Unterwegs auf dem Bibbulmun Track Y arn-Spinning, der australische Volkssport im Geschichtenerzählen, umhüllt mich wie die glühende Hitze im Busch, sobald ich Fragen zum Bibbulmun Track stelle. Ich höre die wildesten Geschichten, Worte fallen wie: «brütend heiss, voller Schlangen, kein Wasser, gift ige Tiere, Buschfeuer, gefährlich». Eigentlich müsste ich nun verdurstet im Bauch einer Schlange liegen und könnte unmöglich diesen Bericht schreiben. Eine gute Vorbereitung ist unerlässlich. Mit gesundem Menschenverstand und einigen Survivalskills kann man aber sogar in der heissen Jahreszeit alleine raus in den Busch, vor allem auf einem Track wie dem Bibbulmun. Die zahlreichen Warnungen im Ohr, gehe ich die Sache mit dem nötigen Ernst an. Ich habe keine Lust für die nächste Schlagzeile zu sorgen: «Leichtsinniger Tourist im Hochsommer auf dem Bibbulmun Track verschollen.» Ich stelle meine Sensoren scharf: Kein Rumgefummel im Unterholz, denn wer weiss, was da liegen oder kriechen mag. Keine Extratouren, immer auf dem sehr gut markierten Weg bleiben, vorsichtig gehen, nichts verstauchen oder gar brechen. Den Wasserhaushalt gut regeln, mich informieren, wo es Wasser nachzufüllen gibt. Kompass und Karte sind dabei, meine Freunde in Perth über meine Route und Dauer der Wanderung informiert. Dazu lese ich noch ein Buch, wie man Buschfeuer überlebt, ist doch die Waldbrandgefahr wegen der Trockenheit sehr hoch. Die Fahrt von der Busplattform in Downtown Perth bis zum Ausgangsort der Wanderung dauert eine knappe Stunde. Im Shopping Center von Kalamunda kaufe ich die letzten Früchte und Snacks für meine zehntägige Wanderung bis Dwellingup. Ich marschiere an diesem Nachmittag alleine los, in der irrigen Annahme, in einer der nächsten Hütten rasch auf Gleichgesinnte zu stossen. Alleine draussen im Bush. Der Schweiss tropft, die australische Sommerhitze macht zu schaffen. Bei 40 Grad im Schatten wird das Wandern mit schwerem Rucksack sehr anstrengend. Der Körper kühlt, indem er literweise Wasser verdunstet. Mit langen Hosen und langem Baumwollhemd reduziert sich mein Wasserverbrauch erheblich, und der Kühlprozess wird über das Baumwollgewebe gesteigert – Rüdiger Nehbergs Trick funktioniert prima. Zudem bleibe ich vor lästigen Insekten und der Sonne optimal geschützt. Es ist unglaublich, innert Stunden werden aus 15 Grad deren 40. So breche ich in der Morgendämmerung auf, bewundere eine kleine Blume, die aus der knochentrockenen Erde spriesst, und staune über einen grossen Eukalyptusbaum, der seine weissen Äste majestätisch in den Himmel streckt. Die Wegbedingungen ändern sich ständig. Auf steile An- 74 GLOBETROTTER-MAGAZIN HERBST 2009 Text: Claudio Breda Bilder: Claudio Breda & Hanspeter Kämpf westaustralien Dem Spirit Australiens auf der Spur BUSHWALK Claudio Breda ist für zehn Tage in eine andere Welt eingetaucht. Weg von der Zivilisation, einem unsichtbaren Faden entlang, der ihm einen kleinen, faszinierenden Teil des roten Kontinents erschlossen hat. – «Alles war da, was ich mir vom australischen Busch erträumt habe. Endlose Wälder, die bis an den Horizont reichen, die Sonne, die den Tag zum Glühen bringt, die unzähligen Tiere, die einsamen Hütten, der Duft von Eukalyptus, Holz und Erde und der unvergessliche Sternenhimmel in einsamer Nacht.» Hüttenzauber. Von den erhöhten Schlafböden der offenen Hütten aus geniesst man eine 24-Stunden-Aussicht. Die Wassertanks sind überlebenswichtig. 