Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der

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Versorgungssituation von Patienten mit
rheumatoider Arthritis in der Schweiz
z.Hd. Frau Angelika März; Director Policy and Communications; Merck
Sharp & Dohme AG; Werftestrasse 4, Postfach, 6005 Luzern
Schlussbericht
Version 1.0
Sascha Hess, Michael Früh, Klaus Eichler
Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie
Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Winterthur, 30. April 2013
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Kontaktadresse:
Sascha Hess, RN, MNS
Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie
Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Gertrudstrasse 15
CH-8401 Winterthur
Tel.: 058 934 66 51
E-Mail: [email protected]
2
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Abstract
Hintergrund
Die Versorgungssituation von Patienten mit RA ist bisher in der Schweiz über die ganze
Versorgungskette wenig erforscht. Empirische Daten zu allfälligen Stärken oder Schwächen der Versorgung existieren für die Schweiz kaum.
Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist deshalb die Analyse der Stärken und Schwächen der aktuellen Versorgungssituation von Patienten mit RA in der Schweiz entlang der
gesamten Versorgungskette.
Methodik
In dieser Querschnittsstudie führten wir einerseits Interviews mit Fachpersonen durch,
welche im Versorgungsprozess von RA Patienten mitwirken. Andererseits wurden parallel
dazu gezielte Recherchen in bibliografischen Datenbanken, bei Fachgesellschaften, in
nationalen Datenbanken und bei Patientenorganisationen durchgeführt.
Die daraus gewonnen Informationen trugen wir in Textform zusammen und erstellten eine
zusammenfassende Tabelle. In dieser Tabelle werden die einzelnen Elemente der Versorgungskette beurteilt. Die gefundenen Daten erlauben einen systematischen Überblick
über die Stärken und Schwächen der Versorgung von RA Patienten in der Schweiz.
Resultate
Wir haben 11 Interviews mit Fachpersonen aus der Versorgung von RA Patienten durchgeführt. Die berufsgruppenübergreifenden Aussagen der Fachpersonen erwiesen sich als
überwiegend homogen.
Die Recherchen in verschiedenen Quellen waren unterschiedlich ergiebig. Internationale
Guidelines sowie Literatur aus bibliografischen Datenbanken konnten Einiges zur Beantwortung der Fragestellung beitragen. Hingegen konnten Angaben von Patientenorganisationen und Schweizer Datenbanken wenig zusätzliche Informationen generieren.
Zusammenfassend konnten wir folgende Stärken und Schwächen für die Schweizer Versorgung von RA Patienten in der Schweiz ausmachen:
Die Stärken in der Versorgung von RA Patienten in der Schweiz liegen primär im breiten
Angebot diverser Leistungserbringer und unterstützender Organisationen (z.B. Patientenorganisationen). Ebenfalls wird die Versorgungsqualität als hochstehend wahrgenommen.
3
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Besonders die medikamentöse Therapie wird nach Guidelines angewendet und ist für die
Patienten gut zugänglich.
Die Schwächen scheinen einerseits die teilweise verzögerte Überweisung an den Facharzt und dementsprechend aufgeschobene Diagnosestellung zu sein. Auch die ganzheitliche Behandlung mit psychosozialer Betreuung und Patientenschulungen sowie entsprechender Koordination der Angebote kann momentan ebenfalls noch optimiert werden.
Schlussfolgerung
Die Erkenntnisse aus dieser Untersuchung bestätigen Ergebnisse aus nationalen und
internationalen Studien zur Versorgungsituation von Menschen mit einer chronischen
Krankheit: Das grösste Optimierungspotenzial liegt in den Bereichen „Koordination der
Versorgung“, „Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung“ und „Förderung des Patienten als Experte seiner Erkrankung“.
4
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Inhaltsverzeichnis
Abstract................................................................................................................................ 3
Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................ 5
Abbildungsverzeichnis .........................................................................................................6
Tabellenverzeichnis ............................................................................................................. 6
1
Hintergrund ................................................................................................................... 7
2
Studienziel und Fragestellung ...................................................................................... 8
3
Methodik ....................................................................................................................... 9
3.1 Design der Studie .................................................................................................. 9
3.2 Recherche in Guidelines internationaler und Schweizer Fachgesellschaften ....... 9
3.3 Recherche bei Schweizer Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen
aus dem Bereich Rheumatologie ......................................................................... 10
3.4 Literatursuche in bibliografischen Datenbanken .................................................. 10
3.5 Recherche in Datenbanken aus dem Schweizer Gesundheitssystem und
Internetrecherche ................................................................................................. 11
3.6 Interviews mit Fachpersonen aus dem Versorgungskontext ............................... 11
3.7 Datenanalyse ....................................................................................................... 12
4
Resultate..................................................................................................................... 13
4.1 Überblick über die Datenlage .............................................................................. 13
4.2 Versorgungssituation von RA Patienten in der Schweiz ...................................... 15
5
4.2.1
Demografische Daten .................................................................................... 15
4.2.2
Versorgung und Patientenbedürfnisse ........................................................... 15
Diskussion ..................................................................................................................29
5.1 Stärken und Schwächen dieser Untersuchung .................................................... 29
5.2 Vergleich der Ergebnisse mit anderen Studien ................................................... 30
5.3 Implikationen für die Versorgung von RA Patienten in der Schweiz .................... 32
5.4 Schlussfolgerung ................................................................................................. 33
6
Anhang ....................................................................................................................... 34
7
Literaturverzeichnis..................................................................................................... 37
5
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Algorithmus für die Diagnosestellung (DGRh) .............................................. 20
Abbildung 2: Medikamentenschema nach EULAR Guidelines .......................................... 22
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Gegenüberstellung der optimalen Versorgung gemäss Guidelines
(SOLL) und der aktuellen Versorgungslage inkl. Erfüllung der
Patientenbedürfnisse (IST) von RA Patienten in der Schweiz ..................... 16
6
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
1 Hintergrund
Die Versorgung von Patienten mit chronischen Erkrankungen stellt eine besondere Herausforderung dar, die in Zukunft noch grösser wird.
Die Patienten werden an den unterschiedlichsten Stellen im Versorgungssystem behandelt (ambulant beim Hausarzt (HA); ambulant beim Facharzt; ambulant oder stationär im
Spital; ambulant oder stationär in der Rehabilitation; ambulant durch die Spitex). Die Verknüpfung der Nahtstellen zwischen den Versorgungsebenen ist eine grosse Schwierigkeit,
da unser Versorgungssystem sehr fragmentiert organisiert ist und in der Regel auch
fragmentiert vergütet wird. Eine gewisse Lotsenfunktion können hier Hausärzte oder
Case-Manager spielen.
Für verschiedene chronische Erkrankungen (z.B. Herzinsuffizienz, chronisch obstruktive
Lungenerkrankung; Depression, Diabetes mellitus) wurden sogenannte DiseaseManagement-Programme, die auf eine bessere Koordination der Behandlung abzielen
(Ziel: “integrierte Versorgung“), umgesetzt und in Studien evaluiert.1-3
Auch die Behandlung von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) ist herausfordernd, da
es sich um eine chronisch progressive Erkrankung, teilweise bei multimorbiden Patienten,
handelt und verschiedene Therapieoptionen nebeneinander bestehen. Typische Elemente
der Betreuung und Behandlung von Patienten mit RA sind die medikamentöse Behandlung (traditional disease-modifying antirheumatic drugs [tDMARD] und biological diseasemodifying antirheumatic drugs [bDMARD]),4-6 das Monitoring der Krankheitsaktivität, Physiotherapie, Ergotherapie, operative Eingriffe, psychologische Betreuung sowie Patientenschulungen (z.B. bezüglich Selbstmanagement). 7-9
Die Versorgungssituation von Patienten mit RA ist in der Schweiz über die ganze Versorgungskette bisher wenig erforscht. Empirische Daten zu allfälligen Stärken (z.B. Orientierung an Patientenpräferenzen; gute Integration der Versorgungsebenen) oder allfälligen
Schwächen der Versorgung (z.B. zu später Einbezug von Fachärzten; suboptimale medikamentöse Therapie) existieren für die Schweiz kaum. Diese Lücke soll mit der vorliegenden Studie geschlossen werden.
7
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
2 Studienziel und Fragestellung
Die Firma Merck Sharp & Dohme AG (MSD) ist ein Anbieter von Medikamenten im Bereich RA (z.B. Infliximab [Remicade®]; Golimumab [Simponi®]). Neben dem Vertrieb dieser Medikamente engagiert sich die Firma für die Förderung der Gesundheitskompetenz
der betroffenen Menschen und möchte nun die Versorgungssituation von Patienten mit
RA in der Schweiz untersuchen lassen.
Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die Analyse der Stärken und Schwächen der
aktuellen Versorgungssituation von Patienten mit RA in der Schweiz entlang der gesamten Versorgungskette.
Die konkrete Fragestellung lautet:
Wo liegen die Stärken und Schwächen der aktuellen Versorgungssituation von Patienten
mit RA in der Schweiz?
Der Inhalt der Studie betrifft die klinische Versorgung von Patienten mit der Diagnose RA
(Diagnosestellung, Behandlung/Betreuung, Sekundärprävention und Rehabilitation). Die
Themen Gesundheitsförderung/primäre Krankheitsprävention sind nicht eingeschlossen.
Zur Beantwortung der Fragestellung waren Informationen zu folgenden Themen relevant:

