Planung und Aufstellung eines realistischen und transparenten

Werbung
Fr. Dr. Elke Baumann
Ergebnisbericht zum KZE-Einsatz
„Planung und Aufstellung eines realistischen und transparenten Haushalts“
vom 12. bis 16. Mai 2014 in Kyiv
Maßnahme „Stärkung von Verwaltungskapazitäten im Bereich öffentliche Finanzen“
Management Summary
Die Situation der Ukraine ist angespannt, um eine staatliche Insolvenz abzuwenden haben
der IWF und weitere Institutionen Finanzhilfen für die Ukraine zugesagt, die jedoch an die
Umsetzung von Auflagen gebunden sind. Die Situation ist damit in gewisser Weise vergleichbar zu den europäischen Programmländern, die ebenfalls Anpassungsmaßnahmen
durchführen mussten, inzwischen aber auch alle – aufgrund erfolgreicher Umsetzung von
wachstumsfreundlichen Strukturreformen und einer Konsolidierung ihrer öffentlichen Haushalte – eine Trendumkehr zu verzeichnen haben: Die wirtschaftliche Erholung hat Fuß gefasst bei deutlich verbesserten öffentlichen Finanzen.
Präsident Poroschenkos oberste Priorität, die Ukrainische Verfassung zu reformieren, sollte
genutzt werden, auch in der Ukraine Fiskalregeln aufzunehmen, die in Anlehnung an den
Fiskalvertrag bzw. die deutsche Schuldenbremse das Erreichen und dann die dauerhafte
Einhaltung eines in etwa ausgeglichenen Staatshaushalts vorsehen. Weitere Einzelheiten
sollten, wie in Deutschland auch, durch einfachgesetzliche Regelungen präzisiert werden.
Hierzu gehören unter anderem die Schaffung einer soliden Basis für die Haushaltsaufstellung mit unabhängigen oder im Prognosewettbewerb stehenden Projektionen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und das Steueraufkommen und ein effizientes und transparentes Verfahren für die Haushaltsaufstellung sowie die Kontrolle der Haushaltsführung und
der Einhaltung der Regeln. Auch die Schaffung von unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstitutionen analog zum deutschen Sachverständigenrat zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist förderlich für eine offene und transparente Diskussion und Bewertung der wirtschaftspolitischen Entscheidungen sowie zum Aufzeigen von Handlungsoptionen und ihren
Auswirkungen.
Die derzeitige Situation der Ukraine kann dabei als eine Chance für einen Neuanfang gesehen werden, die Korruption zu bekämpfen, die Programmvorgaben des IWF zu erfüllen und
den Willen aller Beteiligten, eine neue Finanzverfassung zu schaffen, in die Realität umzusetzen. Dies ist nur möglich, wenn Politik und Öffentlichkeit an einem Strang ziehen. Denn
nur, wenn auch der Wille zu soliden öffentlichen Finanzen da ist, können diese auch auf eine
tragfähige Basis gestellt werden. Ähnlich wie in den europäischen Programmländern oder
bei der Einführung der Schuldenbremse in Deutschland können Krisensituationen den Ernst
der Lage verdeutlichen und die Umsetzung einer glaubwürdigen und transparenten Fiskalregel ermöglichen.
Stand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 1
1. Einleitung
Während des KZE-Einsatzes in Kyiv vom 12. bis 16. Mai 2014 hat die Expertin im Finanzministerium Vorträge zu den europäischen Fiskalregeln und ihrer Umsetzung in Deutschland
sowie den Voraussetzungen für eine realistische und transparente Haushaltsplanung und durchführung vor Vertretern folgender Institutionen gehalten: Finanzministerium, Wirtschaftsministerium, Finanzakademie, Koordinierungszentrum für Implementierung der Wirtschaftsreformen, Rechnungshof der Ukraine, Sekretariat des Haushaltsausschusses, verschiedene Nicht-Regierungsorganisationen sowie verschiedene Universitäten. Zusätzlich hat
sie am 15. Mai 2014 eine kurze Vorlesung vor Studierenden von Frau Professor Yulia Nakonechna, Universität Taras Shevchenko, gehalten, die am Vortag die Veranstaltung im Finanzministerium besucht hatte.
Hierbei zeigten sich die Teilnehmer sehr interessiert an unterschiedlichen Fragestellungen in
Bezug auf die Themen sowie eine Übertragung der europäischen bzw. deutschen Lösungsansätze auf die Ukraine. Einleitend wurde dabei auf die Situation in den europäischen Programmländern (Griechenland, Zypern) bzw. Nach-Programmländern (Irland, Portugal, Spanien) Bezug genommen, die analog zum IWF-Programm für die Ukraine Kredithilfen der europäischen Rettungsschirme (sowie auch des IWF) erhalten (haben) und im Gegenzug –
ebenso wie die Ukraine – verpflichtet sind, bestimmte makroökonomische Anpassungen sowie fiskalische Konsolidierungen vorzunehmen. Die Analogie soll Mut machen, dass eine
Erholung, wie sie sich auch mittlerweile in den europäischen Mitgliedstaaten zeigt, erreichbar
ist. Allerdings ist diese nur mit entsprechenden Anstrengungen, d.h. bei Umsetzung der im
Programm verlangten Anforderungen, möglich.
