13. Substanzstörungen

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V
Vorlesung
Klinische Psychologie und
Psychotherapie I
Wintersemester 2016-2017
Dr. Silke Behrendt
V
Vorlesung
Klinische Psychologie und
Psychotherapie I
Substanzstörungen
Rückblick
Zusammenfassung & Klausurvorbereitung
3
Das Programm & Die Lernziele
Datum
Inhalt der Veranstaltung
10.10.2016
Was ist Klinische Psychologie? – Einführung und Überblick über Konzepte, Modelle und Methoden
17.10.2016
Was sind psychische Störungen? Vom Symptom über das Syndrom zur Diagnose – Modelle und Methoden
24.10.2016
Epidemiologische Grundlagen
07.11.2016
Lerntheoretische Grundlagen und Störungslehre
14.11.2016
Biopsychologische Grundlagen
21.11.2016
Familiengenetische und entwicklungspsychologische Grundlagen
28.11.2016
Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell als ätiologisches Modelle psychischer Störungen
05.12.2016
Was sind klinisch-psychologische Interventionsmethoden – Ein Überblick und eine Taxonomie
12.12.2016
Was sind klinisch-psychologische Interventionsmethoden - Was ist Kognitive-Verhaltenstherapie?
19.12.2016
Depressive Störungen: Nosologie, Ursachen und Behandlung
09.01.2017
Angststörungen: Nosologie, Ursachen und Behandlung
16.01.2017
Zusammenfassung/ Klausurvorbereitung
23.01.2017
Substanzstörungen: Nosologie, Ursachen und Behandlung
30.01.2017
Klausur
Ziel 5: Kenntnisse zu häufigen psychischen Störungen
4
Lernziele für heute
1. Einführung: Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
2. Diagnostik von Substanzstörungen
3. Epidemiologie der Substanzstörungen
4. Ätiologie der Substanzstörungen
5. Interventionen
-> Lehrbuch: Kapitel 33 (34-36)
5
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Bühringer & Behrendt, 2011,S. 698c
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Historische Perspektive
•
Der Konsum psychotroper Substanzen ist so alt wie die Menschheit
•
Konsum ist nicht gleichzusetzen mit dem Vorliegen einer Störung!
•
Die gesellschaftliche Bewertung des Konsums ist abhängig von den
(historischen) Umständen und der Kultur
•
Historische Erklärungen für Substanzstörungen: z.B. Gottesstrafe, Besessenheit
•
Moralische Modelle
•
Medizinisches Modell: Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts
•
-> Bio-Psycho-Soziales Modell
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Politik als Einflussfaktor
•
Politisches Handeln beeinflusst den Umgang mit psychotropen Substanzen
•
….aufgrund von gesellschaftlichen Wertvorstellungen
•
….aufgrund des Gefahrenpotentials (z.B. Teilnahme am Straßenverkehr unter
Einfluss)
•
….aufgrund der Einkommensmöglichkeiten (Steuer!)
•
-> sehr verschiedener Umgang mit verschiedenen Substanzen in verschiedenen
Regionen der Welt und zu verschiedenen Zeitpunkten
•
Z.B. Cannabis in den Niederlanden und der BRD, Todesstrafe oder
Therapieverordnung wg. Heroin, Tabak historisch in Europa zeitweise illegal
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
„Stoffgebunden“
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
…
Alkohol
Nikotin
Cannabis
Amphetamine
Halluzinogene
Sedativa, Hypnotika, Anxiolytika
Inhalanzien
Koffein
Kokain
Opiate
Phencyclidin (PCP)
„Nicht-stoffgebunden“
•
•
•
•
•
Pathologisches Spielen
„Kaufsucht“
„Arbeitssucht“
„Internet/PC-Sucht“
…
Unterschiede in assoziierten Verhaltensweisen, der Entwicklung und Ausprägung
einer jeweiligen Störung, assoziierten Befunden zur Epidemiologie und
Behandlungsprognose
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Nach der Wirkung:
sedierend
Opiate
Diazepam
Ketamin
GHB
(hohe Dosis)
GHB
(niedrige Dosis)
Alkohol
PCP
THC
Koffein
Nikotin
stimulierend
halluzinogen
Methamphetamine
LSD
Psilocybin
Meskalin
Amphetamine
Ecstasy
Kokain
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Störungs- vs. Substanzspezifische Betrachtung ?
