Skript Stahlmann

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BASS O2 Rechtsverständnis und Öffentliches Recht – eine Einführung in das Recht
einfachgesetzlicher Ebene. Der Sozialstaat nahm zwar nicht als verfassungsrechtliches
Element Konturen an, entwickelte sich aber politisch-praktisch in bisher nicht gekanntem
Ausmaß.
2. Grundrechte
Grundrechte sind grundlegende Rechte, die dem Bürger gegenüber dem Staat zustehen
(Grundrechte als Abwehrrechte). Das Bundesverfassungsgericht hat u.a. die Aufgabe
darüber zu wachen, ob ein Bürger oder eine Bürgerin „durch die öffentliche Gewalt in einem
seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104
enthaltenen Rechte verletzt“ (Art. 93 Abs.1 Ziff.4.a. GG) worden ist. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bilden die Grundrechte eine allgemeine
Wertordnung und reichen damit über das Verhältnis Staat-Bürger weit hinaus auch in das
Privatrecht hinein.
Es hat viele Jahrhunderte gedauert, bis die Grundrechte und ihnen gleich gestellten
Verfassungsrechte des Einzelnen in der heutigen Form anerkannt und den jeweiligen
Machthabern in oft blutigen Kämpfen abgerungen waren. Sie sind heute elementarer
Bestandteil jeder modernen Staatsverfassung. In ihren konkreten Inhalten sind sie jedoch
weiterhin zum Teil heftig umkämpft. Immer wieder einmal kommen außerdem neue
Grundrechte (wie etwas Art. 3 Abs.3 GG) hinzu, werden alte modifiziert (wie zuletzt Art. 16
GG). Im Zuge der Europäisierung unterliegen die Grundrechte nach dem deutschen GG auch
dem Einfluss der zur Zeit in Vorbereitung befindlichen Europäischen Grundrechte.
Grundrechte sind daher, obwohl wegen ihrer Verbindung mit den Menschenrechten als
überzeitliche Werte gedacht, praktisch vielfachem Wandel ausgesetzt. Unwandelbar sind sie
(normativ) nach der deutschen Verfassung allerdings im Kern (im Wesensgehalt, Art. 19 Abs.
2 GG, von Juristen spöttisch gern als „Ewigkeitsgarantie“ apostrophiert). Was Kern oder
Wesensgehalt
in
diesem
Sinne
ist,
entscheidet
letztverbindlich
das
Bundesverfassungsgericht.
Ausgehend von den Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat stellt das GG
ganz an den Anfang (Art. 1 Abs.1) die berühmten beiden Sätze: „Die Würde des Menschen
ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Dem Artikel 1 GG unmittelbar folgend benennt es einen umfassenden Katalog von
Grundrechten (Art.2 bis 18 GG) und statuiert dazu in Art. 1 Abs.3 GG lapidar: „Die
nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und
Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht“. Anders als die vorangegangene Weimarer
Reichsverfassung, in der die Grundrechte nur als wenig verbindliche Programmsätze galten,
sollen Grundrechte danach im Alltag bei allen staatlichen Handlungen Geltung entfalten und
vor Gericht einklagbar sein.
Prof. Dr. Günther Stahlmann
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BASS O2 Rechtsverständnis und Öffentliches Recht – eine Einführung in das Recht
Neben den in Art. 1-18 GG genannten Grundrechten gibt es die den Grundrechten
gleichgestellten Verfassungsrechte des Einzelnen (siehe den Katalog in Art. 93 Abs.1, Ziff. 4a
GG) wie das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101GG), die in Art. 103 GG enthaltenen
Rechte (das Verbot der Bestrafung ohne Gesetz, Verbot der Doppelbestrafung für die gleiche
Tat, Anspruch auf rechtliches Gehör), die in Art. 104 GG genannten Rechte im Falle von
Freiheitseinschränkungen.