Im Folgenden wird zunächst die Ausgangssituation der Ukraine mit der Entwicklung in den
europäischen Mitgliedstaaten mit Finanzhilfeprogrammen verglichen. Sodann werden die
Regeln der europäischen Haushaltsüberwachung und im Anschluss daran die geltenden
Fiskalregeln in Deutschland sowie das Vorgehen bei der Haushaltsplanung in Deutschland
als Best Practice für finanzpolitische Solidität dargestellt. Hieraus ergeben sich die im abschließenden Kapitel aufgeführten Handlungsempfehlungen.
2. Die Ausgangssituation in der Ukraine
Die Situation der Ukraine ist angespannt: Zu der ohnehin schwierigen ökonomischen und
fiskalischen Situation, die u.a. auf Politikversagen in den vergangenen Jahren zurückzuführen ist, ist seit Ende des vergangenen Jahres auch eine politisch äußerst fragile Situation,
insbesondere in Bezug zu Russland, hinzugekommen. In wirtschaftlicher Hinsicht wird daher
in diesem Jahr eine deutliche Rezession mit einem Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (gemäß IWF-Prognose um rund 5 % gegenüber dem Vorjahr) erwartet. Auch die öffentlichen Finanzen werden stark in Mitleidenschaft gezogen.
Die Übergangsregierung hatte angesichts dessen beim IWF finanzielle Unterstützung beantragt. Der IWF billigte der Ukraine Ende April nach Erfüllung vereinbarter Vorabmaßnahmen
ein auf zwei Jahre angelegtes Hilfsprogramm in Höhe von 17 Mrd. US-Dollar. Das Programm
löst weitere Hilfen im Umfang von 15 Mrd. US-Dollar anderer Geber aus. Zwar hat die Ukraine bereits früher mehrere IWF-Programme erhalten. Allerdings wurden diese stets abgebroStand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 2
chen, da die damit verbundenen Anforderungen seitens der Ukraine nicht mehr erfüllt worden waren.
Angesichts der Ernsthaftigkeit der derzeitigen Lage, aber auch angesichts einer veränderten
Willens der Bevölkerung sowie der politischen Entscheidungsträger nach den Wahlen im Mai
sind die Chancen für eine erfolgreiche Umsetzung des Programms höher. Jedoch gilt auch
hier: Ohne Fleiß kein Preis. Nur wenn die Ukraine die Bedingungen des IWF-Programms wie
gefordert umsetzt, wird sich die in den folgenden Abbildungen dargestellte Entwicklung, die
unter dieser Annahme prognostiziert wird, ergeben. Gleichzeitig zeigt sich am Vergleich mit
den europäischen Programmländern, die seitens der europäischen Rettungsschirme und des
IWF Finanzhilfen bekommen, aber auch, dass die Situation ernst, jedoch nicht hoffnungslos
ist.
Die wirtschaftliche Entwicklung in der Ukraine war seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 nur
äußerst schwach, allerdings verbesserte sich die Situation vor der Finanzkrise, wie auch aus
Abbildung 1 ersichtlich ist. Der Einbruch des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2009 fiel im Vergleich zu den europäischen Programmländern außerordentlich stark aus. Allerdings war
auch die Erholung in den Jahren danach zunächst kräftiger. Für dieses Jahr ist zwar ein
deutlicher Einbruch des Bruttoinlandsprodukts zu erwarten, jedoch ist bei Befolgung der Vorgaben des IWF-Programms mit einer Belebung der gesamtwirtschaftlichen Dynamik – analog auch zu den anderen betrachteten Ländern – zu rechnen.
Abbildung 11
1
Quellen für alle Abbildungen sind jeweils für die Ukraine: IWF, WEO April 2014 sowie Länderbericht
Nr. 14/106, und für die EU-Mitgliedstaaten: AMECO-Datenbank Mai 2014.
Stand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 3
Großer Vorteil gegenüber den europäischen Krisenländern ist die vergleichsweise geringe
Arbeitslosenquote, die in diesem Jahr auch nur geringfügig auf etwa 8 % ansteigen dürfte
(vgl. Abbildung 2). Zwar bedeutet dies nicht, dass in diesem Bereich keine Anstrengungen
vorzunehmen wären, denn unklar ist, inwieweit diese Daten die tatsächliche Lage widerspiegeln, und es bestehen auch Risiken eines stärkeren Anstiegs der Arbeitslosigkeit. Gleichwohl sind Reformen, die in der einen oder anderen Form auch mit Belastungen bei – optimalerweise gleichverteilt – allen Beteiligten einhergehen können, bei einer niedrigeren Arbeitslosigkeit mit geringeren sozialen Spannungen und damit auch einer höheren Umsetzungschance verbunden.
Abbildung 2
Die Situation der öffentlichen Finanzen in der Ukraine ist schwach, und der Vergleich mit den
europäischen Krisenländern darf nicht fehlleiten (vgl. Abbildung 3 und Abbildung 4). Zwar ist
das strukturelle Finanzierungsdefizit nicht viel höher und der Schuldenstand des Staates in
Relation zum Bruttoinlandsprodukt ist geringer als in diesen Ländern, jedoch dürfte, trotz
Unterstellung der Umsetzung der Reformmaßnahmen bei der Projektion, die Verringerung
des strukturellen Defizits nur gering sein und die Schuldenstandsquote weiter ansteigen.