75 Mein Ausblick ist spektakulär. Jeden Moment erwarte ich, einen kapitalen Stegosaurus zu erblicken. stiege folgen flache Stücke, die dann wieder in abschüssige Passagen übergehen. 20 Kilometer werden unter diesen Umständen sehr lang, der Rücken schmerzt, der Weg ein ständiges Auf und Ab in jeder Hinsicht. Sehnsüchtig warte ich jeweils auf den nächsten erlösenden Hüttenwegweiser. «Da, endlich!», immer kurz bevor ich mich ernsthaft frage, was ich hier draussen eigentlich mache, taucht er auf. Hat die Hitze am Mittag ihren Höhepunkt erreicht, sitze ich im Schatten der Schutzhütte und erhole mich vom anstrengenden Marsch. Da es zu heiss ist für jegliche Aktivitäten, mache ich eine Siesta von ein paar Stunden, döse, knabbere etwas Proviant, lese die Einträge in den Hüttenbüchern und studiere meinen Bibbulmun-Führer. Gegen Abend werden die 76 GLOBETROTTER-MAGAZIN HERBST 2009 Temperaturen wieder erträglicher, ich streife etwas durch die Gegend, koche und lege mich früh schlafen. Einmal finde ich ein National GeographicMagazin. Darin ist ein Bericht über das faszinierende Leben der Primatenforscherin Jane Goodall. In dieser Umgebung kann ich mir gut vorstellen, wie es in Afrika war, als sie frei lebende Schimpansen beobachtete. Die Hitze, die tausend Gerüche, die Weite. Mein Ausblick ist nicht minder spektakulär, lässt aber mehr auf Dinosaurier schliessen. Jeden Moment erwarte ich, in der Senke, die sich vor mir ausbreitet, einen kapitalen Stegosaurus zu erblicken. Er taucht am Abend als Tannenzapfenechse auf, die vor der Hütte nach Insekten jagt. Interessiert beobachte ich das urtümliche Tier, das mir wild fauchend seine blaue Zunge entgegenstreckt, als es mich wahrnimmt. An Echsen, Spinnen, Wallabys, Kängurus, Insekten und Vögeln mangelt es hier nicht, bloss die Gattung Mensch lässt sich nicht blicken. Den letzten Artgenossen begegne ich kurz nach Kalamunda bei den grossen Trinkwasserstauseen, die Perth mit dem kostbaren Nass versorgen. So liege ich abends leider viel einsamer, als ich mir das ausgemalt habe, wach in einer der Hütten und lasse die Ge- schehnisse des Tages Revue passieren. Gerne hätte ich die vielen Eindrücke und Erlebnisse mit anderen Menschen geteilt. Mir ist nun endgültig klar, dass sowohl Aussies wie Touristen jetzt mit einem kühlen Drink in der Hand am Strand liegen und sich im Sommer garantiert nicht in den Busch zum Wandern verirren. So lausche ich dem Zirpen der Zikaden, und über mir leuchtet der erste Stern am Abendhimmel auf. Ohne Wasser geht gar nichts. Meine berechtigte Sorge gilt der Trinkwasserversorgung unterwegs. Schon bei der ersten Hütte angekommen, gibt es die kühle Entwarnung. Der grosse Regenwassertank ist zu zwei Drittel voll, und der Weitermarsch vorläufig gesichert. Erst die Regenwassertanks ermöglichen ein unproblematisches Wandern. Die grossen geschlossenen Tanks, die neben den Hütten stehen und mit einem kleinen Schnapphahn versehen sind, sammeln das vom Hüttendach abgeleitete, nach Erde schmeckende Regenwasser. Ich trinke es, ohne abzukochen, und habe nie Probleme damit. Drei Monate zuvor ist der Staat von einem Zyklonausläufer getroffen worden. In der Folge regnete es im Südwesten sehr stark, und alle Tanks sind aus- westaustralien Wegmarkierung. Regenbogenschlange (l. oben). Tierisch. Der Kookaburra mit seinem eigentümlichen Ruf und ein kleines Känguru (oben). Herrscher über das Buschland. Manchmal wirken die Eukalyptusbäume wie lebendige Kunstwerke (rechts). Orientierung. Der Track ist meistens gut sichtbar (rechts