2.1. Menschwürde als Rechtsbegriff
Art. 1 GG nennt zwar das Recht auf Menschenwürde an erster Stelle und verpflichtet alle
staatliche Gewalt dazu, sie zu „achten und zu schützen“. Doch erst in Abs.3 erklärt der
Artikel dann Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die
„nachfolgenden“ in Art 2-18 genannten Grundrechte „als unmittelbar geltendes Recht“
gebunden. Daraus könnte man schließen, der Schutz der Menschenwürde sei kein
unmittelbar geltendes Recht, sondern bloße Deklaration, bei der es genüge, ihr in staatlichen
Sonntagsreden und durch Beteuerungen in anderen Zusammenhängen verbal Referenz zu
erweisen, aber eine Klage vor Gericht begründen könne sie nicht. In der Tat gibt es nicht
wenige Stimmen unter Juristen, die das so sehen. Zu solcher rechtlichen Unverbindlichkeit
trägt auch bei, dass der Begriff der Menschenwürde, obwohl im Alltag bei Beschwerden
gegen staatliche Maßnahmen leicht zur Hand, angesichts seiner Komplexität und damit
verbundenen Vielgestaltigkeit und Vagheit kaum justitiabel erscheint. Das gilt, obwohl der
Begriff der Menschenwürde inzwischen selbst in einzelne einfachgesetzliche Normen (wie
die jeweiligen §§ 1 von SGB I, SGB II und SGB XII) eingewandert ist und daher die
Gesetzesbindung die Gerichte eigentlich verpflichtet, ihn auch im konkreten Einzelfall
anzuwenden.
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach in konkreten Fällen Entscheidungen unter
Berufung auf die Menschenwürde getroffen, nämlich bei seiner Rechtsprechung zur Pflicht
des Staates, das Existenzminimum sowohl im Steuer- als auch im Sozialrecht zu sichern (dazu
genauer unter 3.3.). Es hat sich dabei aber mit dem Begriff der Menschenwürde und den
Problemen seiner Klärung nicht weiter auseinander gesetzt, also jeweils einen Verstoß gegen
die Menschenwürde eher dezisionistisch statuiert70. Auch seine in anderen Entscheidungen
unternommenen Versuche der Konkretisierung des Menschenwürdebegriffs haben noch
nicht zu einem juristischen präzisen Gehalt des Begriffs geführt.
70
Siehe zum Problem verfassungsrechtlicher Präzisierungen des Begriffs die nach wie vor gültige
Antrittsvorlesung von Volker Neumann, Menschenwürde und Existenzminimum, 19. Mai 1994, HumboldtUniversität, http://edoc.hu-berlin.de/humboldt-vl/neumann-volker/PDF/Neumann.pdf (Stand 14.6.2011)
Prof. Dr. Günther Stahlmann
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2.2. Einteilung der Grundrechte und Grundrechtsschranken
Die Grundrechte lassen sich nach dem Kreis der Berechtigten aufteilen in:
• jeder Person zustehende Rechte. Insoweit sind die Grundrechte Ausdruck von
Menschenrechten.
• nur Deutschen zustehende Rechte. Das sind die sog. Bürgerrechte .
Nach der Funktion werden Grundrechte eingeteilt in Rechte des
• status negativus (Abwehrrechte)
• status positivus (Teilhabe- oder Anspruchsrechte)
• status activus (Mitgestaltungsrechte)
Schließlich gibt es noch die Unterscheidung in
• Freiheitsrechte
• Gleichheitsrechte
• Institutsgarantien und Verfahrensgrundrechte
Neben den Grundrechten für einzelne gibt es auch Schutzgarantien, z.B. Ehe und Familie
(Art. 6 GG), Eigentum (Art. 14 GG), Presse (Art. 5 I GG) und Verfahrensgrundrechte (z.B. Art.
