Prof. Dr. Alexander Trunk SS 2013 Zivilprozessrecht im Überblick Di., 12.00 – 14.00 Bio-Zentrum Raum 62/63 30.4.2013: Prozessvoraussetzungen (Zulässigkeit der Klage) III. Zustellungsrecht. Fortführung des Beispielsfalls: Rentner R aus Kiel hat bei der V-GmbH mit Sitz in Hamburg zu Anfang des Jahres 2009 einen Fernseher im Wert von 600,-- Euro gekauft, der sich kurz nach Inbetriebnahme als defekt erweist. Als R das Gerät zurückgeben will, lehnt V dies mit der Begründung ab, das Gerät sei bei Verkauf in Ordnung gewesen. Wahrscheinlich habe R das Gerät falsch bedient und dadurch den Defekt selbst verursacht. Eine Einigung ist nicht zu erzielen. 1. Teil: Prozessvoraussetzungen (Abschluss) Noch C. Einzelne Prozessvoraussetzungen 1. Ordnungsgemäße Klageerhebung, § 253 2. Auf das Gericht bezogene Prozessvorausetzungen 3. Auf die Parteien bezogene Prozessvoraussetzungen (insbes. Parteifähigkeit und Prozessfähigkeit) 4. Auf den Streitgegenstand bezogene Prozessvoraussetzungen a) Streitgegenstandsbegriff S. dazu ausführlich z.B. Jauernig, ZivilprozessR, § 37 Um die Wirkungen eines Prozesses oder eines Urteils zu bestimmen, muss klargestellt sein, um was es in diesem Prozess oder Urteil überhaupt geht. Hierfür hat sich in der dt. Prozessrechtsdogmatik der Begriff "Streitgegenstand" eingebürgert, s. § 2 ZPO. Dieser Begriff war aber dem historischen ZPO-Gesetzgeber noch nicht geläufig, er erscheint daher nur in einzelnen neueren Vorschriften der ZPO (vgl. § 253 III). In der Regel verwendet der ZPO-Gesetzgeber einen anderen Begriff: meist "Anspruch" (vgl. § 33, 253 II Nr.2), z.T. auch „die Streitsache“ (§ 261 I, III Nr.1). aa) Streitgegenstandsbegriff - Bedeutung: aaa) Anforderungen an Klageschrift: gem. § 253 II muss die Klage die bestimmte Angabe „des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs“ sowie „einen bestimmten Antrag“ enthalten bbb) Klagehäufung, § 260: unter bestimmten Voraussetzungen können mehrere „Ansprüche“ in der gleichen Klage verbunden werden (arg. Dispositionsmaxime + Prozessökonomie) ccc) RHängigkeit, § 261 I, III Nr.1: danach kann, wenn eine Klage erhoben ist, ein Verfahren mit gleichem Streitgegenstand nicht vor einem anderen Gericht geltend gemacht werden: die zweite Klage wäre dazu unzulässig. ddd) Indirekt: „Klage“änderung, § 263: Änderungen des Streitgegenstandes durch den Kläger sind nach Klageerhebung nur noch unter eingeschränkten Voraussetzungen zulässig (arg. Schutz des Bekl.) eee) RKraft, § 322: danach hindert ein rechtskräftiges Urteil eine erneute Klage über den gleichen „Anspruch“/Streitgegenstand (arg. Prozessökonomie + Schutz des Bekl.): dazu näher im Zusammenhang mit den Urteilswirkungen fff) § 33 Widerklage: Besondere Klageart, deren Zulässigkeit einen Zusammenhang zwischen „Anspruch“, d.h. Streitgegenstand, von Klage und Widerklage voraussetzt. bb) Einheitliche Streitgegenstandsbegriffe aaa) Materieller Streitgegenstandsbegriff: Wenn das Gesetz, wie in § 253 II Nr.2 ZPO, vom „erhobenen Anspruch“ spricht, könnte man zunächst denken, damit wäre der materiellrechtliche Anspruch gem. § 194 BGB gemeint --> Aber Problem Zersplitterung der Prozesse (RKraft streitgegenstandsbezogen: nicht vereinbar mit Anspruchsgrundlagenkonkurrenz, unterschiedl. Verjährung, etc.). --> Daher „Anspruch“ iSv § 253 II Nr.2, 261 II etc. nicht mit mat-r