unten). nahmslos gut gefüllt. Mit der Hand fühlt man präzise die Temperaturgrenze am Eisentank, die den Wasserpegel markiert. Es ist nicht selbstverständlich, dass im Sommer zu Fuss autonom in diesem Gebiet gewandert werden kann. Wasser ist ansonsten in dieser Jahreszeit rar und wenn überhaupt, sehr schwer zu finden. Die früheren Bewohner des Gebietes, die Bibbulmun, wichen im Sommer wegen unverlässlicher Wasserquellen an die Küste aus. Eines Nachts tobt ein heft iges Gewitter. Ich liege in der kleinen Schutzhütte, umzingelt von Blitz und Donner und mache mir ernsthafte Sorgen, dass ein Blitz den Wald entzündet. Dann fällt zu meiner Erleichterung für ein paar Minuten heft iger Regen. Am nächsten Morgen finde ich bei einigen Felsen kleine Wasserlachen. Mit steigender Sonne verwandelt sich der ganze Wald in kürzester Zeit in einen erbarmungslosen Kochtopf. Das wenige Wasser verdampft vor meinen Augen. Es ist unglaublich heiss und feucht. Ich gare darin wie ein australischer Damper. Ausgerechnet heute windet sich der Pfad in die Höhe, und ich schleppe mich keuchend und leidend hin77 auf. Oben werde ich mit der schönsten Aussicht für die Rackerei belohnt. Markante Hügelzüge im Norden lassen mich erahnen, wie weit ich bereits gelaufen bin. Sind es zwei oder bereits drei Tagesetappen? Eigentlich unwichtig, denn ich lebe im Hier und Jetzt, der Augenblick ist das Ziel. Der Blick nach Süden offenbart unendliches Buschland. Irgendwo da hinten, am Horizont, liegt Dwellingup. Der Busch ist für uns Europäer anfangs rau, doch man gewöhnt sich daran. Die durch Hitze, Staub, Erde und die Trockenheit rissig gewordene Haut, die Blasen an den Füssen und die gemeinen Bremsenstiche sind bald vergessen. Auch die Stechmücken, die dank Der einstige Wald hat sich in Kohle und Asche verwandelt, der Geruch von Rauch ist allgegenwärtig. der Wassertanks prächtig gedeihen, fehlen nicht. Sobald es dunkel wird, tauchen sie auf und sind unerbittlich. Es ist grässlich. Dank einem Moskitonetz und Mückenschutzmittel überstehe ich die Nächte in den offenen Schutzhütten halbwegs schadlos. Die lästigen Fliegen bei Tag lassen sich immerhin durch stetes Wedeln mit ein paar Gräsern vom Gesicht fernhalten. Buschfeuer. Meine Füsse tragen mich durch grandiose Waldlandschaften mit verschiedensten Eukalyptusarten und den mannshohen Grass Trees mit ihrem speziellen Harz, mit dem die Aborigines ihre Pfeilspitzen befestigen. Sträucher und Büsche liegen eingebettet in der hügligen Landschaft aus roter Erde, Staub und Felsen. Im ganzen Gebiet herrscht striktes Feuerverbot. Einzig mit einem Kocher ist es erlaubt, sich seine Mahlzeiten zuzubereiten. Die Gefahr eines Buschfeuers ist allgegenwärtig. Verhält man sich geschickt genug und versteht das Wesen eines Buschfeuers, kann man im Ernstfall richtig reagieren. 78 GLOBETROTTER-MAGAZIN HERBST 2009 Über überlebenswichtige Schutz- und Rettungsmassnahmen sollte man sich von vornherein unbedingt informieren. Normalerweise kommt man zu Fuss gut weg, wenn man ein Feuer früh genug entdeckt und gute Karten und Kompass zur Hand hat, damit man sich auf der Flucht nicht verläuft. Ich bin beeindruckt, als ich über Kilometer durch Gebiete wandere, die kurz zuvor abgebrannt sind. Der einstige Wald hat sich in Kohle und Asche verwandelt, der Geruch von Rauch und Asche ist noch allgegenwärtig. Selbst ganz grosse Eukalyptusbäume sind verbrannt, und ihre kümmerlichen Überreste zeugen von der Gewalt des Feuers. Erschwert wird das Wandern