasser geht gar nichts. Meine berechtigte Sorge gilt der Trinkwasserversorgung unterwegs. Schon bei der ersten Hütte
angekommen, gibt es die kühle Entwarnung.
Der grosse Regenwassertank ist zu zwei Drittel voll, und der Weitermarsch vorläufig gesichert. Erst die Regenwassertanks ermöglichen
ein unproblematisches Wandern. Die grossen
geschlossenen Tanks, die neben den Hütten
stehen und mit einem kleinen Schnapphahn
versehen sind, sammeln das vom Hüttendach
abgeleitete, nach Erde schmeckende Regenwasser. Ich trinke es, ohne abzukochen, und
habe nie Probleme damit. Drei Monate zuvor
ist der Staat von einem Zyklonausläufer getroffen worden. In der Folge regnete es im
Südwesten sehr stark, und alle Tanks sind aus-
westaustralien
Wegmarkierung. Regenbogenschlange (l. oben).
Tierisch. Der Kookaburra mit seinem eigentümlichen Ruf und ein kleines Känguru (oben).
Herrscher über das Buschland. Manchmal
wirken die Eukalyptusbäume wie lebendige
Kunstwerke (rechts).
Orientierung. Der Track ist meistens gut sichtbar
(rechts unten).
nahmslos gut gefüllt. Mit der Hand fühlt man
präzise die Temperaturgrenze am Eisentank,
die den Wasserpegel markiert. Es ist nicht
selbstverständlich, dass im Sommer zu Fuss
autonom in diesem Gebiet gewandert werden
kann. Wasser ist ansonsten in dieser Jahreszeit
rar und wenn überhaupt, sehr schwer zu finden. Die früheren Bewohner des Gebietes, die
Bibbulmun, wichen im Sommer wegen unverlässlicher Wasserquellen an die Küste aus.
Eines Nachts tobt ein heft iges Gewitter.
Ich liege in der kleinen Schutzhütte, umzingelt
von Blitz und Donner und mache mir ernsthafte Sorgen, dass ein Blitz den Wald entzündet. Dann fällt zu meiner Erleichterung für
ein paar Minuten heft iger Regen. Am nächsten Morgen finde ich bei einigen Felsen kleine
Wasserlachen. Mit steigender Sonne verwandelt sich der ganze Wald in kürzester Zeit in
einen erbarmungslosen Kochtopf. Das wenige
Wasser verdampft vor meinen Augen. Es ist
unglaublich heiss und feucht. Ich gare darin
wie ein australischer Damper. Ausgerechnet
heute windet sich der Pfad in die Höhe, und
ich schleppe mich keuchend und leidend hin77
auf. Oben werde ich mit der schönsten Aussicht für die Rackerei belohnt. Markante Hügelzüge im Norden lassen mich erahnen, wie
weit ich bereits gelaufen bin. Sind es zwei oder
bereits drei Tagesetappen? Eigentlich unwichtig, denn ich lebe im Hier und Jetzt, der Augenblick ist das Ziel. Der Blick nach Süden offenbart unendliches Buschland. Irgendwo da
hinten, am Horizont, liegt Dwellingup.
Der Busch ist für uns Europäer anfangs
rau, doch man gewöhnt sich daran. Die durch
Hitze, Staub, Erde und die Trockenheit rissig
gewordene Haut, die Blasen an den Füssen
und die gemeinen Bremsenstiche sind bald
vergessen. Auch die Stechmücken, die dank
Der einstige Wald hat sich in Kohle und Asche
verwandelt, der Geruch von Rauch ist allgegenwärtig.
der Wassertanks prächtig gedeihen, fehlen
nicht. Sobald es dunkel wird, tauchen sie auf
und sind unerbittlich. Es ist grässlich. Dank
einem Moskitonetz und Mückenschutzmittel
überstehe ich die Nächte in den offenen
Schutzhütten halbwegs schadlos. Die lästigen
Fliegen bei Tag lassen sich immerhin durch
stetes Wedeln mit ein paar Gräsern vom Gesicht fernhalten.
