die PUNKTE diabetologie 1/2017 3 Lehrziel: • Kenntnis der Kriterien für die Therapiewahl bei Typ-2-Diabetes, angepasst an die individuellen Erfordernisse des Patienten • Kenntnis der Unterschiede zwischen Antidiabetika im Hinblick auf pathophysiologische Effekte, Blutzuckersenkung, Gewicht, Anwendbarkeit bei eingeschränkter Nierenfunktion, Verträglichkeit und Sicherheit sowie kardiovaskulären Benefit Typ-2-Diabetes: Welche blutzucker­ senkende Therapie für wen? Fotos: privat, Sissi Furgler Fotografie Unter diesem Aspekt wäre von einem idealen Antidiabetikum gefordert: •positive Beeinflussung aller pathophysiologischen ­Komponenten des Typ-2-Diabetes, •effiziente Blutzuckersenkung, •nachhaltige Blutzuckersenkung (Durabilität), •geringes Hypoglykämierisiko, •Gewichtsreduktion (bei übergewichtigen bzw. adipösen Patienten), •Anwendbarkeit in allen Stadien der Niereninsuffizienz, •gute Verträglichkeit und Sicherheit, •geringe Interaktion mit Begleittherapien sowie •ein kardiovaskulärer Benefit. AUTOREN B asis der medikamentösen Therapie des Typ-2-Diabetes ist nach wie vor Metformin. Wird mit Metformin plus Lebensstilmodifikation innerhalb von drei Monaten das individuelle HbA1c-Ziel nicht erreicht, erfolgt eine Kombination mit zumindest einem weiteren Antidiabetikum. Die aktuellen nationalen und internationalen Leitlinien stellen die Wahl zwischen Sulfonylharnstoff (SH)/Repaglinid, Pioglitazon, DPP4-Hemmer, SGLT-2-Hemmer, GLP-1-Rezeptor-Agonist und Insulin als Kombinationspartner für Metformin frei (Abb. 1). Die Auswahl der Medikation nimmt Bezug auf die individuellen Patienteneigenschaften und die Krankheitsmerkmale.1, 2 Primäre Ziele einer antihyperglykämischen Therapie sind das Vermeiden von akuten Symptomen der Hyperglykämie sowie die Prävention mikro- und makrovaskulärer Spätkomplikationen.1 Ass. Dr. Felix Aberer Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Harald Sourij Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie Medizinische Universität Graz E: [email protected] erhöhte Lipolyse, einen reduzierten Inkretineffekt, eine gestörte Glukagonsekretion, erhöhte hepatische Glukoseproduktion, erhöhte renale Glukoseabsorption und gestörte Neurotransmitterfunktionen. Keine Monosubstanz beeinflusst alle pathophysiologischen Aspekte, sondern jeweils nur einige Komponenten (Abb. 2).4 Substanzen, die primär die Insulinresistenz beeinflussen Metformin verringert die Glukoneogenese und erhöht in geringem Maß auch die periphere Glukosesensitivität.5 Keine der derzeit verfügbaren Substanzen erfüllt alle diese Anforderungen gleichermaßen. Eine Entscheidungshilfe bietet die Übersicht über Stärken und Schwächen der einzelnen Antidiabetika in Tabelle 1.3 Glitazone (Pioglitazon) verbessern die Glukoseutilisation im Muskel, verringern im Fettgewebe die Lipolyse und die Konzentration freier Fettsäuren und steigern die Aufnahme freier Fettsäuren. Darüber hinaus erhöhen sie die Glukoseaufnahme und die Synthese von VLDL (Very Low Density Lipoprotein) in der Leber und senken die Glukoseproduktion. In Österreich ist nur mehr Pioglitazon am Markt erhältlich. Beeinflussung der Pathophysiologie Substanzen, die die Insulinsekretion beeinflussen Typ-2-Diabetes ist gekennzeichnet durch eine gestörte Betazellfunktion, reduzierte Glukoseaufnahme in die Muskulatur, Sulfonylharnstoffe (SH) fungieren als Kaliumkanalblocker an der Betazelle, was zu einer Depolarisation der Zelle und 4 diabetologie 1/2017 die PUNKTE Abb. 1: Kombinationspartner zu Metformin (ADA/EASD Position Statement 