dadurch, dass alle Wegweiser weggebrannt sind. Alles liegt unter einem zentimeterdicken Ascheteppich. Mir kommen Passagen aus dem Klassiker von A. B. Facey «A Fortunate Life» in den Sinn. Eine Australierin empfahl mir vor Jahren diese Biografie über die Pionierzeit in Westaustralien. Hier draussen wird mir erst richtig bewusst, wie hart die Anfänge gewesen sein müssen und westaustralien Der Track Perth Kalamunda Fremantle Mandurah North Bannister Dwellingup Collie Bunbury Busselton Nannup Balingup Bridgetown AUSTR ALIEN Manjimup Pemperton Northcliffe Walpole Denmark Unter brütender Sonne. Sieht idyllisch aus, aber auf so einer Strecke erwartet man sehnsüchtig den nächsten Hüttenwegweiser (links oben). Vielfältige Pflanzenwelt. Die Grasbäume stellen ihre üppige Haarpracht zur Schau (oben). Es hat selten so geschmeckt. Einkehr im North Bannister Roadhouse (links unten). was der junge Albert Facey in Westaustralien für Strapazen durchmachte, als er von Hand den Busch roden, die grossen Bäume mit der Axt fällen und die Strünke in dieser Hitze ausbrennen musste, um kostbares Farmland zu gewinnen. Das verbrannte Land wird in wenigen Jahren wieder dicht bewachsen sein. Eukalyptus ist der einzige Baum, der, selbst wenn er völlig abgebrannt ist, aus einer Knolle im Wurzelbereich einen Doppelgängerkeim ausschlagen kann. Der Spross wächst dank der Aschedüngung und dem Fehlen von Konkurrenten sehr rasch. Viele australische Pflanzensamen brauchen gar die Hitzeeinwirkung eines Buschfeuers, um spriessen zu können. In Westaustralien wird ein kontrolliertes Abbrennen des Unterholzes betrieben, um die Buschfeuergefahr zu senken und zu kontrollieren. Tierische Abwechslung. So ziehe ich durch die grandiose Landschaft und lege täglich rund 20 Kilometer zurück. Freude bereiten mir die grossen, roten Kängurus und kleineren Wallabys, die frühmorgens vor mir flüchten und die ich dank ihres schlagenden, harten Geräuschs beim Springen leicht orten kann. «Tock, tock, tock, tock», und schon sehe ich einen Kopf oder Körper durch die Landschaft hüpfen. Teilweise erscheint der Kopf des Kängurus wie im Trickfilm hinter einem Busch, verschwindet und ist sogleich wieder da. Ich muss bei solchen Szenen laut lachen. Dazu gesellen sich jede Menge Echsen und viele Vögel. An Abwechslung fehlt es nie. Die Aussicht von den Anhöhen ist atemberaubend. Buschland so weit das Auge reicht. Der Wald erstreckt sich über alle vier Himmelsrichtungen bis an den Horizont. Dank der starken Sonneneinstrahlung und entsprechender thermischer Aktivität sind die Luftmassen immer in Bewegung. Es weht regelmässig ein Luftzug, der die Hitze erträglicher macht. Wie harsch das Land ist, zeigen die Temperaturunterschiede. In der Nacht kühlt es auf fröstelnde 10 Grad ab, und in diesen Momenten bin froh um jedes Kleidungsstück, das ich dabei habe. An meinem sechsten Tag, nach insgesamt 130 zurückgelegten Kilometern, packe ich die Gelegenheit und laufe zusätzliche 5 Kilometer für ein Abendessen im North Bannister Roadhouse am Albany Highway. Mein Auftauchen Albany Eine Wanderung auf dem 965 Kilometer langen Bibbulmun Track ist eine bewusste und rücksichtsvolle Art, den Südwesten Australiens kennenzulernen. Das dreieckige Schlangensymbol, der «Waugal» (Regenbogenschlange), markiert den ganzen Track und führt von Hütte zu Hütte. Der von Freiwilligen unterhaltene Pfad schlängelt sich im Norden durch grandiose Eukalyptuswälder, der südliche Abschnitt verläuft entlang einer der schönsten Küsten Australiens. Das Bibbulmun-Volk, die Ureinwohner, die ehemals auf dem Gebiet lebten und nach denen der Track benannt wurde, legte für zeremonielle Zusammenkünfte weite Distanzen zurück. Der Track wurde 1979 zum 150-Jahr-Jubiläum Westaustraliens offiziell eröffnet, auf Geoff Schafer’s Idee hin, einen Wanderweg von Perth bis Albany zu bauen. 