Anspruch gleichzusetzen, sondern eigenständige Bestimmung nötig. bbb) Prozessualer Streitgegenstandsbegriff: "prozessualer Anspruch" Nach heute ganz herrschender Auffassung in Literatur und Rspr. ist der Begriff des „Anspruchs“ in der ZPO prozessrechtlich zu verstehen: sog. prozessualer Anspruch = Streitgegenstand. Hier gibt es aber verschiedene Meinungsvarianten: (1) Eingliedriger S.: "Antrag". Aber widerspricht § 253 II Nr.2, zudem bei Leistungsklagen häufig mehrdeutig (z.B. Klage auf Zahlung 600 Euro: kann sich aus ganz unterschiedlichen Lebenssachverhalten ergeben). b) Zweigliedriger S.: (1) = hM, entspricht § 253 II Nr.2: Antrag + LebensSV („natürliche vom Standpunkt der Parteien ausgehende Betrachtung“), s. Thomas/Putzo, ZPO, Einl. II Rdz.24 ff. Z.B. - 10000,-- werden verlangt aus 2 Kaufverträgen = 2 Streitgegenstände. - Klage auf Ersatz von materiellem und immateriellem Schaden. - Im Beispielsfall macht R z.B. Minderung des Kaufpreises geltend (z.B. Teilrückzahlung Kaufpreis) und verlangt zudem SEA: das können zwei Anträge sein (dann schon deshalb 2 Streitgegenstände), im übrigen aber nach Rspr auch zwei unterschiedl. LebensSVe (vgl. BGH NJW 1990, 2682) --> d.h. die Unterschiedlichkeit des Streitgegenstands kann sich sowohl aus den unterschiedlichen Anträgen als auch aus unterschiedlichen Lebenssachverhalten ergeben. (2) Aber Unschärfen bleiben: „was ist einheitl. LebensSV bei natürlicher Betrachtung“? z.B. hM bejaht unterschiedl. Streitgegenstände bei: - Anspruch aus Kaufvertrag + Wechsel - SEA aus mehreren Persönlichkeitsverletzungen - Geltendmachung verschiedener Schadensarten, z.B. Sachschaden und Heilungskosten - Ansprüche, die aus verschiedenen Mängeln hergeleitet werden Dagegen bejaht hM einheitl. Streitgegenstand bei SEA aus Vertrag und Delikt (mat. Anspruchskonkurrenz), wohl auch bei konkurrierendem Bereicherungsanspruch (insoweit aber nicht unzweifelhaft) logisch klare Abgrenzung hier nicht möglich Wertungen sind entscheidend: ist es aus prozessrechtlicher Sicht - im Interesse der Parteien oder der Prozessökonomie oder der Rechtssicherheit sinnvoll, einen „einheitlichen“ Streitgegenstand anzunehmen? (und damit verbunden z.B. einen Parallelprozess zuzulassen oder die Tragweite der Rechtskraft zu beschränken) Beisp: - Teilklagen haben nach ganz hM unterschiedliche Streitgegenstände (obwohl gleiche Tatsachengrundlage) - Grds. unterschied. Streitgegenstände bei prozessrechtlich unterschiedlichem Rechtsschutzbegehren, z.B. Leistungsklage und Feststellungsklage: dazu etwas später unten im Fallbeispiel. - Problem: Sachverhaltsergänzung [kein neuer Streitgegenstand] von „neuem“ (zusätzlichem) Lebenssachverhalt [neuer Streitgegenstand] abzugrenzen: z.B. = Lebenssachverhalt wird vom Kläger so beschrieben, dass er die TB-Merkmale einer Vertragsverletzung ausfüllt. Später fügt der Kläger Informationen hinzu, aus denen sich ergeben soll, dass auch ein deliktischer SEA vorliegt. = Oder: Kläger klagt auf Herausgabe einer Sache: zunächst gestützt auf MietV, später mit Vortrag zu § 985 für den Fall, dass der Mietvertrag unwirksam ist --> tendenziell wird bei gleichem Antrag hier eher ein Streitgegenstand anzunehmen sein, jdf. wenn der Rahmen des „individualisierten“ Lebenssachverhalts nicht überschritten wird (arg. Prozessökonomie). cc) Differenzierende Bestimmung