2015) Gesunde Ernährung, Gewichtskontrolle, vermehrte körperliche Aktivität, Diabetesschulung Monotherapie Wirksamkeit (HbA1c-Absenkung) Hypoglykämierisiko Gewicht Nebenwirkungen Kosten Metformin hoch gering neutral/Abnahme gastrointestinal/Laktatazidose niedrig Sofern zum Erreichen des individuellen HbA1c-Ziels nach ~ 3 Monaten erforderlich, Wechsel zu Zweifachkombinationen (die Reihung kennzeichnet keine Präferenz einzelner Medikamentenklassen): Zweifachkombination Wirksamkeit (HbA1c-Absenkung) Hypoglykämierisiko Gewicht Nebenwirkungen Kosten Metformin + Metformin + Metformin + Sulfonylharnstoff Glitazon DPP-4-Inhibitor SGLT-2-­Inhibitor GLP-1Insulin (üblicherRezeptor­agonist weise basal) hoch mittleres Risiko Zunahme Hypoglykämien gering hoch gering Zunahme mittel gering neutral selten hoch hoch gering Abnahme gastrointestinal hoch Ödeme, Herz­insuffizienz, Frakturen hoch Metformin + mittel gering Abnahme Urogenitalinfektionen, Dehydration hoch Metformin + Metformin + am höchsten hoch Zunahme Hypoglykämien variabel nach: American Diabetes Association. Diabetes Care 2016; 39(Suppl. 1):S1–S2; DOI: 10.2337/dc16-S001 Tab. 1: Antihyperglykämische Substanzen im Vergleich Substanz HbA1c-Senkung (Monotherapie) Effekt auf das Gewicht Nachteile/ offene Fragen Metformin 1,0–2,0 % ( GI-NW, KI: CKD IV, V Alpha-Gluko­ sidasehemmer 0,5–0,8 % ≈ GI-NW Pioglitazon 0,8–1,4 % # Flüssigkeitsretention, Gewichtszunahme, periphere Frakturen Sulfonylharnstoff 1,0–1,5 % # Gewichtszunahme, Hypoglykämien Insulin 1,5–3,5 % # Injektionen, ­Hypoglykämien, Gewichtszunahme DPP-4-Hemmer 0,5–1,0 % ≈ Herzinsuffizienz­ risiko unter ­Saxagliptin? GLP-1-RezeptorAgonisten 0,8–1,6 % $ GI-NW SGLT-2-Hemmer 0,5–1,0 % $ Genitalinfektionen GI-NW = gastrointestinale Nebenwirkungen; KI = Kontraindikation modifiziert nach: Nathan DM et al., Diabetes Care 2009; 32:193–203; Nathan DM. N Engl J Med 2007; 356:437–40; Monami M, Nardini C, Mannucci E. Diabetes Obes Metab 2014; 16:457–66; Bergenstal RM et al., Lancet 2010; 376:431–39 einer nachfolgenden mahlzeitenunabhängigen Insulinsekretion führt. Es kann damit zwar die insuffiziente Insulinsekretion gesteigert werden, jedoch kommt es in den darauffolgenden Monaten zu einem rascheren Nachlassen der Betazellfunktion im Vergleich zu anderen Substanzen wie Metformin oder Rosiglitazon (ADOPT-Studie).6 Glinide (Repaglinid) führen im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen zu einer kürzer dauernden Insulinsekretion. Diese Präparate sind daher unmittelbar präprandial einzunehmen. Analog zu den Sulfonylharnstoffen sind auch mit dieser Substanzklasse Hypoglykämien möglich. Die Wirkung von DPP-4-Hemmern und von GLP-1-RezeptorAgonisten (Inkretinmimetika) beruht auf dem Inkretineffekt. Beide Substanzklassen steigern die glukoseabhängige Insulinsekretion der Betazellen und erhöhen somit die Glukoseutilisation durch Muskel- und Fettgewebe. Gleichzeitig supprimieren sie die Glukagonfreisetzung aus den pankreatischen Alphazellen und verringern damit die Freisetzung von Glukose­ aus der Leber durch konsekutive Hemmung der Glukoneo­ genese. Beide Mechanismen tragen zur Glukosesenkung bei. Substanzen mit alternativen Wirkmechanismen SGLT-2-Hemmer reduzieren die bei Menschen mit Diabetes mellitus erhöhte Glukoserückresorption in der Niere und scheinen auch potenzielle positive Effekte auf die Betazell- die PUNKTE diabetologie 1/2017 5 Abb. 2: Beeinflussung pathophysiologischer Komponenten des Typ-2-Diabetes durch verschiedene Antidiabetika Gestörte Betazellfunktion TZDs GLP-1 