Epidemiologie (z.B. Anzahl Patienten mit RA in der Schweiz, Alter; Geschlecht)

Ist-Behandlungsmuster (Struktur- und Prozessmerkmale z.B. Anzahl Behandlungen; beteiligte Berufsgruppen und Kompetenzen; Art und Qualität der Kommunikation zwischen Hausarzt und Facharzt für Rheumatologie)

Gegenüberstellung: Empfohlenes Behandlungsmuster nach verwendeten Guidelines versus Ist-Behandlungsmuster in der Schweiz (Stärken; Defizite; Zugangsprobleme; mögliche Unterschiede zwischen Untergruppen wie z.B. „altere/jünger
Betroffene“)

Erfüllung von Patientenbedürfnissen (z.B. verständliche Kommunikation; Mitbestimmung bei der Therapie; verständliche Aufklärung über Risiken der Behandlung; Einbezug von Angehörigen)
Wo geeignete Daten vorhanden waren, wurden auch folgende Themen untersucht:

Qualität der Behandlung (Indikatoren zur Ergebnisqualität wie z. B. Lebensqualität)

Allfällige regionale Unterschiede in der Schweiz hinsichtlich Behandlungsmuster
8
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
3 Methodik
3.1 Design der Studie
Die Studie ist eine Querschnitt-Untersuchung.
Wir wählten dabei ein mehrstufiges Vorgehen:

Recherche in Guidelines internationaler- und Schweizer Fachgesellschaften

Recherche bei Schweizer Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen aus
dem Bereich Rheumatologie

Literatursuche in bibliografischen Datenbanken

Recherche in Datenbanken aus dem Schweizer Gesundheitssystem und Internetrecherche

Interviews mit Fachpersonen aus dem Versorgungskontext
3.2 Recherche in Guidelines internationaler und Schweizer
Fachgesellschaften
Die gezielte Suche bei nationalen und internationalen rheumatologischen Fachgesellschaften nach Praxis-Guidelines, sollte die empfohlene Therapie abbilden, sowie bei der
Erstellung des Interviewleitfadens behilflich sein. Dies insbesondere durch die Klärung
des Stellenwerts einzelner Elemente in der Versorgungskette bei RA Patienten. Bei folgenden Fachgesellschaften wurde nach Guidelines und zielführender Literatur recherchiert:

Schweizerische Gesellschaft für Rheumatologie (www.rheuma-schweiz.ch)

Health professionals in Rheumatology Switzerland (www.hpr-switzerland.ch)

Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V. (www.dgrh.de)

British Society for Rheumatology (www.rheumatology.org.uk)

European League against Rheumatism (EULAR) (www.eular.org)

American College of Rheumatology (www.rheumatology.org)
9
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
3.3 Recherche
bei
Schweizer
Patientenorganisationen
und
Selbsthilfegruppen aus dem Bereich Rheumatologie
Das Ziel der Recherche bei Schweizer Patientenorganisation und Selbsthilfegruppen war,
Informationen zu den Patientenbedürfnissen und –Erfahrungen im Kontext der Versorgungssituation von Menschen mit RA zu ermitteln.
Folgende Internetseiten wurden entsprechend durchsucht:

Schweizerische Patientenorganisation (www.spo.ch)

Schweizerische Patientenstelle Dachverband (www.patientenstelle.ch)

Rheumaliga Schweiz (www.rheumaliga.ch)

Rheuma Schweiz (www.rheuma-schweiz.ch)

Schweizerische Gesellschaft für Rheumatologie (www.rheuma-net.ch)

Schweizer Polyarthritiker Vereinigung (www.arthritis.ch)

Gruppe Junge Menschen mit Rheuma (www.jungemitrheuma.ch)
3.4 Literatursuche in bibliografischen Datenbanken
Der Zweck der Literatursuche in bibliografischen Datenbanken war primär das Auffinden
von Schweizer Publikationen, welche die Versorgung von Patienten mit RA thematisieren.
Zusätzlich haben wir gezielt auch thematisch nach internationalen Publikationen gesucht,
mit dem Ziel, die ermittelten Daten aus der Schweiz international zu vergleichen.
Die elektronische Literatursuche wurde in den bibliografischen Datenbanken Cochrane
Library und Medline durchgeführt.
Eingesetzte Suchbegriffe waren unter anderem „rheumatoid arthritis“ [Mesh], „Rheumatology“ [Mesh], „Switzerland“ [Mesh], „Swiss clinical quality management“.
Bei der gezielten thematischen Recherche benutzten wir zusätzliche Suchwörter wie
„needs“, „Quality of Life“ [Mesh], „EQ-5D“, „mortality“, welche wir mit den oben genannten
Suchbegriffen kombinierten.
Bezüglich Publikationsjahr und Sprache wurden keine Einschränkungen vorgenommen
(Suche erfolgte bis einschliesslich Februar 2013).
Die Literatursuche hat nicht den Charakter eines Systematic Reviews, sondern setzt
Schwerpunkte und wird als Bestandteil der gesamten Datenbeschaffung gesehen.
10
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
3.5 Recherche in Datenbanken aus dem Schweizer Gesundheitssystem und Internetrecherche
Für die Beantwortung der Fragestellung wurden zusätzliche Datenbanken aus der
Schweiz gesichtet. Diese sollen die Erkenntnisse aus der Literaturrecherche und den Interviews je nach Datenqualität und Datenlage ergänzen und gegebenenfalls einen Vergleich mit Daten aus anderen internationalen Versorgungssystemen ermöglichen.
Folgende Datenquellen wurden hinsichtlich Informationen zu RA untersucht:

Bundesamt für Statistik (BfS), inklusive Medizinische Statistik der Krankenhäuser
(www.bfs.admin.ch)

Jahresberichte ausgewählter Spitäler und Fachkliniken (Universitätsspital Zürich,
Universitätsspital Basel, Inselspital Bern, Schulthess Klinik)

Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (www.obsan.ch)

Swiss Clinical Quality Management in Rheumatic Diseases (www.scqm.ch)
3.6 Interviews mit Fachpersonen aus dem Versorgungskontext
Wir führten halb-strukturierte, leitfadengestützte telefonische und face-to-face Interviews
mit Personen durch, welche im Versorgungsprozess von RA-Patienten mitwirken.
Aufgrund der erwarteten lückenhaften Dokumentation der Versorgungssituation von RA
Patienten in der Schweiz in der Literatur, wurde in den Interviews die gesamte Versorgungskette von Schweizer RA Betroffenen thematisiert.
Im Bewusstsein, dass Interviews Aussagen und Meinungen von Einzelpersonen entsprechen, versuchten wir eine gewisse Sättigung der Informationen zu erreichen, indem wir so
viele Interviews durchführten, bis keine relevanten „neuen“ zielführenden Erkenntnisse
mehr auftauchten.
Aus folgenden Gruppen wurden Fachpersonen angefragt:

Fachärzte für Rheumatologie

Hausärzte, Allgemeinmediziner

Vertreter von Selbsthilfegruppen

Vertreter von Patientenorganisationen

Fachpersonen aus der ambulanten nichtärztlichen Betreuung (z.B. Therapie)