Allen psychotropen Substanzen ist gemeinsam, dass bei einem Teil der
Erstkonsumenten der Substanzkonsum zu positiven Auswirkungen
kommt
• Auf der somatischen Ebene (Wachheit, Beruhigung,
Schmerzlinderung)
• Auf der psychischen Ebene (Angstabbau, Euphorie)
• Auf der sozialen Ebene (Akzeptanz bei Dritten)
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Störungs- vs. Substanzspezifische Betrachtung ?
Allen psychotropen Substanzen ist gemeinsam, dass bei einem Teil der
Erstkonsumenten die pharmakologischen oder sozialen Auswirkungen
dazu führen, dass:
1. es zu einer Steigerung von Konsumfrequenz und –menge kommt.
2. der Konsum bei ersten negativen Auswirkungen nicht angepasst wird.
3. die Konsumenten langfristig ihre Kontrolle über das Konsumverhalten
(Zeitpunkt, Ort, Dauer, Menge) verlieren.
4. schwere somatische, psychische und/ oder soziale Störungen auftreten.
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Zentrale Merkmale von Substanzstörungen
 Psychische Abhängigkeit (Craving, Kontrollverlust)
 Körperliche Abhängigkeit (Entzug, Toleranz)
 Folgestörungen (akute, chronische Erkrankungen; psychische
Erkrankungen)
 Soziale Probleme
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen
(nach DSM-IV)
 Störungen durch Substanzkonsum:
 Missbrauch
 Abhängigkeit

Substanzinduzierte Störungen:
 Intoxikation
 Entzug
 Delir
 Psychose
 …
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
 Diagnostische
Kriterien für
Missbrauch und
Abhängigkeit
sind jeweils fast
gleich,
 werden aber
immer in
Relation zu
einer
spezifischen
Substanz
betrachtet
Bühringer & Behrendt, 2011,S. 698
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Klassifikation – Substanzmissbrauch (DSM-IV)
• im Vordergrund stehen wiederholt auftretende negative Konsequenzen
des Konsums
• Innerhalb eines 12- Monats-Zeitraums treten wiederholt Probleme in
mindestens einem von 4 Bereichen auf:
1. soziale bzw. interaktionale Probleme,
2. Konsum in Situationen, in denen es zu körperlicher Gefahrdung
kommen kann,
3. Probleme mit Polizei und Justiz ,
4. Probleme mit der Erfüllung von sozialen Rollen und Verpflichtungen.
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Klassifikation – Substanzabhängigkeit (DSM-IV)
• Innerhalb eines 12- Monats-Zeitraums müssen mindestens 3 von insgesamt
7 diagnostischen Kriterien erfüllt sein
DSM-IV
Abhängigkeit
3 oder mehr der folgenden Kriterien innerhalb eines 12-MonatsZeitraums:
•
•
•
•
Toleranzentwicklung
Entzugssymptome
Gebrauch in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt
Anhaltender Wunsch / erfolglose Versuche, den Gebrauch zu
vermindern
• Viel Zeit für Beschaffung, Gebrauch und Erholung von den
Wirkungen
• Einschränkung wichtiger sozialer, beruflicher oder
Freizeitaktivitäten
• Fortgesetzter Gebrauch trotz Kenntnis der persönlichen
Schädigung
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Klassifikation (ICD-10)
DSM-IV
ICD-10
Missbrauch
Schädlicher Gebrauch
• Wiederholter Gebrauch, der zu einem