des Streitgegenstands: z.B. weiter Begriff des Streitgegenstands bei RHängigkeit (hier könnte der Kläger möglicherweise die Klage erweitern) Verweigerung eines konkurrierenden Zweitprozesses dient uU der Prozessökonomie), engerer Begriff bei RKraft. Vgl. Rspr. EuGH zu "im Zshang stehenden Verf"/Rhängigkeit bei Art.21 EuGVÜ/Art.27 EuGVVO: bejaht gleichen Streitgegenstand z.B. zw. Zahlungsklage aufgrund Kaufvertrag und neg. FeststKlage auf Unwirksamkeit KaufV; s. EuGH, Urt. vom 8. Dezember 1987, Gubisch Maschinenfabrik KG (Flensburg) gegen Giulio Palumbo, Rs 144/86): dort zuerst Leistungsklage der dt Verkäuferin aus Vertrag in Dt, danach neg. Feststellungs- oder Gestaltungsklage des Käufers auf Unwirksamkeit des Vertrags in It. In Lit. als sog. Kernpunkttheorie bezeichnet: Sperre der Rechtshängigkeit tritt ein, wenn die Kernpunkte der Lebenssachverhalte übereinstimmten. D.h. löst sich von Klageantrag. Problem: uU Wertungswidersprüche: wenn Streitgegenstand bei Rhängigkeit weit verstanden wird, aber bei RKraft eng, kann uU nach Eintritt RKraft Verjährung betr. eines nicht von der RKraft erfassten Anspruchs eingetreten sein. --> Richtigerweise sollte daher - jdf. für das deutsche Recht - von einheitlicher Bestimmung des Streitgegenstandsbegriffs ausgegangen werden. b) Fehlende anderweitige Rechtshängigkeit, § 261 BeispFall: (grds. wie oben im Ausgangsfall). Nachdem R die Klage bei Gericht in Kiel eingereicht hat, ruft er bei V-GmbH an + teilt die Klageeinreichung mit. Daraufhin wendet sich die V-GmbH an das AG in HH und reicht dort ihrerseits eine Klage auf Feststellung ein, dass sie R nichts schulde. Diese Klage wird R nach 1 Woche zugestellt, 2 Tage später erhält die V-GmbH die Klageschrift des R. aa) Begriff der Rechtshängigkeit RHängigkeit = das mit bestimmten proz. Wirkungen ausgestattete Schweben (Vorliegen) eines RStreits vor Gericht Rhängigkeit = techn. Begriff: Zeitpunkt: § 261 I iVm § 253 I Zustellung der Klage gem. §§ 166 ff ZPO (dazu genauer nächste Stunde) Abzugrenzen von Anhängigkeit (Einreichen Klage bei Gericht bis zu Zustellung, s. z.B. § 281 Verweisung erst nach Rhängigkeit, vorher formlose Abgabe) bb) Wirkungen der Rechtshängigkeit aaa) Fixierung der (pos.) Zuständigkeit, 261 III Nr.2 (sog. perpetuatio fori) Ausn. § 506 für AG. Aber Zuständigkeit kann auch später noch eintreten (bis zum Schluss der letzten mündl. Verhandlung) bbb) Prozesshindernis, 261 III Nr.1 (1) für spätere Prozesse: BeispFall: hier Klage der V-GmbH zuerst r-hängig, s.o. § 167 ZPO gilt nicht, da es insoweit nicht um Wahrung einer Frist geht. --> schon deshalb für Klage der V-GmbH kein Einwand der Rhängigkeit aus Klage des R (vAw zu beachten, nicht nur Einrede, arg. öff Interesse an Prozessökonomie + Vermeidung widerspr. Entscheidungen) (2) der gleichen Parteien (auch bei RKrafterstreckung, z.B. §§ 265, 325) (3) mit dem gleichen Streitgegenstand ("die Streitsache") Problem, daß R Leistungsklage, V-GmbH neg. FeststKlage erhoben hat. Wohl gleicher LebensSV, aber hier wg. unterschiedl. Anträge = unterschiedl. Streitgegenstand. Rhängigkeit Klage V-GmbH steht Klage R nicht entgegen: FeststAntrag dürfte Leistungsklage nicht hindern (aA EuGH) --> HM löst das Problem über das gem. § 256 erforderliche besondere Feststellungsinteresse für die Feststellungsklage der V-GmbH: FeststInteresse