Buschfeuer. Meine Füsse tragen mich durch
grandiose Waldlandschaften mit verschiedensten Eukalyptusarten und den mannshohen Grass Trees mit ihrem speziellen Harz,
mit dem die Aborigines ihre Pfeilspitzen befestigen. Sträucher und Büsche liegen eingebettet
in der hügligen Landschaft aus roter Erde,
Staub und Felsen. Im ganzen Gebiet herrscht
striktes Feuerverbot. Einzig mit einem Kocher ist es erlaubt, sich seine Mahlzeiten zuzubereiten. Die Gefahr eines Buschfeuers ist allgegenwärtig. Verhält man sich geschickt genug und versteht das Wesen eines Buschfeuers, kann man im Ernstfall richtig reagieren.
78
GLOBETROTTER-MAGAZIN
HERBST 2009
Über überlebenswichtige Schutz- und Rettungsmassnahmen sollte man sich von vornherein unbedingt informieren. Normalerweise kommt man zu Fuss gut weg, wenn man ein
Feuer früh genug entdeckt und gute Karten
und Kompass zur Hand hat, damit man sich
auf der Flucht nicht verläuft.
Ich bin beeindruckt, als ich über Kilometer durch Gebiete wandere, die kurz zuvor abgebrannt sind. Der einstige Wald hat sich in
Kohle und Asche verwandelt, der Geruch von
Rauch und Asche ist noch allgegenwärtig.
Selbst ganz grosse Eukalyptusbäume sind verbrannt, und ihre kümmerlichen Überreste
zeugen von der Gewalt des Feuers. Erschwert
wird das Wandern dadurch, dass alle Wegweiser weggebrannt sind. Alles liegt unter einem
zentimeterdicken Ascheteppich. Mir kommen
Passagen aus dem Klassiker von A. B. Facey
«A Fortunate Life» in den Sinn. Eine Australierin empfahl mir vor Jahren diese Biografie
über die Pionierzeit in Westaustralien. Hier
draussen wird mir erst richtig bewusst, wie
hart die Anfänge gewesen sein müssen und
westaustralien
Der Track
Perth
Kalamunda
Fremantle
Mandurah
North
Bannister
Dwellingup
Collie
Bunbury
Busselton
Nannup
Balingup
Bridgetown
AUSTR ALIEN
Manjimup
Pemperton
Northcliffe
Walpole Denmark
Unter brütender Sonne. Sieht idyllisch aus, aber
auf so einer Strecke erwartet man sehnsüchtig den
nächsten Hüttenwegweiser (links oben).
Vielfältige Pflanzenwelt. Die Grasbäume
stellen ihre üppige Haarpracht zur Schau (oben).
Es hat selten so geschmeckt. Einkehr im North
Bannister Roadhouse (links unten).
was der junge Albert Facey in Westaustralien
für Strapazen durchmachte, als er von Hand
den Busch roden, die grossen Bäume mit der
Axt fällen und die Strünke in dieser Hitze ausbrennen musste, um kostbares Farmland zu
gewinnen.
Das verbrannte Land wird in wenigen Jahren wieder dicht bewachsen sein. Eukalyptus
ist der einzige Baum, der, selbst wenn er völlig
abgebrannt ist, aus einer Knolle im Wurzelbereich einen Doppelgängerkeim ausschlagen
kann. Der Spross wächst dank der Aschedüngung und dem Fehlen von Konkurrenten sehr
rasch. Viele australische Pflanzensamen brauchen gar die Hitzeeinwirkung eines Buschfeuers, um spriessen zu können. In Westaustralien wird ein kontrolliertes Abbrennen des
Unterholzes betrieben, um die Buschfeuergefahr zu senken und zu kontrollieren.
Tierische Abwechslung. So ziehe ich durch
die grandiose Landschaft und lege täglich
rund 20 Kilometer zurück. Freude bereiten
mir die grossen, roten Kängurus und kleineren
Wallabys, die frühmorgens vor mir flüchten
und die ich dank ihres schlagenden, harten
Geräuschs beim Springen leicht orten kann.