• Nachweis, dass Substanzgebrauch
Versagen bei der Erfüllung wichtiger
Pflichten führt
• Wiederholter Gebrauch in Situationen, in
denen es zu einer körperlichen
Gefährdung kommen kann
• Wiederkehrende Probleme mit dem
Gesetz in Zusammenhang mit dem
Gebrauch
• Fortgesetzter Gebrauch trotz
persistierender oder wiederholter
sozialer Probleme
verantwortlich ist für die körperlichen
oder psychischen Schäden
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Klassifikation (ICD-10)
DSM-IV
ICD-10
Abhängigkeit
Abhängigkeitssyndrom
3 oder mehr der folgenden Kriterien innerhalb
eines 12-Monats-Zeitraums:
3 oder mehr der folgenden Kriterien innerhalb
eines 12-Monats-Zeitraums:
• Toleranzentwicklung
• Starker Wunsch / Zwang zu konsumieren
• Entzugssymptome
• Verminderte Kontrollfähigkeit
• Gebrauch in größeren Mengen oder länger • Körperliches Entzugssyndrom
als beabsichtigt
• Nachweis einer Toleranz
• Anhaltender Wunsch / erfolglose Versuche, • Vernachlässigung anderer Vergnügungen
den Gebrauch zu vermindern
• Viel Zeit für Beschaffung, Gebrauch und
Erholung von den Wirkungen
• Einschränkung wichtiger sozialer,
beruflicher oder Freizeitaktivitäten
• Fortgesetzter Gebrauch trotz Kenntnis der
persönlichen Schädigung
oder Interessen zugunsten des Konsums
• Konsum trotz schädlicher Folgen
1) Psychotrope Substanzen und Substanzstörungen
Klassifikation (DSM-5)
DSM-V
Substanzkonsumstörung
2 oder mehr der folgenden 11 Kriterien
innerhalb eines 12-Monats-Zeitraums:
• Toleranzentwicklung
• Entzugssymptome
• Gebrauch in größeren Mengen oder länger
• Starker Wunsch / Zwang zu konsumieren
• Wiederholter Gebrauch, der zu einem
• Anhaltender Wunsch / erfolglose Versuche,
• Wiederholter Gebrauch in Situationen, in
als beabsichtigt
den Gebrauch zu vermindern
• Viel Zeit für Beschaffung, Gebrauch und
Erholung von den Wirkungen
• Einschränkung wichtiger sozialer, beruflicher
oder Freizeitaktivitäten
• Fortgesetzter Gebrauch trotz Kenntnis der
persönlichen Schädigung
Versagen bei der Erfüllung wichtiger
Pflichten führt
der es zu einer körperlichen Gefährdung
kommen kann
• Fortgesetzter Gebrauch trotz
persistierender oder wiederholter sozialer
Probleme
2) Diagnostik
In der Diagnostik von Substanzstörungen gibt es spezifische
Herausforderungen!
•
•
•
•
•
Geringe Eigenmotivation
Soziale Erwünschtheit
Angst vor Strafverfolgung
Bagatellisierung, fehlende Problemeinsicht
Unterbericht des Konsums
Wie kann man damit umgehen?
•
•
•
•
Verschiedene Quellen nutzen
Aussagen Dritter einbeziehen
Aktenlage beachten
Biomarker hinzuziehen (Alkohol- und Drogentests)
2) Diagnostik
Welche Diagnostischen Instrumente stehen zur Verfügung (Bsp.)?

•
•
•
•
Erhebung von Konsummustern
Tagebuch
Timeline-Follow-Back
Form 90
Teilweise in anderen Instrumenten enthalten
(CIDI, ASI)

•
•
•
Klassifikatorische Diagnostik
CIDI
SKID
DIPS

•
•
•
•
Erhebung des Schweregrads
AUDIT/ DUDIT
MATE
PREDI
ASI

•
•
•
Und etliche substanzspezifische Fragebögen (Bsp.)