19 IV, 101 GG).
Grundrechte gelten nicht schrankenlos, sondern sind in ihrem Gebrauch mit Rücksicht auf
die Grundrechte anderer einschränkbar. Diese Einschränkungen haben ihre Grundlage in
den sog. Einschränkungsvorbehalten, die einzelnen Grundrechten ausdrücklich beigefügt
sind. So sagt Art. 2 GG Abs.2 S.2 GG ausdrücklich: „In diese Rechte darf nur auf Grund eines
Gesetzes eingegriffen werden.“
„Auch Grundrechte, die keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt kennen,
unterliegen Schranken. Diese Schranken wohnen den Grundrechten selbst inne. Man
nennt sie deshalb auch immanente Grundrechtsschranken. Wenn das
Hauptfreiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG jedem das Recht auf freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit gewährt, dann ergibt sich das Problem, daß der Freiheitsanspruch des
einen mit dem Freiheitsanspruch des anderen kollidieren kann. Die einen möchten
demonstrieren, die anderen möglichst schnell nach Feierabend nach Hause kommen.
Die einen feiern im Garten, die anderen möchten schlafen, um am nächsten Morgen
der Vorlesung "Einführung in das Recht" mit der gebotenen Aufmerksamkeit folgen
zu können. Deshalb findet jedes Grundrecht seine Grenze an den Rechten anderer,
und es ist in seiner Ausübung an die verfassungsmäßige Ordnung und das
Sittengesetz gebunden (Art. 2 Abs. 1 GG). Im Einzelfall kann es hier zu schwierigen
Abwägungsentscheidungen kommen, deren Ergebnis durch die Regelungen des
Grundgesetzes nicht vorgezeichnet ist.“71
71
Rüßmann, a.a.O., C.4.a.
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Die Vorbehalte zu den einzelnen Grundrechte reichend unterschiedlich weit. Es ist zu
differenzieren zwischen:
• Grundrechten mit einfachem Gesetzesvorbehalt
• Grundrechten mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt
• Grundrechten ohne Vorbehalt
Bei der Beschränkung von Grundrechten sind wiederum die sog. Schranken-Schranken zu
beachten. Nach Art. 19 Abs. 2 GG darf ein Grundrecht auf keinen Fall in seinem
Wesensgehalt angetastet werden darf. Worin der geschützte Wesensgehalt besteht,
darüber lässt sich freilich immer ausgiebig streiten. Zum anderen finden
Grundrechtsschranken ihre Schranken in den rechtsstaatlichen Grundsätzen der
Verhältnismäßigkeit oder des Übermaßverbots, beide ebenfalls angesichts ihrer Vagheit
keine sehr einfach zu handhabenden Regeln.
Verboten sind schließlich sog. Einzelfallgesetze (Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG), also solche Gesetze,
die das Grundrecht nur bezogen auf einen Einzelfall oder eine Einzelperson mindern. Der
formellen Sicherung von Grundrechten dient Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG. Danach muss jedes
Gesetz, das zulässigerweise in ein Grundrecht eingreift, dieses Grundrecht unter Angabe des
Artikels nennen.
Das Grundgesetz spricht, anders als die Weimarer Verfassung, nicht ausdrücklich von
Grundpflichten72. Die selbstverständliche Verbindung von Rechten und Pflichten stellt Art.
33 Abs. 1 her: „Jeder Deutsche hat ... die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“
Einige wenige Pflichten sind aufgeführt, so die Pflicht zur Verfassungstreue für Inhaber des
(wissenschaftlichen) Lehramts (Art. 5 Abs. 3), die Pflicht der Eltern zur Pflege und Erziehung
der Kinder (Art. 6 Abs. 2), die (inzwischen ausgesetzte) Wehrpflicht und die Pflicht zum
zivilen Ersatzdienst (Art. 12 a). Ein Katalog von Grundpflichten würde dem Geist einer
demokratischen Verfassung widersprechen. Demokratie setzt voraus, dass jeder aus eigener
Verantwortung seinen Pflichten gegenüber der Gemeinschaft nachkommt.
Auch wenn das Grundgesetz keinen Katalog von Grundpflichten enthält, die einfachen
Gesetze statuieren vielerlei Rechtspflichten aus sozialen Gründen. So betont insbesondere
das SGB II die Pflicht zur Selbsthilfe (vgl. § 2 SGB II) unter Einschluss der Pflicht zur Arbeit.