«Tock, tock, tock, tock», und schon sehe ich
einen Kopf oder Körper durch die
Landschaft hüpfen. Teilweise erscheint der Kopf des Kängurus wie
im Trickfilm hinter einem Busch,
verschwindet und ist sogleich wieder da. Ich muss bei solchen Szenen laut lachen. Dazu gesellen sich
jede Menge Echsen und viele Vögel. An Abwechslung fehlt es nie.
Die Aussicht von den Anhöhen ist
atemberaubend. Buschland so weit
das Auge reicht. Der Wald erstreckt sich über
alle vier Himmelsrichtungen bis an den Horizont. Dank der starken Sonneneinstrahlung
und entsprechender thermischer Aktivität
sind die Luftmassen immer in Bewegung. Es
weht regelmässig ein Luftzug, der die Hitze
erträglicher macht. Wie harsch das Land ist,
zeigen die Temperaturunterschiede. In der
Nacht kühlt es auf fröstelnde 10 Grad ab, und
in diesen Momenten bin froh um jedes Kleidungsstück, das ich dabei habe.
An meinem sechsten Tag, nach insgesamt
130 zurückgelegten Kilometern, packe ich die
Gelegenheit und laufe zusätzliche 5 Kilometer
für ein Abendessen im North Bannister Roadhouse am Albany Highway. Mein Auftauchen
Albany
Eine Wanderung auf dem 965 Kilometer
langen Bibbulmun Track ist eine bewusste
und rücksichtsvolle Art, den Südwesten
Australiens kennenzulernen. Das dreieckige
Schlangensymbol, der «Waugal» (Regenbogenschlange), markiert den ganzen Track und
führt von Hütte zu Hütte. Der von Freiwilligen
unterhaltene Pfad schlängelt sich im Norden
durch grandiose Eukalyptuswälder, der südliche Abschnitt verläuft entlang einer der
schönsten Küsten Australiens.
Das Bibbulmun-Volk, die Ureinwohner, die
ehemals auf dem Gebiet lebten und nach
denen der Track benannt wurde, legte für
zeremonielle Zusammenkünfte weite Distanzen zurück. Der
Track wurde 1979
zum 150-Jahr-Jubiläum Westaustraliens
offiziell eröffnet, auf
Geoff Schafer’s Idee
hin, einen Wanderweg von Perth bis
Albany zu bauen.
1993 erfolgte eine
radikale Routenänderung, um diverse Konflikte mit anderen
Landnutzern ein für alle Mal beizulegen. Als
Modell diente der 3450 Kilometer lange
Appalachen Trail der USA.
und meine Gesprächsbereitschaft ernten verwunderte Blicke bei Mutter und Tochter, die
als Einzige zugegen sind. Gäste tauchen keine
auf. Die Mutter macht sich in der Küche zu
schaffen, und die Tochter, eher schüchtern,
wundert sich wohl ob dem fremden Kauz, der
da so viel zu erzählen weiss. Noch nie haben
mir ein Steak, Salat und Cola besser geschmeckt. Ein kurzes Telefonat nach Perth
79
beruhigt auch meine Freunde. Auf dem Rückweg zur Schlafhütte machen mich Plastiksäcke und Raben in der Nähe des Roadhouse
stutzig. Ich suche die Quelle dieser Verunreinigung und stehe kurze Zeit später vor einer
ausgehobenen Grube, gefüllt mit Zivilisationsmüll. Ob legal oder illegal, der Anblick des
herumliegenden Mülls schmerzt mich. Bibbulmun-Wanderer folgen einem Ehrenkodex.
So findet man auf dem Track keinen Abfall,
und die Hütten werden aufgeräumt und sauber hinterlassen.