Trierer Alkoholismus Inventar
Fagerström Test for Nicotine Dependence
Marijuana Craving Questionnaire
3) Epidemiologie und Spontanverlauf
In Kürze
• Substanzstörungen sind häufige psychischen Störungen
• Substanzstörungen sind hoch komorbid
• Substanzkonsum und -störungen verursachen
… hohe gesellschaftliche Kosten
… ernste Gesundheitsprobleme
… Mortalität
… Einschränkungen/Behinderungen
3) Epidemiologie und Spontanverlauf
Häufigkeit von Substanzstörungen
Jacobi et al. (2014)
3) Epidemiologie und Spontanverlauf
Häufigkeit von Substanzstörungen
12-Monatsprävalenzen in der Allgemeinbevölkerung
• Alkoholstörungen: Jeweils 3% DSM-IV Missbrauch und
Abhängigkeit (Männer > Frauen)
• Cannabisstörungen: Jeweils 0.5% DSM-IV Missbrauch und
Abhängigkeit (Männer > Frauen)
• Nikotinabhängigkeit: 11.0%
• Sedativa: 0.8% (Missbrauch), 1.4% (Abhängigkeit)
Pabst et al., 2013; Epidemiologischer Suchtsurvey, 2012
3) Epidemiologie und Spontanverlauf
Hochrisikophasen für die Inzidenz von Substanzstörungen liegen im 2. und 3. Lebensjahrzehnt
0.25
0.2
Alkoholmissbrauch (N= 735)
Proportion
Cannabismissbrauch (N=303)
0.15
0.1
0.05
0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34
Alter
EDSP, Behrendt et al., 2009
3) Epidemiologie und Spontanverlauf
Hochrisikophasen für die Inzidenz von Substanzstörungen liegen im 2. und 3. Lebensjahrzehnt
0.4
0.35
0.3
Proportion
0.25
Alkoholabhängigkeit (N= 320)
Nikotinabhängigkeit (N= 838)
Cannabisabhängigkeit (N= 102)
0.2
0.15
0.1
0.05
0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
Alter
EDSP, Behrendt et al., 2009
3) Epidemiologie und Spontanverlauf
Jungen/Männer
Mädchen/Frauen
 Females > Males (HR= 2.3*)
 Females > Males (HR= 1.7*)
 Females < Males (HR= 0.3*)
0.6
0.6
Cumulative incidence
(proportion)
Cumulative incidence
(proportion)
any anxiety disorder
any depressive disorder
any substance abuse/dependence (no nic.)
0.5
0.4
0.3
0.2
0.1
0
0 2 4 6 8 10121416182022242628303234
Age in years
HR*: significant Hazard Ratio from Cox-Regressions (p<.001)
0.5
0.4
0.3
0.2
0.1
0
0 2 4 6 8 10121416182022242628303234
Age in years
EDSP, 2008
3) Epidemiologie und Spontanverlauf
Verlauf
• Früher hielt man Substanzstörungen für sehr stabil bzw. unausweichlich progredient
• Woran könnte das gelegen haben?
Alkoholabhängigkeit:
Letzte 12 Monate
Medikamentenabhängigkeit:
Letzte 12 Monate
13%
34%
Behandlung
Keine Behandlung
87%
66%
Behandlung
Keine Behandlung
 Viele kommen spät oder gar nicht in Behandlung – das prägt(e) das Störungsbild!
(Mack et al., 2014, Hasin et al., 2007)
3) Epidemiologie und Spontanverlauf
Verlauf
• Früher hielt man Substanzstörungen für sehr
stabil bzw. unausweichlich progredient
• Epidemiologische Daten zeigen ein Bild
variabler Verläufe mit Stabilität, Remission und
Rückfall
Alkoholabhängige Erwachsene (USA):
Letzte 12 Monate
Abhängig
18%
• Regelmäßiger Konsum ist relativ stabil
• Abstinenz ist sehr stabil
• Missbrauch und Abhängigkeit: Variabler
Verlauf, stabiler für Abhängigkeit
• Fast alle Fälle mit Substanzabhängigkeit
remittieren irgendwann – aber: große
Latenzen (Lopez-Quintero et al., 2011)
25%
Teilremission
Problemkonsum/
symptomfrei
18%
12%
27%
Risikoarmer
Konsum
Abstinent
Dawson et al., 2005
3) Epidemiologie und Spontanverlauf
Komorbidität
• Substanzstörungen sind hoch
komorbid
• Vor allem mit anderen
Substanzstörungen
• Aber auch mit Angst-, affektiven und
somatoformen Störungen
3) Epidemiologie und Spontanverlauf
Komorbidität
• Substanzstörungen sind hoch komorbid
• Vorallem mit anderen Substanzstörungen
• Aber auch mit Angst-, affektiven und
somatoformen Störungen
Hasin et al., 2007
4) Ätiologie von Substanzstörungen
Modelle der Entstehung von Substanzstörungen
Vulnerabilitäts-Stress-Modell
• Modelle zu Teilaspekten des Vulnerabilitäts-Stress-Modells
• Lerntheoretische Modelle
• Neuropsychologische Modelle
• Familiengenetische Modelle
• (Identifikation von Risikofaktoren in der Epidemiologie)
4) Ätiologie von Substanzstörungen
Modelle der Entstehung von Substanzstörungen
Das Bio-Psycho-Soziale Modell
4) Ätiologie von Substanzstörungen
Modelle der Entstehung von Substanzstörungen
Die Selbstmedikationshypothese
• Zentrale Annahme: Substanzen werden konsumiert, um die Symptome
psychischer Störungen zu lindern
• Befunde zur Risikoerhöhung bei z.B. Sozialer Phobie scheinen dies zu
unterstützen
• Aber: Psychische Störungen bilden nur einen Teil der Risikofaktoren für
Substanzstörungen ab (Farmer et al., 2015)
• Und: Oft nicht-signifikante Assoziationen zwischen Angst- und
affektiven Störungen und Substanzstörungen (z.B. für Major
Depression)
4) Ätiologie von Substanzstörungen
Modelle der Entstehung von Substanzstörungen
Gemeinsame Vulnerabilität für externalisierende Störungen
• Zentrale Annahme: Substanzstörungen werden begünstigt durch eine
Vulnerabilität für externalisierendes (unkontrolliertes, impulsives)
Verhalten. Diese Vulnerabilität ist erblich und somit familiär gehäuft.