Zudem ist die Verschuldung zu einem großen Teil ausländisch, was das Land besonders
angreifbar macht. Das Risiko einer deutlich schlechteren Entwicklung mit unvorhersehbaren
Folgen ist groß, wenn nicht umgehend entsprechende Reformmaßnahmen im Bereich der
öffentlichen Finanzen umgesetzt werden, die eine solide Finanzpolitik und das Erreichen
eines ausgeglichenen Staatshaushalts – analog zu den europäischen Regeln – zum Ziel
haben. Gleichzeitig verdeutlicht der Vergleich aber auch, dass sich die Ukraine keineswegs
in einer ausweglosen Situation befindet.
Stand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 4
Abbildung 3
Für die Ukraine weist der IWF den strukturellen Finanzierungssaldo lediglich ohne das
defizitäre, dem Sektor Staat zugehörige Unternehmen Naftogaz aus.
Abbildung 4
Stand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 5
3. Die europäische Haushaltsüberwachung
3.1. Regeln
Während zunächst, bei Einführung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts, die
sog. Maastricht-Referenzwerte einer Defizitquote von 3 % und einer Schuldenstandsquote
von 60 % maßgeblich waren, wurde mit der ersten Reform im Jahr 2005 der strukturelle Finanzierungssaldo und das damit verbundene mittelfristige Haushaltsziel (Medium-Term Objective – MTO) eines ausgeglichenen Haushalts bzw. eines Überschusses stärker in den
Fokus gerückt (sog. präventiver Arm des Stabilitäts- und Wachstumspakts). Dieser Fokus
wurde mit der weiteren Verschärfung des Regelwerks im Jahr 2011 (im Rahmen des sog.
Six-Pack)2 und dem von 25 EU-Mitgliedstaaten unterzeichneten Fiskalvertrag3 verstärkt: Ziel
der Finanzpolitik muss es sein, das strukturelle staatliche Defizit zu verringern und das mittelfristige Haushaltsziel zu erreichen und dauerhaft einzuhalten. Mit dem Fiskalvertrag haben
sich die Vertragsstaaten u.a. verpflichtet, hierzu einheitliche und dauerhaft verbindliche
Haushaltsregeln in ihre nationalen Rechtsordnungen, vorzugsweise in ihre Verfassung, aufzunehmen.
Gemäß dem gestärkten präventiven Arm des Stabilitäts- und Wachstumspakts kann der Rat
jetzt bei erheblichen Abweichungen vom MTO oder vom Anpassungspfad hin zum MTO
Empfehlungen aussprechen, Abweichungen innerhalb von maximal fünf Monaten zu beheben. Werden keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, können bereits auf dieser Stufe Sanktionen gegenüber Euro-Staaten verhängt werden. Eine entsprechende Empfehlung der Europäischen Kommission kann der Rat nur mit qualifizierter Mehrheit stoppen (QuasiAutomatismus). Die Folge des Sanktionsbeschlusses ist eine verzinsliche Einlage von 0,2 %
des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts hat neben dem strukturellen Finanzierungssaldo auch die Schuldenstandsquote wieder stärker in den Vordergrund gerückt. So
sind die EU-Mitgliedstaaten jetzt verpflichtet, ihre Schuldenstandsquote jährlich im Durchschnitt um 1/20 der Differenz zum Referenzwert von 60 % zu reduzieren (sog. 1/20-Regel).
Die konsequente Einhaltung des mittelfristigen Haushaltsziels sollte in der Regel automatisch auch zur Erfüllung der Vorgaben der 1/20-Regel führen. Hierzu sind keine Tilgungen,
also eine Rückführung des Schuldenstands, erforderlich: Ausreichend ist ein nahezu ausgeglichener Staatshaushalt, der bei Wirtschaftswachstum zu einer Rückführung der Schuldenstandsquote, der Relation der öffentlichen Schulden zum Bruttoinlandsprodukt, führt.
Bei Nichteinhaltung des Defizit- oder des Schuldenstandskriteriums kann ein Defizitverfahren4 ausgelöst werden (sog. korrektiver Arm des Stabilitäts- und Wachstumspakts). Eine im
präventiven Arm verhängte verzinsliche Einlage wird in eine unverzinsliche Einlage umge2
Hierbei handelt es sich um die Verordnungen (EG/EU) 1466/1997 (Präventiver Arm), 467/1997 (Korrektiver Arm), 1173/2011 (Sanktions-Verordnung), 479/2009 (Maastricht-Melde-Verordnung) sowie die
Richtlinie 2011/85/EU (Haushaltsrahmen).
3
Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion zwischen allen EU-Mitgliedstaaten außer (bislang) Großbritannien, Kroatien und Tschechischer Republik.