besteht, bis über Leistungsklage des R mündl. verhandelt wurde, so dass keine einseitige Klagerücknahme gem. § 269 I mehr möglich ist, Zöller § 256 Rdz.8. Dann wird FeststKlage teilw. unzulässig. Im übrigen bleibt aber eine negative FeststKlage der V-GmbH ungehindert ("keine weiteren Ansprüche aus diesem LebensSV"). Des weiteren müssen für die Klage der V-GmbH die übrigen Prozessvorr. vorliegen. Hier für neg. FeststKlage örtl. Zust. in HH aus § 29 zweifelhaft; § 32 kommt nur bei Delikt, nicht bei cic in Betracht. Vergleich dieser Lösung mit der Rechtsprechung des EuGH: EuGH bejaht in Rspr über den Begriff der "im Zshang stehenden Verf"/Rhängigkeit bei Art.21 EuGVÜ/Art.27 EuGVVO das Vorliegen eines gleichen Streitgegenstands zw. Zahlungsklage aufgrund Kaufvertrag und (späterer) neg. FeststKlage auf Unwirksamkeit KaufV; s. EuGH, Urt. vom 8. Dezember 1987, Gubisch Maschinenfabrik KG (Flensburg) gegen Giulio Palumbo, Rs 144/86): dort zuerst Leistungsklage der dt Verkäuferin aus Vertrag in Dt, danach neg. Feststellungsoder Gestaltungsklage des Käufers auf Unwirksamkeit des Vertrags in It. Dies gilt nach EuGH auch bei zuerst erhobener neg. FeststKlage. EuGHE 1994 I 5439 „The Tatry“: Zuerst neg. FeststKlage in Land 1 auf Nichthaftung für Beschädigung Ladung; danach pos. Leistungsklage auf SEA wg Beschädigung Ladung. EuGH hält pos. Leistungsklage für unzulässig; offen, ob das auch nach Abschluss des FeststVerfahrens gilt. Diese Rspr. des EuGH wird in Lit. als sog. Kernpunkttheorie bezeichnet: Sperre der Rechtshängigkeit tritt ein, wenn die Kernpunkte der Lebenssachverhalte übereinstimmten. D.h. löst sich von Klageantrag. Danach wäre im Beispielsfall die Klage des R zunächst unzulässig (bzw. Aussetzung des Verfahrens) EuGH geht tendenziell sehr weit in Annahme eines einheitl. Streitgegenstandes bei RHängigkeit (arg. Prozessökonomie). --> Problem: nicht weniger r-unsicher als das dt autonome Recht, uU Wertungswidersprüche: wenn Streitgegenstand bei Rhängigkeit weit verstanden wird, aber bei RKraft eng, kann uU nach Eintritt RKraft Verjährung betr. eines nicht von der RKraft erfassten Anspruchs eingetreten sein. --> Richtigerweise sollte daher für das deutsche Recht vorläufig weiter von bisheriger Rspr zur (einheitlichen) Bestimmung des Streitgegenstandsbegriffs ausgegangen werden. ccc) Exkurs: Materielle Wirkungen der Klageerhebung s. Zöller-Greger Vor § 253 Rdz.26 f. a) Hemmung der Verjährung, § 204 iVm § 209 BGB (früher Unterbrechung, § 209 a.F.) erst durch Rechtshängigkeit. Aber § 167 ZPO zu beachten: Vorbeziehung der BGBVerjährungsunterbrechung bzw. Fristwahrung auf Einreichung der Klage, falls „alsbald“ zugestellt wird (14 Tage od. 6 Wochen? Vgl. Zöller-Greger § 167) b) Verzugseintritt, § 286 I 2 BGB (Klageerhebung steht Mahnung gleich) c) Prozesszinsen § 291 BGB d) Haftungsverschärfung für den Schuldner, z.B. §§ 292, 818 IV, 987 II BGB e) Sonstige, z.B. Unterbrechung Ersitzung, § 941 BGB c) Fehlende anderweitige Rechtskraft, § 322, s. Veranstaltung zum Urteil und seinen Wirkungen. d) (Allg.) Rechtsschutzbedürfnis (RSB) als ungeschriebene allgemeine Prozessvoraussetzung: Erfordernis eines legitimen Interesses des Klägers an der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes. RSB liegt grds. vor, nur ausnahmsweise zu verneinen (und nur selten zu prüfen). RSB