Vertreter von Versicherungen
11
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Der Interviewleitfaden wurde anhand der identifizierten Literatur der Fachgesellschaften
und internationalen Guidelines erstellt.4-7 9-15 Der Aufbau des Leitfadens richtete sich entlang der Elemente der Versorgungskette und beinhaltete den Erstkontakt, die Diagnostik,
die medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapie, die Patientenschulung sowie die
Behandlungsqualität (Anhang A).
3.7 Datenanalyse
Als erstes wird ein Überblick zur Datenlage, bezogen auf die untersuchten Quellen in den
einzelnen Methodenteilen, gegeben. Die analysierten Daten zur IST-Situation werden
anschliessend kompakt in Tabellenform (vgl. Tabelle 1), mit farblichen Markierungen im
Ampelsystem, dargestellt. Dies erlaubt einen systematischen Überblick über die Stärken
und Schwächen der Versorgung von RA Patienten in der Schweiz anhand unserer Beurteilung der verfügbaren Daten. Die einzelnen Elemente der Versorgungskette von RA
Patienten werden abschliessend in Textform ausgeführt.
12
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
4 Resultate
4.1 Überblick über die Datenlage
Recherche in Guidelines internationaler und Schweizer Fachgesellschaften
Schweizer Guidelines, welche die Versorgungskette von Patienten mit RA integral abbilden, existieren nicht. Die Schweizerische Gesellschaft für Rheumatologie gibt lediglich
Empfehlungen zur Verwendung von einzelnen Biologicals als Basistherapie ab
(bDMARD).
4-6
Deshalb wird in der Praxis auf internationale Empfehlungen zurückgegrif-
fen, wie zum Beispiel die EULAR (European League against Rheumatism) Guidelines.
Die EULAR Guidelines geben neben Medikamentenschemen auch Empfehlungen für
andere Versorgungsbereiche, wie zum Beispiel die Patientenschulung und die Versorgungsorganisation, ab.9 13 14 Zudem gibt es aus Deutschland und England Leitlinien, welche Empfehlungen für mehrere Elemente der Versorgungskette aussprechen.10-12
Recherche bei Schweizer Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen aus dem Bereich Rheumatologie
Die Recherche bei Schweizer Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen ergab wenig Aufschluss über die Patientenbedürfnisse. Lediglich die Rubrik „Fragen und Antworten“ bei der Schweizer Polyarthritiker Vereinigung wies auf Themen hin, welche die Betroffenen von rheumatischen Erkrankungen beschäftigen. So wurden häufig Fragen zur
Therapie (z.B. Medikamente, Nebenwirkungen von Medikamenten, Komplementäre Therapien) oder Diagnostik (z.B. Zweitmeinung einholen, Unterschiede von einzelnen rheumatischen Erkrankungen) gestellt.
Literatursuche in bibliografischen Datenbanken
Die Literatursuche in der Pubmed-Datenbank ergab 181 Treffer, wovon wir 10 Referenzen
für die Darstellung der Schweizer Versorgungsituation nutzen konnten. Die Kombination
der Suchbegriffe „Switzerland“ und „rheumatoid arthritis“ [Mesh] oder „Rheumatology“
[Mesh] ergab lediglich 50 Treffer (ohne Duplikate), was zeigt, dass bisher noch wenige
wissenschaftliche Studien aus der Schweiz zu diesem Thema publiziert wurden, die in
Pubmed gelistet sind. Vier weitere Publikationen zur Versorgungssituation von RA Patienten aus dem Ausland dienten dem Quervergleich mit der Situation in der Schweiz oder
lieferten gewisse zusätzliche Daten.
In der Cochrane Library haben wir keine relevanten Studien gefunden.
13
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Recherche in Datenbanken aus dem Schweizer Gesundheitssystem und Internetrecherche
In der medizinischen Statistik der Krankenhäuser konnten diejenigen stationären Aufenthalte identifiziert werden, welche RA als Hauptdiagnose enthielten. Die Ergebnisse werden im Resultate-Abschnitt dieser Studie unter dem Abschnitt „Stationäre Behandlung“
dargestellt.
In den untersuchten Jahresberichten und Webseiten von verschiedenen Kliniken, die Patienten mit RA behandeln (Universitätsspital Zürich, Universitätsspital Basel, Inselspital
Bern, Schulthess Klinik), konnten einige Hinweise auf die Versorgungssituation resp. die
Entwicklung der Behandlung von RA Patienten gewonnen werden. Diese Erkenntnisse
flossen in die Ableitung der Resultate mit ein.
Bezüglich RA konnten in den Datenbanken des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) keine relevanten Informationen oder Daten gefunden werden.
Eine spezifische Untersuchung der Daten der SCQM wurde nicht vorgenommen. Die öffentlich zugänglichen Publikationen der SCQM wurden in der Literatursuche eingeschlossen und ausgewertet.
Interviews mit Fachpersonen aus dem Versorgungskontext
Insgesamt haben von 21 angefragten Fachpersonen, welche in den Versorgungsprozess
von RA Patienten involviert sind, 11 an einem Interview teilgenommen. Davon haben wir 4
Personen persönlich für ein Gespräch getroffen und 7 telefonisch interviewt. Die Interviews dauerten jeweils ca. eine Stunde. Die detaillierte Liste der befragten Personen ist im
Anhang B zu finden.
Ursprünglich planten wir ebenfalls Hausärzte miteinzubeziehen. Allerdings war es mehreren angefragten Hausärzten aus Kapazitätsgründen nicht möglich für ein Interview zur
Verfügung zu stehen. 2012 wurde eine breite Befragung von Hausärzten und Rheumatologen im Auftrag von MSD mittels Computer Assisted Telephone Interviews (CATI) durchgeführt,16 welche die Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Rheumatologen untersuchte. Aus dieser Studie konnten Daten zu Hausärzten in der Betreuung von RA Patienten entnommen werden. Aus diesen Gründen wurde in Absprache mit dem Auftraggeber
auf Interviews mit Hausärzten verzichtet.
Die berufsgruppenübergreifenden Aussagen der Fachpersonen erwiesen sich als recht
homogen. Bei zunehmender Anzahl Interviews nahm die Anzahl relevanter neuer Erkenntnisse ab. Wir gehen davon aus, dass durch zusätzliche Interviews keine weiteren
14
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
wesentlichen Stärken oder Schwächen der RA Versorgung in der Schweiz hätten identifiziert werden können („saturation“).
4.2 Versorgungssituation von RA Patienten in der Schweiz
4.2.1 Demografische Daten
Im Bereich RA existiert kein zentrales Patientenregister. Exakte Angaben zu Inzidenz und
Prävalenz für die Schweiz liegen nicht vor. Da RA eine überwiegend ambulant behandelte
Krankheit ist, kann aufgrund von stationären Spitalaufenthalten nicht auf die Anzahl betroffener Personen geschlossen werden. Daten aus der ambulanten Versorgung sind für
RA sowie für die meisten Krankheitsbilder nicht aggregiert für die Schweiz verfügbar.
Verschiedene Fachquellen geben an, dass in der Schweiz ca. 1% der Bevölkerung von
Rheumatoider Arthritis betroffen ist (www.rheuma-schweiz.ch, www.rheumaliga.ch,
www.arthritis.ch). Dies würde in der Schweiz ca. 80‘000 Personen entsprechen (Stand
Dezember 2012). Es wird davon ausgegangen, dass Frauen ca. 2-3-mal häufiger von RA
betroffen sind als Männer. Die 2010 und 2011 neu in der SCQM eingeschlossenen Patienten waren zu 73% Frauen, was diese Annahme stützt.17
4.2.2 Versorgung und Patientenbedürfnisse
Um die Stärken und Schwächen der aktuellen Versorgungssituation von Patienten mit RA
in der Schweiz darzustellen, haben wir als Überblick eine Tabelle erstellt (
Tabelle 1). Sie stellt die identifizierten Guidelines (SOLL-Situation) der aktuellen Versorgungssituation in der Schweiz und den Patientenbedürfnissen (IST-Situation) gegenüber.
Die farbliche Kodierung (Ampel System) verdeutlicht die Stärken (grün), Schwächen mit
Verbesserungspotential (gelb) und deutlichen Schwächen, welche verbesserungsbedürftig sind (rot) der Versorgung von RA Patienten nach Beurteilung der vorliegenden Daten.
15
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Elemente in der RA Versorgungskette
Hauptgruppe
ärtzlicher Erstkontakt/
Überweisung
SOLL
IST
Einschätzung
der
Versorgungslage
Untergruppe
Optimale Versorgung gemäss Guideline
Hausarzt
Aufgaben des HA bei Erstkontakt gemäss DGRh: a