4
Die Bezeichnung ist in beiden Fällen „Defizitverfahren“, auch wenn es bei der Verfehlung des Schuldenstandskriterium eher „Schuldenstandsverfahren“ heißen müsste. Anders als beim Defizitkriterium
wird ein Verfahren beim Schuldenstandskriterium jedoch nicht bereits bei Überschreiten des Referenzwerts, sondern erst bei gleichzeitiger Nichteinhaltung der 1/20-Regel ausgelöst.
Stand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 6
wandelt. Werden keine wirksamen Maßnahmen entsprechend der Empfehlung des Rates
ergriffen, kann eine Geldbuße in Höhe von 0,2 % des BIP verhängt werden. Dabei können
von der Kommission empfohlene Sanktionen auch hier nur mit qualifizierter Mehrheit abgelehnt werden. Werden auch in der Folgezeit weiterhin keine Maßnahmen getroffen, können
am Ende des Verfahrens schließlich die im Primärrecht vorgesehenen Sanktionen (in der
Regel ein Bußgeld in Höhe von maximal 0,5 % des BIP) angewandt werden.
Das im Jahr 2013 in Kraft getretene sog. Two-Pack5 komplettiert die haushalts- und wirtschaftspolitische Überwachung der Eurostaaten. Kernelemente in Bezug auf die Haushaltsüberwachung sind dabei eine Angleichung der Haushaltszyklen und eine noch stärker präventiv wirkende Haushaltsüberwachung, die auch eine bessere Kontrolle über die Umsetzung von wirksamen Maßnahmen in Mitgliedstaaten im Defizitverfahren ermöglichen soll.
3.2. Berichte und Verfahren
Die Darstellung der öffentlichen Finanzen für die europäische Haushaltsüberwachung ist in
der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) vorzunehmen. Derzeit
gelten noch die Vorgaben des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) in seiner Abgrenzung von 1995; hierbei handelt es sich um ein für alle EUMitgliedstaaten verbindliches System6. Die Umstellung auf die Abgrenzung des ESVG 2010
– auf Basis des System of National Accounts 2008 – findet im September 2014 statt.
Die europäische Haushaltsüberwachung ist in ein festes Berichtswesen eingebettet. Mit dem
im Jahr 2011 eingeführten „Europäischen Semester“ werden insbesondere die bisher getrennten Prozesse der haushaltspolitischen Koordinierung unter dem Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie der Strukturpolitiken unter der EU-Wachstumsstrategie „Europa 2020“ zeitlich angeglichen und zusammengeführt. Der Europäische Rat verabschiedet, aufbauend auf
Vorarbeiten von Europäischer Kommission und verschiedenen Ratsformationen, im März
horizontale wirtschafts-, beschäftigungs- und finanzpolitische Leitlinien. Im April reichen die
Mitgliedstaaten ihre Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sowie die Nationalen Reformprogramme unter Berücksichtigung dieser Leitlinien ein. In den Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogrammen legen die Euro-Mitgliedstaaten bzw. die EU-Mitgliedstaaten außerhalb des Euro-Raums ihre mittelfristige Finanzpolitik und die geplanten finanzpolitischen Maßnahmen
zum Erreichen bzw. zur weiteren dauerhaften Einhaltung des MTO dar. Die Kommission erarbeitet im Anschluss einen Entwurf für länderspezifische Politikempfehlungen, die Ende
Juni vom Europäischen Rat gebilligt werden. Die Mitgliedstaaten sollen diese länderspezifi-
5
Hierbei handelt es sich um die Verordnungen (EG) 472/2013 über den Ausbau der wirtschafts- und
haushaltspolitischen Überwachung von Mitgliedstaaten im Euro-Währungsgebiet, die von gravierenden Schwierigkeiten in Bezug auf ihre finanzielle Stabilität betroffen oder bedroht sind, sowie (EU)
473/2013 über gemeinsame Bestimmungen für die Überwachung und Bewertung der Übersichten
über die Haushaltsplanung und für die Gewährleistung der Korrektur übermäßiger Defizite der Mitgliedstaaten im Euro-Währungsgebiet.
6
Das ESVG 1995 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 2223/96 des Rates vom 25. Juni 1996 auf
Grundlage des (nicht rechtsverbindlichen) System of National Accounts (SNA) 1993 der Vereinten
Nationen eingeführt und ist durch die Änderungs- bzw. Ergänzungsverordnungen 1392/2007 und
715/2010 erweitert worden.
Stand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 7
schen Empfehlungen schließlich bei der Aufstellung und Verabschiedung ihrer Haushalte für
das kommende Jahr und ihre weitere Finanzplanung berücksichtigen.
Mitte Oktober müssen die Euro-Mitgliedstaaten gemäß Two-Pack-Verordnung ihre „Übersichten über die Haushaltsplanung“ an die Europäische Kommission übermitteln, die sich im
Gegensatz zu den mittelfristig ausgerichteten Stabilitätsprogrammen auf die konkrete Planung im Folgejahr konzentrieren. Im Fall schwerwiegender Verstöße gegen den Stabilitätsund Wachstumspakt kann die Europäische Kommission von den betroffenen Mitgliedstaaten
eine Überarbeitung der Haushaltsplanung fordern.