Spinnentiere. Unzählige Spinnennetze, die
sich kaum sichtbar mitten über den Weg spannen, sind ein weiterer Hinweis, dass seit geraumer Zeit niemand des Weges gekommen
ist. In der Mitte ihres Netzes auf Beute lauernd, ist die behaarte Räuberin oft erst im
letzten Augenblick als grosser schwarzer
Knollen wahrnehmbar, der sich plötzlich auf
Augenhöhe bewegt. Kurz vor dem Zusammenprall eilt die Spinne flink über ihr Netz in
Sicherheit. Eine mühselige Angelegenheit,
wenn der reflexartige Notstopp zu spät erfolgt
und man – Gesicht voran – ins Netz läuft:
«Boing» – hinein ins klebrige Vergnügen.
Wenn dies passiert, gelingt es oft, mich vor
dem Übelsten zu bewahren, indem ich behutsam einen Schritt rückwärts mache. Das Netz
wird im besten Fall elegant wieder vom Gesicht gezogen. Die Netze sind alle viel stärker
und grösser als hierzulande. Ist es aber gerissen, dann verbringe ich die nächsten Minuten
damit, mir die klebrigen Fäden aus Gesicht
und Haaren zu ziehen. Grosse Netze umgehe
ich, was oft abenteuerliche Balanceakte mit
80
GLOBETROTTER-MAGAZIN
HERBST 2009
Fortsetzung. Der weiterführende Track geht
kilometerlang der Südküste entlang – mit grandioser Sicht auf menschenleere Sandstrände (oben).
Wildes Australien. Begegnungen mit einer
haarigen Spinne, einem Adler oder einer DugiteSchlange sind immer möglich (rechts v.o.n.u.).
Abends alleine. Im Licht der Kerze lässt Claudio
den Tag ausklingen (rechts unten).
sich bringt. Natürlich wäre es einfach, sie mit
einem Stock niederzureissen, doch ich habe
Achtung vor diesen Kunstwerken und deren
Erschaffern. Glücklicherweise habe ich keine
Angst vor Spinnen, Respekt schon, aber sonst
wäre ich jedem Toilettenhäuschen mit Sicher-
den kleinen Schelm rechtzeitig. Vorsichtig
mache ich einen grossen Bogen um das 60
Zentimeter lange Reptil. Sie ignoriert mich
völlig, was mich verwundert, soll doch die
Dugite sehr scheu und schnell unterwegs sein.
«Das fängt ja gut an, drei Stunden unterwegs
und bereits die erste Schlange!» Vielleicht ist
sie eine Vorbotin, damit ich immer achtsam
bin. Nichtsdestotrotz bekomme ich auf den
restlichen 210 Kilometern keine einzige
Schlange mehr zu Gesicht. Immer wieder höre
ich das Rascheln eines flüchtenden Tieres. Ob
Schlange oder Echse, ist nicht auszumachen.
Meine Neugierde, dies festzustellen, lässt sich
In dem Buch steht alles Mögliche drin über
Schlangen, um einen zu verängstigen.
heit ferngeblieben. Es gibt hier sehr giftige
Spinnen, aber solange man sie in Ruhe lässt,
ist man sicher vor ihnen. Die Giftigsten können mit ihren Fängen unsere Haut gar nicht
durchdringen. Die berühmte «Redback»
schafft das, wenn sie etwas älter ist, doch
draussen im Busch habe ich keine gesehen.
Und Schlangen? Sorry, keine spannenden
Schlangenstories. Nur eine ist mir begegnet,
eine kleine Dugite (sehr giftig) liegt gleich am
ersten Tag meiner Wanderung direkt vor mir.
Keinen Wank macht die kecke kleine Schlange, die mitten auf dem Weg liegt und einen
dürren Ast mimt. Glücklicherweise sehe ich
unter den gegebenen Umständen problemlos
zügeln. Ein Wanderstock hilft mir, bei unübersichtlichen Stellen auf den Boden zu schlagen, um mein Nahen mitzuteilen.