Früherkennung und danach zeitnahe Überweisung an Rheumatologen
Rheumatologe
Definitive Diagnosestellung und Einleitung der medikamentösen Therapiea
Rheumatologe soll für spezielle Diagnostik (z.B. Punktion), Therapie (z.B. Biologicals)
und bei Verdacht auf frühe Arthritis beigezogen werden. a Falls durch den
Rheumatologen die Diagnose RA gestellt und eine Therapie begonnen oder
vorgeschlagen wurde, sollte der Rheumatologe den Patienten zum HA zurück
Überweisung zum
überweisen, soweit sich dieser in der Lage sieht, die begonnene Therapie fortzuführen,
Rheumatologen /
Rücküberweisung an Hausarzt zu überwachen und den Verlauf der Erkrankung zu kontrollieren. a
Prozess der
Diagnosestellung
Empfehlungen zur Diagnosestellung (z.B. Beurteilung des klinischen Bildes; Wertigkeit
von Laboruntersuchungen und bildgebenden Verfahren). Überweisung an
Rheumatologen erst nach Anamnese und ersten Untersuchungen.a
Medikamentöse
Therapie
Verschiedene GL geben Empfehlungen zum Medikamentenschema ab,
aber meist auf EULAR-GL oder adaptieren den EULAR Algorithmus.d
Nicht medikamentöse
Therapien
und
Komplementärmedizin
Physiotherapie
Empfehlungen zum Einsatz von Physiotherapie und körperlicher Aktivität (Sport) in den
DGR-GL. a Es ist generell gut sich sportlich zu betätigen. Nachweis von Wirksamkeit
aber grösstenteils unsicher.
Die EULAR-GLc definieren die Zusammensetzung multiprofessioneller Teams
(Rheumatologe; Physiotherapeut; Nursing Care; Ergotherapie und andere) für
Rheumazentren.
Ergotherapie
Empfehlungen zum Einsatz von Ergotherapie in den DGR-GL. a Wirksamkeit von
umfassender Ergotherapie begrenzt. Die Anleitung zum gelenkschonenden
Verhalten konnte Wirksamkeit belegen (verbesserte Funktionalität)
Die EULAR-GLc definieren die Zusammensetzung multiprofessioneller Teams
(Rheumatologe; Physiotherapeut; Nursing Care; Ergotherapie und andere) für
Rheumazentren.
Komplementärmedizin
Empfehlungen zum Einsatz von komplementären Verfahren bei RA (z.B. Akupunktur;
Tai Chi) in den DGR-GL. a Nutzen bezüglich Krankheitsverlauf wenig belegt.
Home Care
EULAR Empfehlungen, was Aufgaben von Pflegefachpersonen im Bereich Home Care
sein sollten ( z.B.Patientenedukation, Kontinuität der Versorgung auftrecht erhalten,
telefonischen Support bieten, Krankheitsmanagement , psychosoziale Unterstützung
anbieten, Selbstmanagement unterstützen). e
Psychosoziale Betreuung
Empfehlungen zum Einsatz psychologischer Unterstützung in den DGR-GL. a
Umfassende Behandlung inkl. psychosozialer Unterstützung sollte von
interdisziplinärem Team angeboten werden. Krankheits- und
Stressbewältigungsprogramme sowie Psychotherapie haben ihre Effektivität in
zahlreichen Studien nachgewiesen.
a-c
verweisen
Stationäre
Behandlung
Ausgewählte Patienten profitieren möglicherweise von einer intensiveren Betreuung
durch ein multidisziplinäres Team im Rahmen eines akutstationären Aufenthaltes. a
Patientenschulung,
Information
"Patient als Experte" und
Selbstmanagement
Health Professionals in Rheumatology Switzerland empfehlen Patientenschulung und
Empowerment zum Selbstmanangement. f
Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie hat in Kooperation mit der Deutschen
Rheuma-Liga für die RA ein Patientenschulungsprogramm entwickelt und evaluiert. a
Information durch Health
Professionals
Health Professionals in Rheumatology Switzerland empfehlen umfassende
Patienteninformation. f Die EULAR-GLc betonen die Wichtigkeit der gezielten
Patienteninformation, wo Patienten welche Versorgungsleistungen erhalten können.
Arbeitssituation,
Sozialmedizinische
Fragen im Berufsumfeld Sozialversicherung
Für besondere Situationen (Begutachtung) findet sich eine GL nach Empfehlungen der
Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie. g
Organisation der
Versorgung und
Behandlungsqualität
Health Professionals in Rheumatology Switzerland empfehlen
Stärkung von mulitdisziplinären Teams und den Einsatz verschiedener "allied health
professionals". f
Definition eines Behandlungspfads in den DGR-GLa (Teile daraus siehe andere
Elemente).
Argumente für "Integrierte Versorgung" mit Beschreibung der abgeschlossenen Verträge
in Deutschland. a
Organisation der Versorgung
Weiterbildung
Professionals: Hausarzt
?
Die EULAR-GLc+e betonen die Wichtigkeit der Weiterbildung
aller health professionals,welche Patienten mit RA betreuen.
Weiterbildung Professionals:
Rheumatologe
Die EULAR-GLc+e betonen die Wichtigkeit der Weiterbildung
aller health professionals,welche Patienten mit RA betreuen.
Behandlungsqualität
Health Professionals in Rheumatology Switzerland empfehlen systematische
Weiterbildung von "allied health professionals" und Therapie nach evidenzbasierter Best
Practice. f Die EULAR-GLc betonen Wichtigkeit des kontinuierlichen Monitorings des
Aktivitätszustandes der Erkrankung. Die EULAR-GLc definieren Qualitätsstandards
(z.B. zu Wartezeiten bis zur Überweisung für den Kontext im Vereinigten Königreich;
Skills der betreuenden Berufsgruppen; Outcome-Messungen).
Die Aufgabe des HA in der laufenden Behandlung ist das Monitoring der Therapie und
Erkennen von Komplikationen.a
Tabelle 1: Gegenüberstellung der optimalen Versorgung gemäss Guidelines (SOLL) und der aktuellen Versorgungslage inkl. Erfüllung der Patientenbedürfnisse (IST) von RA Patienten in der Schweiz
Legende: Grün= Stärke, Gelb= Schwäche mit Verbesserungspotential, Rot= deutliche
Schwäche, welche verbesserungsbedürftig ist, ?= Die Datenlage ermöglicht keine aktuelle
Einschätzung (Erklärungen zu unserer Einschätzung siehe nachfolgender Text)
16
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Literaturverzeichnis für Tabelle 1
a Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (2013). DGRh-Leitlinie: Management
der
frühen rheumatoiden Arthritis.
b The British Society of Rheumatology (2013) Training, service provision and RCP guidelines.
c Woolf, A. D. (2007). "Healthcare services for those with musculoskeletal conditions: a
rheumatology service. Recommendations of the European Union of Medical Specialists
Section of Rheumatology/European Board of Rheumatology 2006." Ann Rheum Dis
66(3): 293-301.
d Smolen, J. S., R. Landewe, et al. (2010). "EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs." Ann Rheum Dis 69(6): 964-975.
e van Eijk-Hustings, Y., A. van Tubergen, et al. (2012). "EULAR recommendations for
the role of the nurse in the management of chronic inflammatory arthritis." Ann Rheum
Dis 71(1): 13-19.
F Health Professionals in Rheumatology Switzerland (2012). Newsletter Nummer 17.
g Schweizerische Gesellschaft für Rheumatologie (2007). "Leitlinien für die Begutachtung rheumatologischer Krankheiten und Unfallfolgen." Schweizerische Ärztezeitung
88(17): 736-742.
17
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Ärztlicher Erstkontakt/ Überweisung
Hausarzt
Gemäss den Aussagen der Fachpersonen konsultieren RA Betroffene in der Schweiz bei
ersten Symptomen mehrheitlich zuerst ihren HA. Niedergelassene Rheumatologen werden seltener auch direkt als erste ärztliche Anlaufstelle kontaktiert, wogegen Rheumatologen in Spitälern berichten, dass eigentlich 100% ihrer Patienten vom HA überwiesen wurden.
Optimierungspotenzial gibt es hier nach Angaben mehrerer interviewter Personen bezüglich der Heterogenität des Fachwissens der HA: Es gibt gut weitergebildete und weniger
gut weitergebildete Hausärzte. Nicht nur die Rheumatologen spüren diesen Unterschied,
sondern auch die Patienten merken, wenn der HA Unsicherheiten im Umgang mit RA
aufweist.
Rheumatologe
Wenige Patienten gehen bei Symptomen direkt zum Rheumatologen. In der Mehrheit
werden die Patienten vom HA überwiesen. Die Patienten schätzen die kompetente Unterstützung und rasche Einleitung einer geeigneten Therapie. Für die Patienten ist auch ein
gutes Vertrauensverhältnis zum Rheumatologen sehr wichtig, was sich auch positiv auf
die Therapiecompliance auswirkt.
In der Schweiz gab es gemäss FMH im Jahre 2012 insgesamt 424 praktizierende Rheumatologen.18 Bei einer RA Prävalenz von 1% der Schweizer Bevölkerung ergibt dies 1