Das Berichtswesen und damit die Kontrolle über die öffentlichen Haushalte bezieht sich aber
nicht nur auf die Planung, sondern auch auf die Überprüfung der Qualität und der Konsistenz
der Ist-Daten, die von den nationalen Statistischen Ämtern bzw. den Zentralbanken bereitgestellt werden. Diese Kontrolle erfolgt mittels der zweimal jährlich (jeweils Ende März und Ende September) zu übermittelnden Maastricht-Notifikationen, in den neben den erwarteten
Defiziten und Schuldenständen des laufenden Jahres ausführliche Daten zu den letzten vier
Jahren aufgeführt werden müssen.
4. Fiskalregeln und ihre Umsetzung in Deutschland
4.1. Schuldenbremse
In Deutschland wurde die im Fiskalvertrag formulierte Forderung zu möglichst verfassungsrechtlichen nationalen Fiskalregeln zur Einhaltung des MTO, das für Deutschland bei einem
gesamtstaatlichen strukturellen Defizit von 0,5 % des BIP liegt, bereits mit der 2011 in Kraft
getretenen grundgesetzlichen Schuldenbremse für Bund und Länder Rechnung getragen.
Danach müssen die Haushalte im Grundsatz strukturell ausgeglichen sein, wobei die strukturelle und um finanzielle Transaktionen bereinigte Nettokreditaufnahme des Bundes auf
0,35 % des BIP und die der Länder auf 0 % des BIP beschränkt ist. Eine Konjunkturkomponente erlaubt in Zeiten der gesamtwirtschaftlichen Unterauslastung eine entsprechende konjunkturbedingte Nettokreditaufnahme und erfordert in wirtschaftlich guten Zeiten mit einer
Überauslastung der Produktionsfaktoren einen entsprechenden konjunkturbedingten Überschuss. Damit sollen die automatischen Stabilisatoren7 symmetrisch wirken und der Haushalt
mit der Konjunktur „atmen“. Um die Einhaltung der Schuldenbremse des Bundes auch im
Haushaltsvollzug sicherzustellen, wurde ein Kontrollkonto eingerichtet, das mit einer Ausgleichspflicht versehen ist. Auf dem Kontrollkonto werden die nicht-konjunkturbedingten Abweichungen nach oben und nach unten von der Regelobergrenze erfasst, die sich in den
einzelnen Haushaltsjahren im Vollzug ergeben. Die jährlichen Belastungen bzw. Gutschriften
des Kontrollkontos werden saldiert. Überschreitet ein etwaiger negativer Saldo des Kontrollkontos einen Schwellenwert von 1 % des BIP, so ist diese Überschreitung nach den Vorgaben des Grundgesetzes konjunkturgerecht zurückzuführen. Zur Sicherung der Handlungsfä7
Als automatische Stabilisatoren werden die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben bezeichnet, die
ohne diskretionäres Eingreifen der Politik eine Stabilisierung automatisch ermöglichen, bspw. der Anstieg der Ausgaben für Arbeitslosigkeit in schlechten Zeiten, in denen die Arbeitslosigkeit steigt, oder
der Anstieg der Steuereinnahmen und Sozialabgaben in konjunkturell guten Zeiten aufgrund steigender Einkommen und eines progressiven Steuertarifs.
Stand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 8
higkeit der Regierung und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit in Sondersituationen enthält die Schuldenbremse eine Ausnahmeregelung im Falle von Naturkatastrophen
oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen und die
staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Normale zyklische Abschwünge stellen keine Situation dar, die eine Ausnahme rechtfertigen. Eine Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung kann der Bundestag zudem nur beschließen, wenn mindestens die Mehrheit seiner
Mitglieder zustimmt. Schließlich muss der Bundestag in diesem Fall einen Tilgungsplan verabschieden, der die Rückführung der oberhalb der Regelgrenze liegenden Nettokreditaufnahme innerhalb eines angemessenen Zeitraums vorsieht.
4.2. Schaffung einer soliden Basis für die Haushaltsplanung
Die Planung der öffentlichen Haushalte in Deutschland basiert auf einem System, das den
besonderen föderalen Bedingungen in Deutschland Rechnung trägt und unterschiedlichen
Prinzipien folgt. Die Grundlagen für die Haushalts- und die mittelfristigen Finanzplanungen
der öffentlichen Haushalte, für die Schätzungen des Öffentlichen Gesamthaushalts, d.h. der
öffentlichen Haushalte in der Abgrenzung der kassenorientierten Finanzstatistik, und des
Staatskontos in der für die europäische Haushaltsüberwachung maßgeblichen Abgrenzung
der VGR werden in der Regel in drei Durchgängen pro Jahr erarbeitet. Zu jedem dieser drei
Zeitpunkte erfolgt zunächst eine gesamtwirtschaftliche Vorausschätzung für das laufende
Jahr und die folgenden in der Regel vier Jahre. Auf dieser Basis werden die Steuereinnahmen für die Gebietskörperschaften prognostiziert.