• Studien zeigen eine relativ störungsunspezifische familiäre Aggregation
dieser Störungen (Hicks et al., 2004, Marmorstein et al., 2009)
• Aber gilt das für alle Substanzstörungen? Bsp.
Benzodiazepinabhängigkeit bei älteren Frauen
4) Ätiologie von Substanzstörungen
Modelle der Entstehung von Substanzstörungen
Gateway-Hypothese
• Eigentlich ein Modell zum Konsum illegaler Drogen wie Heroin
• Zentrale Annahme: Substanzkonsum folgt verschiedenen Stufen
(Alkohol/Nikotin -> Cannabis -> Andere illegale Drogen)
Einwände:
• Reihenfolge des Konsumbeginns für verschiedene Substanzen nicht
immer repliziert (Bsp. Verarmte innerstädtische Populationen in den
USA)
• Das Modell lässt offen, warum nicht alle Cannabiskonsumenten später
einmal andere Drogen nehmen
• Evtl. sind andere Faktoren bedeutsamer, z.B. die Frequenz des
Cannabiskonsums (Fergusson et al., 2006)
4) Ätiologie von Substanzstörungen
Modelle der Entstehung von Substanzstörungen
Lerntheoretische Modelle
• Wichtig zum Verständnis des scheinbar paradoxen Verhaltens bei
Substanzstörungen!
• Klassisches Konditionieren: NS werden zu CS -> können Suchtdruck auslösen
(Konzept der Cue-Reactivity)
• Operantes Konditionieren: Positive Verstärkung (Rausch), Negative
Verstärkung (Beendigung des Entzugs)
• Hypothese der Überlegenheit von Substanzen als Verstärker: Schnell
verfügbar und sofort belohnend (Vergleiche: Gespräch mit Freunden,
Musikinstrument spielen)
• Modelllernen
4) Ätiologie von Substanzstörungen
Modelle der Entstehung von Substanzstörungen
Neurobiologische Modelle
• Toleranz
• Entzugssyndrom
• Endorphinmangelhypothese (Alkohol): Genetischer oder
erworbener Defekt in Transmittersystemen führt zu mangelnder
Aktivierung des Belohnungssystems im Gehirn -> Konsum
5) Intervention
Das Versorgungssystem
Das Suchthilfesystem
• Finanziert von Kommunen und der Rentenversicherung
• Suchtberatungsstellen und Fachkliniken
Weitere Einrichtungen
• Allgemeinkrankenhäuser und Psychiatrien
• Psychotherapeutische Praxen
• Substitution in Arztpraxen und Substitutionszentren
• Selbsthilfegruppen
41
5) Intervention
Ziele
Therapieziele in der Behandlung von Substanzstörungen:
• Abstinenz
• Kontrollierter Konsum
• Punktabstinenz
• Reduktion
• Risikoarmer Konsum
• Harm Reduction
• Stabile Substitution
Aber: Nicht alle Ziele sind im Versorgungssystem für alle
Diagnosen vorgesehen!