DPP-4i (SFU) Reduzierter Inkretineffekt Erhöhte Lipolyse GLP-1 DPP-4i Islet -cell TZDs Erhöhte Glukagonsekretion GLP-1 DPP-4i Islet -cell Hyperglykämie Erhöhte Glukose-Reabsorption SGLT-2i Erhöhte hepatische Glukoseproduktion Neurotransmitterdysfunktion TZDs GLP-1 Metformin DPP-4i GLP-1 Reduzierte Glukoseaufnahme TZDs GLP-1 TZD = Thiazolidindione = Glitazone; GLP-1 = GLP-1-Rezeptor-Agonist; DPP-4i =DPP-4-Hemmer; SGLT-2i = SGLT-2-Hemmer; SFU = Sulfonylharnstoff adaptiert nach: DeFronzo RA. Diabetes 2009; 58:773–95 funktion und die Insulinsensitivität zu haben.7 Weiters wurde ein gewichts- und blutdrucksenkender Effekt gezeigt. dialen Blutzuckerwerte. Die häufigsten Nebenwirkungen von Acarbose sind Flatulenzen und Bauchschmerzen. Alpha-Glukosidasehemmer: Der wichtigste Vertreter dieser Substanzklasse in Österreich ist Acarbose. Diese Substanzklasse bewirkt eine Hemmung der intestinalen Kohlenhydratverdauung und somit eine Reduktion vor allem der postpran- Effekte auf HbA1c und Gewicht Abb. 3: Verschlechterung der Stoffwechseleinstellung trotz ­antidiabetischer Therapie 9,0 ¡ Konventionelles Management* (n = 411) ¡ Glibenclamid (n = 277) ¡ Metformin (n = 342) ¡ Insulin (n = 409) Medianer HbA1c-Wert (%) 8,5 8,0 In Tabelle 1 sind die Effekte der verschiedenen Antidiabetika auf HbA1c und Gewicht sowie die Nachteile der einzelnen Substanzklassen und die jeweils offenen Fragen gegenübergestellt.8–11 Den stärksten gewichtssenkenden Effekt haben GLP-1-Rezeptor-Agonisten und SGLT-2-Hemmer, gefolgt von Metformin. Pioglitazon, SH und Insulin führen zu einer Gewichtszunahme. DPP-4-Hemmer sind gewichtsneutral. Durabilität 7,5 7,0 6,5 6,0 0 2 4 6 8 10 Jahre seit Randomisierung * in erster Linie Ernährungsumstellung alleine nach: UKPDS 34 Study. Lancet 1998; 352:854–65 Typ-2-Diabetes ist eine progressive Erkrankung. Durch die stetige Abnahme der Betazellfunktion verschlechtert sich die Stoffwechseleinstellung unter jeder antidiabetischen Therapie im Zeitverlauf und es kommt zu einem HbA1c-Anstieg (Abb. 3).12 Es dürften gewisse Unterschiede in der Durabilität verschiedener Substanzklassen bestehen. Die ADOPT-Studie untersuchte die Durabilität von blutzuckersenkenden Substanzen und es zeigte sich der nachhaltigste Effekt unter Rosiglitazon (in Europa nicht mehr am Markt), gefolgt von Metformin und den Sulfonylharnstoffen.6 Aktuell untersucht die GRADE-Studie die Durabilität einer Therapie mit GLP-1-­Rezeptor-Agonisten, DPP-4-­Hemmern, Sulfonylharnstoffen und Basalinsulin. 6 diabetologie 1/2017 die PUNKTE Abb. 4: Verwendung von Antidiabetika bei eingeschränkter Nierenfunktion Metformin 60 DPP-4-Hemmer Alogliptin 25 mg 1x täglich Linagliptin 5 mg 1x täglich Sitagliptin 100 mg 1x täglich Saxagliptin 5 mg 1x täglich Vildagliptin 50 mg 2x täglich 60 45 30 50 45 30 50 45 30 45 30 12,5 mg 1x täglich 50 mg 1x täglich 2,5 mg 1x täglich 50 mg 1x täglich GLP-Rezeptorantagonisten Liraglutid und Dulaglutid Lixisenatid, Exenatid EQW 60 Pioglitazon 60 Sulfonylharnstoffe (Gliclazid, Glimepirid) 60 SGLT-2-Hemmer Canagliflozin 100 mg Dapagliflozin nicht unter 60 ml/min/1,73 m² Empagliflozin 10 mg 60 Cave: Hypoglykämie 45 30 X X 45 30 45 30 Insulintherapie 60 Quelle: Rosenkranz A et al., Konsensus-Statement Nephropathie und Diabetes mellitus. ÖÄZ, August 2016 Kardiovaskuläre Effekte Patienten mittleren Alters mit Diabetes ohne bekannte kardio­ vaskuläre Erkrankung sterben im Durchschnitt sechs Jahre früher als Nicht-Diabetiker.13 Damit verlieren sie ähnlich viel Lebenszeit wie Patienten nach Schlaganfall