Ich habe mir ein Buch über alle Schlangen
Westaustraliens in der Bibliothek von Perth
zu Gemüte geführt. Da steht alles Wichtige
drin, um einen zu verängstigen. Es gibt hier
eine Unmenge an giftigen Schlangen. Zu lesen
ist aber auch, wie bei einem Schlangenbiss
vorzugehen ist. Heute bandagiert man die betroffene Gliedmasse vom Biss aus in beide
Richtungen und stellt sie möglichst ruhig. So
kann man versuchen, zum nächsten Highway
zu gelangen, ehe das Gift sich im ganzen Kör-
westaustralien
per verteilt und seine volle Wirkung entfaltet.
Daher ist vor allem für Solowanderer unerlässlich, alle Vorkehrungen zu treffen, damit
es nie so weit kommt. So springe ich nie von
den erhöhten Schlafböden auf den erdigen
Grund der Hütten, ohne vorher nachzusehen,
ob sich etwas darauf befindet. Dass man seine
Kleider, Schuhe und den Schlafsack nicht auf
dem Boden, dem Lebensraum der Schlangen
und Skorpione, liegen lässt, ist klar. Gute
Schuhe, lange, dicke Hosen und Gamaschen
haben schon manchen Schlangenzahn erfolgreich abgewehrt. Vor allem wenn man über
gefallene Baumstämme steigt, sollte man sich
vergewissern, dass dahinter keine Schlange
ruht, die sich durch einen plötzlich nahenden
Schuh bedroht fühlt.
Schlangen gehören in Australien dazu,
verhält man sich aber vernünft ig und liest ein
paar aufk lärende Bücher darüber, kann das
Risiko eines Unfalls auf ein Minimum reduziert werden, und sie stellen eine Bereicherung
dar. In keiner Jahreszeit wird man weniger
Schlangen in Westaustralien antreffen als im
Februar, im Sommer. Sie sind dann in der
Nacht unterwegs und bei Tag bereits weg, bevor man überhaupt in ihre Nähe kommt. Es
ist ihnen schlicht zu heiss.
Dennoch sehe ich auf dem Hüttenboden
oft die eine oder andere Spur von ihnen. Ich
mache es mir zur Gewohnheit, jeweils am
Abend, den staubigen Boden flach zu wischen,
um am Morgen all die Spuren der nächtlichen
Besucher zu bestaunen. Manchmal bekomme
ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich verschlafen auf die vielen neuen Spuren blicke. Da unten muss in der Nacht jeweils Reptilienrushhour herrschen. In den Hüttenbucheinträgen
kommen Schlangenbegegnungen öfters vor,
von einem ernsten Zwischenfall lese ich indes
nie.
beängstigendes Schauspiel, zumal die Windböen so heftig sind, dass ausser dem Rauschen
der Blätter nichts mehr zu vernehmen ist.
Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei.
Die Stille der kommenden Nacht umhüllt
mich. Dann ruft der Kookaburra mit seinem
Lachgesang die ersten Sterne herbei. Der Moment ist so magisch, dass ich Gänsehaut bekomme. Majestätisch wandert das Kreuz des
Südens über das Firmament, während sich die
Erde dreht. Wie auf einem kleinen Schiff treibe
ich in diesem zeitlosen Wäldermeer und
staune über die Sternschnuppen, die mein
Blick durch die Baumwipfel erhascht. Weit
weg von jeglicher Lichtverschmutzung betrachte ich all die Sternbilder. Später in der
Nacht steigt der Mond als grosse Kugel zwischen den Bäumen auf und erhellt den Wald.
Die Sterne verlieren an Leuchtkraft, und Stunden später lässt sie die Morgendämmerung
langsam verblassen. Nur die Venus steht im
grössten Glanz und bleibt als heller Punkt
noch lange sichtbar.