1993 erfolgte eine radikale Routenänderung, um diverse Konflikte mit anderen Landnutzern ein für alle Mal beizulegen. Als Modell diente der 3450 Kilometer lange Appalachen Trail der USA. und meine Gesprächsbereitschaft ernten verwunderte Blicke bei Mutter und Tochter, die als Einzige zugegen sind. Gäste tauchen keine auf. Die Mutter macht sich in der Küche zu schaffen, und die Tochter, eher schüchtern, wundert sich wohl ob dem fremden Kauz, der da so viel zu erzählen weiss. Noch nie haben mir ein Steak, Salat und Cola besser geschmeckt. Ein kurzes Telefonat nach Perth 79 beruhigt auch meine Freunde. Auf dem Rückweg zur Schlafhütte machen mich Plastiksäcke und Raben in der Nähe des Roadhouse stutzig. Ich suche die Quelle dieser Verunreinigung und stehe kurze Zeit später vor einer ausgehobenen Grube, gefüllt mit Zivilisationsmüll. Ob legal oder illegal, der Anblick des herumliegenden Mülls schmerzt mich. Bibbulmun-Wanderer folgen einem Ehrenkodex. So findet man auf dem Track keinen Abfall, und die Hütten werden aufgeräumt und sauber hinterlassen. Spinnentiere. Unzählige Spinnennetze, die sich kaum sichtbar mitten über den Weg spannen, sind ein weiterer Hinweis, dass seit geraumer Zeit niemand des Weges gekommen ist. In der Mitte ihres Netzes auf Beute lauernd, ist die behaarte Räuberin oft erst im letzten Augenblick als grosser schwarzer Knollen wahrnehmbar, der sich plötzlich auf Augenhöhe bewegt. Kurz vor dem Zusammenprall eilt die Spinne flink über ihr Netz in Sicherheit. Eine mühselige Angelegenheit, wenn der reflexartige Notstopp zu spät erfolgt und man – Gesicht voran – ins Netz läuft: «Boing» – hinein ins klebrige Vergnügen. Wenn dies passiert, gelingt es oft, mich vor dem Übelsten zu bewahren, indem ich behutsam einen Schritt rückwärts mache. Das Netz wird im besten Fall elegant wieder vom Gesicht gezogen. Die Netze sind alle viel stärker und grösser als hierzulande. Ist es aber gerissen, dann verbringe ich die nächsten Minuten damit, mir die klebrigen Fäden aus Gesicht und Haaren zu ziehen. Grosse Netze umgehe ich, was oft abenteuerliche Balanceakte mit 80 GLOBETROTTER-MAGAZIN HERBST 2009 Fortsetzung. Der weiterführende Track geht kilometerlang der Südküste entlang – mit grandioser Sicht auf menschenleere Sandstrände (oben). Wildes Australien. Begegnungen mit einer haarigen Spinne, einem Adler oder einer DugiteSchlange sind immer möglich (rechts v.o.n.u.). Abends alleine. Im Licht der Kerze lässt Claudio den Tag ausklingen (rechts unten). sich bringt. Natürlich wäre es einfach, sie mit einem Stock niederzureissen, doch ich habe Achtung vor diesen Kunstwerken und deren Erschaffern. Glücklicherweise habe ich keine Angst vor Spinnen, Respekt schon, aber sonst wäre ich jedem Toilettenhäuschen mit Sicher- den kleinen Schelm rechtzeitig. Vorsichtig mache ich einen grossen Bogen um das 60 Zentimeter lange Reptil. Sie ignoriert mich völlig, was mich verwundert, soll doch die Dugite sehr scheu und schnell unterwegs sein. «Das fängt ja gut an, drei Stunden unterwegs und bereits die erste Schlange!» Vielleicht ist sie eine Vorbotin, damit ich immer achtsam bin. Nichtsdestotrotz