fehlt, wenn gerichtliches Verfahren bei objektiver Betrachtung nicht notwendig ist oder wenn Klage zur Erreichung rechtlich missbilligter Ziele erhoben wird Beispiele für Fehlen des RSB: - anderer einfacherer Weg zum gleichen Rechtsschutzziel (z.B. FordAnmeldung in der Insolvenz) - Feststellungsklage, wenn auch Leistungsklage erhoben werden kann (Ausnahmen denkbar im Rahmen von § 256 bei „besonderem Feststellungsinteresse“) - querulatorische Klage (aber praktisch extrem selten) RSB fehlt nicht bei Geltendmachung von Minimalforderungen. 5. Besondere Prozessvoraussetzungen für einzelne Verfahrensarten, z.B. §§ 33, 256, 323; §§ 767, 771. aa) Widerklage, § 33 (besondere Zuständigkeit, zugleich Klageart): setzt Konnexität des Gegenstands der Klage und der Widerklage voraus: rechtlicher (nicht nur wirtschaftl.) Zusammenhang z.B. - Klage auf Kaufpreiszahlung, Widerklage auf SEA wegen Schlechterfüllung (Kaufvertrag als gemeinsame Grundlage beider Ansprüche) - Klage auf Zahlung, Beklagter rechnet auf + erhebt im übrigen Widerklage (steht in rechtl. Zshang mit dem „Verteidigungsmittel“ der Aufrechnung). Grund: Prozessökonomie; Widerklage führt bei Erfolg zu ZV-Titel, Aufrechnung allein höchstens zu Klageabweisung. bb) Feststellungsklage, § 256 ZPO aaa) 256 I: besonderes FeststInteresse erforderlich: „rechtliches“ Interesse an „baldiger“ Feststellung. Muss positiv geprüft werden. - Recht des Klägers bzw. RLage muss durch gegenwärtige Gefahr od. Unsicherheit bedroht sein, z.B. wenn sich Gegner eines Rechts „berühmt“ - FeststInteresse fehlt idR, wenn Leistungsklage möglich ist (Ausn. bei Klagen gg. öff. Hand) bbb) Sonderfall: bei § 256 II (ZwischenfeststKlage bei vorgreiflichen Rechtsverhältnissen) ist Feststellungsinteresse immer gegeben. Grund: grds. auf Tenor der Entscheidung beschränkte Tragweite der mat. RKraft. 6. Sog. Prozesshindernisse: nur auf prozessuale Einrede hin zu prüfen, z.B. Einrede des Schiedsvertrages, § 1032 ZPO. 2. Teil: Zustellungsrecht Zur Erinnerung: Bei der PV der wirksamen Klageerhebung (§ 253 ZPO iVm § 129 ff) hatte ich darauf hingewiesen, dass die Klageschrift „zuzustellen“ ist. „Zustellung“ ist ein rechtstechnischer Begriff, der in §§ 166 ff ZPO näher bestimmt wird. Zustellung der Klage ist eine Kernvoraussetzung für den Eintritt der Rechtshängigkeit, s. § 261 I iVm II ZPO. Nach der dt ZPO müssen zentrale Dokumente im Prozess auf formalisierte Weise „zugestellt“ werden, um sicherzustellen, dass der Adressat mit größtmöglicher Sicherheit über das Dokument informiert wird (arg. rechtliches Gehör nach Art.103 I GG). Jetzt Vertiefung des Zustellungsrechts. Beispiel: Kläger K klagt gg. Beklagten V-GmbH. Geschäftsstelle veranlasst Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein. V-GmbH lässt das Einschreiben nicht abholen: ist hier eine wirksame Zustellung erfolgt? I. Regelungsgrundlagen - §§ 166 ff ZPO: Zustellungsrecht mit Wirkung ab 1. Juli 2002 durch ZustReformG v. 25.6.2001 neu gefaßt. - Internationales Zustellungsrecht: innerhalb EU nach EuZVO 2007, im übrigen HZÜ 1965 und autonomes R § 183 ZPO. II. Begriff Zustellung = förmliche Bekanntgabe eines Schriftstücks an eine Person. Hintergrund: rechtliches Gehör (Art.103 I GG, s. Art. 6 EMRK fair trial). III. Wann ist eine formelle Zustellung erforderlich? Nur wenn ausdrücklich vorgeschrieben, vgl. demgegenüber