Rheumatologen auf 188 RA Patienten. Im Vergleich dazu praktizieren in Deutschland ca.
1‘000 Rheumatologen, was bei angenommener identischer Prävalenz 1 Rheumatologen
pro 810 RA Patienten entspricht. Diese Zahlen bestätigen die Aussage von Fachpersonen, dass es in der Schweiz genügend Rheumatologen gibt, welche die Versorgung der
Patienten sicherstellen können.
Überweisung zum Rheumatologen/ Rücküberweisung an Hausarzt
Da RA keine häufig auftretende Diagnose in den Hausarztpraxen ist, scheint das frühzeitige Erkennen von Symptomen für die HA häufig schwierig zu sein. Solange die Symptome nicht oder nicht richtig gedeutet werden, findet auch keine Überweisung an den
Rheumatologen statt. Am Universitätsspital Zürich fand man in einer Studie heraus, dass
es durchschnittlich 20 Wochen dauerte, bis der nach ärztlicher Hilfe suchende RA Patient
einen Spezialisten sah.19
18
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Die Betroffenen berichten, dass es oftmals lange dauerte, bis sie zum Rheumatologen
überwiesen wurden. Das waren dann lange Wartezeiten, welche mit viel Unsicherheit
verbunden waren. Deshalb ist eine zügige Überweisung an den Spezialisten zur genauen
Diagnostik und Therapie wichtig für die Betroffenen.
Die Rollen der Rheumatologen und HA im weiteren Behandlungsverlauf beim RA Patienten sind nicht immer klar verteilt. Manchmal ist der Rheumatologe auch gleich „HA“ und
manchmal ist der HA auch gleichzeitig der „Rheumatologe“ (z.B. bei mild verlaufender
RA).
Prozess der Diagnosestellung
Der Prozess der Diagnosestellung wird vor allem bei den seronegativen RA Patienten
komplexer (etwa 40% aller RA Patienten). Ebenfalls erweist sich die Diagnostik bei Kindern (RA bei den betreuenden Ärzten weniger „im Visier“) und bei älteren Menschen (Multimorbidität) als schwieriger. Menschen mit Migrationshintergrund gehen oft erst spät zum
Arzt, da sie die Beschwerden als „zum Alter gehörende“ Erscheinung sehen oder der Zugang generell zum Gesundheitssystem erschwert ist. Zusätzlich mit den oben unter
„Überweisung“ geschilderten Faktoren kann dies zur verzögerten Diagnosestellung führen. Dies bestätigen die Daten der Swiss Clinical Quality Management Stiftung (SCQM),
welche bei 1223 Schweizer RA Patienten eine durchschnittliches Zeitintervall von den
ersten Symptommanifestationen bis hin zur Diagnosestellung von 1.3 Jahren ermittelte.20
Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) hat in ihrer Leitlinie einen Algorithmus zur Diagnosestellung erstellt (Abbildung 1).10
19
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Abbildung 1: Algorithmus für die Diagnosestellung (DGRh)10
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie richtet sich in der Schweiz hauptsächlich nach den EULAR
Guidelines (EULAR: The European League aganist Rheumatism). Diese Guidelines enthalten einen übersichtlichen Algorithmus (vgl. Abbildung 1). Die medikamentöse Therapie
erfolgt in den meisten Fällen beim Rheumatologen, insbesondere wenn der Patient mit
Biologicals behandelt wird. Die Patienten gehen dann periodisch zum Rheumatologen zur
Kontrolle der Therapie. In der Schweiz werden RA Patienten früher mit Biologicals behan20
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
delt als in anderen Ländern, was auch einen positiven Effekt auf die Krankheitsaktivität
und den Gesundheitszustand der Betroffenen hat.
21
Wenn der Rheumatologe ein Biologi-
cal verschreibt (nach EULAR GL), werden die Kostengutsprachen gewährt. Der Zugang
zu Biologicals für Patienten mit der notwendigen Indikation ist in der Schweiz sichergestellt.
Eine grosse Herausforderung stellt die regelmässige Einnahme der Medikamente dar. Die
lebenslange Einnahme, die Nebenwirkungen und wechselnde Medikationen erschweren
es Betroffenen, sich an die medikamentöse Therapie zu halten.
Für die Betroffenen steht eine qualitativ hochwertige Behandlung im Vordergrund, welche
von kompetenten Fachpersonen erbracht wird. Ein grosses Bedürfnis ist die Aufklärung
über die Medikamente und deren Nebenwirkungen. Die Betreuung durch den Facharzt,
und die damit verbundene medikamentöse Therapie, wurde in sämtlichen Interviews als
qualitativ hochstehend beschrieben.
21
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Abbildung 2: Medikamentenschema nach EULAR Guidelines14
22
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Nicht medikamentöse Therapien und Komplementärmedizin (KM)
Physiotherapie
Die Physiotherapie ist eine häufige und gut akzeptierte Therapieoption, insbesondere zur
Schmerzbehandlung. Die Häufigkeit der Verordnung ist vom jeweiligen Arzt abhängig. Mit
der Einführung von Biologicals hat die Verordnung von Physiotherapie etwas abgenommen, da die Ärzte vermutlich davon ausgehen, dass die Patienten weniger Symptome
haben. Auch ist die Häufigkeit der Verordnung abhängig von der Verfügbarkeit von Physiotherapeuten mit RA Fachwissen, was in der Stadt im Gegensatz zu ländlichen Regionen
besser gewährleistet ist.
Die Patienten haben einen recht guten Zugang zur Physiotherapie, obwohl sie sich teilweise von ärztlicher Seite her ein aktiveres Angebot an Physiotherapie wünschten, so
dass sie nicht erst „darum bitten müssen“ und geeignete Physiotherapeuten vorgeschlagen werden.
Ergotherapie
Ergotherapie wird vor allem zu Beginn der Krankheit und Therapie als sinnvoll und hilfreich erachtet, da es primär darum geht die Krankheit RA in den Alltag der Betroffenen zu
integrieren und Techniken zu erlernen, welche die Gelenke langfristig schonen. Hier zeigt
sich das Problem der abnehmenden ärztlichen Verordnung von Ergotherapie noch stärker
als bei der Physiotherapie. Gründe dafür könnten, wie oben genannt, die Annahme sein,
dass die Patienten mit Biologicals weniger Beschwerden haben (was vor allem in Bezug
auf Deformitäten sicher stimmt). Eine andere Annahme könnte sein, dass mit Physiotherapie keine Ergotherapie mehr nötig sei, weil die Aufgaben und Ziele der Ergotherapie
sehr unterschiedlich wahrgenommen werden und nicht allen klar sind.
Alltagshilfen werden bei den Patienten als sehr nützlich erlebt. Die Rheumaliga hat ein
grosses Angebot an Alltagshilfen, welches rege genutzt wird. Man stellt aber eine Tendenz fest, dass immer mehr Patienten, vor allem jüngere, die Alltagshilfen in normalen
Warenhäusern einkaufen. Die Warenhäuser bieten mittlerweile einige Basisalltagshilfen
an und die Betroffenen fühlen sich weniger krank, wenn sie die Hilfsmittel gleich mit den
alltäglichen Besorgungen einkaufen können.
Komplementärmedizin (KM)
RA Patienten nehmen häufig KM in Anspruch. Im Vordergrund steht die Optimierung der
Symptomlinderung und damit verbunden das Ziel weniger Schmerzmittel einnehmen zu
23
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
müssen. Aufgrund des häufig fehlenden Wirksamkeitsnachweises ist es ganz wichtig,
dass KM nur ergänzend zur Schulmedizin eingesetzt wird. Das erfordert einen verantwortungsvollen Umgang und ausführliche Information von Seiten der Komplementärmediziner.
Die Rheumatologen und HA sind in der Empfehlung von KM eher zurückhaltend und thematisieren dies selten aktiv in ihrer Sprechstunde. Die Betroffenen informieren und organisieren sich zum Beispiel über die Rheumaliga oder Selbsthilfegruppen selber.
Home Care
Die Firma Mediservice bietet unter anderem schweizweit eine Therapiebegleitung für RA
Patienten an. Diese „Homecare“ Therapiebegleitungen (dipl. Pflegefachpersonen mit Weiterbildung RA) haben zum Ziel, die RA Betroffenen ganzheitlich zu begleiten und zu beraten. Es geht nicht darum, die Biological-Injektionen zu verabreichen (wie es z. B. eine
Aufgabe der Spitex ist), sondern die Patienten zu schulen, zu beraten und zum Selbstmanagement anzuleiten. Der Kontakt findet face-to-face und telefonisch statt, ohne zeitliche
Einschränkung.
Obwohl das Angebot in der ganzen Schweiz verfügbar ist, stösst es bisher fast nur in der