Sind es diese Eindrücke und Erlebnisse,
die ich in unserer technologisierten Welt vermisse? Eins zu sein mit dem Rhythmus unserer Erde? Um diesen Gedanken nachzugehen,
trieb es mich hinaus. Aber auch, um räumliche Distanzen zu bewältigen, etwas, das mich
schon immer faszinierte. Meine Hoffnung, auf
dem Weg und in den Hütten, auf andere Wanderer zu treffen, schwand mit jedem zurückgelegten Kilometer. Obwohl ich das Erlebnis
gerne mit jemandem geteilt hätte, fühlte ich
mich nie wirklich einsam, eher als Entdecker,
der alleine eine wundersame Reise tut. Dies
trug dazu bei, dass die Wanderung speziell
und einzigartig war. Jederzeit würde ich mich
sofort wieder auf den Weg machen und weiter
auf dem Bibbulmun Track dem [email protected]
chen nach Süden folgen.
rit of Australia». Ich treffe ihn da draussen an,
inmitten dieser grossartigen Natur. Er tritt
langsam ins Herz all jener ein, die zuhören,
hinschauen und sich die Zeit nehmen, die
Grösse und Vielfalt des Landes an sich heranzulassen. Er ist die treibende Kraft des roten
Kontinents.
Allabendlich, kurz nach Sonnenuntergang, beginnt ein erhabenes Schauspiel. Wenn
sich die Sonne hinter dem Horizont zur Ruhe
legt, kommt plötzlich ein starker thermischer
Wind auf. Er streicht mit grosser Kraft durch
die Eukalyptusbäume und erzeugt ein immer
lauter werdendes Orchester aneinanderreibender Blätter und Äste, die sich in den starken Böen heftig hin und her wiegen. Es scheint,
als ob der Geist der Eukalyptuswälder den
Staub des heissen Tages aus den Haaren seiner
Kinder schüttelt und diese kurz umarmt, bevor sie sich schlafen legen. Die Nacht wird ihnen die ersehnte Abkühlung bringen, während die funkelnden Sterne am Himmel über
sie wachen. Ein tief beeindruckendes, teilweise
Die meisten Bilder dieser Reportage stammen vom
Fotografen Hanspeter Kaempf. Er arbeitete über
20 Jahre lang als Banker in der Schweiz, bevor er
2003 mit seiner Frau nach Australien auswanderte
und seine Passion für Naturfotografie zum Beruf
machte. Hanspeter Kaempf ist die gesamte
Strecke des Bibbulmun Tracks von Albany nach
Perth gewandert und hat viele weitere Bushwalks
in Australien und Neuseeland gemacht.
www.ozkaempf.com
© Globetrotter Club, Bern
The Spirit of Australia. Es gibt ihn, den «Spi-
81
Weitere exklusive
Reise­reportagen lesen?
Für 30 Franken pro Kalenderjahr liegt das Globetrotter-Magazin alle 3 Monate im Briefkasten. Mit spannenden Reise­
geschichten, Interviews, Essays, News, Tipps, Infos und einer Vielzahl von Privatannoncen (z.B. Reisepartnersuche,
Auslandjobs etc.). Dazu gibts gratis die Globetrotter-Card mit attraktiven Rabatten aus der Welt des Reisens.
Inklus
ard
otter-C
obetr
ive Gl
Globetrotter-Card 2012
★ Jahres-Abo Globetrotter-Magazin ★ Gratis-Privatannoncen
★ Büchergutschein CHF 25.– einlösbar bei Reisebuchung bei Globetrotter
★ 10%-Rabattgutschein für Reiseausrüstung bei TRANSA (1 Einkauf)
★ CHF 50.– Rabatt auf Camper/Motorhome-Buchungen bei Globetrotter
★ Ermässigter Eintritt bei explora-Diavorträgen/Live-Reportagen
★ CHF 100.– Rabatt auf Gruppenreisen (ab CHF 2500.–/Person)
Tr
an
s
1 x a-G
ei 10 utsc
nl % h
31 ösb Rab ein
.12 ar a 20
.12 bis tt 12
der Globetrotter Tours AG und der bike adventure tours AG
(nicht kumulierbar/nicht übertragbar/bei der Buchung anzugeben)
02-1380 Globetrotter-Card_12.indd 1
Informieren und Abo abschliessen:
www.globetrottermagazin.ch
07.09.11 15:54
Herunterladen