oder Myokardinfarkt. Mit der Zahl der Komorbiditäten steigt das Mortalitätsrisiko.14 Haupttodesursache bei Patienten mit Diabetes sind kardiovaskuläre Erkrankungen. Davon sind Frauen mit Diabetes noch häufiger betroffen als Männer.13 Aufgrund des hohen kardiovaskulären Risikos ist ein positiver oder zumindest ein neutraler kardiovaskulärer Effekt einer antidiabetischen Therapie ein entscheidendes Kriterium. Seit dem Jahr 2008 fordern die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) und die European Medicines Agency (EMA) den Nachweis der kardiovaskulären Sicherheit als Voraussetzung für die Zulassung neuer antidiabetischer Wirkstoffe.15 Zu Metformin und zu Sulfonylharnstoffen (SH) liegen keine kardiovaskulären Outcome-Studien nach neuem Sicherheitsdesign vor, jedoch Daten aus der UKPDS-Studie. In der 10-JahresLangzeitbeobachtung der UKPDS-Studie war bei übergewichtigen Patienten mit Typ-2-Diabetes, die der ehemaligen Metformin-Gruppe zugeordnet waren, sowohl das Myokardinfarktrisiko als auch die Gesamtmortalität gegenüber der Kontrollgruppe mit alleiniger Ernährungsumstellung niedriger (-33 %; p = 0,005 bzw. -27 %; p = 0,002).16 In der SH/InsulinGruppe der UKPDS-Studie war das Myokardinfarktrisiko im Langzeit-Follow-up um 15 % (p = 0,01) gegenüber der Kontrollgruppe reduziert.16 Pioglitazon verringerte in der PROactive-Outcome-Studie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und makrovaskulären Komplikationen die Inzidenz des sekundären kombinierten Endpunkts aus Gesamtmortalität, nicht tödlichem Myokardinfarkt und Schlaganfall um 16 % (p = 0,027).17 die PUNKTE diabetologie 1/2017 Tab. 2: Dosierung der DPP-4-Hemmer in Abhängigkeit von der Nierenfunktion eGFR 15–30 ml/ min/1,73 m2 30–50 ml/ min/1,73 m2 Alogliptin 12,5 mg 1x tägl. 6,25 mg 1x tägl. Linagliptin 5 mg 1x tägl. Saxagliptin Sitagliptin ESRD 2,5 mg 1x tägl. 50 mg 1x tägl. Vildagliptin nicht empfohlen 25 mg 1x tägl. 50 mg 1x tägl. ESRD = End Stage Renal Disease Zu den DPP-4-Hemmern Saxagliptin, Sitagliptin und Alogliptin liegen die kardiovaskulären Outcome-Studien SAVOR-TIMI 53 (Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren und Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen)18, TECOS (Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen)19 und EXAMINE (Patienten mit akutem Koronarsyndrom)20 vor. Die Studien belegen die kardiovaskuläre Sicherheit der drei DPP-4-Hemmer, zeigen aber keinen kardiovaskulären Vorteil im Vergleich zur Blutzuckersenkung mit anderen antihyperglykämischen Substanzen. Eine Endpunktstudie zu Linagliptin läuft noch, zu Vildagliptin gibt es keine Endpunktstudie. Es gab Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz unter Saxagliptin in SAVOR-TIMI 53. Zu den GLP-1-Rezeptor-Agonisten Liraglutid und Lixisenatid liegen mit der LEADER-Studie21 und der ELIXA-Studie22 kardiovaskuläre Outcome-Studien vor. Liraglutid verringerte im Vergleich zu Placebo den 3-Punkt-MACE (Zeit bis zum Auftreten von kardiovaskulärem Tod, nicht tödlichem Herzinfarkt, nicht tödlichem Schlaganfall) um 13 % (p = 0,01 für Überlegenheit) und die kardiovaskuläre Mortalität um 22 % (p = 0,007).21 Lixisenatid hatte keinen statistisch signifikanten 7 Effekt auf den kardiovaskulären Endpunkt.22 Rezent wurden die kardiovaskulären Outcome-Daten zu Semaglutid publiziert, die ebenfalls einen kardiovaskulären Benefit demonstrierten.23 Die Substanz ist jedoch noch nicht zugelassen. Eine frühzeitige Insulintherapie erhöht nicht das kardiovaskuläre Risiko gegenüber einer Standardtherapie, wie