Die gesamtwirtschaftliche Projektion ist die Basis einer jeden Haushaltsplanung. Nur eine
solide Einschätzung über die künftige gesamtwirtschaftliche Entwicklung gewährleistet überhaupt auch eine solide Haushaltsplanung. In der deutschen Bundesregierung wird sie im
Rahmen des interministeriellen Arbeitskreises „Gesamtwirtschaftliche Vorausschätzung“ unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft erarbeitet und ist Grundlage für die
Haushaltsaufstellung aller staatlichen Ebenen. Die gesamtwirtschaftliche Projektion wird
zwar nicht von einem unabhängigen Gremium erstellt, aber aufgrund der großen Schätzkonkurrenz in Deutschland muss sie sich im „Projektionswettbewerb“ behaupten und bewegt
sich daher auch im Prognosespektrum des Sachverständigenrates zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der Deutschen Bundesbank sowie der vielen unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland, aber auch im internationalen Bereich
(Europäische Kommission, IWF, OECD). Mit der Gemeinschaftsdiagnose beauftragt die
Bundesregierung zudem stets vier (Konsortien von) Wirtschaftsforschungsinstitute(n), jeweils
eine Woche vor ihrer Frühjahrs- und Herbstprojektion eine gesamtwirtschaftliche Projektion
zu veröffentlichen. Damit sind die Informationsstände beider Projektionen, der Gemeinschaftsdiagnose und der Bundesregierung, dieselben und die Projektionen direkt vergleichbar. Die Mitwirkung der Ressorts und die Teilhabe an den Entscheidungen in der regierungseigenen Projektion sichern eine stärkere Verbindlichkeit für die eigenen Planungsprozesse, als es eine externe Prognose könnte. Die Qualität der Annahmen über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist überprüfbar. Damit erfüllt die gesamtwirtschaftliche Vorausschätzung der Bundesregierung die Anforderungen an Unabhängigkeit auf ihre eigene Weise.
Stand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 9
Bestandteil der gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzung ist auch die Potentialschätzung, mit
der die Normalauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionsfaktoren und die aufgrund
der konjunkturellen Schwankungen des Bruttoinlandsprodukts entstehenden Produktionslücken aufgezeigt werden. Diese Schätzung ist notwendig, um den Finanzierungssaldo in eine
strukturelle und eine konjunkturelle Komponente zerlegen zu können.
Die Steuereinnahmen sind ein weiterer wichtiger Bestandteil der Haushaltsplanung. Aufbauend auf den Vorgaben der gesamtwirtschaftlichen Projektion der Bundesregierung wird das
Aufkommen nach den einzelnen Steuerarten im Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ geschätzt.
Anders als die gesamtwirtschaftliche Projektion beruht die Steuerschätzung auf dem Konsensprinzip, indem sie die relevanten Schätzer (neben dem Bundesministerium der Finanzen
sind dies Länderfinanzministerien, Wirtschaftsforschungsinstitute, Sachverständigenrat zur
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie Deutsche Bundesbank) integriert. Die Schätzvorschläge der einzelnen Teilnehmer werden diskutiert, und schließlich wird
für jede Steuerart ein einvernehmliches Ergebnis erzielt, das nach staatlichen Ebenen abgeleitet wird. Hierbei fließen auch die Schätzungen über die finanziellen Auswirkungen von
Steuerrechtsänderungen ein. Die Ergebnisse werden vom Bund unmittelbar in seine Haushalts- und Finanzplanung übernommen, die Länderfinanzminister orientieren sich an den für
sie anschließend regionalisierten Ergebnissen bei ihrer Haushaltsgestaltung. Für staatliche
Prognosezwecke sind die Ergebnisse des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ verbindlich.
Der umfangreiche Koordinationsaufwand und der Zwang zu einem gemeinsamen Ergebnis
rechtfertigen sich durch die dadurch zu erreichende politische Legitimation der Steueransätze, die für die Planung der Haushalte und die Finanzpolitik entscheidende Eckwerte darstellen.
4.3. Planung und Projektion der Entwicklung der öffentlichen Haushalte
Die gesamtwirtschaftliche Projektion und die Steuerschätzung bilden einheitliche Datengrundlagen sowohl für die Haushalts- und Finanzplanung der einzelnen Haushalte als auch
für die gesamtstaatlichen Projektionen.8 Diese wiederum gehen dann als deutsche Beiträge
für die Bewertung der Finanzpolitik im Rahmen der europäischen Haushaltsüberwachung
ein. So erfolgen die Meldung zum laufenden Jahr in der Maastricht-Notifikation zu Anfang
April sowie die Aktualisierung des deutschen Stabilitätsprogramms im April auf Basis des
Eckwertebeschlusses über die Finanzplanung des Bundes9 sowie der November-Schätzung
für Länder und Gemeinden. Der Regierungsentwurf und der Finanzplan des Bundes sowie
die Umfrage der Zentralen Datenstelle der Landesfinanzminister zu den Haushaltsentwicklungen auf Länderebene im Sommer bilden die Basis für die Meldung zum laufenden Jahr in
der Maastricht-Notifikation zu Anfang Oktober sowie die „Übersicht über die Haushaltspla8
Während mit der „Planung“ die Aufstellung eines konkreten Haushalts, bspw. einer Gemeinde, bezeichnet wird, versteht man unter „Projektion“ die Prognose der der Entwicklung aller öffentlichen
Haushalte im Aggregat, differenziert nur nach Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherung).
