Schwerpunkt Erneuerbare Energien – von Herausforderungen und Erfolgsgeschichten Von Till Bachmann, Karlsruhe V or der Entdeckung fossiler Brennstoffe standen dem Menschen neben seiner Arbeitskraft nur Sonne, Wind, Wasser und Biomasse als Energieformen zur Verfügung. Die in den letzten Jahren erfolgte Rückbesinnung auf diese erneuerbaren Energieformen ist allerdings kein Selbstzweck. Der wahrscheinlich entscheidende Grund1 zur verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien ist die Vermeidung eines noch stärkeren Klimawandels, dessen Bedeutung im Stern Review (2006) wie folgt beschrieben wurde: “Climate change presents a unique challenge for economics: it is the greatest and widest-ranging market failure ever seen” (S. 1). Das Marktversagen ruft Schäden an der Umwelt hervor, von deren Nutzung niemand ohne weiteres ausgeschlossen werden kann. Daher ist es eine Aufgabe der Allgemeinheit, sprich der Politik, deren Nutzung zu regeln. Das Problembewusstsein für den Klimawandel ist in der Öffentlichkeit seit dem Stern Review und dem kurz darauf veröffentlichten vierten Sachstandsbericht des IPCC im Jahre 2007 merklich gestiegen. Politische Bestrebungen zielen zum einen auf die Anpassung an die Folgen des unvermeidlichen Klimawandels (engl. adaptation, vgl. z.B. KomPass) und zum anderen auf die Vermeidung einer Steigerung des Klimawandels durch Reduzierung der emittierten Treibhausgase (THG; engl. mitigation). Dies resultierte in Europa in einer Reihe von politischen Maßnahmen, wie sie von Isabel Junker und Andreas Schellenberger in ihrem Artikel beschrieben werden. Dabei ist vor allem das 20-20-20-Ziel 1 Ein weiterer wichtiger Aspekt, die Unabhängigkeit von Importen insbesondere aus Krisenregionen oder teils unsicheren Quellen (Stichwort: Gas aus Russland) kommt kurz im Artikel von Florian Castagno zur Sprache. 8 bis 2020 auf EU-Ebene zu nennen, das über die erste Verpflichtungsperiode des KyotoProtokolls hinausgeht.2 Alle drei Zielgrößen verfolgen vor allem das eine Ziel: Reduzierung der THG-Emissionen. Zwei der drei Zielgrößen geben dabei oder gleichzeitig explizit den Weg vor, wie dies zu erreichen ist: Energieeffizienzsteigerung und ein erhöhter Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch. Der Schwerpunkt dieser FORUM-Ausgabe widmet sich dem letztgenannten Ziel: den erneuerbaren Energien. Der Beitrag von Hans Christian Soerensen stellt die Energiebereitstellung aus Wellenkraft vor. Sie ist nicht nur absolut, sondern auch innerhalb der erneuerbaren Energien ein noch gering entwickelter Bereich, allerdings mit hohem Potenzial. Auch der Photovoltaik wird – vor allem global – ein erhebliches Wachstum prognostiziert, wie Christian Brennig und Richard Harnisch berichten. Die Wettbewerbsfähigkeit ohne staatliches Zutun (sog. Netzparität) wird bereits in nicht allzu ferner Zukunft erwartet. Gunter Siddiqi und Rudolf Minder beschreiben die verschiedenen Formen der GeothermieNutzung, ihre enormen Potenziale sowie ihre Umweltauswirkungen. Sie gehen auch auf die öffentliche Wahrnehmung der mit den Bohrungen verbundenen Erdbebenrisiken ein, die das Baseler Projekt seit Anfang 2007 zum Stillstand zwingt. In dem Artikel von Florian Castagno geht es um die Herausforderungen der Biomassenutzung in Europa. Der Autor geht auch kurz auf die Problematik der zuverlässigen 2 Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass das Montreal-Protokoll über Ozonschild-abbauende Substanzen von 1987 einen größeren Effekt zur Bekämpfung des anthropogenen Treibhauseffektes hatte als die Umsetzung des Kyoto-Protokolls bis 2012 (Velders et al. 2007). Umso wichtiger, ein über 2012 hinausgehendes weltweites Bündel an Klimaschutzmaßnahmen zu vereinbaren. FORUM GEOÖKOL. 