für Insulin glargin gezeigt wurde (ORIGIN-Studie).24 Der SGLT-2-Hemmer Empagliflozin verringerte bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und vorbestehender kardiovaskulärer Erkrankung im Vergleich zu Placebo den 3-Punkt-MACE um 14 % (p = 0,038) und die kardiovaskuläre Mortalität um 38 % (p < 0,0001) (EMPA-REG-Outcome).25 Zu Dapagliflozin und Canagliflozin liegen noch keine kardiovaskulären Outcome-Studienergebnisse vor. Sicherheit/Nebenwirkungen Die verschiedenen Antidiabetika haben charakteristische Nebenwirkungsprofile: Unter Metformin und unter GLP-1-Rezeptor-Agonisten treten gehäuft gastrointestinale Nebenwirkungen auf. Unter Sulfonylharnstoffen muss mit Hypoglykämien und Gewichtszunahme gerechnet werden. Jedoch zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen den Vertretern dieser Klasse mit einem deutlich geringeren Hypoglykämierisiko unter Gliclazid als unter anderen SH.26 Pioglitazon kann zu Gewichtszunahme, Flüssigkeitsretention und Herzinsuffizienz führen. Es erhöht bei Frauen auch das Risiko für periphere Frakturen. SGLT-2-Hemmer sind mit einem erhöhten Risiko für Genital­ infekte vergesellschaftet, welches durch die hervorgerufene Glukosurie zu erklären ist. Beachtet werden sollte auch ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung einer euglykämischen Ketoazidose (allerdings sehr seltenes Ereignis bei Typ2-Diabetes). DPP-4-Hemmer sind allgemein als eine nebenwirkungsarme Therapieoption anzusehen. Tab. 3: Entscheidungshilfe: Auswahl des geeigneten Zweitlinien-Antidiabetikums DPP-4i Kardiovaskuläre Vorerkrankung SGLT-2i Empagliflozin Pioglitazon GLP-1-RA SH Insulin Liraglutid (Semaglutid) Lixisenatid Herzinsuffizienz Sitagliptin Empagliflozin Gewichtsreduktion zentraler Aspekt Vermeidung schwerer Hypoglykämien ¡ Positive Effekte ¡ Neutrale Effekte ¡ Nicht empfohlen modifiziert nach: Tschope D et al., Cardiovasc Diabetol 2013; 12:62 8 diabetologie 1/2017 Anwendung von Antidiabetika bei eingeschränkter Nierenfunktion Eine eingeschränkte Nierenfunktion limitiert die Anwendung einiger Antidiabetika bzw. erfordert eine Anpassung der Dosierung. Einen Überblick gibt Abbildung 4, die dem kürzlich publizierten Konsensus-Statement österreichischer Diabetologen und Nephrologen entnommen ist.27 Zu Metformin hat die EMA rezent eine Empfehlung zur Änderung der Fachinformation herausgegeben: •Metformin ist kontraindiziert bei einer GFR < 30 ml/min/1,73 m2. •Bei GFR 30–60 ml/min/1,73 m2 kann Metformin eingesetzt werden, bei einer GFR < 45 ml/min/1,73 m2 sollten ­maximal 1.000 mg Metformin eingesetzt werden. •Die GFR sollte regelmäßig kontrolliert werden. •Bei Zuständen stärkerer Dehydratation (z. B. Gastro­ enteritis, Fieber, rezidivierendes Erbrechen, Akut­ erkrankung) sollte Metformin pausiert werden. Sulfonylharnstoffe sind aufgrund des erhöhten Hypoglykämierisikos nicht ideal für Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (Chronic Kidney Disease – CKD), die Fachinformationen sind teilweise sehr zurückhaltend bezüglich der genauen GFR, ab der die Dosis reduziert werden sollte. Es bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den SH: •Glipizid und Gliquidon können prinzipiell bei jeder Stufe der CKD verwendet werden. •Gliclazid und Glimepirid erfordern eine Dosisreduktion und sollten zumindest bei schwerer Niereninsuffizienz nicht eingesetzt werden. Pioglitazon kann in allen Stadien der CKD ohne Dosisanpassung gegeben werden. Die DPP-4-Hemmer Alogliptin, Linagliptin, Sitagliptin und Vildagliptin können in allen