Romandie auf Anklang. Das Problem ist, dass die Ärzte das Angebot zwar schätzen, aber
oftmals nicht mehr daran denken und so die notwenige Verschreibung nicht durchführen
oder die Patienten nicht auf das Angebot hinweisen.
Die Patienten schätzen vor allem die Beratung und das Wiederholen der beim Rheumatologen erhaltenen Informationen. Ebenfalls wird geschätzt, dass sie jederzeit eine kompetente Fachperson kontaktieren können, wenn sie Probleme oder Fragen haben.
Im Bereich home care bestünde auch Potential für weitere Berufsgruppen wie z.B. die
Ergotherapeuten. Dadurch könnte die individuelle Situation der Patienten vor Ort analysiert und optimiert werden.
Psychosoziale Betreuung
Bei der psychosozialen Betreuung besteht die grösste Diskrepanz zwischen Angebot und
Nachfrage. Viele Patienten wünschen sich Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung
und dem Umgang im Alltag. Die Rheumatologen denken oft nicht an diese Art von Unterstützung, vielleicht auch wegen den mittlerweile verbesserten medizinischen Ergebnissen,
vor allem unter Biologicals. Erschwerend kommt hinzu, dass es wenig ambulante Angebote für psychosoziale Beratung für Menschen mit einer chronischen Krankheit gibt, wie es
24
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
zum Beispiel von cg-empowerment angeboten wird. Ausserdem stellt die Abrechnung
dieser Leistungen eine Herausforderung dar. Die Patienten bezahlen solche Leistungen
meistens aus der eigenen Tasche.
Stationäre Behandlung
Der Fokus dieser Untersuchung liegt in der Versorgung von RA Patienten im ambulanten
Bereich, da hier der überwiegende Teil der Versorgung stattfindet, wie die folgenden Daten zeigen.
Für einen Einblick in die stationäre Versorgungssituation wurde die Medizinische Statistik
der Krankenhäuser vom Bundesamt für Gesundheit herangezogen. Für das Jahr 2010
sind 844 Krankenhausaufenthalte mit einer RA Hauptdiagnose nach ICD-10 (M05 oder
M06) registriert worden. Die 3 häufigsten Diagnosegruppen waren dabei „Chronische Polyarthritis, nicht näher bezeichnet“ (M069), „Seropositive chronische Polyarthritis, nicht
näher bezeichnet“ (M059) und „Seronegative chronische Polyarthritis“ (M060).
Eine Umfrage im Wallis aus dem Jahre 2000 bei RA Patienten zeigte durchschnittlich 1.53
Spitalaufenthalte pro Patient in den vergangenen 6 Jahren. Auch hier war eine seropositive RA ein Risikofaktor für die Hospitalisation.22
Patientenschulung, Information
Patient als Experte und Selbstmanagement
Alle befragten Fachpersonen betonten die Wichtigkeit des Selbstmanagements der Patienten im Umgang mit RA und sehen dort ein grosses Verbesserungspotenzial. Die Patienten erhalten in der Regel über verschiedene Kanäle Informationen und Angebote (z.B.
via Arzt, Rheumaliga, Selbsthilfegruppen, Internet), jedoch fehlt eine entsprechende Koordination dieser Informationen und Angebote. Das Potenzial strukturierter Selbstmanagement- und Schulungsprogramme wäre jedoch gross.
Eine Schweizer Studie von Physiotherapeuten mit 27 RA Patienten zeigte, dass sich
durch die Patientenschulung die Befolgung von gelenkschonenden Bewegungen und Verrichtungen signifikant verbesserte und die Griffstärke der Betroffenen im Gegensatz zur
Kontrollgruppe ohne Schulung ebenfalls zunahm. 23
25
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Information durch Health Professionals
Generell ist der Informationsbedarf bei den Betroffenen gross und kann vom Rheumatologen alleine nicht abgedeckt werden. Die Betroffenen informieren sich unterschiedlich aktiv
über ihre Erkrankung (z.B. im Internet, mittels Broschüren oder mittels Fachliteratur).
Die Rheumatologen informieren in der Sprechstunde und geben zusätzlich Informationsmaterial ab, welches sie in der nächsten Konsultation wieder mit dem Patienten besprechen. Die Patienten schätzen die ärztliche Information sehr, wünschten sich oft einfach
mehr Zeit für Gespräche mit dem Arzt.
Sozialmedizinische Fragen im Berufsumfeld
Durch die modernen Therapieformen sind immer weniger berufliche Umschulungen nötig.
Die Betroffenen möchten so normal wie möglich im Arbeitsprozess integriert sein. Falls
jemand trotzdem (teilweise) arbeitsunfähig wird, ist der Weg der IV-Abklärung von Fall zu
Fall sehr unterschiedlich und kann teilweise sehr lange dauern. Aktuelle Schweizer Daten
über alle medizinischen Fachbereiche bestätigen teilweise lange Bearbeitungszeiten von
Gutachten.24 25 Die Koordination ist diesbezüglich aus Patientensicht eher mangelhaft. Die
Betroffenen schätzen deshalb Sozialberatungen und Informationsanlässe zu diesem
Thema sehr.
Eine Umfrage im Wallis bei 200 RA Patienten ergab, dass ca. 55% der Frauen und ca.
25% der Männer Vollzeit arbeiteten, und dies bei fast gleichem Durchschnittsalter. 22%
der Frauen und 52% der Männer arbeiteten nicht. Etwa 10% der Frauen und 40% der
Männer erhielten 100% IV Rente. 22
Versorgungsorganisation und Behandlungsqualität
Organisation der Versorgung
Die Versorgung von RA Patienten in der Schweiz könnte besser koordiniert werden. Der
Prozess der Zusammenarbeit in der Versorgungskette ist oft wenig organisiert und es
bestehen institutionelle Barrieren.
Verschiedene Vorstösse zur Verbesserung wurden schon gemacht. So besteht zum Beispiel die Idee eines Primary Care Teams oder von regionalen Beratungszentren mit interdisziplinären Teams, analog zur interdisziplinären Rheumasprechstunde am Universitätsspital Zürich (USZ). Weiter wurde auch schon ein mobiles Care Team angedacht, welches
vor Ort von den Betroffenen besucht werden könnte.
26
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Eine schriftliche Befragung des USZ von 69 Patienten mit komplexen muskuloskelettalen
rheumatischen Erkrankungen zeigte, dass 14% unzufrieden mit der rheumatologischen
Interdisziplinären Schmerzsprechstunde (RISS) des USZ waren. Der Mittelwert war 6.1
Punkte (SD 3.3) bei einer Skala von 0 (sehr unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden). Die Autoren räumten ein, dass die Ergebnisse womöglich auch mit den Erwartungen der Patienten zusammenhingen (z.B. die Erwartung schmerzfrei zu sein).26
Das Hindernis für solche Innovationen in der Versorgungslandschaft war bisher vor allem
das Schweizer föderalistische System, eine fehlende Finanzierung und die fehlenden oder
unterschiedlichen Anreize der einzelnen Versorgungsstufen.
Was teilweise schon umgesetzt wurde oder in Planung ist, sind Bestrebungen, nichtärztliche Berufsgruppen wie zum Beispiel Medizinische Praxisassistentinnen oder Pflegefachpersonen stärker in die Betreuung von RA Patienten miteinzubeziehen (z.B. für Applikation von Medikamenten, Patientenschulung). Eine solche Möglichkeit wird unter „Home
Care“ beschrieben.
Die Patienten wünschten sich eine besser koordinierte und gesteuerte Versorgung.
Weiterbildung Professionals Hausärzte
Die Rheumaliga Schweiz bietet eine jährliche multizentrische Fortbildungsreihe für HA an
(„Rheuma 2000“). Andere regionale Weiterbildungen gibt es in Form von Vorträgen von
Rheumatologen zum Beispiel in HA-Zirkeln. Das Problem daran ist, dass in der Regel
immer wieder dieselben interessierten HA teilnehmen. Alle HA werden damit nicht erreicht.
Weiter existiert das Projekt „Patient Partners“, ein weltweit stattfindendes Programm der
Arthritis Action Group. In der Schweiz wird es von der Rheumaliga und MSD organisiert
und unterstützt. In diesem Projekt arbeiten ausgebildete Patienten mit rheumatischen Erkrankungen (Patient-Partners) mit Hausärzten zusammen. In einem Weiterbildungsprogramm schildern die Patienten ihre eigene Erkrankung und zeigen somit auf, worauf es
zum Beispiel bei der Diagnose ankommt.
In der Schweiz gibt es 8 solche Patient-Partners, welche bisher wenig ausgelastet sind. In
Deutschland sind 120 Patient-Partners aktiv. In Deutschland findet die Schulung der Patient-Partners im Anschluss an einen Vortrages eines Rheumatologen statt. In der Schweiz
wird dies zurzeit noch mehrheitlich unabhängig von Vorträgen eines Rheumatologen angeboten.