72
Dazu eingehend Otto Depenheuer, Solidarität im Verfassungsstaat-Grundzüge einer normativen Theorie der
Verteilung,1991, S. 211ff + 223ff+ 247ff
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2.3. Die Arbeit im Verfassungsrecht und das Fallmanagement nach SGB II
Für das mit dem SGB II in das methodische Arsenal staatlicher Bemühungen um
langzeitarbeitslose Menschen aufgenommene sog. Fallmanagement73 von größter
rechtlicher Bedeutung ist das Recht, „Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu
wählen“, das Grundrecht nach Art. 12, kurz Grundrecht auf Berufsfreiheit74. Durch den
umfassenden Zugriff auf die Person, den das Fallmanagement mit sich bringt, und die
verschiedenen, auch anordnenden Maßnahmen zur Wiedereingliederung im Sinne des SGB II
kann es zu Eingriffen in die durch Art. 12 konstituierte Freiheitssphäre kommen. Daher ist es
wichtig, die grundrechtlichen Voraussetzungen für solche Eingriffe zu beachten.
Eingriffe liegen nicht vor, wenn der Betroffene in die Maßnahmen eingewilligt hat. Anders
dagegen ist es insbesondere dann, wenn Wiedereingliederungsmaßnahmen ohne oder
gegen seinen Willen erfolgen. Dazu schauen Sie sich bitte unter 3 zu findenden Fall in den
Vertiefungsvorschlägen zu diesem Unterkapitel an.
2.4. Grundrechte als Rechte mit Drittwirkung
Das Handeln von Privatpersonen kann anderen Privatpersonen nicht weniger als staatliches
Handeln Freiheit beschränken. Man denke an die umfassende Unterworfenheit, in der wir
heute großen Konzernen und ihrer Marktmacht ausgesetzt sind oder an das Verhältnis von
Mieter-Vermieter oder Arbeitnehmer-Arbeitgeber, die in der Regel mit ungleichen Chancen
bei der vertraglichen Ausgestaltung einhergehen. Dem Wortlaut nach passen viele
Grundrechte auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen. Wenn es etwa in Art. 5 Abs.1 GG
heißt, jeder habe das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern, dann
könnte sich wörtlich genommen der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber darauf
berufen, wenn er ihm in einer Diskussion um eine Lohnerhöhung „Ausbeutung“ und
„Menschen verachtenden Kapitalismus“ entgegen hielte und deshalb wegen Beleidigung und
Störung des Betriebsfriedens gekündigt würde. Ebenso steht der reine Wortlaut des Art. 3
GG nicht dem Argument eines Menschen mit Behinderungen entgegen, eine Fluggesellschaft
verletze ihn in seinem Anspruch auf Gleichbehandlung, wenn er ihn als Fluggast
zurückweise.
73
Zum Begriff und erheblichen Zweifeln daran siehe Stichwort Fallmanagement bei Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/Fallmanagement#Kritik_am_Rechtsverst.C3.A4ndnis_zum_Fallmanagement
(Stand 21.6.2011); zum Fallmanagement-Konzept der Bundesagentur für Arbeit siehe
http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A03-Berufsberatung/A033Erwerbspersonen/Publikationen/pdf/Fallmanagement-Fachkonzept.pdf
74
Einzelheiten zu diesem Grundrecht können hier nicht behandelt werden. Einen knappen Überblick mit
einschlägiger Rechtsprechung des BVerfG bietet das Stichwort „Art. 12 GG“ in der Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/Berufsfreiheit (Stand 21.6.2011)
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Weil jedoch Grundrechte von ihrem Ursprung her als Abwehrrechte gegen den Staat, nicht
gegen Privatleute verstanden wurden, hat es einige Zeit gedauert, bis die Rechtsprechung
insbesondere des Bundesverfassungsgerichts die Grundrechte als wirksam auch im
Privatverkehr (sog. Drittwirkung von Grundrechten) anerkannte. Grundlegend dafür war die
Einstufung
der
Grundrechte
als
allgemeine
Wertordnung
durch
das
Bundesverfassungsgericht, die zwingend auch ihre (mittelbare) Geltung jenseits der Sphäre
Bürger-Staat einschloss.