Stadien der Niereninsuffizienz bis zur Dialyse, zum Teil in dosisreduzierter Form, angewendet werden. Saxagliptin ist bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz (End Stage Renal Disease – ESRD) nicht empfohlen. Die Dosierungen der DPP-4-Hemmer in Abhängigkeit von der Kreatinin-Clearance sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Für Inkretinmimetika gilt: Exenatid sollte ab einer eGFR von < 50 ml/min/1,73 m2 vermieden werden. Lixisenatid sollte bei GFR 50–80 ml/min/1,73 m2 mit Vorsicht verwendet werden, bei GFR < 50 ml/min/1,73 m2 fehlen Erfahrungen. Liraglutid und Dulaglutid können bis zu einer GFR von 30 ml/min/1,73 m2 eingesetzt werden. Für SGLT-2-Hemmer gilt: Bei GFR < 60 ml/min/1,73 m2 sollte nicht mit einer Therapie mit Empagliflozin oder Canagli- die PUNKTE flozin begonnen werden. Spätestens bei einer GFR unter 45 ml/min/1,73 m2 sollten die Substanzen abgesetzt werden, da der blutzuckersenkende Effekt mit abnehmender ­Nierenfunktion abnimmt. Dapagliflozin wird bei Patienten mit moderater bis schwerer Nierenfunktionsstörung (eGFR < 60 ml/min/1,73 m²) nicht empfohlen. Eine Reduktion renaler Endpunkte wurden rezent für Empagliflozin gezeigt,28 auch für Inkretin-basierte Substanzen und für Pioglitazon gibt es Hinweise für nephroprotektive Effekte. Welche Substanz bei speziellen Patientenbildern? Metformin bleibt die First-Line-Therapie bei Personen mit Diabetes mellitus Typ 2. Welche weitere Substanz dann in der Kombination hinzugefügt wird, ist nicht für jedes Patientenbild mit Evidenz belegt, insbesondere die Studienlage bei Menschen ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen ist nur dürftig. Für einige Patientengruppen gibt es jedoch klarere Evidenz. Kardiovaskuläre Vorerkrankung Nachdem wir nun Ergebnisse von Endpunktstudien zur Verfügung haben, die einen kardiovaskulären Vorteil von einigen Substanzen bei Patienten mit vorbestehender manifester Atherosklerose oder stattgehabten Ereignissen zeigen, sollten diese natürlich entsprechend der evidenzbasierten Medizin bei diesen Patienten eingesetzt werden. Vorbestehende Herzinsuffizienz Für Empagliflozin wurde in der EMPA-REG-OutcomeStudie gezeigt, dass der gezeigte positive kardiovaskuläre Effekt und die Reduktion der Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz unabhängig davon waren, ob eine Herzinsuffizienz bei den Studienteilnehmern vorbestehend war oder nicht.29 Während in der Klasse der DPP-4-Hemmer für Saxagliptin ein Signal für eine erhöhte Rate und auch für Alogliptin eine numerisch erhöhte, wenn auch nicht statistisch signifikante Zahl an Hospitalisierungen für Herzinsuffizienz vorliegt, wurde in TECOS für Sitagliptin ein klar neutraler Effekt gezeigt, auch bei Patienten mit vorbestehender Herzinsuffizienz. Schwere Hypoglykämien Schwere Hypoglykämien sind stets ein sehr unangenehmes und nicht ungefährliches Ereignis für Menschen mit Diabetes mellitus. Für manche Personen ist die Vermeidung solcher Ereignisse aber auch von entscheidender existenzieller Bedeutung (z. B. Busfahrer, Piloten, ...). Nicht immer kann auf potenziell Hypoglykämie verursachende Substan- die PUNKTE diabetologie 1/2017 zen verzichtet werden, aber für die Behandlung des Typ2-Diabetes steht heute eine Reihe an Substanzen zur Verfügung, die kein potenzielles Hypoglykämierisiko aufweisen und somit bevorzugt zu verwenden sind (Tab. 3). Fazit: Alle zur Verfügung stehenden Antidiabetika haben Stärken und Schwächen, die bei der Therapiewahl zu berücksichtigen sind. Entscheidend für die Therapiewahl sind die individuellen Bedürfnisse des Patienten im Hinblick auf das Therapieziel (Stärke der HbA1c-Senkung, Effekt auf das Gewicht) sowie die Risikosituation (Hypoglykämierisiko, kardiovaskuläres Risiko, Nierenfunktion). ■ Österreichische Diabetes Gesellschaft. Wien Klin Wochenschr 2016; 128 (Suppl. 