27
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Weiterbildung Professionals Rheumatologe
Viele Weiterbildungsmöglichkeiten für Rheumatologen werden von Seiten der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie angeboten.
Eine Multiple Choice Befragung, verteilt an einem schweizerischen Rheumatologie Kongress, zeigte, dass die Mehrheit der 223 Teilnehmer 1-2 Stunden pro Woche Fachzeitschriften lesen und sich einmal alle 7 oder mehr Jahre weiterbilden. Dabei finden 87% der
Befragten, dass professionelle Weiterbildungen Wissen vermitteln und Lücken füllen.
Selbsteinschätzungsinstrumente für Wissen werden begrüsst und man fände ein persönliches Feedback auf die Selbsteinschätzung hilfreich. Die Möglichkeit einer Rezertifizierung
von Rheumatologen wurde mehrheitlich abgelehnt. 27
Behandlungsqualität
Die Behandlungsqualität bei Patienten mit RA in der Schweiz wird von den befragten
Fachpersonen insgesamt als gut beurteilt.
Einzelne Indikatoren wurden schon in der vorhergehenden Texten beschrieben.
Wirklich überprüft wird die Qualität der Behandlung von RA Patienten in der Schweiz aber
noch wenig. Ein sehr wichtiges Instrument der Qualitätssicherung ist das Register Swiss
Clinical Quality Management in Rheumatic Diseases (SCQM), eine Stiftung der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie. Etwa 10% der RA Patienten in der Schweiz werden in diesem Register erfasst, wobei dies überwiegend Patienten mit Biologicals sind.
Der Anreiz für Rheumatologen, Patienten mit Biologicals in der SCQM zu erfassen, wird
durch die Nichtberücksichtigung der entsprechenden RA Patienten in der Kostenkontrolle
von santésuisse erhöht. Das Erfassen von RA Patienten ohne Biologicals wird relativ selten wahrgenommen, da die Erfassung auch ressourcenaufwendig ist. Erfasst werden unter anderem die gesundheitliche Verfassung und Aktivitäten der RA Patienten (Instrumente HAQ und RADAI), und sozioökonomische Faktoren wie Arbeits- und Erwerbsfähigkeit.
Von uns befragte Kliniker schätzten die SCQM-Daten ihrer Patienten als gutes Monitoring-Instrument. Ein solches Monitoring ist Teil der in den Guidelines aufgeführten Massnahmen zur Verbesserung der Behandlungsqualität.
28
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
5 Diskussion
In einem multimodalen Ansatz haben wir aktuelle Daten generiert, welche die Versorgungssituation von RA Patienten in der Schweiz abbilden. Die verschiedenen Datenquellen liessen Rückschlüsse auf die Stärken und Schwächen des überwiegenden Teiles der
Versorgungskette von RA Patienten zu.
Die Stärken in der Versorgung von RA Patienten in der CH liegen im breiten Angebot diverser Leistungserbringer und unterstützender Organisationen (z.B. Patientenorganisationen). Ebenfalls wird die Versorgung als qualitativ hochstehend wahrgenommen, besonders die medikamentöse Therapie wird nach Guidelines angewendet und ist für die Patienten gut zugänglich.
Die Schwächen scheinen die häufig verzögerte Überweisung an den Facharzt und dementsprechend aufgeschobene Diagnosestellung zu sein. Ebenfalls besteht im Bereich der
ganzheitlichen Versorgung inklusive psychosozialer Betreuung und Patientenschulungen
sowie der entsprechenden Koordination der Angebote noch Optimierungspotiential.
5.1 Stärken und Schwächen dieser Untersuchung
Eine Stärke dieser Untersuchung ist das mehrstufige Vorgehen, also die Kombination aus
Recherchen in verschiedenen Datenbanken, bei Fachgesellschaften, bei Patientenorganisationen etc. und Interviews mit Fachpersonen aus dem Versorgungsprozess. Durch die
Verwendung verschiedener methodischer Ansätze bei der Datenbeschaffung und die damit verbundene bessere Übersicht über die Datenlage, konnte die Beurteilung der Versorgungssituation hinsichtlich Stärken und Schwächen durch das Projektteam breiter abgestützt werden.
Eine Schwäche der Untersuchung ist, dass nicht alle Versorgungsgruppen (z.B. einzelne
regionale Selbsthilfegruppen) im Sinne einer Vollerhebung in die Untersuchung eingeschlossen werden konnten. Somit besteht die Möglichkeit, dass die Meinung der befragten Experten nicht repräsentativ ist. Zusätzlich haben wir uns bei der Auswahl der Fachpersonen mehrheitlich auf die Deutschschweiz beschränkt.
29
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
5.2 Vergleich der Ergebnisse mit anderen Studien
Vergleich mit RAISE Studie und MSD Umfrage bei HA und Rheumatologen
Im Jahr 2010 führte die Medical Market Research GmbH in der Schweiz die RAISE
(rheumatoid arthritis insights, strategies and expectations) Studie durch. Dabei wurden 68
RA Patienten (unter Therapie mit Biologicals oder geeignet für Therapie mit Biologicals)
zum Versorgungsprozess interviewt.28 Zusätzlich wurde im Jahr 2012 von der Firma Polyquest im Auftrag von MSD eine breite telefonische Befragung (CATI) von 76 Hausärzten
und Rheumatologen, welche mindestens 2 Patienten mit RA betreuten durchgeführt. Diese Befragung untersuchte die Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Rheumatologen. 16
Die Aussagen der von uns interviewten Fachpersonen bestätigen die Ergebnisse der beiden Studien und deuten darauf hin, dass wesentliche Erkenntnisse aus dieser Studie weiterhin Gültigkeit haben.
So zeigte auch die RAISE Studie, dass die meisten RA Patienten zuerst den HA aufsuchten, als die ersten Symptome auftraten.
Das Problem des langen Zeitintervalls zwischen dem Auftreten der ersten Symptome bis
zur Diagnose bei einem Rheumatologen wird in der RAISE Studie ebenfalls bestätigt, wo
knapp die Hälfte der Befragten RA Patienten ≥8 Wochen warteten.
Die „ärztliche Behandlung“ von RA Patienten ist gemäss CATI-Umfrage bei HA und
Rheumatologen gleichmässig verteilt entweder hauptsächlich beim „HA“, beim „Spezialisten“ oder „gemeinsam beim HA und Spezialisten“.
Fast alle befragten HA und Rheumatologen sind der Meinung, dass nach der Diagnosestellung und Therapieeinleitung der HA für die Schmerzmitteltherapie, wie NSAR und andere Schmerzmittel, zuständig sein sollte. Ebenfalls sollte das Monitoring von Labor, Therapieerfolg, Management der Risikofaktoren etc. beim HA geschehen. Die RAISE Studie
zeigt ausserdem, dass nach Angaben der Patienten etwa ein Drittel der Rheumatologen
auch andere Gesundheitsprobleme der RA Patienten behandeln.
Knapp die Hälfte der RA Betroffenen wendeten gemäss RAISE Studie nicht medikamentöse Therapien oder Komplementärmedizin an. Am häufigsten wurde die Ergotherapie
genannt. Physiotherapie und KM werden etwa gleichermassen in Anspruch genommen.
Phytotherapie, Osteopathie und Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) sind bei der KM
die Favoriten. Da in der RAISE Studie mehrheitlich Patienten eingeschlossen wurden,
welche mit Biologicals therapiert wurden oder für eine Therapie mit Biologicals in Frage
kamen, kann die Rate von knapp 50% an Patienten mit nicht medikamentösen Therapien
30
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
auch nur auf diese Population bezogen werden. Interessant wäre es zu wissen, welcher
Anteil an Patienten mit milder verlaufender RA oder ohne Therapie mit Biologicals eine
Therapieoption aus dem Bereich der KM anwendet. Die Nutzung der KM in unseren Interviews wurde nämlich nach unserer Wahrnehmung, auch ohne genaue quantitative Angaben, als eher noch höher eingestuft.
In der RAISE Studie geben die RA Betroffenen an, dass neben dem ärztlichen Gespräch,
Fernsehsendungen, Internet und Zeitschriften die häufigsten Informationsquellen sind. Die
Patienten gaben dort an, dass ihnen die ärztlichen Informationen immer verständlich vermittelt werden. Etwas mehr als die Hälfte der befragten Patienten der RAISE Studie wurden vom Arzt nicht in die therapeutischen Entscheidungen einbezogen.
Vergleich mit internationalen Daten
Auch die internationale Literatur bekräftigt die Aussagen der von uns interviewten Fachexperten.