sog. formlose Mitteilung, vgl. § 270 ZPO (Regelfall für Schriftsätze der Parteien oder gerichtliche Anordnungen, soweit nicht formelle Zustellung vorgesehen). Zustellungspflichtig sind insbes. zentrale Schriftsätze der Parteien bzw. Entscheidungen des Gerichts - Klageschrift, § 253 I - Gerichtliche Urteile, § 317 - Gerichtliche Beschlüsse in bestimmten Fällen, s. § 329 II, III (s. 569 III), § 377 I 2 Zeugenladung bei bes. Anordnung. Nicht zustellungspflichtig sind z.B. (s. § 270 ZPO) - Klageerwiderung (bloßer Abweisungsantrag wird nicht als – eine Zustellung erfordernder – „Sachantrag“ iSv § 270 angesehen, s. Thomas-Putzo § 297 Rdz.2) - Replik, - gerichtliche Verfügungen (z.B. gem. § 273) - Beschlüsse, soweit nicht mündl. Verhandlung vorgeschrieben (z.B. § 329 II 2) oder fakultativ erfolgt (s. § 128 IV) Keine Zustellung (der Klageschrift) erfolgt bei schwersten Mängeln der Klageschrift (z.B. fehlende Unterschrift; fehlende Gerichtsbarkeit), aber keine Zustellungsverweigerung bei heilbaren Zulässigkeitsmängeln (z.B. Fehlen Prozessfähigkeit: ges. Vertreter kann genehmigen, Zuständigkeit: rügelose Einlassung kommt in Betracht etc: Parteien müssen darüber verhandeln dürfen). IV. Zustellungsverfahren: Zustellung wird vereinfacht + beschleunigt = Einführung der generellen Möglichkeit. der Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein, § 175 = Erleichterung der Ersatzzustellung, insbes. Möglichkeit des Einsatzes elektronischer Zustellung § 174 III i.V.m. § 130 a = Erweiterung der Heilungsmöglichkeit, § 189 (auch Notfristen [s. § 224 I iVm z.B. 276 I 1, 339, 517) werden in Gang gesetzt Zustellungsrecht ist praktisch von großer Bedeutung!! 1. Gesetz unterscheidet Zustellungen von Amts wegen (§§ 166 ff) - Parteizustellungen (§§ 191 ff): Zustellungen von Amts wegen stehen heute vorne (anders altes R), da gesetzl. Regelfall, s. § 166 II iVm § 253, 271; vgl. a. 270 I. Vorschriften über Zustellung vAw finden auf Parteizustellungen subsidiär Anwendung (§ 191). 2. Zustellung muss erfolgen a) an die richtige Person: an den Zustellungsadressaten (vgl. § 177: Partei, Zeuge, Sachverständiger) beim richtigen Zustellungsempfänger (§§ 170 ff: auch ges. Vertreter, Bevollmächtigte, uU auch an Dritte: sog. Ersatzzustellung, § 178) b) am richtigen Ort, s. § 177, § 178 (Wohnung/Geschäftsraum), § 179 (Zurücklassen in Wohnung/Geschäft bei verweigerter Annahme), § 180 (Briefkasten) c) zur richtigen Zeit: nicht ausdrücklich geregelt, aber nach Rspr darf Annahme zur Nachtzeit od. an Sonn- und Feiertagen verweigert werden (§ 179 greift dann nicht ein). [früher § 188 ZPO a.F.] d) in der richtigen Weise: aa) durch die Geschäftsstelle veranlasst (§ 168), ggf. durch Beauftragung der Post od. eines Justizbediensteten od. GVZ [§ 168 II ZPO iVm GVG: nur ausnahmsweise, da höhere Kosten] bb) grds. durch Übergabe: - § 173 direkt an Amtsstelle, - uU § 174 direkt per Aushändigung gg Empfangsbekenntnis: nur bei Behörden, RAen uä. Personen (auch elektron. Zustellungen möglich!); gilt bei Einverständnis auch ggü anderen Personen (§ 174 III 2) - § 175 durch Einschreiben der Post mit Rückschein (neu: soll Zustellungen erleichtern!) - § 176 per Zustellungsauftrag (an Post etc.) cc) Ausnahmsweise durch Niederlegung + Mitteilung § 181 oder durch öffentl. Zustellung (Fiktion), § 185 (als letztes