9
Diese umfasst zum einen die Aufstellung des Haushaltsplans für das Folgejahr, der im Laufe des
Jahres vom Bundeskabinett verabschiedet, dann im Parlament beraten und in der Regel zum Ende
des Jahres gesetzlich in Kraft tritt. Zum anderen enthält sie den Finanzplan zu den Haushaltseckwerten für die über die Haushaltsplanung hinausgehenden drei Jahre. Der Finanzplan wird stets im
Sommer aktualisiert und vom Bundeskabinett verabschiedet.
Stand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 10
nung“, die gemäß Tow-Pack bis Mitte Oktober zu veröffentlichen ist. Mit den Ergebnissen der
Herbstschätzung werden die Haushaltspläne unmittelbar vor Abschluss der parlamentarischen Haushaltsberatungen an die aktuellen Einschätzungen zur weiteren Entwicklung von
Konjunktur und Steueraufkommen angepasst.
Im Bundesministerium der Finanzen ist die Projektion der Haushalte der Gebietskörperschaften in der Abgrenzung der Finanzstatistik die Basisprojektion (lediglich für die Sozialversicherung wird nur in der Abgrenzung der VGR projiziert). Damit werden zunächst der Öffentliche
Gesamthaushalt und seine Ebenen in der für das Gros der öffentlichen Haushalte relevanten
kameralen Darstellung prognostiziert. Das Staatskonto wird daraus abgeleitet, indem methodisch bedingte Abweichungen zwischen der Finanzstatistik und den VGR umgesetzt werden.
Dieses zweistufige Verfahren hat den Vorteil, dass jederzeit die finanzstatistischen Haushaltsentwicklungen und die Zielgrößen der europäischen Haushaltsüberwachung gegenseitig
transformierbar sind. Wichtig ist dies auch im Rahmen der Maastricht-Notifikation, deren wesentlicher Bestandteil Tabellen zur Überleitung der Finanzierungssalden der Haushaltsrechnung in die Finanzierungssalden der VGR-Abgrenzung sind.
Die Überleitung der Projektion des Öffentlichen Gesamthaushalts auf die Projektion in der
Abgrenzung der VGR wird auf zwei Wegen vorgenommen. Zum einen kann der Finanzierungssaldo des Öffentlichen Gesamthaushalts nach Ebenen auf den VGRFinanzierungssaldo der Teilsektoren des Staates übergeleitet werden, wobei lediglich die
saldenwirksamen Anpassungen vorgenommen, also die finanziellen Transaktionen eliminiert, die Phasenverschiebungen bei Steuern, Zinsen und Bauproduktion eingerechnet und
weitere besondere Effekte berücksichtigt werden müssen. Zum anderen wird in einer detaillierten Ableitung das vollständige Staatskonto in der Abgrenzung der VGR berechnet. Darin
fließen dann die Komponenten des Öffentlichen Gesamthaushalts nach staatlichen Ebenen
in die einzelnen Ausgaben und Einnahmen des Staatskontos ein. Darüber hinaus werden
weitere VGR-spezifische Effekte berücksichtigt und anhand von Satellitenmodellen bestimmte Stromgrößen in der Abgrenzung der VGR abgeleitet.
Eine Projektion auf Basis von Quartalsdaten wird nur im Kontext der gesamtwirtschaftlichen
Projektion (in der VGR-Abgrenzung) – und hier auch nur in geringerem Detailgrad – vorgenommen. Die Projektion auf Basis von Quartalsdaten ist notwendig, da die gesamtwirtschaftliche Projektion auf dieser Basis vorgenommen wird. Denn die kurzfristige Vorausschätzung
der Konjunktur ist am Verlauf orientiert. Für eine Analyse der Finanzpolitik ist jedoch eine
Projektion auf Basis von Jahresdaten vollkommen ausreichend. Generell gilt, dass viele Einnahmen und Ausgaben unterjährig keinem bestimmten Muster folgen. Unterjährige Ergebnisse können daher zum Teil nur sehr schwer auf das Jahr hochgerechnet werden.
4.4. Überwachungsgremien
In Deutschland existiert eine Reihe unterschiedlicher Überwachungsgremien, die die Einhaltung der Fiskalregeln überprüfen. Der Bundesrechnungshof bzw. für Länder und Gemeinden
die Landesrechnungshöfe prüfen die Jahresrechnung, die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung sowie die Einhaltung der geltenden Fiskalregeln. Darüber wird jährlich unmittelbar an Bundestag und Bundesrat berichtet. Zum AbStand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 11
schluss der Haushaltskontrolle steht beim Bund die Entlastung der Bundesregierung durch
das Plenum des Deutschen Bundestages.
Zusätzlich überwacht der Stabilitätsrat regelmäßig die Haushalte des Bundes und der Länder. Mitglieder des Stabilitätsrates sind der Bundesminister der Finanzen, die Finanzminister
der Länder sowie der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie. Den Vorsitz führen
gemeinsam der Bundesminister der Finanzen und der Vorsitzende der Finanzministerkonferenz der Länder. Eine zentrale Aufgabe des Stabilitätsrates ist die regelmäßige Überwachung der Haushalte des Bundes und der Länder. Ziel ist es, drohende Haushaltsnotlagen
bereits in einem frühen Stadium zu erkennen, um rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen
einleiten zu können. Außerdem spielt der Stabilitätsrat eine wichtige Rolle mit Blick auf die
Einhaltung der für Deutschland geltenden europäischen Vorgaben zur Haushaltsdisziplin.