Eine Studie des Kings Fund aus England (2009) untersuchte die Wahrnehmung der Behandlung aus Sicht von RA Patienten und betreuenden Fachpersonen (HA, Rheumatologen, Pflegende und andere involvierte Gesundheitsberufe). 29
In dieser Studie kristallisierten sich ähnliche Schwachpunkte in der Versorgung von RA
Patienten heraus, nämlich das mangelnde Fachwissen der HA, die verzögerte Überweisung an den Facharzt und damit verbunden eine verzögerte Diagnosestellung. Ebenfalls
wurde die fehlende ganzheitliche Betreuung der RA Patienten und die mangelnde Koordination des Therapieangebots festgestellt. Ein konsequentes Monitoring von RA Patienten
scheint auch dort ein Ziel zu sein, um die gesamte Versorgungsqualität überhaupt überprüfen und beurteilen zu können.
Das Selbstmanagement wird von den Fachpersonen in der Erhebung des Kings Fund als
wichtig erachtet und die RA Patienten haben ebenfalls das Bedürfnis, die Behandlung und
den Verlauf ihrer Krankheit mitgestalten zu können. Eine Metaanalyse zum Thema
„Selbstmanagementprogramme“ kommt dagegen zum Schluss, dass ein positiver klinischer und ökonomischer Effekt von Selbstmanagementprogrammen bei Diabetes mellitus
oder arterieller Hypertonie nicht klar gegeben ist.1
Eine weitere Metaanalyse untersuchte, ob Chronic Care Modelle (CCM) einen positiven
Einfluss auf klinische Ergebnisse haben. Interventionen mit 1 oder mehreren Elementen
des CCM verbesserten laut dieser Studie bei chronisch kranken Menschen (Asthma bronchiale, Herzinsuffizienz, Depression, Diabetes mellitus) die klinischen Ergebnisse und die
Versorgungsprozesse. Die Lebensqualität wurde auch etwas verbessert. 3
Die Lebensqualität von Patienten mit RA wurde international schon mehrfach dokumentiert. In einer neueren Querschnitt-Studie aus Ungarn wurde die Lebensqualität gemessen
31
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
mit dem EQ-5D Index-Instrument und als Nutzwert (engl.: utility) zwischen 1 und 0 ausgedrückt.30 Dabei bedeutet ein Nutzwert von 1 „beste Gesundheit, die Sie sich vorstellen
können“ und ein Nutzwert von 0 „schlechteste Gesundheit, die Sie sich vorstellen können“. Für die befragten RA-Patienten als Gesamtgruppe (Altersdurchschnitt 56 Jahre)
errechnete sich ein Nutzwert von 0.53. Zusätzlich wurde noch unterschieden wird zwischen Patienten mit Biologicals (Nutzwert 0.61) und ohne Biologicals in den letzten 6 Monaten (Nutzwert 0.48). In der Studie wird der Nutzwert der Gesamtgruppe auch mit anderen Internationalen Ergebnissen verglichen (Grossbritannien, Spanien, Niederlande und
Kanada). Die Nutzwerte rangierte dort zwischen 0.45 (Grossbritannien) und 0.66 (Kanada).
In der gleichen Publikation wurde die Lebensqualität von RA-Patienten aus Ungarn, Spanien und Kanada auch mit einer anderen Methode verglichen. Die Nutzwerte wurden dabei mit einer Visual Analog Skala ermittelt (VAS: 0= „schlechteste Gesundheit, die Sie
sich vorstellen können, 100= „beste Gesundheit, die Sie sich vorstellen können“). Die
Spannbreite der verglichenen Lebensqualität (Nutzwerte) lag dabei zwischen 55.95 (Spanien) und 65.02 (Kanada). Die durchschnittlichen Nutzwerte in der Allgemeinbevölkerung
dieser Länder liegen in der gleichen Altersgruppe zwischen 66 Punkten (Ungarn) und 81
Punkten (Kanada).31 Diese Daten zeigen, dass Patienten mit RA eine deutliche Einschränkung ihrer Lebensqualität erleben.
5.3 Implikationen für die Versorgung von RA Patienten in der
Schweiz
Die vorliegende Untersuchung der Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider
Arthritis in der Schweiz benennt derzeitige Stärken und Schwächen der Versorgung. Um
die Versorgung weiter zu optimieren, müssen die Stärken beibehalten und die Schwächen
ausgebessert werden.
Chronische Krankheiten und Multimorbidität werden in der Schweiz in den kommenden
Jahren zunehmen.32 Das Schweizer Gesundheitswesen ist allerdings noch nicht optimal
auf die Bedürfnisse chronisch kranker und multimorbider Patienten ausgerichtet.32 Die für
die Versorgung von RA Patienten identifizierten Schwächen, wie etwa die späte Überweisung und Diagnosestellung sowie die zu geringe Koordination der Angebote, sind dafür
typische Beispiele. Auch der Bereich Selbstmanagement der Patienten, welcher bei RA
noch verbessert werden kann, müsste laut etablierter Literatur ein zentraler Bestandteil
bei der Versorgung von chronischen Krankheiten sein.33 Die Versorgung von chronischen
Krankheiten sollte entlang des gesamten Behandlungszyklus und nicht fragmentiert orga-
32
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
nisiert werden. Dadurch kann das Gesundheitssystem wirksamer, zweckmässiger und
wirtschaftlicher gestaltet werden. 34
Die Neugestaltung der Versorgung ist allerdings nicht leicht zu realisieren, wirken doch
aktuelle Rahmenbedingungen, wie etwa die Vergütungssituation und fachliche Barrieren
zwischen den Professionen, einer koordinierten resp. integrierte Versorgung entgegen.
Die Verbesserung von identifizieren Schwächen einzelner Versorgungsstufen ist somit mit
geringerem Aufwand und mehr Erfolgschancen zu realisieren, hat aus unserer Sicht allerdings nicht dasselbe Potential.
Neue integrierte Versorgungsmodelle entsprechen den gesundheitspolitischen Prioritäten
des Bundesrates (Gesundheit2020). Zudem haben die Gesundheitsdirektorenkonferenz
und das BAG 2012 einen Bericht zu neuen Versorgungsmodellen ausgearbeitet und sich
für deren Etablierung ausgesprochen.33 Im Bereich RA sehen wir in Zukunft diesbezüglich
ebenfalls Potential.
5.4 Schlussfolgerung
Die Erkenntnisse aus dieser Untersuchung bestätigen Ergebnisse aus nationalen und
internationalen Studien zur Versorgungsituation von Menschen mit einer chronischen
Krankheit: Das grösste Optimierungspotenzial liegt in den Bereichen „Koordination der
Versorgung“, „Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung“ und „Förderung des Patienten als Experte seiner Erkrankung“.
33
6 Anhang
Anhang A: Interview-Leitfaden
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
Fortsetzung Anhang A: Interview-Leitfaden
35
Anhang B: Liste der interviewten Fachpersonen
Nummer Fachpersonen-Gruppe
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Fachärzte für
Rheumatologie
Fachärzte für
Rheumatologie
Fachärzte für
Rheumatologie
Vetreter aus
Selbsthilfegruppen
Vetreter aus
Patientenorganisationen
Fachpersonen aus der
ambulanten nichtärztliche Betreuung
Fachpersonen Rehabilitation
und andere Health Professionals neben
Ärzten
Fachpersonen Rehabilitation
und andere Health Professionals neben
Ärzten
Fachpersonen Rehabilitation
und andere Health Professionals neben
Ärzten
Fachpersonen Rehabilitation
und andere Health Professionals neben
Ärzten
Vertreter von
Versicherungen
Name Interviewpartner
Dr. med. Patric Gross
Dr. med. Thomas Langenegger
Prof. Dr. med. Diego Kyburz
Claudia Casanova
Valerie Krafft
Greta Pettersen
Cristina Galfetti, M.A.
Prof. Dr. Karin Niedermann
PhD MPH BSsPT
Charles Mayor
Verena Langlotz
Denise Camenisch
Funktion/ Organisation
Facharzt Rheumatologie (ehemals USZ; jetzt
Praxis)
Leitender Arzt Rheumatologie KS Zug/
Schreibt med. Texte und beantwortet Fragen bei
Selbsthilfegruppe arthritis.ch
Leitender Arzt USZ , Rheumatologie,
Schwerpunkt Arthritis
Ist im Stiftungsrat von SCQM
Junge Menschen mit Rheuma:
Kontaktperson für Region AG und ZH. Ist selber
RA Betroffene.
Rheumaliga Schweiz, Geschäftsleiterin
Coordinatrice de la région, Conseil thérapeutique,
Home Care Mediservice
Ist Psychologin und leitet Projekt
"Patient Partner". Organisiert Schulungen für HA
und macht Beratungen für Betroffene (cgempowerment). Ist selber RA Betroffene.
Physiotherapeutin; Präsidentin, Health
Professionals in Rheumatology
Leiterin Studiengang Physiotherapie ZHAW
Ergotherapeut, Dozent ZHAW, Dep. Gesundheit,
Ergotherapie
Ergotherapeutin, macht ergotherapeutische
Beratung bei Rheumaliga.ch und ist prakt.
Ergotherapeutin
Leiterin Case Management UVG/KTG/KVG,
Helsana Versicherungen
Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Schweiz
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