2):S37–S225 American Diabetes Association. Diabetes Care 2016 Jan; 39(Suppl. 1):S1–S2; DOI: 10.2337/dc16-S001 3 Tschope D et al., Cardiovasc Diabetol 2013; 12:62 4 DeFronzo RA. Diabetes 2009; 58:773–95 1 2 9 Zhou G et al., J Clin Invest 2001; 108:1167–74 Kahn SE et al., N Engl J Med 2006; 355:2427–43 7 Hansen HH et al., J Pharmacol Exp Ther 2014; 350:657–64 8 Nathan DM et al., Diabetes Care 2009; 32:193–203 9 Nathan DM. N Engl J Med 2007; 356:437–40 10 Monami M et al., Diabetes Obes Metab 2014; 16:457–66 11 Bergenstal RM et al., Lancet 2010; 376:431–39 12 UKPDS 34 Study. Lancet 1998; 352:854–65 13 Emerging Risk Factors Collaboration. NEJM 2011; 364:829–41 14 Emerging Risk Factors Collaboration. JAMA 2015; 314:52–60 15 EMA, 2012; CPMP/EWP/1080/00 Rev. 1 16 Holman RR et al., NEJM 2008; 359:1577–89 17 Dormandy JA et al., Lancet 2005; 366:1279–89 18 Scirica BM et al., NEJM 2013; 369:1317–26 19 Green JB et al., NEJM 2015; 373:232–42 20 White WB et al., NEJM 2013; 369:1327–35 21 Marso SP et al., NEJM 2016; 375:311–22 22 Pfeffer MA et al., NEJM 2015; 373:2247–57 23 Marso SP et al., NEJM 2016; 375:311–22 24 Gerstein HC et al., NEJM 2012; 367:319–28 25 Zinman B et al., NEJM 2015; DOI: 10.1056/NEJMoa1504720 26 Chan SP et al., Diabetes Res Clin Pract 2015; 110:75–81 27 Rosenkranz A et al., ÖÄZ, August 2016 28 Wanner C et al., NEJM 2016; 375:323–34 29 Fitchett D et al., Eur Heart J 2016: 37(19):1526–34 5 6 ÄRZTLICHER FORTBILDUNGSANBIETER: LECTURE BOARD: 3. Medizinische Abteilung mit Stoffwechselerkrankungen und Nephrologie, Krankenhaus Hietzing, Wien Prim. Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner Univ.-Prof. Dr. Thomas C. Wascher Fachkurzinformation: Janumet 50 mg/850 mg Filmtabletten Janumet 50 mg/1000 mg Filmtabletten Qualitative und quantitative Zusammensetzung: Jede Tablette enthält Sitagliptinphosphat 1 H2O entsprechend 50 mg Sitagliptin und 850 mg Metforminhydrochlorid. Jede Tablette enthält Sitagliptinphosphat 1 H2O entsprechend 50 mg Sitagliptin und 1.000 mg Metforminhydrochlorid. Liste der sonstigen Bestandteile: Tablettenkern: Mikrokristalline Cellulose (E 460), Povidon K29/32 (E 1201), Natriumdodecylsulfat, Natriumstearylfumarat Tablettenüberzug: Poly(vinylalkohol), Macrogol 3350, Talkum (E 553b), Titandioxid (E 171), Eisen(III)-oxid (E 172), Eisen(II,III)-oxid (E 172) Anwendungsgebiete: Für erwachsene Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus: Janumet ist zusätzlich zu Diät und Bewegung zur Verbesserung der Blutzuckerkontrolle bei Patienten indiziert, bei denen eine Monotherapie mit Metformin in der höchsten vertragenen Dosis den Blutzucker nicht ausreichend senkt oder die bereits mit der Kombination von Sitagliptin und Metformin behandelt werden. Janumet ist in Kombination mit einem Sulfonylharnstoff (z. B. als Dreifachtherapie) zusätzlich zu Diät und Bewegung bei Patienten indiziert, bei denen eine Kombination aus der jeweils höchsten vertragenen Dosis von Metformin und eines Sulfonylharnstoffs nicht ausreicht, um den Blutzucker zu senken. Janumet ist als Dreifachtherapie in Kombination mit einem Peroxisomal Proliferator activated Receptor gamma(PPARγ)-Agonisten (d. h. einem Thiazolidindion) zusätzlich zu Diät und Bewegung bei Patienten