42
5) Intervention
Struktur der Behandlung von Substanzstörungen
1a. Entzug: Dauer mehrere Tage je nach Schweregrad (Alkohol 7-13 Tage),
Allgemeinkrankenhaus oder Psychiatrie; niedergelassene Ärzte,
Suchtfachambulanzen)
1b. Alternativ: Qualifizierter Entzug: Mit psychosozialer Unterstützung
(Entspannung und Ablenkung, Gruppentherapie, Psychoedukation). Ziel:
Motivation zu weiterer Behandlung) (14 - 21 Tage)
2. Entwöhnung: Aufbau Abstinenzmotivation, Rückfallprävention, soziale
Stabilisierung, Aufbau von Bewältigungsfertigkeiten (2-6 Monate; Fachklinik,
Psychiatriestationen, ambulante Suchtberatung oder Psychotherapie)
3. Ambulante Nachsorge: Psychotherapie, Suchtberatung (2-6 Monate),
Selbsthilfegruppe
5) Intervention
Inhalte der Behandlung von Substanzstörungen (Übersicht)
• Diagnostik
• Motivierung (zu allen Zeitpunkten möglich)
• Informationsvermittlung (sogen. Psychoedukation)
• Identifikation von Risikosituationen und Funktionalität
• Rückfallprophylaxe
• Kognitive Verfahren (z.B. zu Konsum-bezogenen Grundannahmen)
5) Intervention
Motivation
Ein zentrales Problem bei der Behandlung aller Substanzstörungen ist die oft geringe
Motivation bzw. die Ambivalenz der Patienten zur therapeutisch angestrebten
Veränderung. Häufig: Externe Motivation (Gericht, Arbeitgeber, Partner).
• Gründe für Ambivalenz oder geringe Motivation: Funktionalität des Konsums, Scham
• Veraltete Vorgehensweise: Konfrontation (führt zu Abbrüchen und therapeutischem
Misserfolg)
• Heute sind motivierende Interventionen zentraler Bestandteil der Therapie für
Substanzstörungen!
• Motivational Interviewing (MI) als Methode der Gesprächsführung
• Ziel des MI: Evokation der Motivation
• Prinzipien des MI: Diskrepanz herausarbeiten, Selbstwirksamkeit stärken, Widerstand
geschmeidig begegnen, Respekt der Autonomie und Empathie
5) Intervention
Interventionen zur Rückfallprophylaxe (Bsp.)
• Rational: Rückfallgefahr ist bei Substanzstörungen immer gegeben
• Oft geschehen mehrere Rückfälle vor dem Erreichen einer dauerhaften Abstinenz
Interventionen:
• Ablehnungstraining
• Bewältigungstonband
• Exposition
• Notfallplan
Zusammenfassung
• Der Konsum psychotroper Substanzen ist so alt wie die Menschheit. Seine
Bewertung ist sehr abhängig von Kultur und Politik. Man kann
Substanzstörungen nach der beteiligten Substanz oder der Störung
unterscheiden.
• Wichtige Diagnosen sind Substanzmissbrauch und –abhängigkeit (DSM) und
schädlicher Konsum bzw. Abhängigkeit (ICD).
• Substanzstörungen sind häufige, oft komorbide Störungen. Sie beginnen oft
früh im Leben (2. Jahrzehnt). Sie sind aber entgegen älterer Annahmen nicht
zwingend stabil.
• In der Diagnostik und Therapie von Substanzstörung muss mit ambivalenter
Motivation gerechnet werden. In der Diagnostik sollten daher verschiedene
Informationsquellen berücksichtigt werden. In der Therapie wird mit MI als
Methode der Gesprächsführung gearbeitet.
Prüfungsfragen
(für die Klausur im SS2017, nicht für den 30.01.)
• Welche Substanzstörungen nach DSM-IV und ICD-10 kennen Sie?
• Was ist eine psychotrope Substanz?
• Welche Probleme gibt es häufig bei der Diagnostik von Substanzstörungen?
• Wie begegnet man ihnen?
• Welche diagnostische Instrument ist zur klassifikatorischen Diagnostik von
Substanzstörungen geeignet?
• Nennen Sie ein ätiologisches Modell für Substanzstörungen!
• Welche Interventionen für die Rückfallprophylaxe bei Substanzstörungen
kennen Sie?
Literatur
• Bühringer G. & Behrendt, S. (2011). Störungen durch Substanzkonsum –
Eine Einführung. In: Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2011). Klinische
Psychologie und Psychotherapie (S. 879 -914). Heidelberg: Springer
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