bekomme ich auf den restlichen 210 Kilometern keine einzige Schlange mehr zu Gesicht. Immer wieder höre ich das Rascheln eines flüchtenden Tieres. Ob Schlange oder Echse, ist nicht auszumachen. Meine Neugierde, dies festzustellen, lässt sich In dem Buch steht alles Mögliche drin über Schlangen, um einen zu verängstigen. heit ferngeblieben. Es gibt hier sehr giftige Spinnen, aber solange man sie in Ruhe lässt, ist man sicher vor ihnen. Die Giftigsten können mit ihren Fängen unsere Haut gar nicht durchdringen. Die berühmte «Redback» schafft das, wenn sie etwas älter ist, doch draussen im Busch habe ich keine gesehen. Und Schlangen? Sorry, keine spannenden Schlangenstories. Nur eine ist mir begegnet, eine kleine Dugite (sehr giftig) liegt gleich am ersten Tag meiner Wanderung direkt vor mir. Keinen Wank macht die kecke kleine Schlange, die mitten auf dem Weg liegt und einen dürren Ast mimt. Glücklicherweise sehe ich unter den gegebenen Umständen problemlos zügeln. Ein Wanderstock hilft mir, bei unübersichtlichen Stellen auf den Boden zu schlagen, um mein Nahen mitzuteilen. Ich habe mir ein Buch über alle Schlangen Westaustraliens in der Bibliothek von Perth zu Gemüte geführt. Da steht alles Wichtige drin, um einen zu verängstigen. Es gibt hier eine Unmenge an giftigen Schlangen. Zu lesen ist aber auch, wie bei einem Schlangenbiss vorzugehen ist. Heute bandagiert man die betroffene Gliedmasse vom Biss aus in beide Richtungen und stellt sie möglichst ruhig. So kann man versuchen, zum nächsten Highway zu gelangen, ehe das Gift sich im ganzen Kör- westaustralien per verteilt und seine volle Wirkung entfaltet. Daher ist vor allem für Solowanderer unerlässlich, alle Vorkehrungen zu treffen, damit es nie so weit kommt. So springe ich nie von den erhöhten Schlafböden auf den erdigen Grund der Hütten, ohne vorher nachzusehen, ob sich etwas darauf befindet. Dass man seine Kleider, Schuhe und den Schlafsack nicht auf dem Boden, dem Lebensraum der Schlangen und Skorpione, liegen lässt, ist klar. Gute Schuhe, lange, dicke Hosen und Gamaschen haben schon manchen Schlangenzahn erfolgreich abgewehrt. Vor allem wenn man über gefallene Baumstämme steigt, sollte man sich vergewissern, dass dahinter keine Schlange ruht, die sich durch einen plötzlich nahenden Schuh bedroht fühlt. Schlangen gehören in Australien dazu, verhält man sich aber vernünft ig und liest ein paar aufk lärende Bücher darüber, kann das Risiko eines Unfalls auf ein Minimum reduziert werden, und sie stellen eine Bereicherung dar. In keiner Jahreszeit wird man weniger Schlangen in Westaustralien antreffen als im Februar, im Sommer. Sie sind dann in der Nacht unterwegs und bei Tag bereits weg, bevor man überhaupt in ihre Nähe kommt. Es ist ihnen schlicht zu heiss. Dennoch sehe ich auf dem Hüttenboden oft die eine oder andere Spur von ihnen. Ich mache es mir zur Gewohnheit, jeweils am Abend, den staubigen Boden flach zu wischen, um am Morgen all die Spuren der nächtlichen Besucher zu bestaunen. Manchmal bekomme ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich verschlafen auf die vielen neuen Spuren blicke. Da unten muss in der Nacht jeweils Reptilienrushhour herrschen. In den Hüttenbucheinträgen kommen Schlangenbegegnungen öfters vor, von einem ernsten Zwischenfall lese ich indes nie. beängstigendes Schauspiel, zumal die Windböen so heftig sind, dass ausser dem Rauschen der Blätter nichts mehr zu vernehmen ist. Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei. Die Stille der kommenden Nacht umhüllt mich. Dann ruft der Kookaburra mit seinem Lachgesang die ersten Sterne herbei. Der Moment ist so magisch, dass ich Gänsehaut bekomme. Majestätisch wandert das Kreuz des Südens über das Firmament, während sich die Erde dreht. Wie auf einem kleinen Schiff treibe ich in diesem zeitlosen Wäldermeer und staune über die Sternschnuppen, die mein Blick durch die Baumwipfel erhascht. Weit weg von jeglicher Lichtverschmutzung betrachte ich all die Sternbilder. Später in der Nacht steigt der Mond als grosse Kugel zwischen den Bäumen auf und erhellt den Wald. Die Sterne verlieren an Leuchtkraft, und Stunden später lässt sie die Morgendämmerung langsam verblassen. Nur die Venus steht im grössten Glanz und bleibt als heller Punkt noch lange sichtbar. Sind es diese Eindrücke und Erlebnisse, die ich in unserer technologisierten Welt vermisse? Eins zu sein mit dem Rhythmus unserer Erde? Um diesen Gedanken nachzugehen, trieb es mich hinaus. Aber auch, um räumliche Distanzen zu bewältigen, etwas, das mich schon immer faszinierte. Meine Hoffnung, auf dem Weg und in den Hütten, auf andere Wanderer zu treffen, schwand mit jedem zurückgelegten Kilometer. Obwohl ich das Erlebnis gerne mit jemandem geteilt hätte, fühlte ich mich nie wirklich einsam, eher als Entdecker, der alleine eine wundersame Reise tut. Dies trug dazu bei, dass die Wanderung speziell und einzigartig war. Jederzeit würde ich mich sofort wieder auf den Weg machen und weiter auf dem Bibbulmun Track dem [email protected] chen nach Süden folgen. rit of Australia». Ich treffe ihn da draussen an, inmitten dieser grossartigen Natur. Er tritt langsam ins Herz all jener ein, die zuhören, hinschauen und sich die Zeit nehmen, die Grösse und Vielfalt des Landes an sich heranzulassen. Er ist die treibende Kraft des roten Kontinents. Allabendlich, kurz nach Sonnenuntergang, beginnt ein erhabenes Schauspiel. Wenn sich die Sonne hinter dem Horizont zur Ruhe legt, kommt plötzlich ein starker thermischer Wind auf. Er streicht mit grosser Kraft durch die Eukalyptusbäume und erzeugt ein immer lauter werdendes Orchester aneinanderreibender Blätter und Äste, die sich in den starken Böen heftig hin und her wiegen. Es scheint, als ob der Geist der Eukalyptuswälder den Staub des heissen Tages aus den Haaren seiner Kinder schüttelt und diese kurz umarmt, bevor sie sich schlafen legen. Die Nacht wird ihnen die ersehnte Abkühlung bringen, während die funkelnden Sterne am Himmel über sie wachen. Ein tief beeindruckendes, teilweise Die meisten Bilder dieser Reportage stammen vom Fotografen Hanspeter Kaempf. Er arbeitete über 20 Jahre lang als Banker in der Schweiz, bevor er 2003 mit seiner Frau nach Australien auswanderte und seine Passion für Naturfotografie zum Beruf machte. Hanspeter Kaempf ist die gesamte Strecke des Bibbulmun Tracks von Albany nach Perth gewandert und hat viele weitere Bushwalks in Australien und Neuseeland gemacht. www.ozkaempf.com © Globetrotter Club, Bern The Spirit of Australia. Es gibt ihn, den «Spi- 81 Weitere exklusive Reise­reportagen lesen? Für 30 Franken pro Kalenderjahr liegt das Globetrotter-Magazin alle 3 Monate im Briefkasten. Mit spannenden Reise­ geschichten, Interviews, Essays, News, Tipps, Infos und einer Vielzahl von Privatannoncen (z.B. Reisepartnersuche, Auslandjobs etc.). Dazu gibts gratis die Globetrotter-Card mit attraktiven Rabatten aus der Welt des Reisens. 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