indiziert, bei denen die jeweils höchste vertragene Dosis von Metformin und einem PPARγ-Agonisten nicht ausreicht, um den Blutzucker zu senken. Janumet ist auch zusätzlich zu Insulin (d. h. als Dreifachtherapie) indiziert als Ergänzung zu Diät und Bewegung bei Patienten, bei denen eine stabile Insulindosis und Metformin allein den Blutzucker nicht ausreichend senken. Gegenanzeigen Janumet ist kontraindiziert bei Patienten mit: - Überempfindlichkeit gegen die Wirkstoffe oder einen der in Abschnitt 6.1 genannten sonstigen Bestandteile; - jeder Art von akuter metabolischer Azidose (z. B. Laktatazidose, diabetische Ketoazidose); - diabetischem Präkoma; - schwerer Niereninsuffizienz (GFR < 30 ml/min); - akuten Erkrankungen, welche die Nierenfunktion beeinträchtigen können, wie: - Dehydratation, - schweren Infektionen, - Schock; - intravaskuläre Gabe von jodhaltigen Kontrastmitteln; - akuten oder chronischen Erkrankungen, die eine Gewebehypoxie verursachen können, wie: - Herz- oder Lungeninsuffizienz, - kürzlich erlittener Myokardinfarkt, Schock; - Leberfunktionsstörung; - akuter Alkoholvergiftung, Alkoholismus; - Stillzeit. Fertilität, Schwangerschaft und Stillzeit Schwangerschaft Es liegen keine ausreichenden Daten zur Anwendung von Sitagliptin bei schwangeren Frauen vor. Tierexperimentelle Studien haben eine Reproduktionstoxizität bei hohen Dosen von Sitagliptin gezeigt. Die begrenzten Daten, die vorliegen, lassen vermuten, dass die Anwendung von Metformin bei schwangeren Frauen nicht mit einem erhöhten Risiko für angeborene Missbildungen assoziiert ist. Tierexperimentelle Studien mit Metformin zeigten keine schädlichen Effekte auf Schwangerschaft, embryonale oder fötale Entwicklung, Geburt oder postnatale Entwicklung. Janumet sollte während der Schwangerschaft nicht angewendet werden. Wenn eine Patientin einen Kinderwunsch hat oder schwanger wird, sollte die Behandlung unterbrochen werden und die Patientin so schnell wie möglich auf eine Therapie mit Insulin umgestellt werden. Stillzeit Es wurden keine Studien zu säugenden Tieren mit der Kombination der Wirkstoffe dieses Arzneimittels durchgeführt. In tierexperimentellen Studien, die zu den einzelnen Wirkstoffen durchgeführt wurden, wurde jedoch gezeigt, dass sowohl Sitagliptin als auch Metformin in die Milch säugender Ratten übergehen. Metformin geht in kleinen Mengen in die menschliche Muttermilch über. Es ist nicht bekannt, ob Sitagliptin in die menschliche Muttermilch übergeht. Daher darf Janumet während der Stillzeit nicht eingenommen werden. Fertilität Daten aus tierexperimentellen Studien legen keine schädlichen Auswirkungen einer Behandlung mit Sitagliptin auf die männliche und weibliche Fertilität nahe. Vergleichbare Daten beim Menschen liegen nicht vor. Pharmakotherapeutische Gruppe Pharmakotherapeutische Gruppe: Antidiabetika, Kombinationen von oralen Antidiabetika, ATC-Code: A10BD07 Inhaber der Zulassung Merck, Sharp & Dohme Ltd. Hertford Road, Hoddesdon, Hertfordshire, EN 11 9BU, Vereinigtes Königreich Vertrieb in Österreich Merck Sharp & Dohme Ges.m.b.H, Wien; Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht Rezept- und apothekenpflichtig Stand der Information Dezember 2016 Weitere Angaben zu Dosierung und Art der Anwendung, Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstige Wechselwirkungen, Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen, Nebenwirkungen, Überdosierung, Pharmakologische Eigenschaften und Pharmazeutische Angaben sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.