Mittel, z.B. wenn Anschrift des Adressaten nicht bekannt) dd) Sonderfragen bei Auslandszustellung: § 183 ff iVm EuZustVO 2000/rev.2007, bzw. Haager Zustellungsübereinkommens 1965. Hier auch sog. Zustellung durch Aufgabe zur Post möglich (gilt als Inlandszustellung!), aber nur in Ausnahmefällen vorgesehen, § 184 I 2, II (Zustellungsfiktion nach 2 Wochen ab Aufgabe; gilt nicht für Klageerhebung). ee) Wichtig: Zustellungsurkunde muss ausgestellt werden, § 182 ZPO V. Folgen von Zustellungsmängeln 1. Grds. Unwirksamkeit der Zustellung bei Klage: kein ProzessRVerhältnis begründet, kein Urteil kann ergehen, andernfalls Aufhebung in Rechtsmittelinstanz. 2. „Minimalmängel“, die aus dem Zusammenhang jederzeit richtig gestellt werden können, sind unschädlich, z.B. Zustellung an den Kläger „im Auftrag des Klägers“ (offensichtlich gemeint, dass im Auftrag des Beklagten). Auch Verstoß gg § 182 (Zustellungsurkunde) ist nach hM grds. unschädlich: Zustellung kann auch anders bewiesen werden. 3. Im übrigen Heilung von Zustellungsmängeln möglich: a) Sondervorschrift des § 189: Heilung durch tatsächlichen Zugang (gilt nach BGH nicht im Rahmen HZÜ 1965). b) Zudem Heilung ex nunc in mündlicher Verhandlung durch Rügeverzicht § 295 möglich. (dann aber uU Problem von Fristversäumungen: können aber über 167 ebenfalls „geheilt“ bzw. nicht eingetreten sein, falls Zustellung bzw. Heilung „demnächst“ erfolgt: wertende Betrachtung: wer ist für Verzögerung verantwortlich? Nach Rspr ist idR 6 Wochen-Frist unschädlich) VI. Lösung von BeispFällen: Kläger K klagt gg. Beklagten B. Zustellung: Fall 1: Geschäftsstelle veranlasst Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein. V-GmbH läßt Einschreiben nicht abholen: Zust unwirksam nach § 175 [sog. Einwurf-Einschreiben genügt nicht, da keine unmittelbare Übergabe an Adressaten + kein Rückschein]. Fall 2: Daraufhin sendet die Geschäftsstelle dem B die Klageschrift per Fax od. email: unwirksam wg § 174 II (kein RA etc.) bzw. 174 III 2 (keine ausdrückl. Zustimmung) Fall 3: Geschäftsstelle beauftragt den Gerichtsvollzieher (GVZ) mit der Zustellung. Dieser trifft B am Sonntagabend in einer Kneipe an und will ihm die Klageschrift übergeben: B verweigert die Annahme: zu Recht, arg. Auslegung § 177: - Zustellung darf nicht zu Nachtzeit erfolgen [so früher ausdrücklich § 188 a.F.: Verbot der Zustellung zur Nachtzeit, Def. in § 758 a IV: 21.00 - 6.00). § 188 a wg Bedeutungslosigkeit aufgehoben, aber keine Rechtsänderung beabsichtigt. - Zustellung muss so erfolgen, dass eine unnötige Belästigung des Empfängers vermieden wird (so auch § 27 S.2 GVGA). - GVZ lässt Zustellungsdokument vor dem B am Tresen liegen [unzulässig, denn Zurücklassung gem. 179 S.1 ist nur bei Zustellung in Wohnung od. Geschäftsraum vorgesehen; sonst muss Rücksendung 179 S.2 erfolgen]. Denkbar, dass mit Annahmeverweigerung Zustellungsfiktion gem. § 179 S.3 eintritt; aber setzt „unberechtigte“ Annahmeverweigerung voraus; hier (-), § 179 greift daher nicht ein. [Wenn B das Dokument entgegennimmt, ist Zustellung trotz Verletzung von § 177 wohl wirksam]. Heilung nach § 189? Wohl (-) weil kein tatsächliches In-die-Hände-Erhalten des Dokuments durch B (aM wohl vertretbar). Literaturhinweise zur Nachbereitung: Lüke § 14, 15, 16 Literaturhinweis zur Vorbereitung auf die nächste Stunde: Lüke § 19