20 (1), 2009 Schwerpunkt Potenzialabschätzung ein, bei der zwingend zwischen natürlichem, technischem, wirtschaftlichem und politisch möglichem Potenzial unterschieden werden muss.1 Diese Unterscheidung bleibt häufig bei den in den Medien und von den Politikern genannten Zahlen unklar. Als weitere wichtige Herausforderungen werden die Zielkonflikte bei der Nutzung von Rohstoffen (etwa Holz) oder der Landnutzung sowie die Emissionsproblematik hinsichtlich Feinstaubs genannt. Im Zeitalter der Umweltzonen will man schließlich nicht uneingeschränkt die CO2-Neutralität gegen eine erhöhte Feinstaubbelastung in den Städten eintauschen, wie es beispielsweise bei einer verstärkten dezentralen Energieversorgung durch feste Biomasse aktuell der Fall wäre. Neben der isolierten Betrachtung der Energie-„Gewinnung“ aus erneuerbaren Quellen wird eine ausschließlich auf erneuerbaren Energien basierende Versorgung etwa einer ganzen Stadt oder gar einer Region als Herausforderung für die Zukunft angesehen. Andreas Schellenberger und Isabel Junker stellen ein derartiges städtebauliches Projekt, Masdar City, hinsichtlich des visionären Konzepts aber eben auch seiner Einschränkungen vor. Wie die Auswahl der Themen zeigt, erhebt der vorliegende Schwerpunkt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zum Beispiel bleiben die Windkraft, die konventionelle Wasserkraft und solarthermische Kraftwerke unberücksichtigt.2 Auch bleibt der Aspekt der zeitlichen Verfügbarkeit von Sonnen- und Windkraft außen vor. Diesbezüglich gibt es aktuell erhebliche Anstrengungen, geeignete Lösungen für die Energiespeicherung etwa in Form von Wasserstoff, Pressluft oder durch Zwischenspeicherung 1 www.bgs.ac.uk/Planning4Minerals/ Resources_4.htm 2 Beachte den früheren FORUM-Schwerpunkt zu Offshore-Windkraft (2/2006) und May (2007). FORUM GEOÖKOL. 20 (1), 2009 in Akkumulatoren von Elektroautos zu finden (vgl. Sørensen 2008). Auch wenn der vorliegende Schwerpunkt sich mit den erneuerbaren Energien beschäftigt, die insbesondere die Bereiche Energie und Verkehr betreffen, darf nicht übersehen werden, dass auch die Landwirtschaft – vor allem bezüglich der Haltung von Wiederkäuern, der Düngung und des Reisanbaus – in der Pflicht ist, zum Klimaschutz beizutragen. Änderungen in all diesen Sektoren erscheinen erforderlich, um den Klimawandel nicht weiter zu verstärken. Ein Zitat aus dem 1995 erschienenen Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) formuliert dies treffend: • Velders, G.J.M. et al. (2007): The importance of the Montreal Protocol in protecting climate. Proceedings of the National Academy of Sciences 104 (12): 4814-4819. Weitere Informationen • Das von der Europäischen Kommission geförderte NEEDS Projekt, das sich im Rahmen seines Teilprojektes (Research Stream) 1a mit der zukünftigen Entwicklung einzelner Energiewandlungstechniken und deren Umweltverträglichkeit beschäftigt hat: www.needs-project.org • KomPass: Kompetenzzentrum Klimafolgen und Anpassung unter www.anpassung.net „Gesellschaftliche Ursachen von Umweltproblemen wie das Konsumverhalten, das Freizeitverhalten oder das Mobilitätsbedürfnis gewinnen zunehmende Relevanz. Eine deutliche Verringerung der Umweltbelastungen kann dauerhaft nur gelingen, wenn nachhaltige Veränderungen in den individuellen Wertehaltungen und Lebensstil eintreten.“ Viel Spaß bei der Lektüre der Schwerpunktartikel! Literatur • Bundesregierung (1995): Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD). Deutscher Bundestag: Drucksache 13/2707. 67 S. http://tinyurl.com/clb3gz (mit Acrobat Reader öffnen) • May, N. (2007): Solarthermische Kraftwerke – Hoffnungsträger für eine zukunftsfähige Energieversorgung. FORUM der Geoökologie 18 (2): 26-31. • Sørensen, B. (2008): Renewable energy conversion, transmission, and storage. Academic Press, Amsterdam, p. 327. • Stern, N. et al. (2006): The Economics of Climate Change: The Stern Review. HM Treasury, London. http://tinyurl.com/ymsarg Dr.-Ing. Till M. Bachmann European Institute for Energy Research (EIFER) Emmy-Noether-Str. 11 76131 Karlsruhe 0721/6105-1361 till.bachmann at eifer.org www.eifer.uni-karlsruhe.de Till Bachmann studierte von 1990 bis 1998 Geoökologie an der TU Braunschweig. Von 1998 bis 2006 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart. Dort entwickelte er im Rahmen seiner Promotion ein räumlich aufgelöstes, europaweites Computermodell zur Abschätzung von Gesundheitsrisiken und externen Kosten durch Schadstoffe, die über den Nahrungsweg zum Menschen gelangen. Seit 2006 arbeitet er am Europäischen Institut für Energieforschung (EIFER) zu den Themen Umweltökonomie sowie Ökobilanzen. 9