Insbesondere wacht er darüber, dass die Haushalte von Bund, Ländern, Kommunen und
Sozialversicherungen insgesamt die im Haushaltsgrundsätzegesetz festgelegte Obergrenze
des strukturellen gesamtstaatlichen Finanzierungsdefizits von 0,5 % des BIP nicht überschreiten. Die Überprüfung findet zweimal jährlich auf Grundlage einer Projektion des gesamtstaatlichen Finanzierungssaldos für das laufende und die vier folgenden Jahre statt.
Falls die Obergrenze des Defizits überschritten wird, empfiehlt er den Regierungen und Parlamenten des Bundes und der Länder geeignete Konsolidierungsmaßnahmen.
Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben wird der Stabilitätsrat durch einen unabhängigen
Beirat, einem unabhängigen Sachverständigengremium, unterstützt. Die im Zusammenhang
mit der Überprüfung der Einhaltung der Fiskalregeln zu erarbeitenden Stellungnahmen und
Empfehlungen des Beirats werden ebenfalls veröffentlicht. Mitglieder des Beirats sind je ein
Vertreter der Deutschen Bundesbank und des Sachverständigenrats zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ein Vertreter der an der Gemeinschaftsdiagnose beteiligten Forschungsinstitute, je zwei für die Dauer von fünf Jahren von Bund und Ländern
durch deren Vertreter im Stabilitätsrat benannte Sachverständige und je ein für die Dauer
von fünf Jahren von den kommunalen Spitzenverbänden und den Spitzenorganisationen der
Sozialversicherung benannter Sachverständiger.
Nicht zuletzt nehmen die o.g. nationalen und internationalen Institutionen in ihren jeweiligen
Berichten regelmäßig zur Finanzpolitik und der Einhaltung der Fiskalregeln Stellung und haben eine große Öffentlichkeitswirksamkeit.
5. Schlussfolgerungen, Ausblick und Handlungsempfehlungen für die Ukraine
Präsident Poroschenkos oberste Priorität, die Ukrainische Verfassung zu reformieren, sollte
genutzt werden, auch im Bereich der Finanzverfassung entsprechende Regeln aufzunehmen, die in Anlehnung an den Fiskalvertrag bzw. die deutsche Schuldenbremse das Erreichen und dann die dauerhafte Einhaltung eines in etwa ausgeglichenen Staatshaushalts
vorsehen. Weitere Einzelheiten sollten, wie in Deutschland auch, durch einfachgesetzliche
Regelungen präzisiert werden. Hierzu gehören unter anderem die Schaffung einer soliden
Basis für die Haushaltsaufstellung mit unabhängigen oder im Prognosewettbewerb stehenden Projektionen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und das Steueraufkommen und
ein effizientes und transparentes Verfahren für die Haushaltsaufstellung sowie die Kontrolle
Stand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 12
der Haushaltsführung und der Einhaltung der Regeln. Auch die Schaffung von unabhängigen
Wirtschaftsforschungsinstitutionen analog zum deutschen Sachverständigenrat zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist förderlich für eine offene und transparente Diskussion und
Bewertung der wirtschaftspolitischen Entscheidungen sowie zum Aufzeigen von Handlungsoptionen und ihren Auswirkungen.
Bei der Frage der Verfassungsänderung wird sicherlich auch die Frage Zentralisierung versus Dezentralisierung zu klären sein. Dieser Thematik wäre ein eigenes Kapitel zu widmen.
Aus Demokratie-, aber auch aus Effizienzgründen spricht vieles für eine dezentrale Lösung.
In finanzpolitischer Hinsicht und aus den Erfahrungen Deutschlands kann ein föderales System vieles leisten, ist aber wiederum auch mit eigenen Fragen und Problemen verbunden.
Unabhängig von der letztendlichen Ausgestaltung ist eine solide Finanzpolitik gemäß den
Vorgaben des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts jedoch in beiden Fällen genauso gut möglich.
Die derzeitige Situation der Ukraine kann dabei als eine Chance für einen Neuanfang gesehen werden, die Korruption zu bekämpfen, die Programmvorgaben des IWF zu erfüllen und
den Willen aller Beteiligten, eine neue Finanzverfassung zu schaffen, in die Realität umzusetzen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn Politik und Öffentlichkeit an einem Strang ziehen.
Denn nur, wenn auch der Wille zu soliden öffentlichen Finanzen da ist, können diese auch
auf eine tragfähige Basis gestellt werden. Ähnlich wie in den europäischen Programmländern
oder bei der Einführung der Schuldenbremse in Deutschland können Krisensituationen den
Ernst der Lage verdeutlichen und die Umsetzung einer glaubwürdigen und transparenten
Fiskalregel ermöglichen.
Stand: 09.07.2014
Erstellt von: Dr. Elke Baumann
Seite 13
Herunterladen