Die Grundrechte gelten zwischen Privatleuten (gegenüber privaten Dritten, daher die
Bezeichnung Drittwirkung) jedoch nur mittelbar. Sie sind bei der Auslegung des Privatrechts,
insbesondere bei der Anwendung seiner unbestimmten Rechtsbegriffe wie gute Sitten, Treu
und Glauben und dergleichen zu beachten. Damit verbunden ist eine ungeheure und
riskante Erweiterung der Befugnisse der Rechtsprechung bei Anwendung der Grundrechte,
weil damit auch die Auslegung des Zivilrechts vom Bundesverfassungsgericht kontrolliert
wird.
2.5. Grundrechtsfähigkeit und Grundrechtsmündigkeit
Die Grundrechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Träger von Grundrechten zu sein. Sie ist gesetzlich
nicht geregelt und vom Alter unabhängig.
Grundrechtsfähig ist jede natürliche Person, also jeder Mensch. Das Recht auf körperliche
Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 1 GG steht auch dem noch nicht geborenen Menschen zu.
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Umstritten ist die Grenzziehung, ab welchem Entwicklungsabschnitt des befruchteten Eis
eine grundrechtsfähige Person anzunehmen ist.
Auch inländische juristische Personen des privaten Rechts wie Aktiengesellschaften oder
Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind, soweit Grundrechte auf sie anwendbar sind
(Art. 19 III GG) anwendbar, grundrechtsfähig (z.B. Art. 3, 9, 10, 11, 14). Nicht anwendbar sind
auf juristische Personen aber höchstpersönliche Rechte wie sie in Art. 1 Abs.1GG
(Menschenwürde), 2 Abs. 2 GG (Recht auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit, 3 Abs. 2
GG (Gleichberechtigung der Geschlechter) normiert sind.
Die Grundrechtsmündigkeit betrifft die Frage, ab welchem Alter ein Grundrechtsträger seine
Grundrechte selbst wahrnehmen kann. Das GG enthält dazu keine Regelung. Die Frage ist
sehr umstritten. Fraglich ist insbesondere, ob die Grundrechtsmündigkeit mit der
wachsenden Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen verbunden sein kann. Praktisch ist die Frage
aber wenig bedeutsam. Nach allgemeiner Meinung ist die gerichtliche Geltendmachung von
Grundrechten, also die eigenständige Rechtswahrnehmung vor Gericht, in den
Prozessordnungen geregelt. Dort wird ausnahmslos die sog. Prozessfähigkeit gefordert. Sie
ist an die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff BGB) gebunden. Darum kann z.B. eine
Verfassungsbeschwerde von einem Grundrechtsträger selbst erst dann erhoben werden,
wenn er volljährig ist. Minderjährige müssen sich durch ihre gesetzlichen Vertreter vertreten
lassen. Eine Besonderheit gilt bei Art. 4 GG: Durch das Gesetz über die religiöse
Kindererziehung sind Kinder ab 14 Jahre religionsmündig und können sich insbes. dann
selbst vom Religionsunterricht abmelden. Dies wird allgemein als zulässige
Mündigkeitsregelung anerkannt.
3. Zentrale Strukturelemente des GG
In Art. 20 GG nennt das GG zentrale Strukturelemente des vom Grundgesetz verfassten
Staates. Danach ist die Bundesrepublik Deutschland
•
•
•
•
•
republikanisch,
demokratisch,
bundesstaatlich,
rechtsstaatlich und
sozialstaatlich
Wir beschränken die nähere Befassung mit diesen Strukturelementen auf die Begriffe:
Rechtsstaat, Sozialstaat und Bundesstaat. Hinsichtlich der Begriffe Demokratie und Republik
wird auf die entsprechenden Stichworte bei Wikipedia verwiesen.
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